Die Entstehung des römischen Kaisertums Das

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Die Entstehung des römischen Kaisertums
Das Bedürfnis mächtiger Menschen, ihre Macht zeitlebens zu bewahren und möglichst auch zu
vererben, ist nicht selten. Die römische Republik schien jedoch vorgesorgt zu haben: Die Schalthebel
der Macht wurden nur auf Zeit besetzt, und dabei wechselten sich die Mitglieder der aristokratischen
Elite Roms ab. Mit Augustus wurde dies anders. Seit seiner Machtübernahme war für einen Wechsel
kein Platz mehr.
Vom 13. bis 15. August des Jahres 29 v. Chr. erlebten die Bewohner der Stadt Rom ein nie zuvor
gebotenes Schauspiel. Jeder Tag sah einen Triumphzug, der an einen Sieg Roms erinnerte: an den
Sieg in Illyricum 35/33 v.Chr., bei Actium 31 v. Chr. und über Ägypten 30 v. Chr. Im Mittelpunkt aller
drei Triumphe stand ein einziger Mann, unter dessen Kommando diese Siege errungen worden
waren: der noch nicht ganz 34jährige Imperator Caesar, der Adoptivsohn des 44 v. Chr. ermordeten
Caesar, von den Historikern üblicherweise Octavian genannt. Alle drei Triumphe wurden nominell über
auswärtige Feinde gefeiert; doch alle Welt wußte, daß mit Actium und dem Sieg in Ägypten ein
15jähriger Bürgerkrieg zwischen Römern beendet wurde; Octavians Gegner bei Actium und
Alexandria war in Wahrheit nicht die ägyptische Königin Kleopatra, sondern der Römer Marcus
Antonius gewesen, der am Ende mit der ägyptischen Königin den Tod gefunden hatte.
Octavian ging als Sieger aus diesem inneren Krieg hervor, der Rom an den Rand des Abgrunds
gebracht hatte. Italien und seine Bevölkerung hatten nicht weniger gelitten als die Provinzen. Eine
allgemeine Erschöpfung, selbst der politischen Kreise in Rom, war das Ergebnis – ein entscheidender
Unterschied zur Zeit nach dem nur kurzen Bürgerkrieg der Jahre 49 bis 45, aus dem Caesar als
Sieger hervorgegangen war. Als dieser die Macht unverhohlen ergriff und seine Alleinherrschaft
deutlich sichtbar machte, provozierte das noch erbitterten Widerstand. Ein Teil der Senatoren, auch
einige seiner Gefolgsleute, revoltierte. Die Bluttat an den Iden des März 44 v. Chr. war die Folge – und
der erneute Bürgerkrieg, der so viel länger dauern sollte.
Die Triumphe vom August 29 zeigten aller Welt, daß diese grausame Epoche zu Ende war. Alle
sehnten sich nach Frieden. Und als Garant für Frieden wurde Octavian gefeiert. Er hielt alle Macht in
Händen, die Provinzen mit ihren Statthaltern gehorchten ihm, das Heer unterstand seinem
Kommando. Freilich hätte niemand einen klaren Rechtstitel nennen können, auf dem seine Macht
beruhte. Vor der Schlacht von Actium hatte Octavian sich auf den „einmütigen Auftrag aller”, den
berühmten consensus universorum, berufen. Doch die römische Republik hatte auf ihre Institutionen
gebaut und keine derartig eindeutig plebiszitären Aufträge gekannt. Nur Senat und ordnungsgemäß
einberufene Volksversammlungen konnten durch Wahl oder Gesetz einzelnen Männern das Mandat
geben, für Rom zu handeln – aber nur auf Zeit und im Wechsel mit anderen.
Ein Machtwechsel hatte jedoch seit nunmehr 16 Jahren nicht mehr stattgefunden. Was sollte jetzt mit
Octavian geschehen, der wie kein anderer vor ihm alle Macht in Rom verkörperte und in sich vereinte?
Vor allem für ihn selbst war klar, daß er die Macht nicht mehr abgeben wollte, es auch nicht konnte,
weil sonst wohl das Chaos erneut ausgebrochen wäre. Darin unterstützten ihn seine Anhänger und
viele Untertanen in den Provinzen. Selbst seine Gegner hätten dem kaum widersprochen. Doch auch
er wußte, daß er die Macht nicht einfach behalten konnte. Eine Änderung mußte eintreten; die Frage
war nur, wie sie aussehen würde.
