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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst
„Wohngemeinschaft im Schleim Wie Bakterien im Biofilm leben“
Autoren: Michael Lange und Martin Winkelheide
Sprecher: Martin Winkelheide
Redaktion: Sonja Striegl
Sendung: Mittwoch, 16. September 2009, 08.30 Uhr, SWR2
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Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Sonntag, 08.30 Uhr bis 09.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für
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ATMO: Geräusche im Bad
Autor:
Morgens im Badezimmer. Blendend weiße Kacheln, transparenter Duschvorhang.
O-Ton 1 - Hans-Curt Flemming:
Das ist die erfolgreichste Form des Lebens, die es überhaupt gibt auf der Erde.
Autor:
Klares Wasser aus dem Duschkopf. Massagestrahl.
1
O-Ton 2 - Hans-Curt Flemming:
Und auch die älteste, die gibt es seit dreieinhalb Milliarden Jahren.
Autor:
Aber wenn wir genau hinschauen. In das Innere des Duschschlauchs…
O-Ton 3 - Wolf-Rainer Abraham:
Ich finde es eine absolut faszinierende Welt...
Autor:
Dann sehen wir: An der Schlauch-Innenwand haftet ein feiner Belag.
O-Ton 4 - Hans-Curt Flemming:
Das ist ein Universum erster Güte.
Autor:
Eine feine transparente Schicht. Mit bloßem Auge kaum zu sehen.
O-Ton 5 - Hans-Curt Flemming:
Das ist das glückliche Leben im Schleim.
ATMO: Geräusche im Bad
Autor:
„Wohngemeinschaft im Schleim - Wie Bakterien im Biofilm leben“. Eine Sendung
von Michael Lange und Martin Winkelheide.
O-Ton 6 - Wolf-Rainer Abraham:
Schleim muss sein.
Autor:
Unzählige Lebewesen besiedeln die Erde. Die meisten sind Bakterien. Sie schwimmen
frei im Wasser, wirbeln mit Staubkörnern durch die Luft und haften an Steinen.
Wohl fühlen sich Bakterien aber nur in der Gemeinschaft. Sie schließen sich zusammen.
Sie brauchen lediglich eine Oberfläche und ein wenig Wasser. Sie bilden eine feine
durchsichtige Schicht von nur etwa einem hundertstel Millimeter. Zehnmal dünner als
ein Menschenhaar. Das ist ein Biofilm, eine Lebensgemeinschaft verschiedener
Bakterienarten. Auf der Fläche einer Ein-Cent-Münze können Millionen von
Bakterienzellen leben.
Biofilme entstehen auf feuchten Steinen in Bächen. Sie leben im Meer, an der Küste,
und auch die Wasseroberfläche der Ozeane überzieht ein feiner Biofilm.
Aber man muss gar nicht weit reisen. Hans-Curt Flemming von der Universität DuisburgEssen findet Biofilme überall - auch in der Teeküche seines Labors.
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O-Ton 7 - Hans-Curt Flemming:
Wenn Sie das aufmachen, dann sehen Sie hier den Siphon. Dieser Siphon ist ein
Lebensraum erster Güte. Da kriegen Sie alle Bakterien an der Wand, die jemals hier
herein gespült worden sind. Hier hat man bestimmt zehn hoch sieben bis zehn hoch
acht Zellen pro Quadratzentimeter. Zehn hoch sechs sind eine Million, also fast eine
Milliarde.
Autor:
Prof. Hans-Curt Flemming ist Biofilm-Forscher der ersten Stunde - ein „Biofilmer“ wie er
sich nennt. Offiziell ist er Leiter des „Biofilm Centres“ der Universität Duisburg-Essen.
O-Ton 8 - Hans-Curt Flemming:
Ein nettes Biotop ist auch so ein Schwamm. Der ist trocken, Das ist gut. Normalerweise
liegt der erst mal eine Weile, bis er ausgetrocknet ist. Hier hat man auch das bunte
Leben drin. Dieser Spüllappen, der liegt ja meist zusammengeknüllt irgendwo herum.
Das bedeutet, dass er lange feucht ist. Je länger er feucht ist, desto länger können die
Bakterien wachsen. Das ist der limitierende Faktor: Die Feuchtigkeit. Also: Spüllappen
einfach offen aufhängen und trocknen lassen. Das ist schon mal die halbe Miete.
