0.1 0.1.1 Versuch 4C: Bestimmung der Gravitationskonstante mit dem physikalischen Pendel Aufgabenstellung Man bestimme die Fallbeschleunigung mittels eines physikalischen Pendels und berechne hieraus die Gravitationskonstante. 0.1.2 Physikalische Grundlagen Nachdem im letzten Versuchsteil die Gravitationskonstante mittels einer Gravitationswage bestimmt wurde, soll nun ein gewöhnliches Pendel zur Bestimmung dieser Naturkonstanten genutzt werden. 0.1.2.1 Das mathematische Pendel Die am weitesten vereinfachte Betrachtung eines Pendels stellt das sogenannte „mathematische Pendel“, auch bekannt als Fadenpendel dar. Es besteht in der idealisierten Annahme aus einer punktförmigen Masse, welche an einem als masselos angenommenen Faden um die Ruhelage schwingt. Für diesen Prozess lassen sich die Bewegungsgleichungen mit geringem Aufwand aus dem 2. Newtonschen Gesetz herleiten. Auf die am Faden hängende, schwingende Masse wirkt im Gravitationsfeld der Erde zum einen die Schwerkraft F = m · g und zum andern die Zwangkraft des Fadens welche dafür sorgt, dass der Abstand der Masse zum Aufhängungspunkt konstant bleibt. Da diese Kraft den Anteil der Gravitationskraft, welche parallel zum Faden wirkt kompensiert, muss effektiv nur der Anteil der Schwerkraft senkrecht zum Faden betrachtet werden. ϕ l FF m FG ϕ Abbildung 1: Schematische Darstellung eines Fadenpendels sowie der wirkenden Kräfte Mit dem Auslenkwinkel des Fadens ϕ relativ zur Ruhelage ergibt sich für diesen Anteil der Schwerkraft 1 F (t) = −m · g · sin(ϕ(t)) (1) Die Auslenkung der Masse aus der Ruhelage kann Näherungsweise durch die Beziehung x = l · ϕ(t) beschrieben werden. Für die beschleunigende Kraft gilt somit F (t) = m · a(t) = m · ẍ(t) = m · l · ϕ̈(t) (2) Gleichsetzen von Gleichung 1 und 2 liefert schließlich g ϕ̈(t) = − · sin(ϕ(t)) l (3) Für kleine Winkel ϕ < 5◦ folgt aus dem Taylorschen Satz sin(ϕ) ≈ ϕ und somit gilt g ϕ̈(t) = − · ϕ(t) l (4) Dies entspricht gerade der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators (ẍ(t) = −ω 2 x(t)) und hat die Allgemeine Lösung r ϕ(t) = ϕmax · cos( g · t + α) l (5) mit der Priodendauer s T = 2π · l g (6) Aus dieser Formel ist direkt ersichtlich, dass die Schwingungsdauer nur von der Periodendauer der Schwingung und der Fallbeschleunigung g abhängt. Die Fallbeschleunigung g kann also direkt aus der gemessenen Periodendauer des Pendels bei bekannter Fadenlänge berechnet werden. 0.1.2.2 Das physikalische Pendel In der Praxis kann die vereinfachte Darstellung des mathematischen Pendels zur Beschreibung ausgedehnter schwingender Objekte oft nicht oder nur als Näherung herangezogen werden. Das im Praktikum eingesetzte Pendel besteht aus einer ausgedehnten zylinderförmigen Masse welche an einem massiven, ausgedehnten Eisenstab befestigt ist. Die Annahmen einer punktförmigen Masse und eines masselosen Fadens als Aufhängung können hier daher nicht mehr gemacht werden. Ein solches Pendel bezeichnet man als physikalisches Pendel. Für die Bewegungsgleichung folgt durch ähnliche Überlegungen wie beim mathematischen Pendel ϕ̈(t) = − m·g·d · ϕ(t) I (7) Die Unterschiede liegen darin begründet, dass die Masse der beschleunigenden Kraft nun durch das Drehmoment des ausgedehnten Körpers ersetzt wurde und dass die Länge l des 2 A A := Aufhängung SP := Schwerpunkt d SP mGes Abbildung 2: Schematische Darstellung eines physikalischen Pendels Fadens nun durch den Abstand d zwischen Drehachse und Schwerpunkt gegeben ist. Durch den Vergleich mit Gleichung 4 kann die sogenannte effektive Länge Lef f eingeführt werden. ϕ̈(t) = − g Lef f mit Lef f = · ϕ(t) I m·d (8) (9) Diese beschreibt die Länge, welche ein Fadenpendel haben müsste, um die gleiche Bewegungsgleichung und somit das gleiche Schwingungsverhalten wie ein physikalisches Pendel zu besitzen. Um in der Praxis weiterhin mit den Formeln für das mathematische Pendel arbeiten zu können, muss die Pendellänge durch diese Länge ersetzt werden. 