137 17 Sexualfunktion bei Männern und erektile Dysfunktion Günther Jacobi und Frank Sommer Sexuelle Funktionsstörungen einst und heute Männliche sexuelle Impotenz geht als Makel wie als Verjüngungsmatrix und damit Anti-Aging-Thema durch die ganze Menschheitsgeschichte. Schon aus der antiken Mythologie, so beim ägyptischen Osiris oder beim phönizischen Adonis und bei König David wird Impotenz überliefert. Die wohl erste klinische Beschreibung männlicher Impotenz findet sich auf einer 4000 Jahre alten ägyptischen Papyrusrolle. In Mesopotamien wurden Mixturen und Pulver hergestellt, die bei Potenzproblemen Abhilfe schaffen sollten. Im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung beschrieben sowohl Hippokrates (ca. 460–370) als auch Aristoteles (384–322), einige Jahrhunderte später auch der römische Mediziner Galen (129–199) die sexuelle Potenzstörung. Die medizinhistorische Forschung hält viele Beispiele für erwiesene oder doch zumindest anzunehmende Impotenz parat (Ründal 2003). Nicht immer wurde exakt zwischen impotentia coeundi (mangelnde Beischlaffähigkeit) und impotentia generandi (Zeugungsunfähigkeit) unterschieden. Sowohl bei Nero (37–68) als auch bei Martial (40–103) gab es öffentliche Diskussionen um ihre Potenz. Mittelalterliche Beispiele dafür sind Mohammed (um 570–632), die so genannte „Josephsehe“ von Heinrich II. (973–1024), Johann Heinrich von Luxembourgs (1322–1375) Ehe mit Margaretha Maultasch (die 1341 getrennt und 1349 kirchlich aufgelöst wurde), sowie Heinrich IV. König von Kastilien (1425–1474), der sogar „El Impotente“ genannt wurde (Ründal 2003). Für die Neuzeit sind u.a. zu nennen: Paracelsus (1493– 1541), Voltaire (1694–1778), Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), Friedrich II. der Große (1712–1786), Immanuel Kant (1724–1804), Ludwig XVI. von Frankreich (1754–1793), Heinrich von Kleist (1777–1811), Adolph von Menzel (1815–1905), Gustave Flaubert (1821–1880), Lewis Carroll (1832–1898), Johannes Brahms (1833– 1897), George Bernard Shaw (1856–1950) und Marcel Proust (1871–1922). Heute ist etwa die Hälfte der Männer ab 40 Jahren mit Potenzstörungen konfrontiert und dadurch in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt (Sommer u. Engelmann 2004, Sommer u. Klotz 2003). Viele Studien dokumentieren den sozialen Nutzen eines normalen, gesunden Sexuallebens auch bei älteren Menschen, seine Bedeutung für das emotionale Wohlbefinden und die Kraft und den Erhalt der partnerschaftlichen Beziehungen (Feldmann et al. 1994, Porst 2000, Braun et al. 2004). Es ist auch das Verdienst des seit 6 Jahren handelsüblichen PDE-5-Hemmers Sildenafil (Viagra) und der 2003 nachgefolgten und in ihrer Wirkung vergleichbaren Substanzen Tadalafil (Cialis) und Vardenafil (Levitra), dass heute offener als früher über das Thema männliche Potenzstörung gesprochen wird. Plötzlich war mit einer kurz vor erwünschtem Geschlechtsverkehr eingenommenen Tablette eine ganz andere Dimension der Behandelbarkeit entstanden. Bestand Libido, so war jetzt mit kalkulierbarem Erfolg eine Erektion erreichbar. PDE-5-Hemmer haben darüber hinaus tiefere Einblicke in die Physiologie der erektilen Funktion und in die Pathophysiologie der Störung ermöglicht. Risikofaktoren für Potenzstörungen wie Alter, systemische Endothelerkrankung und Metabolisches Syndrom wurden exakt evaluiert und präventive Ansätze im Sinne einer sexualbezogenen Anti-Aging-Strategie entwickelt. Schließlich kann heute Männern nach Bauch-, Beckenund Wirbelsäulenoperationen und nachfolgender Beeinträchtigung der Erektionsfähigkeit durch eine früh einsetzende zielorientierte Rehabilitation zur Wiederherstellung der erektilen Funktion verholfen werden (Sommer u. Graf 2002). Normale Erektion Ein sexueller Reiz etwa über die Sinnesorgane führt über bestimmte Zentren im Zentralhirn (Thalamus) zu einer Wirkkaskade, an deren Ende über die Nervenleitung zu den Penisschwellkörpern die Regulation von erhöhter Blutzufuhr und gedrosseltem Blutabfluss steht. Dieser sehr komplizierte Wirkmechanismus, der teilweise „chemisch“, d.h. durch bestimmte Botenstoffe im Blut, teils „zentralnervös“, also über Nervenbahnen, schließlich auch über hormonelle Steuerungen abläuft, ist in Abb. 17.1 dargestellt. Die typischen Stimuli im zentralen Nervensystem sind das Sehen, das Riechen, das Betasten und die bildliche Vorstellung. Der normale Erektionsablauf ist die Antwort auf die Anhäufung von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) in der glatten Muskelzelle der Schwellkörper. Zunächst kommt es zu einer Entspannung (Relaxation) der Muskulatur, gefolgt von einem erhöhten Blutzufluss (arterielle Perfusionssteigerung) mit gleichzeitiger Drosselung des venösen Blutabflusses (Porst 2000, Stief et al. 1997, Braun et al. 2004). Der physiologische Ablauf der Erektion erfordert eine spezifische Schwellkörper-Compliance (penile Gewebsausdehnung), damit die Hohlraum- und Muskelkompartimente den oben beschriebenen