GESUNDHEIT Die Erreger der Rindergrippe gezielt suchen Wer Atemwegserkrankungen erfolgreich bekämpfen will, muss die Erreger kennen. Die Diagnostik erläutern Dr. Hans Peter Heckert und Dr. Kirsten Stemme, Freie Universität Berlin. A Übers. 1: Wichtige virale Krankheitserreger im Rindergrippe-Komplex Erreger Parainfluenza 3-Virus Rhino-Virus REO-Virus Adeno-Virus Corona-Virus Bovines Respiratorisches Synzytial-Virus Bovines Herpes-Virus 1 Bovines Virusdiarrhoe-Virus Abkürzung PI 3 BAV BCV BRSV BHV1 BVDV } Polyfaktorielle Erreger } Eigenständige Erreger temwegserkrankungen sind heute kein saisonales Problem der Wintermonate mehr, sondern kommen das ganze Jahr über vor. Die Totalverluste hierbei liegen nach neueren Untersuchungen bei etwa 8 %. Sie bilden aber nur die Spitze des Eisberges. Die wirtschaftlichen Schäden sind weitaus höher, da der erhöhte Medikamenteneinsatz, der höhere Futteraufwand und die verminderte Leistungsbereitschaft berücksichtigt werden müssen. Primäre Ursachen für Atemwegserkrankungen sind eine Vielzahl von viralen und bakteriellen Erregern. Um sie ausfindig zu machen und gezielt zu bekämpfen, ist neben der richtigen Auswahl der zu beprobenden Tiere die Entnahmetechnik, der Entnahmezeitpunkt und die richtige Fragestellung an das Labor wesentlich. Erreger im Betrieb ständig vorhanden Virale Erreger sind in den meisten Betrieben ständig vorhanden und führen unter ungünstigen Bedingungen zur Erkrankung (siehe Übersicht 1). Alle diese viralen Primärinfektionen werden im Verlauf weniger Krankheitstage durch das Hinzutreten bakterieller Keime (Sekundärinfektionen) verschlimmert. Durch diese wird der weitere Krankheitsverlauf und der Ausgang bestimmt. Eine besondere Stellung nehmen hier- R 16 top agrar 4/2005 Dieses Kalb hat hochgradige Atemnot mit Maulatmung im chronischen Erkrankungsstadium. Das Lungengewebe ist stark angegriffen. Fotos: Dr. Heckert bei die Bakterien der Gattung Pasteurella ein (Mannheimia hämolytica und Pasteurella multocida). Beim gesunden Tier besiedeln sie schon nach wenigen Lebensstunden die Schleimhäute des oberen Atmungstraktes. Verschiedene Abwehrbarrieren im hinteren Rachenbereich verhindern aber eine Besiedelung der tieferen Atemwege. Durch eine Schädigung der Schleimhäute nach einer viralen Infektion aber durchbrechen die bakteriellen Erregern diese Barrieren. Es gelingt ihnen sich sprunghaft zu vermehren und den Weg Richtung Lunge zu nehmen. Neben den viralen Wegbereitern kann eine erhöhte Schadgasbelastung ebenfalls die Schleimhautstrukturen schädigen und R I N D Entnahme eines Trachealtupfers aus der Luftröhre zur bakteriologischen Untersuchung. weißen Blutzellen vermehrt, kommt es zu einer Störung der Immunabwehr der Tiere (Immunsuppression), so dass BVDVInfektionen letztendlich innerhalb der Aufzucht ebenfalls mit dem Krankheitsgeschehen „Rindergrippe“ einhergehen können. Krankheitsgeschehen ändert sich nach wenigen Tagen Akute BVD-Infektion bei einem Kalb. Deutlich zu erkennen sind Rötungen und erosive Schleimhautveränderungen an den Nasenöffnungen. somit den Weg für bakterielle Sekundärinfektionen ebnen. Außer den polyfaktoriellen viralen Erregern der Rindergrippen können auch eigenständige Erreger unabhängig von zusätzlichen Einflüssen Atemwegserkrankungen hervorrufen. So hat in den letzten Jahren insbesondere im norddeutschen Raum die BRSV-Infektion zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die BHV1-Infektion hat als IBR-Erkrankung ihren Schrecken verloren, spielt aber als Erkrankungsfaktor besonders in Kälberaufzucht- und Mastbetrieben nach wie vor eine Rolle. Das BVD-Virus führt nach Infektion eines Betriebes zu unterschiedlichen Krankheitsanzeichen. Da es sich in den Nach der viralen Primärinfektion kommt es zunächst zu Fieber, wässrigem Nasenausfluss, beschleunigter Atmung und unterschiedlich ausgeprägtem Husten. Aber schon nach wenigen Krankheitstagen ändert sich aufgrund der hinzutretenden bakteriellen Sekundärinfektion die Qualität des Nasenausflusses: Er wird jetzt schleimig und zunehmend eitrig. Viele Landwirte erkennen erst in diesem Krankheitsstadium den Ernst der Lage. Durch den späten Behandlungseinstieg und eine inkonsequente Therapie kommt es zu Rückfällen mit langer Krankheitsdauer. Im schlimmsten Fall wird das Lungengewebe so weit zerstört, dass für diese Tiere keine Rettung mehr möglich ist. top agrar 4/2005 R 17 GESUNDHEIT Lungen von Kälbern besonders anfällig I m Verhältnis zu ihrem Körpergewicht und ihrer Körperoberfläche besitzen Rinder eine kleine Lungenfläche. Um gute Leistungen zu erbringen, muss die Lunge daher, ähnlich wie bei einem Hochleistungssportler, ständig gut belüftet sein. Aufgrund der kleinen Lungenfläche fallen Schäden am Lungegewebe daher besonders stark ins Gewicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lunge stark segmentiert ist und jedes Lungensegment nur durch einen Bronchus belüftet wird. Querverbindungen zwischen den einzelnen Lungensegmenten fehlen. Bei schweren Infektionen der Atemwege fallen daher einzelne Segmente völlig aus und könne durch das restliche Lungengewebe in ihrer Funktion nicht ausgeglichen werden. Nach Abklingen der klinischen Krankheitserscheinungen bleiben somit irreparable Schäden, die zu Leistungsdepressionen führen. Neben diesen anatomischen Besonderheiten ist auch die Umgebung der Rinder von entscheidender Bedeutung bei der Auslösung infektiöser Atemwegserkankungen. Besonders die viralen Erreger, die dem RindergrippeKomplex zugeordnet werden, brauchen wegbereitende Faktoren, um ihre krankmachende Wirkung zu entfalten. Dazu gehören Veränderungen in der Fütterung, in der Aufstallung und ein ungünstiges Stallklima. BRSV-Infektionen weichen in ihren Krankheitserscheinungen von der herkömmlichen Rindergrippe ab. Der Nasenausfluss fehlt völlig, während trockener Husten und Fieber im Vordergund stehen. Bei einzelnen Kälbern kann es je- doch kurz nach Krankheitsausbruch zu hochgradiger Atemnot und Maulatmung mit teilweise Schaum vor dem Maul kommen. Diese Kälber können innerhalb weniger Stunden verenden. Eine BVD-Infektion äußert sich be- R 18 top agrar 4/2005 sonders zu Beginn der Erkrankung in Rötungen und erosiven Veränderungen im Bereich Flotzmaul, Naseneingang und Lippen. Nach mehreren Krankheitstagen klingen diese ab und je nach Sekundärerregern stehen die Symptome der Rindergrippe im Vordergrund. Die beschriebenen klinischen Leitsymptome reichen nur für eine Verdachtsdiagnose im betroffenen Bestand. Eine zielgerichtete Behandlung besonders in Problembeständen ist aber erst nach einem Erregernachweis möglich. Direkter Erregernachweis entscheidend Die Krankheitserscheinungen werden im Verlauf der Erkrankung immer ähnlicher. Eine Diagnose an Hand klinischer