Benzodiazepine in der Suchtbehandlung

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Benzodiazepine in der Suchtbehandlung
Dr. Raphael Linser, LKH Hall - Psychiatrie B – Fachstation für Drogentherapie, 09/2016
Benzodiazepine sind hochwirksame Medikamente, die schnell und zuverlässig wirken,
dabei gut verträglich sind und eine große therapeutische Breite besitzen. Sie besitzen alle
anxiolytische, mukelrelaxierende, hypnotische und antikonvulsive Eigenschaften. Bei ihrer
Markteinführung Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts lösten sie rasch die bis
dahin gebräuchlichen Schlaf- und Beruhigungsmittel ab, die alle durch eine deutlich
höhere Toxizität gekenntzeichnet waren. Dies führte anfänglich zu einer unkritischen
Verschreibungspraxis was die Indikation, die Höhe der verschriebenen Dosis und vor
allem die Dauer der Therapie angeht. Obwohl ihr suchterzeugendes Potential bald erkannt
wurde, dauerte es noch einige Jahre, bis ab den 80er Jahren der Verordnungsboom
langsam zurück ging und sich allgemeine Behandlungsrichtlinien für die Benzodiazepinverschreibung durchzusetzen begannen.
Es hatte sich gezeigt, dass Benzodiazepine – auch in therapeutischer Dosierung – relativ
rasch zu Tolerazentwicklung, Entzugssymptomen und Abhängigkeit führen können,
sodass sie heute vor allem als symptomatische Akutmedikation bei akuten Angst- und
Erregungszuständen unterschiedlicher Äthiologie, zur kurzzeitigen Behandlung von
Muskelspasmen, sowie bei Epilepsie zur Unterbrechung eines Anfalls eingesetzt werden.
Eine Dauerbehandlung mit dieser Medikamentengruppe sollte heutzutage nicht mehr
durchgeführt werden, für die zugrundeliegenden Erkrankungen gibt es meist geeignetere
pharmakologische Therapiemöglichkeiten.
Trotzdem ist es eine Tatsache, dass viele Menschen chronisch Benzodiazepine
gebrauchen. Schätzungen gehen davon aus, dass 1-2% der Allgemeinbevölkerung eine
Abhängigkeit von Benzodiazepinen entwickelt hat und diese regelmäßig einnimmt (das
wären in Österreich 87.000 -174.000 Menschen). Epidemiologische Studien zeigen, dass
Frauen, ältere Personen und Menschen mit unterschiedlichen psychiatrischen
Erkrankungen besonders gefährdet sind eine abhängige Einnahmeform zu entwickeln.
Dabei muss die Abhängigkeit von niedrigen Dosen (low dose dependency) von der
deutlich selteneren Hochdosisabhängigkeit unterschieden werden.
Unter einer Low-Dose-Abhängigkeit versteht man den chronischen Konsum von
Benzodiazepinen in therapeutischer Dosierung, ohne dass es dabei zu einer
Dosisteigerung kommt. Die Betroffenen sind meist sozial integriert und führen ein
unauffälliges Leben. Bei Absetzten treten in der Regel Entzugssymptome wie Unruhe,
Schlafstörungen und Angstzustände auf. Die Benzodiazepine werden oft über Jahre
ärztlich verordnet, typischerweise besteht bei den Patienten (und Behandlern) keine
Störungseinsicht, weshalb auch eine geringe Motivation besteht an einer wirksamen und
nebenwirkungsarmen Therapie etwas zu verändern. Prinzipiell sollte auch in dieser
Situation ein Entzug angestrebt werden, da auch die Langzeiteinnahme therapeutischer
Dosen zu Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen, Muskelschwäche, u.s.w.
führen kann, die Indikation dazu ist aber immer anhand einer Nutzen-Risiko-Abwägung
individuell zu stellen. Zur Vermeidung solcher Konsumformen für die Zukunft, sollte von
Seiten der verschreibenen Ärzte darauf geachtet werden, dass nach sorgfältiger
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Indikationsstellung und Aufklärung des Patienten über das Abhängigkeitsrisiko, eine
Benzodiazepinverschreibung nur kurzfristig (2-4 Wochen) durchgeführt wird.
