43 - Arznei

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arznei-telegramm® 2012; Jg. 43, Nr. 11
termittens mit schmerzfreier Gehstrecke unter 200 Metern,
wenn andere Therapieoptionen wie Gehtraining oder Revaskularisierung nicht durchführbar sind.3 Eine therapeutische
Wirksamkeit für diese Indikation ist unzureichend belegt. In
einem aktuellen Cochrane Review, in das 23 Studien mit insgesamt 2.816 Patienten aufgenommen werden, wird wegen
beträchtlicher Heterogenität im Hinblick auf Patientencharakteristika, Dosis, Therapiedauer und Ergebnisse auf eine
Metaanalyse verzichtet. Aufgrund der Heterogenität und der
im Allgemeinen schlechten Qualität der Studien bleibt der
Nutzen von Pentoxifyllin nach Einschätzung der Autoren bei
Claudicatio intermittens unsicher.4 Nach einer weiteren relativ aktuellen Metaanalyse, in der sechs 24-wöchige Studien
ausgewertet werden, darunter zwei unveröffentlichte Negativstudien, lässt sich für Pentoxifyllin bei Claudicatio intermittens weder auf die schmerzfreie noch auf die maximale Gehstrecke ein signifikanter Einfluss erkennen.5 Während die europäische kardiologische Gesellschaft Pentoxifyllin in ihrer
Leitlinie zur peripheren arteriellen Verschlusskrankheit positiv bewertet, raten die Deutsche Gesellschaft für Angiologie,
das britische NICE* und die US-amerikanische ACCP* von
dem Mittel bei Claudicatio intermittens ab.6-9
Die 400-mg-Retardtabletten des Pentoxifyllin-Originals
TRENTAL sind außerdem bei durchblutungsbedingten Störungen des Innenohrs wie Hörsturz zugelassen,2** die Pentoxifyllin-Injektionslösung RENTYLIN zusätzlich zur Behandlung von akuten arteriellen Durchblutungsstörungen des
Auges.10 Nutzenbelege finden wir weder für die Anwendung
bei Hörsturz11,12 noch bei akutem retinalen Zentralarterienverschluss.13
Die Anwendung von Pentoxifyllin nach ischämischem
Insult ist weder durch die Zulassung noch durch die Studienlage gedeckt und daher von besonderer haftungsrechtlicher
Bedeutung. Nach einer Cochrane-Übersicht von 200414 sind
vier Studien zu der Indikation aus den 1980er und 1990er
Jahren auswertbar, an denen insgesamt nur 763 Patienten
teilgenommen haben. Signifikante Effekte von Pentoxifyllin
finden sich nicht. Dabei fehlt eine unveröffentlichte Studie,
für die die Cochrane-Autoren vom früheren PentoxifyllinAnbieter Hoechst keinen Studienbericht erhalten haben.14
Neuere publizierte Studien finden wir nicht.
 Wir sehen keine Indikation für die Altlast Pentoxifyllin
(TRENTAL, Generika).
 Zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung darf
Pentoxifyllin nicht verordnet werden.
(M = Metaanalyse)
1 G-BA: Arzneimittel-Richtlinie, Anlage III, Stand Apr. 2009 und Okt. 2011
2 SCHWABE, U., in: SCHWABE, U., PAFFRATH, D. (Hrsg.): „Arzneiverordnungs-Report 2012”, Springer, Berlin, Heidelberg 2012, Seite 613-20
3 Sanofi-Aventis: Fachinformation TRENTAL 400 mg, Stand Juli 2012
M 4 SALHIYYAH, K. et al.: Pentoxifylline for intermittent claudication. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Sept. 2011, Zugriff Nov. 2012
M 5 SQUIRES, H. et al.: Health Technol. Assess. 2011; 15: 1-210
6 TENDERA, M. et al.: Eur. Heart J. 2011; 32: 2851-906
7 Dt. Gesellschaft f. Angiologie, Gesellschaft f. Gefäßmedizin: Leitlinien zur
Diagnostik u. Therapie d. peripheren arteriell. Verschlusskrankheit (PAVK)
http://www.dga-online.org/uploads/media/S3-LL_PAVK_27_4_09_def.pdf
8 National Institute for Health and Clinical Excellence: Cilostazol, naftidrofuryl oxalate, pentoxifylline and inositol nicotinate for the treatment of intermittent claudication in people with peripheral arterial disease, Mai 2011
http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/13477/54546/54546.pdf
9 ALONSO-COELLO, P. et al.: Chest 2012; 141 (Suppl.): e669S-e690S
10 Amdipharm: Fachinformation RENTYLIN Injektionslsg., Stand Nov. 2007
M 11 LABUS, J. et al.: Laryngoscope 2010; 120: 1863-71
M 12 AGARWAL, L., POTHIER, D.D.: Vasodilators and vasoactive substances for
idiopathic sudden sensorineural hearing loss. Cochrane Database of
Systematic Reviews, Stand Sept. 2008; Zugriff Nov. 2012
M 13 FRASER, S.G., ADAMS, W.: Interventions for acute non-arteritic central retinal artery occlusion. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand
Sept. 2008, Zugriff Nov. 2012
M 14 BATH, P.M.W., BATH-HEXTALL, F.J.: Pentoxifylline, propentofylline and
pentifylline for acute ischaemic stroke. Cochrane Database of Systematic
Reviews, Stand März 2004; Zugriff Nov. 2012
*
**
ACCP = American College of Chest Physicians
NICE = National Institute for Health and Clinical Excellence
Die TRENTAL-Ampullen sind für beide Indikationen nach wie vor nur fiktiv
zugelassen (vgl. e a-t 4/2012).
