Oktober 2012 Diagnostic Update Von Kollegen für Kollegen Winterruhe von Europäischen Landschildkröten Von Sabine Öfner und Dr. Markus Baur, Fachtierärzte für Reptilien, Auffangstation für Reptilien, München e.V. Reptilien sind in den letzten Jahren immer beliebtere Heimtiere geworden – unter ihnen auch die Europäischen Landschildkröten, die durch die EU-weit geltende Artenschutzgesetzgebung eine wahre Renaissance erleben und mittlerweile in großen Stückzahlen, oft aus Farmen stammend, im Tierhandel und über Züchter verfügbar sind. Nur selten erhalten die neuen Besitzer beim Erwerb der Tiere eine fachgerechte Beratung zur artgerechten Haltung. Somit können sie den Ansprüchen der Tiere kaum gerecht werden und wenden sich in ihrer Not an einen Tierarzt – spätestens, wenn die Tiere durch Haltungs- und Fütterungsfehler erkrankt sind. Beschäftigt man sich nun mit der artgerechten Haltung und den Ansprüchen Europäischer Landschildkröten, darf die Frage der richtigen Überwinterung nicht außer Acht gelassen werden. Diese stellt ganz häufig – sowohl für die Tierbesitzer als auch für den beratenden Tierarzt – ein Problem dar. Die Hibernation ist ein essentieller Bestandteil des Lebens dieser Tiere und sollte bei einer artgerechten Haltung keinesfalls unterbleiben und bereits im ersten Lebensjahr der Tiere durchgeführt werden. Exogene Faktoren In der freien Wildbahn sind Temperaturschwankungen sowie Veränderungen in der Fotoperiode eng miteinander korreliert. Diese exogenen Faktoren, also von außen beeinflusste Abläufe, dienen als Indikator für das In-Gang-Setzen und den Ablauf endogener Zyklen. Hierzu zählen neben Temperatur und Fotoperiode auch Feuchtigkeit, verfügbares Wasser und die Beschaffenheit der Nahrung. Der Gesamtkörperstoffwechsel funktioniert am besten im Bereich der Körpervorzugstemperatur (POTZ – Preferred Optimal Temperature Zone). Diese liegt bei Europäischen Landschildkröten bei ca. 35 °C Körperinnentemperatur. In der Natur wird dieses Temperaturoptimum in den Sommermonaten erreicht. Gegen Ende des Jahres nimmt die Temperatur mit den Sonnenstunden und der Strahlungsintensität immer weiter ab und somit geht auch die Aktivität der Tiere zurück und ihr Fressverhalten ändert sich. Fallende Temperaturen im Herbst werden deshalb häufig als Indikator für die Einleitung der Winterruhe bei Reptilien gesehen. Landschildkröten stellen sich unter Freilandbedingungen selbst auf die Hibernation ein, indem sie die Nahrungsaufnahme reduzieren und allmählich einstellen sowie den Darm zum größten Teil völlig selbständig entleeren, dabei aber noch immer relativ aktiv bleiben und keinesfalls sofort in einen Ruhezustand verfallen. Ebenso geht die allgemeine Aktivität zurück. Zweifelhaft erscheint gerade hinsichtlich dieser Tatsache die früher propagierte totale Darmentleerung, da dadurch die natürliche Darmflora geschädigt wird. Wenn Reptilien mit niedrigen Umgebungstemperaturen konfrontiert werden, so senken sie während der Hibernation ihre Stoffwechselrate ab. Sie passen ihre temperaturabhängige Stoffwechselrate an die sinkenden Temperaturen an, da diese bei wechselwarmen Tieren temperaturabhängig zustande kommt, und können somit die Toleranz gegenüber Sauerstoffmangel steigern, sodass die Notwendigkeit zum regelmäßigen Gasaustausch weiter gesenkt werden kann. Aber auch das Licht scheint ein wichtiger Faktor für die hormonellen Abläufe der Tiere zu sein. Es spielen sowohl die Lichtzusammensetzung bzw. Lichtqualität, die Lichtmenge sowie die Beleuchtungsdauer, eine entscheidende Rolle. In der Terraristik werden häufig suboptimale Beleuchtungsmittel eingesetzt. Diesen fehlen häufig der gesamte Ultraviolett-Anteil (vor allem Mangel an UV-A-Anteil für die Aktivität der Tiere) sowie die nötige Strahlungswärme. Die Lichtmenge erreicht in der Natur häufig mehrere 10.000 Lux, selbst bei wolkenverhangenem Himmel. In