Chemie Das Basiswissen der Chemie Bearbeitet von Charles E. Mortimer, Ulrich Müller, Johannes Beck 12., korrigierte und aktualisierte Auflage 2015. Buch. 716 S. Kartoniert ISBN 978 3 13 484312 5 Format (B x L): 19,5 x 27 cm Weitere Fachgebiete > Chemie, Biowissenschaften, Agrarwissenschaften > Chemie Allgemein Zu Inhalts- und Sachverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen Zusammenfassung / Bei chemischen Prozessen wird Energie aufgenommen oder abgegeben. Die Thermochemie befasst sich mit den Energiebeträgen, die als Wärme umgesetzt werden. Die Wärmekapazität eines Körpers ist die benötigte Wärmemenge, um den Körper um 1 °C zu erwärmen. Der Wärmeumsatz einer chemischen Reaktion wird mit Hilfe eines Kalorimeters bestimmt. Dabei wird aus der Temperaturänderung des Kalorimeters und seines Inhalts sowie aus deren Wärmekapazitäten die umgesetzte Wärmemenge berechnet. In jedem Stoff steckt eine bestimmte innere Energie. Die Differenz der inneren Energien von Produkten und Reaktanden einer chemischen Reaktion ist die Reaktionsenergie ∆U. Wird die Reaktion bei konstantem Druck p durchgeführt (offenes Reaktionsgefäß) und tritt bei der Reaktion eine Volumenänderung ∆V der Stoffe ein, dann wird gegen den Atmosphärendruck die Volumenarbeit p∆V geleistet; dies ist bei der Bildung oder dem Verbrauch eines Gases der Fall. Die Reaktionsenthalpie ist definiert als Übersicht 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 Energiemaße · 60 Temperatur und Wärme · 60 Kalorimetrie · 61 Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie · 62 Der Satz von Hess · 64 Bildungsenthalpien · 65 Bindungsenergien · 68 5 Übungsaufgaben · 70 ∆H = ∆U + p∆V, sie gibt den als Wärme beobachtbaren Anteil der Reaktionsenergie an. Wenn bei der Reaktion Wärme freigesetzt wird, spricht man von einer exothermen Reaktion, ∆H ist dann negativ. Bei einer endothermen Reaktion wird Wärme aufgenommen, ∆H ist positiv. Eine thermochemische Gleichung besteht aus einer Reaktionsgleichung und der Angabe des zugehörigen ∆H-Werts. Die ∆H-Werte können durch kalorimetrische Messung bestimmt werden. Nach dem Satz von Hess ist der Wert von ∆H unabhängig davon, ob eine Reaktion in einem oder mehreren Schritten abläuft. Mit Hilfe von Standard-Bildungsenthalpien ΔH0f kann die Reaktionsenthalpie einer Reaktion mit der Gleichung X X ΔH0f (Produkte) ΔH0f (Reaktanden) ΔH0 = berechnet werden. Mit mittleren Bindungsenergien kann der ∆H-Wert einer Reaktion abgeschätzt werden; ∆H ergibt sich als Summe aller ∆H-Werte für die Energie, die zum Aufbrechen der Bindungen der Reaktanden benötigt wird, und der ∆H-Werte für die Energie, die bei der Bildung neuer Bindungen in den Produkten frei wird. Im Verlaufe einer chemischen Reaktion wird von den beteiligten Stoffen Energie freigesetzt oder aufgenommen, zu jeder Stoffumsetzung gehört auch eine Energieumsetzung. Berechnungen mit den zugehörigen Energiebeträgen sind ebenso von Bedeutung wie die Berechnungen der umgesetzten Stoffmassen. Die freigesetzte oder aufgenommene Energie kann in verschiedenen Formen in Erscheinung treten: als Licht, als elektrische Energie, als mechanische Energie und vor allem als Wärme. Unter Thermochemie versteht man die Untersuchung der Wärmemengen, die bei chemischen Prozessen umgesetzt werden. Schlüsselworte (s. Glossar) 2 Energie Wärme Thermochemie Temperatur Spezifische Wärme Joule Kalorie Wärmekapazität Kalorimeter Reaktionsenergie Innere Energie Enthalpie Reaktionsenthalpie Volumenarbeit Endotherme Reaktion Exotherme Reaktion Gesetz der konstanten Wärmesummen (Satz von Hess) Bildungsenthalpie Standard-Bildungsenthalpie Dissoziationsenergie Bindungsenergie mittlere Bindungsenergie 59 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen . Definition Kraft und ihre Einheit: F=m·a 1N = 1 kg · m/s2 5 . Definition Arbeit und ihre Einheit: W=F·s 1 J = 1N · m = 1 kg · m2/s2 . Definition Kinetische Energie: Henry Roscoe. The Life & Experiences of Sir Henry Enfield Roscoe (Macmillan: London and New York). p. 120 Ekin = W = 12 mv 2 James Joule * 1818 Salford bei Manchester † 1889 Sale bei Manchester 1 cal = 4,184 J (thermochemische Kalorie = Wärmekapazität von 1 g Wasser bei 17 °C an Luft unter Atmosphärendruck) 1 cal = 4,1858 J (Wasser bei 15 °C) 1 cal = 4,1819 J (Wasser bei 20 °C) 1 cal = 4,1868 J (internationale Kalorie) 5.1 Energiemaße Wenn auf einen Körper mit Masse m eine Kraft F ausgeübt wird, so wird er in Bewegung gesetzt und beschleunigt. Die Beschleunigung a ist die Geschwindigkeitszunahme pro Zeiteinheit. Nach dem Newton-Gesetz sind Kraft und Beschleunigung einander proportional. Die Beschleunigung wird in m/s2 gemessen. Die SI-Einheit der Kraft ist das Newton (abgekürzt N). 