Ablauf der Erektion ermöglichen. Nach der Blutfülle mit Zunahme von Penislänge und -umfang (Kontumeszenz) erfolgt die venöse Absperrung Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag 138 17 Sexualfunktion bei Männern und erektile Dysfunktion Großhirn Thalamus zum Beispiel visueller Reiz Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) thorakal thorakolumbales Erektionszentrum des Rückenmarks lumbal sakrales Erektionszentrum des Rückenmarks sakral Nervus dorsalis penis Schwellkörpernerven des Penis Nervus pudendus Abb. 17.1 Regulationsweg (zentralnervöse Reizleitung) der Erektion. als Vollbild der zur Intromissio notwendigen prallen Erektion (Rigidität). Bei niedrigem Sauerstoffpartialdruck wird das Wachstum der glatten Muskelzellen gehemmt, was die Bildung von Kollagen und Bindegewebe induziert. Andererseits kommt es bei hohen Sauerstoffpartialdrücken zur Relaxierung der glatten Trabekularmuskulatur, Zunahme der NO-Synthese und Hemmung der Kollagen- und Bindegewebssynthese. ! Eine längerfristige Verminderung der Oxygenierung des Corpus Cavernosum ist also ein entscheidender Faktor für das Entstehen der Erektionsschwäche (Sommer u. Engelmann 2004). Folge ist eine Verschmächtigung der Schwellkörpermuskulatur mit Fibrose. Hier greifen therapeutische und präventive Wirkprinzipien an. Das männliche Geschlechtshormon Testosteron trägt viel weniger als gemeinhin angenommen zu einer normalen Erektion und damit sexuellen Potenz bei. Testosteron ist zwar für die Libido und die Reiztransmission in den Hirnzentren verantwortlich, wirkt jedoch nur indirekt am Gefäßsystem der Schwellkörper erektionsfördernd. Kapitel 16 vertieft den Einfluss der Androgene auf die Erektion. Definition sexueller Funktionsstörungen, Symptome 䊏 Ursachen Grob lässt sich zwischen organischen Ursachen und psychischen oder entsprechend fortgeleiteten Gründen unterscheiden. Häufig vermischen sich diese nur scheinbar Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag Pathophysiologie in Bezug zum Alterungsprozess 139 grundsätzlich unterschiedlichen Untergruppen. Bei jungen Männern stehen eher psychogene, im weitesten Sinne stressbedingte Ursachen im Vordergrund, während bei älteren Männern organische Ursachen dominieren. 䊏 Diagnosebezeichnungen Um den herabwürdigenden Begriff Impotenz (Unfähigkeit) zu vermeiden, hat sich in der Fachsprache der Terminus erektile Dysfunktion (ED) eingebürgert. Einteilung Sexuelle Funktionsstörungen des Mannes lassen sich je nach gestörtem Erlebnis einteilen in: ➤ Gestörte Erektion (erektile Dysfunktion ED), ➤ Verlust der sexuellen Appetenz (Alibidinie) und ➤ Orgasmusstörungen. Die Diagnosebezeichnung erektile Dysfunktion reduziert das Funktionieren bzw. Nichtfunktionieren auf die Penisschwellkörper. Die Erektionsstörung ist aber, ganz gleich ob eine organische Erkrankung (z.B. Gefäße) als Ursache bereits erwiesen ist, immer auch mit einem übergeordneten Kranksein verbunden. Solange eine körperliche Ursache nicht nahe liegt, lässt der eher adäquate Begriff gestörte Erektion alle Ätiologien offen (Günthert 2004). Erst bei nachgewiesenen vaskulären, nervalen oder hormonellen Ursachen handelt es sich um eine Peniserkrankung, eine erektile Dysfunktion. Psychosomatische Aspekte der gestörten Erektion Da größere statistische Daten über vertiefte Anamnesegespräche nicht vorliegen, sind auch nur annähernd valide Zahlen zur Häufigkeit der psychogenen sexuellen Funktionsstörung zu erwarten. Einerseits wird in Statistiken durchweg dann eine Erektionsstörung als psychogen klassifiziert, wenn keine entsprechenden somatischen Befunde zu erheben sind. Andererseits wird sofort eine gestörte Erektion als somatische ED eingestuft, wenn entsprechende systemische Körperbefunde (KHK, Diabetes) vorliegen. In beiden Situationen wird das psychosomatische Geschehen unterschätzt. Eine primär psychogene Ursache von Erektionsstörungen kann altersabhängig bei 10–30% der Männer angenommen werden. Ursachen betreffen sowohl Partnerkonflikte und Persönlichkeitsstörungen als auch Anpassungsstörungen bei Dystress und Burnout (Kapitel 18). ED als chronische Situation Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die ED als die Unfähigkeit definiert, eine ausreichende Erektion des Penis zu erreichen und/oder aufrechtzuerhalten, um einen befriedigenden Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Noch weiter präzisierend müssen für eine solche klassifizierende Aussage 70% der Versuche während der letz- ten 6 Monate einen Geschlechtsverkehr zu vollziehen, frustrierend verlaufen sein. In den 2001 veröffentlichten Leitlinien der Deutschen Urologen liegt eine ED erst dann vor, wenn sie chronisch ist und ein halbes Jahr oder länger besteht. Demnach gehört zur normalen erektilen Funktion sowohl, dass eine Gliedversteifung möglich ist, als auch dass sie aufrechtzuerhalten ist und dass ein befriedigender, erfolgreicher Verkehr daraus resultiert. 