Shigellen - ernährungs umschau

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Aktuell | Ernährungslehre & Praxis
Nr. 10
Oktober 2010
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Selbst mehr als 100 Jahre nach ihrer Entdeckung stellt die Shigellose, besser bekannt
als Bakterienruhr, weiterhin ein bedeutsames gesundheitliches Problem dar. Weltweit werden jährlich ca. 160 Mio. Menschen infiziert, von denen ungefähr 1 Mio. der
Krankheit erliegen. Im Zentrum des Kontaminations- und Infektionsgeschehens steht
der Mensch als – neben anderen Primaten (Menschenaffen) – einziges Reservoir.
Dr. Rolf Steinmüller
Neogen Corporation
Auchincruive Ayr KA6
5HW Scotland UK
E-Mail: r.steinmueller
@neogeneurope.com
Shigellen
1 Einleitung
●
●
Die Shigellose, auch als bakterielle Dysenterie bezeichnet, ist eine weltweit
vorkommende Darmerkrankung, deren Symptome wässrige bis blutige
Durchfälle, Bauchkrämpfe und Fieber
sind. Auslöser der Infektionserkrankung des Darms sind Bakterien der
Gattung Shigella. Die Übertragung geschieht über fäkal verunreinigte Lebensmittel und kontaminiertes Wasser
sowie durch Schmierinfektionen bei
schlechter Handhygiene. Die Erkrankung tritt gehäuft in tropischen und
subtropischen Ländern mit schlechtem Hygienestatus auf. Aus diesem
Grunde gilt sie vorzugsweise als eine
Erkrankung der Not- und Kriegszeiten
(Seuche der „mangelnden Sauberkeit“). Durch die Verbesserung der hygienischen Bedingungen sind Shigellose-Erkrankungen in den Industriestaaten seltener geworden. Zwei Drittel
aller Shigellosen in Deutschland sind
daher Urlaubsmitbringsel, überwiegend aus Nordafrika, Indien und der
Türkei. Eine charakteristische Häufung ist in den warmen Sommermonaten zu verzeichnen, besonders häufig
sind Kinder betroffen.
Die Unterlassung des Händewaschens
nach dem Toilettengang im Zusammenhang mit infizierten Lebensmitteln oder verunreinigtem Wasser ist
Ausgangspunkt für den fäkal-oralen
Übertragungsweg der Bakterien. Nach
einer symptomfreien Zeit von einem
bis zu sieben Tagen (Inkubationszeit)
treten die ersten Erkrankungszeichen
wie Übelkeit und Durchfall auf. Zumeist verläuft die Erkrankung milde
und selbstlimitierend und heilt komplikationslos aus, in einzelnen Fällen
können aber auch lebensgefährliche
Komplikationen auftreten (z. B. hämolytisch-urämisches Syndrom, HUS).
Ein zunehmendes Problem stellt die
bei allen Shigellen sich sehr schnell
und leicht entwickelnde AntibiotikaResistenz dar. Bereits bei Verdacht auf
eine Shigellose besteht für den Arzt
Meldepflicht bei der Gesundheitsbehörde.
2 Historie
Vor über hundert Jahren, im Jahre
1896, wurde die erste Spezies der Gattung Shigella, Shigella dysenteriae, von
dem Japaner Kiyoski SHIGA isoliert und
alsdann beschrieben [1]. Die Gattung
sowie die von diesen Bakterien produzierten Shiga-Toxine wurden später zu
Ehren dieses großen Mikrobiologen
nach ihm benannt. Der japanische
Arzt und Bakteriologie beschäftigte
sich damals mit den so genannten sekiri-Ausbrüchen (sekiri = „roter Durchfall“). Am Ende des 19. Jahrhunderts
traten diese Epidemien mit mehreren
zehntausend Erkrankten mit hoher Letalität auf [2]. In Folge eines größeren
Ausbruchs mit mehr als 91 000 Erkrankten bei einer Sterblichkeit von
über 20 % gelang SHIGA erstmalig die
Isolierung einer bestimmten Bakterienart aus dem Stuhl einiger Patienten. Anfangs wurde diese gramnegative
Spezies als Bacillus dysenterius bezeichnet. Bedeutsam war SHIGAS Erkenntnis,
dass der Erreger in einem einfachen
Nachweisverfahren (Agglutinationstest) mit den Seren von genesenden
Shigellose-Patienten verklumpte [3].
