Renusch (48685) / p. 1 / 27.6.14 Anita Renusch Der eigene Glaube und der Glaube der anderen ALBER THESEN A Renusch (48685) / p. 2 / 27.6.14 Ist es vernünftig, an den eigenen religiösen Überzeugungen auch angesichts religiöser Vielfalt unvermindert festzuhalten? Diese Frage stellt sich gläubigen Menschen, die zur Kenntnis nehmen, dass es zu fast jeder religiösen Angelegenheit unterschiedliche Ansichten von mitunter gleichermaßen ernstzunehmenden religiösen Personen gibt. Es ist nicht leicht zu erkennen, aus welchen Gründen sie in dieser Situation ausschließlich ihre eigene Perspektive für richtig halten sollten. Die vorliegende Arbeit untersucht, warum sich hieraus für einige Menschen eine große Verunsicherung für ihren ganz persönlichen religiösen Glauben ergibt, für andere aber wiederum nicht. Anita Renusch weist Einwände zurück, wonach das Problem lediglich auf einer Fehlinterpretation religiöser Rede beruht und beschäftigt sich mit verschiedenen Auffassungen davon, was es heißt zu sagen, religiöser Glaube sei vernünftig beziehungsweise rational. Als Ergebnis ihrer Auseinandersetzung mit den in der Religionsphilosophie zum Problem religiöser Vielfalt vertretenen Positionen wie dem Exklusivismus, dem Inklusivismus und dem Pluralismus schlägt die Autorin vor, für die Lösung des Problems stärker als bisher die Parallelen zu Meinungsverschiedenheiten in anderen Bereichen in den Blick zu nehmen. Dafür geht sie auf Fragen aus der jüngeren Erkenntnistheorie ein und macht sie für die religionsphilosophische Diskussion fruchtbar. Ihre Schlussfolgerung lässt religiöse Menschen hoffen: Wenn man religiösen Glauben auf eine bestimmte Weise versteht, wenn man sich klar macht, worin die Alternativen zur Bejahung des eigenen Glaubens bestehen und worin sie nicht bestehen und wenn man sich religiösen Konflikten mit den Mitteln nähert, mit denen vernünftige Menschen sich Konflikten auch in anderen Bereichen nähern, dann ist es möglich und sinnvoll, die eigenen Überzeugungen mit Respekt vor Andersgläubigen zu vertreten. Die Autorin: Anita Renusch, geboren 1980, hat in Berlin, Oxford und Frankfurt studiert und promoviert und leitete von 2011 bis 2013 eine internationale Forschungsgruppe zum Thema Glaube und Gründe. Von 2013 bis zum Frühjahr 2014 war Anita Renusch als Projektmitarbeiterin im Rahmen des »Analytic Theology Projects« am Institut für Christliche Philosophie an der Universität Innsbruck beschäftigt. Renusch (48685) / p. 3 / 27.6.14 Anita Renusch Der eigene Glaube und der Glaube der anderen Philosophische Herausforderungen religiöser Vielfalt Verlag Karl Alber Freiburg / München Renusch (48685) / p. 4 / 27.6.14 Alber-Reihe Thesen Band 59 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg/München 2014 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Herstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48685-6 Renusch (48685) / p. 5 / 27.6.14 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Zeus und anderen Göttern . . . . . . . . . . Das Problem der Vielfalt – eine erste Annäherung Zur Relevanz der Fragestellung . . . . . . . . . . Das Problem existiert nicht erst seit gestern . . . Zum Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist religiöser Glaube? – Zur Erkenntnistheorie religiöser Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 13 13 16 18 21 24 2.1 2.2 2.3 2.4 Überzeugungen haben . . . . . . . . Rationale Überzeugungen haben . . . Religiöse Überzeugungen haben . . . Propositionaler und fiduzieller Glaube . . . . 33 35 38 48 54 3 Sind religiöse Überzeugungen anders als gewöhnliche Überzeugungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Kierkegaard: Rationale Gründe sind irrelevant für religiösen Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Logischer Positivismus: Religiöse Sätze sind sinnlos . . . . 3.3 Wittgensteins Erben: Wahrheit, Lebensform und Fideismus 3.3.1 Wittgensteinscher Fideismus . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Wittgensteinscher Nonkognitivismus . . . . . . . . 3.3.3 Wittgenstein und Moore-Propositionen . . . . . . . 3.4 Gleiche Rationalitätsstandards für gewöhnliche und religiöse Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der eigene Glaube und der Glaube der anderen 60 64 69 73 76 80 83 A 5 Renusch (48685) / p. 6 / 27.6.14 Inhaltsverzeichnis 4 5 Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus – drei mehrschichtige Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Buddhisten im Himmel und Christen im Nirwana – Exklusivismus und ewiges Heil . . . . . . . . . . . . . . 92 5.1 Traditionen und Positionen des soteriologischen Exklusivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Craigs Verteidigung des soteriologischen Exklusivismus . 5.3 Kritik – Warum Craigs Verteidigung des soteriologischen Exklusivismus scheitert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Ausblick: Doktrinaler Exklusivismus und ewiges Heil für alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 . . 94 98 . 103 . 108 Exklusiver Inklusivismus – Bemerkungen zu einem vermeintlichen Alternativentwurf . . . . . . . . . . . . . 113 6.1 Der Inklusivismus Karl Rahners – ein kurzer Überblick . . 6.2 »Elemente der Wahrheit« . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Fazit zur Unterscheidung zwischen Inklusivismus und Exklusivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 125 Hicks pluralistische Hypothese und die Frage nach dem rationalen Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 7.1 Hicks pluralistische Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Erscheinung und Ding an sich . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Zu einem Objekt, über das nichts gesagt werden kann, und der Schwierigkeit, etwas damit anzufangen . . . . . . 7.3.1 Zum Problem der Bezugnahme . . . . . . . . . . . 7.3.2 Zum Problem der Existenz und der kontradiktorischen Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Soteriologische Wirksamkeit als Ausweis der Authentizität 7.5 Mythen und inkompatible Wahrheitsansprüche . . . . . . 7.6 Exklusiver Pluralismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Eine philosophische Metathese oder universale Theologie? . 7.8 Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 114 119 ALBER THESEN 132 133 136 141 143 148 151 157 159 164 Anita Renusch Renusch (48685) / p. 7 / 27.6.14 Inhaltsverzeichnis 8 Überzeugt sein, wenn andere es nicht sind – vom Beharren und Entgegenkommen bei Überzeugungskonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 8.1 Unterschiedliche Typen von Überzeugungskonflikten und der Dissens als ein Spezialfall . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Ist es rational, an einer Überzeugung im Dissens festzuhalten? – Die skeptische Herausforderung des Konziliantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Epistemische Ebenbürtigkeit und vollständige Offenlegung der Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Evidentielle Ebenbürtigkeit . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Kognitive Ebenbürtigkeit . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Epistemisch ebenbürtig sein und einander für epistemisch ebenbürtig halten . . . . . . . . . . . . 8.4 Persistenzialimus – Eine Überzeugung im Dissens beibehalten … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 … weil es die eigene ist . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 … aufgrund von schwer kommunizierbaren Gründen 8.4.3 … weil die eigene Sicht glaubwürdiger ist . . . . . . 8.4.4 … weil die Gesamtheit der Gründe dafür spricht . . 8.4.5 … aufgrund ihrer Bedeutung im Überzeugungssystem einer Person . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Beide Seiten rational im Dissens? . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Der Umgang mit Überzeugungskonflikten – Zusammenfassung und Vorschau mit Blick auf religiöse Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Das Christentum als die wahrscheinlichste aller Religionen – Swinburnes philosophische Theologie . 9.1 Etwas zu glauben heißt, es für wahrscheinlich zu halten 9.2 Gott als die beste Erklärung . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Eine einfache Theorie . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Swinburnes Argument der Erfahrung . . . . . . 9.2.3 Personale Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Swinburnes Exklusivismus . . . . . . . . . . . . . . . Der eigene Glaube und der Glaube der anderen . . . . . . . . . . . . . . 166 169 175 176 180 184 186 187 190 192 194 197 202 206 209 210 213 217 219 221 225 A 7 Renusch (48685) / p. 8 / 27.6.14 Inhaltsverzeichnis 9.4 Der Vergleich von Glaubensbekenntnissen nach allgemein akzeptierten Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Gemeinschaftlich verfügbare Argumente und der Expertenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 239 Gott sei Dank die Richtige! – Plantingas Verteidigung des Exklusivismus . . . . . . . . 