TOPFIT_09-03_4 10 01.09.2003 14:04 Uhr Seite 10 Medizin Neue Behandlungsmethoden bei Schulterproblemen Wenn die Schulter schmerzt … Wenn das Aufhängen der Wäsche oder das Ergreifen einer Kaffeetasse heftige Schmerzen in der Schulter auslösen, wird es höchste Zeit, einen Orthopäden aufzusuchen, der sich auf Schulterkrankungen spezialisiert hat. Denn je länger man die Behandlung aufschiebt, desto größer ist die Gefahr, dass es zu irreparablen Schäden kommt. TOPFIT sprach mit den Orthopäden Dr. med. Christian Jessel und Rüdiger Neitzel über die häufigsten Ursachen für Schulterbeschwerden und darüber, wie man sie am besten behandelt. Von Dr. Nicole Schaenzler Herr Neitzel, immer wieder hört man von passionierten Tennisspielern, die von Schulterproblemen geplagt werden. Woran liegt das? Herr Neitzel: Tennis gehört wie Badminton, Volleyball oder Basketball zu den Überkopfsportarten, d. h., das Schultergelenk und die es umgebenen Muskeln und Sehnen sind bei diesen Sportarten einer besonderen Belastung ausgesetzt. Dies gilt übrigens auch für ÜberkopfTätigkeiten in Alltagssituationen oder im Beruf: Immer ist die Schulter entscheidend beteiligt. Langfristig kann eine solche Dauerbelastung zu charakteristischen Schmerzsituationen an der Schulter führen. So kann es zu einem Einriss oder Abriss der Rotatorenmanschette kommen; derartige Verletzungen sind gerade im Tennissport häufig. Oder es entwickelt sich eine chronische Sehnenund/oder Schleimbeutelreizung. Durch die Sehnenschwellung wird der Raum zwischen Oberarmkopf und Schulterdach eingeengt, und es entsteht ein Engpasssyndrom (ein Subacrominales Impingement-Syndrom). Dazu muss man wissen, dass der Sehnengleitraum unter dem Schulterdach sehr eng ist; deshalb reagiert die dort verlaufende Supraspinatussehne — die oberste Sehne der Rotatorenmanschette — besonders sensibel auf chronische Überbeanspruchung. Im Übrigen können auch knöcherne Veränderungen im Schultergelenk oder Kalkdepots zur Einklemmung der Sehne führen. Typisch für eine krankhafte Veränderung im Bereich des Schulterdachs sind starke Schmerzen, die vor allem auftreten, wenn der Arm abgespreizt wird. Bei fortschreitender Sehnendegeneration haben die Betroffenen auch im Ruhezustand Schmerzen: Sie können nicht mehr schlafen, weil sie in keiner Position schmerzfrei liegen können. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei Rotatorenmanschettenverletzungen bzw. bei einem chronischen Impingement-Syndrom? Herr Dr. Jessel: Zunächst versuchen wir in der Regel, die Beschwerden mit Krankengymnastik und einer lokalen Infiltrationstherapie zu lindern. Infiltrationstherapie bedeutet, dass wir über einen bestimmten Zeitraum schmerzlindernde und entzündungshemmende Medikamente in den Raum zwischen Rotatorenmanschette und Schulterdach spritzen. Dadurch werden Entzündung und Schmerzen zielgenau bekämpft, und die Schwellung der betroffenen Sehne nimmt ab, so dass es zur notwendigen räumlichen Entlastung kommt. Vor allem wenn das Impingement noch nicht so stark ausgeprägt ist, kann eine Infiltrationsbehandlung hilfreich sein. Im fortgeschrittenen Stadium ist meist eine Arthroskopie des Schultergelenks notwendig, um den Raum zu erweitern und damit zu erreichen, dass die Sehne wieder normal verlaufen kann. Ist die Arthroskopie mit einer offenen Operation vergleichbar? Herr Neitzel: Nein, die Arthroskopie ist vielmer eine schonende Alternative zur offenen Operation. Sie gehört zu den minimal-invasiven Verfahren und ist deshalb entsprechend weniger belastend; sie kann ambulant oder bei einem kurzen stationären Aufenthalt durchgeführt werden. Da nur kleine Hautschnitte notwendig