Wie der Handel 2025 kommuniziert

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MARKETING | AUSBLICK
Wie der Handel
2025 kommuniziert
ZUKUNFTSSZENARIEN Das EHI Retail Institute hat gemeinsam mit
Fotos: Fotolia/pp76; Fotolia/Eldadcarin; Fotolia/Conjuring; Unternehmen
25 Marketingleitern Medienkonsum, Shopping-Alltag und Wertehaltungen von
Kunden im Jahr 2025 untersucht. W&V stellt vier Konsumententypologien vor.
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Bill Gates hat sich geirrt. „Das Internet ist nur ein Hype“, behauptete der Microsoft-Gründer 1993. Mittlerweile ist jeder
dritte Weltbürger online. Auch der 20th-Century-Fox-Chef Darryl Zanuck lag daneben, als er 1946 behauptete, das Fernsehen
werde nach kurzer Zeit wieder vom Markt verschwinden.
Die Zukunft vorherzusagen, ist schwierig. Nur zu reagieren,
ist für Handel und Industrie allerdings auch keine Option. Das
EHI Retail Institute hat daher gemeinsam mit 25 Marketing­
leitern aus Handel, Medien und Dienstleistungsunternehmen
mögliche Zukunftsszenarien entwickelt. Sie skizzieren unterschiedliche Konsumententypen im Jahr 2025 und sollen den
Händlern Anhaltspunkte liefern, wie ihre Kunden künftig kommunizieren wollen. So wird es der Studie zufolge jene Verbraucher geben, denen statusorientierte Marken völlig egal sind. Für
sie zählt nur das Preis-Leistungs-Verhältnis. Andere werden
neue Geschäftsmodelle verlangen, weil sie ihre Produkte lieber
mieten wollen statt sie zu kaufen. Je nach Lebensbereich oder
Sortiment kann sich ein und derselbe Kunde auch in gegensätzlichen Szenarien bewegen.
Fotos: Fotolia/pp76; Fotolia/Eldadcarin; Fotolia/Conjuring; Unternehmen
Diskussion um Medienkanäle verliert an Relevanz
2025 klingt beim ersten Hinhören zwar, als müssten Ufos umherschwirren und stationäre Geschäfte nur noch in Geschichtsbüchern auftauchen. Doch das Jahr der von Barack Obama
anvisierten bemannten Mars-Mission liegt gerade einmal zwölf
Jahre voraus. Einige Ansätze, die der Untersuchung zufolge den
Konsumentenwünschen der Zukunft entsprechen, gibt es schon
heute: Nespresso zum Beispiel bedient die status- und konsum­
orientierte Gesellschaft mit exklusivem Community-Management. Der Lebensmittelhändler Tesco hat seinen technologiebegeisterten Kunden in Korea ermöglicht, ihre Einkäufe mittels
QR-Code direkt auf einem Großflächenplakat in der U-Bahn zu
erledigen (siehe Foto links).
Dennoch bleibt der Nachholbedarf groß: „Viele Händler
haben sich längst noch nicht ausreichend auf die unterschiedlichen Lebenswelten der Konsumenten eingestellt. Der Fokus
in ihrer Kommunikation liegt nach wie vor auf Mediengattungen
und -kanälen“, sagt Marlene Lohmann vom EHI Retail Insti­tute
in Köln. Doch diese werden ihrer Ansicht nach schon bald in
den Hintergrund rücken. Die Kommunikation müsse vom
Kunden ausgehen. In Zukunft werde es mehr denn je darum
gehen, Nischengruppen anzusprechen.
Technische Entwicklungen haben die Studienverantwortlichen beim Blick in die Glaskugel nur am Rande berücksichtigt
– weil man sie nicht vorhersehen kann. „Aufgrund der vielen
Veränderungen im Markt können wir heute noch nicht wissen,
wie und mit welchen Technologien wir im Jahr 2025 mit unseren Kunden sprechen. Die Ergebnisse aus dem Szenario-Projekt
geben jedoch einen detaillierten Ausblick, um Veränderungen
in den Bedürfnissen unserer Kunden frühzeitig zu erkennen“,
sagt Lars Nierfeld, Bereichsleiter Marketing bei Kik in Bönen,
der an der Studie mitgearbeitet hat.
