Hegemoniale Ritterlichkeiten

Werbung
S C H W E R P U N K T | Männer in der Sozialen Arbeit
Hegemoniale Ritterlichkeiten
Geschlechteraspekte und Selbstwahrnehmungen von Männlichkeit
in der Sozialen Arbeit
Text: Ursula Graf, Steve Stiehler
Männer verschaffen sich im Wettbewerb um gute Aufstiegs­
möglichkeiten in der Sozialen Arbeit eine starke Ausgangs­
position. Die (Selbst-)Wahrnehmungen von Sozialarbeitern
und Sozialpädagogen zeigen, dass eine Abkehr vom traditio­
nellen Softie-Image hin zum jungen, dynamischen Individua­
listen stattgefunden hat. Das dokumentiert eine qualitative
Studie der FHS St.Gallen.
Herman Nohl (1926/1949) entwarf im Zusammenhang
mit seinen Ausführungen zur Jugendwohlfahrt und zum
männlichen Sozialbeamten und Fürsorger bereits vor gut
80 Jahren das Ideal der Ritterlichkeit als Pendant zur geistigen Mütterlichkeit. Gemeint waren u.a. das «aktive Einsetzen der Person für das Ganze» und «die Bereitschaft zur
Führung». Neben dieser historischen Anleihe soll das konzeptionell verankerte Leitbild der «hegemonialen Männlichkeit» (Raewyn Connell 2000) als Analysefolie für eine
Annäherung an Geschlechteraspekte in der Praxis Sozialer
Arbeit, an Selbstwahrnehmungen als Sozialarbeiter/Sozialpädagoge und für das Aufzeigen von Wegen zur Imageverbesserung von Sozialer Arbeit dienen.
Männlichkeiten sind heute als hegemonial zu verorten
und werden durch eine «doppelte Distinktions- und Dominanzkultur» (Meuser 2006) bestimmt. Hierbei fungiert das
Ideal männlicher Hegemonie als «regulatorisches Ideal».
Das Handeln von Männern ist danach konkurrierend, intern hierarchisch strukturiert und auf soziale Schliessung
hin angelegt. Zugleich gilt das Männliche als verdeckte,
selbstverständliche (vgl. Daigler/Hilke 1995) und dem Weiblichen überlegene Norm (vgl. Meuser & Scholz 2005). Die
folgenden Ausführungen stehen im Zusammenhang mit
Ergebnissen einer qualitativen Befragung von Sozialarbeitern/Sozialpädagogen, die im Rahmen eines vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) geförderten
Projekts zum Thema «Mehr Männer in die Studiengänge
und Praxisfelder der Sozialen Arbeit» am Fachbereich So­
ziale Arbeit der FHS St.Gallen (Fachhochschule Ostschweiz)
durchgeführt wurde (www.gender-diversity.ch).
Geschlechterrelevanz in der Praxis Sozialer Arbeit
Empirische Untersuchungen lassen in den Praxisfeldern
der Sozialen Arbeit eine Geschlechtersegregation erkennen.
So zeigt sich bei der Geschlechterverteilung in Ostschweizer Praxisorganisationen (vgl. Projektbericht 2010), dass
gut zwei Drittel Sozialarbeiterinnen/Sozial­pädagoginnen
einem Drittel Sozialarbeitern/Sozialpädagogen gegenüberstehen. Gleichzeitig übernehmen etwa 40 Prozent
­d ieser Männer in ihren Organisationen eine Leitungs­
funktion auf Organisations-, Bereichs- oder Teamebene,
die mehrheitlich mit einer Arbeit mit direktem Klientelkontakt kombiniert wird (vgl. auch Klein & Wulf-Schnabel
2007). Dieser Befund bildet einen wichtigen Hintergrund
14
SozialAktuell | Nr. 1 _ Januar 2012
für die Einordnung der Ergebnisse aus der qualitativen Befragung.
In den Ausführungen der befragten Sozialarbeiter/Sozialpädagogen zu ihren Leitungsfunktionen zeigt sich immer
wieder ein Streben nach höheren Hierarchieebenen und
nach Übernahme von Leitungsfunktionen in Organisationen Sozialer Arbeit, um sich u. a. selbst einen zusätzlichen
Gestaltungsfreiraum zu verschaffen. Gerne übernehmen
Sozialarbeiter/Sozialpädagogen auch Spezialaufträge wie
die Modernisierung von Abläufen, mit denen sie sich ein
gewisses Informationsmonopol innerhalb ihrer Organisation sichern.