sind, ist die Zerstörung des Gewebes und damit auch der postoperative Schmerz ungleich geringer. Außerdem ist die Rehabilitationszeit wesentlich kürzer, und das Gelenk kann oft schon wenige Tage nach dem Eingriff wieder belastet werden. Und wie wird eine Arthroskopie durchgeführt? Herr Dr. Jessel: Durch einen kleinen Einschnitt wird eine Sonde in den Innenraum des Schultergelenks eingeführt; eine mit der Sonde verbundene Mikrokamera überträgt die Bilder aus dem Gelenk auf einen Farbmonitor. Die Bilder erlauben eine detaillierte Begutachtung, und es können sofort die adäquaten therapeutischen Maßnahmen eingeleitet werden. Hierfür stehen spezielle Mikroinstrumente zur Verfügung, mit denen krankhafte Strukturen am Schultergelenk chirurgisch behandelt werden. Diagnose und Therapie können also in einem Schritt durchgeführt werden. Wann führen Sie eine Arthroskopie durch? Herr Neitzel: Das Behandlungsspektrum einer Arthroskopie des Schultergelenks ist breit gefächert. Ob es darum geht, ein Impingement zu beseitigen, entzündliche Veränderungen der Gelenkkapsel zu behandeln, Kalkablagerungen zu entfernen oder darum, eine fortgeschrittene Schultergelenksarthrose oder Schultersteife zu behandeln — letztlich ist eine Arthroskopie des Schultergelenks immer dann angezeigt, wenn konservative Behandlungsmaßnahmen nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Ebenso bietet sich bei wiederholten Schulterverrenkungen (Luxationen) eine arthroskopische Stabilisierung durch eine Raffung oder Fixierung der ausgeleiertenPfannenlippe(Labrum)an. Stichwort »Kalkablagerung«. Was ist unter einer Kalkschulter zu verstehen, und wie kann man sie behandeln? Herr Dr. Jessel: Bei einer Kalkschulter lagern sich — meist im Weichteilgewebe — im Ansatzbereich der Rotationsmanschette Kalkansammlungen ab. Auch dies kann eine schmerzhafte Einklemmung der betroffenen Sehne zur Folge haben. Je nachdem, welche Konsistenz der Kalk hat, können solche Kalkdepots auch aufplatzen. Dann ergießt sich der Inhalt in das benachbarte Gewebe und löst eine Entzündungsreaktion aus, die heftige Schmerzen verursacht und sofort behandelt werden muss. Kalkeinlagerungen können sehr gut mittels Laser oder Stoßwellen behandelt werden. Beiden Therapien ist gemeinsam, dass sie auf sanfte, risikoarme, aber sehr effektive Weise eine nachhaltige Schmerzlinderung erreichen können. Dies geschieht, in dem sie im Kalkzentrum eine Aktivierung von Zellen und Gewebe bewirken und die Selbstheilungsmechanismen anregen. Die Kalkdepots können abgebaut werden, Entzündungsprozesse klingen ab, und das Gewebe kann sich regenerieren. Zudem haben wir auch bei anderen chronisch-entzündlichen Prozessen im Bereich des Schultergelenks mit der Laser- bzw. der Stoßwellentherapie sehr gute Erfahrungen gemacht. ZUR PERSON Dr. med. Christian Jessel (rechts) ist Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin und Chirotherapie; außerdem ist er Unfallarzt der Berufsgenossenschaft. Rüdiger Neitzel (links) ist ehemaliger Handballnationalspieler und Silbermedaillengewinner bei der Olympiade in Los Angeles; auch er absolvierte seine Facharztausbildung in Orthopädie und Sportmedizin. Bevor er zusammen mit Dr. Jessel Ende 1999 die orthopädische Praxisgemeinschaft der Ärzteklinik am München Airport Center (MAC) gründete, war Rüdiger Neitzel leitender Oberarzt am Klinikum Landshut. Gelenkarthroskopien und ambulante Eingriffe (auch für gesetzlich Versicherte) sowie Operationen mit einem kurzen stationären Aufenthalt führen die beiden Orthopäden in der AirportClinic M am Münchner Flughafen durch. Weitere Infos unter: www. airport-klinik.de oder www.airportclinic-m.de