Tier- und Artenschutzrecht sowie Kennzeichnungspflicht – was geht uns das an? M. Baur & T. Friz Teil 1 - Tierschutzrecht Tierschutz als Staatsziel Im Jahr 2002: Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in Art. 20a Grundgesetz (GG) „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Tierschutzgesetz Rahmengesetz Zweck: „…aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ §1 TSchG Wohlbefinden Ein Zustand physischer und psychischer Harmonie des Tieres mit sich und – entsprechend seinen angeborenen Lebensbedürfnissen – der Umwelt. Anzeichen: Gesundheit Erfüllung sozialer und ethologischer Bedürfnisse normales, der Art entsprechendes Leben und Verhalten (Typus) Grundlage der Beurteilung: „Konzept der Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung“ von Tschanz Konzept der Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung - TSCHANZ Selbstaufbau und Selbsterhaltung durch Bedarfsdeckung Schäden müssen durch die vorhandenen Fähigkeiten eines Tieres vermieden werden Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung als grundlegende Funktionen des Verhaltens erlauben dem Tier sich erfolgreich mit sich selbst und seiner Umwelt auseinanderzusetzen Schmerzen Unangenehme Sinnes- und Gefühlserlebnisse, die im Zusammenhang mit tatsächlicher oder potentieller Gewebsschädigung stehen. Charakteristisch: mechanische, chemische, thermische oder elektrische Einwirkungen Maßgeblich: Fähigkeit zur Schmerzempfindung bei allen höher entwickelten Tieren vorhanden, auch beim Reptil! → Analogieschluss Leiden Alle vom Begriff des Schmerzes nicht erfassten Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, die über schlichtes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne andauern Insbesondere Einwirkungen und Beeinträchtigungen die der Wesensart des Tieres zuwiderlaufen Können in Verhaltensstörungen und – anomalien ihren Ausdruck finden Schaden Jede Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Unversehrtheit Eine Dauerwirkung ist nicht erforderlich, geringfügige Beeinträchtigungen bleiben jedoch unberührt Vernünftiger Grund Unbestimmter Rechtsbegriff Sorgfältige und pflichtgemäße Abwägung im Einzelfall, unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, Geeignetheit und Angemessenheit einer zu treffenden Maßnahme Generelle Pflichten nach §2 TSchG Pflichten der Personen, die Tiere halten oder betreuen: Art- und bedürfnisgerechte angemessene Ernährung und Pflege Verhaltensgerechte Unterbringung Die Möglichkeit des Tieres zur artgemäßen Bewegung, darf nicht so eingeschränkt werden, dass dem Tier Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden Die notwendige Sachkunde und Fähigkeiten hinsichtlich angemessener Ernährung, Pflege und verhaltensgerechter Unterbringung der ihm anvertrauten Tierart muss vorhanden sein. Anforderungen an die Tierhaltung nach § 2a TSchG Trotz Ermächtigung wurden bislang vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz keine speziellen Verordnungen mit Mindestanforderungen erlassen. Allerdings wurden im Auftrag des Bundesministerium durch Sachverständigengruppen Gutachten und Leitlinien erarbeitet, so auch für Reptilien: Mindestanforderungen an die Haltung von Reptilien, vom 10. Januar 1997 „MindestanforderungsGutachten“ Inhalt: Allgemeiner Teil Spezieller Teil zu Mindestanforderungen an die Dauerhaltung von Chamäleon Echsen (exkl. Chamäleon) Krokodile Schlangen Schildkröten Vorübergehende Haltung Im Groß- und Einzelhandel Auf Tierbörsen Ernährung Seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen (§2 TSchG) Es ist verboten, einem Tier Futter darzureichen, das dem Tier erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden bereitet (§ 3 (10) TSchG) Zwangsfütterung Es ist verboten, einem Tier durch Anwendung von Zwang Futter einzuverleiben, sofern dies nicht aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist (§ 3 (9) TSchG) Töten von Tieren Voraussetzung hierfür ist stets das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ Im Einzelfall nach sorgfältiger Güter- und Pflichtabwägung ausführlich zu begründen; muss gerichtlich nachprüfbar sein Nur unter Betäubung oder sonst, soweit nach den gegebenen Umständen zumutbar, nur unter Vermeidung von Schmerzen (§ 4(1) TSchG) Ein Wirbeltier töten darf nur, wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat → Tierarzt Tötung ohne vernünftigen Grund: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder Geldstrafe (§ 17 TSchG) Aussetzen oder Zurücklassen von Reptilien - § 3(3) und (4) TSchG „Es ist verboten, 3. ein im Haus, Betrieb oder sonst in Obhut des Menschen gehaltenes Tier auszusetzen oder es zurückzulassen, um sich seiner zu entledigen oder sich der Halter- oder Betreuerpflicht zu entziehen, 4. ein gezüchtetes oder aufgezogenes Tier einer wildlebenden Art in der freien Natur auszusetzen oder anzusiedeln, das nicht auf die zum Überleben in dem vorgesehenen Lebensraum erforderliche artgemäße Nahrungsaufnahme vorbereitet und an das Klima angepasst ist; die Vorschriften des Jagdrechts und des Naturschutzrechts bleiben unberührt,“ Betäubungspflicht - § 5(1) TSchG „An einem Wirbeltier darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden. Die Betäubung warmblütiger Wirbeltiere sowie von Amphibien und Reptilien ist von einem Tierarzt vorzunehmen. … Ist nach den Absätzen 2, 3 und 4 Nr. 1 eine Betäubung nicht erforderlich, sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Schmerzen oder Leiden der Tiere zu vermindern.“ Nicht erforderliche Betäubung - § 5(2) TSchG „Eine Betäubung ist nicht erforderlich, 1. wenn bei vergleichbaren Eingriffen am Menschen eine Betäubung in der Regel unterbleibt oder der mit dem Eingriff verbundene Schmerz geringfügiger ist als die mit einer Betäubung verbundene Beeinträchtigung des Befindens des Tieres, 2.wenn die Betäubung im Einzelfall nach tierärztlichem Urteil nicht durchführbar erscheint.“ Amputationen - § 6 TSchG „(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. Das Verbot gilt nicht, wenn 1. der Eingriff im Einzelfall a) nach tierärztlicher Indikation geboten ist … 5. zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder - soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen - zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres eine Unfruchtbarmachung vorgenommen wird.“ Qualzuchten - § 11b TSchG „(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, den bio- oder gentechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten. (2) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei den Nachkommen … c) deren Haltung nur unter Bedingungen möglich ist, die bei ihnen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen.“ Teil 2 - Artenschutzrecht Washingtoner Artenschutzübereinkommen „Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen vom 3. März 1973“ 175 Vertragsstaaten Etwa 8.000 Tier- und 40.000 Pflanzenarten stehen unter Schutz, gelistet in drei Anhänge: Anhang I: streng zu schützende Arten, die unmittelbar von der Ausrottung bedroht sind → Handel ist besonders strengen Regelungen unterworfen, i.d.R. nur zu wissenschaftlichen Zwecken Anhang II: gefährdete Arten → Handel darf unter staatl. Aufsicht einer wissenschaftl. Behörde und einer Vollzugsbehörde erfolgen Anhang III: alle Arten, für die in einzelnen Ländern bestimmte Regelungen gelten Umsetzung erfolgt in Deutschland durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Bonn Umsetzung Auf Europäischer Ebene: EG-Artenschutzverordnung (EG-ArtSchVO), Nr. 338/97 Auf nationaler Ebene: Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) Bundesartenschutzverordnung (BArtSchVO) EG-ArtSchVO Regelt in allen EU-Mitgliedsstaaten einheitlich die Ein- und Ausfuhr, sowie die Vermarktung der betroffenen Arten Verschärfung der Artenschutzgesetzgebung auf EU-Ebene: WA-Arten wurden neu klassifiziert und z. T. unter strengeren Schutz gestellt, als von WA vorgegeben Von der WA nicht erfasste Arten wurden unter Schutz gestellt und in die Anhänge aufgenommen Je nach Gefährdungsgrad sind die geschützten Arten in vier Anhängen (AD) aufgeführt. Anänge A und B Anhang A: WA I-Arten und z.B. alle Europäische Landschildkröten (WA II) dürfen nur mit gültigen EU-Bescheinigungen gehalten und vermarktet werden Nachweis-, Melde- und Kennzeichnungspflicht Anhang B: WA II-Arten, darüber hinaus aber auch Arten, die mit diesen verwechselt werden könnten Dürfen nur mit gültigen Ein- und Ausfuhrdokumenten in die EU verbracht werden Innerhalb der EU: freier Handel erlaubt Nachweis- und Meldepflicht Anhänge C und D Anhang C: alle verbliebenen lokal geschützten Arten des WA (hauptsächlich WA III) dürfen ohne Genehmigung in die EU eingeführt werden, eine