Problematischer stellt sich die Situation bei der Hochdosisabhängigkeit von
Benzodiazepinen dar. Sie ist gekenntzeichnet durch eine Dosisteigerung deutlich über den
therapeutischen Bereich, wobei Menschen mit komorbiden psychiatrischen Erkrankungen
und insbesondere mit vorbestehender Suchterkrankung (Alkohol, Opiate, ...) ein deutlich
höheres Risiko haben eine solche Benzodiazepinabhängigkeit zu entwickeln. Bei den
Betroffenen kommt es zu einer Verminderung der Kritikfähigkeit, Vergesslichkeit und einer
emotionalen Abstumpfung. Durch Einnahme hoher Dosen kommt es vermehrt zu
Amnesien (Blackouts) und paradoxen Reaktionen (Euphorie, Aggressionen). Hinzu
kommt, dass sich durch den Mischkonsum von Opiaten mit Alkohol oder Benzodiazepinen
deren atemdepressorische Wirkung potenziert; bei den direkt suchtgiftbezogenen
Todesfällen spielen diese Mischintoxikationen eine wesentliche Rolle. Die Patienten
suchen häufig mehrere Ärzte parallel auf (Ärztehopping), um an die benötigten
Medikamenten zu gelangen, oder versorgen sich vom Schwarzmarkt; auch
Rezeptfälschungen und der Bezug aus dem Internet sind gängige Methoden der
Medikamentenbeschaffung.
Der Umgang mit diesen Problemen ist noch unbefriedigend gelöst, medizinische
Standards fehlen weitgehend, mit rein abstinenzorientiereten Konzepten ist eine Vielzahl
der Patienten nicht erreichbar. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für
Gesundheit 2012 eine Leitlinie zum Umgang mit dem schädlichen Gebrauch und der
Abhängigkeit von Benzodiazepinen bei Patienten in Opiatsubstitutionsbehandlung
veröffentlicht. Der Leitlinie liegt das Wissen zugrunde, dass es sich bei Menschen mit
multipler Substanzabhängigkeit um schwerstkranke Patienten handelt, die ihren
Suchtmittelkonsum nicht kontrollieren können, und einen hochriskanten Substanzkonsum
- einschließlich Mischkonsum – aufweisen. Oberste Priorität muss in diesen Fällen die
Schadensbegrenzung sein. Ausserdem muss es Ziel sein diese Patienten in der
Erhaltungstherapie zu halten, um den regelmäßigen ärztlichen Kontakt und die
suchtmedizinische Beleitung des Krankheitsverlaufes zu gewährleisten. Im folgenden
eine Zusammenfassung der Leitlinie:
Prinzipiell sollte bei opiatabhängigen Patienten die Abstinenz von Benzodiazepinen
angestrebt werden, falls dies (noch) nicht möglich ist, soll eine möglichst niedere Dosis
verschrieben werden. Aufgrund der Tatsache, dass ein erhöhter Benzodiazepinbedarf
Hinweis auf eine psychiatrische Komorbidität sein kann, sollte eine psychiatrische
Diagnostik grundsätzlich die Regel sein und daraus resultierende pharmakologische
Behandlungsmöglichkeiten sollen ausgeschöpft werden. Die Verschreibung von
Benzodiazepinen an opiatabhängige Patienten sollte in einer Hand liegen, im Idealfall
beim substituierenden Arzt, wenn mehrere Ärtze in die Behandlung involviert sind, soll ein
gegenseitiger Informationsaustausch über die Verschreibungen stattfinden. Die
Verschreibung von Benzodiazepinen soll immer im Rahmen eines Therapieplans
stattfinden. Die Verschreibung selbst soll auf Kassenrezepten erfolgen. Bei der Wahl der
Substanzen sollte langsam anflutenden Substanzen (z.B. Oxazepam, Clonazepam) der
Vorzug gegeben werden. Die Verschreibung von Flunitrazepam ist mit besonderen
Risiken verbunden und sollte vermieden werden, sein rasches Anfluten ist ein
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suchtfördernder Faktor, seine langanhaltende Wirkung macht die Steuerung des Konsums
schwierig und scheint eine Rolle bei letalen Mischintoxikationen zu spielen.
Diese Leitlinien sollen den Ärzten eine fachliche Unterstützung im Umgang mit dem
schädlichen Gebrauch und der Abhängigkeit von Benzodiazepinen bei der Behandlung
von polytoxikomanen Patienten in Substitutionsbehandlung bieten und als ein Schritt in
Richtung der Entwicklung eines State of the Art in der Behandlung der multiplen
Substanzabhängigkeit dienen.
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