244 10.1 Plantingas These von der berechtigten Basalität religiöser Überzeugungen – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Berechtigte Basalität im Sinne internalistischer Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Berechtigte Basalität im Hinblick auf warrant . . 10.1.3 Das A/C-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.4 Entkräfter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.5 Erweitertes A/C-Modell und das Wirken des sensus divinitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Plantinga und das Problem religiöser Vielfalt . . . . . . 10.2.1 Plantingas Zurückweisung des Zufalls-Einwands . 10.2.2 Plantingas Zurückweisung des Willkür-Einwands 10.2.3 Erkenntnistheorie für Heilige . . . . . . . . . . 10.3 Plantinga und natürliche Theologie . . . . . . . . . . . 8 227 . 245 . . . . 245 250 251 253 . . . . . . 258 264 266 270 280 283 11 Sich auf die eigene doxastische Praxis verlassen – Alstons Umgang mit religiöser Vielfalt . . . . . . . . . . 287 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 Religiöse Erfahrungen und Rechtfertigung . . . . . . . . Doxastische Praxen und deren Verlässlichkeit . . . . . . . Das Problem religiöser Vielfalt aus Alstons Sicht . . . . . Alstons Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht wissen, wie ein neutraler Grund beschaffen sein kann Was Alstons Theorie auszeichnet . . . . . . . . . . . . . 12 Viele Religionen, Anerkennung auf Augenhöhe und die Rationalität des eigenen Glaubens: Wie passt das zusammen? – Ein Vorschlag . . . . . . . . 317 13 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 ALBER THESEN 289 292 302 306 311 314 Anita Renusch Renusch (48685) / p. 9 / 27.6.14 Vorwort »Vielfalt macht das Leben bunt«, sagt ein Sprichwort. Was das Sprichwort nicht sagt, ist, dass Vielfalt zumindest für religiöse Menschen das Leben auch kompliziert machen kann. Angesichts dessen, dass es viele unterschiedliche Religionen gibt und in Anbetracht der Tatsache, dass es zu fast jeder religiösen Angelegenheit unterschiedliche Meinungen von mitunter gleichermaßen belesenen und ernstzunehmenden religiösen Menschen gibt, ist manchmal nicht leicht zu erkennen, aus welchen Gründen religiöse Menschen ausschließlich ihre eigene religiöse Perspektive für richtig halten, besonders dann, wenn ihre Sicht mit der von Angehörigen anderer Religionen nicht vereinbar ist. Ist es vernünftig, an den eigenen religiösen Überzeugungen auch angesichts religiöser Vielfalt unvermindert festzuhalten? Um diese Frage geht es in diesem Buch. Und die Antwort lautet: Ja, es ist vernünftig beziehungsweise kann vernünftig sein und diese Haltung muss auch nicht damit einhergehen, eine fundamentalistische oder überhebliche Sicht bezüglich der eigenen Religion einzunehmen. Wenn man religiösen Glauben auf eine bestimmte Weise versteht, wenn man sich klar macht, worin die Alternativen zur Bejahung des eigenen Glaubens bestehen und worin sie nicht bestehen und wenn man sich Konflikten zwischen religiösen Überzeugungen mit den Mitteln nähert, mit denen vernünftige Menschen sich Konflikten auch in anderen Bereichen nähern – nämlich mit Argumenten, mit Zuhören und mit Verständnis – dann ist es möglich und sinnvoll, die eigenen Überzeugungen mit Respekt vor Andersgläubigen zu vertreten. In dem Buch gehören jeweils einige Kapitel inhaltlich zusammen. In der Einleitung sowie in den Kapiteln zwei und drei werden begriffliche Grundlagen gelegt, es wird das Problem religiöser Vielfalt eingegrenzt und es geht um die Frage, ob man es überhaupt in der Weise verstehen kann, so wie ich es hier tue. In den Kapiteln vier bis sieben diskutiere ich die wichtigsten Alternativen zu dem Lösungsansatz, den Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 9 Renusch (48685) / p. 10 / 27.6.14 Vorwort ich in späteren Kapiteln entwickle. Hierfür ist es hilfreich und nötig, sich auf das gebräuchliche Unterscheidungsmuster von religiösem Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus zu beziehen. Im Rahmen dieses von der Abfolge her mittleren Teils sage ich auch einiges zur soteriologischen Dimension des Problems religiöser Vielfalt, die ich ansonsten jedoch vernachlässige, weil eine ausführliche Analyse der Frage des Heils und danach, wer es erlangt, den Fokus dieser Arbeit ins Theologische verschoben hätte und weil sich meines Erachtens einige Probleme in diesem Bereich ohnehin anders darstellen, wenn man sich zunächst auf anderer Ebene mit religiöser Vielfalt auseinandersetzt. In den für diese Arbeit inhaltlich zentralen Kapiteln acht bis zwölf geht um die aus meiner Sicht angemessenste Herangehensweise an das Problem religiöser Vielfalt. Ich behandle das Problem in diesen Kapiteln als ein Problem widersprüchlicher Überzeugungen, für dessen Lösung sich aus der Betrachtung ähnlich gelagerter Konflikte in anderen Bereichen einiges lernen lässt. Das ganze Buch lässt sich als der Versuch verstehen, ein allzu oft allein den Theologinnen und Theologen 1 überlassenes Problem aus der Sicht der Religionsphilosophie, genauer gesagt aus der Sicht der analytischen Religionsphilosophie, zu betrachten. Unter »analytischer Religionsphilosophie« und unter »analytischer Philosophie« allgemein verstehe ich nicht eine bestimmte philosophische Theorie oder gar Schule, sondern eher eine philosophische Vorgehensweise, die sich um Klarheit bemüht, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Argumente sollen möglichst übersichtlich analysiert und die verwendeten Begriffe dem Kontext angemessen genau erklärt werden. Insgesamt soll die philosophische Arbeit für den Leser oder die Leserin möglichst übersichtlich und gut nachvollziehbar sein. Das ist nicht so einfach zu verwirklichen, wie es klingt, und ich kann nur hoffen, dass es mir zumindest teilweise gelungen ist. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass man in dieser Weise von Religion reden kann und dass es gerade der Debatte um das Problem religiöser Vielfalt gut tut, das auch zu tun. Mir ist in diesem Buch daran gelegen, Frauen und Männer sprachlich gleichermaßen zu berücksichtigen. Dafür nenne ich zum Teil einfach beide Formen, wie etwa bei »Theologinnen und Theologen« oder bei »Leserinnen und Leser«. Wenn es sich vom Satzbau und der Grammatik her anbietet, werde ich zum anderen aber auch abwechselnd mal die eine und mal die andere Form benutzen. Ich spreche also mitunter von »der Exklusivistin« und an anderer Stelle vielleicht von »dem Pluralisten«. 1 10 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 11 / 27.6.14 Vorwort Dieses Buch ist die geringfügig überarbeitete Version meiner im Frühjahr 2013 von der Goethe Universität Frankfurt am Main angenommenen Dissertationsschrift und damit auch das Ergebnis von mehreren Jahren intensiver Arbeit. Ich bin froh und dankbar, dass ich in dieser Zeit von vielen Menschen unterstützt wurde. Bei ihnen allen möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Mein Dank gebührt zuallererst Thomas M. Schmidt, meinem Betreuer, der mir über Jahre hinweg immer wieder wertvolle Kommentare zu meinen Texten gegeben hat und mich in zahlreichen Gesprächen ermunterte, meine Argumente auch aus einem anderen Blickwinkel zu bedenken. Ebenso hilfreich waren die Hinweise meines Zweitbetreuers Oliver Wiertz, der meinen Schreibprozess während des gesamten letzten Jahres intensiv begleitet hat und dessen inhaltliche Anregungen mich ein ganzes Stück voran gebracht haben. Besonders bedanken möchte ich mich auch bei Marilyn McCord Adams, die einige Teile der Arbeit gelesen und so gründlich und aufwendig wie sonst niemand kommentiert hat. Katrin Visse, Benedikt Schick, Dominika Hadrysiewicz, Christian Weidemann, Katherine Dormandy, Vera Hoffmann-Kolss, Marcus Renusch und Christoph Mocker haben jeweils Teile des fast fertigen Manuskripts gelesen und durch ihre Korrekturen und Anregungen sehr geholfen, den Text in endgültige Form zu bringen. Für Rückmeldungen zum Inhalt und einzelnen Argumenten danke ich außerdem den Zuhörerinnen und Zuhörern bei verschiedenen Vorträgen, die ich im Laufe der Zeit an verschiedenen Orten gehalten habe, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meines Doktorandenkolloquiums und der 8. Masterclass der British Postgraduate Philosophy Association sowie vor allem einer Forschungsgruppe zum Thema »Glaube und Gründe«, die von der John Templeton Foundation finanziell unterstützt wurde und in deren Kreis ich viele der hier besprochenen Themen detailliert diskutieren konnte. Dankbar