Einführmeldung ist erforderlich, ebenso eine Ausfuhrgenehmigung des Ursprungslandes Anhang D: Arten, deren Handel und Einfuhr in die EU von derselben überwacht werden soll es genügt eine Einfuhrmeldung BNatSchG Regelt bundeseinheitlich Grundfragen, wie z.B. Welche Tiere sind geschützt? Sowohl heimische als auch nichtheimische Arten, einschließlich in menschlicher Obhut nachgezüchtete Tiere Besitz- und Vermarktungsverbot (§ 42 BNatSchG) Ausnahmen vom Besitz- und Vermarktungsverbot (§ 43 BNatSchG), „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ Nachweispflichten BArtSchVO Regelt Detailfragen, wie z.B. Kennzeichnung - gemeinsam mit der KennzeichnungsVO Meldepflicht Sachkunde Besitz- und Vermarktungsverbot (§ 3): Schnappschildkröte, Geierschildkröte, Amerikanischer Biber, Grauhörnchen Anlage 1: benennt die streng und besonders geschützten Arten Wie und wo recherchiere ich? www.wisia.de Übersicht der in Deutschland streng bzw. besonders geschützten Tier- und Pflanzenarten www.cites.org Informationen über das WA und deren Vertragsstaatenkonferenzen detaillierte Zahlen des internationalen Handels und Datenbank der geschützten Arten www.bfn.de alle rechtlichen Grundlagen des Artenschutzes Datenbank über Ein- und Ausfuhr geschützter Tiere und Pflanzen BNA-Artenschutzbuch des Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz e.V. (BNA) Anzeige-/Meldepflicht (§ 7 Abs. 2 BArtSchV) Gilt für Tiere besonders geschützter Arten, aber auch für die in § 3 BArtSchV (Schnapp- und Geierschildkröte) genannte Arten Gegenüber der zuständigen Naturschutzbehörde Unverzüglich, schriftlich Jegliche Bestandsänderungen, auch Verlegung des Standortes Von der Meldepflicht ausgenommen Nach Anlage 5 BArtSchVO: Grüner Leguan (Iguana iguana) Königspython (Python regius) Abgottschlange (Boa constrictor constrictor) Kaiserboa (Boa constrictor imperator) Madagaskar-Taggecko (Phelsuma madagascariensis) Goldstaubtaggecko (Phelsuma laticauda) Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) Nachweispflicht besteht dennoch! Nachweispflicht Umkehr der Beweislast! Legalität des Tieres muss der zuständigen Behörde auf Verlangen jederzeit nachgewiesen werden können Kann bei streng geschützten Tieren nur mit Cites-Dokumenten geführt werden, geregelt in der EGDurchführungsverordnung Probleme in Praxi: Anhang B-Tiere! Kennzeichnungspflichten § 12 BArtSchV, aber auch von der EG-ArtSchVO gefordert wichtiges Hilfsmittel zur Feststellung der Legalität der Zucht und Haltung einer geschützten Tierart, anhand derer die Identität im Verhältnis zum Nachweispapier verlässlich festgestellt werden kann Voraussetzung für die Erteilung artenschutzrechtlicher Bescheinigungen oder Genehmigungen (z.B. EGVermarktungsgenehmigungen) Kennzeichnungsgebot für die in Anl. 6 BArtSchVO genannten Arten Unverzüglich Ausgenommen (§ 14 Abs. 1 BArtSchV): verletzte, hilflose oder kranke Tiere, die ausschließlich zur Genesung aufgenommen und anschließend wieder in die Freiheit entlassen werden soll Kennzeichnungsmethoden Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 BArtSchV sind die Exemplare nach Wahl des Halters mit einem Transponder oder der Fotodokumentation zu kennzeichnen. Der Transponder scheidet jedoch bei den Tieren aus, die weniger als 200 Gramm bei Schildkröten, die weniger als 500 Gramm wiegen oder ein solches Gewicht nicht erreichen können. In diesem Fall ist die Fotodokumentation eine geeignete Kennzeichnungsmethode. Darstellung der individuellen Körpermerkmale; außerdem Beschreibung des Tieres (mindestens Größe, Länge, Gewicht, Geschlecht, Alter, Besonderheiten) Fotodokumentation bei Schildkröten Von jedem Exemplar sind immer zwei Fotos anzufertigen. Bauchpanzer Rückenpanzer Zur Nachvollziehbarkeit der Maße des Tieres sollte eine Fotounterlage verwendet werden bzw. mit Maßeinheiten abgebildet werden Das Foto muss das Exemplar folgendermaßen zeigen: senkrecht von oben, bildfüllend scharf, gut ausgeleuchtet, ohne Lichtreflexe Die Linienführung der Panzersegmente muss deutlich sichtbar sein! Aktualisierungsintervalle Die Fotodokumentation sollte bei Landschildkröten in folgenden Intervallen aktualisiert werden: im ersten Lebensjahr halbjährlich im zweiten bis zehnten Lebensjahr jährlich ab dem elften Lebensjahr spätestens nach fünf Jahren Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!