1 Newton ist die Kraft, mit der die Masse m = 1 kg mit a = 1 m/s2 beschleunigt wird. Arbeit. Beim Beschleunigen des Körpers wird Arbeit geleistet. Die Arbeit W ist definiert als das Produkt der wirkenden Kraft mal der Weglänge s, über welche diese Kraft wirkt. Im internationalen Einheitensystem ist die Einheit für die Arbeit das Joule (abgekürzt J). 1 Joule ist die Arbeit, die bei der Ausübung einer Kraft F = 1 N über eine Wegstrecke von s = 1 m geleistet wird. Energie. Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Energie kann in unterschiedlichen Formen auftreten, zum Beispiel als Bewegungsenergie (kinetische Energie), elektrische Energie, Wärme(-energie) oder chemische Energie. Nachdem ein Körper der Masse m auf die Geschwindigkeit v beschleunigt wurde und dabei die Arbeit W aufgewandt wurde, verfügt der Körper über kinetische Energie; mit der kinetischen Energie kann wieder Arbeit geleistet werden, wenn der Körper gegen eine Kraft wirkt und dabei seine Geschwindigkeit verliert, d. h. verzögert wird (Verzögerung = negative Beschleunigung). Die dabei geleistete Arbeit ist genauso groß wie die Arbeit, die beim anfänglichen Beschleunigen des Körpers geleistet wurde. Die im bewegten Körper steckende kinetische Energie entspricht genau dem Betrag dieser Arbeit. Die kinetische Energie Ekin steht mit der Masse m und der Geschwindigkeit v in Beziehung. Energie kann stets nur von einer Form in eine andere umgewandelt werden, sie kann aber nie erzeugt oder vernichtet werden. Auf diesen Satz der Erhaltung der Energie (Erster Hauptsatz der Thermodynamik) kommen wir im Kapitel 21 (S. 324) zurück. Auch bei der Umwandlung von mechanischer Energie in Wärmeenergie, zum Beispiel wenn ein bewegter Körper gegen eine Wand prallt und seine kinetische Energie in Wärme umgewandelt wird, wird aus einer bestimmten Energiemenge immer eine definierte Menge an Wärme erhalten; dies wurde von James Joule entdeckt. Das Maß für die Energie entspricht dem Betrag der Arbeit, die damit geleistet werden kann; 1 Joule ist die Einheit für die Energie, unabhängig von der Form, in der sie auftritt. 5.2 Temperatur und Wärme Wärme ist eine Form von Energie, die in jedem Körper in unterschiedlicher Menge enthalten sein kann. Zwischen zwei Körpern, die in Kontakt miteinander sind, fließt Wärme von einem zum anderen, wenn die Temperaturen der Körper verschieden sind. Die Temperatur ist ein Maß dafür, in welcher Richtung der Wärmefluss erfolgt. Als Einheit zur Temperaturmessung verwenden wir neben dem Grad Celsius (°C) das Kelvin (Symbol K); beide unterscheiden sich durch die Wahl des Nullpunktes, während die Einheiten selbst gleich groß sind. Die Temperatur in K ist gleich der Temperatur in °C nach Addition des Wertes 273,15. Die spezifische Wärme einer Substanz ist die Wärmemenge, die benötigt wird, um 1 g der Substanz um 1 °C zu erwärmen. Für lange Zeit diente die spezifische Wärme des Wassers als Maßeinheit für die Wärmeenergie: die Kalorie (cal) war definiert als die Wärmemenge, die zum Erwärmen von 1 g Wasser nötig ist. Es gibt mehrere Umrechnungsfaktoren von Kalorien auf Joule. Obwohl deshalb nicht eindeutig ist, was gemeint ist, werden Energieangaben oft immer noch in Kalorien gemacht. 60 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5.3 Kalorimetrie 5.3 Kalorimetrie Die Wärmekapazität C eines Körpers mit der Masse m ist die Wärmemenge, die benötigt wird, um die Temperatur des Körpers um 1 °C zu erhöhen. Sie ist das Produkt aus der spezifischen Wärme mal der Masse. Um einen Körper von der Temperatur T1 auf die Temperatur T2 zu erwärmen, ist die Wärmemenge Q erforderlich: 5 Q = C · (T2 – T1) + Beispiel 5.1 Wasser hat bei 20 °C eine spezifische Wärme von 4,18 J · g–1 K–1. Die Wärmekapazität von 125 g Wasser beträgt: C = 125 g · 4,18 J · g–1 K–1 = 523 J/K Um 125 g Wasser von 20,0 °C (293,15 K) auf 25,0 °C (298,15 K) zu erwärmen, benötigt man die Wärmemenge: Spezifische Wärmekapazität C einiger Stoffe Material C/(J · g–1 · K–1) Blei 0,13 Silber 0,24 Kupfer 0,38 Aluminium 0,90 Ethanol 2,43 Wasser 4,18 Q = 523 J · K–1 · (25,0 – 20,0) K = 2,61 · 103 J = 2,61 kJ Ein Kalorimeter dient zum Messen der Wärmemengen, die bei chemischen Reaktionen freigesetzt oder aufgenommen werden. Ein Bombenkalorimeter (Abb. 5.1) wird verwendet, um die bei Verbrennungsprozessen freigesetzte Wärme zu messen. Die Messung wird folgendermaßen durchgeführt: 1. Eine sorgfältig abgewogene Menge der Probe wird in die Bombe eingebracht, die dann mit Sauerstoff unter Druck gefüllt und geschlossen wird. 2. Die Bombe wird in einer abgewogenen Menge Wasser versenkt, das sich in einem gegen Wärmeaustausch isolierten Gefäß befindet. Durch Rühren wird für eine gleichmäßige Temperatur des Wassers im ganzen Gefäß gesorgt. 