Erste Analyse zum heutigen Nationalratsentscheid zur CO2-Gesetzesrevision Der Nationalrat hat zu Beginn der Beratungen beschlossen, dass die Revision des CO2-Gesetzes zum indirekten Gegenvorschlag der Klima-Initiative werden soll. Entsprechend müsste das Ziel sein, einen gleichwertigen Gesetzestext auszuarbeiten. Entspricht Entscheid unseren Abstimmungsempfehlungen? Der Rat ist der Abstimmungsempfehlung der Klima-Allianz in lediglich zwei wenig umstrittenen von insgesamt elf Punkten gefolgt (Kompensation Treibstoffe und Gebäudesanierungsprogramm). Zusätzlich wurden bei zwei weiteren Abstimmungen die von den Umweltorganisationen als gerade noch knapp empfehlenswert eingestuften Varianten unterstützt (Reduktionsziele und Lenkungsabgabe auf Brennstoffe). Bei den sieben verbleibenden besonders relevanten Abstimmungen wurde der entsprechende Artikel ganz gestrichen oder ein Antrag unterstützt, welcher keine hinreichenden Reduktionen erlaubt. Wie gut ist das Reduktionsziel? Der nun vorliegende Gesetzes-Entwurf ist zur Umsetzung eines aktiven Klimaschutzes untauglich ist. Die wichtigen Treibhausgas-Reduktionsziele von 20 % Inland bis 2020 (mit Kompetenz BR auf insgesamt 40% zu erhöhen, wovon max. ¾ im Ausland) mögen den bestmöglichen parteipolitischen Kompromiss darstellen. Dieser erhielt zwar Stimmen aus allen Fraktionen, schaffte jedoch nur eine knappe Mehrheit. Um gefährliche Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern, müssen die Industrieländer ihre Emissionen bis 2020 um 40% reduzieren. Dies ist auf jeden Fall nötig, unabhängig davon ob und wann es ein internationales Abkommen gibt und ob der Bundesrat dann auch willens ist, seine Kompetenz zu nutzen. Reichen die Massnahmen für Zielerreichung? (provisorische Abschätzungen) In seiner Basisvariante hat der Bundesrat Massnahmen vorgeschlagen, welche eine Inlandreduktion von rund 14% resp. 7 Mio.t CO2eq/Jahr von 1990 bis 2020 erlauben würde (gemäss Botschaft BR, aus Sicht WWF sind dies bereits optimistische Abschätzungen) . Eine Reduktion von 20% bis 40% bis 2020 entspräche einer Reduktion um 11 Mio.t im Inland resp. 21 Mio.t CO2eq im In-und Ausland. Bei der Neuwageneffizienz wurde ein Ziel festgesetzt (150gCO2/km im Jahre 2015 für Neuzulassungen), welches gemäss BFE-Berichten alleine durch den technischen Fortschritt erreicht wird. Der Nationalrat hätte also ehrlicherweise diese drei Artikel besser gestrichen. Würde der Ständerat diesen Entscheid nicht korrigieren, so würden die Autoimporteure weiterhin die übergewichtigen und übermotorisierten Fahrzeuge importieren und den AutokäuferInnen aufschwatzen. Diese Fahrzeuge sind nicht nur in der Anschaffung, sondern aufgrund des höheren Spritverbrauchs auch im Betrieb teurer und deshalb für den Autokäufer doppelt unerwünscht. Der Wegfall der Regelung gemäss Bundesrat bedeutet eine verpasste Reduktion von 1.7 Mio.t CO2 im Zieljahr 2020. Nicht nur faktisch sondern ehrlicherweise auch tatsächlich wurde die überfällige CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffe gestrichen. Weiterhin soll also das Benzin in der Schweiz deutlich günstiger als in den Nachbarsländer verkauft werden – so bleiben uns zumindest die Tanktouristen, wenn die letzten Gletscher weggeschmolzen sind. Der Wegfall der Regelung gemäss Bundesrat bedeutet eine verpasste Reduktion (fallls Bundesrat seine Kompetenz genutzt hätte) von 1 bis 2 Mio.t CO2 im Zieljahr 2020. Bei der CO2-Lenkungsabgabe auf Brennstoffe wurde gegenüber der Bundesratsvariante die Kompetenz des Bundesrates stark eingeschränkt, obschon dieser vorgeschlagen hat, die Abgabehöhe entsprechend der Zielerreichung anzupassen. Der Nationalrat will also nicht, dass die Brennstoffabgabe genutzt wird, um die Reduktionsziele zu erreichen. Der maximale Abgabesatz wurde von heute 210 Fr/t CO2 auf 120 Fr/t CO2 reduziert. Wir haben heute in der Schweiz trotz einer CO2-Lenkungsabgabe von 9 Rp/l Öl europaweit (zusammen mit wenigen weiteren Ostländern) die günstigsten Ölpreise. Gerade