Der 1957 verstorbene Wissenschaftler
wurde in einem Nachruf der New York
Times als einer der größten Bakterio-
logen der damaligen Zeit bezeichnet.
In der Folge wurden dem Bacillus dysenterius ähnliche Mikroorganismen
charakterisiert [4, 5]. Vier Jahrzehnte
nach seiner Entdeckung zeichnete sich
bereits die noch heute gültige taxonomische Einteilung von vier unterschiedlichen Spezies innerhalb der
Gattung Shigella ab: S. dysenteriae, S. flexneri, S. boydii und S. sonnei, allesamt
Widmungsnamen zu Ehren der entsprechenden Wissenschaftler [6]. Zusätzlich ist S. dysenteriae nach dem als
Hauptsymptom einer Infektion auftretenden Durchfall (Dysenterie) benannt.
3 Charakterisierung des
Erregers
Bei der Gattung Shigella handelt es sich
um eine Gruppe nicht-sporenbildender, gram-negativer, stäbchenförmiger,
fakultativ-anaerober und unbeweglicher Bakterien aus der Familie der
Enterobacteriaceae. Im Gegensatz zu
nahezu allen anderen Vertretern dieser Familie sind Shigellen relativ stoffwechselinaktiv. Sie sind Lysin-Decarboxylase-, Phenylalanin-Desaminaseund Urease-negativ, bilden aus Glukose kein Gas und fermentieren, von
wenigen Ausnahmen abgesehen und
dann nur verzögert, auch keine Laktose. In genetischer, morphologischer
und physiologischer Hinsicht besteht
eine enge Verwandtschaft mit Escherichia coli. Aus diesem Grunde wurden
sie von dem Wissenschaftler D. J. BRENNER 1984 auch als metabolisch inaktive
Biogruppe von E.coli charakterisiert.
Diese enge Verwandtschaft wird durch
molekulargenetische Analysen bestätigt. Danach beträgt die DNA-Homologie beider Gattungen nahezu 100 %
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[7]. Einige Wissenschaftler gehen sogar
soweit, von einer einzigen E.coli- Spezies
zu sprechen [8]. Dennoch gibt es einige biochemische Unterschiede, mit
denen die aufgeführten Spezies, auch
im Vergleich zu inaktiven E.coli-Stämmen, phänotypisch voneinander abzugrenzen sind (쏆 Tabelle 1).
Die Gattung umfasst vier eigenständige
Spezies: S. dysenteriae (Sub- bzw. Serogruppe A), S. flexneri (Sub- bzw. Serogruppe B), S. boydii (Sub- bzw. Serogruppe C) und S. sonnei (Sub- bzw. Serogruppe D). Die Arten unterscheiden
sich durch eine Kombination von biochemischen und serologischen Eigenschaften (쏆 Tabelle 1). Mit Ausnahme
von S. sonnei lassen sich anhand der bisher bekannten O-Antigene der Lipopolysaccharide der äußeren Membranproteine jeweils mehrere Serovare charakterisieren. Die Arten sind auch
durch verschiedene Verbreitungsgebiete (s. u.) und unterschiedlich ausgeprägte Krankheitsverläufe gekennzeichnet. Shigella sonnei verursacht die
leichte und unkomplizierte Verlaufsform. Hingegen besitzt S. dysenteriae das
stärkste krank machende Potenzial. Für
die Mehrzahl der Erkrankungen zeichnen drei Serovare verantwortlich: S. sonnei, S. flexneri Serovar 2a und S. dysenteriae Serovar 1 (= Typ 1).
3.1 Vorkommen
Alle vier bekannten Shigella-Artengruppen sind medizinisch relevant als Erreger der Shigellosen und wurden bislang
nur beim Menschen und Primaten
nachgewiesen. Somit stellen sie das eigentliche Reservoir der wirtsspezifischen Erreger dar. In Ausnahmefällen
können auch Hunde erkranken. Bei
landwirtschaftlichen Nutztieren spielen
sie indessen keine Rolle.