Autor:
Nicht nur in Küche - auch draußen und am Instituts-Gebäude selbst finden sich erste
Folgen der Besiedlung mit Biofilm. Dabei scheint der Bau aus den 70er Jahren gut in
Schuss zu sein.
O-Ton 9 - Hans-Curt Flemming:
Was Sie hier sehen ist Moos, aber darunter sind auch jede Menge Bakterien. ... Und das
hier wird ganz mürbe. Das ist Mörtel gewesen, und dieser Mörtel wird allmählich
aufgelöst von Bakterien, die da drin sitzen. (…) Und Sie können erkennen, wie tief das
reingeht. Diese Verwitterung wird dann verstärkt durch Moose, die darin wachsen. Das
war mal Mörtel. Bauschäden.
Autor:
Bauschäden für den Menschen. Für die Natur Teil des ökologischen Kreislaufs. Überall,
wo Steine verwittern, sind Biofilme bei der Arbeit. Die Bakterien sind dabei für die
Zersetzung zuständig. Mutterboden etwa wurde von Biofilmen produziert, und im Boden
leben unzählige Bakterien in einem selbst produzierten Schleim.
O-Ton 10 - Hans-Curt Flemming:
Die Biofilme sind nichts anderes als die globale Putzkolonne. Alles, was hier aufgebaut
wird, wird wieder abgebaut. Und das wird zum allergrößten Teil von Biofilmen abgebaut.
Die sitzen im Boden, die sitzen in der Kläranlage, die sitzen in Sedimenten, die sitzen in
Flocken. Flocken, Bakterienflocken sind nichts anderes als schwimmende Biofilme. Im
Prinzip haben die alle eine Struktur, die ist locker, das ist wie ein föderatives Leben. //
Unser Leben ist hierarchisch: Kopf ab - Mensch tot. Biofilm ist föderativ:
Durchgeschnitten? Links und rechts geht es weiter.
Autor:
In Kläranlagen nutzt der Mensch die Fähigkeit der Biofilme, organische Substanzen
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abzubauen. Ein Spezialgebiet von Hans-Curt Flemming.
O-Ton 11, 12, 13 - Hans-Curt Flemming:
Für die Abwasser-Reinigung sind Biofilme das A und O. Für die biologische AbwasserReinigung. Das sind die Arbeitspferde. Das heißt, in diesen Biofilmen, ob die nun als
Flocken sind im so genannten Belebungsbecken… Ich liebe ja die Ingenieurs-Poesie.
Hat man ein Becken voller Scheiße und nennt es Belebungsbecken…
Da ist ein pralles, vibrierendes Leben drin. Und diese Organismen, die fressen praktisch
die Nährstoffe, die organischen Stoffe aus dem Wasser raus, wandeln sie in CO2 und
Wasser um und in zusätzliche Biomasse. Das ist nachher der Klärschlamm.
So, und das kann man optimieren, und das tut man in der Kläranlage, indem man den
Schlamm konzentriert, indem man Sauerstoff zuführt zum Beispiel und indem man
andere Bedingungen noch optimiert. Das ist das Prinzip, was man da benützt. Luft, ja,
genau, Scheiße rühren, oder durchblasen, das gibt es auch.
Autor:
Abwasser-Ingenieure versuchen heute, ihren Bakterien optimalen Komfort zu bieten.
Das bedeutet auch: große Oberflächen, auf denen Bakterien ihren Biofilm bauen
können.
O-Ton 14 - Hans-Curt Flemming:
Ein Biofilm-Reaktor: Da gibt es ganz unterschiedliche Formen. Also eine ganz simple
Form ist der Tropfkörper. Der Tropfkörper ist nichts anderes als ein großer Bottich mit
oberflächenreichem Gestein drin. Lava, Tuff oder so was, was viel Oberfläche hat. Die
bietet man an, lässt Abwasser drüber rieseln, und jetzt setzen sich die Mikroorganismen
auf diesem Lava-Tuff fest und machen genau das, was sie im Fluss auch machen
würden, die fressen dann die Nährstoffe aus dem Abwasser.
Autor:
Prozesse, die in der Natur viel Zeit brauchen, sollen in einer Kläranlage im Zeitraffer
ablaufen. Dazu wenden Ingenieure verschiedene Tricks an.