Vor allem mußte geklärt werden, wie Octavian, der Sieger im Bürgerkrieg, in die traditionelle politische
Struktur Roms, in seine Institutionen so eingebaut werden konnte, daß einerseits seine Macht nicht
allzu sehr beschnitten und andererseits nicht für jeden unmittelbar erkennbar wurde, daß es sich hier
nicht mehr um die römische Republik, sondern im Grunde um eine Alleinherrschaft handelte. Es gab
noch kein voll erprobtes Modell für die politisch-rechtliche Integration eines siegreichen
Bürgerkriegsgenerals in die aristokratisch bestimmte Republik. Das römische Kaisertum, wie wir heute
so einfachhin sagen, war noch nicht erfunden. In den politischen Kreisen Roms diskutierte man in den
Monaten nach dem dreifachen Triumph intensiv darüber, wie die Zukunft Roms und Octavians
gestaltet werden sollte. Vor allem der Machthaber selbst versammelte seine engsten Freunde und
Berater um sich, um mit ihnen zusammen die richtige Form zu finden.
Davon drang wenig an die Öffentlichkeit. Man diskutierte hinter verschlossenen Türen, wollte erst das
fertige Ergebnis präsentieren. Doch ist uns ein Reflex dieses Brainstormings bei dem Historiker
Cassius Dio erhalten, der zu Beginn des 3. Jahrhunderts eine römische Geschichte verfaßte. Er läßt
zwei der engsten politischen Berater Octavians ihre Meinungen über die Zukunft Roms entwickeln:
Agrippa, der für Octavian den Sieg im Bürgerkrieg erfochten hatte, und Maecenas, den kunstsinnigen
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Abkömmling einer etruskischen königlichen Familie mit starkem Sinn für Machtausübung hinter den
Kulissen. Die Diskussion hat in dieser Form nie stattgefunden; sie zeigt aber, zwischen welchen
Extrempositionen der Weg gefunden werden mußte. Denn Agrippa plädiert bei Cassius Dio dafür, die
Republik mit all ihren Institutionen wieder voll handlungsfähig zu machen – für den Sieger Octavian
wäre da nur der Weg geblieben, bescheiden in der Gleichheit der Aristokratie unterzutauchen; das war
nicht nur für Octavian eine groteske Vorstellung. Maecenas seinerseits empfiehlt eine offene
Monarchie, in der nicht nur jeder weiß, daß Octavian Herr über alles ist, sondern auch die staatlichen
Institutionen (Senat und Ritterstand, vor allem aber das gesamte Heer) dem Willen des Monarchen
unterstellt werden. Beide Szenarien waren damals unrealistisch. Ein vermittelnder Weg mußte
gefunden werden.
Eineinhalb Jahre nach der triumphalen Rückkehr Octavians nach Rom, im Januar 27 v. Chr., wurde
der entscheidende Schritt zur Normalisierung und dauerhaften Veränderung des politischen Systems
getan. Am 13. Januar gab der Machthaber in einer Senatssitzung die Verfügung über die Republik an
Senat und Volk zurück. Es schien ein Akt großzügiger Selbstentäußerung zu sein; doch im Kern war
es das nicht. Denn Octavian trat ebensowenig vom Konsulat zurück wie sein politischer Helfer und
Freund Agrippa. Damit waren beide verfassungsgemäß die höchsten Magistrate in Rom, die Leiter der
Politik. Zudem waren genügend Anhänger im Senat über das, was geschehen würde, informiert. Und
sie spielten ihre Rolle. Ein Sturm der „Entrüstung” brach los: Es sei unverantwortlich, daß Octavian
nach dem eben kaum überwundenen Chaos nunmehr die res publica im Stich lasse und seine
Verantwortung nicht mehr wahrnehme. Ohne seine Person könne Rom nicht weiter existieren. Wolle
er denn, daß das Chaos der Bürgerkriege zurückkehre? Die Götter hätten gezeigt, daß auf ihm und
seinem Wirken der Friede und das Wohlergehen Roms beruhten.
Wieweit die Mehrheit der Mitglieder des Senats diesen wortreichen Tiraden glaubte, wissen wir nicht.