Obgleich die Shigellose weltweit verbreitet ist, lässt sich eine global unterschiedliche Verteilung der einzelnen
Spezies im Infektionsgeschehen feststellen. In Mittel- und Westeuropa mit
gemäßigtem Klima treten insbesondere
S. sonnei -Infektionen auf, hingegen
liegt in Ost- und Südosteuropa der Anteil an S. flexneri -Infektionen höher.
S. dysenteriae, aber auch S. flexneri, ist endemisch, insbesondere in so genannten
Entwicklungsländern, verbreitet. S. boydii wurde erstmals in Indien entdeckt
und scheint bis heute hauptsächlich auf
den indischen Subkontinent begrenzt
zu sein [2].
In den industrialisierten Staaten treten
S.-dysenteriae-Typ-1-Infektionen nur sporadisch auf, zumeist im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung. S. dysenteriae
Typ 1 ist indessen das einzige Serovar,
S. sonnei
E. coli
Gasbildung
aus Glukose
S. dysenteriae S. flexneri
–
–1
–1
–
+
Laktose-Bildung
–
–
–
+
+2
–
+/–
+
+2
Reaktion
β-GalaktosidaseAktivität
+ 3/ –
S. boydii
Ornithin-Decarboxylase-Aktivität
–
–
–4
+
+/–
Lysin-Decarboxylase-Aktivität
–
–
–
–
+/–
+/– 5
+/– 5
+/–
–
Mannitol
(Säurebildung)
–
+
+
+
+
Beweglichkeit
–
–
–
–
+2
Indol
das nicht nur epidemisch, sondern
auch pandemisch in Erscheinung treten kann.
Im Gegensatz zu einer Epidemie ist eine
Pandemie nicht örtlich beschränkt, sondern kann sich auch länder- und kontinentübergreifend ausbreiten.
Die jährliche Anzahl der ShigelloseNeuerkrankungen wird weltweit mit ca.
165 Mio Fällen angegeben, die überwiegende Anzahl (163 Mio.) in den Ländern, die nach allgemeinem Sprachgebrauch als „arm“ gelten [9]. Schätzungsweise etwa 1,1 Mio. Menschen
sterben jährlich an dieser Erkrankung.
In Entwicklungsländern sind die Erreger bei Kindern unter fünf Jahren für
circa 10 % aller Durchfallerkrankungen
verantwortlich und die Ursache für bis
zu 75 % der diarrhöisch bedingten Todesfälle in dieser Altersgruppe [10].
Innerhalb eines Jahres treten ca.
580 000 Shigellose-Fälle bei Touristen
aus Industrienationen auf. Vermutlich
lassen sich ungefähr 5–15 % aller Diarrhöen und 30–50 % der Dysenterien
(Durchfallerkrankungen mit blutigschleimigen Beimengungen) auf Shigellen zurückführen.
In Deutschland lag im Jahr 2002 die
Inzidenz bei 1,4 Erkrankungen pro
100 000 Einwohner. Von den bei uns registrierten Shigellose-Fällen waren im
gleichen Jahr 75 % durch S. sonnei,
18 % durch S. flexneri, 4,5 % durch
S. boydii und 1,6 % durch S. dysenteriae
verursacht. Die meisten Erkrankten hatten sich bei Reisen in unterentwickelte
Regionen infiziert. In den letzten Jahren ist allerdings ein Trend zu erkennen, dass ein immer stärker werdender
Anteil der Shigellosen in Deutschland
erworben wird. (1999: 14 %, 2000:
20 %, 2001: 29 %, 2002: 36 %), S. dysenteriae-Infektionen treten in der Regel
nur in den Tropen und Subtropen auf
[11].
4 Erkrankung
4.1 Krankheitsbild
1
Einige Biovare positiv, S.-flexneri -6- sowie S.-boydii -13- und 14-Stämme
2
Inaktive Stämme (EIEC) zumeist negativ
3
Typ-1-Stämme immer positiv, einige andere Serovare gelegentlich
4
S.-boydii -13 Stämme positiv
5
S.-dysenteriae -Typ 1- und S.-flexneri -Stämme immer negativ
Tab. 1: Biochemische Differenzierung von Shigella spp. und E. coli (mod. nach [2])
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Nach der Aufnahme von nur wenigen
Keimen kommt es nach einer symptomfreien Latenzphase (Inkubationszeit) von einigen Stunden bis sieben
Tagen zu den ersten Beschwerden. Die
minimale Infektionsdosis liegt bei
S. dysenteriae bei ca. 200 bis 5 000 Zellen,
bei den anderen Spezies bei 100 bis
1 000 Zellen [12].
