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Unterkostenangebot – Auftrag oder Ausschluss?
Magdalena Götsche | Goetsche @ kaufmannlutz.com
Im Rahmen von Vergabeverfahren kommt es immer
wieder vor, dass Angebote mit einem auffällig niedrigen Angebotspreis eingereicht werden. Der anfänglichen Freude über den günstigen Preis folgt im Zuge
der Angebotswertung regelmäßig die Frage, wie mit
einem solchen Angebot vergaberechtskonform zu
verfahren ist. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet
die wesentlichen Fragen im Umgang mit sogenannten
„Unterkostenangeboten“ und zeigt auf, unter welchen
Voraussetzungen die Beauftragung eines preislich
stark abweichenden Angebotes möglich ist.
1. Rechtliche Grundlagen
Die Angemessenheit und Wirtschaftlichkeit der Angebotspreise wird von der Vergabestelle auf der
vierten Wertungsstufe geprüft, nachdem die Angebote zuvor auf Vollständigkeit sowie rechnerische,
technische und wirtschaftliche Richtigkeit überprüft
worden sind (§ 16 Abs. 1 und 3 VOB/A) und eine Eignungsprüfung anhand des § 16 Abs. 2 VOB/A stattgefunden hat. Hier hat der öffentliche Auftraggeber
zunächst festzustellen, ob ein niedriges Unterkostenangebot überhaupt vorliegt. Ist dies der Fall, so
stellt sich als nächstes die Frage, ob das fragliche
Angebot berücksichtigt und ggf. bezuschlagt werden
kann oder ob es ausgeschlossen werden muss. Maßgeblich sind insoweit die Regelungen des § 16 Abs. 6
Nr. 1 und Nr. 2 VOB/A.
2. P
rüfung des Angebotes anhand des § 16 Abs. 6
Nr. 1 VOB/A
Gemäß § 16 Abs. 6 Nr. 1 VOB/A hat der öffentliche
Auftraggeber zunächst zu klären, ob überhaupt ein
überprüfungspflichtiges niedriges Angebot vorliegt.
Von einem ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis ist
auszugehen, wenn der angebotene (Gesamt-)Preis
Recht Aktuell 2/2012
derart eklatant von dem an sich angemessenen Preis
abweicht, dass die Unangemessenheit des Angebotspreises auch ohne genauere Überprüfung sofort ins
Auge fällt. Preisabweichungen in einzelnen Leistungspositionen sind insoweit nicht relevant. Diese
können zwar für sich genommen Anlass zu einer
Aufklärung bieten, so insbesondere wenn einzelne
Leistungspositionen mit 0,00 € oder lediglich mit
Cent-Preisen angegeben sind. Die Problematik des
Unterkostenangebotes stellt sich im Zusammenhang
mit niedrigen Einzelpreisen jedoch nur, wenn im Ergebnis auch der Gesamtpreis ungewöhnlich niedrig
ist.
Ab welcher Höhe der prozentualen Abweichung des
Angebotspreises eine Aufklärung regelmäßig zu veranlassen sein wird, der öffentliche Auftraggeber also
faktisch zur weiteren Aufklärung verpflichtet ist, wird
in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt.
Insoweit besteht grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum des Auftraggebers. Jedoch haben sich
inzwischen sogenannte „Aufgreifschwellen“ herausgebildet, bei deren Erreichen bzw. Überschreitung
eine Aufklärung des Angebotsinhalts als geboten angesehen wird. Diese liegen zwischen 10 % und 20 %
Abstand zu den Angebotspreisen besser platzierter
Bieter. Für den Bereich der VOL/A-Vergaben wird die
Schwelle überwiegend erst bei 20 % und darüber angenommen. Im Bereich der Bauvergaben wird eine
Prüfungspflicht in der Regel bereits ab 10 % Preisabstand als erforderlich angesehen. Dieser „Schwellenwert“ ist in einigen Landesvergabegesetzen auch
ausdrücklich normiert.
Der öffentliche Auftraggeber kann sich jedoch auch
unterhalb dieser Schwellen zu einer Angebotsprüfung veranlasst sehen, wenn im Einzelfall berechtigte
Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebotspreises
bestehen.
Vergaberecht
3. Aufklärungspflicht gemäß § 16 Abs. 6 Nr. 2 VOB/A
Liegt nach den oben dargestellten Grundsätzen ein
überprüfungspflichtiges Angebot vor, ist der öffentliche Auftraggeber im nächsten Schritt zur Aufklärung des Angebotsinhalts verpflichtet. Hierzu ist der
Bieter zu hören. Er ist im Sinne einer Mitwirkungsobliegenheit gehalten, den Auftraggeber innerhalb
einer zumutbar gesetzten Frist über seine Preisgestaltung zu unterrichten, wobei es ihm überlassen
bleibt, die Gründe für den niedrigen Angebotspreis
plausibel und nachvollziehbar darzulegen und durch
entsprechende Unterlagen zu belegen. Er trägt die
Beweislast für die Auskömmlicheit seines Angebotspreises.