3. Die Anfangstemperatur T1 wird gemessen. 4. Durch elektrische Zündung wird die Verbrennungsreaktion ausgelöst. 5. Die freigesetzte Wärme sorgt für eine Erhöhung der Temperatur auf den Endwert T2. 6. Sowohl das Wasser als auch das Kalorimeter nehmen Wärme auf. Die Wärmekapazität des Wassers kann aus der Masse des Wassers berechnet werden. Diejenige des Geräts wird experimentell ermittelt, indem die Temperaturerhöhung nach Zufuhr einer bekannten Wärmemenge (z. B. durch elektrische Beheizung) gemessen wird. Die Wärmekapazität ergibt sich als Summe beider Werte: Zünddraht Rührer Thermometer isoliertes Gefäß Wasser Bombe Probenbehälter Abb. 5.1 Ein Bombenkalorimeter. Cgesamt = CWasser + CGerät 7. Die beim Experiment freigesetzte Wärme Q wird aus der gemessenen Temperaturerhöhung berechnet: Q = Cgesamt · (T2 – T1) + Beispiel 5.2 In einem Bombenkalorimeter wird Traubenzucker (C6H12O6) verbrannt: C6H12O6(s) + 6 O2(g) → 6 CO2(g) + 6 H2O(l) Das Kalorimeter habe eine Wärmekapazität von CGerät = 2,21 kJ/K, und es sei mit 1,20 kg Wasser gefüllt. Die Anfangstemperatur sei T1 = 19,00 °C; nach Verbrennung von 3,00 g Traubenzucker steigt die Temperatur auf T2 = 25,50 °C. Welche Wärme wird bei der Verbrennung von 1 mol Traubenzucker frei? ... 61 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen ... Berechnung der Wärmekapazität des Kalorimeters: Cgesamt = 1,20 kg · 4,18 kJ · kg–1 K–1 + 2,21 kJ · K–1 = 7,23 kJ · K–1 Berechnung der Wärmemenge: Q = Cgesamt · (T2 – T1) = 7,23 kJ · K–1 · 6,50 K = 47,0 kJ 5 Diese Wärmemenge wird bei der Verbrennung von 3,00 g Traubenzucker abgegeben. Mit M(Traubenzucker) = 180 g · mol–1 gilt: Q = 47,0 kJ · 180 g · mol 3,00 g –1 = 2,82 · 103 kJ/mol 5.4 Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie Wenn in einem geschlossenen Gefäß eine Reaktion abläuft, bei der ein Gas entsteht (oder mehr Gas entsteht als verbraucht wird), so wird der Druck innerhalb des Gefäßes ansteigen. Wenn das Gefäß ein Zylinder ist, der mit einem beweglichen Kolben verschlossen ist, dann wird durch den Druckanstieg der Kolben in Bewegung gesetzt, es wird mechanische Arbeit geleistet. Die Kraft, gegen welche die Arbeit geleistet wird, ist durch den von außen gegen den Kolben wirkenden Atmosphärendruck p bedingt (Abb. 5.2). Der Kolben kommt zum Stillstand, wenn durch die Volumenvergrößerung im Inneren des Zylinders der Druck auf den gleichen Wert p wie der Außendruck gesunken ist. Der Querschnitt des Kolbens habe eine Fläche A. Die von außen auf den Kolben wirkende Kraft beträgt dann Abb. 5.2 Ein Gas, das bei einer chemischen Reaktion entsteht, leistet mechanische Arbeit gegen die Außenatmosphäre, erkennbar am Herausdrücken eines Kolbens. Auch wenn der Kolben fehlt (offenes Gefäß), wird die gleiche Arbeit geleistet (Außenluft wird verdrängt). F=A·p Wenn der Kolben um eine Wegstrecke s nach außen geschoben wird, erhöht sich das Volumen im Zylinder um ΔV = V2 – V1 = A · s (V1 = Anfangs-, V2 = Endvolumen) Die geleistete Arbeit beträgt W = F s = A p s = ΔV p Definition . Reaktionsenergie: ΔU = U2 – U1 ΔU negativ: Energie wird abgegeben ΔU positiv: Energie wird aufgenommen Reaktionsenthalpie: ΔH = ΔU + p · ΔV ΔH negativ: Wärmeenergie wird abgegeben ΔH positiv: Wärmeenergie wird aufgenommen Sie wird Volumenarbeit genannt. Die gleiche Volumenarbeit wird auch geleistet, wenn die Reaktion in einem offenen Gefäß abläuft; das entstehende Gas leistet Arbeit, indem es gegen den Druck der Außenatmosphäre wirkt und die umgebende Luft verdrängt (Abb. 5.2). Bei einer Reaktion, die im geschlossenen Gefäß abläuft, zum Beispiel in einem Bombenkalorimeter, wird keine mechanische Arbeit geleistet. Die gesamte bei der Reaktion freigesetzte Energie kann als Wärmeenergie anfallen. Diese Gesamtenergie nennen wir Reaktionsenergie. Jeder Stoff hat in sich Energie in irgendeiner Form gespeichert, wir nennen sie die innere Energie U. Die Summe der inneren Energien der Reaktanden sei U1, die der Produkte U2. Die Reaktionsenergie ΔU ist deren Differenz. Die meisten chemischen Reaktionen werden in offenen Gefäßen durchgeführt. Wenn dabei Volumenarbeit geleistet wird, kann diese nicht mehr als Wärmeenergie anfallen, d. h. freigesetzte Reaktionsenergie teilt sich auf Volumenarbeit und einen restlichen, als Wärme erhältlichen Energieanteil auf. Diesen restlichen Anteil nennen wir Reaktionsenthalpie (Reaktionswärme, Wärmetönung); sie wird mit dem Symbol ΔH bezeichnet. 