Angriffsort der Erreger sind das terminale Ileum (Teil des Dünndarms) sowie
das Kolon (Teil des Dickdarms). Dies
führt meistens zur Entwicklung einer
milden Diarrhö, kann aber auch als
Dysenterie verlaufen. Bei derart schweren Verläufen ist die Erkrankung durch
intensive Bauchkrämpfe mit häufigen,
vielfach mit Schleim- und Blutbeimengungen versehenen Durchfällen gekennzeichnet. In typischen Fällen beträgt die tägliche Stuhlfrequenz 10 bis
30 Entleerungen und kann sporadisch
zu einem Mastdarmvorfall (Rektumprolaps) führen. Ergänzend kann Erbrechen auftreten und bei circa einem
Drittel der Betroffenen stellt sich Fieber
ein [2].
In den meisten Fällen tritt nach 1–2 Wochen eine Spontanheilung ein, eine systemische Infektion ist indes äußerst selten. Obgleich alle Altersgruppen infiziert werden können, sind insbesondere Säuglinge, Kleinkinder und alte
Menschen gefährdet, da die Erkrankung zu einem starken Flüssigkeitsverlust mit lebensbedrohlichen Zuständen
führen kann.
In Ausnahmefällen können ShigellenInfektionen zu chronisch-rheumatoiden Erkrankungen führen, mit Ausprägung des Reiter-Syndroms (reaktive
Arthritis). Dabei kommt es zu Konjuktivitiden (Bindehautentzündungen),
schmerzhaftem Urinieren sowie Gelenkschmerzen, die Monate bis Jahre
andauern und zu einer chronischen Arthritis führen können.
Bei Kindern kann eine S. dysenteriae Typ-1-Infektion das gefürchtete hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) auslösen, das durch eine Kombination aus
Nierenversagen und einer hämolytischen (die roten Blutkörperchen zersetzenden) Anämie (Blutarmut) gekennzeichnet ist. Dabei werden die Patienten häufig dialysepflichtig, Nierentransplantationen sind daher nicht selten. Die Letalität beträgt 5–20 %.
Bezüglich der Krankheitssymptome
scheint eine gewisse Altersabhängigkeit
zu exisitieren. So verläuft eine Infektion
von Neugeborenen wie eine invasive
Septikämie, während ältere Kleinkinder
bis zu circa 1 Jahr mit Erbrechen, wässrigem Durchfall und damit verbundener Dehydration reagieren. Ältere Kinder hingegen entwickeln eine klassische
Dysenterie mit Bauchkrämpfen und
blutigem Durchfall [2].
4.2 Ablauf einer Ruhr-Infektion
Die durch Bakterien der Gattung Shigella verursachte Bakterienruhr zeigt typische Merkmale einer Infektionskrankheit. Die Bakterien werden oral
aufgenommen, passieren den Magen
und vermehren sich anschließend im
Darm. Die eigentliche Krankheit wird
durch Invasion der Darmschleimhaut
ausgelöst und umfasst eine Reihe von
Reaktionen des Immunsystems (쏆 Abbildung 1).
Anfangs gelingt es den Bakterien nicht,
die Schleimhaut von der Seite des
Darmlumens her zu durchdringen. Mittels der so genannten M-Zellen gelangen einige der Bakterien durch die epitheliale Zellbarriere an die Rückseite
der Darmepithelzellen. Diese spezialisierten Epithelzellen gehören zum Immunsystem und dienen üblicherweise
dem Transport von Antigenen.
Anfangs scheint das Auftreten der
Keime an der Rückseite der Darmepithelzellen nicht gefährlich zu sein. In
der Folge werden nämlich die Shigellen
von Makrophagen entdeckt und phagozytiert. Jedoch können Shigellen die
sie umhüllende Phagosomen-Membran
zerstören (lysieren) und eine Apoptose
(Zelltod) der Makrophagen auslösen.
Dies wirkt als Alarmsignal für das Im-
Eine S. sonnei -Erkrankung ist zumeist
durch einen milden Verlauf charakterisiert, obwohl es sich um eine akute
Dickdarmentzündung handelt. Darüber hinaus ist meistens nicht mit Komplikationen zu rechnen.