O-Ton 15 - Hans-Curt Flemming:
Zum Beispiel gibt es Scheiben-Tauch-Körper, das ist nichts anderes als lauter Scheiben
hier.
Autor:
Hans-Curt Flemming greift nach einer DVD auf seinem Schreibtisch.
An ihr erklärt er das Prinzip: Die mit Biofilm besiedelten Scheiben tauchen halb ins
Klärwasser ein. Sie drehen sich ganz langsam. Der Effekt: Über Wasser kann der
Biofilm Sauerstoff tanken - und dann unter Wasser effektiver die organischen Stoffe im
Klärwasser abbauen.
O-Ton 16 - Hans-Curt Flemming:
Auf die Art und Weise wächst der Biofilm auf diesem Scheiben-Tauch-Körper. Aus dem
Abwasser werden Nährstoffe entnommen, und das ist ein Teil der Abwasser-Reinigung.
Das ist relativ aufwändig. Das nimmt man, um bestimmte Reststoffe zu entfernen.
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Autor:
Moderne Kläranlagen setzen auf solche Bioreaktoren. Sie bieten hohe Leistung auf
kleinstem Raum.
O-Ton 17 - Hans-Curt Flemming:
Die Kläranlage von Nizza zum Beispiel, das ist eine Biofilm-Reaktor-Anlage, die ist
untergebracht in so einem Haus, wie einem Ferienhaus, sieht man nicht mehr. Die
Kläranlage von Marseille, die ist als Kompaktanlage untergebracht unter dem
Fußballfeld von Olympique Marseille.
Autor:
Solange es feucht genug ist, gedeiht der Biofilm. Nicht allein in Bächen und im Boden, in
Kläranlagen und in der Küche. Auch auf und in uns Menschen.
O-Ton 18 - Bill Costerton:
Kratzen Sie mit dem Fingernagel über ihre Zähne. Sie glauben vielleicht, unter dem
Fingernagel, das sind Essens-Reste. Stimmt aber nicht. Das sind Bakterien. Genau
gesagt: 85 % Schleim und 15 % Zellen.
Autor:
Der Begriff „Biofilm“ war lange Zeit ungebräuchlich unter Wissenschaftlern. Erst Ende
der 70er Jahre erkannten einige Pioniere, dass Bakterien gerne gemeinsam im Schleim
leben.
O-Ton 19 - Bill Costerton:
I am Bill Costerton and I actually invented the term “Biofilm” in “Scientific American”
1978.
Autor:
Prof. Bill Costerton forschte lange Zeit an der Montana State University. Er ist der
Erfinder des Begriffes „Biofilm“. In der Zeitschrift „Scientific American“ hat er ihn 1978
erstmals verwendet.
O-Ton 20 - Bill Costerton:
Zwei Fachbereiche haben immer schon mit Biofilmen zu tun gehabt: Zahnmedizin und
Abwasser-Technik. Nur sind Zahnärzte und Ingenieure davon ausgegangen, dass
Bakteriengemeinschaften eher eine Ausnahme sind. Die Vorstellung, dass die meisten
Bakterien in Biofilmen leben, das war eine neue Idee. Und heute wissen wir: Alle
Bakterien tun das.
Autor:
Bis in die 80er Jahre hatten Mikrobiologen wenige Möglichkeiten, um Bakterien zu
untersuchen. Sie mussten sie zunächst vereinzeln, um sie dann zu vermehren. Bei
dieser Prozedur haben sie, ohne es zu wissen, bestehende Biofilme zerstört. Unter dem
Mikroskop betrachteten sie immer nur frei schwimmende Zellen. Bill Costerton aber hat
gezeigt: Es kommt auch auf den Raum zwischen den Zellen an.
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O-Ton 21 - Bill Costerton:
Ich habe einen Farbstoff entdeckt. Als ich mit diesem Ruthenium Rot meine Proben
anfärbte, staunte ich nicht schlecht: Der Raum zwischen den einzelnen Bakterien war
plötzlich voller roter Fasern. Zum ersten Mal war es mir gelungen, den Schleim unter
dem Mikroskop sichtbar zu machen.
Autor:
Bill Costerton war der erste Mikrobiologe, der sich ausschließlich mit Biofilmen
beschäftigte. Seine Fachkollegen beachteten ihn zunächst kaum. Costerton bekam
selten Gelegenheit, seine Forschungen auf Kongressen oder in Fachzeitschriften
vorzustellen.
