Einführung in die Astronomie und Astrophysik I Teil 2 Jochen Liske Hamburger Sternwarte [email protected] Themen Einstieg: Was ist Astrophysik? Koordinatensysteme Astronomische Zeitrechnung Sonnensystem Gravitation Die Keplerschen Gesetze Strahlung Teleskope Planeten Sternaufbau Sternentstehung Sternentwicklung Sternhaufen Interstellare Materie Die Exoten: Neutronensterne und Schwarze Löcher Sternörter Nur wenige 1000 Sterne mit bloßem Auge sichtbar Unter Idealbedingungen (transparent Atmosphäre, keine Lichtverschmutzung) 5000 – 6000 Willkürliche Gruppierung zu Figuren = Sternbilder Sternbilder Mythologischer Sternenhimmel verschiedene Sternbilder je nach Kulturkreis oft Tiere und Fabelwesen Namen / Abgrenzung mehrdeutig Sternbilder Mythologischer Sternenhimmel verschiedene Sternbilder je nach Kulturkreis oft Tiere und Fabelwesen Namen / Abgrenzung mehrdeutig Beispiel aus Australien: Emu in the Sky Sternbilder Mythologischer Sternenhimmel verschiedene Sternbilder je nach Kulturkreis oft Tiere und Fabelwesen Namen / Abgrenzung mehrdeutig Beispiel aus Australien: Orion = Kanu Sternbilder Mythologischer Sternenhimmel verschiedene Sternbilder je nach Kulturkreis oft Tiere und Fabelwesen Namen / Abgrenzung mehrdeutig Sternbilder Seit 1928: Festlegung von 88 Sternbildern durch die International Astronomical Union, rechtwinklig abgegrenzt Sternbilder Beispiel: Großer Bär / Wagen Sternbilder Beispiel: Großer Bär / Wagen Sternbilder Beispiel: Kleiner Bär / Wagen Sternbilder Beispiel: Kleiner Bär / Wagen Sternnamen Eigennamen (oft arabisch): Sirius, Algol, Vega, ... Griechischer Buchstabe + Sternbild: α And (Andromedae), β UMa (Ursae Majoris), γ Per (Persei), ... Katalognamen BD+29°5419 (Bonner Durchmusterung), HD 4712 (Henry-Draper-Katalog), SAO 15832 (Smithonian Astronomical Observatory), ... Sternbilder: auch zur ungefähren Angabe von nicht-stellaren Objekten (z.B. Galaxien, Nebel, etc.) Sternnamen Nein, man kann Sternnamen nicht kaufen ... Koordinatensysteme Horizontsystem Äquatorialsystem Ekliptikales System Galaktisches System Koordinatenänderung Horizontsystem Projektion des gegenwärtigen Horizonts auf die Himmelssphäre abhängig vom gegenwärtigen Standort auf der Erde (Längenund Breitengrad) und Zeitpunkt Horizontsystem Definition/Koordinaten: Grundkreis = Horizont Pole: Zenit, Nadir Höhe: h [] → Zenit: +90 Azimut: A [] → Westen: 90 Horizontsystem Definition/Koordinaten: Grundkreis = Horizont Pole: Zenit, Nadir Höhe: h [] → Zenit: +90 Azimut: A [] → Westen: 90 Natürliches Koordinatensystem des Beobachters Sterne „kulminieren“ im Meridian NB: Horizont umgangssprachlicher Horizont Horizontsystem Definition/Koordinaten: Grundkreis = Horizont Pole: Zenit, Nadir Höhe: h [] → Zenit: +90 Azimut: A [] → Westen: 90 Natürliches Koordinatensystem des Beobachters Sterne „kulminieren“ im Meridian Horizontsystem Definition/Koordinaten: Grundkreis = Horizont Pole: Zenit, Nadir Höhe: h [] → Zenit: +90 Azimut: A [] → Westen: 90 Natürliches Koordinatensystem des Beobachters Sterne „kulminieren“ im Meridian Horizontsystem Definition/Koordinaten: Grundkreis = Horizont Pole: Zenit, Nadir Höhe: h [] → Zenit: +90 Azimut: A [] → Westen: 90 Natürliches Koordinatensystem des Beobachters Sterne „kulminieren“ im Meridian Nachteil: Koordinaten abhängig von Zeit und Ort Äquatorialsystem Projektion des Erdäquators auf die Himmelsspähre Definition/Koordinaten: Grundkreis = Himmelsäquator Pole: Nord, Süd Deklination: δ [] → Nordpol: +90 Rektaszension: α, RA [] → Frühlingspunkt: 0 