Widersprochen hat ihnen keiner. Denn jeder wußte oder fühlte zumindest, daß Octavian gar nicht die
Absicht hatte, die Macht völlig aus der Hand zu geben. Er wollte sie, zumindest im Kern, behalten;
aber er wollte dazu gedrängt werden. Er wollte als derjenige erscheinen, der von der Bürgerschaft, vor
allem von den politischen Wortführern im Senat, gezwungen wurde, Verantwortung für die Republik in
legitimierter Form zu übernehmen. Dann konnte ihm niemand mehr vorwerfen, er beherrsche den
Staat mit usurpierter Gewalt.
Schließlich gab er dem Drängen nach und erklärte sich bereit, für den begrenzten Zeitraum von zehn
Jahren einen Teil des Imperium Romanum zu leiten. Die „Wahl” fiel auf die Provinzen der Iberischen
Halbinsel, Gallien und Syrien sowie einige weitere kleinere Provinzen. Über die anderen verfügten
Senat und Volk. Doch auch wenn in Octavians Provinzen der größere Teil der Truppen stand –
Oberbefehlshaber der römischen Truppen war er damit noch nicht. In einigen Reichsteilen
unterstanden die Truppen nur den Statthaltern, senatorischen Prokonsuln. Octavian übernahm die
Leitung seiner Provinzen und Legionen aufgrund der Amtsgewalt, die ihm der Konsulat – als eine
republikanische Magistratur – gab. Die Stellung eines Kaisers war damit noch lange nicht geschaffen.
Man hatte nicht einmal eine eigene, neue Bezeichnung für Octavians Stellung, denn noch war nicht
klar abzusehen, daß eine wesentlich neue Herrschaftsform geschaffen worden war, als man die
großen Provinzkomplexe an Octavian übertrug.
Wohl aber fand man für ihn einen neuen Namen: Augustus. Octavian hatte sich bis zum 16. Januar 27
Imperator Caesar divi filius genannt: Imperator Caesar, Sohn des Vergöttlichten (das heißt Caesars).
Das war als Name schon außergewöhnlich genug, weil Imperator, das hier den persönlichen
Vornamen bildet, die Bezeichnung für den siegreichen Feldherrn war. Octavian erhob damit die
Sieghaftigkeit zu seiner ganz persönlichen Eigenschaft. Caesar aber, ursprünglich ein Kognomen, ein
Beiname, hatte er zu einem neuen Familiennamen umgestaltet, die neue Familie der Caesares. Nun
verlieh ihm der Senat zudem einen außergewöhnlichen Beinamen: Augustus, der „Erhabene”. Einige
Zeit hatte man im Kreis um Octavian auch an das Kognomen Romulus gedacht, den Namen des
ersten römischen Königs. Doch da es die Überlieferung gab, Romulus sei am Ende seines Lebens
wegen seiner tyrannischen Entartung von den Senatoren zerrissen worden, war man davon wieder
abgekommen. Wozu die Senatoren ausdrücklich auf ein Modell verweisen, das man gar nicht wollte?
Die nun gefundene politisch-rechtliche Lösung dauerte nur einige Jahre. Gerade die republikanische
Form, Rom in der Stellung eines Konsuls zu leiten, erwies sich im Effekt als antirepublikanisch. Denn
dieses Amt lebte ja, wie alle anderen Ämter auch, aus dem jährlichen Wechsel. Augustus aber war
ununterbrochen Konsul, bereits seit dem Jahr 31; er machte aus dem Konsulat fast eine
monarchische Stellung und verminderte damit zusätzlich die Chancen der anderen Aristokraten im
Senat, diese höchste Ehrenstellung zu erreichen. Eine tiefgehende Frustration bei vielen Senatoren
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war die Folge. Noch schlimmer war, daß Anfang des Jahres 23 eine Verschwörung von Senatoren
gegen ihn aufgedeckt wurde.
Augustus realisierte, daß zur dauerhaften Absicherung seiner Machtstellung eine tiefgehende
Änderung nötig war. Als ihn zudem eine Krankheit an den Rand des Todes brachte, trat er nach
seiner Genesung Mitte des Jahres 23 von seinem Konsulat zurück. Das befreite ihn zwar von einer
als tyrannisch verschrienen Last, bedeutete aber auch einen Machtverlust. Nicht so sehr in den
Provinzen, wo nach republikanischem Vorbild seine konsulare Amtsgewalt automatisch zu einer
prokonsularen wurde. In Rom selbst, im Zentrum der Macht, hatte er aber plötzlich keine legale
Position mehr, um die Politik in Senat und Volksversammlung, vor allem bei den Wahlen, zu lenken.
