Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Andreas Jäger Einführung in die Sprachwissenschaft I 1. Einleitung • ca. 7000 Sprachen auf der Welt – viele gemeinsame Eigenschaften (Stichwort: Universalien) • angeborene Fähigkeit des Menschen, eine Sprache zu erwerben (Stichwort: Universalgrammatik), Sprachwissenschaft als Grundlagenforschung • Anwendungen u. a. klinischeLinguistik/Patholinguistik (Diagnostik und Therapie von Sprach- und Stimmstörungen), Sprachunterricht (DaF, Deutschunterricht an Schulen), Computerlinguistik (z. B. Suchmaschinen, Spracherkennung, Übersetzungsprogramme) • Sprache als Zeichensystem, sprachliche Ausdrücke als bilaterale Zeichen (Ferdinand de Saussure): Arten von Zeichen: • Zeichen sind Gegenstände, die andere Gegenstände repräsentieren. ◦ X ist ein Symptom für Y, wenn X von Y verursacht wird. z.B.: umgefallene Bäume sind ein Symptom für Sturm durchschnittliche Tonhöhe können ein Symptom für das Geschlecht oder das Alter eines Sprechers sein. ◦ X ist ein Symbol für Y, wenn X gemäß einer Festlegung oder Regel für Y steht. z.B.: Verkehrszeichen, die Wörter Buch und Tisch stehen symbolisch für die Konzepte 'Buch' und 'Tisch', die Schriftzeichen/-Buchstabenfolge <sch> ist ein Symbol für den Sprachlaut [∫]. • Symptome und Symbole können ikonisch sein, d.h. sie ähnenln dem, was sie bezeichnen. ◦ Beispiele: Fußabdrücke, Reifenspuren (ikonisches Symptome) ◦ Verkehrszeichen für Fußgängerüberweg (ikonisches Symbol) • In den Zeichensystemem natürlicher Sprachen sind Symptome und Symbole zumeist nicht-ikonisch (arbiträr) und konventionell. Sprachliches Zeichen 1 Signifikant (frz. signifiant) Signifikat (frz. signifié) Bezeichnendes Bezeichnetes Zeichenausdruck Zeicheninhalt Formativ Bedeutung Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 • zwei wichtige Arten der Beziehungen sprachlicher Zeichen untereinander: • syntagmatisch: Beziehungen zwischen Einheiten in der linearen Kette (Syntagma) einer Äußerung • paradigmatisch: Beziehungen zwischen Einheiten, die an der gleichen Stelle im Syntagma füreinander einsetzbar sind (Menge dieser Einheiten: Paradigma) Wie wird Wahrnehmung versprachlicht? • Referenz: der Referent eines Zeichens ist das außersprachliche Bezugsobjekt, d.h. die Entität der Sachverhalt in der wirklichen (oder auch fiktiven) Welt, auf den sich das Zeichenbezieht. Dies geschieht unabhängig von der jeweiligen Sprechsituation • Prädikation: das Prädikat trifft eine Aussage über eine Entität oder einen Sachverhalt und kategorisiert diese somit. Die Variablen eines Prädikats sind diejenigen Entitäten, die durch das Prädikat in eine Relation gesetzt werden . • Deixis: im Gegensatz zu Referenz sind deiktische Elemente nur verständlich als Indizes einer bestimmten Sprechsituation. Sie stellen eine Relation zwischen Gesagtem und der Sprechsituation her, indem sie spezifisch auf die Situation verweisen. Natürliche menschliche Sprache zeichnet sich durch folgende distinktive Merkmale aus: • Rekursivität: Wiederkehrende Muster innerhalb sprachlicher Strukturen erlauben theoretisch unendliche Verknüpfungen mit endlichen Mitteln und Regeln (Beispiel: Schachtelsätze) a. Der Taucher, der den Wal sah, bekam Angst. b. Der Taucher, der den Wal, der den Hai jagte, sah, bekam Angst. c. Der Taucher, der den Wal, der den Hai, der die Krabbe verfolgte, jagte, sah, bekam Angst. d. Der Taucher, der den Wal, der den Hai, der die Krabbe, die den Seestern beobachtete, verfolgte, jagte, sah, bekam Angst. e. Der Taucher, der den Wal, der den Hai, der die Krabbe, die den Seestern, der auf dem Grund entlangschlich, beobachtete, verfolgte, jagte, sah, bekam Angst. f. Der Taucher, der den Wal, der den Hai, der die Krabbe, die den Seestern, der auf dem Grund, welcher sich als sehr sandig erwies, entlangschlich, beobachtete, verfolgte, jagte, sah, bekam Angst. • Doppelte Artikulation: Sprachliche Ausdrücke haben zwei separate kombinatorische Teilsysteme • minimale bedeutungsunterscheidende Einheiten (Form, Phoneme s.u.) • minimale bedeutungstragende Einheiten (Zeichen, Morpheme, s.u.) Sprachliche Ebenen: • Phonologie Lautsystem • Morphologie/Lexikon Wortstruktur • Syntax Satzbau • Semantik Bedeutungslehre Diese bilden zusammen das Sprachsystem. Daneben gibt es... 2 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 • Pragmatik Sprachverwendung Weiterhin wird Sprache nach den folgenden Kriterien untersucht: • synchrone (Sprachsystem zu einem Zeitpunkt) vs. diachrone (Sprachsystem im Zeitverlauf, auf Sprachwandel ausgerichtete) Betrachtungsweise • Sprache als soziales Phänomen: sprachliche Varietäten in Abhängigkeit von geografischen Variablen (Dialekte) oder sozialen Variablen (Soziolekte) → Dialektologie, Soziolinguistik • Sprache als biologisches und psychologisches Phänomen: Gehirnaktivität bei Produktion • und Rezeption von Sprache, v. a. in der linken Hemisphäre (linke Hälfte des Großhirns) → Neurolinguistik • Prozesse der Sprachproduktion und –rezeption z. B. anhand von Versprechern oder Verarbeitungszeiten verschiedener sprachlicher Strukturen untersuchbar → Psycholinguistik 2. Phonetik und Phonologie • • Primat der gesprochenen Sprache, befaßt sich mit den kleinsten Bauteilen der Sprache Phonetik untersucht die materiellen (physiologischen und physikalischen) Eigenschaften mündlicher Äußerungen → Artikulatorische Phonetik Akustische Phonetik → Auditive Phonetik • Phon: durch auditive Segmentierung gewonnene lautliche Elementareinheit, klassifizierbar nach artikulatorischer Hervorbringung (s.u.), wiedergebbar in IPA (International Phonetic Alphabet) → Transkription • Nicht-Eindeutigkeit der Orthografie: [f]: <f> Farbe <v> Vogel <ph> Pharao <w> Löwchen <pf> Pfahl (Standard-, Umgangslautung) <ch>: 3 Hörer Schallsignal Sprecher [ç] [k] [x] [ʃ] Chile Fuchs Bach Chile (umgangssprachlich, bzw. regional) Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 2.1 Artikulatorische Phonetik 2.1.1 Die Zeichen des internationalen phonetischen Alphabets (IPA) Mit den folgenden Zeichen lassen sich die Sprachlaute der Welt darstellen. Das Deutsche verfügt wie alle Sprachen nur über einen Teil der Laute. Für die Transkription der deutschen Diphthonge werden in der Literatur verschiedene Zeichen verwendet (siehe Meibauer et al. (2002: 80) Das IPA zum Anhören: http://www2.uni-jena.de/~x1siad/lehre/IPA/ipa.html 4 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 2.1.2 Grundlagen der Phonetik Orte und Phasen der Lautproduktion: Lungen und Atemwege <> Kehlkopf mit Stimmlippen <> Rachen, Mund- und Nasenhöhle (Ansatzrohr) <> Initiation (Ausströmen der Atemluft) Phonation (Erzeugung des Stimmtons) Artikulation im engen Sinn (Modulation des Luftstroms) Phonation: - im Kehlkopf (Larynx) umschließen die Stimmlippen/Stimmbänder die Stimmritze (Glottis) Stimmlippen Stellknorpel Stimmritze Schildknorpel - Es gibt eine Reihe von Phonationstypen. Diese hängen ab vom Öffnungsgrad der Glottis, welche vor allem durch die Knorpel geregelt wird. - Sind die Stimmlippen/Stimmbänder wie in der Darstellung oben nicht vollständig geschlossen, sondern berühren einander locker, sodaß sie in Schwingung versetzt werden können (Phonationsstellung), kann Phonation (Stimmerzeugung) stattfinden. Artikulatorische Kriterien zur Klassifikation von Lauten: • Luftstromrichtung • Stimmbandzustand (siehe Zeichnung unten) • Luftstromweg ◦ gesenktes Velum + oraler Verschluß > Nasallaut ◦ gesenktes Velum + orale Öffnung > nasalierter Laut ◦ gehobenes Velum > andere Laute Artikulation: - Artikulationsstellen und -organe 5 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 ...weitere Artikulationsarten sind... apikal (Zungenspitze) laminal (Zungenblatt) dorsal (Zungenrücken) pharyngeal (Rachenraum/Pharynx) 2.1.3 Die Konsonanten des Deutschen bilabial Plosive labio dental -dental p b Frikative f v alveo -lar t d s z Approxi -manten Nasale palatal velar k ʃ Ʒ ç uvular g x m n l Vibranten r glottal ʔ χ ʁ j Laterale 6 post -alveolar ŋ R h Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 2.1.4 Die Vokale des Deutschen • • außerhalb der Ellipse: gespannt, in betonten Silben lang innerhalb der Ellipse: ungespannt, immer kurz (außer [ε], auch als Langvokal [ε:]) Artikulation der Diphthonge: Beispiele: 7 [aı] [aʊ] [ɔı] Fileserver Haus heute Blei Bowdenzug teuer Meyer auch Käufe Mais Clown Säule Waise Kakao ahoi Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 2.2 Phonologische Grundbegriffe und Merkmale - Phonologie untersucht die Funktion von Lauteinheiten (Phonemen) innerhalb eines Sprachsystems. Dabei stehen nicht die physiologischen/physikalischen Eigenschaften der Laute im Zentrum, sondern die Rolle der Laute bei der Bedeutungsunterscheidung. - Phonem: das kleinste (="minimale") bedeutungsdifferenzierende (="distinktive") Segment einer Sprache, Schreibweise: /.../ (vs. Phon: [...]) - Phonembestimmung durch Minimalpaarbildung, Phoneme stehen in Opposition/ kontrastieren - Minimalpaare sind Wortpaare, bestehend aus Wörtern mit unterschiedlicher Bedeutung, die sich genau in einem Segment unterscheiden, z. B.: [ba:n] Bahn vs. [va:n] Wahn - Es gibt auch Minimalpaare mit nur einer Lauteigenschaft (einem phonologisches Merkmal, s.u.) in distinktiver Funktion: [Ɂal] All vs. [Ɂa:l] Aal Merkmal ±kurz, bzw. ±lang - Allophon: alle Varianten/ Realisierungen eines Phonems – unterscheiden sich in nicht distinktiven (nicht bedeutungsdifferenzierenden) Merkmalen (keine Minimalpaarbildung möglich) - Arten der Variation: • stellungsbedingte Variation/komplementäre Distribution: • Aspiration (Behauchung) von Plosiven z. B. [p] in Spule vs. [pʱ] in Pudel (am Silbenanfang vor Vokal) • Ich- und Ach-Laut z. B. [x] in hoch vs. [ç] in euch o. durch ([x] nach hinteren und zentralen Vokalen, [ç] in allen anderen Kontexten) • freie Variation: regionale r-Varianten z. B. [r] vs. [R] - Phonem als Bündel distinktiver Merkmale - Eigenschaften phonologischer Merkmale: • Binarität (Zweiwertigkeit: + oder -) • Distinktivität (bedeutungsdifferenzierende Funktion) • Universalität (Anwendbarkeit auf alle Sprachen) • phonetischer Gehalt (artikulatorisch/akkustisch/auditiv definierbar) - Oberklassenmerkmale des Deutschen: • +/- konsonantisch (Behinderung des Luftstroms oberhalb der Glottis) • +/- sonorant (spontan stimmhaft: Vokale und Sonoranten. d.h. /m/, /n/, /ŋ/, /l/, /R/) 8 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Phonemoberklassen des Deutschen: Vokale Sonoranten Obstruenten Laryngale konsonantisch - + + - sonorant + + - - - natürliche Klassen: durch Menge gemeinsamer Merkmale charakterisierbare Klassen von Lauten - Konosonantenklassen: Konsonanten [+ kons] Obstruenten [- son] Frikative [+ kont] Sonoranten [+ son] Plosive [- kont] Liquide [- nasal] Nasale [+ nasal] Laterale [- kont] Vibranten [+ kont] 2.3 Phonologische Prozesse und Regeln - Zusammenhang verschiedener Lautformen verwandter Wörter und Sätze (z.B. Wortformen eines Lexems (Definition s.u.) Bogen – Bögen, verschiedenen, verwandten Lexemen lang - länglich) darstellbar durch Ableitung (Derivation) einer Form aus der anderen mit Hilfe phonologischer Prozesse und Regeln - bedingende Faktoren: • sprachinterne (Lautkontext, Position im Wort, morphologische Bedingungen), z.B. Umlaut (Vorverlagerung hinterer Vokale) im Neuhochdeutschen morphologisch bedingt: vor Pluralaffix –er (Affix s.u.) obligatorisch, bei Pluralaffix –e und Nullaffix fakultativ (Buch – Bücher, Gast – Gäste, Vogel – Vögel), im Konjunktiv II starker (sang – sänge) und gemischter Verben (brachte – brächte), in Komparationsformen einiger Adjektive (lang – länger) und vor bestimmten Derivationsaffixen z. B. Diminutivsuffix (Suffix s.u.) (Kasten – Kästchen); Umlaut im Althochdeutschen durch Lautkontext bedingt (siehe unten) • sprachexterne/durch Sprachverwendung (Kommunikationssituation, Sprechtempo, Stilebene), z. B. Schwa-Tilgung (Elision) vor Sonoranten im Wortauslaut, Angleichung (Assimilation) des Nasals an vorausgehenden Plosiv durch höheres Sprechtempo und niedrigere Stilebene (Umgangssprache) bedingt (Leben [le:bən] – [le:bņ] – [le:bm]) - allgemeine Form phonologischer Regeln: A → B/X___Y Merkmal(e) A (= Input) wird/werden zu Merkmal(en) B (= Output), wenn A nach X und vor Y steht (= Kontext), wobei X und Y Merkmale oder phonolog./morpholog. Grenzen sein können, z. B. # Wortgrenze + Morphemgrenze $ oder . Silbengrenze 9 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 2.3.1 Beispiele für phonologische Prozesse und Regeln - Assimilation: Angleichung eines Segments in bestimmten Merkmalen an andere Segmente im Äußerungskontext. Je nach Assimilationsrichtung wird unterschieden... • progressive Assimilation: vorangehendes Segment bewirkt Angleichung eines folgenden Segments, A → [αMi ] / [αMi ]___ z. B. Angleichung des Nasals an vorausgehenden Plosiv (Leben [le:bən]/[le:bņ] – [le:bm], legen [le:gən]/[le:gņ] – [le:gŋ]) [+nas, +kor, +silb, -lab, -hint] → [-kor, αlab, βhint] / [-son, -kont, -kor, αlab, βhint]___ • regressive Assimilation: nachfolgendes Element bewirkt Angleichung eines vorausgehenden Elements, A → [αMi ] / ___[αMi ] z. B. Angleichung des Nasals an folgenden (velaren) Plosiv (unklar [...nk...] [...ŋk...]) [+nas, +kor, -hint] → [-kor, +hint] / ___[-son, -kont, -kor, +hint] - je nach Nähe der beteiligten Segmente: • Kontaktassimilation: Angleichung unmittelbar benachbarter/adjazenter Segmente (s. Beispiele oben) • Fernassimilation: Angleihung zwischen nicht-adjazenten Segmenten/über andere Segmente hinweg, z.B. Umlaut im Althochdeutschen: (gast – gesti durch /i/ oder /j/ der Folgesilbe bewirkte Angleichung des Stammvokals von [- vorn] zu [+ vorn]) - Dissimilation: Segmente werden einander in bestimmten Merkmalen unähnlicher, z. B. in wortfinalen Konsonantenclustern aus zwei Frikativen diachrone Entwicklung zu Plosiv und Frikativ, d.h. Dissimilation bzgl. [±kont] (Mhd. wahs [vaχs] – Nhd. Wachs [vaks]) - Elision: Tilgung von Segmenten, X → Ø / Y___Z z. B. Schwa-Tilgung zwischen stimmhaften Plosiven und Nasalen (Leben [le:bən] – [le:bņ]), Tilgung stimmhafter Plosive vor silbischen Nasalen (reden [R e:dņ] - [R e:ņ]), Tilgung des wortfinalen Plosivs in (nicht [n I çt] – [n I ç]) - Epenthese: Hinzufügen von Segmenten, Ø → X / Y___Z z. B. Einfügen eines am gleichen Artikulationsort gebildeten Plosivs zwischen Nasal und koronalem, stimmlosen Obstruenten (/t/ oder /s/) (kommt [...mt] – [...mpt]) - Neutralisierung: Aufhebung des Kontrasts zwischen zwei Phonemen in einem bestimmten Kontext, z. B. Auslautverhärtung: im Silbenauslaut (Silbenkoda, s.u.) Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Obstruenten zugunsten der Letzteren aufgegeben (buntes [...t...] – Bundes [...d...] vs. bunt [...t] - Bund [...t]) [-son, +kons, +sth] →[-sth] / ___ 10 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 2.4 Prosodische Phonologie 2.4.1 Silbenstruktur - Silbenstrukur (Konstituentenmodell und C-V-Modell): σ Onset (Ansatz) Reim Nukleus (Kern) Koda (Auslaut) C C V C C k v a l m - Silbe besteht mindestens aus Nukleus/Kern (d.h. Onset und Koda können fehlen) - erstes Element des Nukleus = Silbengipfel: Segment mit höchster Sonorität, d.h. höchster Öffnungsgrad/Schallintensität/Lautstärke; Vokal oder silbischer Konsonant; Abkürzung: V (alle anderen Segmente der Silbe: C) - jeweils zum Silbengipfel hin ansteigende Sonorität, danach abfallend (phonotaktische Beschränkung, z. B. *lkaus - Sonoritätshierarchie: Plosive < Frikative < Nasale < /l/ < /r/ < hohe Vokale < Vokale - Besonderheiten: Diphthong = verzweigender Nukleus, erstes Segment = Silbengipfel, z. B. σ Onset (Ansatz) Reim Nukleus (Kern) C h 11 V a C ı Koda (Auslaut) C s Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Langvokale zählen phonotaktisch als V+C, z. B. σ Onset (Ansatz) Reim Nukleus (Kern) Koda (Auslaut) C V C C l o: p silbischer Konsonant als Nukleus (bei Schwa-Elision vor Sonorant), z. B. [le:bņ] σ σ Onset Reim Onset Nukleus C V l e: C Reim Nukleus C V b n - maximale Silbe im Deutschen: C C V C C entsprechend nach Kurzvokal (= V) zwei Konsonanten, nach Langvokal (= V+C) oder Diphthong (= V+C) jeweils nur ein Konsonant: ∫εlm (CVCC) - ∫e:l (CVCC) - *∫e:lm (CVCCC) – za I l (CVCC) - *za I lm (CVCCC) Besonderheit: koronale Obstruenten (/t/, /d/, /s/, /∫/) können noch vor oder nach der Silbe stehen (extrasilbisch) 2.4.2 Akzentstruktur - Silben (σ) bilden zusammen Obereinheiten: Füße (ein Fuß akzentuierte/betonte Silbe σ s und beliebig viele unbetonte Silben σ w ) - wichtigste Fußtypen: Trochäus: Σ σs Ta σw fel Jambus: Σ σw Pa 12 σs pier Σ enthält eine Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Daktylus: Σ σs Links σw ver σw kehr σw va σs lier Anapäst: Σ σw Ka - kopfinitiale (σ s ...) vs. kopffinale (... σ s ) Füße - Füße bilden Obereinheiten: phonologisches Wort/prosodisches Wort ω - Wortakzent: innerhalb des prosodischen Wortes trägt eine Silbe den Hauptakzent, (innerhalb eines Kompositums (zusammengesetztes Wort) ist der entsprechende Fuß damit ebenfalls akzentuiert/betont: Σ s ) • im Deutschen i.d.R. Hauptakzent auf Wortstamm (Präfixe und Suffixe unbetont, Ausnahmen z. B. ur-, un-, -ei, -ieren) • in Komposita Hauptakzent auf erstem Bestandteil (außer zweiter Wortbestandteil selbst Kompositum) ω Σs σs Bü Σw σw cher σw re σs gal - Satzakzent: innerhalb des Satzes eine Wortakzentsilbe am prominentesten/ durch Tonhöhe hervorgehoben, z. B.: Káthrin will MORgen nach Háuse fáhren. Káthrin will mórgen nach HAUse fáhren. - Tonhöhenverlauf/ Intonation dient u.a. zur Unterscheidung der Satzmodi (Deklarativsatz, Interrogativsatz etc.) • fallend/terminaler Verlauf, z. B.: Es regnet. • steigend/interrogativer Verlau, z. B.: Es regnet? • gleichbleibend/progredienter Verlauf, z. B.: Wenn es regnet, ... dagegen Tonhöhe im Deutschen nicht distinktiv auf Wortebene (Intonationssprache vs. Tonsprache) 13 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 