Männer in der Sozialen Arbeit scheinen sich über diese
­h ierarchischen Doppelfunktionen (von Leitungsfunktionen und Spezialaufträgen) eine gute Ausgangsposition im
Wettbewerb um die raren Aufstiegsmöglichkeiten zu
schaffen. Damit sichern sie sich einen «ganzheitlichen Zugang» (Nohl), indem sie wissen, was an der Basis und in der
Leitung läuft. Zugespitzt formuliert scheinen Sozialarbeiter/Sozialpädagogen eine ganzheitliche (formelle wie in-
Männliche sozial Arbeitende streben Leitungsfunktionen an, um sich einen zusätzlichen
­Gestaltungsfreiraum zu verschaffen
formelle) Kontrolle in ihrem Berufsalltag zu suchen, um
womöglich nicht selbst von anderen Männern kontrolliert
zu werden und sich der Gefahr einer Marginalisierung
auszusetzen. Diesen Eindruck bestärken die Kompetenzen,
die Sozialarbeiter/Sozialpädagogen für sich als relevant erachten: die rationale Erschliessung und Umsetzung (neuer)
fachlicher Aufgaben mittels Objektivität und Planung sowie Lösungs- und Ressourcenorientiertheit, Umgang mit
Belastungen durch gute Abgrenzung und gelingenden
Umgang mit Stress oder
auch
kommunikative
Überzeugungskraft.
Darüber hinaus scheint
sich, trotz reflektierter
Auseinandersetzung im
Team, in der alltäglichen
Ursula Graf
Arbeit eine geschlechtersist Mitarbeiterin des Instituts
tereotype Aufgabenverfür Gender und Diversity der
Fachhochschule Ostschweiz.
teilung durchzusetzen. In
der Praxis sieht dies dann
so aus, dass der Mitarbeiter Bereiche wie Technik
und Informatik bzw.
Steve Stiehler
Fachthemen wie Medien
ist Dozent und Studien­
und Jugend übernimmt
gangsleiter am Fachbereich
und die Mitarbeiterin im
Soziale Arbeit der Fachhoch­
schule St.Gallen.
Team für Bereiche wie Er-
Männer in der Sozialen Arbeit | S C H W E R P U N K T
« Es gibt Arbeitsfelder, wo ein grösserer Männeranteil sinnvoll wäre.
Zum Beispiel in der Schulsozialarbeit, wo Männer als Identifikations­
figuren untervertreten sind, oder im Migrationsbereich, weil in anderen
Kulturen Männer als Autoritätspersonen eher akzeptiert werden. Zudem
ist davon auszugehen, dass der Status der Sozialarbeit in der Gesell­
schaft steigt, wenn mehr Männer in der Sozialarbeit tätig sind. Dies
kommt letztlich allen sozial Tätigen zugute. Aber ich bin gegen eine
Männerförderung, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie eine solche
aussehen sollte, und weil ich zweifle, dass damit geeignete Männer ge­
funden würden. Ich habe früher im männerdominierten Bankwesen ge­
arbeitet, wo alles darauf ausgerichtet war, als Mann die Karriereleiter
hochzukommen mit möglichst viel Ellbogeneinsatz. Frauen waren für sie
nur ‹Zuarbeiterinnen›. Also wechselte ich in die Soziale Arbeit, mit dem
reichlich idealistischen Bild vor Augen, etwas zur Verbesserung der Welt
beizutragen. »
Markus Hofstetter, Sozialarbeiter in der Wohnbaugenossenschaft FGZ
in Zürich. Hobby: Pétanque
ziehungs- und Elternfragen zuständig ist. Als Argument für
diese geschlechterstereotype Aufgabenverteilung wird angeführt, dass damit die Stärken der Mitarbeitenden im
Team in den unterschiedlichen Ressorts «ressourcenorientiert» genutzt werden. Der berufliche Alltag in Sozialer Arbeit ist offensichtlich über selbstverständ­liche Unterscheidungen zwischen «männlich» und «weiblich» von einer
aktiven Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und
wirkmächtigen Verdeckungszusammenhängen geprägt.
(Selbst-)Wahrnehmungen von Sozialarbeitern
und Sozialpädagogen
Ein zentrales Anliegen des Projekts war die Frage nach dem
subjektiven Erscheinungsbild von Sozialarbeitern/Sozialpädagogen. Um diese Bilder in Erfahrung zu bringen,
wurde eine indirekte methodische Vorgehensweise gewählt und den Interviewten sechs Männerporträts vor­
gelegt. Sie wurden danach befragt, mit welchem Porträt
des Sozialarbeiters/Sozialpädagogen sie sich am meisten
bzw. am wenigsten identifizieren können. Meist waren
Kleidung und Erscheinungsbild (Alter, Erfahrung etc.) ausschlaggebend dafür, ob eine Person als geeignet für den
Beruf angesehen wurde.