bin ich jeweils auch Anne Burkard und Benedikt Schick für jedes gemeinsam genossene Mittagessen und die dabei entstandenen Ideen sowie Katherine Dormandy und Amir Dastmalchian für ausdauernde Email- und Skype-Konversationen zu verschiedenen Aspekten des Themas. Zur Entstehung der hier vorgestellten Ideen haben nicht zuletzt natürlich auch die Diskussionen beigetragen, die ich über einzelne der untersuchten Fragen geführt habe und zwar mit Christoph Jäger, Sebastian Gäb, Annette Pitschmann, Michael Bongardt, Brian Leftow, Holm Tetens und Richard Swinburne. Die inhaltlichen und methodischen Anregungen und Kommentare, die ich all den genannten Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 11 Renusch (48685) / p. 12 / 27.6.14 Vorwort Personen verdanke, haben mich vor zahlreichen teilweise peinlichen Fehlern bewahrt. Ein Großteil der dennoch verbliebenen Schwächen und Unzulänglichkeiten hat mit meiner Unfähigkeit zu tun, all die wertvollen Hinweise auch angemessen zu berücksichtigen. Danken möchte ich darüber hinaus schließlich auch den Mitgliedern meiner Bürogemeinschaft für die gute Arbeitsatmosphäre, der Studienstiftung des deutschen Volkes, die mir für meine Promotion finanziellen und zeitlichen Freiraum gegeben hat, dem Alber Verlag für die freundliche Zusammenarbeit und meiner Freundin Alice Laubstein, die an den gemeinsam verbrachten Freitagabenden wahrscheinlich mehr zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat, als ihr selbst bewusst ist. Der größte Dank von allen gilt meinem Mann für seine überaus geduldige und sehr humorvolle Unterstützung sowie meinen drei Kindern, die mich Tag für Tag mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und nahezu unbändiger Energie daran erinnern, dass das akademische Schreiben nur ein Teil dessen ist, was das Leben spannend macht. 12 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 13 / 27.6.14 1 Einleitung 1.1 Von Zeus und anderen Göttern Eine Diskussion über die unterschiedlichen Religionen der Kinder in ihrer Klasse beendete eine Siebenjährige jüngst mit dem Satz »Na ja, ich glaube jedenfalls an den ganz normalen Gott«, dann dachte sie kurz nach und fügte hinzu »und an Zeus.« »Normal« bedeutete für sie in diesem Zusammenhang wohl »gewohnt« – sie glaubt an den ihr am besten vertrauten Gott. Möglich wäre daher sicher, dass andere einen ganz anderen Gott für normal halten. Dem Mädchen ist das anscheinend auch bewusst, denn der Glaube an Zeus ist aus ihrer Sicht scheinbar auch irgendwie in Ordnung. Die meisten Erwachsenen würden nun aber wohl darauf bestehen, dass es Zeus nicht gibt. Den Gott, welchen die Siebenjährige für normal hält, für diesen Gott und den entsprechenden Glauben finden sich in diesem Fall allerdings weltweit viele Millionen Anhänger. Doch worin besteht eigentlich der genaue Unterschied zwischen jenem Glauben und dem Glauben an Zeus? Als ich diese Geschichte hörte, fiel mir ein entfernter Bekannter ein (nennen wir ihn Franz), der vor Kurzem mit großem Interesse die übrig gebliebenen Stätten eines längst vergangenen Volkes in Zentralamerika besichtigt hatte. Vom Reiseführer hatte er faszinierende Schilderungen darüber gehört, welche Bedeutung diese Orte für die damals lebenden Menschen hatten, woran die Bewohnerinnen und Bewohner glaubten und wie sie ihren religiösen Glauben lebten. Unter diesen Erzählungen befanden sich zum Teil abenteuerliche Berichte über die Entstehung der Welt, über Begegnungen mit Göttern und über Pflichten, die es jenen Göttern gegenüber zu erfüllen galt – Geschichten, die bei Franz und seinen Reisegefährten ungläubiges Kopfschütteln provozierten. Einhellig schien man dabei vorauszusetzen – wie wir es heute auch in Bezug auf die alten Griechen tun –, dass es sich nicht um die Schilderung von Tatsachen, sondern bestenfalls um bloße Mythen handelt. Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 13 Renusch (48685) / p. 14 / 27.6.14 Einleitung Nach seiner Rückkehr jedoch besuchte Franz wie an fast jedem Sonntag seine Kirche und bekannte sich dort zu einem Glauben an einen Heiland, der von einer Jungfrau geboren wurde, die auf einem Esel ritt und ihren Sohn – den Retter der Menschheit – in einem Stall gebar. Dieses Kind wirkte als Erwachsener Wunder, wurde hingerichtet, stand am dritten Tag von den Toten auf und begab sich danach zu seinem Vater in den Himmel. Über die Erzählungen früherer Menschen lächeln und dann aber diese eine nicht minder unwahrscheinlich klingende Geschichte glauben – wie passt das zusammen? Worin besteht der Unterschied zwischen dem, was Franz für wahr hält, und dem, was seiner Ansicht nach nicht wahr ist? Warum glaubt Franz die religiöse Erzählung von Jesus und seinem Vater, nicht aber die anderen? Franz würde vielleicht als erste Entgegnung auf historische Umstände verweisen: Die in den Tempeln Zentralamerikas praktizierten Religionen sind längst vergangen (obwohl das zumindest für einige der dort einst gelebten Religionen nur eingeschränkt gilt; deren Nachfahren pflegen auch heute noch ihren religiösen Glauben). Das Christentum hingegen besteht immerhin seit 2000 Jahren und noch immer wird die Geschichte von Jesus Christus von vielen Menschen geglaubt. Außerdem gibt es zumindest für einige der biblischen Geschichten handfeste Belege. Sind das nicht Indizien, die für das Christentum sprechen? Wendet man den Blick in die Gegenwart, wird jedoch recht schnell klar, dass mit dieser Erwiderung bloß begrenzt geholfen ist, denn ein noch viel größeres Problem zeichnet sich ab, wenn man auch die Fülle der derzeit existierenden Religionen und ihrer Lehren in den Blick nimmt. Jede religiöse Person – sei sie nun Christ, Muslima, Hindu, Buddhistin, Jude oder eben ein Anhänger einer bestimmten zentralamerikanischen Religion in früheren Jahrhunderten – hält bestimmte Erzählungen und bestimmte Annahmen für wahr, etwa darüber, wer und wie Gott oder eine andere höchste Realität ist, was mit uns Menschen nach dem Tod geschieht oder über die Entstehung des Universums. Viele der Aussagen unterschiedlicher Religionen ähneln einander, aber es gibt mindestens ebenso viele, über die keine Einigkeit herrscht. Jesus Christus wird zum Beispiel keineswegs von allen religiösen Menschen als alleiniger Erlöser anerkannt. Dass Franz den Standpunkt der Muslime etwa, für die Jesus lediglich ein Prophet unter vielen war, in der gleichen Weise als Mythos oder wenig ernstzunehmende Geschichte abtut, wie er es mit den Gotteserzählungen längst vergangener Völker tut, ist problematisch. Es ist vor allem dann problematisch, 14 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 15 / 27.6.14 Von Zeus und anderen Göttern wenn Franz anerkennt – wie viele Christen es heutzutage tun –, dass Muslime ebenso gute Gründe für ihren Glauben haben wie Christen für ihren, dass Intelligenz, Frömmigkeit und das Bemühen um Wahrheitsfindung bei den Anhängerinnen und Anhängern unterschiedlicher Religionen gleichermaßen zu finden sind, also nicht nur bei Christen, sondern auch bei Muslimen. Der Islam ist keine längst vergangene Religion. Im Gegenteil: Genau wie das Christentum hat er weltweit viele Millionen Anhänger. 1 Warum sollte Franz in diesem Fall annehmen, dass seine Überzeugung wahr ist, die der Muslime aber falsch? In gleicher Weise stellt sich diese Frage für alle seine religiösen Überzeugungen und damit seinen gesamten Glauben. Wodurch unterscheidet sich sein christlicher Glaube, den er für wahr hält, vom muslimischem Glauben, den er zumindest teilweise für falsch hält, und auch vom jüdischem, vom hinduistischem und buddhistischem Glauben sowie von den Religionen der früheren Bewohner Zentralamerikas? Aus welchen Gründen sollte Franz die eigenen religiösen Überzeugungen für wahr halten, die der anderen – zumindest insofern sie den seinen widersprechen – jedoch für falsch? Franz ist Christ, aber natürlich stellen sich diese Fragen nicht nur für Christinnen und Christen. Jede religiöse Person, der bewusst ist, dass es andere Religionen gibt und dass die Lehren dieser Religionen den Lehren der eigenen Religion zumindest teilweise widersprechen, steht vor der Herausforderung, den eigenen religiösen Glauben angesichts der Vielfalt der Religionen zu rechtfertigen. (Und das gilt in gewisser Weise selbst für Atheistinnen und Atheisten, die zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise ihre These, dass nach dem Tod schlicht nichts kommt, von einem Großteil der Weltbevölkerung nicht geteilt wird.) Wie diese Rechtfertigung erfolgen kann und ob es Gründe für das Beibehalten der eigenen religiösen Überzeugungen gibt, ist Thema dieser Arbeit. Dabei lautet die Kernfrage: Kann eine Person rationalerweise an ihren religiösen Überzeugungen festhalten, auch wenn sie sich des Problems religiöser Vielfalt bewusst ist? Wann immer ich im Folgenden von der »Rationalitätsfrage« spreche, bezieht sich das auf diese Frage. Laut Wikipedia gibt es weltweit derzeit etwa 1,5 Milliarden Muslime und etwas mehr als 2 Milliarden Christen, wobei diese Zahlen je nach Quellenlage und Forschungsmethode zum Teil schwanken. (http://de.wikipedia.org/wiki/Religion#cite_note-19; Stand 29. 