EIN FALL VON NIERENBECKEN

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AUS DER PROVINZIALKRANKENHAUSE ZC SOLLEPTEÂ (CHEFARZT PRIVATDOZENT DR. MED.
EINAR L J U X G G R E N ) UND AUS DER PATHOLOGISCH-ANATOMISCHEN ABTEILUNG DES MARIA
KRANKENHAUSES ZU STOCKHOLM (VORSTAND DR. FREDRIK W A I I L G R E N )
EIN FALL VON NIERENBECKEN- UND HARNLEITER­
TUBERKULOSE OHNE NACHWEISBARE
TUBERKULOSE DER NIERE 1
von
Einar
Ljtinggren
und Fredrik
Wahlgren
Die Tuberkulose des Harnleiters ist in annähernd allen Fällen eine
Folge- und Begleiterscheinung einer Nierentuberkulose derselben Seite.
Es finden sich jedoch in der Literatur seltene Fälle beschrieben, in denen
der Harnleiter den ersten Erkrankungsherd aufweist.
ROVSING und BARTH haben einen Fall von isolierter Ureteritis tuberculosa bei Einbruch einer tuberkulösen Samenblase bzw. eines ver­
kästen Vas deferens in den Harnleiter mitgeteilt. In diesem Fall ist die
tuberkulöse Infektion durch direktes übergreifen von der Umgebung
zustande gekommen.
BAETZNER und B R E K K E haben je einen Fall von Ureter- und Blasen­
tuberkulose ohne nachweisbare Tuberkulose der Niere mitgeteilt. In
dem Fall BAETZNERS wurden typische tuberkulöse Veränderungen
(grauweisse Knötchen) an der einen Uretermündung nachgewiesen. In
BREKKES Fall waren die Uretermündungen normal, aber unmittelbar
hinter und medial von der einen wurde eine Ulcération (1 : l 1 / 2 cm.)
nachgewiesen. I n d e m Fall BAETZXERS war Tierversuch aus dem Harn
des betreffenden Harnleiters positiv. In B R E K K E S Fall wurden Tuber­
kelbazillen im Blasenharn und Leukozyten im Ureterharn nachgewiesen.
Am letzterem wurde keine Untersuchung auf Tuberkelbazillen vorge­
nommen. In beiden Fällen war der Harn vom anderen Ureter normal.
Bei beiden Patienten wurde Nephrektomie ausgeführt, und bei anato­
mischer Untersuchung der exstirpierten Nieren erwiesen sich diese als
makroskopisch und mikroskopisch gesund. Über das Aussehen des
obersten Teiles des Ureters, der bei der Operation wohl wie gewöhnlich
1
Bei dor Bed. am 3. X I . 1936 eingegangen.
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EINAR LJCNGGEEN UXD FREDRIK WAHLSREN
mit der Niere exstirpiert wurde, ist dagegen nichts angegeben, ein Ver­
halten, das dahin gedeutet werden muss, dass er keine Zeichen von
Tuberkulose aufwies.
In beiden Fällen zeigten spätere Kontrolluntersuchungen, dass die
Blasenveränderungen verschwunden waren, und der Harn keine Tuber­
kelbazillen mehr enthielt. BREKKE ist der Ansicht, dass der tuberkulöse
Prozess in seinem Falle im Harnleiter begonnen und sekundär auf die
Blase übergriffen hatte. BAETZNER dagegen glaubt nicht, dass bei seinem
Fall eine primäre, hämatogene Infektion des Harnleiters vorgelegen hat,
er meint vielmehr, »es dürfte sich demnach hier um den seltenen Fall
handeln, dass eine Niere, ohne selbst nachweisbar anatomisch geschädigt
zu sein, Tuberkelbazillen ausschied, die sich erst am Ureter festsetzten».
Wir haben kürzlich einen durch mikroskopische Untersuchung verifi­
zierten Fall von Tuberkulose im oberen Teil des Harnleiters und in der
Nierenbeckenschleimhaut nächst der Abgangsstelle des Harnleiters be­
obachtet, in dem weder in der Niere noch in den übrigen Teilen der
Nierenbeckenschleimhaut Tuberkulose nachweisbar war. I)a wir in der
Literatur einen derartigen Fall mit dieser Lokalisation der Tuberkulose
nicht gefunden haben, hielten wir unseren Fall einer näheren Mitteilung
wert.
