VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht Zum Wechselspiel zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus Ich möchte heute mit einem Thema weiter machen, das nicht ganz leicht zu behandeln ist, weil es auch in der Literatur im Grunde nicht besonders gut abgedeckt ist. Nämlich das Wechselspiel zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus. Wenn Sie sich etwa an die österreichische Debatte um Haider und die FPÖ erinnern: Die FPÖ hat im Grunde als die erste europäische Erfolgspartei in dieser Hinsicht gegolten. In dieser Debatte waren die Anschluss-Stellen der FPÖ zu möglichen Bezügen zum Nationalsozialismus sowohl in der Programmatik als auch in der Politik und Debatte lange Zeit dominierend. Wenn wir die Regierungspolitik heute betrachten, müssen wir einfach sehen, dass es auch ganz bestimmte AnschlussStellen und Verbindungsstücke gibt, die zwar die erste Debatte nicht hinfällig machen, die aber eine neue Debatte eröffnen sollten, dass nämlich der Neoliberalismus das Verbindungsglied ist, dass diese Regierungskoalition letztendlich in ideologischer Hinsicht erst ermöglicht hat. Von daher ist dieses Thema ganz wichtig. Das, was ich damit nicht zum Ausdruck bringen möchte ist – ich muss das vorweg gleich sagen –, dass ich von einer kurzschlüssigen Formel ausgehe, etwa: „Neoliberalismus = Rechtspopulismus“. Es geht aus meiner Sicht darum – sozusagen als Vorwegnahme meiner These –, dass Neoliberalismus und Rechtpopulismus Komplementärstrategien sind. Ich möchte versuchen dieses Komplementäre durch Annäherung an die Phänomene von Rechtspopulismus und Neoliberalismus diskutierbar zu machen. Anthony GIDDENS hat vor nicht allzu langer Zeit in einem Text zum Ausdruck gebracht, dass die traditionellen Koordinaten von „links“ und „rechts“ im Grunde nicht mehr taugen, um politische Lager und ihre Politiken zu unterscheiden. In dieser Hinsicht taugt „links“ und „rechts“ auch nicht wirklich, um zwischen unterschiedlichen Populismen zu differenzieren. Dieses Buch (Giddens 1999: Jenseits von Links und Rechts) hat offensichtlich auch ein Ghostwriter von Jörg Haider gelesen und hat sein Buch nicht „Zwischen Links und Rechts“, sondern „Zwischen Rechts und Links“ betitelt. Er hat aber ganz offensichtlich Anleihen bei GIDDENS genommen. Das ist ein durchaus charakteristischer Zug, der in der modernisierten Rechten ganz deutlich wird, nämlich dass sie – quasi im Sinne einer „feindlichen Übernahme“ wie wir das aus der Wirtschaftswelt kennen – Begrifflichkeiten aus anderen Kontexten übernimmt und sie dementsprechend umdeutet. Insofern hat auch Jörg Haider hier gespielt. Begriffliche Aspekte des Rechtspopulismus Wenn Rechtspopulismus definiert wird, dann ist gleich ein ganz bestimmtes Schlagwort zur Hand, nämlich, wenn es Rechtspopulismus gibt, gibt es auch Linkspopulismus. Wenn man jedoch die empirischen Erscheinungsformen einmal näher betrachtet, ist der Rechtspopulismus das häufigere Phänomen im Vergleich zum Linkspopulismus. Sich auf diese Formel zu beziehen, bedeutet manchmal sie gewissermaßen rechtfertigend als Entlastung heranzuziehen, wenngleich es natürlich auch in linken Bewegungen und Formationen populistische Elemente gibt. Aber wir Seite 1 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht verstehen offensichtlich unter dem Rechtspopulismus doch noch etwas anderes und nicht bloß das Rekurrieren auf ganz bestimmte Agitationstechniken. Wenn Populismus inhaltlich