3. Lexikon und Morphologie 3.1 Grundbegriffe Zwischen den Elementen des folgenden Wortpaars nehmen wir intuitiv eine Beziehung wahr: Hund <> Hunde Dies liegt daran, daß beide das gleiche Lexem enthalten, aber eins um ein Morphem erweitert ist. Das erste Element besteht lediglich aus einem Lexem, das zweite (Hunde) ist komplex, es besteht aus zwei bedeutungstragenden Bestandteilen (> Zeichen). - Lexikon: Wortschatz, Komponente des Sprachsystems, Menge von Lexikoneinträgen: sprachliches Wissen über ein Wort (strukturiert: u.a. Wortfelder/lexikalische Felder, Frames/Scripts) (daneben mentales Lexikon: mentaler 'Wortspeicher'). - Das Lexikon besteht aus Lexemen. Diese sind „Einträge“ in unserem mentalen Lexikon, einem Inventar bedeutungstragender Elemente. LEXEM: Phonologie /hunt/ Syntax NOMEN Semantik 'Hund' Wie ein Wörterbucheintrag ist das Lexem ein Bündel aus Informationen über die Kernbedeutung, die Form, seine kontextbedingten Variationen und seine grammatische Kategorisierung und Eigenschaften. - Morphologie: untersucht die Struktur von Wörtern sowie die Regularitäten der Bildung von Wortformen (Flexion) und von neuen, komplexen Wörtern (Wortbildung, Hauptformen: Komposition, Derivation) - Morpheme: kleinste bedeutungstragende bzw. mit einer grammatischen Funktion assoziierte Baueinheiten von Wörtern (≠ Silbe: z. B. Lehrer – Morpheme Lehr + er, Silben Leh + rer, sprichst – Morpheme sprich-st, Silbe sprichst) • freie: kommen auch selbstständig als Wort vor, Wurzeln (s.u.) • gebundene: kommen nur in Kombination mit anderen Morphemen vor, v. a. (Flexions- und Derivations-) Affixe - Präfixe (z. B. be-, ent-, ver-) - Suffixe (z. B. –lich, -ung, -te, -en) - Zirkumfixe (z. B. ge-mach-t, Ge-red-e), daneben auch Konfixe: gebundene Morpheme, die oft vor oder nach der Wurzel stehen können (≠ Präfix, Suffix) und in Verbindung mit verschiedenen Morphemen auftreten können (z. B. Schwieger-mutter/-sohn, fanat-isch/ismus) unikale Morpheme: gebundene Morpheme, die jeweils nur in einer einzigen Morphemkombination vorkommen (z. B. Brom-beere, Schorn-stein) Fugenelemente/Fugenmorpheme: zwischen zwei Morpheme eingefügtes gebundenes Morphem, das oft der Ausspracheerleichterung dient, v. a. in Nominalkomposita (z. B. Arbeit-s-amt, Woche-n-ende) - Allomorphe: (komplementär distribuierte) Varianten eines Morphems, z. B. Dorf - dörflich 14 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Wörter aus einem Morphem: Simplizia (z. B. mit, grün, Turm) vs. Wörter aus mehreren Morphemen: komplexe Wörter (z. B. ver-gess-lich, Steh-lampe) - Lexikonerweiterung u. a. durch • Entlehnung • Neubildung (Neologismus vs. Okkasionalismus) 3.2 Wortarten und Flexion - Flexion: Bildung von Wortformen mit verschiedenen grammatischen/ morphosyntaktischen Merkmalen - grammatische/morphosyntaktische Merkmale (grammatische Kategorien): • Numerus (Singular, Plural) • Person (1. Person, 2. Person, 3. Person) • Genus (Maskulinum, Femininum, Neutrum; z. T. Zusammenhang mit Sexus – natürl. Geschlecht) • Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) • Tempus (flexivisch: Präsens vs. Präteritum, lexikalisch: Perfekt, Futur) • Modus (Indikativ, Imperativ, Konjunktiv I, Konjunktiv II) • Genus Verbi/ Diathese (Aktiv, lexikalisch: Passiv) • Komparation (Positiv, Komparativ, Superlativ) - Klassifikation verschiedener Wortarten (Lexemklassen) anhand morphosyntaktischer Merkmale/ Flexion: Wort flektierbar konjugierbar (nach Tempus flektierbar) unflektierbar deklinierbar (nach Kasus flektierbar) mit festem Genus nach Genus flektierbar nicht komparierbar Verb Nomen Pronomen Artikel syntaktische/semantische Unterklassifikation: Relativpronomen Demonstrativpronomen Personalpronomen Possessivpronomen Reflexivpronomen Interrogativpronomen Indefinitpronomen 15 komparierbar Adjektiv Unflektierbare syntaktische Unterklassifikation: Präposition koord./subord. Konjunktion Subjunktion Interjektion Adverb Partikeln Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Beispiele: flektierbare Wörter lassen Flexion zu, sind also kontextbedingt veränderlich in der Form, bzw. treten in verschiedenen Wortformen auf, von denen eine die Nenn- oder Zitierform ist • verbale Wörter: lassen Konjugation zu ◦ Verben laufen ◦ Hilfsverben sein • nominale Wörter: lassen Deklination zu ◦ Nomen ▪ Konkreta Treppe ▪ Abstrakta Freiheit ▪ Kollektiva Geschirr ▪ Materialnamen Ammoniak ▪ Eigennamen Frankfurt ▪ Mengenangaben Prise ▪ Deverbativa (aus anderen Wortarten abgeleitet) • Nomina acti Getretener • Nomina actionis Schrei • Nomina agentis Tischler • Nomina instumenti Decke ◦ Adjektive grün ◦ Artikel ein ◦ Pronomina du ...nicht flektierbare Wörter haben in jedem Kontext die gleiche Form • Konjunktionen und • Partikelwörter ◦ Antwortpartikeln ja ◦ Interjektionen ähm ◦ Modalpartikeln halt ◦ Negationspartikeln nicht • Präpositionen zu Weitere Wortarten lassen sich nicht ohne weiteres den primären oder sekundären Wortarten zuordnen, wie z. B. Numeralia oder Negationswörter. - Wort: Lexem (Wortart gemäß Lexikoneintrag, Wortart aufgrund möglicher Flexionsformen/Flexionsparadigma) vs. syntaktisches Wort (Wortart aufgrund der konkreten grammat. Merkmale im syntakt. Kontext), häufig Übereinstimmung (prototypischer Gebrauch), z.T. nicht-prototypischer Gebrauch Bsp.: der träumende Onkel (Lexemklasse Verb, syntakt. Wortart Adjektiv) Er singt furchtbar (Lexemklasse Adjektiv, syntakt. Wortart Adverb) (weitere Wortbegriffe: phonologisches Wort, orthografisches Wort) - Flexionsparadigma: Menge der Flexionsformen eines Wortes - Synkretismus: gleiche Form für verschiedene Funktionen/Merkmalswerte im Paradigma (z. B. Eimer: Nom./Dat./Akk. Sg., Nom./Gen./Akk. Pl.) 16 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Markiertheit: markierte Formen sind gegenüber unmarkierten Formen i.d.R. morphologisch gekennzeichnet (z. B. Plural gegenüber Singular markiert) 3.2.1 Deklination - Übereinstimmung (Kongruenz) von Artikel, Adjektiv und Nomen in der Nominalphrase bzgl. Kasus, Numerus und Genus - Flexionsklassen/Deklinationsklassen des Nomens (nach Eisenberg 1998; Achtung: Es gibt verschiedene Einteilungen, s. z. B. Duden-Grammatik ohne gemischte Deklination!): Flexionsklasse I: stark (mask., neutr.) II: schwach (mask.) III: gemischt (mask., neutr.) IV: feminina Kennzeichen -(e)s im Genitiv Sg., Nom. Plural –e/-er/-Ø außer Nom. Sg. alle Kasusformen auf –(e)n -(e)s im Genitiv Sg., aber –(e)n in Pluralformen alle femininen Nomen, im Singular ohne Endung Beispiel: Sing. NOM GEN DAT AKK Tisch Bär Ende Burg -(e)s -(e) - -en -(en) -(en) -s - - -e -e -en -e -en -en -en -en -n -n -n -n -en -en -en -e Pl. NOM GEN DAT AKK (Die meisten Maskulina und Neutra werden stark dekliniert.) - starke und schwache Flexion von Adjektiven (vgl. Duden §§ 488-491): • Hintergund: Wortgruppenflexion der Nominalphrase - Artikel, Adjektiv u. Nomen zeigen zusammen Numerus, Genus u. Kasus an, Adjektivflexion syntaktisch gesteuert (genau ein Hauptmerkmalssträger pro Nominalphrase: am weitesten links stehende, endungstragende Wortform; Adjektiv stark flektiert, wenn es Hauptmerkmalsträger ist, sonst schwach; Artikel stark flektiert, wenn Hauptmerkmalsträger, sonst endungslos) • nach einem Artikel/Determinierer mit Endung wird ein Adjektiv schwach flektiert, sonst stark: der frische Atem vs. ein frischer Atem, ihr frischer Atem, frischer Atem (dagegen in Meibauer et al. (2002: 24f.) zusätzliche Unterscheidung: ohne Artikel stark, nach indef. Artikel gemischt) - Artikel und Pronomen: starke, 'pronominale' Deklination Kategorien des Nomens (Deklination): - können auch als Deklinationsparameter bezeichnet werden. 17 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Kasus weist dem Nomen, bzw. dem nominalen Satzglied eine grammatische Funktion zu. • Nominativ: Subjektsfall. Der Nominativ ist zugleich auch der Nennkasus. Er gilt im Deutschen als der unmarkierte Fall, d.h. das Nomen erhält keine spezielle Kasusendung. • Akkusativ: Objektsfall. Ein im Akkusativ stehendes Nomen ist markiert, d.h. morphologisch komplex. • Dativ: Fall des indirekten Objekts. Der Dativ zeigt an, daß einem Satzglied die Rolle des Zugewendetseins zukommt. Syntaktisch wird der Dativ wird von Präpositionen bestimmt, d.h. ein durch eine Präposition eingeleiteter nominaler Satzteil steht im Dativ. Kann bisweilen als Objektfall fungieren: Man huldigte dem Mammon. • Genitiv: Fall der Zugehörigkeit, Herkunft. Kann in einigen Fällen als Objektkasus fungieren: Wir erinnerten einer Idee. - Numerus gibt Aufschluß über die Anzahl. Es gibt in den Sprachen der Welt eine Reihe von Numeri, also unterschiedliche systematische Mengenangaben. Das Deutsche unterscheidet lediglich zwischen Singular (Einzahl) und Plural (Mehrzahl). Der Numerus ist besonders wichtig im Pronominalsystem, da es je nach Numerus besondere Gruppen von Pronomina gibt. - Genus (grammatisches Geschlecht) ist im Grunde eine Nominalklassenmarkierung, d.h. die Menge aller Nomen wird mehr oder weniger arbiträr in Unterklassen eingeteilt, die mit jeweils einem Genus markiert werden. Das Deutsche unterscheidet zwischen Maskulinum, Femininum und Neutrum. 