Richtig in Form – Wie sich Zellen formen und wie sie sich bewegen

Werbung
Jahrbuch 2012/2013 | Paluch, Ew a | Richtig in Form – W ie sich Zellen formen und w ie sie sich bew egen
Richtig in Form – Wie sich Zellen formen und wie sie sich bewegen
In best shape – How cells move and how they control their shape
Paluch, Ew a
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Die Form von Zellen w ird grundlegend durch die mechanischen Eigenschaften der Zelle selbst und durch die
physikalischen Wechselw irkungen der Zelle mit ihrer Umgebung bestimmt. Deshalb bringen biophysikalische
Ansätze neue Erkenntnisse zu der Frage, w ie Zellen ihre Form regulieren. Biologen, Bioinformatiker und
Physiker untersuchen, w ie
die mechanischen Eigenschaften der Zelle auf molekularer Ebene gesteuert
w erden und w ie sich diese Eigenschaften auf die Formgebung der Zelle ausw irken.
Summary
Since cell shape is ultimately defined by cellular mechanical properties and by the cell’s physical interactions
w ith its environment, biophysical approaches are essential to understand cell shape control. Biologists, bioinformaticians and physicists investigate the molecular regulation of cellular mechanical properties, and the
contribution of these properties to cell morphogenesis.
Die Form von tierischen Zellen w ird zu einem großen Teil über den Aktinkortex gesteuert. Dieses Netzw erk aus
fadenförmigen Aktinfilamenten, Myosin und w eiteren Proteinen liegt direkt unter der Zellhülle. Der Kortex
ermöglicht es der Zelle, auch bei Krafteinw irkungen von außen stabil zu bleiben und mechanische Arbeit zu
leisten. Demnach spielt er eine w ichtige Rolle bei Zellverformungen, etw a w enn sich die Zelle teilt oder
vorw ärts bew egt, aber auch bei der Physiologie von bestimmten Krankheitsbildern w ie etw a Krebs: hier ist die
Kontraktionsfähigkeit der Zelle oft gestört. Obw ohl der Zellkortex also in fundamentale Prozesse involviert ist,
ist erstaunlicherw eise über die genaue Zusammensetzung des Netzw erkes sow ie darüber, w ie es sich
anordnet, reguliert und w elche mechanischen Kräfte es w ie einsetzt, bisher sehr w enig bekannt. Die
Arbeitsgruppe von Ew a Paluch w idmet sich genau diesen Fragen und hat dazu eine Reihe von neuen
Methoden entw ickelt, um dynamische Wachstumsprozesse besser zu erforschen, um die Zusammensetzung
und Organisation des Netzw erkes im Nanometerbereich zu untersuchen und um die mechanischen Kräfte im
Kortex direkt zu messen.
Gesteuerte Veränderungen der mechanischen Prinzipien in einer Zelle führen zu Verformungen der Zelle. Die
Forscher um Ew a Paluch arbeiten daran, besser zu verstehen, w ie die physikalischen Eigenschaften des
Zellkortex die Formgebung einer Zelle bei Zellteilung und Zellbew egung steuern. Ein besonderes Augenmerk
w erfen sie dabei auf so genannte Blebs, kleine ausgestülpte Bläschen, die dadurch entstehen, dass sich das
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
1/4
Jahrbuch 2012/2013 | Paluch, Ew a | Richtig in Form – W ie sich Zellen formen und w ie sie sich bew egen
Aktin-Netzw erk zusammenzieht und so einen hydrostatischen Druck in der Zelle aufbaut. Erstmals konnte
beschrieben w erden, w elche mechanischen Kräfte dazu führen, dass sich diese Blebs in rundgeformten Zellen
ausw eiten können, und w ie das Zusammenspiel mit Lamellipodien – flachen, breiten Zellfortsätzen –
funktioniert, das die Fortbew egung von Zellen ermöglicht. Schließlich konnte die Dresdner Arbeitsgruppe
erklären, dass sich der Kortex zusammenzieht und so w ährend einer Zellteilung die Form der Zelle instabil
macht. Außerdem, so konnte sie zeigen, muss der Zellkortex aktiv von der Zelle gesteuert w erden, um eine
symmetrische Zellteilung zu erreichen.
