Institut für Philosophie Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften SS 2013 | mittwochs | 15:45–17:15 Uhr s.t. | Raum: 20.12-110 Beginn: 17. April 2013 | Ende: 17. Juli 2013 Seminar Psychoanalyse PD Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen Kommentar Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches. Sigmund Freud∗ ›Was Es ist soll Ich werden‹, die programmatische Formel der Psychoanalyse war, ganz im Stile der Zeit, der sie entstammt, viel zu triebhydraulisch und pornographisch gedeutet worden. Nietzsche, den Freud um manchen seiner Geniestreich beneidet hat, ist auch darin dem Nestor der Psychoanalyse ein weiteres Mal zuvor gekommen, weil sich das Prinzip leicht in die Übermenschen–Formel übersetzen ließe, die dann lauten würde: Was Es ist, sollte dereinst einmal zum Ich werden können. Freud war, bevor er erst im Jahre 1923 in einer letzten Schrift zur Metapsychologie das allgemein bekannte Drei–Instanzen–Modell entwickelte, von der ebenfalls weithin bekannten Unterscheidung zwischen dem Unbewußten und dem Bewußten ausgegangen. — Gleich zu Beginn dieser programmatischen Schrift wird konstatiert, daß die vormalige Unterscheidung des Psychischen in Bewußtes und Unbewußtes weiterhin gelten soll, denn die Psychoanalyse könne das Psychische gar nicht ins Bewußtsein verlegen, sondern sehe im Bewußtsein nur eine mögliche Qualität des Psychischen, die eben zu anderen Qualitäten mit hinzukommen oder aber auch wegbleiben könne.2 ∗ 2 Sigmund Freud: Die Traumdeutung. Leipzig und Wien 1900. S. 111. Sigmund Freud: Das Ich und das Es. In: Gesammelte Werke. Bd. 13. S. 238. 1 PD Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen: Psychoanalyse – Seminar | SS 2013 Den meisten philosophisch Gebildeten sei die Idee eines Psychischen, das nicht auch bewußt sei, unfaßbar. Bewußt sein sei aber zunächst ein rein deskriptiver Terminus, der sich lediglich auf die unmittelbarste und sicherste Wahrnehmung berufe. Es sei aber charakteristisch, daß eben dieser Zustand des Bewußtseins rasch wieder vorübergehe. Die Psychoanalyse gründe ihre Vorstellung vom Unbewußten daher aus ihrer Lehre der Verdrängung.1 — Das ist allerdings heikel, denn daraus würde folgen, daß wichtig und wesentlich für uns sein könnte, was uns gar nicht bewußt ist, sondern was wir vielmehr längst verdrängt haben. Es ist auffällig, wie sehr es Freud darauf ankommt, seine Psychoanalyse als in sich geschlossene Theorie zu entwickeln, als ›reine‹ Lehre. Es ist ferner interessant, welcher Weg gewählt wird, das Verhältnis zwischen Bewußtsein und Unbewußtem zu thematisieren, indem die Lehre auf sich selbst Bezug nimmt. Das ist schon eine manifeste Immunisierungsstrategie, wenn einfach darauf verwiesen wird, man habe eben die besseren Gründe auf seiner Seite, weil man schließlich über Erfahrung in Traumanalyse und Hypnose verfüge. Schlußendlich wird dann der Begriff des Unbewußten auf eine Weise definiert, so daß bei dieser Gelegenheit die Lehre auf sich selbst Bezug nehmen kann. Der Nestor der Psychoanalyse igelt sich beim Aufbau seiner Lehre in eine Theorie ein, die vor allem eines gestattet, jeden Zugriff von außen unmöglich zu machen. Ein solches theoretisches Immunisierungsmanöver zeigt sich in der folgenden Sentenz: Unseren Begriff des Unbewußten gewinnen wir also aus der Lehre von der Verdrängung. Das Verdrängte ist uns das Vorbild des Unbewußten. Wir sehen aber, daß wir zweierlei Unbewußtes haben, das latente, doch bewußtseinsfähige, und das Verdrängte, an sich und ohne weiteres nicht bewußtseinsfähige, (...)... so daß wir drei Termini haben, bewußt, vorbewußt und unbewußt, deren Sinn nicht mehr rein deskriptiv ist.2 Im weiteren Verlauf der psychoanalytischen Arbeit habe sich jedoch herausgestellt, daß auch diese Unterscheidungen unzulänglich seien: Wir erkennen, daß das Unbewußte nicht mit dem Verdrängten zusammenfällt; es bleibt richtig, daß alles Verdrängte unbewußt ist, aber nicht alles Unbewußte ist auch verdrängt.3 So wird dann das Unbewußte mehr und mehr zum Medium, in dem sich unterschiedliche Bewußtseinsqualitäten herausbilden. Instanzen, die in Korrespondenz miteinander stehen, und die durchaus Konflikte miteinander austragen. Das Modell entwickelt Freud dann anhand der Metapher von Roß und Reiter, die durchaus wieder anschlußfähig ist mit den Theorien über die Seele wie etwa bei Platon oder auch Aristoteles. Das Bild vom Seelenwagen impliziert dann bereits, daß mit verschiedenartigen Anteilen zu rechnen ist. Die Unterscheidung zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten wird dann auch auf diese Differenz gebracht, zwischen einem menschlichen und einem tierischen Anteil in der Seele zu unterscheiden. 