Die Lösung dieses Dilemmas fand man in der Amtsgewalt der Volkstribunen, der tribunicia potestas.
Die zehn jährlich gewählten Inhaber dieses auf revolutionäre Weise in der Frühzeit der Republik
entstandenen Amtes galten auch in der Spätzeit der Republik noch als die Schützer der Plebs, der
breiten Masse des römischen Volkes. Mit ihrem Einspruchsrecht konnten sie alle Politik lahmlegen.
Sie konnten zudem mit dem Senat verhandeln und bestimmte Volksversammlungen leiten. Auch galt
jede Verletzung eines Volkstribunen als Verletzung des römischen Volkes selbst. Augustus besaß
diese Unverletzlichkeit bereits seit längerer Zeit. Jetzt wurde ihm die gesamte Amtsgewalt eines
Volkstribunen verliehen, nicht aber das Amt selbst. Damit vermied er den Fehler, den er mit der
kontinuierlichen Besetzung des Konsulats begangen hatte: Denn die Amtsgewalt bedurfte keiner
Wiederwahl; sie wurde jährlich erneuert und entsprechend in der Titulatur des Herrschers gezählt.
Damit übernahm sie die Funktion der Jahreszählung wie in anderen monarchischen Systemen das
Königsjahr.
Mit den Veränderungen des Jahres 23 war die rechtliche Ausgestaltung von Augustus’
Herrscherstellung in Rom wesentlich voran-, aber noch nicht zu Ende gekommen. Vier Jahre später
erhielt er vermutlich die Amtsgewalt eines Konsuls, um ihm bei den Wahlen ein leichteres Eingreifen
zu ermöglichen. Schon 23 war seine Amtsgewalt für die Leitung der Provinzen, sein imperium als
Prokonsul, rechtlich so verstärkt worden, daß er sich im Konfliktfall gegenüber jedem anderen
Amtsträger außerhalb Roms und Italiens, das heißt vor allem in den Provinzen, durchsetzen konnte.
Schließlich übertrug ihm das Volk im Jahr 12 v. Chr. auch noch die Leitung des Staatskultes:
Augustus wurde pontifex maximus. Das war nicht eine charismatische, durch andere Priester in einem
Weiheritus übertragene Macht. Die Bestellung erfolgte vielmehr, rein rechtlich, durch Wahl des Volkes
– ein fundamentaler Unterschied etwa zum mittelalterlichen Kaisertum, bei dem Salbung und Weihe
durch den Papst eine so weitreichende Bedeutung erlangte. Nach eigener Aussage sah Augustus den
Höhepunkt seiner eigenen Stellung erreicht, als ihn Senat, Ritterstand und Volk im Jahr 2 v. Chr. mit
dem ehrenvollen Titel eines „Vaters des Vaterlandes”, eines pater patriae, auszeichneten. Pflicht und
Recht zur Sorge um das gesamte Gemeinwesen waren darin ausgedrückt, aber eine Rechtsstellung
wurde ihm dadurch nicht übertragen.
War damit das römische Kaisertum durch Augustus in einem mehrere Jahrzehnte dauernden
Entwicklungsprozeß geschaffen und vollendet worden? Die Antwort heißt ja und nein zugleich. Die
wesentlichen rechtlichen Elemente des römischen Herrschers waren vorhanden. Jeder von Augustus’
Nachfolgern hat sie übernommen oder besser, sie sind ihm übertragen worden. Denn weder Augustus
noch einer seiner Nachfolger des 1. oder 2. Jahrhunderts konnte offiziell seinen Nachfolger selbst
bestellen. Jedesmal mußten erneut der Senat und das Volk die rechtlichen Kompetenzen übertragen,
selbst wenn die Macht durch einen Staatsstreich, durch Ermordung des Vorgängers oder durch
militärische Niederzwingung des legitimen Herrschers erworben worden war. So wurde Otho als
Imperator akklamiert, nachdem Galba am 15. Januar 69 von revoltierenden Prätorianern unter
Führung Othos auf dem Forum hingeschlachtet worden war. Die Zustimmung der Truppen war mithin
die wichtigste machtmäßige Voraussetzung, um in Rom die Herrschaft zu übernehmen. Dann aber
traten Senat und Volk in Aktion und übertrugen Otho Schritt für Schritt die einzelnen Amtsgewalten,
wie sie Augustus im Lauf seines langen Lebens geschaffen hatte. Unter anderem wurde Otho durch
das Volk am 26. Februar die tribunicia potestas verliehen, am 9. März der Oberpontifikat.