deshalb wären Lenkungsabgaben sehr wirksam. Es muss befürchtet werden, dass es sehr lange dauern wird, bis das Parlament Abgabesätze von deutlich über 60 Fr/t CO2 nachbewilligt. Die Kompetenz des Bundesrates auf 60 Fr/t CO2 (also um 6 Rp/l) zu erhöhen, würde eine Reduktion von rund 0.4 Mio. t CO2 im Jahr 2020 bewirken. Das Gebäudesanierungsprogramm wurde nicht beschnitten und auch die Umwandlung des heutigen Klimarappens in eine Kompensationspflicht für Treibstoffe war unbestritten. Diese beiden Massnahmen – beides sind Subventionsprogramme mit allen Vor- und Nachteilen – sind die wirksamsten Entscheide des Nationalrates (Gebäudeprogramm inkl. Kantonsanteil inkl. kantonale Gebäudegesetzgebung ergeben rund 2 Mio.t CO2Reduktion, Kompensation von Treibstoffen ergibt eine Reduktion von 0.8 bis 6 Mio.t CO2, je nach Ausgestaltung durch Bundesrat). Weiter wurden Möglichkeiten geschaffen, dass das bisherige System der Energie-Agentur der Wirtschaft mit der Befreiungsmöglichkeit von der CO2-Abgabe zumindest für gewisse Branchen bestehen bleibt. Ebenfalls soll der Anschluss ans EU-Emissionshandelssystem gesucht werden. Für fossil-thermische Kraftwerke wurde trotz geplantem Anschluss ans EU-ETS eine schweizerische Regelung verabschiedet, welche den Bau von Gaskraftwerken in der Schweiz in enge Schranken weisen soll. Letztlich wurde auch ein kleiner Technologieförderungstopf geschaffen, welcher klimaverträglichen Produkten den Markteintritt erleichtern soll. Ob das Mittel der Bürgschaften funktioniert, bleibt abzuwarten. Alle diese Massnahmen sind eher dazu geeignet, dass aus diesen Bereichen kein Emissionswachstum resultiert. Eine Reduktion all dieser Massnahmen zusammen von 1 Mio.t CO2 bis 2020 wäre eine positive Überraschung. Positiv zu erwähnen bleibt, dass die Relevanz der Aus-und Weiterbildung explizit erkannt wurde und dort entsprechende Zusatzanstrengungen gemacht werden sollen. Das macht volkswirtschaftlich Sinn, denn viele sich lohnende Massnahmen werden heute mangels Wissen und Erfahrung nicht umgesetzt. Es braucht nicht viel Rechenkünste um festzustellen, dass die beschlossenen Massnahmen ausserhalb des nötigen Bereiches liegen (4.2 bis 9.4 Mio.t CO2eq statt 11 bis 21 Mio.t CO2eq). Berücksichtigt das Gesetz alle wichtigen Aspekte einer Klimagesetzgebung? Das Gesetz sagt selbst, dass zahlreiche andere Gesetzgebungen ebenfalls Reduktionen beisteuern müssen. Dies gilt insbesondere für alle Nicht-CO2-Emissionen aus Industrie und Landwirtschaft. Dort ergibt sich somit Handlungsbedarf. Am grössten klafft die Lücke dort, wo es um die Einbindung der Schweiz in den globalen Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen geht. Alle Bestimmungen zu den Anpassungsmassnahmen (auch Inland) wurden aus dem Gesetz eliminiert. Dies grenzt an Ignoranz gegenüber der wahren Dimension der Veränderungen, die ohnehin zu erwarten sind. Die Schweiz wird im Rahmen der Klimakonvention (und Kopenhagen Accords) zu Zahlungen verpflichtet werden, welche drei- bis vierstellige Millionenbeiträge (pro Jahr) erreichen dürften. Das CO2-Gesetz hätte Möglichkeiten geboten, verursachergerecht und längerfristig gesichert solche Mittel zu generieren. Auch Regelungen zur Berücksichtigung der supply chain Emissionen oder zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen wurden mit deutlichem Mehr verworfen. Selbst das im Copenhagen Accord festgeschrieben Ziel einer maximalen Erwärmung um 2 Grad wurde aus dem Text gestrichen, obschon 130 Länder (inklusive Schweiz) dieses Ziel bereits bestätigt haben. Wie weiter? Es ist noch nicht aller Tage Abend. Der Ständerat hat die Möglichkeit, diesen Entwurf deutlich zu verbessern und die Einigung mit dem Nationalrat dürfte erst 2011 traktandiert werden, womit man auf den Klimawandel im Nationalrat hoffen kann. Denn das Klima wartet nicht. Patrick Hofstetter, 1. Juni 2010 Weitere Auskünfte Patrick Hofstetter, Leiter Klimapolitik WWF Schweiz, Präsident Verein Klima-Initiative, 076 305 67 37, [email protected]