3.2.2 Konjugation - infinites Verb: bzgl. Person, Numerus, Modus, Tempus unbestimmte Verbform: Infinitiv/ Partizip I/ Partizip II/ zu-Infinitiv - finites Verb: flektierte/konjugierte Verbform, trägt Person-, Numerus-, Modus- und Tempusmerkmale - Person-Numerus-Kongruenz zwischen Subjekt und finitem Verb - synthetische Verbform: besteht aus einer Wortform (z. B. Präsens, Präteritum), analytische Verbform: wird mit Hilfsverb (Auxiliar) gebildet/ besteht aus mehreren Wortformen (z. B. Perfekt, Plusquamperfekt) Flexionsklassen/Konjugationsklassen des Verbs: - starke Flexion: im Präteritum und Partizip II anderer Stammvokal als im Präsens (Ablaut), z. B. treffen – traf – getroffen, schneiden-schnitt-geschnitten - schwache Flexion: im Präteritum und Partizip II Suffix –t(e), kein Vokalwechsel z. B. Vermuten vermutete – vermutet, sagen – sagte – gesagt (manchmal wird noch - gemischte Flexion unterschieden: Vokalwechsel und –t(e) im Präteritum/Partizip II, z. B. rennen rannte – gerannt) 18 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Kategorien des Verbs: - können auch als Konjugationsparameter bezeichnet werden. Der Verbkomplex ist das zentrale Element des Satzes. Bestimmte Kategorien werden am Verb markiert und sind deshalb verbale Kategorien. - Tempus bezeichnet die Zeit des ausgedrückten Sachverhalts relativ zum Zeitpunkt der Äußerung, also relativ zum Sprecher: Er wird im Verlauf des Jahres 1999 seinen Abschluß machen. Die durch das Tempus ausgedrückte, durch den Verbalkomplex wird...machen kodierte, Zukunft ergibt nur Sinn in Relation zum Zeitpunkt der Äußerung. - Aspekt bezeichnet die interne zeitliche Organisation eines Sachverhalts, bzw. deutet an, was daran jeweils relevant für die Aussage ist a. Er wird gegangen sein. a. Er war gegangen. Obwohl die beiden Aussagen sich vom Tempus her auf unterschiedliche Zeiten beziehen, drückt die Aspektform gegangen in beiden Fällen das Ende oder den Abschluß eines Prozesses aus. Solche Konzeptualisierung is unabhängig von absoluter Zeit. - Modus repräsentiert das Verhältnis von Sprecher und Aussage (eine Ausdrucksform von Modalität). Der Sprecher bezieht mit dem Modus Position zum Ausgedückten. a. Er sagt, sie sei müde. b. Lauf weg! Sowohl beim Konjunktiv als auch beim Imperativ ist die Handlung als unrealisiert (nichtfaktisch) wiedergegeben. Modalität kann auch durch Modalverben ausgedrückt werden. a. Er kann gegangen sein. b. Er soll gegangen sein. - Aktionsart Diese Kategorie wird auch als lexikalischer Aspekt bezeichnet, weil sie im Deutschen nicht explizit markiert ist, also keine Konjugation fordert, sondern inhärenter Bestandteil der Verbbedeutung ist. Die Aktionsart der einzelnen Verben zeigt sich im Deutschen einerseits intuitiv im typischerweise evozierten Konzept, andererseits in der Inkompatibilität mit bestimmten anderen Ausdrücken: a. Er spähte eine Stunde lang. b. Er klopfte eine Stunde lang. c. *Er begann eine Stunde lang. Ein Satz wie (a) wird typischerweise so interpretiert, daß ein Beobachtungsvorgang die Dauer einer Stunde hatte. Im Fall (b) gibt es zwei Interpretationen: Entweder wurde eine typische Klopfbewegung sehr oft wiederholt, bis eine Sunde um war, oder aber der Klopfende brauchte eine geschlagene Stunde, um mit einer langsamen Bewegung ein Mal Berührung mit einer harten Oberfläche zu haben. - Diathese (genus verbi) Hier wird vermittels Veränderung des Verbkomplexes angezeigt, welcher Aktant welche Rolle spielt im Satz, die Funktionszuweisung wird also verändert. Diathese, also die Aktiv/PassivRelation ist im Deutschen streng genommen nicht morphologisch, sondern wird syntaktisch 19 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 geregelt, nämlich mit der Kombination auf einem Hilfsverb werden und dem Partizip II des lexikalischen Verbs. a. Ich schlage dich. b. Ich werde (von dir) geschlagen. Morphologische Prozesse: - Im Deutschen findet Konjugation entweder durch Affigierung oder ducrh Ablaut (s.o.) statt, systematische Änderung des Stammvokals zur Flexion - In anderen Sprachen gibt es weitere Formen der Flexion. Im Arabischen sind Stamm und Flexionsmorphem keine linear zusammenhängenden Einheiten. Stattdessen werden Lautsequenzen miteinander systematisch verschmolzen Klassisches Arabisch (einige Formen des Subjekts, 3. Person Singular) LEXEM 'schreiben' 'verdienen' DIATHESE AKTIV PASSIV AKTIV PASSIV Präsens (X-t) katab kutib daraj durij Kausativ (lasse X) kattab kuttib darraj durrij Reziprok (X sich gegenseitig) kaatab kuutib daaraj duurij Die konsonantische Wurzel des Stamms (k-t-b, bzw. d-r-j)) verbindet sich mit Vokalsequenzen auf unterschiedliche Art. Zusätzlich werden Laute systematisch verlängert, um Flexionsformen auszudrücken. 20 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 3.3 Wortbildung - Wortbildung: Bildung neuer/sekundärer Wörter durch Veränderung vorhandener Wörter - Derivationsaffix: Suffixe wie –bar, -ung (monogam: kommen nur in Verbindung mit Wurzeln einer Wortart vor), Präfixe wie ver-, un- (oft polygam: in Verbindung mit Wurzeln verschiedener Wortarten) - Wurzel: (zumeist) freies Morphem, unverzichtbarer lexikalischer Kern von Wörtern (mindestens ein Wurzelmorphem pro Wort) - Stamm: Morphem oder Morphemkomplex, an den Flexionssuffixe treten können, z. B. Leitung = Stamm aus Wurzel leit + Derivationssuffix –ung, kombinierbar mit Flexionssuffixen z. B. Leitung-en, versag = Stamm aus Wurzel + Derivationspräfix ver- und Wurzel sag, kombinierbar mit Flexionssuffixen z. B. Versag-st) (Alternativterminus für Stamm/Wurzel: Basis) - Wortbildungstypen: • Komposition: Zusammensetzung, Bildung eines Wortes aus zwei oder mehr vorhandenen Wörtern, z. B. Wurst-brot, kreis-rund • (explizite) Derivation: Ableitung, Bildung eines Wortes aus einem vorhandenen Wort und einem Derivationsaffix, z. B. Leucht-er, ent-nehmen • Konversion: Bildung eines neuen Wortes durch Änderung der Wortart, z. B. spiel-en Spiel, schwarz – schwärz-en (letztes Bsp. mit Vokalwechsel/Stammalternation: implizite Derivation) • Kontamination: Wortkreuzung/Kofferwort, Bildung eines neuen Wortes durch Verschmelzen zweier Wörter, wobei Wortmaterial gelöscht wird, z. B. mainzigartig (Mainz + einzigartig), jein (ja + nein) • Kürzung: Bildung eines neuen Wortes durch Tilgung von Anfang oder Ende eines vorhandenen Wortes, z. B. Foto (Fotografie), Rad (Fahrrad) • Abkürzung: Bildung eines neuen Wortes aus Einzelbuchstaben eines vorhandenen Wortes (i.d.R. Kompositum), ausgesprochen als Folge von Buchstabennamen, z. B. Lkw (Lastkraftwagen), AB (Anrufbeantworter) • Akronym: Bildung eines neuen Wortes aus Einzelbuchstaben eines vorhandenen Wortes (bzw. Syntagmas), wobei sich ein neues phonetisches Wort ergibt/nicht als Folge von Buchstabennamen ausgesprochen z. B. Vokuhila (vorne kurz hinten lang), SOKO (Sondereinsatzkommando) • Rückbildung: Bildung eines neuen, weniger komplexen Wortes durch Tilgung von Wortmaterial eines vorhandenen, komplexen Wortes, z. B. Uraufführen (<Uraufführung), staubsaugen (<Staubsauger) - konkatenative Wortbildung: Bildung eines neuen Wortes durch Verkettung (v. a. Derivation, Komposition) 3.3.1 Wortstruktur - Komplexe Wörter haben eine Struktur: • Abfolge der Morpheme nicht beliebig. • Bestimmte Morpheme gehören enger zusammen/ bilden Konstituenten. 21 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - darstellbar durch indizierte Klammerung oder Baumdiagramme, z. B. [N [A[N kind] [Sx lich]] [Sx keit]] N *[N [N kind] [[Sx lich] [ Sx keit]]] *N A N Sx kind lich Sx N Sx keit kind Sx Sx lich keit - so auch Ambiguitäten (Doppeldeutigkeiten) darstellbar: N N N N N Fu N N schule s mädchen handel N N Mädchen N N N Fu schule handel s Erläuterungen: * = ungrammatisch/nicht möglich, N = Nomen, A = Adjektiv, V = Verb, P = Präposition, Sx = Suffix, auch Naff = Affix, mit dem ein neues Nomen abgeleitet wird, Aaff = Affix, mit dem ein neues Adjektiv abgeleitet wird etc., Ko = Konfix, Nko /Ako = Konfix, mit dem Nomen/Adjektiv gebildet wird, Fu = Fugenelement (wird an vorausgehende Konstituente angehängt) - Grundbegriffe im Baumdiagramm: A B C D 22 E • • • • • • Knoten: A, B, C, D, E Dominanz: z. B. dominierende Knoten zu E: C, A Schwesterknoten: B und C, D und E Mutterknoten/unmittelbar dominierender Knoten: zu D und E: C, zu B und C: A Tochterknoten/unmittelbare Konstituenten: zu A: B und C, zu C: D und E Präzedenz: präzidierende Knoten zu E: B und D – i. d. R. binäre Verzweigungen Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Kopf: bestimmt Wortart, Flexionseigenschaften/Flexionsklasse, bei Nomen Genus der gesamten Bildung, i. d. R. Element ganz rechts (Kopf-rechts-Prinzip, Ausnahmen Naff Ge...