62 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5.4 Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie Reaktionen, bei denen Wärme freigesetzt wird, heißen exotherme Reaktionen, für sie hat ΔH ein negatives Vorzeichen. Endotherme Reaktionen benötigen die Zufuhr von Wärme, ΔH hat positives Vorzeichen. Man beachte bei der Definitionsgleichung für die Reaktionsenthalpie die Definition für die Vorzeichen! (Abb. 5.3) U1 und V1 sind die innere Energie bzw. das Volumen vor der Reaktion, U2 und V2 nach der Reaktion. Wenn U1 > U2, so haben die Produkte eine geringere innere Energie; in diesem Fall wird Energie an die Umgebung abgegeben und ΔU = U2 – U1 ist negativ. Wenn V1 < V2, so ist das Volumen nach der Reaktion größer, es wird mechanische Arbeit geleistet, und W = p · ΔV = p · (V2 – V1) ist positiv. Wenn zu einem negativen ΔU-Wert ein positiver W-Wert addiert wird, ist der resultierende ΔH-Wert weniger negativ als ΔU, d. h. die abgegebene Reaktionswärme ist weniger als die Reaktionsenergie. + Beispiel 5.3 Bei der Reaktion 5 Abb. 5.3 Wenn wir ein System reagierender Substanzen beobachten, liegt unser Standort außerhalb des Systems. Als Zuschauer empfinden wir die vom System uns zugeführte Wärmeenergie als Gewinn, als etwas Positives. Unser Interesse ist hier aber auf das Geschehen innerhalb des Systems gerichtet. Für das System ist abgegebene Energie ein Verlust. Deshalb gilt die Konvention, dass die Reaktionsenergie ein negatives Vorzeichen erhält, wenn das System Energie abgibt. H2SO4(l) + CaCO3(s) → CaSO4(s) + H2O(l) + CO2(g) wird das Gas CO2 entwickelt. 1 mol CO2 beansprucht bei 25 °C und einem Atmosphärendruck von p = 101 kPa ein Volumen von 24,5 L/mol. Wegen der Volumenvergrößerung von ΔV = 24,5 L/mol wird folgende Volumenarbeit geleistet: p ΔV = 101 103 N m–2 24,5 10–3 m3 mol–1 = 2,5 103 J/mol = 2,5 kJ/mol Die Reaktionsenergie beträgt ΔU = –96,1 kJ/mol, das negative Vorzeichen zeigt uns die Abgabe von Energie an. Als Wärmeenergie erhält man nur die Reaktionsenthalpie mit dem kleineren Betrag ΔH = ΔU + pΔV = (–96,1 + 2,5) kJ/mol = –93,6 kJ/mol Genauso wie die Reaktionsenergie ΔU als Differenz der inneren Energien von Produkten und Reaktanden zu verstehen ist, kann man die Reaktionsenthalpie ΔH als Differenz von Enthalpien oder Wärmeinhalten H2 und H1 der Produkte und Reaktanden auffassen: griechisch: en = darin thalpos = Wärme ΔH = H2 – H1 Bei einer exothermen Reaktion haben die Produkte einen geringeren Wärmeinhalt als die Reaktanden (Abb. 5.4), bei einer endothermen Reaktion ist es umgekehrt (Abb. 5.5). Die Enthalpien chemischer Substanzen hängen von der Temperatur, dem Druck und dem Aggregatzustand ab. Durch Konvention werden die für chemische Reaktionen angegebenen ΔH-Werte auf Bedingungen bei 25 °C und Norm-Atmosphärendruck (101,3 kPa) bezogen; abweichende Bedingungen müssen spezifiziert werden. Thermochemische Angaben müssen sich auf eine bestimmte Reaktionsgleichung beziehen. Der Wert für ΔH wird neben die Reaktionsgleichung geschrieben und bezieht sich auf die in der Gleichung aufgeführten Stoffmengen in Mol. Die Molzahlen dürfen auch Bruchzahlen sein. Wenn 1 mol H2 mit einem halben mol O2 unter Bildung von Wasser reagiert, wird die Wärmemenge von 286 kJ freigesetzt: H2 (g) + 12 O2 (g) → H2 O(l) ΔH = –286 kJ/mol Abb. 5.4 Enthalpie-Diagramm für eine exotherme Reaktion. Abb. 5.5 Enthalpie-Diagramm für eine endotherme Reaktion. 63 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen Der Aggregatzustand aller beteiligten Substanzen muss angegeben werden: (g) für gasförmig, (s) für fest (solidus), (l) für flüssig (liquidus) und (aq) für Lösung in Wasser (aqua). Die Notwendigkeit der Angabe wird durch Vergleich der folgenden Gleichung mit der vorigen Gleichung deutlich: H2 (g) + 12 O2 (g) → H2 O(g) 5 ΔH = –242 kJ/mol Wenn das Reaktionsprodukt Wasserdampf anstelle von flüssigem Wasser ist, werden 44 kJ pro mol H2O weniger an Wärme frei. Dies entspricht dem Energiebetrag, der notwendig ist, um 1 mol H2O(l) in 1 mol H2O(g) bei 25 °C und Atmosphärendruck zu überführen. Bei Umkehrung der Formulierung einer Reaktionsgleichung wird das Vorzeichen von ΔH umgekehrt: 1 H (g) 2 2 + 12 I2 (s) → HI(g) HI(g) < Konventionen zum Formulieren von thermochemischen Gleichungen: 1. Bei exothermen Reaktionen (Abgabe von Wärmeenergie) ist ΔH negativ. Bei endothermen Reaktionen (Aufnahme von Wärmeenergie) ist ΔH positiv. 2. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich alle ΔH-Werte auf Bedingungen bei 25 °C und Normdruck (Atmosphärendruck auf Meereshöhe, d. h. 101,3 kPa oder 1,013 bar). 3. Der Aggregatzustand aller Substanzen ist anzugeben. 4. Die Koeffizienten in der Gleichung bezeichnen die Zahl der umgesetzten Mole für jede Substanz, der ΔHWert bezieht sich auf diese Stoffmengen. 5. Bei Multiplikation der Koeffizienten mit einem Faktor wird auch der ΔHWert mit dem gleichen Faktor multipliziert. 