MARKETING | AUSBLICK Wie der Handel 2025 kommuniziert ZUKUNFTSSZENARIEN Das EHI Retail Institute hat gemeinsam mit Fotos: Fotolia/pp76; Fotolia/Eldadcarin; Fotolia/Conjuring; Unternehmen 25 Marketingleitern Medienkonsum, Shopping-Alltag und Wertehaltungen von Kunden im Jahr 2025 untersucht. W&V stellt vier Konsumententypologien vor. 14 | Werben & Verkaufen 46/2013 46_13_014-017_MARK_Zukunft-Handel.indd 14 08.11.2013 10:11:17 Bill Gates hat sich geirrt. „Das Internet ist nur ein Hype“, behauptete der Microsoft-Gründer 1993. Mittlerweile ist jeder dritte Weltbürger online. Auch der 20th-Century-Fox-Chef Darryl Zanuck lag daneben, als er 1946 behauptete, das Fernsehen werde nach kurzer Zeit wieder vom Markt verschwinden. Die Zukunft vorherzusagen, ist schwierig. Nur zu reagieren, ist für Handel und Industrie allerdings auch keine Option. Das EHI Retail Institute hat daher gemeinsam mit 25 Marketing­ leitern aus Handel, Medien und Dienstleistungsunternehmen mögliche Zukunftsszenarien entwickelt. Sie skizzieren unterschiedliche Konsumententypen im Jahr 2025 und sollen den Händlern Anhaltspunkte liefern, wie ihre Kunden künftig kommunizieren wollen. So wird es der Studie zufolge jene Verbraucher geben, denen statusorientierte Marken völlig egal sind. Für sie zählt nur das Preis-Leistungs-Verhältnis. Andere werden neue Geschäftsmodelle verlangen, weil sie ihre Produkte lieber mieten wollen statt sie zu kaufen. Je nach Lebensbereich oder Sortiment kann sich ein und derselbe Kunde auch in gegensätzlichen Szenarien bewegen. Fotos: Fotolia/pp76; Fotolia/Eldadcarin; Fotolia/Conjuring; Unternehmen Diskussion um Medienkanäle verliert an Relevanz 2025 klingt beim ersten Hinhören zwar, als müssten Ufos umherschwirren und stationäre Geschäfte nur noch in Geschichtsbüchern auftauchen. Doch das Jahr der von Barack Obama anvisierten bemannten Mars-Mission liegt gerade einmal zwölf Jahre voraus. Einige Ansätze, die der Untersuchung zufolge den Konsumentenwünschen der Zukunft entsprechen, gibt es schon heute: Nespresso zum Beispiel bedient die status- und konsum­ orientierte Gesellschaft mit exklusivem Community-Management. Der Lebensmittelhändler Tesco hat seinen technologiebegeisterten Kunden in Korea ermöglicht, ihre Einkäufe mittels QR-Code direkt auf einem Großflächenplakat in der U-Bahn zu erledigen (siehe Foto links). Dennoch bleibt der Nachholbedarf groß: „Viele Händler haben sich längst noch nicht ausreichend auf die unterschiedlichen Lebenswelten der Konsumenten eingestellt. Der Fokus in ihrer Kommunikation liegt nach wie vor auf Mediengattungen und -kanälen“, sagt Marlene Lohmann vom EHI Retail Insti­tute in Köln. Doch diese werden ihrer Ansicht nach schon bald in den Hintergrund rücken. Die Kommunikation müsse vom Kunden ausgehen. In Zukunft werde es mehr denn je darum gehen, Nischengruppen anzusprechen. Technische Entwicklungen haben die Studienverantwortlichen beim Blick in die Glaskugel nur am Rande berücksichtigt – weil man sie nicht vorhersehen kann. „Aufgrund der vielen Veränderungen im Markt können wir heute noch nicht wissen, wie und mit welchen Technologien wir im Jahr 2025 mit unseren Kunden sprechen. Die Ergebnisse aus dem Szenario-Projekt geben jedoch einen detaillierten Ausblick, um Veränderungen in den Bedürfnissen unserer Kunden frühzeitig zu erkennen“, sagt Lars Nierfeld, Bereichsleiter Marketing bei Kik in