In den favorisierten Charakterisierungen steckt eine bewusste Abkehr vom traditionellen Image des Sozialpädagogen/Sozialarbeiters als «birkenstocktragenden Softies» hin
zum «jungen dynamischen Individualisten». Positive Zuschreibungen orientieren sich eher am hegemonialen Bild
des «abgeklärten Cowboys», negative erscheinen im Kanon
einer Marginalisierung empathischer Männlichkeit.
Das von den Interviewten beschriebene gesellschaftliche
Bild von Sozialer Arbeit unterstreicht diese Abkehr. Der Beruf sei mit einem alternativen Helferimage behaftet, Status
wie auch Verdienst seien entsprechend schlecht. Aus Sicht
der Befragten liesse sich das Image der Sozialen Arbeit ver­
bessern, indem Sozialarbeiter/Sozialpädagogen vermehrt in
die Öffentlichkeit träten und verständlich aufzeigten, welche Berufsfelder und Karrieren möglich sind. Positive Effekte versprechen sich Sozialarbeiter/Sozialpädagogen auch
von einer besseren Entlohnung und dem Aufzeigen, dass
sich mit Sozialer Arbeit Geld verdienen lässt. Vereinzelt
werden eine geringe Erfolgsorientierung im Studium und
die fehlende Ausweitung Sozialer Arbeit auf betriebswirtschaftliche Bereiche (wie Personalmanagement) kritisiert.
Mit Blick auf die vielfach von Männern besetzten hierarchi­
schen Doppelfunktionen und das Selbstbild des jungen,
dynamisch individualisierten Sozialarbeiters/Sozialpädagogen stellt sich die Frage, ob eine quantitative Erhöhung
des Männeranteils in der Sozialen Arbeit nicht auch einen
Paradigmenwechsel mit sich bringt. Dies bedeutet, dass
mehr Sozialarbeiter/Sozialpädagogen die «hegemonialen
Ritterlichkeit(en)» und das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit noch stärker manifestieren und aus der
Sozialen Arbeit eine weitere hegemonial ausgerichtete
Profession machen. Auf die Hochschule bezogen geht es
um die Frage, inwieweit im Studium der Sozialen Arbeit
einem möglichen Wandel im Selbstbild des Sozialarbeiters/Sozialpädagogen wie auch einem veränderten Berufsverständnis Rechnung getragen werden soll und in welcher Hinsicht.
Eines lässt sich schon zum jetzigen Zeitpunkt resümieren:
Es kommt weniger auf die Quantität der Männer im Studium und in den Praxisfeldern der Sozialen Arbeit an als
vielmehr auf die reflexive Qualität, die jeder Einzelne entwickelt. Internet
www.gender-diversity.ch: Qualitative Befragung von Sozialarbeitern/­
Sozialpädagogen zum Thema «Mehr Männer in die Studiengänge und
Praxisfelder der Sozialen Arbeit» am Fachbereich Soziale Arbeit der FHS
St.Gallen (Fachhochschule Ostschweiz)
Literatur
Connell, Robert W. (2000/2006): Der gemachte Mann. Konstruktion und
Krise von Männlichkeiten. Orig.: Connell, Robert W. (1995): Masculinities.
Cambridge: University Press
Daigler, Claudia & Hilke, Gabriele (1995): Abschlussbericht des PraxisForschungsprojektes «Mädchen in der Jugendhilfeplanung». Stuttgart:
Min. f. Familie, Frauen, Weiterbildung u. Kunst Baden-Würtemberg, 199 S.
Klein, Uta & Wulf-Schnabel, Jan (2007): Männer auf dem Weg aus der
Sozialen Arbeit. In: WSI Mitteilungen 3/2007, S. 138–144
Meuser, Michael (2006): Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische
Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Wiesbaden: VS-Verlag, 2.,
­a ktualisierte und überarbeitete Auflage
Meuser, Michael & Scholz, Sylka (2005): Hegemoniale Männlichkeit –
Versuch einer Begriffsklärung aus soziologischer Perspektive. In: Dinges,
Martin (Hg.): Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten
vom Mittelalter bis heute. Frankfurt am Main/New York: Campus, 2005,
S. 211–22
Nohl, Herman (1926): Der männliche Sozialbeamte und die Sozialpäda­
gogik in der Wohlfahrtspflege (Aufsatz) In: ebd. (1949): Pädagogik aus
dreissig Jahren. Frankfurt am Main: SchulteBulmke, S. 143–150
Projektbericht (2010): Männer in der Sozialen Arbeit – Bedarfsabklärung
in Organisationen Sozialer Arbeit. FHS St.Gallen, FB Soziale Arbeit,
­P raxisprojekt PP_132
Nr. 1 _ Januar 2012 | SozialAktuell
15
Herunterladen