O-Ton 22 - Bill Costerton:
Ich habe Schleim und Schlimmeres untersucht. Manchmal sogar in Toiletten. Und so
etwas stand bei vielen meiner Kollegen nicht hoch im Kurs. Für sie ist es keine wirklich
würdige Wissenschaft gewesen.
ATMO: Waschmaschine
O-Ton 23 - Hans-Curt Flemming:
Die Waschmaschine ist ja auch wie eine kleine Kläranlage.
Nehmen Sie mal die Seifeneinfüllschale von Ihrer Waschmaschine. Die kann man
herausnehmen, und dann gucken Sie mal, wie es dahinter aussieht. Meine 90prozentige
Voraussage ist: Da ist es schwarz. Dahinter bilden sich Biofilme noch und nöcher. Pilze
wachsen da auch. Und das kommt tatsächlich von den biologisch abbaubaren
Waschmitteln, von den niedrigen Waschtemperaturen und davon, das keine Bleichmittel
da sind.
ATMO: Waschmaschine
O-Ton 24 - Wolf-Rainer Abraham:
Schleim muss sein. Der Schleim ist eigentlich so der Reaktionsraum für die Bakterien.
Autor:
Dr. Wolf-Rainer Abraham vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in
Braunschweig. Er leitet die Arbeitsgruppe Chemische Mikrobiologie und erforscht, wie
verschiedene Bakterien im Biofilm zusammen leben.
O-Ton 25 - Wolf-Rainer Abraham:
Das Leben in der Umwelt und auch im Biofilm ist, glaube ich, ein sehr hartes. Nur, wer
sozusagen alle Möglichkeiten ausschöpft, hat eine Chance zu existieren. Sonst gehen
sie unter.
Autor:
Den Schleim haben die Bakterien selbst geschaffen. Nach ihren eigenen Bedürfnissen.
Er besteht aus Eiweißen und Zuckermolekülen, ist reich an Salzen und Nährstoffen. Es
gibt Kanäle, in denen Stoffe transportiert werden können - und auch Hohlräume.
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Manche Bakterien leben bevorzugt tief im Schleim. Sie kommen ohne Sauerstoff aus.
Andere mögen die äußeren Schleimschichten - mit frischem Wasser und reichlich
Sauerstoff. Wie eine Stadt bietet der Biofilm viele unterschiedliche Lebensräume. Und
so wie es in der Stadt Fleischer, Bäcker, Busfahrer und Straßenkehrer gibt - so haben
auch die Bakterien unterschiedliche Aufgaben. Sie sind aufeinander angewiesen.
O-Ton 26 - Wolf-Rainer Abraham:
Faul sein geht überhaupt nicht. Faul sein, haben wir gesehen: im Boden gibt es viele,
die vor sich hin sitzen und auf bessere Zeiten warten. Im Biofilm haben wir es nie
gesehen. Die sind alle aktiv. Das scheint ein Prinzip des Biofilms zu sein. Nur, wer sich
aktiv beteiligt, hat eine Daseinsberechtigung darin.
Autor:
Im Biofilm gilt das Prinzip: Arbeitsteilung. Und ständige Kommunikation über
Signalstoffe.
O-Ton 27 - Wolf-Rainer Abraham:
Sie reden miteinander, und sie reden untereinander. Positiv und negativ. Wir kennen
einige der Stoffe, die sie nutzen, um miteinander zu reden. Und wir kennen einige
Prinzipien, die sie haben, um die Unterredung der anderen zu stören und auszunutzen.
Autor:
Wolf-Rainer Abraham will Biofilme gezielt beeinflussen, damit sie besser als von Natur
aus Umweltgifte abbauen können. Zunächst versuchte er, besonders leistungsfähige
Bakterien in schon bestehende Biofilme zu integrieren. Ohne Erfolg.
O-Ton 28 - Wolf-Rainer Abraham:
Diese Biofilm-Gemeinschaft ist eine recht geschlossene Gemeinschaft, die sehr selten
andere mitspielen lässt. Ich denke, es sind einfach Nischen, die besetzt sind. In dem
Biofilm sind einfach alle Nischen besetzt. Und die neu hinzukommenden haben einfach
keine Chance. // Es gibt offensichtlich sehr breite Interaktionen zwischen den Bakterien
in den Biofilmen, die sehr fein aufeinander abgestimmt sind. Wenn derjenige, der da
kommt, nicht sehr gut diesen Ton trifft, der dort gebraucht wird, hat er keine Chance
mitzuspielen, selbst wenn er ein Kraftprotz ist auf seinem Gebiet.