Zukunftsforscher sind sich einig, dass die Digitalisierung
den Kommunikationsalltag drastisch verändern wird. Bei dem
derzeitigen Hype um das digitale Marketing, sagt Lohmann,
habe man das Gefühl, die Kunden von morgen werden nur noch
virtuell unterwegs sein. Aber: Auch der stationäre Handel hat
Chancen, wie einige der folgenden Zukunftsszenarien zeigen.
Szenario „Der Cyberspace ist mein Revier“
Technologie-Freaks bekommen individuelle Rabatte
Cyber-Kunden wollen Spaß haben beim Einkaufen. Sie sind
Hedonisten und weder beim Shoppen noch beim Medienkonsum
kritisch unterwegs. Unter welchen ethischen und ökologischen
Bedingungen Unternehmen ihre Produkte herstellen, interessiert
sie nicht. Die Technologiebegeisterten verbringen viel Zeit online,
lassen sich von den Erlebniswelten der Marken inspirieren und
kaufen spontan. Zu ihrem Kommunikationsalltag gehören innovative mobile Endgeräte wie Smartwatches und Datenbrillen.
Damit haben sie Zugriff auf eigens für sie zugeschnittene Informationen. Das Thema Datenschutz spielt für diese Verbraucher
eine untergeordnete Rolle. Neuerungen wie die derzeit von
Tesco in Großbritannien eingeführte Gesichtererkennung nehmen sie neugierig an.
Empfehlungen für den Handel Die Kommunikationsstrategie
für diese Gruppe ist zweigeteilt: Zum einen umfasst sie breit
angelegte Imagekampagnen, weil sich der Cyber-Kunde für
emotional aufgeladene Marken entscheidet. Darüber hinaus
stellt der Handel personalisierte Angebote in einer Art ServiceCloud in Echtzeit zur Verfügung. Incentivierungen für den besten Promotor oder Umsatzprovisionen für geworbene Kunden
sind ebenfalls denkbar. Auch Preise gestalten die Verkäufer für
diese Kunden individuell. Sie geben Rabatte aus Basis der Kun-
terminhinweis
EHI Marketing
Forum 2013:
26./27. November
Die Studie
Die Szenarien basieren auf Faktoren wie Markentreue und Mediennutzung.
Das EHI Retail Institute hat gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen ScMI sowie
einem Team von 25 Marketingverantwortlichen aus Handel und Medien acht Zukunftsszenarien entwickelt. Mittels der Szenario-Management-Methode wurden dabei verschiedene Konsumententypen skizziert, die auch parallel existieren können. Zu Beginn
des Projekts extrahierten die Verantwortlichen aus 90 Einflussfaktoren die 21 wichtigsten, die dann die Basis der Szenario-Studie bildeten. Dazu zählen Markenloyalität,
Einkaufsverhalten oder Mediennutzungsverhalten. Die Experten aus Unternehmen wie
Rewe, Douglas und Galeria Kaufhof haben dann die Szenarien in drei ganztägigen
Workshops erarbeitet. Die Projektdauer umfasste rund sechs Monate.
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denhistorie – oder auf Basis eines detaillierten Kundenwissens,
um damit das weitere Einkaufsverhalten zu steuern. Sämtliche
Touchpoints sind miteinander vernetzt.
Beispiel Burberry Im Londoner Flagshipstore von Burberry
können die Spiegel sprechen. Die Luxusmodemarke hat einen
multimedialen Erlebnistempel geschaffen, in dem sämtliche
Inhalte aus dem Netz, angefangen von Musik über Modenschauen bis hin zu Event-Berichten, auch stationär stattfinden – damit
der Kunde alle Facetten der Marke auch im Store erleben kann,
so die Begründung. 500 Lautsprecher und 100 Bildschirme sind
in die Ladeneinrichtung integriert. In Kleidung und Taschen
eingenähte RFID-Chips lösen produktrelevante MultimediaInhalte aus; Spiegel verwandeln sich in Screens, die Modenschauen oder Produktinformationen zeigen.