PALMITOYLETHANOLAMID (NORMAST)
GEGEN SCHMERZEN?
Wie bewerten Sie Palmitoylethanolamid (NORMAST)? Von Patienten wird die Frage an mich herangetragen, was es mit diesem neuen
„Wunderanalgetikum” auf sich hat.
K. WEISS (Facharzt für Allgemeinmedizin, klassische Homöopathie)
D-32756 Detmold
Interessenkonflikt: keiner
Palmitoylethanolamid, ein endogenes Fettsäureamid,
wird unter dem Handelsnamen NORMAST nicht als Arzneimittel, sondern als „diätetisches Lebensmittel für besondere
medizinische Zwecke” von einer niederländischen Firma
auch hierzulande vermarktet. Dennoch propagiert es der
Pharmakologe Jan M. KEPPEL HESSELINK wie ein Arzneimittel als Analgetikum für neuropathische Schmerzen. Hierzu nutzt er ein „open access”-Fachjournal,1 Auftritte auf
Symposien und intensive Internetpräsenz2. Via YouTube3
werden Patienten präsentiert, die angeblich auf die Behandlung mit NORMAST gut angesprochen haben. Der Duktus
der Ausführungen auf der für Laien konzipierten Webseite
seines niederländischen Instituts2 stimmt uns ebenso wie die
Darstellungen auf YouTube3 skeptisch: Das Mittel sei an
mehreren tausend Patienten getestet worden, die Schmerzlinderung
„manchmal sogar besser als durch bekannte Schmerzmittel...
Mit NORMAST ist endlich ein Schmerzmittel (Supplement)
der neuen Generation auf dem Markt und die soweit beobachteten Nebenwirkungen sind minimal. Auch alte Menschen können dieses Mittel ohne Probleme einnehmen; Nebenwirkungen oder problematische Wechselwirkungen mit
anderen Arzneimitteln bestehen nicht...”2
Interessenkonflikte benennt KEPPEL HESSELINK trotz
mehrerer direkter Verweise inklusive Verlinkung von seiner
Webseite zum Hersteller nicht. In den Niederlanden geht inzwischen offenbar die Gesundheitsbehörde den fragwürdigen
Aktivitäten im Zusammenhang mit NORMAST nach.4
Das z.B. in Sojabohnen, Erdnüssen und Eigelb vorkommende Palmitoylethanolamid soll antiinflammatorische und
neuroprotektive Eigenschaften besitzen. Gemäß einer Übersicht1 existieren nur vier verblindete randomisierte kontrollierte Studien zu verschiedenen Schmerzzuständen. Die einzige größere veröffentlichte Studie,6 von italienischen Autoren
lediglich auf Spanisch publiziert, wird von KEPPEL HESSELINK in einem Symposiumvortrag7 als „pivotale” Studie vorgestellt: In ihr nehmen 636 Patienten mit Lumboischialgien
unterschiedlicher Genese drei Wochen lang täglich 300 mg
NORMAST, 600 mg NORMAST oder Plazebo ein. Als primärer Endpunkt wird das Schmerzempfinden gemessen, auf einer visuellen Analogskala von 1 bis 10. Nach 21 Tagen soll
das Schmerzempfinden unter Plazebo von 6,6 auf 4,6, unter
300 mg NORMAST von 6,5 auf 2,9 und unter 600 mg NORMAST von 7,1 auf 2,1 gefallen sein, ein statistisch signifikantes und – wenn glaubhaft – klinisch relevantes Ergebnis. Ob
die Randomisierung verdeckt durchgeführt wurde („Concealment of allocation”, vgl. a-t 2012; 43: 57), die verblindete
Einnahme funktionierte und die Endpunkte verblindet erhoben wurden, ist jedoch unklar. Angaben zu Begleittherapien
fehlen. Das Risiko für eine systematische Verzerrung ist hoch.
Ein Beweis für die Wirksamkeit lässt sich allein aus dieser Arbeit ohnehin nicht ableiten.
 Ob das diätetische Lebensmittel Palmitoylethanolamid
(NORMAST) ein wirksames Präparat gegen neuropathische
Schmerzen darstellt, lässt sich mit den vorhandenen Daten
nicht belegen.
 Die intensive Bewerbung des Mittels in der Indikation
neuropathischer Schmerz durch den niederländischen
Pharmakologen KEPPEL HESSELINK erachten wir als
nicht seriös.
vor
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