11. 2013). 1 Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 15 Renusch (48685) / p. 16 / 27.6.14 Einleitung 1.2 Das Problem der Vielfalt – eine erste Annäherung Das Problem religiöser Vielfalt selbst hat mehrere Facetten. Zum einen ist da der bereits genannte Punkt, dass über fast jede religiöse Auffassung gestritten wird. Religiöse Überzeugungen widersprechen einander. Manchmal ist es dabei sicher so, dass eine der beteiligten Parteien eindeutig Recht hat, über umfassenderes religiöses Wissen verfügt oder einfach klüger ist. Aber häufig stehen sich auch Personen gegenüber, zwischen denen es in puncto Intelligenz, Wissen und Ernsthaftigkeit keinerlei oder nur wenige Unterschiede gibt. Es existiert oft kein alles entscheidendes Argument und keine Autorität zur Klärung der strittigen Punkte, der sich alle Seiten fügen würden. Eine religiöse Person, der das bewusst ist, scheint keine Gründe für die Bevorzugung der eigenen Überzeugungen zu haben. Zwar mag ihr ihre eigene Sichtweise zunächst gut begründet erscheinen. Sieht sie jedoch, dass für die jeweils andere religiöse Perspektive ebenso zahlreiche wie gute Gründe vorgetragen werden, dann stellt sich die Frage, ob sie an den eigenen Überzeugungen nur um den Preis der Willkür weiterhin festhalten kann. Die eigenen Überzeugungen im religiösen Diskurs zu bevorzugen, nur weil es die eigenen sind, ist jedenfalls kein guter Grund. Würde ich beispielsweise einem politischen Kontrahenten entgegnen, dass seine und meine Position zwar gleichermaßen gut gerechtfertigt sind, dass ich aber dennoch seine Position für falsch, meine aber für richtig halte, eben weil es meine eigene ist, so wäre das sehr merkwürdig. Das gleiche Gefühl, dass hier etwas Merkwürdiges geschieht, beschleicht uns auch im Bereich der Religion und die Herausforderung für religiöse Menschen besteht darin zu zeigen, dass die Bevorzugung der eigenen religiösen Überzeugungen nicht willkürlich erfolgt. Selbst wenn es bei zwei einander widersprechenden Überzeugungen eine wahre geben sollte, warum sollte der Christ annehmen, dass es ausgerechnet die christliche ist? Warum sollte der Muslim annehmen, dass es die muslimische ist, der Buddhist, dass es die buddhistische ist und so weiter? Wer annimmt, dass die Überzeugungen Andersgläubiger schlechter begründet oder bestenfalls interessante Mythen sind, muss erklären, warum die eigene Religion diesbezüglich die einzige Ausnahme mitten unter einer Menge von Irrtümern sein soll. Im Hinblick auf einige religiöse Phänomene wie die eingangs erwähnte griechische Mythologie scheint man sich heute weitgehend einig, dass es sich dabei um bloße Mythen handelt, auch wenn die alten Griechen das anders gesehen hät16 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 17 / 27.6.14 Das Problem der Vielfalt – eine erste Annäherung ten. Die Beurteilung bestehender Weltreligionen fällt vielen Gläubigen hingegen deutlich schwerer. Kann und darf man sagen, dass die eigene Religion größtenteils wahre Annahmen enthält, die Annahmen anderer Religionen jedoch falsch sind, sofern sie den eigenen widersprechen? Könnte Franz den Glauben an Jesus Christus, der bei Ochs und Esel im Stall geboren sein soll, zu Recht für besser gerechtfertig halten als etwa den Glauben an die hinduistischen Gottheiten Shiva, Parvati und Ganesha? Natürlich gibt es Personen, welche die eigene Religion für die einzig wahre unter zahlreichen falschen halten. Unabhängig davon, ob sie das zu Recht tun oder nicht, ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass es schwierig ist, über Religionen als Ganze zu reden. Es gibt zum einen nicht das Christentum, den Islam, den Buddhismus oder das Judentum. Jede Religion ist an sich schon heterogen und zwischen dem Christentum im ländlichen Kenia und dem Christentum einer mitteleuropäischen Großstadt oder dem Islam in Indonesien und dem Islam im Iran liegen mitunter Welten. Insofern ist gar nicht so klar, was damit gemeint sein könnte, wenn jemand sagt, seine Religion sei wahr. Hier müsste man zunächst genauer nachfragen. Zum anderen ist der Begriff »Religion« ziemlich weit gefasst und so gibt es zum Teil große Unterschiede zwischen dem, was Menschen im Einzelnen darunter verstehen. 2 Auch das erschwert allgemeine Aussagen über Religionen und Religion. Doch die Möglichkeit, konkrete Aussagen zu treffen, steigt, je mehr wir uns einzelnen religiösen Überzeugungen, bestimmten Situationen und Streitpunkten zuwenden. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt daher auch auf Fragen, die sich aus der subjektiven Perspektive einer Person ergeben, die um Widersprüche zwischen ihren ganz konkreten religiösen Überzeugungen und denen Andersgläubiger weiß, und nicht etwa auf Fragen zur Vereinbarkeit ganzer Theologien. Eine weitere Facette des Problems religiöser Vielfalt hat mit dem Umstand zu tun, dass es sich zumindest teilweise zufällig zu ergeben scheint, welche religiösen Überzeugungen ein Mensch hat. Keiner hat das je schöner gesagt als der Religionsphilosoph John Hick, der darauf hinwies, dass in 99 % der Fälle die Religionszugehörigkeit durch biographische und geographische Umstände bedingt ist. Jemand, der in einem kleinen Dorf in Saudi-Arabien geboren wurde, wird demnach Zur schwierigen Frage der Definition von »Religion« siehe die sehr lesenswerten Zusammenfassungen von Clarke und Byrne 1993 und von Schellenberg 2005, Kap. 1. 2 Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 17 Renusch (48685) / p. 18 / 27.6.14 Einleitung sehr wahrscheinlich Muslim, jemand, der hingegen buddhistische Eltern in Thailand hat, wird eher Buddhist, während sich wiederum die meisten Kinder christlicher Eltern im ländlichen Mexiko dem christlichen Glauben zuwenden. 3 Es ist eine interessante Frage, wie genau sich diese biographischen und soziokulturellen Faktoren auf die Religionszugehörigkeit auswirken. Ich werde darauf zwar nicht aus soziologischer Perspektive eingehen, aber doch soweit, wie diese Beobachtung für die oben genannte Rationalitätsfrage wichtig ist. 1.3 Zur Relevanz der Fragestellung Manch einer fragt sich vielleicht, warum die Beantwortung der hier gestellten Fragen heutzutage – zumal in Europa oder Nordamerika – noch ein Problem sein sollte. Das Gebot der Toleranz und Liberalität im Umgang mit Andersgläubigen hat sich zumindest in den Köpfen der aufgeklärten Bevölkerung längst durchgesetzt, die Religionsfreiheit ist im Völkerrecht und wenigstens hierzulande auch im Grundgesetz verankert, hin und wieder gibt es zwar Probleme hinsichtlich praktischer Fragen (siehe zum Beispiel die Diskussionen darüber, ob es Lehrerinnen erlaubt sein soll, im Unterricht Kopftuch zu tragen, ob kleine Jungs beschnitten werden dürfen oder in welchem Rahmen der Religionsunterricht an Schulen stattfinden soll), für die Staat und Gesellschaft aber meist innerhalb kurzer Zeit Lösungen finden. Was kann in diesem Zusammenhang eine philosophische Arbeit noch beitragen, das nicht sowieso schon jede und jeder weiß? Ich denke, dass das eine ganze Menge ist, denn auch wenn gegenseitige Achtung und Anerkennung zumindest als Zielvorgabe in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert sein mögen, ist im Detail nach wie vor unklar, wie das gehen kann – den jeweils anderen auf Augenhöhe anzuerkennen, aber dabei dennoch die eigenen religiösen Lehren nicht zu negieren. Die meisten religiösen Menschen möchten zwar behaupten, dass ihre eigenen religiösen Überzeugungen wahr sind. Viele von ihnen fühlen sich jedoch unwohl damit, gleichzeitig anzunehmen, dass alle den eigenen religiösen Annahmen widersprechenden Überzeugungen falsch sind, obgleich das die logische Konsequenz wäre. Betrachten wir folgendes Beispiel, um das Problem zu verdeutlichen: Glaube ich etwa, 3 18 Hick 2004, S. 2. ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 19 / 27.6.14 Zur Relevanz der Fragestellung dass Paul McCartney in Liverpool geboren wurde, schließt das aus meiner Sicht aus, dass der Künstler nicht in Liverpool, sondern etwa in London zur Welt kam. Von jemandem, der behauptet, Paul McCartney sei in London geboren, muss ich daher zwangsläufig annehmen, dass er etwas Falsches glaubt. Wenn es wahr ist, dass Paul McCartney in Liverpool geboren wurde, dann ist die Behauptung falsch, dass er nicht dort geboren wurde. Gleiches gilt für meine Annahme, dass zwei plus zwei vier ist oder für meine Überzeugung, dass die Erde um die Sonne kreist. Wer behauptet, dass zwei und zwei nicht vier ist oder dass es nicht so ist, dass die Erde um die Sonne kreist, von dem glaube ich, dass er Unrecht hat. Es gehört zur Logik des Behauptens, dass ich die Negation von dem, was ich glaube, für falsch halte. 