Ekliptik Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne Ekliptik Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne = scheinbare Bahn der Sonne vor dem Fixsternhimmel Achse der Erdrotation Achse der Erdumlaufbahn Neigung um ε = 23.44 Winkel zwischen Ekliptik und Himmelsäquator = ε Frühlingspunkt: Einer der Schnittpunkte des Himmelsäquators mit Ekliptik Und zwar der im Frühling! Früher im Sternbild Widder, jetzt: Fische Äquatorialsystem Projektion des Erdäquators auf die Himmelsspähre Definition/Koordinaten: Grundkreis = Himmelsäquator Pole: Nord, Süd Deklination: δ [] Nordpol: +90 Rektaszension: α, RA [] Frühlingspunkt: 0 Koordinaten sind zeit- und ortsunabhängig Standardsystem der Astronomie Äquatorialsystem Für Beobachtungen ist der Stundenwinkel t hilfreich t = Winkel zwischen Meridian und Stundenkreis = Zeit nach oberer Kulmination Umrechnung zwischen α und t anhand der Sternzeit: t = ST – α ST = Stundenwinkel des Frühlingspunkts (ortsabhängig) Äquatorialsystem Für Beobachtungen ist der Stundenwinkel t hilfreich t = Winkel zwischen Meridian und Stundenkreis = Zeit nach oberer Kulmination Umrechnung zwischen α und t anhand der Sternzeit: t = ST – α ST = Stundenwinkel des Frühlingspunkts (ortsabhängig) Observatorien haben Sternzeituhren! Winkel und Zeit Stundenwinkel t und Rektaszension α werden meist in Stunden, Minuten, Sekunden angegeben (Zeitmaß): 24 h ≙ 360, 1 h ≙ 15, 1 m ≙ 0.25, 1 s ≙ 0.00417 Nicht zu verwechseln mit Bogenminute/Bogensekunde: Bogenminute: 1 = 60’ 1’ = 0.016667 Bogensekunde: 1’ = 60’’ 1’’ = 0.00027778 1 h ≙ 15, 1 m ≙ 15’, 1 s ≙ 15’’ Intermezzo I: Teleskopmontierungen Äquatoriale oder parallaktische Montierung: Eine Achse parallel zur Erdrotationsachse Teleskop muss nur um diese eine Achse nachgeführt werden Komplizierter im Bau Großer Refraktor an der Hamburger Sternwarte Intermezzo I: Teleskopmontierungen Azimutale Montierung: Eine Achse zeigt zum Zenit Teleskop muss um beide Achsen nachgeführt werden Computersteuerung Einfacher im Bau Intermezzo II: zirkumpolare Sterne Objekte, die nicht auf- oder untergehen Welche das sind, ist abhängig vom Breitengrad φ des Beobachters. Zirkumpolare Objekte der Nordhalbkugel: (90 – φ) < δ Für Südhalbkugel: δ < –(90 + φ) Hamburg (φ = 53.5): 36.5 < δ Umgekehrt: Sterne, die in Hamburg nie sichtbar sind: δ < –36.5 Koordinatensysteme δ Sonne und Planeten wandern entlang der Ekliptik Äquatorialsystem nicht so gut für Sonnensystembeobachtungen geeignet α Ekliptikales System Definition/Koordinaten: Grundkreis = Ekliptik Breite: β [] „Nordpol“: +90 Länge: λ [] Frühlingspunkt: 0 Verwendung im Sonnensystem Ekliptikales System Umrechnung: Ekliptikal äquatorial δ = arcsin (cos ε · sin β + sin ε · cos β · sin λ) α = arctan ((cos ε · sin λ − sin ε · tan β) / cos λ) Äquatorial ekliptikal x = sin ε · sin δ + cos ε · cos δ · sin α y = cos δ · cos α z = cos ε · sin δ - sin ε · cos δ · sin α β = arcsin (z) λ = arccos (y / cos β) = arcsin (x / cos β) Trigonometrie wichtig in der Astronomie! Galaktisches System Definition/Koordinaten: Grundkreis = Ebene der Milchstraße Breite: b [] „Nordpol“: +90 Länge: l [] Galaktisches Zentrum: 0 1958: Festlegung des Galaktisches Zentrums: α = 17 h 42.4 min, δ = −28.92 tatsächliches Zentrum (Radioquelle Sagittarius A*) ist um 0,07 versetzt Neigung der galaktischen Ebene zum Himmelsäquator: 62.6 Verwendung für großflächige Durchmusterungen (sowohl galaktische als auch extragalaktische) Galaktisches System ESO / Serge Brunier Galaktisches System b l ESO / Serge Brunier