aufgefächert werden soll, dann scheint die Unterscheidung zwischen ethnozentristischem, nationalistischem und sozialem Populismus einigermaßen zielführend zu sein, wobei die Überschneidungen im Blick behalten werden müssen (Eismann 2002, 17). Doch es ist wichtig, auch die Stoßrichtungen zu betrachten, weil wir unter anderem auch in der Lage sein müssen, etwa den Unterschied zwischen europäischem und lateinamerikanischem Populismus zu klären, zumindest was die letzte Dekade betrifft. In verschiedenen lateinamerikanischen Ländern gab es verschiedene neopopulistische Strömungen. Diese gehen wesentlich stärker in Richtung sozialem Populismus, in dem die rassistischen Komponenten des Rechtpopulismus, die wir hier in Europa kennen, weniger zum Tragen kommen. Für uns besteht das Problem nicht nur in deklariert rechtspopulistischen Parteien, sondern solche rechtspopulistischen Politiktransformationen geschehen auch über politische Themen wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, soziale Ausgrenzung, Zuwanderungsbeschränkungen oder das Thema „innere Sicherheit“. Das passiert natürlich nicht nur in der FPÖ, wenn wir uns jetzt auf Österreich beziehen, sondern auch in den Mainstream Parteien. Dafür gab es in der Vergangenheit genügend Beispiele. Rechtspopulismus lässt sich sicherlich nicht auf die FPÖ eingrenzen. Es gibt zahlreiche Versuche Populismus und Rechtspopulismus begrifflich zu klären. Dennoch gibt es in den Sozialwissenschaften keinen konzeptuellen Konsens. Der Begriff bleibt daher – egal, ob er nun als Ideologie, als politische Taktik oder als eine Form politischen Protests verstanden wird – vorwiegend aus Alltagsverständnissen gespeist. Rechtspopulismus ist und bleibt eine höchst undeutliche Chiffre, die zunächst nur durch ihre Positionierung am rechten Rand des „Verfassungsbogens“ oder eben durch den Einsatz populistischer Mobilisierungsstrategien bestimmt wird. Inhaltlichprogrammatische Unschärfen bilden einen strukturellen Grundzug des Populismusbegriffs. Demagogie wird zu einem festen Bestandteil von Politik, zumal ohne charismatische Führungsfiguren, ohne rhetorische Formeln und ohne manipulative Techniken Politiken heute kaum noch mehrheitsfähig scheinen. Aufklärung, rationale Diskussion und transparente Interessenartikulation sind im Grunde nicht mehr Mittel von Politik. Interessant ist, dass im Grunde alle Definitionsversuche in ganz andere Richtungen gehen, aber es gibt etwas Gemeinsames, in all diesen Definitionen. Das ist der Bezug auf Krisenphänomene sozialer und ökonomischer Art, die gewissermaßen den Anstoß für rechtspopulistische Politik geben. Daraus wird deutlich, warum und wann der Begriff des Populismus – wir müssen sagen – wiederbelebt wurde, weil es ihn historisch schon gegeben hat. Er kommt aber als historisch neuer Begriff mit der politischen „Wende“-Situation um 1989 zunehmend in Gebrauch. Zwei weltpolitische Ereignisse forcierten sein (Wieder-)Auftauchen: Die „Wende“ von 1989 wäre das eine Ereignis und das andere, das zu Beginn der 1990er Jahre Relevanz hatte und etwa in Lateinamerika zu neopopulistischen Formationen geführt hat, wäre die Schuldenkrise in der Dritten Welt. Dies steht auch in Zusammenhang Seite 2 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht mit den Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, die u. a. auch zu einer Polarisierung in diesen Gesellschaften geführt haben. Zuvor hat der Populismusbegriff hauptsächlich