Bönen, der an der Studie mitgearbeitet hat. Zukunftsforscher sind sich einig, dass die Digitalisierung den Kommunikationsalltag drastisch verändern wird. Bei dem derzeitigen Hype um das digitale Marketing, sagt Lohmann, habe man das Gefühl, die Kunden von morgen werden nur noch virtuell unterwegs sein. Aber: Auch der stationäre Handel hat Chancen, wie einige der folgenden Zukunftsszenarien zeigen. Szenario „Der Cyberspace ist mein Revier“ Technologie-Freaks bekommen individuelle Rabatte Cyber-Kunden wollen Spaß haben beim Einkaufen. Sie sind Hedonisten und weder beim Shoppen noch beim Medienkonsum kritisch unterwegs. Unter welchen ethischen und ökologischen Bedingungen Unternehmen ihre Produkte herstellen, interessiert sie nicht. Die Technologiebegeisterten verbringen viel Zeit online, lassen sich von den Erlebniswelten der Marken inspirieren und kaufen spontan. Zu ihrem Kommunikationsalltag gehören innovative mobile Endgeräte wie Smartwatches und Datenbrillen. Damit haben sie Zugriff auf eigens für sie zugeschnittene Informationen. Das Thema Datenschutz spielt für diese Verbraucher eine untergeordnete Rolle. Neuerungen wie die derzeit von Tesco in Großbritannien eingeführte Gesichtererkennung nehmen sie neugierig an. Empfehlungen für den Handel Die Kommunikationsstrategie für diese Gruppe ist zweigeteilt: Zum einen umfasst sie breit angelegte Imagekampagnen, weil sich der Cyber-Kunde für emotional aufgeladene Marken entscheidet. Darüber hinaus stellt der Handel personalisierte Angebote in einer Art ServiceCloud in Echtzeit zur Verfügung. Incentivierungen für den besten Promotor oder Umsatzprovisionen für geworbene Kunden sind ebenfalls denkbar. Auch Preise gestalten die Verkäufer für diese Kunden individuell. Sie geben Rabatte aus Basis der Kun- terminhinweis EHI Marketing Forum 2013: 26./27. November Die Studie Die Szenarien basieren auf Faktoren wie Markentreue und Mediennutzung. Das EHI Retail Institute hat gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen ScMI sowie einem Team von 25 Marketingverantwortlichen aus Handel und Medien acht Zukunftsszenarien entwickelt. Mittels der Szenario-Management-Methode wurden dabei verschiedene Konsumententypen skizziert, die auch parallel existieren können. Zu Beginn des Projekts extrahierten die Verantwortlichen aus 90 Einflussfaktoren die 21 wichtigsten, die dann die Basis der Szenario-Studie bildeten. Dazu zählen Markenloyalität, Einkaufsverhalten oder Mediennutzungsverhalten. Die Experten aus Unternehmen wie Rewe, Douglas und Galeria Kaufhof haben dann die Szenarien in drei ganztägigen Workshops erarbeitet. Die Projektdauer umfasste rund sechs Monate. sg Werben & Verkaufen 46/2013 | 15 46_13_014-017_MARK_Zukunft-Handel.indd 15 08.11.2013 10:11:20 MARKETING | AUSBLICK denhistorie – oder auf Basis eines detaillierten Kundenwissens, um damit das weitere Einkaufsverhalten zu steuern. Sämtliche Touchpoints sind miteinander vernetzt. Beispiel Burberry Im Londoner Flagshipstore von Burberry können die Spiegel sprechen. Die Luxusmodemarke hat einen multimedialen Erlebnistempel geschaffen, in dem sämtliche Inhalte aus dem Netz, angefangen von Musik über Modenschauen bis hin zu Event-Berichten, auch stationär stattfinden – damit der Kunde alle Facetten der Marke auch im Store erleben kann, so die Begründung. 