(e), z. T. Vaff be-/ver-) A N N V Aaff V Naff A N mach bar Sitz ung Groß stadt - Kopf bestimmt bei Komposita oft auch Bedeutung des Gesamtausdrucks während Nicht-Kopf nur modifiziert: Determinativkompositum (z. B. Gemüsebeet, dunkelgrün), vs. Kopulativkompositum: beide Bestandteile semantisch gleichgeordnet (schwarz-weiß) - Wortbildungsprozess beschreibbar durch Wortbildungsregeln, z. B. • N → N+N z. B. Gemüsebeet • N → A+N z. B. Großstadt • N → V+N z. B. Laufmasche • N → P+N z. B. Untertasse - Wortbildungsregeln sind rekursiv: eine Regel kann auf ihr Ergebnis wieder angewendet werden, Bsp.: ein Nomen kann aus zwei Nomen zusammengesetzt sein, die jeweils wieder aus zwei Nomen zusammengesetzt sind usw. N N N N Computer monitor N N reinigungs N set - Wortbildungsregeln sind unterschiedlich produktiv (Sprachwandel): • produktiv: häufig genutzte Wortbildungsregel, z. B. Derivation von Nomen mit Suffix –er oder –ung (Drucker, Sendung) • schwach produktiv: nur noch selten genutzte Wortbildungsregel, z. B. Derivation von Nomen mit Suffix –tum (Bürgertum) • unproduktiv: nicht mehr genutzte Wortbildungsregel, z. B. Derivation von Nomen mit Suffix –t (Fahrt) - Wortbildung wird oft vom bestehenden Lexikon beeinflusst, z. B. • Analogiebildung: Neubildung analog zu bestehender Bildung, Bedeutung der Neubildung verstehbar in Bezug auf existierendes Wort, z. B. Hausmann zu Hausfrau • Blockierung: bestehendes Wort kann eine Neubildung verhindern, Bsp. bereits bestehendes synonymes (gleiche Bedeutung, andere Wortform) Wort, z. B. *Stehler nicht möglich, da bereits Dieb existiert – Synonymievermeidung/Ökonomie des Lexikons bereits bestehendes homonymes (gleiche Wortform, andere Bedeutung) Wort, z. B. 23 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 *kostbar im Sinn von 'möglich zu kosten' nicht möglich, da kostbar im Sinn von 'wertvoll' existiert – Homonymievermeidung ...sowie von phonologischen Faktoren (z. B. -i bildet zweisilbiges Nomen, erste Silbe betont: Ersti, Studi), morphologischen (z. B. –ier(en) i. d. R. nur mit nicht-nativen Basen: gelieren, skalpieren), syntaktischen (z. B. –bar nur mit transitiven verbalen Basen produktiv: lesbar, bezahlbar), semantischen (z. B. Nomen acti auf –er nur von verbalen, nicht wie bei Nomen agentis oder Nomen instrumenti auch von nominalen Basen bildbar: Seufzer) und pragmatischen (z. B. –ler im Gegensatz zu –er eher pejorativ/abwertend: Gewinnler vs. Gewinner) 3.3.2 Lexikoneinträge - Lexikon umfasst Lexikoneinträge zu Wurzeln, Affixen, usuellen komplexen Wörtern, Menge von Wortbildungsregeln - Lexikoneintrag enthält gesamte sprachliche Information, die ein Sprecher der Sprache zu einem bestimmten Wort oder Affix weiß: • phonetische Form • morphologische/grammatische Merkmale (z. B. Flexionsklasse, bei Nomen Genus) • syntaktische Merkmale (Wortart, Argumentstruktur/Valenzrahmen: wieviele und welche Arten von Ergänzungen sowie deren Wortstellung relativ zum entsprechenden Wort) • semantische Form (Bedeutung, ggf. Anzahl und semantische Rollen der Argumente) • pragmatische Merkmale (z. B. Register, emotive Funktion, zeitliche oder regionale Markierung) Beispiel: Lexem weck- PHON: /vɛk/ MORPH: schwache Flexion SYN: V [NPnom1, NPakk2] SEM: Handlungsverb WECK (x1, x2) x1: AGENS, x2: PATIENS PRAG: neutrales Register 3.3.3 Haupttypen der Wortbildung im Einzelnen Komposition - Nominalkomposition: • N → N + N z. B. Gemüsebeet am produktivsten, Zusammensetzung von Synonymen z. B. *Liftfahrstuhl, Ober- und Unterbegriff z. B.*Tierameise und Selbstkomposita *Frauenfrau nicht (oder nur beschränkt) möglich, 24 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 zwischen Erst- und Zweitglied inhärente Beziehung (i: deverbales Nomen als Zweitglied und Erstglied dessen Komplement z. B. Obstverkäufer = Rektionskompositum, ii: relationales Nomen als Zweitglied z. B. Professorensohn, iii: Zweitglied verlangt eigentlich präpositionalesKomplement z. B. Todessehnsucht ~ Sehnsucht nach dem Tod) oder aufgrund der stereotypischen Bedeutung angenommene semantische Grundrelation (z. B. Situation: Stadtautobahn, Situation-Urheber: Feuerschaden, Konstitution: Glasflasche, Zweck: Schmerztablette) • N → A + N z. B. Großstadt • N → V + N z. B. Laufmasche • N → P + N z. B. Untertasse • (ggf. N → XP + N z. B. Trimm-dich-Pfad, = Phrasenkompositum: Erstglied kein Einzelwort, sondern ganze Phrase) - Adjektivkomposition: • A → N + A z. B. • A → A + A z. B. • A → V + A z. B. wasserdicht Hellblau schreibfaul - (Adverbkomposition X + -her/hin z. B. daher, X+P/'Präpositionaladverben' z. B. damit eher Zusammenrückungen; Verbalkomposition z. B. bausparen, frohlocken, kennenlernen eher Univerbierung/Inkorporation, Konversion bzw. Rückbildung) - Konfixkomposita: Komposita, die mindestens ein Konfix enthalten (Präkonfixe bzw. Postkonfixe, letztere sind wortartbestimmend: Ako bzw. Nko; Gräzismen/Latinismen wie mikro-, geo-, -nom, -phob oder Anglizismen wie soft-, home-, -burger, -shop) - bei Komposition, insbesondere Nominalkomposition, können zwischen den beiden verbundenen Elementen folgende Fugenmorpheme/Fugenelemente auftreten: -e-, -en-, -n-, -es-, -s-, -er-, -ens-, wichtig: • Fugenelemente gehören zum Erstglied vgl. Koordinationstest, z. B. [Kinder][wagen] und –[sitz] versus [Kind][erwagen] und –[ersitz] • Fugenelemente sind keine Flexionsmorpheme (historisch z. T. schon, heute nicht mehr), denn (i) flektiert wird nur am Wortende, (ii) Fugenelemente z. T. formal identisch mit Pluralform, aber nicht pluralisch interpretiert (z. B. Hühnerei ≠ Ei der Hühner, sondern Ei eines Huhns) bzw. umgekehrt formal mit Genitiv Singular identisch, aber nicht singularisch interpretiert (z. B. Bischofskonferenz ≠ Konferenz des Bischofs, sondern Konferenz aller Bischöfe) und (ii) Fugenelement sind oft auch nicht formal identisch mit Flexionsmorphem: z. B. Arbeits (wie in Arbeits+amt) ist keine mögliche Flexionsform von Arbeit (Sg. alle Kasus: Arbeit, Pl. alle Kasus: Arbeiten) Derivation - native und nicht-native Präfixe bzw. Suffixe zur Derivation von Nomen (un-, ex-, -er, -rium etc., darunter auch Präfixoide wie haupt-, miss- und Suffixoide wie –wesen und -werk mit Restmerkmalen eines selbstständigen Morphems), Adjektiven (ur-, a-/an-, -bar [operiert passivähnlich über dem Valenzrahmen der verbalen Wurzel: Akk.obj. wird zum Nom.-Subj.], -os/ös etc., auch Affixoide wie –los, -mäßig), Verben (ent-, de-/des-/dis-, -ig etc., Achtung: Infinitivmorphem –en gilt nicht als Derivationssuffix, sondern als Flexionssuffix!) und Adverben (nur native Suffixe: -dings, -halber, -weise etc.), Beispiel: 25 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 V V Flex A Vaff fest ig en - Besonderheit: Zirkumfixe wie Ge-...-e ggf. mit ternärer Struktur (vgl. auch Zusammenbildungen, s.u.), Bsp.: N Naff V Naff Ge red e - Typen verbaler Wortbildung: • Präfixverb: gebildet mit Präfixen ge-, er-, ver-, be-, ent-/ant-/emp-, zer-, miss-, zu denen Präfixen es keine frei vorkommenden Gegenstücke gibt (urspr. aus Präpositionen entstanden), nicht syntaktisch (im Satz/Satzklammer) oder morphologisch (bei zu-Infinitiv oder Partizip II) trennbar, Akzent auf der Wurzel, schwach produktiv Bsp.: er + geben – Part. II ergeben – zu ergeben/ *erzugeben – Sie ergeben sich/ *Sie geben sich er. • Partikelverb: gebildet mit Partikeln an-, mit-, nach-, ab-, um- etc., zu denen es Gegenstücke bei den Präpositionen gibt, syntaktisch (Aufspaltung im Satz/Satzklammer) und morphologisch (bei zu-Infinitiv und Partizip II) trennbar, Akzent auf der Partikel/nicht auf der Wurzel, produktiv; besondere Unterarten: Doppelpartikelverben (z. B. Hinter-herlaufen, mit-ein-beziehen), Adverben/Adjektive/Nomen/Verben partikelartig als Erstglied (z. B. kennenlernen, breitschlagen) Bsp.: 'ab+geben – Part. II abgegeben – abzugeben/ *zu abgeben - Sie gibt das Buch ab/ *Sie abgibt das Buch • Partikelpräfixverb: gebildet mit Partikel, verhält sich aber wie Präfixverb, d.h. syntaktisch und morphologisch nicht trennbar, Akzent auf der Wurzel Bsp.: um + fahren – Part. II umfahren – zu umfahren – Sie umfährt das Hindernis [dagegen: um + fahren = Partikelverb: Part. II umgefahren – umzufahren – Sie fährt das Hindernis um] - Zusammenbildungen: dreigliedrige Wortbildung aus Stamm1 + Stamm2 + Suffix/Stamm3, wobei weder Stamm1 + Stamm2 noch Stamm2 + Suffix/Stamm3 in semantischer Verwandtschaft (= in ähnlicher Bedeutung) frei vorkommen, v. a. Nomen und Adjektive z. B. zielstrebig, Schriftsteller, verschiedene Analysemöglichkeiten in der Forschung angenommen: Derivation, Komposition oder ternäre Struktur, Bsp.: *ziel + streb, *streb + ig A 26 Naff V A ziel streb ig Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Konversion - Konversion: Veränderung der Wortart der Wurzel ohne sichtbares Affix • syntaktische Konversion (vgl. Unterschied Lexem vs. syntaktisches Wort, gleiches Lexem syntaktisch anders gebraucht, Überlappung in syntaktischen Kontexten): substantivierter Infinitiv V→N (laufen – das