0.1.2.3 Die Schwerebeschleunigung Ein Körper, welcher sich im Gravitationsfeld eines Himmelkörpers wie der Erde befindet, erfährt unabhängig von seiner eigenen Masse stets die Beschleunigung g, welche auch als Fallbeschleunigung bezeichnet wird. Die auf den Körper wirkende Gravitationskraft ergibt sich somit zu F~Grav = m · ~g (10) Diese Kraft ist auf der Oberfläche des Planeten gleich der Gravitationskraft des Newtonschen Gravitationsgesetzes m · M ~r F~ = G · · (11) r2 |r| Durch Gleichsetzen ergibt sich eine Formel für die Gravitationskonstante, welche nur von der Fallbeschleunigung g, der Masse des Himmelkörpers M sowie dem Abstand der Referenzmasse zum Zentrum des Himmelskörpers r abhängt. G= g · r2 M (12) Für die Masse der Erde entnimmt man der Literatur den Wert M = 5, 974 · 1024 kg. Der Abstand von Gießen zum Erdmittelpunkt r ergibt sich aus der Summe des Erdradiuses (R ≈ 6356, 78km) und der Höhe von Gießen über dem Meeresspiegel (H ≈ 159m). 3 0.1.3 Versuchsaufbau Das verwendete Pendel besteht aus einem 167,5 cm langen Metallstab, an dem eine 1,4 Kg schwere, zylinderförmige Masse befestigt ist. 34 cm unterhalb des oberen Endes des Metallstabes, besitzt dieser einen frei gelagerten Stift, mit dem das Pendel in eine spezielle Halterung eingehängt werden kann. Abbildung 3 zeigt den Aufbau sowie die Abmessungen des Pendels. Der Stab sowie die Masse sind aus Eisen gefertigt. 34 cm Aufhängung L 167,5 cm 1,4 kg 10,2 cm Abbildung 3: Schematische Darstellung der Abmessungen des Pendels (rechts) sowie Bild des realen Aufbaus (links). Der Stab an dem die Masse befestigt ist hat eine Länge von a = 167,5 cm, eine Breite von b = 1,6 cm und eine Dicke von c = 0,6 cm 0.1.3.1 Bestimmung des Trägheitsmoments und der effektiven Länge Um die effektive Länge des Pendels berechnen zu können, muss zunächst das Gesamtträgheitsmoment der Schwingenden teile des Pendels bestimmt werden. Der Literatur entnimmt man für das Trägheitsmoment eines massiven Zylinders mit Radius R, welcher um seine Symmetrieachse schwingt 1 IM asse = · mM asse · R2 (13) 2 und für das Trägheitsmoment eines Stabes mit den Abmessungen a × b × c (Länge × Breite × Dicke) welcher zu einer Achse parallel zur Kante c durch seinen Schwerpunkt schwingt IStab = 1 · mStab · (a2 + b2 ) 12 (14) Um die Schwingung um den Aufhängepunkt zu realisieren, müssen die Schwingungsachsen jeweils noch zu diesem Punkt hin verschoben werden. Hierzu kann der Steinersche Satz ISchwingachse = IKörper + m · ∆x2 verwendet werden, wobei ∆ x der Abstand der Schwingachse zum Aufhängepunkt ist. 4 (15) Den Abstand des Mittelpunktes der zylinderförmigen Masse bezeichnen wir im Folgenden als L. Das Trägheitsmoment bezüglich des Aufhängepunktes ergibt sich somit zu 1 · mM asse · R2 + mM asse · L2 (16) 2 Der Schwerpunkt des Stabes ist durch dessen Mittelpunkt gegeben. Das Trägheitsmoment muss also um den Abstand des Stabmittelpunktes zur Aufhängung verschoben werden. Es folgt somit 1 a IStab−Auf hängung = · mStab · (a2 + b2 ) + mStab · ( − 0, 34)2 (17) 12 2 Das gesamte Trägheitsmoment ergib sich somit aus der Summe dieser beiden Trägheitsmoment zu 1 1 a IGes = · mM asse · R2 + mM asse · L2 + · mStab · (a2 + b2 ) + mStab · ( − 0, 34)2 (18) 2 12 2 IM asse−Auf hängung = Um die effektive Länge zu bestimmen wird nun nur noch die Position d des Schwerpunktes der schwingenden Masse relativ zu Aufhängepunkt benötigt. Diese ergibt sich zu d= mStab · ( a2 − 0, 34) + mM asse · L mGes (19) Durch einsetzen in Gleichung 12 folgt für die effektive Länge Lef f = 1 2 1 · mM asse · R2 + mM asse · L2 + 12 · mStab · (a2 + b2 ) + mStab · ( a2 − 0, 34)2 mStab · ( a2 − 0, 34) + mM asse · L (20) Einsetzen der Massen und Abmessungen liefert schließlich die Formel Lef f = 0, 61125 kg · m2 + 1, 4 kg · L2 0, 62990 kg · m + 1, 4 kg · L (21) wobei L der im Experiment bestimmte Abstand zwischen dem Aufhängepunkt und dem Mittelpunkt der beweglichen Masse ist. 0.1.4 Versuchsdurchführung Die Schwingungsdauer wird für 5 verschiedene Stellungen der beweglichen Masse (1,4 kg) für einen Abstand zum Aufhängepunkt zwischen 50 cm und 90 cm gemessen (Für kleinere Abstände wird der Fehler auf Grund der idealisierten Berechnung der effektiven Länge zu groß). Es ist darauf zu achten, dass das Pendel nicht zu weit aus der Ruhelage ausgelenkt wird, da sonst die gemachten Kleinwinkelnäherungen ihre Gültigkeit verlieren. Zur Bestimmung der Periodendauer wird jeweils die Schwingungsdauer für 25 Perioden mittels einer Stoppuhr gemessen und anschließend die einzelne Periodendauer errechnet. Um genauere Werte zu erhalten und um eventuelle Fehler beim Abzählen zu erkennen, wird die Messung an jeder Position 2 mal durchgeführt und anschleißend gemittelt (beide Werte sollten im Rahmen des abzuschätzenden Fehlers etwa gleich groß sein). Der Abstand L wird mit dem Maßband bestimmt. Für den Massenmittelpunkt des Gewichtes kann hierbei die Position der Feststellschraube angenommen werden. 5 0.1.5 Versuchsauswertung und Fehlerrechnung Aus der abgelesenen Länge L ist zunächst mittels Gleichung 21 die effektive Länge zu bestimmen. Aus dieser und der gemittelten Periodendauer kann schließlich über Gleichung 6 die Fallbeschleunigung errechnet werden. Über die 5 Werte ist zu mitteln, wobei sich der Größtfehler aus der maximalen Abweichung eines Messwertes vom Mittelwert ergibt. Mittels Gleichung 12 kann nun die Gravitationskonstante bestimmt werden. Der Fehler ergibt sich durch Fehlerfortpflanzung. Man überlege sich sinnvolle Werte für den Fehler der Erdmasse und des Abstandes r zum Erdmittelpunkt. Das errechnete Ergebnis ist mit dem Wert, der zuvor mittels der Gravitationswage bestimmt wurde und dem Literaturwert zu vergleichen. Man beachte hierbei auch die ermittelten Fehlergrenzen. 0.1.6 0.1.6.1 Literatur Grundlagen • Tipler (2. Aufl.) Kapitel 9.3 (Trägheitsmoment), Kapitel 14.1, 14.3 (Pendel) • Gerthsen (21. Aufl.) Kapitel 2.3.3 0.1.6.2 Themenkreise für das Vorbereitungskolloquium mathematisches Pendel, physikalisches Pendel, Trägheitsmoment, Steinerscher Satz, Schwerebeschleunigung 0.1.6.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen 1. Was unterscheidet ein physikalisches Pendel von einem mathematischen Pendel? 2. Wie kann man mit einem Pendel die Fallbeschleunigung bestimmen? 3. Wie hängen Fallbeschleunigung und Gravitationskonstante zusammen? 4. Was versteht man unter einer effektiven Pendellänge? 5. Wo ist die Schwingungsdauer eines Pendels mit fester Fadenlänge größer, auf der Erde oder auf dem Mond? 6