Leitsymptome kann also nur kurz nach Krankheitsbeginn und vorheriger Analyse der Krankheitsgeschichte und Betriebsbesichtigung gestellt werden. Als diagnostische Maßnahme steht der direkte Erregernachweis an oberster Stelle. Mit indirekten Nachweisverfahren, wie der Entnahme von Blutproben zur Erhebung des Antikörperstatus, sind keine Aussagen zum aktuellen Krank- R I N D Spülungen der oberen Bronchien zum Auffinden von Problemkeimen. Das Kalb wurde dazu betäubt. Entnommener Nasentupfer mit Schleimhautzellen zum Nachweis viraler Erreger. heitsgeschehen möglich. Dazu wären Vergleichsproben im Abstand von 14 Tagen notwendig, was beim dramatischen Krankheitverlauf z. B. von BRSV-Infektionen zu spät käme. Bei der Probenahme zum direkten Erregernachweis muss in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium entschieden werden, wo mit der größten Wahrscheinlichkeit ein positiver Befund möglich ist, d.h. Erreger gefunden werden können. ■ Entnahme eines NasenschleimhautZellenabstrichs zum Nachweis viraler Erreger: In den ersten drei bis fünf Krankheitstagen sollte die Probenahme mit einem langstieligen Tupfersystem erfolgen. Hierbei werden mittels eines Abstrichs Nasenschleimhautzellen tief im unteren Nasen-Rachen-Gang gewonnen, in denen der Virusnachweis erfolgen kann. Ist bereits schleimig-eitriger Nasenausfluss vorhanden, hat schon eine bakterielle Sekundärinfektion stattgefunden. Dann ist der Virusnachweis meist nicht mehr durchführbar und das Augenmerk sollte auf die bakterielle Erregerdiagnostik gerichtet werden. ■ Entnahme aus der Luftröhre zum Nachweis bakterieller Erreger: Zum Auffinden bakterieller Erreger ist der Abstrich von Nasenschleimhautzellen nicht geeignet, da die Nasenschleimhaut auch von Keimen besiedelt ist, die nicht mit der Erkrankung in Zusammenhang stehen. So lässt z. B. der Nachweis von Pasteurellen keinen Rückschluss auf eine Beteiligung dieser Erreger im aktuellen Krankheitsgeschehen zu, da sie auch bei gesunden Tieren im oberen Atmungstrakt zu finden sind. Nur die Entnahme eines Abstrichs aus den tieferen Atemwegen (Luftröhre) bringt ein aussagekräftiges Ergebnis. Hier sind die relevanten bakterielle Keime normalerweise nicht vorhanden. ■ Trachealspülprobe aus den Bronchien zum Auffinden von Problemkeimen: Nach einem unbefriedigenden Untersuchungsergebnis oder mehrfach negativen Wiederholungsuntersuchungen kann nach besonderen Problemkeimen gesucht werden. Hierzu können die oberen Bronchien gespült werden. Da die Entnahme einer solchen Trachealspülprobe relativ arbeitsintensiv ist und bei schwer erkankten Tieren ein Risiko darstellt, bleibt dieses Verfahren auf Einzelfälle beschränkt. Antibiogramm erstellen Die Trefferquote bei bakteriellen Erregernachweisen mittels Trachealtupfer und Trachealspülprobe wird durch die Zugabe eine Nährmediums bei der Probenahme erhöht. Dies muss je nach der Fragestellung im Vorfeld mit dem zuständigen Untersuchungslabor abgeklärt werden. Insbesondere beim Verdacht auf Mykoplasmen-Infektionen haben sich die beschriebenen Untersuchungsverfahren bewährt. Die diagnostischen Maßnahmen zum Erregernachweis sollten bei positivem Befund durch die Anfertigung eines Antibiogramms vervollständigt werden. Auf Basis dieser Ergebnisse kann dann eine gezielte und erfolgversprechende Behandlung der bakteriellen Erreger eingeleitet werden. top agrar 4/2005 R 19