auf historische Bewegungen verwiesen, etwa auf die russischen Narodniki oder auch auf den amerikanischen Populismus des 19. Jahrhunderts als eine Agrarbewegung. Wenn wir uns auf die Zeit Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre beziehen, dann sind es andere soziale und politische Phänomene, die zu dieser Konjunktur geführt haben. Es werden in diesem Prozess auch ganz bestimmte Momente sichtbar, nämlich der Übergang von der Verwendung des Begriffes als Eigenbezeichnung hin bis zu Zuschreibungen. Bei den historischen Formen war Populismus eine Eigenbezeichnung. Das ist vor allem im amerikanischen Beispiel besonders deutlich. In den späteren Debatten wurde der Begriff jedoch als eine Zuschreibung gebraucht. Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist, dass von einem ursprünglich eher neutral gebrauchten Begriff zu einem tendenziell pejorativen Wortgebrauch übergegangen wurde (Eismann 2002, 11; Falkenberg 1997, 7). Dementsprechend haben Verschiebungen stattgefunden, die auch in der Rechten zu Distanzierungen zur Begrifflichkeit geführt haben. Wenn man die Literatur der letzten paar Jahre ansieht, dann wird in rechtspopulistischen Texten von Mölzer oder von Benoit in Frankreich, Populismus wieder deutlicher gewissermaßen wie ein Ehrenzeichen vor sich hergetragen. Rechtspopulismus heißt „dem Volk aufs Maul schauen“, und da ist man an der Wahrheit. Es ist bei vielen politischen Begriffen der Fall, dass solche Wendungen oder Umdeutungen stattfinden. Das ist auch im Fall des Populismusbegriffs gegeben. Populismus ist kein homogenes Politikkonzept. Wenn man diesen Begriff verwendet, wird im Gegenteil eine ganze Bandbreite von Phänomenen angesprochen. Kennzeichen des Rechts-Populismus sind: Ausgrenzungsmechanismen (Wir und die Anderen), angebliche „Volksnähe“, Vereinfachung sehr komplizierter Zusammenhänge, Verschwörungstheorien. Es findet eine gewisse ReTraditionalisierung statt (Hierher gehört das konservative Frauenbild und die Umkehrung der Frauenpolitik in traditionelle Familienpolitik) sowie die Personalisierung von Politik. Dann gibt es auch sehr widersprüchliche Facetten: Auf der einen Seite steht ein gewisser Antielitarismus, andererseits herrschen sehr elitäre Vorstellungen, weil eben zum „Wir“ nicht alle gehören können, sondern eben nur eine bestimmt Auslese. Der Antielitarismus nimmt zumeist die Form an, dass man Rache nehmen möchte an der sogenannten „politischen Klasse“. Sie werden kaum einen Antielitarismus entdecken, der sich auf gesamtgesellschaftliche Machtverhältnisse bezieht. Auf der einen Seite wird uns dauernd mitgeteilt, es gehe um die „Renovierung“ Österreichs. Das ist ein Beispiel dafür, dass auf der einen Seite „Modernisierung“ auf der Fahne steht, gleichzeitig wird mit sehr antimodernen Mitteln operiert wird. Auch hier haben wir eine paradoxe Situation. Die Verunsicherungen und Ängste, die Menschen haben, werden aufgegriffen und Seite 3 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht zum Teil verstärkt oder aber, sie werden nicht aufgegriffen. Wenn z.B. wir als Universitätsangehörige sagen, wir sind verunsichert, wir haben Ängste, dann glaube ich kaum, dass das aufgegriffen werden wird. Es spielt zweifelsohne die rhetorische Technik eine Rolle, aber, das worauf ich kommen möchte ist, dass Sie als SozialwissenschafterInnen und PolitikwissenschafterInnen auch soziale Zusammenhänge erkennen müssen. Daher noch mal meine Frage: Was wird