Autor:
Die eingeschleusten Bakterien können sich nicht vermehren. Sie gehen zu Grunde und
dienen den alteingesessenen Biofilm-Bewohnern als Nahrung. Aber es ist möglich,
verschiedene Biofilme zu vermischen.
O-Ton 29 - Wolf-Rainer Abraham:
Das können wir eigentlich nur durch Ausprobieren machen, indem wir einfach
verschiedene Bakterien zusammen kippen und gucken, wer bereit ist, miteinander einen
Biofilm zu bilden, aber das funktioniert durchaus.
Autor:
Ein neuer Biofilm entsteht. Mit neuer Arbeitsteilung und ganz neuen Spielregeln. Einige
Bakterienarten finden ihre Rolle - die anderen gehen zu Grunde.
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O-Ton 30 - Wolf-Rainer Abraham:
Ich denke, das Individuum zählt nicht allzu viel. Es gibt sogar eine Unterwerfung des
Individuums in der eigenen Gruppe unter die Interessen der Gruppe. Es gibt Berichte:
wenn ein Biofilm unter sehr harten Bedingungen also eigentlich am Verhungern ist, dass
es so eine Art Selbstmordsignal in der Zelle gibt, wo einige Zellen sich auflösen,
sterben, damit andere diese Substanzen nutzen können, um zu überleben.
Autor:
Kannibalismus im Schleim. Ein weit verbreitetes Phänomen. Wertvolle Ressourcen wie
Eiweiße, Fette und sogar Erbmoleküle lassen sich so wiederverwerten.
O-Ton 31 - Wolf-Rainer Abraham:
Es gibt auch den Fall, wo dieses Auflösen der Zellen damit verbunden ist, dass der
Biofilm sich auflöst. Und dadurch die energetischen Reserven frei gesetzt werden, dass
der Biofilm sich von innen heraus auflöst und dann eben zu besseren Bedingungen
schwimmen kann. Das ist ein sehr eigenwilliges Prinzip von diesen kleinen, doch sehr
einfach gestrickten Bakterien.
Autor:
Im Biofilm leben oft viele verschiedene Bakterienarten mit unterschiedlichem Erbgut.
Aber es ist nicht so wie bei Säugetieren oder anderen höheren Lebewesen, dass jede
Art ihr Erbgut für sich behält. Unter Bakterien herrscht ein lebhafter Handel mit
Erbanlagen. Wissenschaftler sagen: Biofilme nutzen einen gemeinsamen Gen-Pool.
Ein Biofilm verhält sich beinahe wie ein einziger Organismus.
O-Ton 32 - Wolf-Rainer Abraham:
Man hat vielfach gesagt, das ist der erste Entwurf der Natur zu höheren Organismen.
Ich würde ein bisschen vorsichtiger sein, einfach deswegen, weil dieser Biofilm viel mehr
Möglichkeiten hat. Er kann sich die Zellen heranholen, die ihm nutzen für diese Aufgabe
oder für das Überleben, was er hat. Und er kann andere raus schmeißen, die ihm nicht
mehr passen. Wenn die Bedingungen anders sind, fliegen einige raus. Das kann ein
höherer Organismus nicht. Der kann nicht sagen: Meine Leber ist krank, ich schmeiße
sie weg. Das kann er schon machen, aber er wird es nicht überleben.
O-Ton 33 - Meike Stiesch-Scholz:
Biofilme, die bilden sich auf allen festen Oberflächen.
Autor:
Sagt Prof. Meike Stiesch-Scholz. Sie leitet die Abteilung Zahnärztliche Prothetik an der
Medizinischen Hochschule Hannover.
O-Ton 34 - Meike Stiesch-Scholz:
In der Mundhöhle, da haben wir viele feste Oberflächen: Zahnoberflächen,
Implantatoberflächen, Kronenoberflächen. Und dort lagern sich überall Biofilme an.