Galaktisches System Zusammenfassung Koordinatensysteme Horizontsystem (Azimut A, Höhe h) Äquatorsystem (Rektaszension α, Deklination δ) Ekliptikales System (Länge λ, Breite β) Galaktisches System (Länge l, Breite b) Veränderung der Koordinaten Präzession: Rotationsachse der Erde ist geneigt Die Gravitationskräfte von Sonne und Mond führen zu einer Taumelbewegung der Erdachse (Kreisel) Präzession Himmelspol kreist in der Ekliptikebene Öffnungswinkel des Präzessionskegels = 23.44° Periode = ca 25700 Jahre (Platonisches Jahr) Frühlingspunkt wandert entgegen der scheinbaren Bewegung der Sonne Äquitorialkoordinaten (δ, α) ändern sich mit der Zeit Epoche muss mit angegeben werden Präzession Himmelspol kreist in der Ekliptikebene Öffnungswinkel des Präzessionskegels = 23.44° Periode = ca 25700 Jahre (Platonisches Jahr) Frühlingspunkt wandert entgegen der scheinbaren Bewegung der Sonne Äquitorialkoordinaten (δ, α) ändern sich mit der Zeit Epoche muss mit angegeben werden Intermezzo II: “Sternzeichen” Intermezzo III: “Sternzeichen” Intermezzo III: “Sternzeichen” Intermezzo III: “Sternzeichen” „Sternzeichen“ = Tierkreiszeichen Sternbilder entlang der Ekliptik Veränderung der Koordinaten Nutation: Bahnachse des Mondes ist gegenüber der Ekliptik um 5.1 geneigt Kreisel Gravitationskraft der Sonne Präzession der Mondbahn Präzession der Erde wird periodisch verändert Nutation Präzessionskegel wird gestört Öffnungswinkel des Nutationskegels = 9.2 bzw 6.9” Periode = 18.6 Jahre Nutation ändert sowohl die Schiefe der Ekliptik als auch die Richtung des Frühlingspunkts Veränderung der Koordinaten Parallaxe: Scheinbare Positionsänderung entfernter Objekte durch Veränderung der eigenen Beobachtungsposition Linkes Auge Rechtes Auge Tägliche Parallaxe Durch Erddrehung Nur bei Objekten im Sonnensystem messbar Mond: α ~ 6000 km / 380000 km ~ 1 Sonne: α ~ 6000 km / 150 x 106 km ~ 8” Jährliche Parallaxe Durch Umlauf der Erde um die Sonne Jährliche Parallaxe Parallaxwinkel π: sin(π) = a/r ≈ π (für r ≫ a) Definition der Längenmaßeinheit Parallaxensekunde = Parsec = pc: a = 1 AU (~150 Mio km) π = 1” r ≡ 1 pc = 3.26 Lj = 30.86×1012 km pc: gebräuchlichste Einheit für astronomische Entfernungsangaben Parallaxe: eine der wenigen direkten Methoden zur Entfernungsbestimmung von Sternen Jährliche Parallaxe Parallaxwinkel π: sin(π) = a/r ≈ π (für r ≫ a) Definition der Längenmaßeinheit Parallaxensekunde = Parsec = pc: a = 1 AU (~150 Mio km) π = 1” r ≡ 1 pc = 3.26 Lj = 30.86×1012 km pc: gebräuchlichste Einheit für astronomische Entfernungsangaben Parallaxe: eine der wenigen direkten Methoden zur Entfernungsbestimmung von Sternen Weitere Koordinatenstörungen Aberration: scheinbare Positionsveränderung durch relative Bewegung zwischen Quelle und Beobachter und Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit Erde um Sonne: < 20.5“ Refraktion: scheinbare Positionsveränderung durch Lichtbrechung in unterschiedlichen Luftschichten, abhängig vom Zustand der Atmosphäre und der Höhe über dem Horizont; bis zu 0.6 Zeitmessung: Sonnenzeit und Sternzeit Sonnentag = synodischer Tag = τ: Zeit zwischen zwei Sonnenkulminationen Tsyn = 86400 s = 24 h Erdrotation ist ziemlich konstant (aber nicht perfekt) Sterntag = siderischer Tag = τ*: Zeit zwischen zwei Frühlingspunktkulminationen Tsid = 86164.099 s = 23 h 56 m 4.099 s 1 Jahr hat ca. 366 siderische Tage Zeitmessung: wahre und mittlere Zeit Wahre örtliche Sonnenzeit: Stundenwinkel der „wahren“ Sonne + 12 h ( Tagesanfang um Mitternacht) Wird von Sonnenuhren