an solchen Beispielen sichtbar? Ich kann natürlich das Semperit-Beispiel unter dem Gesichtspunkt des Neoliberalismus debattieren und komme zu dem Ergebnis, Grasser ist ein lupenreiner Neoliberaler, was er wahrscheinlich ist. Aber, wie passt das in das Gesamtkonzept der FPÖ? Die Struktur der FPÖ besteht im Grunde darin, dass sie unterschiedliche soziale Interessen bedienen muss. Nehmen wir die Personalstruktur der FPÖ: Haider ist nicht verzichtbar. Grasser könnte mit seinem ausschließlich neoliberalen Kurs nicht die Mehrheiten sichern, welche die FPÖ braucht, um an der Macht bleiben zu können. Eine modernisierte, rechtspopulistische Partei ist im Grunde darauf angewiesen unterschiedliche soziale Interessen zu bedienen. Es gelingt ihr gewissermaßen nur dann, wenn sie etwas moderater wird. Das können wir am Beispiel der FPÖ auch nachzeichnen, dass sie Mehrheiten beschaffen kann und dennoch eine ganz bestimmte Politik der partikularen Interessen verfolgen kann. Das äußert sich in einer gewissen Arbeitsteiligkeit in der Führungsstruktur der FPÖ. Betrachten Sie jetzt nicht Haider und den Rest der Partei, sondern nehmen Sie alleine das Regierungsteam her: So haben Sie eine Arbeitsteilung etwa zwischen Haupt, der einen sozialeren Kurs der FPÖ fährt, und Grasser als dieses andere Extrem, der einen deutlich antisozialen Kurs fährt. Dennoch werden diese Widersprüche in dieser Partei integriert. Das macht ein ganz wesentliches Kennzeichen des Rechtspopulismus aus, sich weniger über Inhalte, aber mehr über Techniken dieser Art zu definieren. Susanne Falkenberg hat in ihrer vergleichenden Studie versucht eine Arbeitsdefinition für den Rechtspopulismus zu schaffen, um konzeptuelle Bestimmungsschwierigkeiten zu vermeiden: Der Populimus-Begriff „[bezeichnet] einen Kontext verwandter Politikstile oder –inhalte [...], deren Besonderheiten aus der Unterschiedlichkeit der sie produzierenden Gesellschaftstypen, ihrer jeweiligen Werte- und Normensysteme und Krisenspezifika herzuleiten sind“ (Falkenberg 1997, 13). Dieser Kontext macht es möglich sich in unterschiedlichen Zusammenhängen mit solchen Phänomenen zu beschäftigen, denn politische Phänomene – und Rechtspopulismus ist auch ein politisches Phänomen – sind nur im Zusammenhang mit der Gesellschaft zu analysieren, in der sie aufkommen. Wir haben es im Grunde mit unterschiedlichen Populismen zu tun. Wenn Sie etwa die Zeitungen der letzten Tage genau gelesen haben, hat es ein Abgrenzungsspiel gegeben. Haider hat gesagt: Ich hab’ mit Le Pen nichts am Hut. Le Pen hat sich einmal auf Haider bezogen, dann hat er gesagt, das ist wieder etwas anders. Das gilt aber für andere auch. Das ist ein Anzeichen dafür, dass es unterschiedliche Kontextualisierungen gibt, die hier eine Rolle spielen. Aber – das ist sozusagen auch die Einsicht von Susanne Falkenberg – unabhängig von Gesellschaftstypen, von historischen Veränderungen, gibt es immer wieder den Faktor der gesellschaftlichen Krise, dem besondere Bedeutung zukommt. „Krise ist ein Phänomen, ohne das Populismus nicht zu begreifen ist. Gesellschaftliche Krisenereignisse können demnach einen populistischen Moment konstituieren, in dessen Folge bestimmte Seite 4 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht Reaktions- und Protestmuster zu erwarten sind“ (ebd., 14). Es ist also wichtig, dass Sie versuchen gesellschaftsstrukturelle Elemente herauszufinden. Mit der vorgeschlagenen Definition werden Phänomene