6. Bei Umkehrung der Richtung der Reaktionsgleichung wird das Vorzeichen von ΔH umgekehrt. 7. Die gleichen Regeln gelten auch für Reaktionen bei konstantem Volumen (geschlossenes Gefäß), wobei an die Stelle der Reaktionsenthalpie ΔH die Reaktionsenergie ΔU tritt. → 1 H (g) 2 2 ΔH = +25,9 kJ/mol + 1 I (s) 2 2 ΔH = –25,9 kJ/mol Werden die Koeffizienten der Gleichung mit einem Faktor multipliziert, dann wird auch der Wert von ΔH mit diesem Faktor multipliziert; Multiplikation der letztgenannten Gleichung mit 2 ergibt: 2 HI(g) → H2(g) + I2(s) ΔH = –51,8 kJ/mol Thermochemische Berechnungen werden in der gleichen Art wie andere stöchiometrische Berechnungen durchgeführt. Sie können gleichermaßen auch mit den Reaktionsenergien ΔU angestellt werden, wenn die Reaktionen im geschlossenen Gefäß, d. h. bei konstantem Volumen durchgeführt werden. + Beispiel 5.4 Die Thermitreaktion ist stark exotherm: 2 Al(s) + Fe2O3(s) → 2 Fe(s) + Al2O3(s) ΔH = –848 kJ/mol Wie viel Wärme wird freigesetzt, wenn 36,0 g Aluminium mit überschüssigem Eisen(III)-oxid (Fe2O3) reagieren? n(Al) = m(Al) 36,0 g = 1,33 mol = M(Al) 27,0 g · mol–1 Wenn mit n(Al) = 2 mol ΔH = –848 kJ freigesetzt werden, sind es mit 1,33 mol Aluminium: 1,33 mol · (–848 kJ) = –565 kJ 2,00 mol 5.5 Der Satz von Hess Grundlage vieler kalorimetrischer Berechnungen ist das Gesetz der konstanten Wärmesummen, das 1840 von Germain H. Hess nach experimentellen Befunden formuliert wurde. Nach dem Hess-Satz ist die Reaktionsenthalpie einer Reaktion konstant, unabhängig davon, ob sie in einem Schritt oder über Zwischenstufen abläuft. Bei der Verbrennung von Graphit entsteht zum Beispiel Kohlendioxid: C(Graphit) + O2(g) → CO2(g) ΔH = –393,5 kJ/mol 64 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5.6 Bildungsenthalpien Der Prozess kann auch in zwei Schritten ablaufen: C(Graphit) + 12 O2 (g) CO(g) + 1 O (g) 2 2 C(Graphit) + O2 (g) → CO(g) ΔH = –110,5 kJ/mol → CO2 (g) ΔH = –283,0 kJ/mol → CO2 (g) ΔH = –393,5 kJ/mol Die Reaktionsenthalpien der beiden Teilschritte addieren sich zur Reaktionsenthalpie der Gesamtreaktion (Abb. 5.6). Durch die Möglichkeit, Reaktionsenthalpien additiv zu behandeln, können die Werte für bestimmte Reaktionen aus den Werten anderer Reaktionen berechnet werden. Zum Beispiel kann Methan (CH4) nicht direkt aus Graphit und Wasserstoff hergestellt werden. Die Reaktionsenthalpie für diesen Vorgang lässt sich aber mit Hilfe folgender Gleichungen berechnen: C(Graphit) + O2 (g) 2 H2 (g) + O2 (g) CO2 (g) + 2 H2 O(l) → CO2 (g) ΔH = –393,5 kJ/mol → 2 H2 O(l) ΔH = –571,8 kJ/mol → CH4 (g) + 2 O2 (g) ΔH = +890,4 kJ/mol C(Graphit) + 2 H2 (g) → CH4 (g) 5 Abb. 5.6 Enthalpie-Diagramm zur Veranschaulichung des Hess-Satzes. ΔH = –74,9 kJ/mol + Beispiel 5.5 Gegeben sind: 4 NH3 (g) + 3 O2 (g) → 2 N2 (g) + 6 H2 O(l) ΔH = –1531 kJ/mol (1) N2 O(g) + H2 (g) → N2 (g) + H2 O(l) ΔH = –367,4 kJ/mol (2) → H2 O(l) ΔH = –285,9 kJ/mol (3) H2 (g) + 1 O (g) 2 2 Welche Reaktionsenthalpie hat die Reaktion (4)? 2 NH3(g) + 3 N2O(g) → 4 N2(g) + 3 H2O(l) (4) Gleichung (4) ergibt sich additiv aus: 1 · [Gleichung 2 (1)] + 3 · [Gleichung (2)] – 3 · [Gleichung (3)]. Mit den gleichen Faktoren sind die ΔH-Werte zu versehen: ΔH = – 12 · 1531 – 3 · 367,4 + 3 · 285,9 kJ/mol = –1010,0 kJ/mol 5.6 Bildungsenthalpien Ein bequemer Weg, Reaktionsenthalpien zu berechnen, geht von tabellierten Werten aus, die wir Standard-Bildungsenthalpien nennen. Die Standard-Bildungsenthalpie ist der ΔH-Wert, der zur Bildung von 1 mol reiner Substanz aus den reinen Elementen unter Standard-Bedingungen gehört. Standard-Bedingungen bedeuten: Sowohl die Elemente (Reaktanden) wie die Verbindungen (Produkte) liegen bei Norm-Atmosphärendruck (101,3 kPa = 1,013 bar) und bei einer Standard-Temperatur vor, die in der Regel 25 °C (298 K) beträgt. Von den Elementen wird die bei 101,3 kPa und der Standard-Temperatur stabilste Form genommen. Kohlenstoff kommt zum Beispiel als Graphit und als Diamant vor; Graphit ist die stabilste Form, für die Umwandlung Graphit → Diamant gilt ΔH0 = +1,9 kJ/mol. Das Symbol ΔH0 dient allgemein zur Bezeichnung von Reaktionsenthalpien unter Standard-Bedingungen. ΔHf0 ist das Symbol für die Standard-Bildungsenthalpie. Soweit Standard-Bildungsenthalpien nicht direkt gemessen werden können, werden sie aus anderen thermochemischen Daten mit Hilfe des Hess-Satzes Definition . Standard-Bedingungen: Normdruck = 101,325 kPa Standard-Temperatur, meist 25 °C 65 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen Tab. 5.1 Einige Standard-Bildungsenthalpien bei 25°C und 101,3 kPa. Verbindung 5 –1 ΔHf0 /(kJ · mol ) Verbindung –1 ΔHf0 /(kJ · mol ) AgCl(s) –127,0 Al2O3(s) –1669,8 