Die weitere Prüfung und Wertung des Angebotes erfolgt sodann auf Basis der Stellungnahme des Bieters. Entscheidend ist hierbei, ob nach Ansicht des
öffentlichen Auftraggebers der Bieter trotz des niedrigen Angebots seine Leistungen ordnungs- und vertragsgemäß wird erbringen können.
4. Ergebnis und Folgen der Aufklärung
Wird vom Auftraggeber im Rahmen der vorgenannten
Aufklärung das Vorliegen eines unangemessen niedrigen Preises festgestellt, der durch wettbewerbliche
Gründe nicht erklärbar ist, hat dies gem. § 16 Abs. 6
Nr. 1 VOB/A den Ausschluss des Angebotes zur Folge. Dies kann der Fall sein, wenn der Bieter keine,
nur pauschale (z.B. „Wir bleiben bei unserem Preis.“)
oder widersprüchliche Angaben macht oder beim öffentlichen Auftraggeber aus anderen Gründen auch
nach Berücksichtigung der Erklärungen des Bieters
Zweifel an der Angemessenheit des Angebotspreises
verbleiben.
Jedoch ist der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, Bieter vor Verlustgeschäften zu bewahren.
Die Vorschriften zur Preisangemessenheit dienen in
erster Linie dem Schutz des Auftraggebers zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen und vertragsgemäßen Leistung. Ein Angebotsausschluss muss
daher nur erfolgen, wenn die Gefahr besteht, dass
der Bieter nicht in der Lage sein wird, den Auftrag
vertragsgerecht zu dem angebotenen Niedrigpreis
auszuführen. Der öffentliche Auftraggeber trifft insoweit eine Prognoseentscheidung auf der Grundlage des jeweiligen Angebots und der hierzu erteilten
Auskünfte des Bieters, die von den Vergabenachprü-
Recht Aktuell 2/2012
fungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist,
namentlich ob sie auf sachwidrigen oder willkürlichen Erwägungen beruht.
Kommt die Vergabestelle daher in nachvollziehbarer
Weise zu dem Ergebnis, dass bereits kein unangemessen niedriges Angebot vorliegt oder bringt der
Bieter für seine Preisgestaltung glaubhaft stichhaltige Gründe vor, ist das Angebot im Rahmen der weiteren Wertung zu berücksichtigen und kann letztlich
auch bezuschlagt werden.
Nach Ansicht der Rechtsprechung (z.B. KG Berlin,
Beschluss vom 23.06.2011 – 2 Verg 7/10) kann eine
Zuschlagserteilung auch bei einem beachtlichen
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
zulässig sein, ohne dass Mitbieter eine Verletzung
vergaberechtlicher Vorschriften einwenden können.
Denn die Preisangemessenheitsprüfung entfaltet
erst dann bieterschützende Wirkung, wenn für den
Auftraggeber feststeht, dass er mit der Auftragserteilung wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen begünstigt oder wenn eine Marktverdrängungsabsicht des Bieters festgestellt wird. Ein unterlegener
Bieter, der gegen ein Unterkostenangebot vorgehen
will, müsste folglich darlegen und beweisen, dass
das angegriffene Angebot gerade dazu geeignet ist,
Mitbieter insgesamt vom Markt zu verdrängen bzw.
die Bezuschlagung unlautere Verhaltensweisen im
Wettbewerb unterstützt.
5. Fazit
Angesichts des bestehenden Wettbewerbsdrucks insbesondere im Baugewerbe jedoch auch der gängigen
Praxis der Vergabestellen, ausschließlich den Preis
in den Mittelpunkt der Angebotswertung zu stellen,
sind Unterkostenangebote immer wieder zum Gegenstand vergaberechtlicher Nachprüfungsverfahren
geworden. Wie aufgezeigt, können bei konsequenter
Aufklärung und deren lückenloser Dokumentation
auch preislich stark abweichende Angebote in rechtmäßiger Weise bezuschlagt werden.
Angesichts des Schutzzwecks der maßgeblichen Vorschriften in VOB/A und VOL/A und der von der Rechtsprechung geschaffenen hohen Anforderungen im
Hinblick auf bieterschützende Interessen dürfte eine
erfolgreiche Abwehr eines Unterkostenangebotes
durch einen Mitbieter nur in besonders gelagerten
Fällen gelingen.
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