䊏 Belästigung, Symptome Wie in Kapitel 18 weiter ausgeführt, haben die oral und bedarfsabhängig anwendbaren modernen PDE-5-Hemmer (s.u.) auch zu einer Medikalisierung im normalen Sexualleben und jetzt neu definierten Sexualbedarf geführt. Was früher als situatives Versagen, stressbedingtes Formtief oder einfach als „heute nicht gut drauf Sein“ galt, nennen Männer heute vorschnell Impotenz. Bei Männern zwischen 25 und 50 Jahren dominiert in der Sexualsprechstunde die zeitlich wechselnde Belästigung im Sexualleben durch nachlassende Rigidität, zu schnellen Erektionsabfall und damit verbunden zu kurzen und zu wenig lustbetonten Geschlechtsakt. Nachlassende Libido und „schlechter Orgasmus“ deuten darauf hin, dass psychogene Faktoren wie beruflicher Stress oder partnerschaftliche/familiäre Überforderung im Spiel sind. Bei Männern über 50 Jahren überwiegen manifeste Dauersymptome: ➤ Geringe Kontumeszenz, ➤ nachlassende bis völlig fehlende Rigidität oder ➤ zu schneller Abfall einer flüchtig (und mit Mühe) aufgebauten Rigidität, ➤ Unvermögen, einen Geschlechtsverkehr zu initiieren oder aufrechtzuerhalten sowie ➤ nachlassende oder fehlende spontane nächtliche Erektionen. Männern ziehen in der Beschreibung ihres jetzigen Problems (Erektionsaufbau ist mühevoll, dauert zu lange, Erektion fällt zu schnell ab, zweiter Versuch zwecklos) gern Vergleiche zu ihrer erinnerten befriedigenden Situation in früheren Jahren. Pathophysiologie in Bezug zum Alterungsprozess 䊏 ED als systemische endotheliale Erkrankung ! Die organische ED wird, falls hormonelle und neurogene Ursachen ausgeschlossen sind, heute zunehmend als Ausdruck einer übergeordneten, also generalisierten Endothelerkrankung aufgefasst (ED: Erektile Dysfunktion als Endothelial Disease). Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag 140 17 Sexualfunktion bei Männern und erektile Dysfunktion So können manifeste Erektionsstörungen erstes frühes klinisches Zeichen von Gefäßerkrankungen sein: koronare Herzkrankheit, Atherosklerose auf dem Boden von Hypertonie und Hypercholesterinämie. Während der sexuellen Erregung ist dann die funktionelle Durchblutungssteigerung aufgrund der Gefäßwandeinengung nicht ausreichend. Die ED gilt wegen dieser engen Verbindung zur generalisierten Arteriosklerose als anerkannter Vorbote einer koronaren Herzkrankheit. Im Allgemeinen treten die Symptome der verminderten Erektionsfähigkeit 1 bis 5 Jahre vor den durchblutungsbedingten Herzbeschwerden (Angina pectoris) auf. Hieraus ergibt sich für Männer mit manifester ED und weiteren vaskulären Risikofaktoren die Notwendigkeit der Gefäßabklärung. Männer mit schwerer Durchblutungsstörung in den Penisgefäßen (Duplex-Sonographie) werden daher kardiologisch abgeklärt. Denn – so lautet das Motto: „Der Penis – die Antenne des Herzens“. Bei 40% der Patienten, die mit einer ED urologischen Rat suchen und eine nachgewiesene penile Durchblutungsstörung aufweisen, können auch ohne kardiale Symptome signifikante Koronarstenosen gefunden werden. der sexuellen Befindlichkeit. Für 37% der Männer reduziert sich die mangelnde sexuelle Befindlichkeit einfach auf den Wunsch nach mehr Sex (bei Frauen 25%). 䊏 Häufigkeit und Risikofaktoren Inzidenz Die Wahrscheinlichkeit der ED nimmt mit dem Alter zu. Die demographische Entwicklung lässt für Deutschland in 2030 etwa 5,65 Millionen mit ED erwarten; davon werden etwa 1,8 Millionen Männer eine Therapie beanspruchen (Braun et al. 2000). In der großen amerikanischen Massachusetts Male Aging Study (Feldmann et al. 1994) gaben 52% aller Männer zwischen 40 und 70 Jahren Potenzstörungen an. 40% der 70-Jährigen empfanden sich als komplett impotent. In einer großen deutschen Untersuchung (Cologne 8000 Men Survey) beträgt die Gesamtprävalenz 20%, mit stetigem Anstieg mit dem Alter (Abb. 17.3). Die Diskrepanz zwischen amerikanischen (Feldmann et al. 1994) und europäischen Daten (Braun et al. 2000) zur Häufigkeit der ED deutet entweder darauf hin, dass die sexuelle Gesundheit bei uns höher ist als in den USA, 䊏 Stellenwert der sexuellen Befindlichkeit Wie wichtig Männern eine intakte Sexualfunktion ist, ist Gegenstand exakter Erhebungen an Tausenden von Personen. In einer Befragung von 1500 deutschen Männern und Frauen (40–80 Jahre) erweist sich der erfolgreiche Geschlechtsverkehr bei den meisten als wichtig bis sehr wichtig. Der Stellenwert ist bei Männern größer als bei Frauen (Abb. 17.2). Für über 80% der Männer bleibt Sexualität bis ins Alter ein wichtiges Attribut von Lebensqualität. Entsprechend einer Online-Befragung von mehr als 10.000 Deutschen (Durex Local Report 2004) ist jeder dritte deutsche Mann mit seinem Liebesleben unzufrieden, und zwar durch alle sexualaktiven Altersgruppen. Bei 45% der befragten Männer und Frauen ist mehr Spontaneität beim Sex entscheidend für eine Verbesserung Abb. 17.3 Prävalenz der erektilen Dysfunktion in Deutschland basierend auf 4489 befragten Männer (durchschnittliches Alter 52 Jahre) des Kölner Männer-Survey 2000 (Braun et al. 2000). Abb. 17.2 Stellenwert des erfolgreichen Geschlechtsverkehrs für die Partnerbeziehung (im Rahmen der Pfizer Global Study of Sexual Attitudes and Behaviors). Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag Pathophysiologie in Bezug zum Alterungsprozess 141 Abb. 17.4 Häufigkeit der Hauptursachen der organischen ED. oder dass deutsche Männer sexuelle Funktionsstörungen eher bagatellisieren oder sogar verleugnen. Bemerkenswert in der Kölner Untersuchung ist auch, dass nur ein Drittel der Betroffenen eine Therapie wünschte. Risiken und Ursachen: Altersassoziierte Erkrankungen, Lifestyle ! Die Grundlagenforschung und das präventive wie therapeutische Herangehen weisen heute die erektile Dysfunktion mit wenigen Ausnahmen (neurogen – traumatische oder toxische Ursachen) als ein Symptom in einer meist multifaktoriellen Kette von Funktionsstörungen aus (Abb. 17.4). Paradebeispiel ist der Diabetes mellitus mit Stoffwechsel-, Durchblutungs- und Neuroeffekten an der Reizübertragung und Reizvermittlung in der Schwellkörpermuskulatur. In einer urologischen Männersprechstunde wird die ED-Ursache in folgender Reihenfolge angetroffen: ➤ vaskulär bedingt, ➤ Diabetes, Metabolisches Syndrom, ➤ Arzneimittel-Nebenwirkungen, ➤ psychogen, psychosomatisch, ➤ neurogen, ➤ andere Erkrankungen und Noxen, ➤ hormonell bedingt, ➤ Mischformen. Vaskuläre Ursachen Die Domäne der vaskulären Ursache bildet die generalisierte Atherosklerose (ED meint somit auch Endothelial Disease) mit arterieller Hypertonie. Diese tritt entweder als eigenständiges Krankheitsbild oder im Gefolge des Diabetes mellitus auf, oder ist Teilaspekt des Metabolischen Syndroms. Die durch arteriosklerotische Veränderungen der mittleren und kleinen Gefäße bedingte ED entwickelt sich allmählich. Bei jedem vierten Mann ist die Potenzschwäche erstes auffälliges Symptom einer bisher unbekannten generalisierten Gefäßerkrankung. Zwei Drittel aller Hypertoniker leidet bereits therapieunabhängig an sexuellen Funktionsstörungen, die oft durch die antihypertensive Therapie noch verstärkt werden. Diabetes mellitus Neben der Atherosklerose/KHK ist der Diabetes mellitus Hauptrisikofaktor für eine sexuellen Potenzstörung. ➤ 30% aller Männer mit ED, bei denen eine organische Ursache im Vordergrund steht, leiden an Diabetes, ➤ ein Drittel aller Diabetiker klagen über häufige Erektionsprobleme, ein weiteres Drittel über gelegentliche Potenzschwäche. In einer Studie an 1460 Diabetikern konnte folgendes Risikomuster nachgewiesen werden (De Berardis et al. 2003): Alter, Exaktheit der diätetischen oder medikamentösen Stoffwechseleinstellung (Insulinpflicht) und Schweregrad der Auswirkungen auf sensible Organe korrelieren am stärksten mit dem Schweregrad der erektilen Dysfunktion. So nimmt das ED-Risiko bei Männern mit diabetischen Mikrozirkulationsstörungen manifestiert durch KHK und Retinopathie signifikant zu. Das höchste Risiko haben mit 65% die insulinpflichtigen Diabetiker mit bereits manifestierter Neuropathie. Die meisten Risiken interagieren miteinander. In der Ursachenforschung beobachten wir bei gut einem Drittel der Fälle von primär rein organischer Verursachung einer ED ein multifaktorielles Muster im Sinne des Metabolischen Syndroms (Kapitel 7, 8, 11): Diabetes, Fettstoffwechselstörung, Adipositas, körperliche Untätigkeit, KHK, Hypertonie. Weitere Studien belegen die ED als ein Problem des männlichen Diabetikers erster Ordnung (Abb. 17.5). Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag 142 17 Sexualfunktion bei Männern und erektile Dysfunktion Abb. 17.5 Risiko einer ED beim Diabetiker (links) und eines Diabetes beim Mann mit diagnostizierter Erektionsstörung (rechts) (Daten zusammengestellt aus Fedele et al. [2000]). Arzneimittel mit Beeinträchtigung der Erektion Andere Noxen ED als unerwünschte Nebenwirkung wird in den meisten Fällen von Bluthochdruckmitteln, seltener von zentralnervös wirkenden Barbituraten, Neuroleptika und Antidepressiva verursacht (Tab. 17.1). In der Hochdrucktherapie wirken sich v.a. Betablocker und Diuretika negativ auf die Rigidität und Dauer der Erektion aus. Demgegenüber beeinflussen blutdrucksenkende Alphablocker und AT1-Rezeptor-Antagonisten die Erektion meist nicht, sondern können eine hypertoniebedingte Erektionsstörung eher verbessern. Zu anderen Noxen gehören alle schweren, den Organismus schwächenden, akuten, und chronischen Krankheiten, Drogen, Rauchen sowie Alkoholmissbrauch. Neurogene Ursachen Die neurogenen Ursachen umfassen: ➤ Polyneuropathie bei Diabetes, ➤ multiple Sklerose, ➤ apoplektischer Insult, ➤ Operationen im Becken- und Bauchraum (Aortenaneurysma, radikale Prostatektomie) und an der LWS und ➤ spezielle Erkrankungen des ZNS. Geschlechtshormone Bei primärem und sekundärem Hypogonadismus ist eine ED immer durch den Testosteronmangel mitverursacht (Kapitel 16). Andere gelegentlich in Zusammenhang mit der sexuellen Potenz genannten