Fe2O3(s) BaCO3(s) –1218 HBr(g) –36,2 –588,1 HCl(g) –92,30 –1206,9 HCN(g) +130,5 BaO(s) CaCO3(s) CS2(l) +87,86 –822,2 CaO(s) –635,5 HF(g) –269 Ca(OH)2(s) –986,59 HgBr2(s) –169 Ca3P2(s) –504,17 HI(g) CF4(g) –913,4 HNO3(l) –173,2 H2O(g) –241,8 H2O(l) –285,9 –74,85 CH4(g) C2H2(g) +226,7 +25,9 C2H4(g) +52,30 H2S(g) –20,2 C2H6(g) –84,68 MgO(s) –601,83 C6H6(l) +49,04 NaCl(s) –411,0 –132 NF3(g) –113 H3CNH2(g) –28 NH3(g) CH3Cl(l) –46,19 H3COH(g) –201,2 NH4NO3(s) H3COH(l) –238,6 NO(g) –365,1 +90,37 H5C2OH(l) –277,6 NO2(g) +33,8 CO(g) –110,5 PH3(g) CO2(g) –393,5 SO2(g) –296,9 COCl2(g) –223 ZnO(s) –348,0 +9,25 berechnet. Die im Abschnitt 5.5 (s. oben) aufgeführte Berechnung für die Bildung von Methan aus Graphit und Wasserstoff ist eine solche Berechnung, d. h. der dort ermittelte Wert ist die Standard-Bildungsenthalpie des Methans, ΔHf0 = –74,9 kJ/mol. Weitere Werte für ΔHf0 sind in Tab. 5.1 aufgeführt. Standard-Reaktionsenthalpien können allgemein aus den Standard-Bildungsenthalpien der beteiligten Verbindungen berechnet werden. Zum Beispiel kann die Reaktionsenthalpie (25 °C, 101,325 kPa) für die Reaktion C2H4(g) + H2(g) → C2H6(g) aus den Standard-Bildungsenthalpien für Ethen, C2H4(g), und Ethan, C2H6(g), berechnet werden: 2 C(Graphit) + 2 H2 (g) → C2 H4 (g) ΔH0f = 52,30 kJ/mol 2 C(Graphit) + 3 H2 (g) → C2 H6 (g) ΔH0f = –84,68 kJ/mol Man formuliert die erste dieser Gleichungen in umgekehrter Richtung: C2H4(g) → 2 C(Graphit) + 2 H2(g) ΔH0 = –52,30 kJ/mol und addiert sie zur zweiten Gleichung; es bleibt: C2H4(g) + H2(g) → C2H6(g) ΔH0 = –136,98 kJ/mol 66 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5.6 Bildungsenthalpien < Der Wert ΔH0 der Reaktion ist somit nichts anderes als ΔH0 = ΔH0f (C2 H6 ) – ΔH0f (C2 H4 ) Allgemein gilt für beliebige Reaktionen: ΔH0 = ΔH0f (Produkte) – ΔH0f (Reaktanden) + Beispiel 5.6 Welche ist die Reaktionsenthalpie (25 °C, 101,3 kPa) der Reaktion 2 NH3(g) + 3 Cl2(g) → N2(g) + 6 HCl(g)? Mit den Werten aus Tab. 5.1 berechnet man: P 0 ΔHf (Produkte) = 6 ΔH0f (HCl,g) P 0 ΔHf (Reaktanden) = 2 ΔH0f (NH3 ,g) Für Cl2(g) und N2(g) sind die Werte null, da es sich um die Elemente in ihrer stabilsten Form handelt. ΔH0 = 6 ΔH0f (HCl,g) – 2 ΔH0f (NH3 ,g) = –6 92,30 – 2 (–46,19) kJ/mol = –461,4 kJ/mol Berechnung von Reaktionsenthalpien aus Standard-Bildungsenthalpien 1. Zuerst wird die chemische Reaktionsgleichung formuliert. 2. Man berechne X ΔH0f (Produkte) – ΔH0 = X ΔH0f (Reaktanden) 5 Bei der Bildung der Summe wird der ΔH0f -Wert jeder Verbindung mit dem zugehörigen Koeffizienten (Zahl der Mole) aus der Reaktionsgleichung multipliziert. Kommen in der Gleichung Elemente in ihrer normalen (stabilen) Form vor, so ist der zugehörige ΔH0f -Wert null. Der berechnete ΔH0-Wert gilt nur für StandardBedingungen. + Beispiel 5.7 Welche ist die Standard-Reaktionsenthalpie für die Reaktion Fe2 O3 (s) + 3 CO(g) → 2 Fe(s) + 3 CO2 (g)? ΔH0 = 3 ΔH0f (CO2 ,g) – [ΔH0f (Fe2 O3 ,s) + 3 ΔH0f (CO,g)] = –3 · 393,5 – [–822,2 – 3 · 110,5] kJ/mol = –26,8 kJ/mol + Beispiel 5.8 Mit Hilfe der Reaktion B2H6(g) + 6 H2O(l) → 2 H3BO3(s) + 6 H2(g) ΔH0 = –493,4 kJ/mol soll die Standard-Bildungsenthalpie für Diboran (B2H6) berechnet werden. ΔH0f (H3 BO3 ,s) = –1088,7 kJ/mol Es gilt: ΔH0 = 2 ΔH0f (H3 BO3 , s) – 6 ΔH0f (H2 O, l) – ΔH0f (B2 H6 , g) –493,4 kJ/mol = –2 1088,7 + 6 285,9 kJ/mol – ΔH0f (B2 H6 , g) ΔH0f (B2 H6 , g) = +31,4 kJ/mol 67 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen 5.7 Bindungsenergien Die Atome in Molekülen werden durch chemische Bindungen zusammengehalten (Näheres folgt in Kapitel 7 – 9). Die Energie, die zum Aufbrechen der Bindung eines zweiatomigen Moleküls benötigt wird, ist die Dissoziationsenergie. Die Energie wird in Kilojoule pro Mol Bindungen angegeben. Die Bindungsstriche in den folgenden Beispielen symbolisieren die chemische Bindung: 5 H — H(g) → 2 H(g) Cl — Cl(g) → 2 Cl(g) H — Cl(g) → H(g) + Cl(g) ΔH = +435 kJ/mol ΔH = +243 kJ/mol ΔH = +431 kJ/mol Die vorstehenden ΔH-Werte sind positiv, das Aufbrechen der Bindungen erfordert die Zufuhr von Energie. Die Dissoziation des H2-Moleküls erfordert den höchsten Energiebetrag, d. h. im H2-Molekül liegt die stärkste der drei aufgeführten Bindungen vor. Werden zwei Atome zu einem Molekül zusammengefügt, so wird der entsprechende Energiebetrag freigesetzt. Mit Hilfe der Werte von Dissoziationsenergien können die Reaktionsenthalpien für manche Reaktionen berechnet werden. + Beispiel 5.9 Berechnung der Reaktionsenthalpie für die Reaktion H2(g) + Cl2(g) → 2 HCl(g) aus den Dissoziationsenergien der beteiligten Moleküle: H—H(g) Cl—Cl(g) 2 H(g) + 2 Cl(g) H—H(g) + Cl—Cl(g) → 2 H(g) → 2 Cl(g) → 2 HCl(g) → 2 H—Cl(g) ΔH = 435 kJ/mol ΔH = 243 kJ/mol ΔH = –2 431 = –862 kJ/mol ΔH = –184 kJ/mol Die Reaktion ist somit exotherm. Die Betrachtung kann auf mehratomige Moleküle ausgedehnt werden. Bei der vollständigen Dissoziation eines Wasser-Moleküls müssen zwei H — O-Bindungen aufgebrochen werden: H—O—H(g) → 2 H(g) + O(g) ΔH = 926 kJ/mol Der ΔH-Betrag bezieht sich auf das Trennen von zwei Mol H — O-Bindungen. Die Hälfte des Betrags, 463 kJ/mol, ist die mittlere Bindungsenergie für eine H — OBindung. Werden die Bindungen nacheinander getrennt, so werden tatsächlich unterschiedliche Werte beobachtet: H—O—H(g) → H(g) + O—H(g) O—H(g) → H(g) + O(g) ΔH = 501 kJ/mol ΔH = 425 kJ/mol Die erste H — O-Bindung des Wasser-Moleküls erfordert mehr Energie zur Trennung als die zweite. Das Fragment, das nach Abtrennung eines H-Atoms verbleibt, das O — H-Molekül, ist weniger stabil als das Wasser-Molekül. Die tatsächlichen Energiebeträge für solche Einzelschritte sind für uns weniger wichtig; bei den Rechnungen bedienen wir uns der mittleren Bindungsenergie. 68 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5.7 Bindungsenergien + Beispiel 5.10 Wie groß ist die Reaktionsenthalpie für die Reaktion — 2 NH3(g) + 3 Cl — Cl(g) → N — — N(g) + 6 H — Cl(g)? Man betrachtet die aufzuwendenden Energiebeträge, um alle Bindungen aufzubrechen, und stellt sie den Beträgen gegenüber, die bei der Knüpfung der neuen Bindungen frei werden: 2 NH3 (g) 3 Cl2 (g) 2 N(g) 6 H(g) + 6 Cl(g) → 2 N(g) + 6 H(g) → 6 Cl(g) → N2 (g) → 6 HCl(g) ΔH = 6 389 ΔH = 3 243 ΔH ΔH = 6 (–431) 2 NH3 (g) + 3 Cl2 (g) → N2 (g) + 6 HCl(g) = 2334 kJ/mol = 729 kJ/mol = –941 kJ/mol = –2586 kJ/mol ΔH = –464 kJ/mol Der im Beispiel 5.6 (S. 67) berechnete Wert für die gleiche Reaktion (–461,4 kJ/mol) ist zuverlässiger als der aus den Bindungsenergien abgeleitete Wert. Die Stärke einer Bindung in einem Molekül hängt von der Struktur des Gesamtmoleküls ab. Die Bindungsenergie eines bestimmten Bindungstyps in verschiedenen Molekülen, die diese Bindung enthalten, ist nicht die gleiche. Zum Beispiel ist die Bindungsenergie einer H — O-Bindung im H — O — H-Molekül nicht die gleiche wie in einem H — O — Cl-Molekül. Die in Tab. 5.2 angegebenen Werte sind Mittelwerte; ΔH-Werte, die damit berechnet werden, sind Schätzwerte. In manchen Molekülen sind Atome durch Mehrfachbindungen miteinander verknüpft. Je nach Molekül können zwei Stickstoff-Atome zum Beispiel durch — — oder eine dreifache (N — eine einfache (N — N), eine doppelte (N —N) — N) Bindung verbunden sein. Wie man den Werten in Tab. 5.2 entnehmen kann, nimmt die Bindungsenergie in der Reihenfolge zu: Einfachbindung < Doppelbindung < Dreifachbindung Beim Umgang mit Bindungsenergien ist zu beachten: ● Alle hier angegebenen Werte sind nur auf gasförmige Verbindungen anwendbar. ● Mit mittleren Bindungsenergien berechnete ΔH-Werte sind nur Schätzwerte. ● In manchen Molekülen liegen besondere Verhältnisse vor, die eine Anwendung mittlerer Bindungsenergien nicht zulassen. Tab. 5.2 Dissoziationsenergien von zweiatomigen Molekülen und mittlere Bindungsenergien für mehratomige Moleküle im gasförmigen Zustand. Bindung Bindungsenergie/ (kJ · mol–1) Br — Br 193 C —C 347 —C C— 619 — C— —C 812 C — Cl 326 C —F 485 C —H 414 C —N 293 —N C— 616 — C— —N 879 C —O 335 —O C— 707 Cl — Cl 243 F —F 155 H — Br 364 H — Cl 431 H —F 565 H —H 435 H —I 297 I —I 151 N — Cl 201 N —H 389 N —N 159 —N N— 418 — N— —N 941 O — Cl 205 O —F 184 O —H 463 O —O 138 O2 494 P — Cl 326 P —H 318 S — Cl 276 S—H 339 S—S 213 5 69 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen : Übungsaufgaben (Lösungen s. S. 639) 5.11 Wie groß ist die Reaktionsenergie für Kalorimetrie C(Graphit) + 12 O2 (g) → CO(g) 5.1 Welche Wärmekapazität haben 325 g Wasser bei 20 °C? 5 5.2 Wie viel Kilojoule Wärme benötigt man, um 1,50 kg Wasser von 22,00 auf 25,00 °C zu erwärmen? 5.3 Welche ist die spezifische Wärme von Alkohol, wenn 129 J benötigt werden, um 15,0 g von 22,70 auf 26,20 °C zu erwärmen? 5.4 Welche ist die spezifische Wärme von Eisen, wenn 186 J benötigt werden, um 165 g von 23,20 auf 25,70 °C zu erwärmen? ΔH0 = –110,5 kJ/mol? Bei den Standardbedingungen nimmt 1 mol CO ein um 12,2 L größeres Volumen ein als 12 mol Sauerstoff. 5.12 Bei der Verbrennung von 1,000 g Benzol, C6H6(l), mit O2 wird CO2(g) und H2O(l) erhalten, und es wird eine Wärmemenge von 41,84 kJ freigesetzt. Formulieren Sie die thermochemische Gleichung für die Verbrennung von einem Mol C6H6(l). 5.13 Welche Wärmemenge wird freigesetzt, wenn 1,000 g Hydrazin, N2H4(l), verbrennt? N2 H4 (l) + O2 (g) → N2 (g) + 2 H2 O(l) ΔH = –622,4 kJ/mol 5.5 Blei hat eine spezifische Wärme von 0,129 J · g–1K–1. Wie viel Joule benötigt man, um 207 g Blei von 22,25 auf 27,65 °C zu erwärmen? 