Szenario „Lifestyle verbindet“
Der Händler als Nukleus einer Community
Multimedialer Erlebnistempel
Der Burberry-Store an der Londoner Regent Street ist als Spiegelbild
des digitalen Auftritts der Marke
konzipiert. Auf Leinwänden
laufen Konzerte. Spiegel werden zu
Bildschirmen, die Bewegtbild zeigen. Und auf riesigen Touchscreens
können sich die Kunden durch
verschiedene Outfits wischen.
Die analoge Welt im Netz
1990 haben zwei Wiener Studenten die alte russische Kompatktkamera Lomo entdeckt und damit
unzählige Fotos geschossen. Das
war der Startschuss für einen neuen
fotografischen Stil, der seither über
eine Million Fans begeistert. Die
Bilder wirken sehr farbintensiv.
Unschärfen werden als Gestaltungsmittel eingesetzt.
Egal, ob es sich ums Surfen, Gärtnern oder Fotografieren handelt, Lifestyle-Kunden finden sich in Gruppen zusammen und
teilen mit Leidenschaft ihre Interessen. Marken sind für sie ein
wichtiges Element, um Zusammengehörigkeit ausdrücken. Sie
sind internetaffin, kommunizieren oftmals über soziale Medien,
um sich auszutauschen, und wünschen sich darüber hinaus auch
die klassische Ansprache am Point of Sale.
Empfehlungen für den Handel Community-orientiertes Marketing steht im Fokus. Werbung sieht nicht nach Werbung aus.
Auf Plattformen wie Facebook, Youtube und Twitter versucht
der Händler, die Rolle des Meinungsführers zu übernehmen. Er
meidet offensichtliche Werbeaktivitäten wie Sales-Promotions.
Die Kommunikation sollte vielmehr themengetrieben sein und
dem Lifestyle-Zweck dienen. Weil die Kunden ein exklusives
Sortiment verlangen, bietet der Händler kundenindividuelle
Unikate an. Außerdem stärken Events und das Sponsoring von
Community-Aktivitäten das Zugehörigkeitsgefühl.
Beispiel Lomography Bereits heute betreiben einige Marken
wie Red Bull, Nespresso und Lomography erfolgreiches Community-Management. Die Marke Lomography ist Online-Händler, Magazin und Community in einem und hat sich der analogen Fotografie verschrieben. Der Name leitet sich aus der russischen Kleinbildkamera Lomo ab. Die Bilder der Lomographen
sehen aus wie qualitativ minderwertige Schnappschüsse – doch
genau das macht sie unter den Fans zum Kult. Um das Analoge
zu pushen, nutzt Lomography sehr geschickt die digitalen Kanäle. 20 Jahre nach Gründung zählt die Community über eine
Million Mitglieder, die täglich 7000 Fotos hochladen.
Szenario „Hyperkonsum war gestern“
Die Öko-Schickeria teilt lieber, statt zu kaufen
Statt permanent Neues einzukaufen, fragen sich die Kunden von
morgen, ob sie die Ressourcen nicht besser nutzen und Produkte stattdessen teilen, tauschen oder leihen können. Das Thema
Nachhaltigkeit spielt im Shopping-Alltag der Öko-Schickeria
eine zentrale Rolle. Der Verbraucher entscheidet sich in erster
Linie für einen Händler, nicht für ein Produkt. Dabei kommt es
auf die Werteorientierung und die Beratung durch den jeweili-
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gen Anbieter an. Wird er Anforderungen der Kunden gerecht,
gehen diese oft eine langfristige Verbindung mit ihm ein.