4 Ist das im Hinblick auf religiöse Überzeugungen anders? Viele der Überzeugungen von Angehörigen unterschiedlicher Religionen widersprechen einander. Das heißt, dass die eine Seite etwas glaubt, dessen Wahrheit die andere Seite bestreitet. Glaubte Franz, Gott hat einen Sohn, muss er dann aber zugleich annehmen, dass all diejenigen Menschen etwas Falsches glauben, die bestreiten, dass Gott einen Sohn hat? Und – falls ja – geht damit eine Abwertung seines Gegenübers einher? Oder gelten bezüglich religiöser Ansichten andere Regeln? Genau das fragen sich viele religiöse Menschen beim Nachdenken über ihren eigenen Glauben und den Glauben anderer. Ganz grundlos ist ihr Unwohlsein dabei nicht, denkt man daran, wie exklusiv erhobene religiöse Wahrheitsansprüche in der Vergangenheit oftmals missbraucht wurden und in der Gegenwart manchmal nach wie vor missbraucht werden, um Gewalt und Unterdrückung zu rechtfertigen. Extra ecclesiam nulla salus – »Außerhalb der Kirche kein Heil« – unter diesem Leitsatz vollzogen Herrscher im Auftrag christlicher Kirchen über Jahrhunderte hinweg Zwangstaufen, verbrannten Ketzer und führten blutige Kriege. In nicht minder grausamer Weise sprengen sich heute Selbstmordattentäter von Terrororganisationen an belebten Orten in die Luft, angeblich um möglichst viele vermeintliche Feinde ihrer Religion mit in den Tod zu reißen. Niemand will wohl gern mit einer Haltung in Verbindung gebracht werden, die oft als ursächlich für all diese verabscheuungswürdiKlassischer Bezugspunkt hierfür in der Philosophie ist Aristoteles: »Es ist nicht möglich, dass es etwas in der Mitte zwischen den beiden Gliedern eines kontradiktorischen Gegensatzes gibt. Es ist vielmehr notwendig, dass man einem eines entweder zu- oder abspricht.« (Metaphysik IV 1011b23–28). 4 Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 19 Renusch (48685) / p. 20 / 27.6.14 Einleitung gen Gräueltaten genannt wird. Religiöser Fanatismus ist grundsätzlich zu verurteilen. Doch führen mit Standhaftigkeit vertretene religiöse Wahrheitsansprüche zwangsläufig zu den genannten Grausamkeiten? Das zu behaupten, ist nicht nur sachlich falsch, sondern es hieße auch, vielen religiösen Menschen Unrecht zu tun, die ihren religiösen Glauben in friedlicher und oft auch gesellschaftlich bereichernder Weise leben. Ich will daher Folgendes betonen: Einer Religion anzugehören beziehungsweise religiös zu sein, hat viele Aspekte. Es bedeutet zumeist, Teil einer bestimmten Gemeinschaft zu sein, bestimmte Traditionen und Gebräuche zu pflegen, spirituelle Formen des Zugangs zum Höchsten zu suchen und es heißt selbstverständlich auch, bestimmte Dinge zu glauben. Auch die Diskussion über religiöse Toleranz und die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen hat zahlreiche Facetten – politische, kulturelle, historische, theologische und philosophische. Die vorliegende Arbeit erforscht eine davon – in Form der Frage, ob es angesichts religiöser Vielfalt rational oder vernünftig sein kann, an bestimmten religiösen Überzeugungen (denen einer konkreten Religion) festzuhalten. Ob sich dabei zeigt, dass das für die Anhänger einer bestimmten Religion ganz besonders gilt, ist eine weiterführende Frage, auf die ich hier nur bedingt eingehe. Mag sein, dass das so ist, es kann aber auch sein, dass das nicht so ist. Mir geht es eher darum herauszufinden, ob ein Mensch rationalerweise an seinen eigenen religiösen Überzeugungen festhalten kann und – wenn das möglich ist – welche Bedingungen an eine solche Haltung geknüpft sind. In jedem Fall ist es so, dass aus keiner der hier vertretenen Antworten auf die gestellten Fragen eine Haltung der mangelnden Achtung, der Geringschätzung von religiösen oder nicht-religiösen Gruppen oder gar die Legitimation von Gewalt folgt. Dass Angehörige unterschiedlicher Religionen sowie Atheisten einander mit gegenseitiger Achtung und mit Respekt begegnen sollten, dass sie Interesse am jeweils anderen zeigen sollten, und dass es auf keinen Fall zur Anwendung von Gewalt aus vermeintlich religiöser Motivationslage heraus kommen sollte, halte ich in jedem Fall für gut begründet und daher auch für richtig, ganz gleich, was die Überlegungen zur theoretischen Rationalität einzelner religiöser Standpunkte zeigen. 20 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 21 / 27.6.14 Das Problem existiert nicht erst seit gestern 1.4 Das Problem existiert nicht erst seit gestern Dass unsere Ausgangsfrage derart problembeladen auftritt, macht es noch schwieriger, sie zu beantworten, als es ohnehin schon ist, aber es sollte uns nicht davon abhalten, sie überhaupt zu stellen. Wer versucht, diese Frage zu umgehen, bringt sich um die Möglichkeit, friedliche Wege zur Auseinandersetzung zu erkunden. Dass religiöse Vielfalt als philosophische und auch als theologische Herausforderung wahrgenommen wurde, ist auch nicht neu. Bereits Origines behandelt in seinem im dritten Jahrhundert verfassten Contra Celsum (Gegen Celsus) einzelne der in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen und ebenso widmet sich ihnen Thomas von Aquin in seiner etwa 1260 geschriebenen Summa Contra Gentiles (Summe gegen die Heiden), in der er seine muslimischen und jüdischen Zeitgenossen Averroes und Maimonides zitiert, was für die damalige Zeit für einen christlichen Theologen ungewöhnlich war. Noch ein paar Jahrhunderte später räsoniert schließlich der schottische Aufklärer David Hume in einer Weise, die heutigen Formulierungen des Problems religiöser Vielfalt bereits sehr nahe kommt: »Zu mehrerer Verständlichkeit erwäge man, dass in Religionssachen jeder Unterschied auch ein Widerspruch ist, und dass die Religionen vom alten Rom, von der Türkei, von Siam und China unmöglich alle auf festem Grunde errichtet sein können. Mithin hat jedes Wunder, wovon diese Religionen erzählen (und sie wimmeln alle von Wundern), indem es das besondere System, zu dem es gehört, begründen will, zugleich die, wenn auch nur indirekte Kraft, jedes andere Religions-System umzustürzen. Mit Umstürzung der anderen Systeme zerstört es aber auch die Glaubwürdigkeit der Wunder, auf welche jene errichtet waren. Deshalb müssen die Wunder der verschiedenen Religionen als widersprechende Thatsachen gelten, und die Beweiskraft derselben, sei sie stark oder schwach, hebt die eine die andere auf.« 5 Die heute mehr denn je diskutierte Frage, wie mit inkompatiblen religiösen Überzeugungen, Erfahrungen und Wunderberichten umgegangen werden kann, ist also nicht neu, wie die Schriften Origines, Thomas von Aquins, Humes und vieler anderer zeigen. Doch auch wenn das Problem religiöser Vielfalt schon lange bekannt ist, so ist es dennoch eine jüngere Entwicklung, dass religiöse Vielfalt nicht nur von einer kleinen belesenen und reisenden Elite als philosophische Herausforde5 Hume 1869, S. 111. Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 21 Renusch (48685) / p. 22 / 27.6.14 Einleitung rung wahrgenommen wird, wie es in vergangenen Jahrhunderten der Fall war, sondern dass die meisten religiösen Menschen inzwischen mit religiöser Vielfalt durch direkte Kontakte mit Angehörigen anderer Religionen und dank moderner Medien beinahe täglich konfrontiert sind. Das Wissen der einzelnen religiösen Menschen voneinander ist größer geworden, es besteht zugleich eine größere Aufgeschlossenheit Andersdenkenden gegenüber in der breiten Masse der Bevölkerung. Viele sehen den Wert fremder Religionen für deren Gesellschaft und den Einzelnen, beneiden vielleicht sogar die Angehörigen anderer Religionen um deren Frömmigkeit und Aufrichtigkeit im Glauben und in der Wahrheitssuche. Dass sich diese Tendenzen in Teilen der Welt auch bei der allgemeinen Bevölkerung allmählich durchsetzen, ist in der Tat neu und es ist gegenüber der in vielen Predigten, Kriegen und Kreuzzügen in der Vergangenheit zum Ausdruck gebrachten Ablehnung natürlich zu begrüßen (womit keineswegs gesagt werden soll, dass das Ziel in Sachen Aufgeschlossenheit bereits überall auf der Welt erreicht ist). Diese Annäherungen und die Möglichkeiten der Wahrnehmung auf Augenhöhe machen das Problem vielfältiger religiöser Überzeugungen jedoch nicht weniger dringend. Ganz im Gegenteil, die Durchschnittsgläubige sieht sich vielleicht sogar mehr noch als früher – in Zeiten, da Andersgläubige als Ungläubige, Heiden oder verlorene Seelen galten – hin