Autor:
Der Speichel liefert die Flüssigkeit. Auf den Zähnen bietet er den Lebensraum für erste
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Bakterien, so genannte Pionierkeime. Dann kommen weitere Bakterienarten hinzu. Sie
ernähren sich von Essensresten, besonders gerne mögen sie Zucker. Die Bakterien
produzieren Säure, die den Zahnschmelz angreift. Die Folge: Karies. Deshalb sollte sich
niemand mit dem Biofilm auf den Zähnen abfinden. Wirksamste Gegenmaßnahme:
Zähneputzen.
O-Ton 35 - Meike Stiesch-Scholz:
Ja, an den Stellen, wo diese mechanische Einwirkung geschieht durch das Einbeißen in
den Apfel oder auch durch die Zahnbürste, da können Biofilme dann entfernt werden.
Aber es gibt ja immer Bereiche in der Mundhöhle, wo weder die Zahnbürste so gut dran
kommt, weil die Bereiche zum Beispiel unterhalb des Zahnfleisches liegen, oder die
Zahnzwischenräume, die werden nicht tangiert oder nicht mechanisch beansprucht, zum
Beispiel, wenn man in den Apfel einbeißt, und da bleiben dann die Biofilme und können
sich dort weiter vermehren.
Autor:
Teilweise mit schlimmen Folgen. Etwa, wenn sich die Bakterien in den tiefen
Zahnfleischtaschen vermehren.
O-Ton 36 - Meike Stiesch-Scholz:
Ja, das ist eine Zahnfleischentzündung, im Volksmund auch als Parodontose
bezeichnet. Das ist die Entzündung zunächst des Zahnfleisches, hervorgerufen durch
Bakterien, durch bakterielle Biofilme, die dann nach der Entzündung des Zahnfleisches
in der Folge auch zur Entzündung des Knochens und zum Knochenverlust führen kann.
Autor:
Und dann wackelt der Zahn, so Prof. Meike Stiesch-Scholz.
O-Ton 37 - Meike Stiesch-Scholz:
Oder, was wir eben ganz häufig haben, das sind diese Biofilme auch auf künstlichen
Implantatoberflächen, und die können dann zur Entzündung des implantat-umgebenden
Gewebes führen und in der Folge später sogar zum Implantatverlust.
Autor:
Das gilt für Zahnimplantate aber auch für künstliche Herzklappen, die Elektroden von
Herzschrittmachern oder für künstliche Hüft- oder Knie-Gelenke.
Die gefährlichen Bakterien stammen oft aus dem Mund.
O-Ton 38 - Meike Stiesch-Scholz:
Wenn es in der Mundhöhle zu Eintrittspforten in die Blutbahn kommt, das kann
passieren zum Beispiel bei Zahnentfernung, wenn es zu Blutungen kommt, das kann
aber schon beim Entfernen von Zahnstein geschehen, wenn es zu Blutungen kommt
oder sogar beim Zähneputzen, wenn es dort zu Blutungen kommt. Dann können die
Bakterien (...) durch diese Wunden in die Blutbahn gelangen und sich über die Blutbahn
dann in andere Bereiche des menschlichen Körpers ausbreiten.
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Autor:
Haben die Bakterien sich erst einmal als Biofilm organisiert, sind sie geschützt - auch
vor den Zellen des menschlichen Immunsystems.
O-Ton 39 - Meike Stiesch-Scholz:
Der Biofilm kann auch eine aktive Abwehr starten. // Es können von dem Biofilm, von
den Biofilm bildenden Bakterien Substanzen produziert werden, die für die Zellen des
Immunsystems toxisch wirken, die diese also zerstören. Der Biofilm schlägt dann im
wahrsten Sinne des Wortes zurück.
Autor:
Bakterien brauchen Oberflächen, auf denen sie sich festsetzen können. Ohne geeignete
Oberflächen - kein Biofilm.
O-Ton 40 - Meike Stiesch-Scholz:
Wir forschen jetzt in Kooperation mit der Universität Braunschweig an PolymerOberflächen. Das sind Kunststoff-Oberflächen im Nanometer-Bereich. NanoOberflächen, die auf Grund bestimmter funktioneller Gruppen die Bakterienzellen in ihrer
Adhäsion - ihrer Anlagerung auf die Implantat-Oberfläche stören, aber die
körpereigenen Zellen nicht angreifen.
Autor:
Die Beschichtung darf nicht giftig sein für die Zellen des Körpers. Andererseits soll den
Bakterien das Leben so schwer wie möglich gemacht werden. Für die Medizin eine
Herausforderung. Wenn ein Patient zum Beispiel eine neues, künstliches Hüftgelenk
erhält, kommt es auf die ersten Tage an.