A. E., 17jähriges Mädchen.
Aufgenommen
am. 15. VII.
1935.
Anamnese: Pat. war bis zum Aug. 1933 gesund gewesen. Um diese Zeit wurde
Lungentuberkulose konstatiert. Seitdem Sanatoriumbehandlung. Seit ungefähr 14
Tagen hatte Pat. etwas Brennen bei der Harnentleerung. Im Urin wurden Tuberkel­
bazillen und Leukozyten konstatiert.
St. fr.: Allgemeinzustand gut. Röntgenuntersuchung der Lungen zeigt auf beiden
Seiten ausgebreitete, weit fortgeschrittene tuberkulöse Veränderungen. Der Bauch
weich. Die Nieren nicht palpabel. Blutkörperchensenkungsreaktion 13 mm. in einer
Stunde.
Zystoshopie: Etwas gesteigerte Gefässinjektion in der Blasenschleimhaut. Die
rechte Uretermündung vollständig normal, die linke etwas gerötet. Beide Ureteren
wurden katheterisiert.
Der Harn vom I. Ureter fast klar. I m Sediment wurde eine massige Zahl von weissen
Blutkörperchen und Tuberkelbazillen nachgewiesen.
Der Harn vom r. Ureter: Im Sediment einzelne weisse Blutkörperchen. Keine Tuber­
kelbazillen.
17. VII. Ausscheidungsurographie (mit Kompression) (Abb. I): 1 Beide Nieren­
schatten von normaler Grosse. Die Nierenbecken und die obere Hälfte der Harnleiter
sind beiderseits gut mit Kontrast gefüllt. An der rechten Seite; haben sie ein völlig
normales Aussehen. Auf der linken Seite scheint der oberste Kelch etwas elongiert und
hat einen leicht bogenförmigen Verlauf. Der linke Harnleiter ist normal weit, mit Aus­
nahme der obersten 2 cm., wo sein Lumen deutlich verengt ist.
1
Die Röntgenuntersuchungen sind \ron dem Vorstand der Röntgenabteilung des
Krankenhauses zu Sundsvall, Dr, ARVID LUXDQVIST, ausgeführt.
EIN' FALL VON NIERENBECKEN- UND HARNLEITERTUBERKULOSE
Abb.
1. Ausscheidungsurographie.
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Abb. 2. Retrograde Pyelographie
der linken Seite.
20. VII. Retrograde Pyelographie der linken Seite. Der oberste Kelch ist etwas
unvollständig ausgefüllt. Die oben erwähnte Verengung im obersten Teil des Harn­
leiters tritt jetzt markierter hervor. Die Kontur in diesem Gebiet ist auch etwas
ungleichmässig.
23. VII. Nephrec.lomia sin. (LJUXGGRKX). Die Niere Hess sich leicht herausluxieren.
Sie war von normaler Grosse. Der obere Teil des Harnleiters erheblich verdickt.
30. VII. Patienten geheilt entlassen.
Pathologische Anatomie. (F. WAHLGREN) — Die exstirpierte Niere
ist von gewöhnlicher Grosse. Ihre Oberfläche ist, abgesehen von zurück­
gebliebener fetaler Lappung, glatt, nirgends sind narbige Einziehungen
auf ihr zu sehen. Die Binde hat die gewöhnliche Breite und ist auf dem
fixierten Präparat blass grau. Sie zeigt keine deutliche Zeichnung.
Die Grenze zwischen Kinde und Mark ist überall scharf und tritt deut­
lich hervor. Das Mark ist blass braun. Weder mit blossem Auge noch
bei Untersuchung mittels Lupe sind Veränderungen im Nierenparenehym
zu sehen. Etwa 10 Stücke, sämtliche Papillen umfassend, werden zur
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EINAR UUNGGREN UND FREDRIK WAHLGREN
histologischen Untersuchung den verschiedenen Teilen der Niere ent­
nommen.
Das Nierenbecken ist leicht diffus erweitert. Die Schleimhaut der
Kelche und des grösseren Teiles des Nierenbeckens ist grauweiss, ohne
Knötchen und Blutungen. Am Nierenbeckenausgang und im oberen
Teil des Harnleiters ist die Wand deutlich verdickt und starr. (Abb. 3.)