Gefangenschaft, speziell bei der Haltung in Terrarien oder in geschlossenen Räumen, können diese Werte nicht erreicht werden. Auch der Einsatz entsprechender Lampen erzeugt nur einen Bruchteil der benötigten Intensität des Tageslichtes. Die Beleuchtungsdauer reguliert die sogenannte „innere Uhr“ der Tiere, wie dies auch beim Menschen der Fall ist. Der Frühling kündigt sich durch die Zunahme der Tageslänge an und im Herbst bereiten sich die Schildkröten beim Abnehmen der Tageslänge auf die Winterruhe vor. Hier scheint dem „dritten Auge“ und somit der Hypophyse eine entscheidende Rolle zuzukommen. Deren Reizung erfolgt jedoch nicht, wie bei Echsen, über das Parietalauge, das den Schildkröten fehlt, sondern direkt über das Auge und die Haut. Endogene Faktoren Diese Mechanismen sind hormonell gesteuert und werden durch die exogenen Faktoren wie die Verkürzung der Tageslänge und das Absinken der Temperatur sowie der Lichtintensität induziert. Sie bestimmen den jahreszeitlichen und zirkadianen (tageszeitlichen) Rhythmus der Tiere und sind von den äußeren Umweltreizen abhängig. Hier spielt vor allem das Hormonsystem der Tiere eine entscheidende Rolle. Eine zentral bedeutende Hormondrüse ist hier das sogenannte Pinealorgan oder auch die Zirbeldrüse. Diese ist stark lichtempfindlich und vermag über eine vergrößerte Schuppe (Fontanelle) im Schädeldach von einigen Reptilien Lichtreize aus der Umgebung aufzunehmen. Bei den Schildkröten erfolgt die Reizübertragung über den Gesichtssinn. Die Zirbeldrüse gibt – je nach Lichtaufnahme – zentral wirkende Hormone ab; diese beeinflussen unter anderem Stoffwechselvorgänge sowie die Hormonausschüttung in Folgeorganen. Primär wird der Tagesrhythmus sowie die tägliche Aktivitätsphase der Tiere beeinflusst. Die Hypophyse beeinflusst vor, nach, und während der Überwinterung das Stoffwechselgeschehen der Tiere. Zum einen leitet ihre ansteigende Hormonausschüttung zum Ende der Hibernation die Vermehrungsphase bei beiden Geschlechtern ein, zum anderen ist sie auch für den Anstieg des Blutzuckerspiegels verantwortlich und spielt somit eine Rolle im Glykämiezyklus während der Überwinterung. Im Hypophysenvorderlappen wird TSH gebildet, was wiederum die Aktivität der Schilddrüse beeinflusst. Die Schilddrüse stellt ebenfalls eine wichtige Drüse im Bezug auf die allgemeine Aktivität und Leistungsfähigkeit der Tiere sowie vor allem deren Stoffwechselleistung dar. Sie weist während der Überwinterung einen drastisch abnehmenden Aktivitätszyklus mit rapide sinkender Stoffwechselrate auf. Die optimale Überwinterung Grundsätzlich soll die Überwinterung der Tiere bei 4 – 6 °C (max. 8 °C) unter beständigen Bedingungen in verhältnismäßig trockenem Substrat und bei hoher Luftfeuchte erfolgen. Nach unserer Erfahrung hat sich Buchenlaub als Substrat bewährt, da es nicht zur Schimmelbildung neigt und die Tiere sich hervorragend darin eingraben können. Heu, Torfmull, Späne usw. bilden Staub, belasten Lungen und Schleimhäute und neigen zur Schimmelbildung. In freier Wildbahn bereiten sich die Tiere aufgrund der o. g. endogenen und exogenen Faktoren selbstständig auf die Winterruhe vor. Auch bei einer Freilandhaltung in Gefangenschaft ist dies häufig der Fall. Hier ist wichtig, dass den Tieren für die Übergangszeit ein isoliertes Schutzhaus mit grabfähigem Untergrund (Erde, Mulch, Häcksel und Laub) zur Verfügung steht. Sobald die Tiere ruhen, sollten sie aufgrund unserer unstetigen Witterung jedoch in einen Kühlschrank überführt werden, um optimal überwintern zu können. Sollten die Tiere im Terrarium oder in Innenanlagen gehalten werden, dann muss durch Reduzierung von Licht und Temperatur „künstlich“, über mehrere Wochen, die Winterruhe eingeleitet werden. Hierfür werden Licht und Temperatur sowie das Futterangebot stufenweise reduziert, indem die Brennzeit der Lampen immer weiter verkürzt wird. Dies sollte in