1 Ebd. vgl. S. 240. Ebd. S. 141. 3 Ebd. S. 244. 2 2 PD Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen: Psychoanalyse – Seminar | SS 2013 Schnell ergibt sich darauf die Metapher, wonach die Seele sich ausnimmt wie ein Mensch, der auf einem Tier reitet. Genau das entspricht allerdings der Dramaturgie vom Seelenwagen bei Platon. Wir sind demnach nicht nur einfach dieser konkrete Mensch, sondern eben auch dieses Tier. Dann entwickelt Freud seine Kategorien: Die Wichtigkeit des Ich komme darin zum Ausdruck, daß ihm normalerweise die Herrschaft über die Motilität eingeräumt sei. — Wieder ist es ein seltsamer Zugang, weil Motilität im medizinischen Sinne die Bewegungsfähigkeit bezeichnet aber nicht mehr, nichts darüber hinaus, nicht das, worauf es ankäme. Darauf folgt das Bild, wohl eher bezogen auf ein Wildpferd, daß der ›Zähmung‹ bedarf, also ›zugeritten‹ werden muß. Auch André Brouillet: Une leçon de Charcot à La Salpêtrière, das ist wieder eine problemati- 1887. — Jean-Martin Charcot (1825-1893) demonstriert sche Referenz an den Zeitgeist die Wirkung der Hypnose an einer ›Hysterikerin‹, der Paseiner Epoche. Insbesondere ist tientin ›Blanche‹ (Blanche Wittmann), Charcot hinteres ein Entgegenkommen einer fragte seine eigenen Arbeiten zur Hysterie gegen Ende seiPrügel–Pädagogik gegenüber, die nes Lebens. Siehe hierzu: Erläuterungen zur Fotographie. [Public domain], via Wikimedia Commons. seinerzeit allenthalben damit arbeitete, Willen einfach nur zu brechen. In den sogenannten Trieben wurde generell etwas Bösartiges gesehen, eine zu bezähmende ›natürliche Energie‹, die man nur umlenken müsse, wie bei einer Dampfmaschine, die mit dem Druck im Kessel eine Bewegungsenergie erzeugt, die sich über Treibriemen auf Maschinen umlenken läßt, die sodann nützliche Arbeit verrichten. Das Ich gleiche im Verhältnis zum Es einem Reiter, so Freud, der die überlegene Kraft des Pferdes zügeln soll, mit dem Unterschied, daß der Reiter dies mit eigenen Kräften versucht, das Ich mit geborgten. Wie dem Reiter, will er sich nicht vom Pferde trennen, oft nichts anderes übrig bleibt, als es dahin zu führen, wohin es gehen will, so pflegt auch das Ich den Willen des Es in Handlung umzusetzen, als ob es der eigene wäre.1 Es läßt sich bereits vorausahnen, was geschieht. Diese Metaphorik gibt der ganze Theorie ihre Richtung vor: Mit diesem Reiter geht dieses viel zu wilde Pferd regelmäßig einfach nur durch. Es sind schon aberwitzige Reitkünste, bei solcher ›Zügellosigkeit‹ auf Seiten des Reittieres, womit sich wohl vor allem die Leibfeindlichkeit der ausgehenden bürgerlichen Epoche noch ein letztes Mal ganz grotesk in Szene setzt. Vor allem, daß gar keine 1 Ebd. S. 253. 3 PD Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen: Psychoanalyse – Seminar | SS 2013 Chance gesehen wird, der Reiter könnte das Tier doch noch selbst zügeln. Daß er dazu auf fremde Macht angewiesen ist, spricht Bände über das pessimistische Menschenbild von Freud, das im Hintergrund steht. Das Pferd geht also mit dem Reiter aber nicht wohin dieser, sondern wohin das Pferd will. Das grenzt schon ans Groteske, weil die Metapher hier in sich widersprüchlich wird, denn das ist kein ›Reiten‹ mehr. — Warum also diese Metaphorik? Nur um das Ausgeliefertsein, die Triebhaftigkeit und vor allem die Schicksalhaftigkeit der Triebe als elementare Gewalten in Szene zu setzen? Wohl vor allem um zu zeigen, wie wesentlich eine weitere Instanz an den entscheidenden Stelle ins Geschehen der ›Zähmung‹ eingreifen muß: Der eigentlich unterlegene Reiter, das Ich wird gestärkt gegenüber dem Tier, dem Es, durch die Instanz des Über–Ich. — Aber Autonomie, Selbsterkenntnis oder gar Selbstbestimmung ist das nicht. Denn dieses Über–Ich nimmt dem Reiter seinerseits die Zügel aus der Hand, läßt