Eine ständige Gefahr für die Kontamination der Umgebung sowie eine Verschleppung des Erregers stellen die Erkrankten selbst dar. Aber auch Genesende sowie gelegentlich auch Genesene, als möglicherweise symptomlose
Ausscheider, können eine Gefahrenquelle sein. In der akuten Erkrankungsphase können zwischen 103–109,
im Durchschnitt 107 Erreger/g Stuhl,
bei Rekonvaleszenten 102–103 pro/g
Stuhl ausgeschieden werden. Die Ausscheidungsdauer kann sich bei Rekonvaleszenten noch über drei bis fünf Wochen nach Abklingen der Erkrankung
erstrecken, in Einzelfällen sogar über
fünf Monate, sowie in sehr seltenen Fällen über ein Jahr [2].
Abb. 1: Vorgänge bei einer Ruhr-Infektion. Erläuterungen im Text
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munsystem. In der Folge werden entzündungsfördernde Botenstoffe (Zytokine) freigesetzt. Diese locken Granulozyten an, die normalerweise Entzündungen bekämpfen. Sie wandern in
das Epithel und vermögen vielleicht
auch einige der Shigellen aufzunehmen. Jedoch öffnet gerade ihre Invasion in die Darmschleimhaut den Shigellen den Weg zwischen Granulozyten
und Schleimhautzellen hinter das Epithel des Dickdarms. Von dieser Seite
können sie in die Epithelzellen eindringen, wobei von letzteren geeignete
Membranausstülpungen gebildet werden. In den Epithelzellen können die
Shigellen ebenfalls die Phagosomen lysieren. Sie vermehren sich im Zytoplasma und können anschließend in
Nachbarzellen einwandern und einen
massiven Befall und schwere Durchfälle
bewirken.
4.3 Pathogenitätsmechanismen
Shigellen sind sowohl invasiv als auch
obligat intrazellulär pathogen. Die Pathogenitätskaskade (쏆 Abbildung 1) ist
nicht nur Plasmid- sondern auch chromosomal kodiert und äußerst komplex.
Das Invasionsvermögen ist als Hauptvirulenzfaktor anzusehen und bei allen Shigellen Plasmid-vermittelt. Diese
Virulenz-assoziierten Plasmide wurden
schon früh in den achtziger Jahren bei
S. sonnei und S. flexneri untersucht [13,
14]. Gemeinsam ist diesen Plasmiden
eine hohe DNA-Verwandtschaft zum
Invasionsplasmid der Enteroinvasiven
E. coli (EIEC). Die Plasmide kodieren
den temperaturabhängigen Invasionsprozess, wobei die Expression bei 37 °C,
nicht aber bei Temperaturen unter
30 °C stattfindet. Mit anderen Worten,
die Expression dieser Virulenzfaktoren
ist an die Körpertemperatur des Wirtes
gebunden.
Shigellen sind in der Lage, das ShigaToxin (Stx) zu bilden, welches chromosomal kodiert wird (stx -Gen). Es ist
nahezu identisch mit dem Verotoxin
(s. Nr. 7 vom Juli 2010 – Escherichia coli
(Teil 2): gesundheitlich bedenkliche
E.coli-Stämme). Kennzeichnend für die
Stämme des Serotyps 1 von S. dysenteriae
ist ihre hohe Toxinproduktion. Stx wird
auch von den anderen Serovaren dieser
Spezies, ebenso wie von den anderen
Shigellen, gebildet, jedoch in beträchtlich geringeren Konzentrationen. Das
Toxin wird während der exponenziellen Wachstumsphase gebildet und
dabei in den periplasmatischen Zellraum ausgeschieden.
Das Shiga-Toxin besitzt neben neuro-,
auch noch zyto- und enterotoxische Eigenschaften [15]. Die neurotoxischen
Eigenschaften sind für das Fieber und
den schmerzhaften Stuhl- oder Harndrang (Tenesmen) verantwortlich. Hingegen kommt der enterotoxische Effekt
über die Blockade von Elektrolyten,
Aminosäuren und Glukose aus dem
Dünndarm zustande. Dabei besetzt das
Stx die entsprechenden Rezeptoren.