vergleichbar. Sie müssen einfach derartige Phänomene an Erscheinungsformen andocken. In der Tat liegen im Vergleich zwischen der Front National und der FPÖ gewaltige Unterschiede. Wenn Sie nun die Schilli Partei in Hamburg mit der FPÖ vergleichen, werden Sie merken, auch hier gibt es wesentliche Unterschiede. Wenn Sie den Rotterdamer Soziologen hernehmen, werden Sie auch hier ganz wesentliche Unterschiede erkennen. Wenn Sie Berlusconi, Fini, Bossi mit Österreich vergleichen, kommen Sie jeweils auf andere strukturelle Muster. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit, nämlich eine Krise der politischen Institutionen der Gesellschaften, die ganz bestimmte Reaktions- und Protestmuster erwarten lassen. Da gibt es dann wieder Ähnlichkeiten. Wenn man diese Phänomene betrachtet, ist es ganz wichtig auch auf solche strukturellen Momente abzustellen. In Deutschland gibt es eine ganz große Debatte darüber, ob Deutschland ein Sonderfall ist. Es wird dann anhand der alten Beispiele - wie NPD, DVU, Republikaner –, die gescheitert sind, argumentiert. Dann sagt man Deutschland ist gefeit davor, Deutschland kann nicht „haiderisiert“ oder „bossisiert“ werden. Das ist eine Debatte die läuft. Da muss man sich fragen, inwiefern solche Einschätzungen zutreffen. Ich glaube, dass das nicht zutreffend ist. Wenn man das Eurobarometer heranzieht, dann gibt es in den meisten europäischen Ländern einen Sockel an rassistischen oder fremdenfeindlichen Einstellungen, der ungefähr bei einem Drittel liegt. Das Potential gibt es, es sind nur unterschiedliche Bedingungen, die es mobilisierbar machen. Und diese Bedingungen, die muss man irgendwie herausfinden. Neoliberalismus und Rechtspopulismus als Komplementärstrategien Wir wissen aus Erfahrung mit rechtspopulistischen Parteien, dass es gerade ihre demagogische Rhetorik ist (was z.B. die Parteinahme für sozial Schwache anlangt), die den Rechtspopulismus zu einem tauglichen Instrument macht zur Rekrutierung von Modernisierungs- und Globalisierungsverlierern. Auf dieser Ebene hat auch die FPÖ ganz deutlich gespielt, ist in Rotterdam ein Wahlkampf geführt worden, hat auch Le Pen in den Vororten von Paris seine Stimmen gesammelt, hat auch Schilli in Hamburg fest im Wählerreservoire der SPD gefischt. Die wahlpolitischen Erfolge rechtspopulistischer Parteien gründen sich auch im Versagen linker Strömungen und linker Parteien, denen es nicht gelungen ist, verunsicherten Wählerinnen eine Perspektive jenseits des global sich durchsetzenden neoliberalen Modells anzubieten. Daher sind es diese rassistischen, fremdenfeindlichen Slogans, die die Ängste und Verunsicherungen von Menschen kanalisieren und sie umleiten sollen. Es ist kein Zufall, dass man auf die Konstruktion des Nationalen ausweicht, das gewissermaßen als ein ideologischer Kitt fungiert, um sozial Unzufriedene vom kollektiven sozialen Protest abzulenken und unter Umständen soziale Unzufriedenheiten politisch-autoritär zu transformieren (Butterwegge o.J., 5). So wird Rechtspopulismus auch als modernes „Instrument bürgerlicher Eliten [interpretiert], die in kritischen gesellschaftlichen Phasen antikapitalistischem Protest Seite 5 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht vorbeugen“, Partikularinteressen verschleiern oder sozialen Protest steuern wollen (Falkenberg 1997, 9), wie das Jörg Haider in Österreich ganz deutlich auch gelungen ist. Krisenphänomene werden in einem solchen Konzept nach