500 Lautsprecher und 100 Bildschirme sind in die Ladeneinrichtung integriert. In Kleidung und Taschen eingenähte RFID-Chips lösen produktrelevante MultimediaInhalte aus; Spiegel verwandeln sich in Screens, die Modenschauen oder Produktinformationen zeigen. Szenario „Lifestyle verbindet“ Der Händler als Nukleus einer Community Multimedialer Erlebnistempel Der Burberry-Store an der Londoner Regent Street ist als Spiegelbild des digitalen Auftritts der Marke konzipiert. Auf Leinwänden laufen Konzerte. Spiegel werden zu Bildschirmen, die Bewegtbild zeigen. Und auf riesigen Touchscreens können sich die Kunden durch verschiedene Outfits wischen. Die analoge Welt im Netz 1990 haben zwei Wiener Studenten die alte russische Kompatktkamera Lomo entdeckt und damit unzählige Fotos geschossen. Das war der Startschuss für einen neuen fotografischen Stil, der seither über eine Million Fans begeistert. Die Bilder wirken sehr farbintensiv. Unschärfen werden als Gestaltungsmittel eingesetzt. Egal, ob es sich ums Surfen, Gärtnern oder Fotografieren handelt, Lifestyle-Kunden finden sich in Gruppen zusammen und teilen mit Leidenschaft ihre Interessen. Marken sind für sie ein wichtiges Element, um Zusammengehörigkeit ausdrücken. Sie sind internetaffin, kommunizieren oftmals über soziale Medien, um sich auszutauschen, und wünschen sich darüber hinaus auch die klassische Ansprache am Point of Sale. Empfehlungen für den Handel Community-orientiertes Marketing steht im Fokus. Werbung sieht nicht nach Werbung aus. Auf Plattformen wie Facebook, Youtube und Twitter versucht der Händler, die Rolle des Meinungsführers zu übernehmen. Er meidet offensichtliche Werbeaktivitäten wie Sales-Promotions. Die Kommunikation sollte vielmehr themengetrieben sein und dem Lifestyle-Zweck dienen. Weil die Kunden ein exklusives Sortiment verlangen, bietet der Händler kundenindividuelle Unikate an. Außerdem stärken Events und das Sponsoring von Community-Aktivitäten das Zugehörigkeitsgefühl. Beispiel Lomography Bereits heute betreiben einige Marken wie Red Bull, Nespresso und Lomography erfolgreiches Community-Management. Die Marke Lomography ist Online-Händler, Magazin und Community in einem und hat sich der analogen Fotografie verschrieben. Der Name leitet sich aus der russischen Kleinbildkamera Lomo ab. Die Bilder der Lomographen sehen aus wie qualitativ minderwertige Schnappschüsse – doch genau das macht sie unter den Fans zum Kult. Um das Analoge zu pushen, nutzt Lomography sehr geschickt die digitalen Kanäle. 20 Jahre nach Gründung zählt die Community über eine Million Mitglieder, die täglich 7000 Fotos hochladen. Szenario „Hyperkonsum war gestern“ Die Öko-Schickeria teilt lieber, statt zu kaufen Statt permanent Neues einzukaufen, fragen sich die Kunden von morgen, ob sie die Ressourcen nicht besser nutzen und Produkte stattdessen teilen, tauschen oder leihen können. Das Thema Nachhaltigkeit spielt im Shopping-Alltag der Öko-Schickeria eine zentrale Rolle. Der Verbraucher entscheidet sich in erster Linie für einen Händler, nicht für ein Produkt. Dabei kommt es auf die Werteorientierung und die Beratung durch den jeweili- 16 | Werben & Verkaufen 46/2013 46_13_014-017_MARK_Zukunft-Handel.indd 16 08.11.2013 10:11:27 gen Anbieter an. Wird er Anforderungen der Kunden gerecht, gehen diese oft eine langfristige Verbindung mit ihm ein. Empfehlungen für den Handel In ihrer Kommunikation sollten die Händler nach Ansicht der