und her gerissen zwischen der exklusiven Bejahung ihres Glaubens und der Erkenntnis, dass andere ebenso intelligente, fromme und nachdenkliche Personen mit Nachdruck einen anderen religiösen Glauben in ebenso exklusiver Weise für wahr halten. Spricht in dieser Situation nicht vielleicht sogar einiges für den Atheismus oder den Agnostizismus? Dass es so viele unterschiedliche Auffassungen von der Natur des Höchsten gibt, ließe sich doch auch als Indiz dafür deuten, dass keine von ihnen richtig ist, was gleichzeitig bedeuten würde, dass es kein transzendentes Wesen und keine höchste Wirklichkeit gäbe. Die Suche nach dem wahren religiösen Glauben wäre in diesem Fall müßig und der Glaube, wahre religiöse Überzeugungen zu haben, eine Selbsttäuschung. Doch so einfach ist es nicht. Aus dem Problem religiöser Vielfalt allein folgt nicht, dass es die Gegenstände religiöser Rede nicht gibt. Sicher böten ein klares und unumstrittenes Bild von Gott oder vom Nirwana wesentlich bessere Voraussetzungen für die Rechtfertigung religiösen Glaubens als jene Vielfalt von konkurrierenden Auffassungen, die es in der Realität gibt. Doch es ist keineswegs generell so, dass 22 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 23 / 27.6.14 Das Problem existiert nicht erst seit gestern da, wo es Wahrheit zu erkennen gibt, Menschen sich auch früher oder später darauf einigen. Weder in der Philosophie, noch in der Politik oder in anderen Bereichen, in denen der Diskussionsbedarf schier unersättlich scheint, werden Uneinigkeiten so gedeutet, dass es in den jeweils strittigen Angelegenheiten nichts zu erkennen gibt, dass also der Gegenstand der jeweiligen Diskussion gar nicht existiert. Warum sollte das bei religiösen Fragen anders sein? Allein, dass über religiöse Annahmen gestritten wird, reicht als Begründung einer atheistischen Position jedenfalls nicht. Dafür mag es natürlich andere Gründe geben, das will ich gar nicht ausschließen, auch wenn ich darauf hier nicht eingehen kann. Die Frage, ob es die Objekte religiöser Rede und daraus folgend, ob es Gott tatsächlich gibt, ist der Auftakt zu unglaublich umfangreichen Debatten. 6 Alles was ich im Rahmen dieser Untersuchung darlegen kann, ist, dass sich anhand des Problems religiöser Vielfalt allein nicht zeigen lässt, dass religiöse Überzeugungen irrational sind. Unter bestimmten Umständen kann es für religiöse Menschen rational sein, an ihren religiösen Überzeugungen auch angesichts religiöser Vielfalt festzuhalten. Ich muss gleich hier in der Einleitung darauf hinweisen, dass diese Arbeit stark von der Auseinandersetzung mit der christlichen Tradition geprägt ist, statt zahlreiche Religionen gleichermaßen zu berücksichtigen. Das hat zweierlei Gründe. Zum einen wird die wissenschaftliche Debatte zu diesem Thema von christlichen Religionsphilosophinnen und Religionsphilosophen dominiert und so stammen auch all die hier behandelten Autoren aus dem christlichen Kontext. Zum anderen lässt sich beim Reden über Religion der eigene Hintergrund kaum ignorieren, was auch meinen Fokus aufs Christentum erklärt. Einige Menschen mögen dank besonderer Lebensumstände oder aufgrund von intensiver Auseinandersetzung mit zwei oder gar drei Religionen gleichermaßen vertraut sein. Die meisten Menschen sind jedoch bestenfalls in einer Religion beheimatet und für niemanden gilt, dass er oder sie sich mit allen Weltreligionen bestens auskennt. Dafür sind Religio- Als Einstieg für die Darstellung von Argumenten für und gegen die Existenz Gottes empfehle ich Swinburne 2004 und Mackie 1982, sowie die Aufsätze des zweiten Teils von Jäger 1998a, wobei damit wirklich nur ein Anfang gemacht wäre. Die Liste möglicher Literatur zu diesem Thema ließe sich beliebig weit fortsetzen. In diesem Zusammenhang interessant zu lesen, ist auch Schellenberg 2007, der für die agnostische – im Gegensatz zur atheistischen und theistischen – Position plädiert. 6 Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 23 Renusch (48685) / p. 24 / 27.6.14 Einleitung nen einfach viel zu komplexe Phänomene. So gelten zwar etliche der im Folgenden dargestellten Probleme und Gedanken für unterschiedliche Religionen, aber zugleich werden auch viele der Ideen mittels christlich-westlich geprägter Sprache und Konzeptionen vorgetragen. Auch die meisten der verwendeten Beispiele sind daher dem Christentum entliehen. 1.5 Zum Aufbau der Arbeit Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet: Kann es angesichts religiöser Vielfalt rational sein, an den eigenen religiösen Überzeugungen festzuhalten? Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir zunächst die verwendeten Begriffe näher bestimmen. Dieser Aufgabe ist das zweite Kapitel gewidmet. Darin beschäftige ich mich damit, was es heißt, religiöse Überzeugungen zu haben und mit der Frage, was das mit religiösem Glauben zu tun hat. Inwiefern spielen bestimmte Annahmen überhaupt eine Rolle im Leben eines religiösen Menschen? Ferner geht es hier um das Verhältnis von Wahrheit und Rationalität. In der vorliegenden Arbeit spielt der Begriff »Rationalität« eine entscheidende Rolle. Das liegt vor allem an dessen Bedeutung für die Frage, wann wir eine Überzeugung für wahr halten. Im Hinblick auf die Frage, was es heißt, dass eine religiöse Überzeugung wahr ist, halte ich es mit Alston, der sagte »religious beliefs are true or false according to whether what is believed is the case, whether or not we have any way of deciding this.« 7 Wahr ist eine Überzeugung, ein Satz oder eine Proposition also dann, wenn der darin behauptete Sachverhalt tatsächlich der Fall ist. 8 Die Frage, ob eine Überzeugung wahr ist oder nicht, hängt nicht von uns ab. Wahrheit ist weder relativ noch liegt sie offen zu tage. Unser Weg herauszufinden, ob eine Überzeugung wahr oder falsch ist, besteht darin, die Frage nach deren Rationalität zu beantworten. Rationalität ist sozusagen ein Kriterium, anhand dessen wir eine Überzeugung als wahr identifizieren. Daher wird es vordergründig auch nicht um die Alston 2000, S. 194. Die Frage nach den Unterschieden zwischen den genannten Trägern von Wahrheitswerten werde ich hier vernachlässigen und davon ausgehen, dass dazu alles gehört, das entweder einen semantischen Inhalt hat (Überzeugungen, Sätze, Urteile und Aussagen) oder das wie eine Proposition selbst semantischer Inhalt einer Aussage ist. 7 8 24 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 25 / 27.6.14 Zum Aufbau der Arbeit Frage gehen, welche von den Religionen wahr ist. Ich muss bekennen, dass ich nicht sehe, wie diese Frage in absehbarer Zeit beantwortet werden kann. Dennoch können wir uns fragen, nach welchen Kriterien Menschen religiöse Überzeugungen für wahr halten und genau darum geht es hier. Menschen halten jene Überzeugungen für wahr, die ihnen rational erscheinen. Was das genau heißt, ob es heißt, dass die Überzeugungen gut begründet sind, dass sie einem klugen Kopf entspringen oder noch etwas anderes, ist in der Philosophie alles andere als klar definiert, was die Beantwortung der Rationalitätsfrage natürlich nicht leichter macht. Nach einem ersten skizzenhaften Überblick zu den unterschiedlichen Definitionsversuchen in Kapitel eins werde ich im weiteren Verlauf auf die Bestimmung von »Rationalität« immer wieder zurückkommen. Es wird sich schließlich zeigen, dass einige Rationalitätskonzepte es schwieriger als andere machen, davon zu sprechen, dass Personen mit einander widersprechenden Überzeugungen gleichermaßen gerechtfertigt sind. Das dritte Kapitel geht noch mal einen Schritt zurück und hinterfragt diese Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Rationalität im Hinblick auf religiöse Überzeugungen. In der Religionsphilosophie gibt es dazu eine lebhafte Debatte, deren wesentliche Standpunkte sich folgendermaßen charakterisieren lassen: Die eine Seite nimmt an, dass religiöse Menschen tatsächlich Wahrheitsansprüche in dem eben genannten Sinn erheben und dass die Akzeptabilität religiösen Glaubens zumindest bis zu einem bestimmten Grad von der Rationalität abhängt, mit der Gläubige diese Wahrheitsansprüche vertreten. Die andere Seite bestreitet das. Es zu bestreiten erlaubt eine andere Sicht auf das Problem religiöser Vielfalt. Grob skizziert plädieren die Vertreter dieser Sicht dafür, religiöse Äußerungen nicht als Träger von Wahrheitswerten zu interpretieren, sondern als Ausdruck von etwas anderem, beispielsweise von Gefühlen, einer bestimmten Lebenseinstellung oder als Ausdruck eines Sprachspiels. Religiös zu sein, ginge in diesem Sinne nicht damit einher, bestimmte religiöse Aussagen für wahr zu halten beziehungsweise bestimmte Sachverhalte über die Welt zu behaupten. Als akzeptabel würden religiöse Äußerungen vielmehr