Bedarf entweder vereinfacht oder auch dramatisiert. Es gibt gerade im rechtspopulistischen Diskursfeld eine Bezugnahme auf Gemeinschaft. Diese Betonung der Gemeinschaft, wie immer sich diese kollektive Identität bestimmen mag, ist ein notwendiger Mechanismus, um von den Asymmetrien der Gesellschaftsstrukturen (etwa von den Machtasymmetrien, den Ressourcenasymmetrien) abzulenken. So provoziert unter ganz bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen (z.B. in Lateinamerika: Peru, Argentinien, Brasilien, Ecuador) Neoliberalismus als Konsequenz sozialer und ökonomischer Polarisierung auch neopopulistische Politiken (ebd., 10). In Lateinamerika geschah diese als Reaktion auf das neoliberale Diktat im Zusammenhang mit den Strukturanpassungsprogrammen. Aufgrund der enormen Spannungen zwischen ökonomischer und politischer Macht, kommt es in der Folge auch zu einer Krise der demokratischen Institutionen. Diese Krisenhaftigkeit firmiert dann in Begriffen wie „Politik- und Staatsversagen“, „Politikverdrossenheit“, „Legitimationsverlust“ und ähnliches mehr. In dieser krisenhaften Situation suggeriert man, dass sich diese Krise bewältigen lässt, indem etwa Politik stärker personalisiert wird oder, indem deutliche anti-institutionalistische Einstellungen gepflegt werden oder überhaupt antipolitische Haltungen genährt werden. Das sind sozusagen die Lösungsrezepte, die angeboten werden und, die gewissermaßen von der Krise wegführen sollen. An den genannten Beispielen wird sichtbar, dass es zwischen gegensätzlichen materiellen und sozialen Interessensgruppen eine Art Allianz gibt, die sich dann einerseits mit neoliberalen Kräften an der Spitze der Gesellschaft äußert. (Das haben wir schon am Beispiel Chiles diskutiert. Es waren die Chicago Boys, die hier den Umbau der chilenischen Gesellschaft forciert haben.) Andererseits äußert sich das in einem marginalisierten Sektor am unteren Ende der sozialen Hierarchie. Es wird politisch suggeriert, wenn man die Staatsinterventionen zurückdrängt oder abbaut, dann würde gleichsam auch ein Abbau der Privilegien erfolgen. Komplementären Strategien von Neoliberalismus und Rechtspopulismus wird also ein höheres Maß an „Politik-Fähigkeit“ zugeschrieben. Auch das kann man wiederum anhand der österreichischen Politik deutlich machen. Das lässt sich am Beispiel der ÖVP argumentieren, die als Teil dieses so genannten Systems, das da immer attackiert wird, nicht politikfähig war, als Teil dieser neuen Allianz wird ihr Politikfähigkeit zugeschrieben. Wenn wir uns mit rechtsradikalen und rechtsextremen Bewegungen beschäftigen, dann ist nicht jede Form des Rechtsextremismus unmittelbar subsumierbar, sondern es geht um die modernisierten Formen. Genau diese modernisierten Formen sind es auch, die eine ideologische Verbindung von Wirtschaftsliberalismus und Nationalismus in ihr Programm aufgenommen haben. Diese Verbindung eignet sich ganz besonders für populistische Anrufungen (ebd.). Diese Verbindung von Wirtschaftsliberalismus und Nationalismus trägt aber auch zu Konfusionen bei. Das ist etwas, das wir auch in unseren Debatten merken, dass wir im Grunde eine Weile brauchen, bis wir überhaupt verdeckte Interessen einmal herausschälen und sehen können, wie das läuft. Es kommt sicher häufig vor, dass rechtspopulistische Seite 6 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht Parteien solche verwirrenden Strategien einschlagen: Sie entregeln geradezu manisch den