ihn fremdbeCaravaggio: Joseph deutet im Gefängnis die Träume des stimmt irgendwelche Ziele verMundschenks und Bäckers 1625/1630. Kunsthistorisches folgen, die wohl ebenso wenig Museum Wien. [Public domain], via Wikimedia Commons. die eigenen sind, wie jene, denen das Tierische folgen würde. So ergibt sich das magische Dreieck der entscheidenden psychischen Urgewalten, zwischen denen dann der Psychoanalytiker vermitteln soll. Man habe der Psychoanalyse unzählige Male zum Vorwurf gemacht, sie kümmere sich nicht um das Höhere, Moralische, das Überpersönliche im Menschen, führt Freud wieder vermeintliche aber namentlich ungenannte Kritiker an. Darauf erläutert er die Funktion des Über–Ich in seinem Modell von den drei Instanzen ein wenig näher: Das gesuchte fehlende ›höhere Wesen‹ sei nun eben dieses Über–Ich, als Ichideal und Repräsentanz der Elternbeziehung und, aufgrund von Vatersehnsucht, wie Freud es nennt, versehen mit dem Keim, aus dem sich alle Religionen gebildet haben.1 Das Urteil der eigenen Unzulänglichkeit im Vergleich des Ichs mit seinem Ideal ergibt das demütige religiöse Empfinden, auf das sich der sehnsüchtig Gläubige beruft. Im weiteren Verlaufe der Entwicklung haben Lehrer und Autoritäten die Vaterrolle fortgeführt; deren Gebote und Verbote sind im Ideal–Ich mächtig geblieben und üben jetzt als Gewissen die moralische Zensur aus. Die Spannung zwischen den Ansprüchen des Gewissens und den Leistungen des Ichs wird als Schuldgefühl empfunden.2 1 2 Vgl. S. 264f. Ebd. S. 265. 4 PD Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen: Psychoanalyse – Seminar | SS 2013 Hier nun, mit den drei Instanzen liegt ein Konfliktmodell vor zwischen einem triebhaften Es, einem strafenden Über–Ich und einem zwischen diesen Fronten vermittelnden Ich, daß sich derweil aber über vieles gar nicht wirklich bewußt sein kann und selbst insofern mehr getrieben ist, als daß es in der Lage wäre, tatsächlich zu moderieren, zu gestalten und wirklich selbst zu verantworten. Stattdessen wird die Szene entweder vom Trieb oder vom Despotismus bestimmt, ganz besonders von einem despotischen, dezisionistischen und eifersüchtig wachenden Über– Ich, das sogleich mit Sanktionen operiert. — Freiheit ist das nicht, Selbstbestimmung wäre etwas anderes. Aber gerade diese konfliktuösen Wechselwirkungsverhältnisse dreier so heterogener Instanzen, die ganz und gar nicht ineinander aufgehen können, dürfte einen ersten eher realistischen Blick werfen darauf, wie es tatsächlich um unsere Selbstverständigung bestellt sein dürfte. Der Diskurs der Psychoanalyse ist selbst auch ein Spiegel der Mentalitätsgeschichte von inzwischen über 100 Jahren, in der sich viele Schulen, viele Adaptionen und unübersehbare Inspirationen ergeben haben, die sich allesamt auf dieses Modell der menschlichen Psyche berufen, bis auf den heutigen Tag. Literatur Bruno W. Reimann: Einführung in den psychoanalytischen Diskurs der Gesellschaft; Darmstadt 2011. Josef Breuer, Sigmund Freud: Studien über Hysterie. Vierte, unveränderte Auflage. LeipzigWien 1922. Georges Didi-Huberman: Die Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von JeanMartin Charcot. Paderborn 1997, Mario Erdheim: Die gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozess; Frankfurt am Main 1982. Sigmund Freud: Selbstdarstellung. Frankfurt am Main 1993. Sigmund Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905). Studienausgabe Bd. 5. Frankfurt am Main 1982 Sigmund Freud: Totem und Tabu (1912) Studienausgabe Bd. 9. Frankfurt am Main 1982. Sigmund Freud: Das Ich und das Es (1923). Studienausgabe Bd. 3. Frankfurt am Main 1982. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930). Studienausgabe Bd. 9. Frankfurt am Main 1982. Alice Miller: Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst. Frankfurt am Main 1983. Tilmann Moser: Lehrjahre auf der Couch. Bruchstücke meiner Psychoanalyse. 1974 Tilmann Moser: Vater, Mutter, Gott und Krieg. Hass, Verachtung und Verrat in einer psychoanalytischen Behandlung. 2012 Sabina Spielrein: Tagebuch und Briefe. Die Frau zwischen Jung und Freud. Kore 1986. Elisabeth Márton (Regie): Ich hieß Sabina Spielrein. Dokudrama, 2002. David Cronenberg (Regie): Eine dunkle Begierde. Spielfilm, 2011. 5