Rings um die Abgangsstelle des Harnleiters findet sich in der Nieren­
beckenschleimhaut ein etwa 5 mm breites Geschwür, das sich ca. 2 cm
in den oberen Teil des Harnleiters fortsetzt. Der Geschwürboden ist fein
granuliert und von gelblich-weisser Farbe. Der
Geschwürrand ist deutlich gekerbt, aber nicht auf­
getrieben.
Histologische Untersuchung. In sämtlichen, der
Niere entnommenen Stücken, wovon sehr zahl­
reiche Schnitte untersucht worden sind, zeigt das
Nierenparenchym ein völlig normales Aussehen,
und nirgends finden sich weder, tuberkulöse Ver­
änderungen, noch Narben als Zeichen event, ausAbb. 3. Der veränderte geheilter tuberkulöser Herde, oder gar entzünd­
oberste Teil des Ham- liehe Zellinfiltration mit nicht spezifischem Aus­
leiters nebst dem anlie- sehen. In den Kelchen und im oberen Teil des
genden Teil des Nieren- Nierenbeckens ist das Epithel der Schleimhaut
überall gut erhalten, und auch hier ist keine ent­
zündliche Zellinfiltration zu sehen. Auch die äusseren Wandschichten
sind ohne bemerkenswerte Veränderungen.
Mikroskopische Untersuchung der Ulcération am Nierenbeckenaus­
gang und im oberen Teil des Harnleiters zeigt eine erhebliche Wandver­
dickung. Das Epithel der Schleimhaut ist hier ganz zerstört, und die
Schleimhaut nebst der Submucosa ist von histologisch typisch tuberku­
lösem Granulationsgewebe mit Tuberkeln, Riesenzellen vom Langhansschen Typus, und stellenweise recht verbreiteten käsigen Nekrosen durch­
wachsen. In diesem Granulationsgewebe wurden Tuberkelbazillen nach­
gewiesen. Die innere Muskelschicht ist auch teilweise durch den tuber­
kulösen Prozess zerstört. Die äussere Muskelschicht ist ödematös auf­
gelockert, und die Muskelstreifen sind infolgedessen auseinanderge­
sprengt. Das Gewebe ist von recht zahlreichen entzündlichen Zellen,
meistens Lymphozyten, diffus durchsetzt. Das lockere Bindegewebe
ausserhalb der eigentlichen Ureterwand ist ebenfalls ödematös und von
zerstreuten entzündlichen Zellen durchsetzt. Die Gefässe zeigen keine
bemerkenswerten Veränderungen.
Wie anzunehmen ist, entstehen tuberkulöse Veränderungen im Nieren­
becken oder Ureter auf eine der untenstehenden Arten:
EIN FALL VON NIERENBECKEN- UND HARNLEITERTUBERKULOSE
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1) Durch sekundäre Infektion von tuberkulösen Herden vorn Nierenparenehym aus.
2) Durch Ausscheidung von Tuberkelbazillen durch die Niere, die
in diesem Organ keine Veränderungen erzeugt haben.
3) Auf ascendierendem Wege von einer tuberkulösen Affektion in der
Blase oder in den Genitalorganen aus.
4) Durch direktes Übergreifen von tuberkulösen Prozessen in den
retroperitonealen Lymphdrüsen oder in der Wirbelsäule auf das
Nierenbecken bzw. die Ureterwand, oder durch Verbreitung derar­
tiger Prozesse über die Lymphwege in rétrograder Pachtung.
5) Durch direkte hämatogene Infektion.
Die Alternative 1 ist, wie bereits erwähnt, die zweifellos häufigste.
Wir haben nun die Niere mittels Lupe genau durchforscht und eine grosse
Anzahl Schnitte von sämtlichen Papillen der Niere histologisch unter­
sucht, ohne tuberkulöse Veränderungen oder Narben als Zeichen event,
ausgeheilter tuberkulöser Herde gefunden zu haben. Daher sehen wir
uns in diesem Fall berechtigt, diesen Weg der Infektion auszuschliessen,
auch wenn ein völliger Beweis dieses Punktes Serienschnitte von der
ganzen Niere erfordert hätte. Dass der tuberkulöse Prozess hier auf das
Nierenbecken rings um die Abgangsstelle des Harnleiters und auf den
oberen Teil des Ureters lokalisiert ist, die übrigen Teile des Nierenbeckens
nebst den Kelchen hingegen frei von Veränderungen sind, scheint uns
gewissermassen auch gegen diesen Infektionsweg zu sprechen.