Die wichtigste politische Rolle spielte freilich der Senat. Durch einen Zufall ist uns ein Teil des
Gesetzes erhalten, mit dem Anfang des Jahres 70 dem neuen Kaiser Vespasian alle Rechte, die ein
römischer Herrscher benötigte, übertragen wurden. Vespasian hatte im Osten als Heerführer gegen
die aufständischen Juden gekämpft und von dieser Machtbasis aus gegen Vitellius die Kaiserwürde
ergriffen. Da es seit dem pronunciamiento vom 1. und 2. Juli 69 fast ein halbes Jahr dauerte, bis
Vespasian sich Ende 69 nach mörderischen Kämpfen in Italien und Rom gegen Vitellius durchsetzte,
zog der Senat offensichtlich alle Sonderrechte in einem einzigen Gesetzespaket zusammen und
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beschloß darüber zu Beginn des Jahres 70. Die rechtlich gültige Erklärung erfolgte jedoch durch die
Volksversammlung. Dies wird klar, weil uns der zweite Teil des Originaltextes auf einer Bronzetafel in
Rom erhalten geblieben ist, die heute im Konservatorenpalast in Rom aufbewahrt wird. Der Text
dieses Dokuments ist sprachlich wie ein Senatsbeschluß abgefaßt, doch die Schlußformel beweist,
daß der Text formal als Gesetz durch die Volksversammlung beschlossen wurde.
Eine Situation wie die des Jahres 69, als erneut Bürgerkriege die römische Welt, vor allem Italien und
Rom, erschütterten, hat Augustus zeit seines Lebens zu vermeiden gesucht. Ihm ging es um die
Stabilität seines Werkes, um die sichere und geplante Weitergabe der von ihm erworbenen Macht.
Wie dies geschehen würde und wem sie übertragen werden sollte, das durfte und wollte er nicht der
zufälligen Konstellation zum Zeitpunkt seines Todes überlassen. Zudem dachte Augustus wie alle
römischen Senatoren aristokratisch-dynastisch: Seine Familie war der entscheidende politische
Bezugspunkt. Dort mußte er seinen Nachfolger finden und schon zu seinen Lebzeiten mit soviel
Macht ausstatten lassen, daß dieser bei seinem Tod nicht würde übergangen werden können.
Aus tiefstem Herzen wünschte Augustus eine Lösung, mit der er einem Nachfolger aus seinem
eigenen Blut die Macht übergeben könnte. Doch dies gelang ihm nicht. Zwar adoptierte er im Jahr 17
v. Chr. die beiden Söhne seiner einzigen Tochter Iulia. Damit die Welt klar sehe, was er wollte, machte
er sie zu seinen Söhnen: Gaius und Lucius Caesar. Doch bevor sie noch das Alter erreichten, in dem
ihnen rechtlich-politische Kompetenzen übertragen werden konnten, starben sie kurz nacheinander, 2
und 4 n. Chr. Augustus, nunmehr wieder allein, war bereits 66 Jahre alt. Der Tod konnte ihn selbst
jeden Tag einholen und dann ein politisches Chaos auslösen.
So handelte Augustus schnell und zielstrebig. Zu seiner „Familie” gehörte sein Stiefsohn Tiberius, der
Sohn seiner Gemahlin Livia. Er war 45 Jahre alt, hatte vor allem als Heerführer in Germanien und im
Donauraum für Rom große Erfolge errungen und galt als ein erfahrener Politiker. Sachlich hatte es
seit langem nahegelegen, ihm die Weiterführung von Augustus’ Werk anzuvertrauen. Ein halbherziger
Versuch war schon einmal gemacht worden. Aber die Liebe zu seinen beiden Söhnen Gaius und
Lucius hatte den sonst so kühl und rational denkenden Augustus gehindert, Tiberius voll zu vertrauen
und ihm ohne Einschränkungen alle Kompetenzen zu übertragen. Jetzt blieb ihm keine andere Wahl.
Zudem nahm Livia ohne Zweifel massiven Einfluß auf ihren Mann. Augustus adoptierte also Tiberius
als seinen Sohn, und danach übertrugen Senat und Volksversammlung diesem die wichtigsten
politischen Rechte – analog zu denen seines „Vaters” Augustus. Auf zehn Jahre wurde ihm die Gewalt
eines Volkstribunen verliehen, ebenso die Amtsgewalt eines Prokonsuls. Damit war er
handlungsfähig, sollte Augustus plötzlich sterben.
