Konservierende Zahnheilkunde Vierter Teil – Versiegelungen

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Konservierende Zahnheilkunde
Vierter Teil – Versiegelungen
Können Sie sich vorstellen, dass man eine Füllung bis in die „Selbstreinigungszone“ ausdehnen musste, um neue Karies zu verhindern? Lange galt die Regel
„Extension for Prevention“. Sprich, ein Zahn musste stärker ausgebohrt werden, als es aufgrund seines kariösen Befalls eigentlich nötig gewesen wäre.
In der modernen Zahnmedizin ist dies aber längst überholt.
Text Dr. med. dent. Hans H. Sellmann Bild Dr. Balsamo / Voco
Das Beste wäre aber natürlich, wenn wir überhaupt keine Füllungen mehr machen müssten – wenn es nämlich gar keine
Karies mehr gäbe. Möglich wäre das schon. Zwar leider nicht
durch eine Impfung gegen Kariesbakterien, denn diesbezügliche
Forschungen stecken noch in den Kinderschuhen. Mit Hilfe der
modernen Prophylaxe jedoch kann die Entstehung von Karies
vermieden werden.
Versiegelung
Aber sagen Sie doch einmal: Zählt eine Versiegelung nicht auch
zu den Füllungen oder besser: füllungsvermeidenden Maßnahmen? Aus dem BEMA kennen Sie sie unter der Position IP 4. Sie
ist für die Versiegelung kariesfreier Fissuren mit 16 Punkten bewertet und abrechenbar. Sie beinhaltet: „Die Versiegelung der
Fissuren und Grübchen einschließlich der gründlichen Beseitigung
der weichen Zahnbeläge und der Trockenlegung der zu versiegelnden Zähne.“ Hier darf also keine weitere Leistung wie zum
Beispiel die Entfernung (harter) oder weicher Beläge (Zst = 107)
abgerechnet werden. Anders sieht es bei Privatpatienten aus.
Hier kann (nach der neuen GOZ seit Januar 2012) neben der
Position 2000 mit 90 Punkten die Position 4050 mit 10
­beziehungsweise 4055 mit 13 Punkten pro Zahn abgerechnet
werden.
Mit den Ihnen bereits erläuterten Diagnose-Maßnahmen haben wir festgestellt,
dass es sich trotz der leichten Verfärbung hier um eine kariesfreie Fissur handelt.
Bohrer oder nicht
Das war schon die Abrechnung. Davor aber gehört eigentlich die
Therapie. Muss denn Bohren heute überhaupt noch sein? Ja und
nein. Noch einmal zurück zur Versiegelung: Wir hatten von einer „kariesfreien Fissur“ gesprochen. Und wenn wir nicht sicher
sind und uns das Röntgenbild auch keinen genauen Aufschluss
darüber gibt, ob die Fissur wirklich kariesfrei ist oder nicht?
Was machen wir da? Einfach mal auf Verdacht losbohren? Oder
können wir, auch wenn wir befürchten, dass sich in der Fissur
doch etwas Karies befindet, „einen Deckel draufmachen“, sprich
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Eine solche Fissurenversiegelung kann, wenn sie korrekt durchgeführt wurde, viele
Jahre halten. Sie schützt die Fissur sicher vor Kariesbefall.
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Eine erweiterte Fissurenversiegelung (hier ein Zahn mit einer winzigen FissurenOberfläche) wird ähnlich behandelt.
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•abspülen und trocknen
•eventuell absolut (Kofferdam) oder zumindest relativ
(Watterollen) trocken legen
•auftragen von Grandio Seal (ganz dünn, nur die Fissuren sollen
gefüllt werden, keinesfalls die ganze Kaufläche überfüllen)
•polymerisieren des Versiegelungsmaterials mit der UV Lampe
•Kontrolle mit Okklusionsfolie (Blaupapier), ob die Versiegelung
auch nicht im Biss stört, gegebenenfalls einschleifen
•eventuell polieren
•Fluoridieren, um die Bereiche zu schützen, die zwar angeätzt
(konditioniert), aber nicht vom Versieglungsmaterial erfasst
wurden
Bei der erweiterten Fissurenversiegelung haben wir mit den Ihnen bereits vorgestellten Untersuchungsmethoden festgestellt,
dass eine ganz leichte Karies in der Fissur vorliegt. Wir gehen nun
ähnlich vor wie bei der Versiegelung des kariesfreien Zahnes, nur
dass der Zahnarzt vor dem Einbringen des Versiegelungsmaterials (ganz dünnfließendes Komposit) die Fissur aufzieht. Das bedeutet, dass er mit einem an der Spitze ganz feinen Bohrer (Hartmetall oder Diamant) gerade so viel wie nötig und so wenig wie
möglich von der Kariesstelle entfernt. Die fertige Reparatur sieht
nicht anders aus als eine normale Versiegelung.
Bezüglich der Haltbarkeit haben wir auch bei der erweiterten Fissur eine genauso
lange Lebensdauer (und zusätzlich den Schutz vor weiterer Zerstörung des Zahnes
durch Karies) zu erwarten.
den Zahn versiegeln? Früher haben wir noch gesagt, dass jegliche Karies radikal entfernt werden müsste bis die „Sonde am
Kavitätenboden klirrt“. Heute gehen wir davon aus, dass Karies
(fast) nicht mehr weitergeht, wenn ihr die Substratzufuhr abgeschnitten wird. Das bedeutet, wenn eine randdichte Füllung (Versiegelung) auf dem Zahn aufgebracht wird, bekommen die Kariesbakterien keine Nahrung (Substrat) von außen mehr und die
Karies kann sich nicht mehr weiterentwickeln.