Hormone wie Östrogene, DHEA/DHEAS, Wachstumshormon, Cortisol, Melatonin, Prolaktin und Schilddrüsenhormon haben keine Bedeutung für die Einleitung und Aufrechterhaltung der Erektion. Diagnostische Abklärung bei Potenzstörungen ! Bei der Abklärung der Erektionsstörung sollte die urologische, endokrinologische, psychologische und neurologische Befunderhebung so nah wie möglich beieinander erfolgen. Tabelle 17.1 Substanzen mit möglicher negativer Wirkung auf die Erektion Stoffgruppe Einsatzgebiet Diuretika, Beta-Blocker und andere Bluthochdruck Cholesterinsenker, Statine Hypercholesterinämie Antidepressiva, Anxiolytika Psychopharmaka Antiandrogene Prostatakrebs Drogen: ➤ Marihuana, Kokain, Anabolika, Alkohol, Nikotin Negativer Lifestyle Das Ziel der Diagnostik muss eine rationelle, individuell adaptierte, möglichst kausale Therapiezuordnung des Patienten sein. Eine invasive Diagnostik mittels SKAT und Prostaglandin-Testung findet fast nicht mehr statt. 䊏 Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese) Die Anamneseerhebung bei sexuellen Funktionsstörungen weicht in vielerlei Hinsicht von der anderer Krankheitszustände ab. Da jeder Mann seine eigene Sexualität (Wünsche, Phantasien, Praktiken) hat, fließen in ein vertieftes Anamnesegespräch auch die erotischen Vorstellungen von einer von ihm als normal bezeichneten und Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag Therapie der organischen ED 143 Tabelle 17.2 Anamneseraster bei sexuellen Funktionsstörungen des Mannes Psychische Faktoren Somatische Faktoren Soziale Faktoren Stress Alter sexuelle Normen eigenes Körperbild Diabetes mellitus, Hypertonie Partnerin Konflikte Notsituationen Hormone sexuelle Praktiken Medikamente Rollenverhalten gewünschten Penisfunktion, sowie seine psychische Ausgangslage mit ein (Günthert 2004). Eine Einbeziehung der Partnerin in die Sexualanamnese kann nützlich sein. Bei der Erfassung möglichst aller Aspekte werden psychische Faktoren, organbezogene und soziale Faktoren berücksichtigt (Tab. 17.2). Männern fällt es oft leichter, vor dem Gespräch mit dem Arzt standardisierte Fragebögen, z.B. IIEF (Internationaler Index zur Erektilen Funktion), auszufüllen, die dem Arzt eine Einschätzung der Erektionsstörung ermöglichen. Dieser Einstieg kann die erste Angst vor dem Gespräch nehmen. Tabelle 17.3 Laboruntersuchungen bei Abklärung der organischen ED entsprechend der durch die Anamnese eingekreisten Risikofaktoren Organsysteme/Risiken Laborwertbestimmung im Blut Leberfunktion Transaminasen (GOT, GPT, γGT) Gefäßkrankheiten Cholesterin, HDL, LDL, Triglyceride Diabetes mellitus Nüchternblutzucker, Urinuntersuchung Hormonstoffwechsel (Hypogonadismus) Testosteron, fakultativ: FSH, LH, Prolaktin, Östradiol 䊏 Untersuchungen bei erektiler Dysfunktion Die körperliche Untersuchung schließt die Organe mit andrologischem Bezug wie den gesamten Genitalbereich und die Prostata mit den Samenblasen ein. Der endokrinologische Work-Up ist in Kapitel 16 festgelegt. Die Labordiagnostik erfolgt gezielt und risikobezogen (Tab. 17.3). Ergeben sich neben der ED Verdachtsmomente auf eine generalisierte Gefäßerkrankung, so ist eine kardiologische Abklärung dringend angezeigt. Da der ungewohnte und/oder der medikamentös induzierte, verlängerte Geschlechtsverkehr beim älteren, womöglich kardial vorgeschädigten Mann eine zusätzliche kardiale Durchblutungsbelastung darstellen kann, wird in solchen Fällen vor der Therapie ein EKG angefertigt. Die Schwellkörper-Pharmakon-Testung (SKAT-Test mit Applikation von Prostaglandin E1) als nächste Diagnostikstufe erlaubt Rückschlüsse auf die arterielle Versorgung, den venösen Abfluss, den Zustand der kavernösen Muskelzellen (Schwellkörper) und ihre autonommotorische Versorgung. Sie erfolgt zusammen mit der (Farb-)Duplex-Sonographie zur Beurteilung der zuführenden Arterien des Schwellkörpers und der venösen Abflusssituation. Therapie der organischen ED 䊏 Der allgemeine Trend Bei der Beratung des Mannes über die Möglichkeiten einer medikamentösen Behandlung tritt heute die orale Therapie mit PDE-5-Hemmern in den Vordergrund. Mit der Anwendung an bisher weltweit schätzungsweise 30 Millionen Männern stellen sie alle bisherigen Therapieoptionen in den Schatten (Tab. 17.4). Die Untersuchungen an 8000 Kölner Männern haben ergeben, dass über 70% der Patienten ausschließlich eine orale Therapie wünschen (Braun et al. 2000). Tabelle 17.4 Therapieoptionen bei erektiler Dysfunktion (95% aller Männern werden durch die drei hervorgehobenen Methoden behandelt, PDE-5-Hemmer sind Standard) Methode Vorteile Nachteile/Nebenwirkungen PDE-5-Hemmer oral anwendbar, hohe Wirksamkeit, Nebenwirkungen dosisabhängig aber kalkulierbar, Medigute Verträglichkeit kamenten-Interaktionen Schwellkörper-Injektionstherapie (SKAT) natürliche Erektion, sehr wirksam, zur Rehabilitation geeignet eher invasiv, Priapismus, Fibrosen, Schmerzen Transurethrale Therapie (Muse) minimal invasiv unzuverlässig