Laufen), adjektivisch gebrauchtes Part. II V→A (gestrichen – gestrichen), substantiviertes Adjektiv A→N (gut – das Gute) • morphologische Konversion: V→N (laufen – der Lauf), A→V (grün – grünen), N→V (Fisch - fischen), letzteres besonders produktiv vgl. verschiedene Entlehunungen aus dem Englischen (jobben, bluffen etc.), Bsp.: N V lauf - Ableitungsrichtung: Kommt z. B. das Nomen Mief vom Verb miefen oder das Verb miefen vom Nomen Mief? – einige Kriterien, in vielen Fällen aber unentscheidbar • morphologisches Kriterium: Nomen mit Be-, Ent-, Er-, Ver-, Zer- wie Verfall etc. müssen vom entsprechenden Verb kommen, da dies alles nur verbale Präfixe sind Produktivitätskriterium: generell V→N produktiver, also eher Ruf von rufen abgeleitet als rufen von Ruf • semantisches Kriterium: Bedeutung des einen beim anderen vorausgesetzt/Bestandteil, aber nicht umgekehrt: fischen bedeutet 'Fische fangen', ein Fisch muss aber nicht notwendigerweise gefangen werden, daher fischen von Fisch abgeleitet und nicht Fisch von fischen - Alternative Analysen der Konversion: • Doppelkategorisierung oder kategoriale Unterspezifikation, d.h. z. B. die Wurzel mief ist verbal und nominal bzw. nicht von vornherein auf eines festgelegt, Beispiel: V/N lauf - Konversion als Derivation mit Nullmorphem: Annahme, alle Wortbildungsprozesse sind konkatenativ, im Fall der Konversion eigentlich Derivation mit phonetisch nicht sichtbarem Suffix (Nullmorphem), Vorteil: Kopfprinzip und Rechtsköpfigkeit gelten N 27 V Naff lauf Ø Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 4 Syntax 4.1 Was ist ein Satz? - Als die größte syntaktische Struktur ist der Satz die Untersuchungsdomäne der Syntax. - Der gleiche Satz kann verschiedene Propositionen (Satzaussagen) ausdrücken. - Die Proposition kann mit verschiedenen Sätzen ausgedrückt werden. - Sätze können verschieden interpretiert werden. Je nach grammatischer Analyse ist der folgende Satz ambig (zweideutig): a. Kurt vertrimmte [den Mann] mit dem Stock. b. Kurt vertrimmte [den Mann mit dem Stock]. Hierbei ist wichtig, daß der exakt gleichen Kette von Wörtern je nach Interpretation eine vollkommen andere Struktur zugewiesen werden muß. Der Satz weist also strukturelle Ambiguität auf. Anders verhält es sich mit dem folgenden Bsp.: a. Das Geld liegt auf der Bank. ('Das Geld ist bei einem Kreditinstitut angelegt.') b. Das Geld liegt auf der Bank. ('Geldscheine/Münzen befinden sich auf einem länglichen Sitzmöbel.') Dieser Satz ist lexikalisch ambig, aber strukturell identisch. - Einige Elemente im Satz sind obligatorisch für die Grammatikalität der Gesamtstruktur, andere sind optional. 4.2 Konstituenz Satz als Kette von Wörtern (flache Satzstruktur)? dagegen spricht: - Phänomen der Strukturabhängigkeit • Bsp. Verbzweitstellung im Deklarativsatz a. Morgen kommt der Weihnachtsmann. b. Der Weihnachtsmann kommt morgen. c. Der mit vielen Geschenken beladene Weihnachtsmann kommt morgen. • Bsp. Bildung von Entscheidungsfragen a. Er kommt. b. Kommt er? → Regel: Wortabfolge umdrehen, aber... a. Der Weihnachtsmann kommt b. *Kommt Weihnachtsmann der? c. Kommt der Weihnachtsmann? → Regel: letztes Wort nach vorn stellen, aber... a. Der Weihnachtsmann kommt morgen. b. *Morgen der Weihnachtsmann kommt? c. Kommt der Weihnachtsmann morgen? - Syntaktische Mehrdeutigkeiten unter der Annahme einer flachen Satzstruktur nicht erklärbar, z. B.: 28 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Gabi hat den Mann mit dem Fernglas gesehen. besser (wird später noch verfeinert): – erste Lesart: [Gabi hat [den Mann] [mit dem Fernglas] gesehen] Gabi hat den Mann mit dem – gesehen. Fernglas zweite Lesart: [Gabi hat [den Mann mit dem Fernglas] gesehen] Gabi hat den Mann mit dem gesehen. Fernglas → "Ein Satz ist kein Wörtergemisch." (Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus) - mehrere Wörter hängen voneinander ab: Dependenz - mehrere Wörter gehören zusammen, bilden eine Einheit/Konstituente: Konstituenz, Konstituententests u.a. • Interrogationstest/Fragetest • Rangiertest/Verschiebeprobe • Substitutionstest/Ersatztest (besondere Unterart: Proformentest) 4.3 Prädikat und Satzglieder - zusammengehörige verbale Teile im Satz (finites Verb, ggf. infinite Verben, Verbpartikel): Prädikat - Satzglieder: solche Konstituenten, die gesamthaft vor das finite Verb im Deklarativsatz verschoben werden können → Umfang der Satzglieder - Satzglieder bestehen aus einem Kopf (u. ggf. weiteren Konstituenten, den Gliedteilen) → Klassifikation nach der Wortart des Kopfes/ nach der Form: • Nominalphrasen (+ Kasus) – wichtig: auch Pronomen (z. B. Personalpronomen, Relativpronomen) können Nominalphrasen bilden • Adjektivphrasen • Adverbphrasen • Präpositionalphrasen 29 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 • Konjunktionalphrasen - Satzglieder können vom Prädikat vorgesehen/gefordert sein oder nicht (Valenz des Verbs): Ergänzungen vs. Angaben (man spricht auch von Argumenten/Komplementen vs. Adjunkten) - Den Satzgliedern/ Konstituenten kann eine syntaktische Funktion zugeordnet werden (auch Art der Abhängigkeit genannt): • Aktanten: Subjekt, Objekt (Unterarten: Akkusativobj., Dativobj., Gen.obj., Präpositionalobj.) • Prädikativ (abhängig von Verb/ Adjektiv und einer Ergänzung) • Adverbiale (semantische Unterklassifikation: lokal, temporal, modal, kausal) Beispiel: Umfang [Mein Onkel] träumt [in der Badewanne] [oft] [von Palmen] Form/ Wortart des Kopfes Nominalphrase (NP) Prädikat Präpositionalphrase Adverbphrase Präpositionalim Nominativ phrase Funktion Subjekt Adverbiale (lokal) Adverbiale (temporal) Präpositionalobjekt Valenz Angabe Angabe Ergänzung Ergänzung - Vorgehen bei der Satzanalyse: • Prädikat bestimmen • Umfang der Satzglieder bestimmen • Satzglieder nach Form/Wortart des Kopfes (+ Kasus der Nominalphrasen) bestimmen • Satzglieder nach Funktion bestimmen • Satzglieder nach Valenz bestimmen • Gliedteile analog nach Form/Wortart des Kopfes und ggf. Funktion bestimmen mögliche Funktion von Gliedteilen u. a. Attribut = im engen Sinn: vom Nomen abhängige Phrase, z.B. Apposition, Genitivattribut) 4.4 Phrasenstrukturen - Eigenschaften: • rekursiv: eine Phrase (z. B. NP) kann die gleiche Art von Phrase wiederum als Konstituente enthalten usw. (z. B. [ NP das Geräusch [ NP des Windes]]) • endozentrisch: Jede Phrase hat ein syntaktisches Wort als Kopf (/Kern) und jedes syntaktische Wort ist Kopf einer Phrase. binär: nur Zweierverzweigungen • keine diskontinuierlichen Konstituenten: Elemente, die zusammen eine Konstituente bilden, zweigen von einem gemeinsamen Knoten ab; keine überkreuzenden Äste - Darstellungsweisen: Schreibweise mit indizierten Klammern oder Phrasenstrukturbaum/ Baumgraph (Terminologie: Äste, Knoten, verzweigende Knoten...) 30 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Beziehungen innerhalb der Phrasenstruktur: • Mutterknoten • Tochterknoten • Schwesterknoten • Dominanz • unmittelbare Dominanz • Konstituente • unmittelbare Konstituente 4.5 Satzgliedinnenbau - Ein Satzglied ist eine Phrase, die mindestens einen syntaktischen Kopf enthält (vgl. oben: Endozentrizität). Der Kopf 'projiziert', d. h. gibt seine Merkmale an die Gesamtphrase weiter. Neben dem Kopf kann die Phrase noch weitere Phrasen, die sogenannten Gliedteile, enthalten.Man spricht davon, dass diese in die übergeordnete Phrase 'eingebettet' sind, oder auch von 'Verschachtelung' (vgl. oben: Rekursivität). Im Folgenden einige Beispiele für komplexe Phrasen: 4.5.1 Nominalphrasen - Wenn eine Nominalphrase Determinierer- (Artikel und andere Begleiter-Pronomen z. B. Possessiv-, Demonstrativpronomen vorm Nomen) oder Adjektivphrasen enthält, gehen diese dem Nomen gewöhnlich voran. Die Determiniererphrase zweigt immer zuoberst ab. NP NP DP N D Papagei der DP N' D AP N der A Papagei schlaue - Beachte: Ein Knoten, der noch nicht die ganze Phrase (maximale Projektionsstufe, hier NP) ist, aber auch kein einzelner Kopf (minimale Projektionsstufe, hier N) ist, also eine Zwischenstufe darstellt, wird mit Strich gekennzeichnet (hier N'). - Nominalphrasen im Genitiv gehen als Gliedteile dem Kopfnomen entweder voran (ersetzen die DP) oder folgen ihm. Alle übrigen Gliedteile folgen dem Kopfnomen. 