5.14 Die alkoholische Gärung von Glucose (C6H12O6) verläuft gemäß: 5.6 Nickel hat eine spezifische Wärme von 0,444 J · g–1K–1. Wenn 32,3 g Nickel 50,0 J zugeführt werden, welche Temperatur erreicht es, wenn die Anfangstemperatur 23,25 °C war? Welche Wärmemenge wird umgesetzt, wenn ein Liter Wein entsteht, der 95,0 g Alkohol (H5C2OH) enthält? Ist die Reaktion exo- oder endotherm? 5.7 1,45 g Essigsäure (CH3CO2H) wurden mit überschüssigem Sauerstoff in einem Bombenkalorimeter verbrannt. Das Kalorimeter selbst hat eine Wärmekapazität von 2,67 kJ/K und enthält 0,750 kg Wasser. Es wurde eine Temperaturerhöhung von 24,32 auf 27,95 °C beobachtet. Welche Wärmemenge wird bei Verbrennung von 1,00 mol Essigsäure frei? 2 NaN3 (s) → 2 Na(s) + 3 N2 (g) 5.8 Bei der Verbrennung von 2,30 g Benzochinon (C6H4O2) in einem Bombenkalorimeter wurde eine Temperaturerhöhung von 19,22 auf 27,07 °C beobachtet. Das Kalorimeter selbst hat eine Wärmekapazität von 3,27 kJ/K und enthält 1,00 kg Wasser. Welche Wärmemenge wird bei der Verbrennung von 1,00 mol Benzochinon frei? 5.9 Bei der Verbrennung von Glucose (C6H12O6) wird eine Energie von 2,82 · 103 kJ/mol freigesetzt. 1,25 g Glucose wurden in einem Kalorimeter verbrannt, das 0,950 kg Wasser enthält, wobei ein Temperaturanstieg von 20,10 nach 23,25 °C beobachtet wurde. Welche Wärmekapazität hat das Kalorimeter? Thermochemische Gleichungen ΔH = –67,0 kJ/mol 5.15 Die Zersetzung von Natriumazid verläuft nach ΔH = + 42,7 kJ/mol. Welcher ist der ΔH-Wert, um 1,50 kg N2(g) zu erhalten? Muss Wärme zugeführt werden oder wird sie frei? Hess-Satz 5.16 Berechnen Sie ΔH für die Reaktion CS2 (l) + 2 H2 O(l) → CO2 (g) + 2 H2 S(g) mit Hilfe der Gleichungen H2 S(g) + 32 O2 (g) → H2 O(l) + SO2 (g) CS2 (l) + 3 O2 (g) → CO2 (g) + 2 SO2 (g) ΔH = –562,6 kJ/mol ΔH = –1075,2 kJ/mol 5.17 Berechnen Sie ΔH für die Reaktion 2 NF3 (g) + Cu(s) → N2 F4 (g) + CuF2 (s) mit Hilfe von: 2 NF3 (g) + 2 NO(g) → N2 F4 (g) + 2 ONF(g) ΔH = –82,9 kJ/mol NO(g) + 12 F2 (g) → ONF(g) ΔH = –156,9 kJ/mol Cu(s) + F2 (g) → CuF2 (s) ΔH = –531,0 kJ/mol 5.18 Berechnen Sie ΔH für die Reaktion 5.10 Bei der Reaktion NH4 NO3 (s) → N2 O(g) + 2 H2 O(l) C6 H12 O6 (s) → 2 H5 C2 OH(l) + 2 CO2 (g) B2 H6 (g) + 6 Cl2 (g) → 2 BCl3 (g) + 6 HCl(g) ΔU = –127,5 kJ/mol wird bei einem Druck p = 95,00 kPa 1 mol Lachgas (N2O) mit einem Volumen von 26,09 L gebildet. Wie groß ist die Reaktionsenthalpie? mit Hilfe von: BCl3 (g) + 3 H2 O(l) → H3 BO3 (s) + 3 HCl(g) ΔH = –112,5 kJ/mol B2 H6 (g) + 6 H2 O(l) → 2 H3 BO3 (s) + 6 H2 (g) ΔH = –493,4 kJ/mol 1 H (g) + 12 Cl2 (g) → HCl(g) ΔH = –92,3 kJ/mol 2 2 70 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG Übungsaufgaben 5.19 Berechnen Sie ΔH für die Reaktion Bindungsenergien 2 P(s) + 2 SO2 (g) + 5 Cl2 (g) → 2 SOCl2 (l) + 2 POCl3 (l) 5.24 Berechnen Sie die Bildungsenthalpie für Fluorwasserstoff, HF(g), mit Hilfe der mittleren Bindungsenergien (Tab. 5.2, S. 69). Vergleichen Sie das Ergebnis mit dem Wert aus Tab. 5.1 S. 66. mit Hilfe von: SOCl2 (l) + H2 O(l) PCl3 (l) + 12 O2 (g) P(s) + 32 Cl2 (g) 4 HCl(g) + O2 (g) → SO2 (g) + 2 HCl(g) → POCl3 (l) → PCl3 (l) → 2 Cl2 (g) + 2 H2 O(l) ΔH = +10,3 kJ/mol ΔH = –325,1 kJ/mol ΔH = –306,7 kJ/mol ΔH = –202,6 kJ/mol Bildungsenthalpien XeF2 (g) + H2 (g) → 2 HF(g) + Xe(g) 5.20 Formulieren Sie die thermochemischen Gleichungen, die zu folgenden Standard-Bildungsenthalpien gehören: a. AgCl(s) –127 kJ/mol +33,8 kJ/mol b. NO2(g) –1206,9 kJ/mol c. CaCO3(s) +87,9 kJ/mol d. CS2(l) 5.21 Verwenden Sie Standard-Bildungsenthalpien (Tab. 5.1, S. 66), um ΔH0 für folgende Reaktionen zu berechnen: → 2 H2 O(l) + 2 SO2 (g) a. 2 H2 S(g) + 3 O2 (g) → 2 Fe(s) + 3 H2 O(g) b. Fe2 O3 (s) + 3 H2 (g) c. 2 NH3 (g) + 2 CH4 (g) + 3 O2 (g) → 2 HCN(g) + 6 H2 O(l) d. Verbrennung von Methanol, H3COH(l), in O2(g) unter Bildung von CO2(g) und H2O(l). 5.22 Berechnen Sie mit Hilfe der Werte aus Tab. 5.1 (S. 66) und der Reaktionsgleichung aus Aufgabe 5.13 die StandardBildungsenthalpie für Hydrazin (N2H4). 5 5.25 Berechnen Sie die mittlere Bindungsenergie der Xe — FBindung in XeF2(g) mit Hilfe der mittleren Bindungsenergien (Tab. 5.2) und der Gleichung ΔH = –430 kJ/mol 5.26 Verwenden Sie mittlere Bindungsenergien (Tab. 5.2), um ΔH für folgende Reaktionen zu berechnen: a. b. c. 5.27 Berechnen Sie ΔH0 für die in Aufgabe 5.26 c genannte Reaktion mit Hilfe der Standard-Bildungsenthalpien (Tab. 5.1, S. 66). Vergleichen Sie die Ergebnisse. 5.23 Berechnen Sie die Standard-Bildungsenthalpie für Calciumcyanamid, CaCN2(s), mit Hilfe der Werte aus Tab. 5.1 und der Gleichung CaCO3 (s) + 2 NH3 (g) → CaCN2 (s) + 3 H2 O(l) ΔH0 = +90,1 kJ/mol 71 aus: Mortimer u. a., Chemie (ISBN 9783134843125) © 2015 Georg Thieme Verlag KG