mehreren Stufen und einem mehrwöchigen Zeitraum passieren, damit sich die Tiere langsam an die kälteren Temperaturen anpassen können und der Stoffwechsel nicht entgleist. Warme Bäder, wie vielfach in der vorhandenen Literatur empfohlen, sollten unterbleiben, da diese den reduzierten Stoffwechsel wieder ankurbeln und so auch das Herz-Kreislauf-System belastet wird. Die Tiere sollten besser Zugang zu Wasser haben und einmalig in kühlem Wasser gebadet werden. Das früher übliche, durch lange warme Bäder erzwungene, unphysiologische Entleeren des Darmes sollte unterbleiben, da die Tiere dies einerseits bei der Hibernationsvorbereitung selbst „erledigen“ und andererseits so der Wasserhaushalt nicht beeinträchtigt wird und im Blinddarm ausreichend Darmflora für die spezialisierte Verdauung vorhanden bleibt. Zur Überwinterungstemperatur muss nochmals festgestellt werden, dass diese bei 4 – 6 °C liegen sollte. In diesem Temperaturbereich sind die Tiere vollkommen inaktiv und bewegen sich so gut wie nicht mehr. Die Atem- und Pulsfrequenz ist auf ein Minimum reduziert und der Stoffwechsel läuft förmlich auf „Sparflamme“, sodass kein Fettabbau stattfindet. In diesem Zustand können die Tiere ohne Gewichtsverlust für mehrere Monate problemlos verharren. Bereits bei über 8 °C beginnt der Fettabbau in Gang zu kommen. Da jedoch alle Ab-, Um- und Aufbauprozesse eines Organismus über Enzymwirkungen ablaufen, Enzyme jedoch temperaturabhängig wirken, läuft der Fettabbau zur Energiegewinnung nur unvollständig ab. ❆ D er obligatorische Winterschlaf-Check Häufig melden sich Schildkrötenbesitzer gegen Ende des Jahres (Spätsommer, Herbst), um ihre Tiere in der Praxis für den obligatorischen Winterschlaf-Check vorzustellen. Wir raten dem Tierarzt in diesem Fall Folgendes: 1. Lassen Sie sich einen genauen Vorbericht geben, am besten schriftlich. Hier sollte die Haltungsform (Freilandhaltung, Terrarienhaltung), die Fütterung (was?, wie häufig?, Zusatzfutter?), bei einer Terrarienhaltung die Terrarienausstattung (Lampen, Beheizung, Bodengrund, Temperatur, etc.) sowie eventuell schon aufgetretene Erkrankungen hinterfragt werden. Die dabei vermehrt anfallenden Zwischenabbauprodukte sind z. T. giftig bzw. leberschädigend und können zu teilweise tödlichen Leberstoffwechselstörungen führen. Im Prinzip ist eine nicht optimale Überwinterungstemperatur, in Kellern, Lichtschächten, auf Dachböden oder ungeheizten Räumen (z. B. Schlafzimmern) durchaus vergleichbar mit Nahrungsentzug während der Aktivitätszeiten und somit nicht nur der Gesundheit der Tiere nachhaltig abträglich, sondern tierschutzwidrig. Um eine entsprechend gleichbleibend niedrige Hibernationstemperatur gewährleisten zu können, kann ein Kühlschrank sehr gute Dienste leisten. Dies mag im ersten Moment bizarr erscheinen, hat sich aber in der Vergangenheit sehr gut bewährt. Es genügt 1 – 2 mal täglich die Türe zu öffnen, um den Luftaustausch zu gewährleisten. Am Ende der Winterruhe, also im Frühjahr, können die Tiere wieder in ihre isolierten Schutzhäuser verbracht werden, die allerdings jetzt über Wärmemöglichkeiten (Lampen, Elsteinstrahler,…) verfügen sollten. Schildkröten, die im Terrarium gehalten werden, werden jetzt wieder stufenweise an ihr optimales Temperaturspektrum (POTZ) hochgewärmt, wobei parallel hierzu die Beleuchtungsdauer und Lichtintensität gesteigert wird. An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass Schildkröten jeden Alters, also auch Jungtiere im ersten Lebensjahr, nicht nur überwintert werden können, sondern sollen! Auch ein wenige Wochen alter Schlüpfling hat nur durch die Dottermassen, die er vor dem Schlupf aufgenommen hat, genug Reserven, um eine mehrmonatige Winterruhe problemlos zu überdauern, sofern adäquate Umweltbedingungen im Sinne von Temperatur und Luftfeuchtigkeit gewährleistet sind. Wenn dem nicht so wäre, dann hätte die Auslöschung der Schildkrötenpopulationen bereits mit der ersten Nachzuchtgeneration beginnen müssen. 