31 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 NP NP NP N' N AP Bertas A DP N' N D AP N' Papagei der A N PP schlaue Papagei P NP von DP N D Nachbarin schlauer meiner - Die Gliedteile von Nominalphrasen (außer der DP) nennt man auch Attribute. - Genitivattribute und vergleichbare Konstruktionen, u. a.: • possessiver Genitiv (voran- oder nachgestellt): [[Bertas] Vogel], [der Vogel [meiner Nachbarin]] • weitere possessive Attribute: nachgestellte Präpositionalphrase mit von ([der Vogel [von Berta]]), vorangestellte Dativphrase und possessiver Determinierer / possessiver Dativ (§[[(der) Berta ihr] Vogel]), vorangestellte Präpositionalphrase und definiter Artikel (§ [von Berta der] Vogel]) § = gilt in geschriebener Standardsprache als nicht korrekt • partitiver Genitiv (Teil-Ganzes-Beziehung): [die Hälfte [des Futters]] • weitere partitive Attribute: Präpositionalphrase [die Hälfte [vom Futter]], partitive Apposition s. u. • Apposition: u. a. lockere Apposition ([Berta, [meine Nachbarin]]), partitive Apposition ([eine Tasse [schwarzer Tee]] vs. partitiver Genitiv: [eine Tasse [schwarzen Tees]]) 4.5.2 Präpositionalphrasen - Präpositionen verlangen immer eine eingebettete Phrase als Ergänzung und bilden mit dieser zusammen eine Präpositionalphrase. Die eingebettete Phrase steht i. d. R. rechts, kann aber auch links von der Präposition stehen. PP PP P NP NP P für N N zuliebe Berta Berta - Bei der eingebetteten Phrase handelt es sich meist um eine Nominalphrase. Die Präposition bestimmt deren Kasus; man spricht dann von Rektion. 32 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Besonderheiten: • Präpositionen können aber auch Adjektiv- und Adverbphrasen als Ergänzungen haben, und es gibt sogar Verschachtelungen von Präpositionalphrasen: Berta hält ihr Haustier [PP für [AP sehr schlau]]. der Papagei [PP von [AdvP nebenan]] Dieser Vogelkäfig stammt [PP von [PP vor [NP dem Krieg]]]. • Die Präposition kann mit dem definiten Artikel verschmolzen sein: [ans [Meer]] < [an [das [Meer]] • Fügungen aus Präposition und Pronomen werden teilweise durch Präpositionaladverbien ersetzt: Er setzte sich auf die Schaukel – Er setzte sich darauf - Manche Präpositionalphrasen können mit Ausdrücken erweitert werden, die ein Maß angeben: PP AP PP P' NP DP P' A P NP N kurz vor DP N D Schritt D Käfig einen P NP vor DP N D Käfig dem dem 4.5.3 Adjektivphrasen - Adjektivphrasen enthalten ein Adjektiv oder ein adjektivisch gebrauchtes Partizip (= eine adjektivisch gebrauchte Verbform) als Kopf. Der Kopf kann mit verschiedenen Phrasen erweitert werden: a. die [AP [PP auf ihren Papagei] stolze] Berta b. die [AP [NP zwölf Kilogramm] schwere] Vogelfuttertüte c. das [AP [AP gut] gemästete] Haustier AP AP PP P NP auf DP D ihren 33 AP A NP A AP A stolze AP N schwere A gemästete N A Kilogramm Papagei zwölf gut Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 4.6 Topologisches Modell/Feldermodell - Mit dem topologischen Satzmodelllassen sich alle grammatischen Sätze des Deutschen erfassen. Für jedes Feld gelten bestimmte Besetzungsbeschränkungen. Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld rechte Satzklammer Nachfeld Satzklammer - Grundmuster deutscher Sätze geprägt von Satzklammer (gebildet durch Teile des bzw. durch Subjunktion und Prädikat) Prädikats - linke Satzklammer (max.1 Wortform: fin. Verb oder Subjunktion oder leer) - rechte Satzklammer (0 (d.h. kann auch leer sein) – beliebige Anzahl von Verbformen/verbale Teile) - Vorfeld (Stellungsfeld vor der linken Satzklammer, enthält max. 1 Satzglied, merke: auch Interrogativ- u. Relativpronomen stehen hier; kann auch leer sein) - Mittelfeld (Stellungsfeld zwischen den beiden Satzklammern, 0 – beliebige Anzahl von Satzgliedern) - Nachfeld (Stellungsfeld nach der rechten Satzklammer, im heutigen Deutschen selten besetzt, aber → Sprachgeschichte, "Ausklammerung", regulär bei Nebensätzen) - Nach der Stellung des finiten Verbs kann man drei Formtypen von Sätzen unterscheiden: • Sätze mit finitem Verb an zweiter Stelle (Verbzweitsatz, V2) • Sätze mit finitem Verb an erster Stelle (Verberstsatz, V1) • Sätze mit finitem Verb an letzter Stelle (Verbletztsatz/Verbendsatz, Ve) Beispiele: VF V2 Berta LK MF liebt ihren Papagei. RK V2 Das Futter hat sie immer bei Zoo-Schmidt gekauft. V2 Vor Jahren flog ihr der Vogel zu. V2 Peppi kann Berta gut unterhalten V1 Wird der Papagei bald sprechen können? V1 Ist das aber ein schlauer Vogel! Ve Wenn der Vogel Ve ,der Ve 34 dass schlafen soll, abends richtig aktiv Ist, Berta ihn gerade füttern will. NF mit seinem Krächzen. Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Zur Abfolge der Satzglieder im Mittelfeld: Bei der Wortstellung im Mittelfeld spielen mehrere, konkurrierende Faktoren eine Rolle (vgl.Duden-Grammatik 2005: §§ 1352–1368). Diefolgenden Tendenzen lassen sich ausmachen: • Kasus bei Ergänzungen: Nominativ vor Dativ vor Akkusativ vor Rest. • Betonung: unbetonte Pronomen vor anderen NPs. • Belebtheit: belebt vor unbelebt. • Definitheit: definit vor indefinit. • Semantik (Bezugsphrase vor Prädikativ, Abfolge der Adverbialien) • Informationsverteilung im Satz (bekannt vor neu/Thema vor Rhema, Hintergrund vor Fokus) Besonderheiten: - Beiordnende (koordinierende) Konjunktionen können noch vor dem ersten Satzglied/ vor dem Vorfeld stehen (Vorvorfeld): Und VF LK MF RK Bertas Papagei kann seit gestern sprechen. - Bei sogenannter Linksversetzung kann auch ein Satzglied vor dem Vorfeld stehen. Man spricht dann auch vom sogenannten Vorvorfeld: Vorvorfeld VF LK MF RK Der Peppi, das ist ein ganz schlauer Vogel - - Besondere Abfolge der Prädikatsteile in der rechten Satzklammer: Die übliche Reihenfolge der Prädikatsteile wird durchbrochen, wenn zwei oder mehr Infinitive zusammenkommen (auch Ersatzinfinitiv, d. h. statt des eigentlich zuerwartenden Partizips II verwendeter Infinitiv von Infinitiv einbettenden Modalverben wie sollen, müssen etc. oder Perzeptionsverben wie hören, sehen etc. im Perfekt/Plusquamperfekt). normale Abfolge in der RSK: jeweils untergeordnetes Verb vor übergeordnetem Verb Beispiel: V3 V2 V1 dass Berta ihren Papagei [füttern wollen wird] besondere Abfolge: V1 V3 V2 dass Berta ihren Papagei [wird füttern wollen] dass Berta ihn gerade [hatte füttern wollen] (hier wollen = Ersatzinfinitiv, statt gewollt) 4.7 Typologische Einordnung des Deutschen nach Wortstellung - Abfolge von Subjekt, Objekt und (finitem) Verb in den Sprachen der Welt verschieden z. B. Walisisch Gwelais i Emrys VSO sah ich Emrys Englisch I saw John SVO ich sah John 35 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 - Deutsch zugrundeliegend SOV (nicht SVO!): (dass) ich Hans sah >SOV • vgl. Abfolge in Wörterbüchern: jemanden sehen • Verbpartikel steht immer an ursprünglicher Position des Verbs = nach Subjekt und Objekt: Heute gibt Hans das Buch ab. • im Spracherwerb Objekte und Verben von Anfang an in der Reihenfolge Objekt vor Verb gebraucht: Apfel essen, Auto fahren nicht essen Apfel, fahren Auto (vs. bei englischen Kindern eat apple, go by car nicht apple eat, by car go) - zusätzliche Regel im Deutschen: Im Aussagesatz (Deklarativsatz) muss das finite Verb an der zweiten Stelle stehen, d. h. finites Verb 'wandert' in die linke Satzklammer und ein beliebiges Satzglied (nicht unbedingt das Subjekt) 'wandert' ins Vorfeld (V2-Regel). So entstehen z. B. die abgeleiteten Reihenfolgen Subjekt-Verb-Objekt, Objekt-Verb-Subjekt etc. im Deutschen. Bsp.: a. Berta gibt ihrem Papagei manchmal ein Stück Käse. b. Ihrem Papagei gibt Berta manchmal ein Stück Käse. c. Manchmal gibt Berta ihrem Papagei ein Stück Käse. Deutsch ist entsprechend eine sogenannte Verb-Zweit-Sprache. 36 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 4.8 Komplexe Sätze - Klassifikation der Nebensätze - Einfachsatz vs. komplexer Satz (Satzgefüge, Satzverbindung/-verknüpfung) Es gibt verschiedene Arten der Satzverknüpfung, die nach ihrem Abhängigkeitsgrad eingeteilt werden: • Koordination: • • • Subordination: Insubordination Kosubordination X und Y sind als Sätze gleichen Typs ohne gegenseitige syntaktische Abhängigkeiten verbunden X ist Y untergeordnet, bzw. Y ist X untergeordne Y ist von X abhängig, aber X ist implizit (bleibt unausgedrückt) X und Y sind syntaktisch voneinander abhängig (findet sich in vielen anderen Sprachen) - Hauptsatz (HS): Teilsatz, der keinem anderen Teilsatz untergeordnet ist • Deklarativsatz (Aussagesatz) Peppi ist ein ganz schlauer Vogel. • Interrogativsatz (Fragesatz: Entscheidungsfrage/ Ja-Nein-Frage, Ergänzungsfrage/ wFrage) Kann Peppi auch sprechen? Was sagt er denn so? • Exklamativsatz (Ausrufesatz) Was dieser Papagei alles kann! Nebensätze - Nebensatz (NS): Teilsatz, der von einem anderen Teilsatz abhängt (übergeordneter Satz: Matrixsatz), drei wichtige Klassifikationsmöglichkeiten für Nebensätze: - Klassifikation nach dem Grad der Abhängigkeit • 1. Grad: direkt vom HS abhängig Der Papagei hüpft aufgeregt in seinem Käfig hin und her, wenn Berta zur Tür herein kommt. • 2. Grad: von einem NS abhängig, der direkt vom HS abhängt Der Papagei hüpft aufgeregt in seinem Käfig hin uns her, wenn Berta, die ihm immer etwas Leckeres mitbringt, zur Tür herein kommt. • usw. (Stichwort: Rekursion/Rekursivität) Ein übergeordneter (Glied-)Satz wird auch als Matrixsatz des ihm direkt untergeordneten Gliedsatzes bezeichnet. - Klassifikation nach dem Einleitungstyp (Besetzung des Vorfelds bzw. der linken Satzklammer): • Konjunktionalsatz Der Papagei hüpft aufgeregt in seinem Käfig hin und her, wenn Berta zur Tür herein kommt. • Pronominalsatz (spez. Pron., z.B. Interrogativ-, Relativpron., od. Adverb) ... Berta, die