O-Ton 41 - Meike Stiesch-Scholz:
Es gibt immer ein Rennen. Lagern sich dort zuerst Bakterienzellen an? Oder sind die
körpereigenen Zellen zuerst? Und wenn sich die körpereigenen Zellen - häufig eben
Knochenzellen - zuerst dort angelagert haben, das Implantat richtig knöchern eingeheilt
ist, wenn es dort keinen Spalt mehr gibt zwischen Implantat und Knochen, dann können
sich dort an diese Grenzflächen auch keine Bakterien mehr anlagern. Das heißt, wenn
wir Oberflächen haben, die initial, zuerst die Bakterienanlagerung verhindern und die
Anlagerung der körpereigenen Gewebe fördern, dann haben wir auch langfristig die
Problematik der Biofilmbildung und der daraus entstehenden Entzündung verhindert.
Autor:
Biofilme können dem Menschen auch auf andere Weise gefährlich werden. Beispiel:
„Mukoviszidose“. Das ist eine erbliche Stoffwechselstörung - mit Folgen für die Lunge.
Es bildet sich zäher Schleim. Er setzt sich in den Atemwegen fest und kann nicht
abgehustet werden. Das nutzen Bakterien aus. Sie bilden abgekapselte Kolonien. Sie
sind das Forschungsgebiet von Prof. Burkhard Tümmler. Er leitet eine Forschergruppe
zum Thema chronische Infektionen der Atemwege an der Medizinischen Hochschule
Hannover.
O-Ton 42 - Burkhard Tümmler:
Die Bakterien bauen die Atemwegsoberfläche um, produzieren jede Menge
10
Kohlenhydrate, nutzen die Kohlenhydrate des Wirts der Lunge und bauen sich ein
komplexes Labyrinth aus Höhlen, Gängen und diesen Kohlenhydraten, in denen die
Bakterien dann ihre eigene Lebensgemeinschaft haben.
Autor:
Vor allem Bakterien im Innern der Schleimschicht sind geschützt - vor Angriffen des
Immunsystems und auch vor Medikamenten. Denn Medikamente greifen Bakterien nur
an, wenn sie sich vermehren. Die Bakterien im Innern des Schleims vermehren sich
nicht und haben kaum Stoffwechsel. Aber sie halten Kontakt zu ihren aktiveren
Nachbarn.
O-Ton 43 - Burkhard Tümmler:
Eine Entdeckung der letzten zwanzig Jahre war, dass die Bakterien tatsächlich in der
Lage sind, ein chemisches Kommunikationssystem aufzubauen. // Das mit am besten
untersuchte Beispiel sind die Kommunikationssysteme in dem Bakterium Pseudomonas
aeruginosa, das bei der angeborenen Krankheit Mukoviszidose eine große Rolle spielt,
weil die chronischen Pseudomonas-Infektionen der Atemwege mit diesem Erreger bei
den meisten Patienten die Lebensqualität und auch den Verlauf der Erkrankung
bestimmen.
Autor:
„Quorum-sensing“ heißt dieses Kommunikations-Prinzip. Die Bakterien bilden
Signalstoffe. Ab einer gewissen Menge dieser Stoffe im Schleim wissen die Bakterien:
Wir sind viele. Wir halten zusammen im Biofilm. Das bedeutet auch, dass sie sich
gemeinsam gegen das körpereigene Abwehrsystem des Infizierten wehren.
Mediziner suchen seit einigen Jahren nach neuen Strategien, um in dieses Quorum
sensing einzugreifen. Ihre Hoffnung: Wer die Kommunikation zwischen den Bakterien
stört, zerstört den ganzen Biofilm.
O-Ton 44 - Burkhard Tümmler:
Leider sind aber die Mikroben extrem clever. Diese Arbeitsteilung der Kommunikation
führt auch dazu, dass einige dieser Bakterien bei chronischen Infektionen die
Kommunikation einfach wieder einstellen, weil: Es kostet ja Energie, dieses
Kommunikationssystem zu produzieren.
Autor:
In der Natur sind schon zahlreiche Stoffe entdeckt worden, die das Quorum sensing
unterbinden. In Korallen, in Knoblauch, in Bananen und anderen Früchten. Das
Problem: Die Konzentration der Stoffe ist in der Regel sehr gering. Wirksame Mengen
aber sind für den Menschen giftig.