Für die Alternative 3 und 4 lassen sich weder klinische noch röntgenologische Stützen in diesem Fall heranziehen.
Die Frage, ob Tuberkelbazillen durch eine Niere ausgeschieden wer­
den können, ohne dass tuberkulöse Veränderungen in diesem Organ ent­
stehen (sog. Tuberkelbazillurie), ist der Gegenstand vieler Erörterungen
gewesen. Gewisse Autoren, wie KIELLEUTHNER U. a., haben mit Bestimmt­
heit die Ansicht verfochten, dass dies der Fall sein kann, andere dagegen
(z. B. DIMITZA und SCHAFFHAUSER) haben diese Möglichkeit in Abrede
gestellt. Wir wollen jedoch zu dieser Frage nicht Stellung nehmen, da sie
uns eine weitere Klarstellung zu erfordern scheint.
Es dürfte nicht möglich sein, festzustellen, ob die Nierenbecken- und
Uretertuberkulose in diesem Falle dadurch entstanden ist, dass Tuberkel­
bazillen durch die anatomisch unveränderte Niere ausgeschieden, oder
durch direkte hämatogene Infektion des Nierenbeckens bezw. des Ure­
ters von dem tuberkulösen Lungenprozesse der Patientin aus hervorge­
rufen worden sind. Uns erschient dieser letzte Infektionsweg jedoch der
wahrscheinlichste.
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BINAR LJUNGGREN UND l'REDRIK WAHI.GREN
Zü S AMMEN FAS S UN G
Verf. berichten über einen Fall von Tuberkulose im oberen Teil des Ureters sowie
im Nierenbecken rings um die Abgangsstelle des Ureters ohne nachweisbare Tuberkulose
der Niere oder der übrigen Teile des Nierenbeckens bei einem 17jährigen Mädchen mit
doppelseitiger Lungentuberkulose. Nach Ansicht der Verf. hat es sich in diesem Falle
aller Wahrscheinlichkeit nach um eine direkte hämatogene Infektion des Ureters bezw.
des Nierenbeckens von dem tuberkulösen Lungenprozesse aus gehandelt. Die Verf. meinen
andererseits, es sei nicht mit Sicherheit auszuschliessen, dass der tuberkulöse Prozess
durch Tuberkelbazillen verursacht sei, die durch die anatomisch unveränderte Niere
ausgeschieden worden waren.
SUMMARY
The authors report a case of tuberculosis in the upper portion of the ureter and in
the renal pelvis around the entrance to the ureter with no demonstrable tuberculous
lesions in the rest of the kidney or its pelvis. The patient was a girl aged 17 years with
bilateral pulmonary tuberculosis. The authors consider it probable that this was a
direct heomatogenous infection of the ureter and renal pelvis from the pulmonary process.
On the other hand the authors cannot exclude for certain the possibility that the renal
lesions were produced by tubercle bacilli excreted through the anatomically uninjured
organ (so-called tubercle bacilhiria).
RESUME
Les auteurs signalent un cas de tuberculose de la partie supérieure de l'uretère, sans
altération tuberculeuse décable du rein ou des autres parties du bassinet, chez une jeune
fille de 17 ans atteinte de tuberculose pulmonaire. Les auteurs considèrent que dans ce
cas il s'est vraisemblement agi d'une infection hématogène directe de l'ur'tère, respective­
ment du bassinet, depuis le foyer pulmonaire. D'autre part les auteurs considèrent que
l'on ne peut pas exclure avec certitude que le processus tuberculeux n'ait été provoqué
par des bacilles de KOCH éliminés par le rein anatomiquement intact (bacillurie tubercu­
leuse).
SCHRIFTTUM
BAETZNEE: Diagnostik der chir. Nierenkrankheiten (1921).
BEEKKE: Mod. Rev. (norw.) 38 (1921).
DiiiiTZA und SCHAFFHAUSER: Z. urol. Chir. 35 (1932).
KIELLEUTHNEB: Fol. Urol. VII (1912).
ROVSING und
BARTH, zit.
nach H E N K E und
LUBAESCH.
HENKE und LUBAESCH: Handbuch der spez.-pathol. Anatomie und Histologie (1934).
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