Empfehlungen für den Handel In ihrer Kommunikation sollten die Händler nach Ansicht der Studienverantwortlichen
mehrgleisig fahren: Eine breit angelegte Imagekampagne sorgt
dafür, dass bekannt wird, wofür der Händler steht. Ergänzend
dazu sind persönliche Gespräche am PoS notwendig. Dafür
nutzen die Verkäufer spezifische Informationen über den Kunden aus der Datenbank, auf die sie in Echtzeit zugreifen. Soziale Medien sind wichtig, um die Community zu pflegen, und
Angebote wie Käuferreisen in Produktionsländer stärken die
Glaubwürdigkeit. Für die Öko-Schickeria wird es neue Geschäftsmodelle geben, die ihrem Wunsch nach nachhaltigem
Konsum gerecht werden. Statt Produkte nur zum Kauf anzubieten, vermietet der Handel beispielsweise Regale, in denen die
Kunden ihre Second-Hand-Ware anbieten können.
Beispiel Kleiderei In der Kleiderei gibt es Mode im Abonnement. Gegen eine Pauschale von 14 Euro im Monat leihen sich
die Kunden vier Kleidungsstücke, vom Abendkleid bis zur
Strickmütze, für maximal zwei Wochen aus. Die erste Kleiderei
eröffnete 2012 in Hamburg, die zweite startete jetzt in Berlin.
Mode im Abo
Kaufen war gestern. Die Kundinnen der Kleiderei zahlen eine
Monatspauschale und leihen
sich dafür Klamotten – Hosen,
Mützen, Kleider. Nach spätestens
zwei Wochen bringen sie die
Ware sauber wieder zurück.
Szenario „Keine Werbung bitte“
Werbegegner ÿ nden Marken belanglos
Marken sind diesen Konsumenten egal. Auf ihren Einkaufslisten
finden man selten exklusive oder statusbehaftete Namen, sondern
ausschließlich Produkte. Einem Händler bleiben diese Verbraucher nur so lange treu, bis sie andernorts ein besseres Angebot
finden – online oder stationär. Zwar geben die Werbeverweigerer nicht zwangsläufig dem Billigsten den Vorzug. Sie entscheiden sich allerdings für das Produkt mit dem besten PreisLeistungs-Verhältnis. Ob der Riegel Schokolade nachhaltig
produziert wurde, interessiert sie nicht.
Von Werbung und Medien fühlen sich die Kunden manipuliert. Sie vertrauen eher auf eigene Erfahrungen oder die von
Freunden. Dazu vernetzen sie sich mobil mit Gleichgesinnten.
Empfehlungen für den Handel Push-Botschaften lehnen die
Werbeverweigerer kategorisch ab. Der Handel versucht daher,
Informationen zur Verfügung zu stellen, die nicht als Werbung
wahrgenommen werden. Die Devise lautet: „Make the web work
for you“. Wenn die Kunden auf Google simple Suchanfragen
starten, liefern ihnen die Händler direkt konkrete Angebote.
Die Werbemuffel mögen Preisvergleichsmaschinen, deshalb
legen die Retail-Marken darauf ihr Augenmerk und versuchen,
dort Gutscheine zu hinterlegen. Der Auftritt der Händler ist
wenig emotional und verspricht stattdessen Nutzen. Am PoS
könnten zum Beispiel elektronische Preisschilder ein faires
Image vermitteln.
Beispiel dm Klassische TV- oder Printwerbung gibt es bei dm
selten – weil sie, wie Gründer Götz Werner immer wieder predigt, Druck erzeuge und keinen Sog. Aus diesem Grund verfolgt
das Unternehmen auch sehr erfolgreich das sogenannte Dauerpreiskonzept. Preisaktionen über einen kurzen Zeitraum lehnt
die Kette hingegen ab.
Stephanie Gruber | [email protected]
Anti-Schnäppchen-Dogma
In ihrem Youtube-Kanal erklärt
die Drogeriemarktkette dm
ihren Kunden, warum sie kurzzeitige Rabatte ablehnt und
wie die „Dauerpreis Garantie“
funktioniert. In klassischen
Medien wie TV und Print wirbt
das Unternehmen fast nie.
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