Im Verbund: Komponenten und Architektur des Zellkortex
Als Ew a Paluch ihre Arbeit vor sechs Jahren am MPI-CBG begann, w aren die meisten Gesichtspunkte der
Zusammensetzung
des
Zellkortex
überhaupt
nicht
erforscht
–
auch
w eil
dazu
keine
geeigneten
Modellorganismen zur Verfügung standen. Gemeinsam mit Guillaume Charras (University College London) und
Philippe Roux (Institut de recherche en immunologie et en cancérologie, Montreal), mit denen sich Ew a Paluch
einen HFSP Young Investigator Grant teilte, erarbeitete sie neue Methoden, um die quantitative Verteilung der
Bestandteile des Zellkortex w ährend seiner Entstehung zu messen. Dazu nutzten sie Blebs, Ausstülpungen
der Zellmembran, die durch das Zusammenziehen des Zellkortex im Inneren der Zelle – direkt unterhalb der
Membran – entstehen. Diese Blebs beinhalten anfangs keinerlei fadenförmiges Aktin, bauen aber einen Kortex
auf, bevor sie sich w ieder einstülpen. Insofern sind sie ideal, um die Entstehung eines Kortex von Grund auf zu
untersuchen. Die Arbeitsgruppe von Paluch hat dazu eine Technik entw ickelt, mit der man die Formation von
Blebs anregen und die Zusammensetzung des sich neu bildenden Zellkortex an der Oberfläche von Blebs
quantitativ analysieren kann. Zudem ist es ihnen gelungen, Blebs von Zellen abzulösen und separat
biochemisch zu untersuchen – das gab w eitere Hinw eise auf die möglichen Regulatoren. Zusätzliche Analysen
mit Hilfe von Massenspektrometrie haben schließlich den Schluss nahegelegt, dass der Kortex ein Verbund aus
zw ei ineinandergreifenden, aber dennoch unabhängig funktionierenden Aktin-Netzw erken ist. Veränderungen
der kleinsten Bestandteile führt zu einer Veränderung der gesamten Organisation des Kortex und seiner
physikalischen Eigenschaften.
Schließlich w arfen die Forscher auch noch einen Blick auf die Architektur des Zellkortex: W ie ist das Ganze
räumlich angeordnet? Darüber w ar bisher auch nichts bekannt – kein W under, denn der Zellkortex ist w eniger
als 300 Nanometer dick und damit gerade an der Grenze dessen, w as man in der gängigen Lichtmikroskopie
sichtbar machen kann. Das Team um Ew a Paluch entw ickelte neue Messmethoden und kann nun die Dicke des
Kortex auf 30 bis 40 Nanometer genau bestimmen – sie haben sich dabei an dem Abstand zw ischen der
Plasmamembran und den Aktinfilamenten orientiert. In der Zukunft soll nun erforscht w erden, w ie diese Dicke
genau reguliert w ird.
Bläschen und Fortsätze: Wie Zellen wandern
Bew egt sich eine Zelle im Raum fort, nutzt sie manchmal Zellfortsätze, die aus der Plasmamembran w achsen –
sogenannte Lamellipodien. Manchmal ist eine Alternative dazu aber die Fortbew egung über Blebs – etw a
w ährend der Embryonalentw icklung. Auch Krebszellen nutzen gerne diese Art der Fortbew egung. W as sind die
Faktoren, die eine Zelle die eine oder andere Fortbew egungsart w ählen lässt? Bisher w ar das vollkommen
unklar. Die Forschungsgruppe von Ew a Paluch hat sich mit mehreren Projekten darangemacht, erste
Antw orten zu finden.
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
2/4
Jahrbuch 2012/2013 | Paluch, Ew a | Richtig in Form – W ie sich Zellen formen und w ie sie sich bew egen
A bb. 1: Kre bsze lle n in Kultur, be i de ne n da s Struk turprote in
Ak tin m ithilfe e ine s Ak tin-binde nde n, fluore szie re nde n P e ptids
sichtba r ge m a cht wurde . Die Ze lle n form e n e ntwe de r Ble bs
(türk is) ode r La m e llipodie n (ge lb).