Dennoch blieb – vor allem durch die zeitliche Begrenzung – der Unterschied zum lebenden Herrscher
zunächst deutlich. Als 13 n. Chr. die Verlängerung der Gewalten anstand, scheint die zeitliche
Begrenzung gefallen zu sein. Tiberius wurde, ganz wie Augustus selbst, durch den „Souverän”, durch
Senat und Volk, mit republikanisch benannten Gewalten zur Leitung Roms ausgestattet. Niemand
sagte dabei: Wir machen dich zum zukünftigen Herrscher, zum Herrn des Imperium Romanum. Doch
alle wußten es. Augustus hatte es so gewollt. In seinem Testament nannte er Tiberius als seinen
zivilrechtlichen Haupterben; sieben Zwölftel des Vermögens gingen an den Adoptivsohn. Tiberius war
damit auch der reichste Mann der damaligen Welt.
Der Ernstfall trat bald ein. Am 19. August 14 starb Augustus im kampanischen Nola. Tiberius war bei
ihm. Nun mußte sich zeigen, ob die rechtlichen Konstruktionen den beabsichtigten Zweck erfüllten.
Tiberius gab Befehl an die Prätorianer, die Leibwache des Augustus, so an die Heere in den
Provinzen – dieses Recht besaß er. Aufgrund seiner tribunizischen Gewalt berief er den Senat ein.
Niemand erhob dagegen Einspruch, kein anderes Mitglied der politischen Führungsschicht erhob
Anspruch auf die Stellung des Augustus, auf die Leitung des Staates. Der einzige, der wirklich
Schwierigkeiten machte, war Tiberius selbst. Ihm genügte es nicht, daß alles vorweg arrangiert war,
erschien er so doch als Werk des Augustus. Doch Tiberius wollte nicht als „Erbe” die Macht
übernehmen, sondern die Bürgerschaft sollte ihn freiwillig mit der Leitung der res publica beauftragen,
ihn geradezu dazu zwingen, so wie es – angeblich – bei Augustus geschehen war. Doch dies schied
aus, denn im Unterschied zu Augustus verfügte Tiberius ja rechtlich bereits über alle Amtsgewalten.
Nur der Oberpontifikat und einzelne Privilegien fehlten ihm noch. Erst im März des folgenden Jahres
ließ er sich zum pontifex maximus wählen. Den Titel eines „Vaters des Vaterlandes” lehnte er ab. Für
die Legitimität seiner Machtstellung aber war dies irrelevant, denn der Senat, das Volk von Rom, die
Truppen und die Provinzen hatten ihn als ihren Herrscher akzeptiert.
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Wie aber nannte man den Herrscher? Sehr schlicht: bei seinem Namen Tiberius Caesar Augustus.
Dem entsprach das zivile Kleid, das Augustus und seine Nachfolger zunächst üblicherweise trugen:
die Bürgertoga. Das Haupt blieb außer beim Opfer unbedeckt. Das Diadem als Ausdruck
herrscherlicher Gewalt setzte sich erst langsam durch. Wollte man die politische und rechtliche
Stellung des Herrschers beschreiben, dann mußte man eine lange Titulatur verwenden, wie es von
Anfang an unter Augustus üblich gewesen war. In einem Senatsbeschluß im Dezember 20 werden
außer dem Namen des Tiberius die folgenden Titel genannt: „Tiberius Caesar divi Augusti filius
Augustus, pontifex maximus, tribunicia potestate XXII, consul III” (Tiberius Caesar Augustus, Sohn
des vergöttlichten Augustus, Oberpriester, Inhaber der Gewalt eines Volkstribunen zum 22. Mal,
dreimal Konsul). Die einheitliche „kaiserliche” Gewalt, von der wir gewohnheitsmäßig sprechen, gab
es nicht; so konnte man sie auch nicht in einen Begriff fassen. Erst als im Fortgang der Zeit jeder
römische Herrscher die Namen Imperator Caesar Augustus zum jeweiligen Individualnamen
hinzunahm, gewannen sie eine titulare, wenn auch keine Rechtsqualität. Der Augustus war zum
römischen Kaiser geworden.
Dr. Werner Eck, geb. 1939, ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Köln. Er befaßt sich
vor allem mit der römischen Kaiserzeit und der Spätantike.
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