wirksam, Schmerzen Vakuum-Erektionshilfen kostengünstig, nichtinvasiv unnatürliche Erektion, Hautirritation, Schmerzen Chirurgische Gefäßrekonstruk- „natürliche“ Erektion tion aufwändiger chirurgischer Eingriff, mäßig erfolgreich, Rückfälle nur bei besonderer Indikation Prothetische Versorgung sehr wirksam chirurgische Eingriff mit Komplikationen, Infektion, Folgeeingriffe, Abstoßung Psychotherapie begleitend, langwierig, mäßig erfolgreich Rückfälle, Partnertherapie sinnvoll Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag 144 17 Sexualfunktion bei Männern und erektile Dysfunktion Die globale Wirksamkeit von Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil bei nicht organischer ED liegt bei gut 80%, bei organischer ED bei 70%, bei der Subpopulation von Männer mit Diabetes mellitus bei etwa 60% (Porst 2000). 䊏 PDE-5-Inhibitoren Wirkmechanismus Die PDE-5-Inhibitoren Cialis (Tadalafil), Levitra (Vardenafil) und Viagra (Sildenafil) wirken, falls nach visueller oder taktiler sexueller Stimulation im Gehirn Nervenpulse ausgelöst werden, welche am Zielorgan Penis ankommen und dort komplexe lokale Mechanismen an der Schwellkörpermuskulatur in Gang setzen (Abb. 17.1). In den glatten Muskelzellen wird das Phosphodiesterase (PDE) Typ-5-Isoenzym spezifisch gehemmt, wodurch in den Stickstoffmonoxid-Erektions-Signalweg eingegriffen wird. Endresultat ist die Hemmung des Abbaus von zyklischem Guanosinmonophosphat. Therapeutisch maßgeblich ist also die Zunahme der intrazellulären cGMP-Konzentration. Auf diese Weise wird eine natürlich eingeleitete Erektion verstärkt und über längere Zeit gehalten (Abb. 17.6). Abb. 17.6 Wirkmechanismus der Erektion in glatten Muskelzellen des Corpus cavernosum: Stimulation der Guanylcyclase durch Stickoxid (N0), welches an der Nervensynapse frei wird; indem das Enzym Phosphodiesterase (Isoenzym 5 = PDE-5) ge- Pharmakokinetik Die drei derzeit gebräuchlichen Medikamente zeichnen sich durch eine unterschiedliche Bioverfügbarkeit aus (Abb. 17.7). Vardenafil benötigt die geringste Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration, während die biologische Halbwertszeit von Tadalafil am längsten ist. Hieraus ergeben sich für die betroffenen Männer auch unterschiedliche Anwendungsoptionen: rascher Wirkungseintritt mit Medikamentenanflutung nach 0,5 bis 1 Stunde bei Vardenafil und Sildenafil, langes „Wirkfenster“ von über einem Tag bei Tadalafil. Noch 36 Stunden nach Einnahme von Tadalafil können 60% der Männer einen Koitus erfolgreich beenden. Nebenwirkungen Alle PDE-5-Hemmer werden durchweg gleich gut vertragen. Die in der Anfangsphase der Anwendung von Sildenafil berichteten Todesfälle waren auf falsche Indikationen (Herzerkrankungen) und unsachgemäße Dosierungen zurückzuführen. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen ist dosisabhängig: ➤ Kopfschmerzen (gelegentlich noch am nächsten Morgen), ➤ Gesichtsröte, ➤ Sodbrennen, ➤ verstopfte Nase (Kongestion, „Rhinitis“), hemmt wird, entsteht im Überschuss zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP); über das Enzym Proteinkinase G wird die Relaxation der glatten Schwellkörpermuskulatur (→ Erektion) bewirkt. Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag Therapie der organischen ED 145 Abb. 17.7 Pharmakokinetik der PDE-5-Inhibitoren (aus: 1Viagra Product Monograph, 2Klotz, World J Urol 2001, 3Ferguson, Lilly/ICOS Symposium 2001). Tabelle 17.5 Nebenwirkungen bei Anwendung von Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil ➤ terminaler Niereninsuffizienz und ➤ bei Einnahme von nitrit- bzw. molsidominhaltigen Medikamenten. Nebenwirkung, PDE-5Hemmer Häufigkeit bei üblichen Dosierungen Kopfschmerzen 7–30% Wahl des PDE-5-Hemmers Gesichtsröte 5–15% Dyspepsie 1–15% Männer und ihre Partnerinnen haben meist unterschiedliche Präferenzen im Hinblick auf die Zeit bis zum Erreichen der Erektion und des Beischlafs, die Erektionsdauer an sich und das Zeitintervall, innerhalb dessen ein erneuter Verkehr gewünscht wird. Entsprechend dieser Vorlieben entscheidet der Mann letztendlich gemeinsam mit seiner Partnerin, welchem der genannten Präparate der Vorzug gegeben wird. Rückenschmerzen 0–4% Myalgie 0–4% Rhinitis („verstopfte Nase“) 2–10% Sehstörungen 1–8% Bedarfsabhängige Applikation ➤ Sehstörungen (der Farbe Blau) und ➤ Muskelschmerzen. Die Häufigkeiten sind in Tab. 17.5 für die jeweils mittleren empfohlenen Dosen aufgeführt. Nebenwirkungen sind auch abhängig von der Geschwindigkeit des Wirkungseintritts (Pharmakokinetik). ! Bei sachgemäßer Einnahme und sorgfältiger Würdigung von Patientenrisiken durch den Arzt sind Unverträglichkeiten gering. Die genannten Mittel dürfen nicht als Lebensstildrogen aufgefasst werden. Es handelt sich um Arzneimittel im strengen Sinne. Kontraindikation Absolute Kontraindikation besteht bei Männern ➤ mit frischem Herzinfarkt und Schlaganfall (⬍ 6 Monate), ➤ bei schwerer Angina pectoris, ➤ schweren Herz-Rhythmusstörungen