Indes bindet sich die B-Untereinheit
des Stx an die Glykolipid-Rezeptoren
des Dickdarms, wodurch die A1-Domäne durch Rezeptor-vermittelte Endozytose aufgenommen und intrazellulär auf Ebene der 60S-ribosomalen Untereinheit die Proteinbiosynthese
hemmt und damit letztendlich den Zelltod auslöst. Das Stx ist allerdings nicht
die Grundvoraussetzung für die Virulenz von S. dysenteriae Typ 1, sondern
steigert lediglich die Schwere der Erkrankung.
5 Infektionsquellen und -wege
Die Shigellose ist vor allem ein Problem
in Ländern mit niedrigem Hygienestandard. Problematisch ist vor diesem
Hintergrund vornehmlich die hygienische Qualität des Wassers, sowohl von
Trink- als auch Badewasser. Als Infektionsquelle kommt praktisch nur der
Mensch in Frage, der so lange als infektiös gilt, wie er den Erreger mit dem
Stuhl ausscheidet.
Der Erreger kann verschiedenartig aufgenommen werden. Bei einer Schmierinfektion gelangen die Erreger nach
unterlassenem oder ungenügendem
Händewaschen mit der Nahrungsaufnahme in den Magen-Darm-Trakt. Die
Übertragung kann aber auch indirekt
über verseuchte Lebensmittel erfolgen,
die entweder mit verunreinigten Händen berührt oder mit verschmutztem
Wasser „gereinigt“ worden sind. Auch
Fliegen können an der Übertragung beteiligt sein (daher auch die „4 F“ im
Englischen: food, faeces, fingers, flies =
Nahrung, Fäkalien, Finger, Fliegen).
Der Haupteintrag erfolgt daher über
hygienewidrig handelnde Menschen, in
aller Regel Lebensmittelhändler und/
oder Küchenpersonal. Die Erkrankungen treten mehrheitlich in der wärmeren Jahreszeit auf; eine nicht adäquate
Temperaturführung ist aus diesem
Grunde die zweithäufigste Ursache für
durch kontaminierte Lebensmittel verursachte Shigellosen [16].
Ungefähr zwei Drittel der Lebensmittelinfektionen mit Shigellen ereigneten
sich über den Verzehr von Salaten, insbesondere mit Kartoffeln, Tunfisch, Geflügel oder Krabben. Auch von Shigellosen, ausgehend von rohen Austern,
Wassermelonen, Spaghetti, Bohnen,
Apfelcidre, Hamburger, Krabben, gefüllten Teigwaren, gekochtem Reis,
Milch, Schokoladenpudding usw.
wurde berichtet. Diese enorme Vielzahl
beteiligter Lebensmittel ist ein Beleg
dafür, dass es sich vorwiegend um sekundäre oder auch tertiäre Kontaminationen handeln muss.
Fazit
Im Gegensatz zu vielen einzelnen Lebensmitteln, die bereits im Urproduktionsbereich mit Erregern primär belastet
sind (z. B. Salmonellen in Eiern, Salmonellen und Campylobacter jejuni beim
Mastgeflügel, EHEC bei Wiederkäuern)
gibt es kein für Shigellen typisches Lebensmittel mit primärer Kontamination.
Vielmehr werden sie durch den ausscheidenden Menschen kontaminiert
[2].
Primär sind Lebensmittel nicht mit Shigellen belastet. In der Regel erfolgt die
Kontamination nach Fertigstellung der
verzehrsfähigen Lebensmittel, d. h. vor
der direkten Abgabe an den Verbraucher. Umso wichtiger ist die Sicherstellung der Hygiene. Von entscheidender
Bedeutung ist dabei die Personalhygiene.
Die Literatur zu diesem Artikel finden Sie im Internet unter
www.ernaehrungs-umschau.de/service/literaturverzeich
nisse/
„Ernährungslehre und -praxis“, ein Bestandteil der „Ernährungs Umschau“. Verlag: UMSCHAU ZEITSCHRIFTENVERLAG GmbH, Sulzbach/Ts. Zusammenstellung und Bearbeitung:
Dr. Eva Leschik-Bonnet, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Dr. Udo Maid-Kohnert, mpm Fachmedien (verantwortlich).
B40
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