angezeigt In der Praxis nicht brauchbar, da ungleichmäßiger Verlauf wegen: Schiefe der Ekliptik ( 1/2 jährliche Periode) Exzentrische Erdumlaufbahn ( jährliche Periode) Mittlere örtliche Sonnenzeit: Stundenwinkel der “mittleren” Sonne + 12 h „Mittlere Sonne“: gleichmäßige Bewegung in α Mittlere Sonnenzeit / mittlere Ortszeit (MOZ) Zeitmessung: wahre und mittlere Zeit Zeitmessung: was ist eine Sekunde? Bis 1960: Sonnensekunde: 1 / 86400 eines mittleren Sonnentages 1960: Ephemeridensekunde: 1 / 31 556 925.9747 des tropischen Jahres am 0. Januar 1900 um 12 Uhr Seit 1967: Atomsekunde: 9 192 631 770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids Caesium-133 entsprechenden Strahlung Internationale Atomzeit, TAI UT1 = mittlere Sonnenzeit, veränderlich In der Praxis soll die Zeit gleichmäßig verlaufen (wie TAI) sich an der Dauer eines Sonnentages orientieren (wie UT1) Kompromiss: „Gebrauchszeit“ UTC = TAI + unregelmäßige Schaltsekunden, Abweichung von UT1 immer < 0.9 s Heute: UTC = TAI – 36 s Zeitmessung: Tageslänge Zeitmessung: das Jahr Tropisches Jahr (Sonnenjahr Jahreszeiten) Alte Definition: von Frühlingspunkt zu Frühlingspunkt Kalenderjahr; keine gute Definition weil: • Abhängig von der willkürlichen Wahl des Frühlingspunkts • Schwankung aufgrund von: • Elliptizität der Erdumlaufbahn • Bahnstörungen durch Mond und andere Planeten • Präzessionsschwankungen • Gegenwärtig 365.2424 d (1 d = 86400 Atomsekunden) Neue Definition: Zeitraum, in dem die mittlere Länge der Sonne um 360 zunimmt • Im Grunde das langfristige Mittel der alten Definition • Trotzdem noch veränderlich • Gegenwärtig 365.2422 Tage Länge des tropischen Jahrs Abnahme wegen gegenwärtiger Beschleunigung der Präzession Zeitmessung: das Jahr Siderisches Jahr (Sternenjahr) Zeitraum bis die Sonne die gleiche Stelle am Fixsternhimmel einnimmt Veränderlich, definiert für den 01.01.2000 365.2564 d (ca. 20.5 Minuten länger als das tropische Jahr) Anomalistisches Jahr Zeitraum zwischen 2 Periheldurchgängen Veränderlich, definiert für den 01.01.2000 365.2596 (ca. 4.5 Minuten länger als das siderische Jahr) atrop < asid < aanom Zeitmessung: das Jahr Kalenderjahr (richtet sich nach dem tropischen Jahr) Tropisches Jahr ganze Anzahl von Tagen Lösung: gelegentliches Einfügen eines Schalttages Julianischer Kalender (45 v. Chr.): 1 a = 365.25 d 1 Schalttag alle 4 Jahre Gregorianischer Kalender (zuerst 1582): 1 a = 265.2425 d 1 Schalttag alle 4 Jahre, es sei denn Jahr ist durch 100 teilbar, es sei denn Jahr ist durch 400 teilbar ( 2000 war ein Schaltjahr, 1900 nicht) Übergang vom Julianischen zum gregorianischen Kalender: Donnerstag, 04.10.1582 Freitag, 15.10.1582 In den USA: Mittwoch, 02.09.1752 Donnerstag, 15.09.1752 (siehe „cal“ Programm auf Unix-Systemen inkl Mac) Zeitmessung: Julianisches Datum In der Astronomie und anderen Wissenschaften wird eine über Jahrhunderte fortlaufende Tageszählung benötigt, um die Berechnung von Zeitintervallen zu vereinfachen (also ohne sich um verschieden lange Monate, Kalenderreformen, Schalttage und Schaltsekunden kümmern zu müssen). JD = Zeit in Tagen seit 12:00 Uhr UT am 01.01.4713 v. Chr. im proleptischen Julianischen Kalender (= 24.11.4714 v. Chr. im proleptischen gregorianischen Kalender), wobei ein Tag = 86400 Atomsekunden MJD = Modifiziertes Julianisches Datum = JD − 2400000.5 Vorsicht: es werden z.T. verschiedene Zeitskalen für JD verwendet (UT1, UTC, TAI, etc.), bei Anwendungen mit hohen Präzisionsansprüchen muss also die Zeitskala mit angegeben werden