bzw. Herzinsuffizienz, ➤ schwerer koronarer Herzkrankheit, ➤ schwerer Leberinsuffizienz, Männer werden individuell den Erfolg nach ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit – und damit nach ihrer Zufriedenheit – beurteilen. Auch die Einnahme zeitgleich zur Mahlzeit oder zu Alkoholkonsum (verminderte Resorption von Sildenafil!) spielt hier eine Rolle. Es hat sich immer mehr durchgesetzt, die betroffenen Männer nach Austestung der drei möglichen Medikamente selbst entscheiden zu lassen, welchem der PDE-5-Hemmer sie den Vorzug geben. Oft werden Viagra-Nachfolgepräparate bevorzugt. Schlug bei Männern die Therapie mit Sildenafil aufgrund unzureichender Wirksamkeit fehl, so zeigte Vardenafil eine gegenüber dem Ausgangswert 4fache Steigerung der Erfolgsrate (PROVEN-Studie). Tadalafil ist das Medikament mit der längsten Wirkdauer und wird daher von vielen Paaren favorisiert. Es hat in der empfohlenen Dosierung keine signifikante und klinisch relevante Verstärkung der blutdrucksenkenden Wirkung der gängigen Antihypertensiva (Calcium-Kanalblocker, ACE-Hemmer, Beta-Rezeptorenblokker, Thiazid-Diuretika, Angiotensin-II-Rezeptorblocker) zur Folge. Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag 146 17 Sexualfunktion bei Männern und erektile Dysfunktion Dauerapplikation Die bedarfsabhängige Anwendung von PDE-5-Hemmern beeinträchtigt die Spontaneität im Sexualleben. Das langwirksame Tadalafil könnte sich in niedriger Dosierung als Dauertherapeutikum etablieren. Eine Einnahme 3-mal pro Woche macht eine Vorplanung des Sexuallebens überflüssig. Zudem ist ein positiver Effekt auf das kardiovaskuläre System (arterielle Hypertonie, pulmonaler Hochdruck, Myokardoxygenierung) zu erwarten. Prävention der ED (aktives Anti-Aging) 䊏 Änderungen im Lifestyle Die primäre Prävention besteht in der Verhinderung oder Eliminierung der 5 bedeutendsten Hemmnisse einer normalen Erektion: ➤ Hypertonie, KHK, entsprechende Medikamente, ➤ Adipositas, Metabolisches Syndrom, ➤ Körperliche Untätigkeit, ➤ Rauchen und ➤ Alkoholmissbrauch. Somit sind alle in den Kapiteln 7 bis 11 und 28 bis 30 des Buchs dargelegten Bedingungen mittel- oder unmittelbar mit der primären Prävention der ED verknüpft. Eine weitere bedeutende Präventivmaßnahme ist die Erhaltung oder Erhöhung der penilen Sauerstoffversorgung. Eine gute Oxygenierung (Erhöhung des Sauerstoffpartialdrucks) des Penis wird einerseits bei sexueller Erregung, andererseits während des Schlafs erreicht. Männer mit normalerweise 3–4 erektilen Episoden pro Nacht haben eine gute Oxygenierung der Corpora cavernosa. Bei gesunden Männern bestehen diese nächtlichen Erektionsphasen lebenslänglich, nehmen allerdings an Frequenz und Dauer mit fortschreitendem Alter ab. Nächtliche Erektionen fehlen bei Patienten mit Störungen des REM-Schlafs (z.B. bei Schlafapnoe). Sportliches Training kann zu einer Verbesserung der penilen Sauerstoffversorgung und des systolischen Spitzenflusses führen. Durch bestimmtes Intervalltraining wie etwa am Liegefahrrad, beim läuferischen Intervalltraining oder am Stepper (Ergometer für das Treppensteigen) sowie beim Training an der Beinpresse kann ein so genanntes „Steal-Phänomen“ am Penis induziert werden. Hiernach kommt es zur kompensatorischen Steigerung der Durchblutung und Hyperoxygenierung der Penisschwellkörper. Als läuferisches Intervalltraining zu Hause wird der Kniehebelauf, das „Skipping“ empfohlen (VigorRobic). Hierdurch lässt sich eine signifikante Steigerung des systolischen Spitzenflusses und damit eine durchgreifende, in Studien kontrollierte Verbesserung der Erektionsfähigkeit erreichen (Sommer u. Engelmann 2004, Sommer u. Graf 2002, Sommer 2000). Training der ischiocavernosalen Muskulatur (ICMuskel) am Beckenboden: Gezieltes Training der Bek- kenbodenmuskulatur (VigorRobic) führt bei Männern mit gering- bis mittelgradiger venöser Insuffizienz zur Verbesserung der penilen Rigidität. Regelmäßiges Training kann zum Aufbau der IC-Muskulatur mit Erhalt der Erektion beitragen (Sommer 2000). Mittels ausgewählter Übungen ist es auch möglich, eine Prävention der veno-okklusiven Insuffizienz (zu schneller venöser Abfluss bei normalem systolischen Spitzenfluss) zu erzielen. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass die perineale Muskulatur (dazu gehört im Wesentlichen die ICMuskulatur) an der Kontrolle des Ejakulationsreflexes maßgeblich beteiligt ist. Männer, die an einer frühzeitigen Ejakulation leiden, können diese durch gezielte Übungen an der IC-Muskulatur erfolgreich hinauszögern. 