Und die Wirkung auf die Bakterien ist nicht von Dauer.
O-Ton 45 - Burkhard Tümmler:
Man kann also mit diesen Quorum sensing Inhibitoren wahrscheinlich zwar diese
Bakterien abtöten. Aber dann kriegt man eine Restgesellschaft, die zwar nicht mehr
kommuniziert, aber immer noch da ist. // Also die ganz großen Hoffnungen, mit Quorum
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sensing Inhibitoren eine neue große Klasse an antimikrobiellen Wirkstoffen entwickelt zu
haben, die ist zur Zeit einer etwas nüchternen Betrachtungsweise gewichen.
Autor:
Menschen bauen Häuser, Schiffe, Kraftwerke. Als Material dienen Stahl, Stein oder
Holz. Aus Sicht des Mikrobiologen sind das alles Oberflächen - und damit potentielle
Lebensräume für Biofilme.
O-Ton 46 - Hans-Curt Flemming:
Es gibt eigentlich in der Umwelt keine Oberflächen, die nicht bewachsen werden. Über
kurz oder lang werden alle bewachsen. Es dauert nur unterschiedlich lang.
Autor:
Prof. Hans-Curt Flemming, der Biofilm-Spezialist der Universität Duisburg-Essen sucht
in seinem Labor ebenso wie Burkhard Tümmler nach Gegenmaßnahmen: Wie lässt sich
das Wachstum von Biofilmen bremsen?
O-Ton 47 - Hans-Curt Flemming:
Es gibt in der Natur Pflanzen und Tiere, die werden überhaupt nicht bewachsen. Und da
ist natürlich interessant herauszufinden, wie die das machen, und das hat man natürlich
untersucht. Interessanterweise sind das alles dynamische Oberflächen. Das sind
Oberflächen, die sich verändern. Entweder bilden die immer wieder Schleim. Auf dem
Schleim wächst der Biofilm und wird dann praktisch abgeschilfert.
Autor:
Wie beim menschlichen Darm, der durch täglichen „Tapetenwechsel“ den Biofilm
kontrolliert.
O-Ton 48 - Hans-Curt Flemming:
Oder sie bilden Signalmoleküle mit denen andere Mikroorganismen abgeschreckt
werden, oder manche Tiere haben so etwas wie Scheibenwischer. Sie wischen oder
häuten sich. Aber alle sind dynamisch und haben mehr als eine Verteidigungsstrategie.
Autor:
Die Oberflächen von Bauwerken und Maschinen verändern sich nicht. Sie sind den
Angriffen der Biofilme ausgeliefert.
O-Ton 49 - Hans-Curt Flemming:
Und wir versuchen zur Zeit, diesen dynamischen Aspekt nachzubilden. Das heißt:
Oberflächen zu entwickeln, die ihre Eigenschaften ändern periodisch. Das ist etwas, um
das platt auszudrücken, wo sich Mikroorganismen nicht wohl fühlen.
Autor:
Hans-Curt Flemming hat bereits verschiedene Techniken ausprobiert, um den Bakterien
das Leben schwer zu machen.
O-Ton 50 - Hans-Curt Flemming:
Oberflächen elektrisch leitend zu machen und dann das Potential zu verändern,
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periodisch, das ist eine Möglichkeit. Dann wachsen die Bakterien da schlechter drauf an.
Autor:
Noch experimentieren Forscher im Labor. Der Wettlauf zwischen Mensch und Biofilm
geht in eine neue Runde.
O-Ton 51 - Hans-Curt Flemming:
Das ist natürlich eine Lebensform, die hat alles schon erfahren, was das Universum der
Erde zu bieten hatte.
O-Ton 52 - Wolf-Rainer Abraham:
Ich finde es eine absolut faszinierende Welt. Man muss sehen, dass diese Bakterien, so
blöde sie sind, von ihrer genetischen Information jetzt gegenüber dem Menschen einen
großen Vorteil haben, weil sie seit mindestens dreieinhalb Milliarden Jahren auf diesem
Planeten existieren und sozusagen lange Zeit hatten, um zu üben, wie man am besten
miteinander umgeht. Und wir müssen das lernen in unserem kurzen Leben, das zu
verstehen und zu nutzen.
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