dann gelten, wenn sie beispielsweise in gelungener Weise Gefühle und Einstellungen zum Ausdruck bringen oder der Sprecher sich kompetent im Hinblick auf ein bestimmtes Sprachspiel erweist. Damit wäre auch klar, dass, was wörtlich zwar wie ein Widerspruch zwischen religiösen Aussagen aussehen mag, in Wirklichkeit gar kein Widerspruch ist, denn Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 25 Renusch (48685) / p. 26 / 27.6.14 Einleitung Gefühle, Sprachspiele oder Einstellungen widersprechen einander schließlich nicht in dem Sinne, wie es Überzeugungen tun. Ich diskutiere im dritten Kapitel einige dieser oft als »antirealistisch« oder »nonkognitivistisch« bezeichneten Ansätze und komme zu dem Ergebnis, dass keiner davon vollständig überzeugt. Zwar transportiert religiöse Rede oft auch Gefühle oder geht mit einer bestimmten Lebenseinstellung einher, dennoch beschränkt sich ihr Sinn nicht darauf. Religiöse Menschen erheben Wahrheitsansprüche – dies zu bestreiten, hieße am Selbstverständnis religiöser Menschen vorbei zu argumentieren. Für den Rest der Arbeit werde ich also voraussetzen, dass die von Alston so eindringlich auf den Punkt gebrachte realistische Sichtweise tatsächlich für viele religiöse Überzeugungen gilt. Und das bedeutet, dass wir nicht darauf hoffen dürfen, dass sich sämtliche religiöse Überzeugungskonflikte als Scheinprobleme enttarnen, bei denen über etwas gestritten wird, das gar nicht so gemeint ist, wie es der jeweilige Wortlaut nahe legt. Das Problem religiöser Vielfalt ist real und es verlangt nach einer Lösung. Theologen und Philosophen waren diesbezüglich bisher nicht untätig und so gibt es eine Fülle an Literatur zu dem Thema, bei deren Sichtung zunächst drei Begriffe ins Auge stechen – Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. Der Gebrauch der drei Begriffe ist nicht unumstritten und obendrein geraten bei deren Verwendung nicht selten auch verschiedene Ebenen durcheinander. Das vierte Kapitel bemüht sich diesbezüglich um Klärung: Es arbeitet Unterschiede zwischen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus heraus, benennt Schwierigkeiten des Dreierschemas und weist auf die wichtige Unterscheidung zwischen doktrinaler Ebene (also die, welche Fragen der Lehre und der Überzeugungen betrifft) und soteriologischer Ebene (also die, welche Fragen des Heils betrifft) hin. Historisch betrachtet nimmt die Auseinandersetzung auf der soteriologischen Ebene in den Debatten um religiöse Vielfalt großen Raum ein und diese Auseinandersetzung war es auch, die entscheidend zur Prägung der drei genannten Begriffe beigetragen hat. Soteriologische Exklusivisten glauben, dass Erlösung, Heil, Erleuchtung oder was auch immer innerhalb einer Religion als erstrebenswertes Ziel gilt, nur für Angehörige der eigenen Religion zu erreichen und für Andersgläubige ausgeschlossen ist, während soteriologische Inklusivisten und Pluralisten diese Position ablehnen und Andersgläubige in den Kreis der potentiellen Heilsanwärter einschließen. Ich werde auf die soteriologische 26 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 27 / 27.6.14 Zum Aufbau der Arbeit Ebene jedoch lediglich im fünften Kapitel kurz eingehen und mich im Rest der Arbeit weit ausführlicher der doktrinalen Dimension der genannten drei Positionen widmen. Letztere ist zum einen aus erkenntnistheoretischer Sicht interessanter, zum anderen scheint mir die Frage nach der Rationalität religiöser Überzeugungen im Lichte religiöser Vielfalt weit weniger eindeutig zu beantworten zu sein als die Frage nach dem Heil aller, die aus meiner Sicht schon allein aus theologischer und moralischer Perspektive eine recht offensichtliche Antwort verdient, nämlich dass das Heil allen offensteht. Zudem ist die Frage nach der Beschaffenheit des Heils und danach, wer es erlangt, letztlich ein Spezialfall der allgemeinen Frage, wessen religiöse Überzeugungen wahr sind. Beschäftigt man sich mit der doktrinalen Ebene, fällt zumindest die Bestimmung des doktrinalen Exklusivismus auf den ersten Blick relativ leicht: Doktrinale Exklusivisten glauben, dass die Grundfesten der eigenen Religion wahr und die der anderen Religionen falsch sind, insofern diese den eigenen widersprechen. Ein bisschen komplizierter gestaltet sich die Bestimmung des Pluralismus, aber hierfür könnte man zumindest fürs Erste einfach sagen, dass doktrinale Pluralisten den Exklusivismus bestreiten. John Hick, einer der bedeutendsten Vertreter des religiösen Pluralismus würde beispielsweise sagen, dass alle Religionen gleichermaßen gültige Wege zur Erlösung für ihre Angehörigen bereithalten und damit gleichermaßen Zugang zu Gott oder transzendenten Phänomenen allgemein ermöglichen. Richtig kompliziert wird es bei der Bestimmung des doktrinalen Inklusivismus. Der besonders in katholischen Kreisen beliebte doktrinale Inklusivismus liegt dem Selbstverständnis seiner Vertreterinnen und Vertreter zufolge irgendwo zwischen Pluralismus und Exklusivismus. Wer meint, mit dem Inklusivismus damit den goldenen Mittelweg gefunden zu haben, den muss ich jedoch leider enttäuschen, denn wie sich im sechsten Kapitel zeigt, ist es unmöglich, die Position des doktrinalen Inklusivismus von der des doktrinalen Exklusivismus zu unterscheiden. Auch wenn der Exklusivismus unbeliebt sein mag, so führt doch zumindest am doktrinalen Exklusivismus für religiöse Menschen als einziger Alternative zum religiösen Pluralismus aus erkenntnistheoretischer Sicht kein Weg vorbei. Inklusivist zu sein, bedeutet, doktrinaler Exklusivist zu sein. Inklusiv kann der Inklusivist hinsichtlich der Frage des Heils sein, nicht aber hinsichtlich der Frage, wessen Überzeugungen er für gerechtfertigt hält. Andersherum gibt es heutzutage viele selbstbewusst auftretende Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 27 Renusch (48685) / p. 28 / 27.6.14 Einleitung Exklusivisten, welche die Frage des Heils entweder nicht anders als der Inklusivist beantworten oder bewusst ausklammern. 9 Die Grenze zwischen beiden verschwimmt oder war immer schon verschwommen, auch wenn das Inklusivisten oftmals anders sehen. Vor die Wahl gestellt, sich zum Pluralismus oder zum Exklusivismus zu bekennen, scheint vielen Menschen heute der Pluralismus weit attraktiver. Der Begriff »(religiöser) Pluralismus« wird heutzutage zum einen für das Phänomen religiöser Vielfalt verwendet, zum anderen aber auch als Bezeichnung einer ganz bestimmten religionsphilosophischen Theorie. Um Verwirrungen zu vermeiden, werde ich »Pluralismus« ausschließlich im zweitgenannten Sinn verwenden, also als Bezeichnung einer Theorie zu religiöser Vielfalt. Im siebten Kapitel werde ich exemplarisch für die verschiedenen Varianten des Pluralismus die Theorie des Hauptvertreters John Hick vorstellen. Hick geht davon aus, dass alle Religionen letztlich ein und derselbe Bezugspunkt eint. Die unterschiedlichen Religionen seien Ausdruck unterschiedlicher Zugangsweisen zu einer einzigen transzendenten Realität, deren Wesen für Menschen nicht fassbar und nur als Manifestation innerhalb einer kulturell und historisch gewachsenen Religion erfahrbar wäre. Was diese These für die Rationalitätsfrage bedeutet, ist gar nicht so leicht zu sagen, wie man vielleicht erwarten würde. Lässt sich die pluralistische Hypothese eigentlich damit vereinbaren, an partikularen religiösen Überzeugungen in exklusiver Weise festzuhalten oder schließt sie genau das aus? Dieser Frage werde ich im siebten Kapitel nachgehen. Die pluralistische Theorie der Religionen übt auf viele Menschen große Anziehungskraft aus, erlaubt sie doch scheinbar, alle Religionen als gleichermaßen gültig zu betrachten. Bedauerlicherweise erweist sich die Theorie selbst als unhaltbar. Es lässt sich nicht gleichzeitig behaupten, dass in allen Religionen gleichermaßen gültige Erfahrungen einer ultimativen Wirklichkeit gemacht werden können einerseits, und dass diese ultimative Wirklichkeit komplett unfassbar ist andererseits. Denn woher sollen wir in diesem Fall wissen, dass es sich bei den Erfahrungen um Wahrnehmungen ein und desselben Objektes und noch dazu um authentische Erfahrungen handelt, wenn über das Objekt selbst nichts gesagt werden kann, nicht einmal, dass es überhaupt existiert – wie es Vertreter der pluralistischen Hypothese behaupten? Statt zur Lösung des Problems religiöser Vielfalt beizutragen, kreiert der Pluralismus 9 28 Siehe zum Beispiel die Position Plantingas, die ich in Kapitel zehn erläutere. ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 29 / 27.6.14 Zum Aufbau der Arbeit eine Reihe neuer Probleme. Zudem setzt er sich mit seiner Skizze einer allen Religionen gemeinsamen transzendenten Wirklichkeit in Konkurrenz zu bestehenden Religionen. Einige der Annahmen des Pluralismus widersprechen gängigen religiösen Annahmen. Ob sich Hick diesem Einwand entziehen kann, indem er auf den Metacharakter seiner Theorie verweist, ist ungewiss. Im Grunde stellt sich aber auch dem Pluralisten die Rationalitätsfrage: Wie kann er rationalerweise seine Überzeugungen vertreten oder beibehalten angesichts dessen, dass andere (religiöse) Ansichten dem widersprechen? Sollte sich die Suche nach einer gemeinsamen Grundlage aller Religionen tatsächlich als erfolglos erweisen (und die Analyse von Hicks Ideen weist in diese Richtung), dann scheint es mir sinnvoll, an erster Stelle weiter nach Antworten für die Rationalitätsfrage zu suchen. Um das zu tun, untersuche ich im achten Kapitel zunächst Überzeugungskonflikte als solche. Was sollen wir tun, wenn wir bemerken, dass andere Personen andere Ansichten vertreten als wir selbst? In vielen Fällen ist diese Frage einfach zu beantworten. Argumente austauschen, mehr über die eigene und die Kompetenz der anderen Person hinsichtlich der umstrittenen Frage herausfinden, nochmaliges Überprüfen der Angelegenheit – normalerweise gibt es bewährte Strategien, um zu entscheiden, wer Recht hat und wer nicht. Doch es gibt einen Typ von Überzeugungskonflikt, bei dem das weitaus schwieriger ist und religiöse Konflikte scheinen oft dazuzugehören. Beim Dissens, wie ich diesen Typus nennen werde, sind (oder scheinen) Kompetenz und Wissen auf beiden Seiten eines Konflikts gleich verteilt. Oft sind genau die genannten Methoden zur Konfliktlösung bereits angewandt worden – Argumente sind ausgetauscht worden, eine wiederholte Prüfung hat stattgefunden – und trotzdem können sich die beteiligten Konfliktparteien nicht einigen, wessen Überzeugung wahr ist. Heißt das, dass in diesen Fällen mindestens eine der konkurrierenden Ansichten ungerechtfertigt ist oder könnten beide gerechtfertigt sein? Was soll man in dieser Situation rationalerweise tun? Soll man an den eigenen Überzeugungen festhalten? Oder soll man stattdessen seine Position überdenken, sie gar zugunsten einer neutralen Einstellung aufgeben, falls das überhaupt möglich ist? Meines Erachtens ermöglicht die Betrachtung als Dissens eine neue und fruchtbare Sicht auf viele Situationen, in denen religiöse Überzeugungen einander widersprechen. Gleichwohl sind Dissense als Konflikte zwischen Personen, die zu deren Lösung gleichermaßen gut disponiert Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 29 Renusch (48685) / p. 30 / 27.6.14 Einleitung sind beziehungsweise scheinen, nicht auf den Bereich des Religiösen beschränkt, auch wenn es hier besonders viele Beispiele gibt. Da die Lösung eines Dissenses auch in anderen Feldern wie der Politik, der Wissenschaft oder speziell in der Philosophie ein vertracktes Problem darstellt, lohnt es, all die gerade genannten Fragen allgemein zu beantworten, bevor wir uns speziell religiösen Dissensen zuwenden. Es zeigt sich dabei, dass die Relevanz eines Dissenses für die eigenen Überzeugungen in dem Maße steigt, wie auch die Gemeinsamkeiten zwischen den Konfliktparteien mehr werden. Der Umstand, dass eine gleichermaßen intelligente und gut ausgebildete Person anderer Meinung ist, sollte rationale Personen in vielen Fällen dazu veranlassen, ihre eigenen Überzeugungen zu überdenken. Manchmal mag das sogar bedeuten, dass die eigene Überzeugung aufgegeben werden muss. Es ist jedoch nicht so, dass Letzteres immer gilt. Es gibt Dissense, in denen das Festhalten an der eigenen Ansicht rational sein kann, und die genauen Bedingungen hierfür zu erarbeiten, ist das Ziel des achten Kapitels. Wenn wir uns wieder speziell religiösen Überzeugungen zuwenden und der Frage, ob deren Beibehaltung angesichts inkompatibler Überzeugungen gerechtfertigt sein kann, dann stechen aus der Menge derer, die sich in jüngster Zeit positiv dazu geäußert haben, drei Autoren ganz besonders hervor, nämlich Richard Swinburne, Alvin Plantinga und William Alston. 10 Zum einen gibt es wenige Religionsphilosophen, deren Erkenntnistheorie religiöser Überzeugungen ähnlich detailliert ausgearbeitet vorliegt, wie die der drei genannten. Zum anderen decken ihre jeweils unterschiedlichen Antworten das Spektrum der möglichen Gründe für das Beibehalten der eigenen religiösen Überzeugungen in geradezu paradigmatischer Weise ab. Swinburne, um dessen Haltung zum Problem religiöser Vielfalt es im neunten Kapitel geht, glaubt, dass es nur dann rational ist, die eigene religiöse Sicht zu bevorzugen, wenn es für die eigene Seite bessere Argumente gibt als für die Weitere Autoren, die sich zu dieser Frage mit zum Teil bejahenden und zum Teil verneinenden Antworten zu Wort gemeldet haben, sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Jerome Gellman, Gary Gutting, David Basinger, Philip Quinn, Robert McKim, Keith Ward, Paul Eddy, Perry Schmidt-Leukel, Mark Heim, Paul Knitter, Muhammad Legenhausen, David Koehl, Keith Yandell, Peter van Inwagen, Kevin Meeker, David Silver, Peter Byrne, Paul K. Moser, Paul Griffiths und viele andere. Und dann gibt es natürlich noch den bereits erwähnten John Hick, den bekanntesten Vertreter einer pluralistischen Theorie der Religionen, dessen Position so wichtig ist, dass ich auf sie im siebten Kapitel extra zu sprechen komme. 10 30 ALBER THESEN Anita Renusch Renusch (48685) / p. 31 / 27.6.14 Zum Aufbau der Arbeit andere. Und Swinburne glaubt auch, dass es sehr gute Argumente zugunsten des Christentums gibt, bessere Argumente jedenfalls als für alle anderen Religionen. Plantinga hingegen, mit dessen Position wir uns im zehnten Kapitel beschäftigen, geht davon aus, dass es von der kognitiven Ausstattung abhängt, ob sich die Mitglieder einer Religion Andersgläubigen gegenüber erkenntnistheoretisch gesehen privilegiert fühlen dürfen. Seiner Ansicht nach sind Christinnen und Christen den anderen im Streit um religiöse Wahrheit in kognitiver Hinsicht überlegen und weil das so sei, so Plantinga weiter, wären die religiösen Überzeugungen von Christinnen und Christen rational und die der anderen nicht, ganz gleich, ob sich das zusätzlich anhand von Argumenten zeigen ließe oder nicht. Plantinga hält es also für legitim, dass Christen im Hinblick auf religiöse Vielfalt von einem kognitiven Vorteil ihrerseits ausgehen. Beide, sowohl Swinburne als auch Plantinga, betrachten religiöse Überzeugungskonflikte nicht als Dissense. Es handelt sich in ihren Augen nicht um Auseinandersetzungen zwischen Personen, die sich epistemisch gesehen auf Augenhöhe begegnen. Alston, dessen Position ich im elften Kapitel beleuchte, sieht das anders. Im Unterschied zu Swinburne und Plantinga geht es Alston nicht darum, das Beibehalten der eigenen religiösen Überzeugungen angesichts religiöser Vielfalt anhand einer vermeintlich bestehenden kognitiven oder argumentativen Asymmetrie zwischen den Beteiligten zu rechtfertigen. Alstons Argumentation startet mit dem Eingeständnis, dass sich eine solche Asymmetrie derzeit (und vielleicht auch in Zukunft) nicht überzeugend verteidigen lässt. Notgedrungen geht Alston daher den Weg über praktische Argumente. Rational sei es für religiöse Menschen dann, ihre eigenen religiösen Überzeugungen beizubehalten, wenn sich die Praxis der Überzeugungsbildung in ihrem Leben bewährt hat. Es zeigt sich, dass Alstons Ansatz mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Dennoch: Nimmt man seine Theorie als Grundlage und fügt ihr das im achten Kapitel zu Dissensen Gesagte hinzu, gelant man schließlich zu einer Position, die ich im zwölften Kapitel skizziere. Ihrzufolge ist es religiösen Menschen möglich, Personen mit inkompatiblen religiösen Überzeugungen als kognitiv und evidentiell ebenbürtig anzuerkennen und die eigenen religiösen Überzeugungen trotz dieser Situation beizubehalten. Das hieße zugleich, dass der doktrinale Exklusivismus unter ganz bestimmten Bedingungen gerechtfertigt ist, auch wenn dabei trotzdem einige Fragen offen bleiben. Der eigene Glaube und der Glaube der anderen A 31 Renusch (48685) / p. 32 / 27.6.14 Einleitung Auf die philosophische Herausforderung religiöser Vielfalt gibt es keine einfache Antwort. Selbst wenn es mir mit dieser Arbeit gelingen sollte, einzelne Aspekte zu entwirren und mögliche Lösungswege aufzuzeigen, bleibt weiterhin viel zu tun. Dennoch ist klar, dass sich die Mühe lohnt, denn die hier diskutierten theoretischen Fragen haben auch Auswirkungen auf den praktischen Umgang mit religiöser Vielfalt. Wenn also die eine oder der andere beim Lesen beginnt, die eigenen oder auch die religiöse Überzeugungen von Freunden, Bekannten und Fremden in einem anderen Licht zu sehen, dann rechtfertigt das jeden Aufwand bei der Suche nach Antworten. 32 ALBER THESEN Anita Renusch