ihm immer etwas Leckeres mitbringt • uneingeleiteter Nebensatz (V1, V2) Hört Peppi Berta zur Tür hereinkommen, hüpft er aufgeregt in seinem Käfig hin und her. Er hofft, sie habe ihm wieder etwas Leckeres mitgebracht. - Klassifikation nach der Funktion (auch Art der Abhängigkeit genannt, analog zu 37 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Satzgliedern/ ein Satzglied oder Gliedteil kann auch ein ganzer Nebensatz sein): • Subjektsatz (Argument des Verbs): Dass Peppi jetzt sogar sprechen kann, erfüllt Berta mit großem Stolz. (NS = Subj. von erfüllen) • Objektsatz (Argument des Verbs): Er hofft, sie habe ihm wieder etwas Leckeres mitgebracht. (NS = Obj. von hoffen) • Adverbialsatz (erweitert oder spezifiziert den Hauptsatz (adverbiale Bestimmung)): Der Papagei hüpft aufgeregt in seinem Käfig hin und her, wenn Berta zur Tür herein kommt. (NS = konditionales Adverbial/Konditionalsatz) ◦ Adversativsatz: (Einschränkung, Gegensatz) Konjunktionen: [in]sofern, soviel, wohingegen Er zieht nach Berlin, wohingegen sie nach Hamburg zieht. ◦ Finalsatz: (Zweck, Absicht) Konjunktionen: damit, dass, auf das Wir lernen Begriffe, damit wir mit ihnen umgehen können. ◦ Kausalsatz: (Grund) Konjunktionen: da, weil, zumal Björn ist in Holland, weil er da arbeiten muß. ◦ Konditionalsatz: (Bedingung) Konjunktionen: falls, soweit, wenn Wir bestehen die Klausur, wenn wir alles richtig machen. ◦ Konsekutivsatz: (Folge) Konjunktionen: als dass, dass, sodass Laßt uns schneller gehen, sodaß wir rechtzeitig ankommen. ◦ Konzessivsatz: (Einräumung) Konjunktionen: obgleich, obwohl, wenngleich Sie mag Wein, wenngleich er nicht zu süß sein darf. ◦ Lokalsatz: (Ort) Konjunktionen: wo Wir stehen dort, wo einst Martin Luther gestanden haben muß. ◦ Modalsatz: (Art und Weise) Konjunktionen: indem, ohne dass, [an]statt dass Kurt öffnet die Tasche, indem er den Reißverschluß aufzieht. ◦ Temporalsatz: (spezifiziert die Zeit des im Matrixsatz kodierten Sachverhalts) Konjunktionen: a) gleichzeitig: als, indem, während b) vorher: als, nachdem, wenn c) nachher: bevor, bis, ehe • Attributsatz: (spezifiziert eine NP) Die Hoffnung, daß der Regen bald aufhört, verliert er nicht. • Relativsatz: (wird mit einem Relativpronomen eingeleitet / relativiert oder spezifiziert NP oder ganzen Satz (weiterführender Nebensatz)) Das Bezugsnomen des Relativsatzes wird auch als Nukleus bezeichnet. Die syntaktische Funktion des Nukleus eines Relativsatzes stellt innerhalb dessen gewissermaßen eine Leerstelle, die im Deutschen von einem Relativpronomen eingenommen wird. Dieses nimmt die leer stehende syntaktische Funktion stellvertretend ein und übernimmt die entsprechende Kasusmarkierung. 38 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 Stefan öffnet die Flasche mit einem Öffner, der wie ein Löffel aussieht, den man verbogen hat. Sprachen unterscheiden sich darin, welche syntaktischen Funktionen dem Nukleus eines Relativsatzes zugeordnet werden kann. Im Deutschen können viele syntaktische Funktionen zugeordnet werden: a. die Frau, die ihn mag (Nukleus hat die syntaktische Funktion S) b. die Frau, die er mag. (...syntaktische Funktion O) c. die Frau, der er das Buch gab (...syntaktische Funktion IO) - Nebensätze sind in den übergeordneten Satz (Matrixsatz) eingebettet, sind also Teil des Matrixsatzes und stehen entsprechend im Vorfeld, im Nachfeld oder (selten) im Mittelfeld des Matrixsatzes. Sie selbst besitzen wiederum auch evtl. Vorfeld, linke Satzklammer, Mittelfeld, rechte Satzklammer etc. . Bsp.: VF VF LK MF RK - Wenn Peppi krächzt 39 LK MF RK strahlt meine Nachbarin. - Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 4.9 Generative Syntax 4.9.1 Kompetenz und Performanz - Kompetenz: Das implizite grammatische Wissen - Performanz: Die tatsächliche Produktion und Wahrnehmung von sprachlichen Äußerungen - Sprecher mit grammatischer Kompetenz können... • eine Lautfolge in einzelne Ausdrücke segmentieren • Grammatikalitätsurteile treffen • Bedeutungsgemeinsamkeit feststellen a. Das Bier wurde von Hans getrunken. b. Hans trank das Bier. • lexikalische und syntaktische Mehrdeutigkeit feststellen • ungewöhnliche Fehlanwendungen/Scheinregelmäßigkeit erkennen • • Sie schlug das Fenster und den Weg zum Ausgang ein. Unterschiede zwischen strukturellen Relationen in vordergründig formal identischen Sätzen erkennen a. Der Kunde ist schwer zu beeindrucken. b. Der Kunde ist bereit zu bezahlen. unvollständige Ausdrücke vervollständigen 4.9.2 Satzanalyse in der generativen Grammatik: Das CP/IP-Modellmit seinen Objekten und ggf. Adverbialen eine eigene Projektion/ Phrase VP: z. B.: (Ich glaube,) dass sie - VP Das Verb bildet VP NP ←AKK←V DP N mag D Papagei ihren - Objekte bekommen innerhalb der VP von V ihren Kasus zugewiesen. - Oberhalb der VP gibt es noch zwei weitere weitere Projektionen im Satz: - Flexionskopf I (für Engl. Inflexion 'Flexion', im Deutschen rechte Schwester der VP, enthält Agreement1, Tempus- und Modusmerkmale, Flexion des Verbs, I-Kopf mit Flexionsmerkmalen weist SpecIP den Kasus Nominativ zu) → IP (Subjekt an SpecIP, Spec Kopf-Kongruenz bzgl. Pers. u. Numerus, bekommt vom fin. I den Kasus Nominativ) z. B.: ... dass - IP 1 Wichtige Beziehung zwischen Subjekt und finitem Verb eines Satzes: Kongruenz/Agreement (Agr) bzgl. Person u. Numerus. 40 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 IP (SpecIP:) NP I' N VP sie I NP V DP N D Papagei [3 Pers, Sg., Präs., Indikativ] mag ihren ihren Papagei bekommt Kasus von V zugewiesen, sie von I. - COMP/ C (Engl. Complementizer, Komplementierer, entspricht linker Satzklammer im Feldermodell! → leer, Konjunktion oder fin. V) → CP (SpecCP entspricht Vorfeld!) CP C IP dass NP I' N VP sie NP I V DP N D Papagei [3 Pers, Sg., Präs., Indikativ] mag ihren ihren Papagei bekommt Kasus von V zugewiesen, sie von I. - Die sogenannte Tiefenstruktur/basisgenerierte Struktur im Deutschen entspricht der Grundabfolge SOV, die tatsächliche Wortstellung im konkreten Beispielsatz (sogenannte Oberflächenstruktur) kann der Grundabfolge entsprechen oder durch Bewegungungen einzelner Konstituenten abgeleitet sein. Hintergrund: Konstituenten 'gehören manchmal an mehrere Stellen im Satz' z. B. kann das Objekt im gegebenen Satz im Vorfeld stehen, 'gehört' aber gleichzeitig auch in die VP (als Schwester von V, s. o.), wo es von V den Kasus bekommt (und auch seineThematische Rolle z. B. Patiens) – Lösung: man nimmt an, das Objekt oder auch jedes andereSatzglied kann sich aus seiner Basisposition wegbewegen. Ebenso kann sich das finite Verb aus seiner Basisposition am Ende des Satzes wegbewegen in die linke Satzklammer, d. h. nach C. Syntaktische Bewegung (man spricht auch von "move-α") hinterlässt sogenannte Spuren (Engl. trace, abgekürzt t), d. h. wo die Konstituente einmal stand bzw. wo sie im gegebenen Satz 41 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 nicht steht aber eigentlich auch 'hingehören' würde, steht eine Spur t. Um die Zuordnung bei mehreren Spuren eindeutig zu machen, wird t dem gleichen Index (i, j, k ...) versehen, wie das bewegte Element. - V1-Satz abgeleitet durch V-zu-C-Bewegung2 z. B. Mag sie ihren Papagei? CP C IP Magi NP N sie I' VP NP I V DP N D Papagei [3. Pers, Sg., Präs., Indikativ] ti ihren - V2 abgeleitet durch V-zu-C-Bewegung + Bewegung irgendeines Satzgliedes aus dem Mittelfeld ins Vorfeld (SpecCP)3 → Verb in zweiter Position im Satz: z. B. Ihren Papagei mag sie. CP (SpecCP:) NPi C' DP N C IP D Papagei magj NP I' N VP sie ti ihren I V [3. P., Sg., Präs., Ind.] tj ihren Papagei (ti nach Bewegung) bekommt Kasus von V zugewiesen, sie von I. 2 Streng genommen bewegt sich V, wenn es in die linke Satzklammer (C) wandert, immer zuerst nach I, wo es eine weitere Spur hinterlässt, und anschließend erst nach C. Der Einfachheit halber ist dieser Zwischenschritt hier nicht berücksichtigt. 3 Einem Element im Vorfeld entspricht folglich immer eine Spur im Mittelfeld. 42 Einführung in die Sprachwissenschaft I, Sommersemester 2013 z. B. Sie mag ihren Papagei. CP (SpecCP:) NPi C' N C IP Sie magj ti I' VP NP I V [3. P., Sg. ...] tj DP N D Papagei ihren - Im Phrasenstrukturbaum bilden Nebensätze eigene CPs und stehen an der Stelle, die sie gemäß ihrer Funktion einnehmen bzw. sind mit einer Spur an dieser Stelle verknüpft (SpecIP bei Subjektsätzen, in der VP bei Adverbial- und Objektsätzen, als Teil der NP des entsprechenden Bezugsnomens bei Attributsätzen). Bsp. [[Wenn Peppi krächzt] strahlt meine Nachbarin] – Funktion des Nebensatzes: Adverbialsatz → wie andere Adverbiale auch 'ursprünglich' (in der Tiefenstruktur) Teil der VP, steht jetzt (in der Oberflächenstruktur) aber im Vorfeld (s. Tabelle oben), d. h.: CP CPi C' C IP Wenn NP N C IP I' VP Peppi V krächzt I [3. Sg., Präs., Ind.] DP D strahltj ^ meine ^ NP I' N VP ti I V tj Nachbarin [3. Sg. ...] Die N bekommen hierbei ihren Kasus (NOM) von I zugewiesen. 43