2. Raten Sie den Besitzern zu einer Kotuntersuchung – mit einer wichtigen Einschränkung: Es macht keinen Sinn, eine Kotprobe Ende Oktober zu untersuchen, wenn die Tiere quasi schon im Winterschlaf-Modus sind. Sollte ein Wurmbefall festgestellt werden, der therapiewürdig ist, hat man spätestens jetzt ein Problem. Die Würmer werden durch die eingesetzten Anthelminthika entweder gelähmt oder getötet. Da die Schildkröten aber in dieser Phase schon nicht mehr fressen, setzen sie auch keinen Kot mehr ab und die Würmer verbleiben im Darm. Die Stoffwechselund Zersetzungsprodukte der Würmer führen schnell zu einer massiven Schädigung der Leber, es kann zu Septikämien (nicht wegdrückbare, flächige, dunkelrote Einblutungen unter dem Panzerhorn) kommen, die sogar zum Tode führen können. Daher sollten Kotuntersuchungen und Entwurmungen generell im späten Hochsommer erfolgen, da weder eine hohe Wurmbürde während der Hibernation (Sepsis- und Ileusgefahr), noch die oben geschilderten Folgeerscheinungen zu spät erfolgter Anthelminthikatherapien zielführend sind. 3. Wenn die Haltung nicht optimal erscheint, raten Sie den Tierbesitzern zu einer Blutuntersuchung, um schon im Vorfeld abzuklären, ob ein Nieren- oder Leberschaden vorliegt. Sollte ein Organschaden vorliegen, kann es sein, dass die Tiere nur für eine kurze Zeit (6 – 8 Wochen) in Hibernation gegeben werden können. 4. Generell ist es nicht massiv gesundheitsschädlich, allerdings auch nicht ratsam, wenn weibliche Tiere mit noch nicht abgelegten Eiern in die Winterruhe gehen. Man sollte jedes weibliche Tier, das sonst regelmäßig Eier legt, dies aber im betreffenden Jahr nicht getan hat, daher röntgen. Dann ist es wichtig, anhand des Röntgenbildes zu beurteilen, „wie alt“ die Eier sind. Sind es noch sehr dünnbeschalte Eier, dann könnten diese noch nicht legereif sein. Bei dickbeschalten Eiern könnte es sich schon um eine Legenot handeln – diese muss vor einer Winterruhe auf jeden Fall behoben werden. Diagnostic Update IDEXX Vet·Med·Labor ist Kooperationspartner der Auffangstation für Reptilien Seit diesem Jahr sind wir Kooperationspartner der Reptilienauffangstation und unterstützen die wertvolle Arbeit des Vereins mit Finanzmitteln und Sachspenden. Zukünftig sind gemeinsame Aktionen geplant wie beispielsweise die Durchführung von Fachseminaren und Webkonferenzen rund um das Thema Reptilien. Die Reptilienauffangstation besteht seit mehr als zehn Jahren und nimmt jährlich an die tausend Tiere auf. Vom Zoll beschlagnahmte, ausgesetzte oder wegen unsachgemäßer Haltung dem Halter weggenommene Reptilien finden hier ärztliche Betreuung und eine sachgemäße Unterbringung, bis eine Weitervermittlung erfolgt. Auch bietet die Auffangstation Führungen an und führt Fortbildungen für Polizei, Feuerwehr und für die Bundeswehr durch. Trotz Unterstützung von staatlicher und privater Seite steht die Reptilienstation häufig vor Finanzierungsengpässen und ist deshalb dringend auf zusätzliche Mittel angewiesen. Helfen auch Sie! Die Reptilienauffangstation ist auf Ihre Unterstützung angewiesen, um die Pflege der Tiere aufrechtzuerhalten: Spendenkonto der Auffangstation für Reptilien, München e.V. Münchner Bank Kontonummer: 988154 Bankleitzahl: 70190000 Gemeinnützigkeit anerkannt. Eingetragen im Vereinsregister des Amtsgerichtes München VR 17494 UstID: DE 270560988 Auffangstation für Reptilien M ü n c h e n e . V. Bildnachweis: Auffangstation für Reptilien, Dr. Julia Kopp, photocase Vet Med Labor GmbH Division of IDEXX Laboratories IDEXX Vet•Med•Labor Mörikestr. 28/3 D – 71636 Ludwigsburg www.idexx.de Fachberatung Deutschland Kostenfreie Service-Rufnummern Tel: 0800 589 25 79 Tel: 00800 1234 3399 Fachberatung Österreich Kostenfreie Service-Rufnummer Tel: 0800 20 89 20 Fax: +49 (0)7141 6483 555 D754-0912