eigenen Nationalstaat, den sie aber zugleich durch scharfe regulative Maßnahmen gegenüber anderen Nationalstaaten oder trans- und supranationalen Institutionen zu schützen trachten (Eismann 2002, 15). Das erinnert ein bisschen an die Debatte, die im Zusammenhang mit der EU Osterweiterung Österreich bewegt. Rechtspopulismus ist ein bisschen so etwas wie der politische Arm des Neoliberalismus. Es sind natürlich auch rechtspopulistische Parteien selbst, die deklarieren, dass sie den Neoliberalismus als ihre theoretische Basis ansehen (ebd.). Hier ist es besonders HAYEK, der so etwas wie ein wirtschaftstheoretischer Säulenheiliger auch des Rechtspopulismus ist. Jörg Haider bezieht sich – etwa in seinen Programmschriften – immer wieder auf Hayek und auch auf Popper. Es ist sicherlich auch kein Zufall, weil Hayek eine ganz bestimmte Sicht oder einen ganz bestimmten Entwurf der Marktgesellschaft hat, in der es einerseits um die „Auslese der Besten“ geht, andererseits um die „Unterwerfung unter die Gesetze natürlicher Ungleichheit“. Hayek hat gesellschaftliche Entwicklung von einem „Selektionsvorgang“ – wie er sagte – abhängig gesehen. Er war der Meinung, dass die Menschen nur durch Enttäuschung von Erwartungen lernen. Man kann Frustrationen durchaus hinnehmen, und man muss sozusagen lernen damit umzugehen. Seine zweite Lerntheorie, die er formuliert hat war, dass man im Grunde nur aus dem Vorbild der Erfolgreichen lernen könne. Das individuell Ineffiziente wird „herausgesiebt“. Alle, besonders die „Ausgesiebten“, haben diesem System beizupflichten, es zu bejahen und sich damit zu identifizieren. Diese Sicht der Gesellschaft wird zudem durch eine Rhetorik „persönlicher Freiheit“ und idealisierenden Annahmen zum „Individuum“ überlagert (ebd., 5). Wenn Sie sich etwa an Adam SMITH erinnern, der den „Wohlstand der Nationen“ angepeilt hat, dann sieht Hayek den Zweck kapitalistischer Entwicklung eigentlich vor allem in der Freiheit individueller Entfaltung im Marktkontext (ebd.). Ich habe schon einmal davon erzählt, dass aus dieser Sicht Hayeks demokratische Willensbildung unbrauchbar ist, weil die Mehrheit immer nur durch Unterstützung der „Schlechtesten“ zustande komme (Hayek) (ebd., 4 f.). Das ist eine sehr elitäre Produktion, die hier angesprochen wird. Hayek war es ja auch, der formuliert hat, dass jedenfalls verhindert werden müsse, dass sich „benachteiligte Individuen zu Kollektiven zusammenfinden“ und „gegen die Regeln dieser Gesellschaft angehen“ (ebd., 3 f.). Es gibt einen Text von Umberto ECO, wo er versucht hat sich auch mit dem Phänomen des Rechtsextremismus und des Faschismus auseinanderzusetzen. Er hat in seiner Begrifflichkeit versucht drei Merkmale des Faschismus festzumachen: Das sind erstens die Ablehnung zunehmenden Wissens in einer Gesellschaft, zweitens Rassismus und drittens Elitismus. Wenn Umberto ECO recht hat, steht natürlich auch der Neoliberalismus mit seinen politischen Konzeptionen diesen Wertsetzungen nahe. Auslese und Unterwerfung sind sicherlich „Tugenden“ des Faschismus, und auch im neoliberalen Kontext – wir haben uns ja in der Entstehungsgeschichte schon damit beschäftigt – wird deutlich, dass der Neoliberalismus im Grunde auf „militante Gegenaufklärung“ zielt. „Die Menschen sollen ihre Lage nicht durch vermehrtes Wissen in einer kollektiven bewussten Anstrengung in den Griff bekommen“. Dies würde nämlich „mit der Herrschaft aufräumen“, die der Neoliberalismus