Studienverantwortlichen mehrgleisig fahren: Eine breit angelegte Imagekampagne sorgt dafür, dass bekannt wird, wofür der Händler steht. Ergänzend dazu sind persönliche Gespräche am PoS notwendig. Dafür nutzen die Verkäufer spezifische Informationen über den Kunden aus der Datenbank, auf die sie in Echtzeit zugreifen. Soziale Medien sind wichtig, um die Community zu pflegen, und Angebote wie Käuferreisen in Produktionsländer stärken die Glaubwürdigkeit. Für die Öko-Schickeria wird es neue Geschäftsmodelle geben, die ihrem Wunsch nach nachhaltigem Konsum gerecht werden. Statt Produkte nur zum Kauf anzubieten, vermietet der Handel beispielsweise Regale, in denen die Kunden ihre Second-Hand-Ware anbieten können. Beispiel Kleiderei In der Kleiderei gibt es Mode im Abonnement. Gegen eine Pauschale von 14 Euro im Monat leihen sich die Kunden vier Kleidungsstücke, vom Abendkleid bis zur Strickmütze, für maximal zwei Wochen aus. Die erste Kleiderei eröffnete 2012 in Hamburg, die zweite startete jetzt in Berlin. Mode im Abo Kaufen war gestern. Die Kundinnen der Kleiderei zahlen eine Monatspauschale und leihen sich dafür Klamotten – Hosen, Mützen, Kleider. Nach spätestens zwei Wochen bringen sie die Ware sauber wieder zurück. Szenario „Keine Werbung bitte“ Werbegegner ÿ nden Marken belanglos Marken sind diesen Konsumenten egal. Auf ihren Einkaufslisten finden man selten exklusive oder statusbehaftete Namen, sondern ausschließlich Produkte. Einem Händler bleiben diese Verbraucher nur so lange treu, bis sie andernorts ein besseres Angebot finden – online oder stationär. Zwar geben die Werbeverweigerer nicht zwangsläufig dem Billigsten den Vorzug. Sie entscheiden sich allerdings für das Produkt mit dem besten PreisLeistungs-Verhältnis. Ob der Riegel Schokolade nachhaltig produziert wurde, interessiert sie nicht. Von Werbung und Medien fühlen sich die Kunden manipuliert. Sie vertrauen eher auf eigene Erfahrungen oder die von Freunden. Dazu vernetzen sie sich mobil mit Gleichgesinnten. Empfehlungen für den Handel Push-Botschaften lehnen die Werbeverweigerer kategorisch ab. Der Handel versucht daher, Informationen zur Verfügung zu stellen, die nicht als Werbung wahrgenommen werden. Die Devise lautet: „Make the web work for you“. Wenn die Kunden auf Google simple Suchanfragen starten, liefern ihnen die Händler direkt konkrete Angebote. Die Werbemuffel mögen Preisvergleichsmaschinen, deshalb legen die Retail-Marken darauf ihr Augenmerk und versuchen, dort Gutscheine zu hinterlegen. Der Auftritt der Händler ist wenig emotional und verspricht stattdessen Nutzen. Am PoS könnten zum Beispiel elektronische Preisschilder ein faires Image vermitteln. Beispiel dm Klassische TV- oder Printwerbung gibt es bei dm selten – weil sie, wie Gründer Götz Werner immer wieder predigt, Druck erzeuge und keinen Sog. Aus diesem Grund verfolgt das Unternehmen auch sehr erfolgreich das sogenannte Dauerpreiskonzept. Preisaktionen über einen kurzen Zeitraum lehnt die Kette hingegen ab. Stephanie Gruber | [email protected] Anti-Schnäppchen-Dogma In ihrem Youtube-Kanal erklärt die Drogeriemarktkette dm ihren Kunden, warum sie kurzzeitige Rabatte ablehnt und wie die „Dauerpreis Garantie“ funktioniert. In klassischen Medien wie TV und Print wirbt das Unternehmen fast nie. Werben & Verkaufen 46/2013 | 17 46_13_014-017_MARK_Zukunft-Handel.indd 17 08.11.2013 10:11:32