䊏 Umsetzen erektionshemmender Medikamente Diese Maßnahme ist ein gutes Beispiel für sekundäre Prävention. Jede Therapie der sexuellen Dysfunktion muss, falls die zugrunde liegende Erkrankung dies erlaubt, zunächst die Elimination oder Umsetzung der Medikamente beinhalten, die sich ungünstig auf eine sexuelle Funktion auswirken (Tab. 17.1). Hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Sexualmediziner und dem Hausarzt/Internisten notwendig. Bei Medikamenten gegen Bluthochdruck ist es gelegentlich schon erfolgreich, Dosierungen oder Kombinationen zu verändern. Dies erfordert Geduld und Einsicht auf beiden Seiten. ! Männer sollten immer davor gewarnt werden, nur um der Erektion Willen bewährte Bluthochdruckmedikamente eigenmächtig wegzulassen. Bluthochdruck kann töten, eine schwache Erektion lediglich die Lebensqualität beeinträchtigen! Es ist aber falsch, wenn jegliche antihypertensive Therapie für den plötzlichen Eintritt einer ED verantwortlich gemacht wird. Näheres Befragen stellt oft klar, dass vorher bereits (aufgrund von Arteriosklerose bei Hypertonie) Erektionsstörungen bestanden haben. In einer umfangreichen prospektiven Studie an 3500 männlichen Hypertonikern (VALED-Studie = Valsartan und ED) konnte gezeigt werden, dass anhand des IEFF alle Merkmale der Sexualfunktion durch die antihypertensive Therapie mit AT1-Rezeptor-Antagonisten verbessert wurde. Die ED-Prävalenz verbesserte sich von 83% vor auf 56% nach 6-monatiger Behandlung (Düsing, 2002). ! Die Therapie der Hypertonie mit risikoarmen Medikamenten ist eine gute ED-Prävention, die Therapieumstellung lohnt sich immer. Jacobi, Anti-Aging bei Männern (ISBN 3131390816), © 2004 Georg Thieme Verlag Prävention der ED (aktives Anti-Aging) 147 䊏 Sexuelle Rehabilitationsverfahren Tertiäre präventive Maßnahmen zur Wiederherstellung einer gestörten oder verlorenen Erektion kommen zum Tragen nach traumatisierenden Operationen im Beckenraum. Hauptindikation ist die tumorfreie Phase nach erfolgreicher radikaler Prostatektomie bei Prostatakrebs (Kapitel 21). PDE-5-Inhibitoren Einen attraktiven Präventionsansatz stellt die längerfristige Einnahme eines langwirksamen PDE-5-Hemmers dar. Dahinter steht die Überlegung, die bei Männern mit Gefäßrisiko nachlassenden nächtlichen Erektionen wieder herzustellen und beizubehalten. Es ist erwiesen, dass die längere, kurmäßige Anwendung von PDE-5Hemmern über eine regelmäßige Durchblutungsförderung der Penisschwellkörper und Oxygenierung des Muskelkompartiments auch zu einer Wiederherstellung der spontanen Erektionsfähigkeit führen kann (Porst 2000). Hierzu eignet sich Tadalafil mit der langen Wirkdauer (Abb. 17.7). Schwellkörperinjektionsbehandlung (SKAT) Bei Patienten nach operativen Eingriffen im Beckenbereich (radikale Prostatektomie bei Prostatakrebs) kann mit dem frühen postoperativen und regelmäßigen Herbeiführen von Erektionen durch SKAT die Regeneration der spontanen Erektionsfunktion gefördert werden. Geeignet sind Prostaglandin-E1- und Papaverin-Phentolamin-Gemische (z.B. Caverject, Viridal). In der Praxis wird zunächst 2- bis 3-mal pro Woche, bei Verträglichkeit und initialem Erfolg danach täglich mit 5 µg Alprostadil (Caverjectimpuls) aufsteigend bis 20 µg behandelt. Der Betroffene erlernt die Injektion meist problemlos (SKAT = Schwellkörper-Autoinjektions-Therapie). Ist die Prostataoperation nervschonend durchgeführt worden, so kann die zusätzliche Anwendung von PDE-5-Hemmern den Effekt verstärken. Anfängliche Schmerzzustände im Penis können längere SKAT-Intervalle erforderlich machen. 䊏 Ausblick: Sexualfunktion und Lifestyle Prävention der schwindenden Sexualfunktion ist eng mit gutem Lifestyle verknüpft. Wer keines der vorgestellten, gezielten präventiven Trainingsmaßnahmen durchführen kann oder möchte, bei dem kann auch durch die regelmäßige Einnahme eines PDE-5-Inhibitors die Qualität der nächtlichen Sauerstoffversorgung des Penis verbessert werden und auf diesem Weg dem natürlichen Alterungsprozess des Penisgewebes entgegengewirkt werden. Die regelmäßige Durchblutungssteigerung in den Schwellkörpern ähnlich wie bei normalen Erektionen ist erforderlich, um ihren bindegewebigen Umbau und entsprechende Funktionseinbuße zu verhindern. Zusätzlich sind günstige Effekte einer chronischen Anwendung von PDE-5-Hemmern auf das Herz-Kreislauf-System zu erwarten. Da es sich um Medikamente und nicht um Lifestyle-Supplemente handelt, halten wir eine Beschaffung solcher Therapeutika durch Dritte, über den Versandhandel im Internet oder über andere Kanäle für nicht vertretbar. Literatur 1. Braun M. et al. Epidemiology of erectile dysfunction:results of the „Cologne Male survey“. Int J Impot Res. 2000;12:305– 311. 2. Braun M, Klotz T, Engelmann U. Männliche Sexualität und Alter. Stuttgart; Thieme: 2004 3. De Berardis G et al. Identifying patients with type 2 diabetes with a higher likelihood of erectile dysfunction: the role of the interaction between clinical and psychological factors. J Urol. 2003;169:1422–1428. 4. Düsing R. Organprotektion mit Valsartan. 68. Gesellschaft für Kardiologie, 4. 4. 2002 Mannheim 5. Durex Local Report 2004 (tp://www.durex.com/de/template/surveys/local_report_04.pdf) 6. Fedele D, Bortolotti A, Coselli C, Santeusanio F et al. Erectile dysfunction in type 1 and type 2 diabetics in Italy. 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