© Ma rtin Be rge rt, Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re
Ze llbiologie und Ge ne tik
In lebenden, sich entw ickelnden Zebrafisch-Embryonen beobachten die Forscher in einer Zusammenarbeit mit
Carl-Philipp Heisenberg (Institute of Science and Technology Austria) die Fortbew egung von Zellen. Zellen im
mittleren und inneren Keimblatt des Embryos nutzen eine Kombination aus Blebs, Lamellipodien und Filopodien
(fadenförmige Ausstülpungen) w ährend der Gastrulation – w enn sich das Gew ebe einstülpt, also extrem
bew egt. Das macht sie zu einem geeigneten Studienobjekt, w ill man die verschiedenen Grundlagen von
Zellfortbew egung
untersuchen.
Die
Forscher
haben
das
System
manipuliert
und
die
Anteile
der
Fortbew egungsarten verändert: Erhöht man etw a den Anteil an Blebs, so verlangsamt man die Fortbew egung
der Zelle deutlich, auch ist die Bew egung w eniger zielgerichtet. Verändert man das Verhältnis von
Lamellipodien zu Blebs, beeinflusst das ebenfalls die Geradlinigkeit der Bew egung. W ie es scheint, ist die
Fortbew egungsstrategie von Vorläuferzellen in diesem Gew ebe eine Kombination aus Herumtaumeln und
schnellem, geradlinigem Vorw ärtsbew egen: Die Lamellipodien sind für die Sprintpassagen verantw ortlich, die
Blebs steuern das Taumeln. Die Kombination ergibt eine optimierte Strategie für eine recht präzisierte
Bew egung, deren Ziel im Falle der Embryonalentw icklung eines Zebrafisches ja immerhin ein bew egliches Ziel
ist, nämlich die verteilte Konzentration eines bestimmten chemischen Stoffes.
Ein w eiteres Projekt untersucht die beiden alternativen Fortbew egungsarten (Blebs oder Lamellipodien) in
Krebszellen. Je nach Kulturverfahren kann man die Zellen dazu bringen, die eine oder andere Variante zu
w ählen. Die mechanischen und vor allem auch molekularen Bedingungen der beiden Varianten lassen sich so
im direkten Vergleich untersuchen. Weitergehende Projekte sind geplant, die den Kontakt der Zelle mit ihrem
Untergrund w ährend einer Blebs-gesteuerten Bew egung genauer in den Blick nehmen sollen.
Und PLOP! entsteht ein Bleb!
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
3/4
Jahrbuch 2012/2013 | Paluch, Ew a | Richtig in Form – W ie sich Zellen formen und w ie sie sich bew egen
A bb. 2: Da s Bild ze igt die P rä chorda lpla tte e ine s
Ze bra fische m bryos – die R e gion, wo spä te r die Mundöffnung
e ntste ht. Zu se he n sind die Ze llm e m bra ne n (grün) und da s
Ak tinge rüst de r Ze lle n (rot). An de r Ka nte sind de utlich Ble bs
e rk e nnba r.
© Alba Diz-Muñoz
Blebs, die kleinen Bläschen, die sich aus der Zellmembran stülpen, spielen – w ie oben gezeigt – eine w ichtige
Rolle bei der Zellteilung und bei der Fortbew egung von Zellen; dennoch w eiß man quasi nichts über die
mechanischen Kräfte, die bei ihrer Entstehung w irken. Das Dresdner Team hat diese Kräfte in direktem
Zusammenhang mit den Kräften im Zellkortex unter die Lupe genommen. Indem sie die Zelloberfläche mit
Laser beschießen, können Forscher im Labor die Bildung von Blebs provozieren und gleichzeitig dabei auch die
Anspannung des Zellkortex messen. Es zeigte sich: Die Ausbildung von Blebs w ird ganz direkt durch den Druck
ausgelöst, den das Aktin-Netzw erk im Inneren der Zelle aufbaut – und der sich mit Bildung der Blebs auch
sofort deutlich verringert. Die Forscher können nun Aussagen zum Verhältnis von Druckkraft des Kortex und
Größe der Blebs machen: Eine impulsgebende Anspannung ist nötig, um ein Bleb herauszuformen, erhöht oder
verringert man den Druck, kann man in sich fortbew egenden Zellen die Herausbildung von Blebs anregen oder
unterdrücken. Gerade ist es den Forschern schließlich auch gelungen, die mechanischen Faktoren zu
identifizieren, die für die Geschw indigkeit der Bildung von Blebs verantw ortlich sind – die Ergebnisse w ollen sie
demnächst veröffentlichen.
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
4/4
Herunterladen