gerade „zu legitimieren sucht“ (ebd., 5). Neoliberaler Kapitalismus misstraut allem Politischen. Die „Totalisierung“ des Seite 7 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht Marktes nimmt er dagegen hin (ebd., 6). Hier ergeben sich die Anschluss-Stellen zu rechtsradikalem Denken. Zwischen neoliberaler Globalisierung und rechtspopulistischer Mobilisierung bestehen erkennbare Zusammenhänge. Ich möchte das nicht so strikt und mechanistisch betrachten, aber es bestehen Zusammenhänge. Sie scheinen in einem komplementären Verhältnis zueinander zu bestehen, allerdings nur, wenn sich diese rechtsradikalen Positionen gründlich modernisieren. Also, Rechtspopulismus ist daher nicht als eine bloße Wiederholung nationalsozialistischer Programmatik oder Politikformen zu sehen. Der Rechtspopulismus inszeniert sich seit einigen Jahren als ein in Wirklichkeit sehr umsichtig modernisierter Rechtsradikalismus, und es ist auch kein Zufall, dass der Rückgriff auf die politischen Theorien der Zwischenkriegszeit eine ganz große Rolle für den ideologischen Modernisierungsprozess in der Rechten gespielt hat. Das war eigentlich sehr kurzschlüssig, wenn man unterstellt hat, dass das gewissermaßen ein Schöpfen aus der Programmatik der NSDAP war. Man muss freilich auch dazu sagen, dass man auch aus dieser Programmatik – insbesondere Rosenberg als Ideologe aus der konservativen Revolution – erheblich geschöpft hat. Insofern sind das durchaus ähnliche Wurzeln. Genau diese ideologische Vielfalt, die hier eingebaut ist, macht den Rechtspopulismus auch brauchbar für neoliberale Strategien, gerade weil er in gewissem Sinne ein Leitprogramm enthält, wie sozial Schwache auch unter Bedingungen neoliberaler Globalisierung in Schach zu halten sind. Ihre Ängste sind nicht politisch zu kanalisieren, und wenn man diese Aspekte berücksichtigt, wird deutlich, dass Rechtspopulismus sicher kein demokratisches Befreiungsprojekt benachteiligter Massen darstellt, sondern, dass er gewissermaßen als ein elitäres Projekt politischer Bevormundung agiert. Und – das ist ein wesentlicher Punkt – letztendlich in der Hand politischer und ökonomischer Eliten liegt. Hieraus ist auch der besondere politische Gewinn für das neoliberale Umbauprojekt herzuleiten. Rechtspopulismus rhetorisiert die „soziale Frage“ und entleert sie zu einer Politik des sozialen Dumpings. Der neoliberale Rechtspopulist geriert sich als „ideeller Komplementär“ des „kleinen Mannes“ (Schandl 2000, 6), fungiert aber real als „Komplementär“ gesellschaftlich privilegierter Interessen. Ich habe vor kurzem einen Text von einem deutschen Journalisten gelesen, der ganz erstaunt die Frage stellt, wie es möglich ist, dass der „kleine Mann“, der hier angesprochen war, den Großgrundbesitzer Haider und den Großunternehmer Prinzhorn wählt, und wie sich da Verbindungen herstellen. Das gilt nicht nur für Österreich, das gilt auch für die Schweiz, nehmen Sie Blocher und andere mehr. (Diskussion) ---Nach einem mündlichen Vortrag von Prof. Eva Kreisky, gehalten im Zuge der Vorlesung: „Neoliberalismus, Staat und Geschlecht“, am 29. April 2002; Bitte nicht zitieren! Seite 8 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf VO: Prof. Dr. Eva KREISKY SS 2002 Neoliberalismus, Staat & Geschlecht Die angegebene Literatur findet sich auf der Website zur Vorlesung: http://www.political-science.at/tutorien/neoliberalismus.htm Seite 9 von 9 www.political-science.at/tutorien/SS02/VO_5.pdf