Fissurenversiegelung
Den theoretischen BEMA- und GOZ-Inhalt der Fissurenversiegelung hatte ich bereits vorgestellt. Das praktische Vorgehen kennen Sie. Wir haben es Ihnen in den Bildern anhand der Verwendung von Grandio Seal noch einmal dargestellt.
•Kontrolle ob der Zahn beziehungsweise die Fissur
kariesfrei sind
•Reinigung des Zahnes von Plaque
•gegebenenfalls anätzen
Haltbarkeit
Wie lange, auch das werden Sie sicher einmal gefragt, hält denn
eine solche Versiegelung? Sie werden eventuell sogar meinen,
dass das eine oder andere übertrieben ist, wenn Sie lesen, welchen Aufwand wir mit Kofferdam, Anätzen etc. getrieben haben. Aber eine Versiegelung, die auf einem nicht vollständig gesäuberten oder sogar feuchten Zahn aufgebracht wird, die wird
wohl leider sehr schnell unwirksam und somit die Fissur sowie
den ganzen Zahn erneut den Attacken von Karies & Co. aussetzen. Wenn aber sorgfältig gearbeitet wird (und der kleine Patient geduldig mitspielt), dann hält eine Fissurenversiegelung bis
zu zehn Jahre. Allerdings sollte sie alle sechs Monate kontrolliert
werden. Die Zähne werden nämlich mit der Zeit abgekaut und
das kann zum Verlust der Versiegelung führen.
Und hier noch ein paar Antworten auf häufige Patienten-Fragen,
die bei Ihnen vielleicht Unverständnis hervorrufen, aber bedenken
Sie bitte, dass Ihre Patienten meistens nicht über das nötige Fachwissen verfügen. Ich selbst habe es zum Beispiel einmal ­erlebt,
dass eine Mutter vehement die Versiegelung der Zähne ihrer Kinder verweigerte. In einem solchen Fall sollten wir, wenn wir alle
unsere Argumente in einem ruhigen und sachlichen Ton vorgebracht haben, den Erziehungsberechtigten (oder den Patienten
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selbst, denn Versiegelungen machen auch bei Erwachsenen unter Umständen Sinn) einfach in Ruhe lassen. Jeder ist schließlich
seines eigenen Glückes Schmied – das gilt auch für die Zahngesundheit. Allerdings empfehle ich Ihnen, sich einen Eintrag zum
Vorgang in den Patientenunterlagen zu machen, um später vor
Versäumnis-Vorwürfen geschützt zu sein.
Häufig gestellte Fragen
Darüber hinaus fand ich auf der Homepage der Zahnarztordination (so heißt eine Praxis in Österreich) der Doktores Veronika
Marie Vilimek und Borislaw Hristow aus Hohenems noch die folgenden Antworten auf häufige Fragen im Rahmen der Fissurenversiegelung. Treffender kann man es nicht sagen, finde ich. Und
Sie werden, wenn Sie sich Folgendes aneignen, nie wieder um
eine Antwort verlegen sein:
Wann sollte ein Zahn versiegelt werden?
Der Zahn sollte nach seinem Durchbruch umgehend versiegelt
werden.
Können auch Milchzähne versiegelt werden?
Ja, aber bei Milchzähnen ist die Anhaftung der Kunststoffe wegen der unvorteilhaften Struktur des Milchzahnschmelzes reduziert. Die Milchzähne reiben sich auch deutlich schneller ab als
die bleibenden Zähne. Dies begünstigt ebenfalls den Verlust der
Versiegelungen.
Können wir nicht alle Zähne versiegeln?
Alle Vertiefungen, nicht nur solche an den Kauflächen, sondern
auch an den Außen- und Innenflächen der Zähne, können versiegelt werden (jedoch nicht alle zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen – diese zahlen nur die Versiegelungen an den ersten
und zweiten bleibenden Molaren). An glatten Zahnflächen wie
bei den Frontzähnen kann jedoch eine derartige Maßnahme nicht
durchgeführt werden.
Sind die Zähne nach der Versiegelung vor Karies sicher
geschützt?
Eine gute Mundhygiene ist auf jeden Fall erforderlich. Bei unzureichender Zahnpflege kann zwischen den Zähnen, an den glatten
Flächen oder sogar auch an den versiegelten Bereichen, besonders am Übergang zwischen der Versiegelung und dem Zahn,
Karies entstehen.
Kann die Fissurenversiegelung den Zahn schädigen?
Das bei der Vorbereitung des Zahnes benutzte Präparat mit Phosphorsäure entzieht der obersten Schicht des Schmelzes einen Teil
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der Mineralien. Die dadurch entstehenden Hohlräume werden
aber mit Kunststoff gefüllt oder durch die lokale Fluoridapplikation remineralisiert. Pulpaschäden wegen einer Fissurenversiegelung sind derzeit nicht bekannt.
Ist dieses Kunststoffmaterial für Fissurenversiegelung
gesundheitsschädlich?
Obwohl über eine krebserregende (kanzerogene) Wirkung der in
dem Versiegelungsmaterial enthaltenen Monomere (einem Teil
des Komposits beziehungsweise Kunststoffs) diskutiert wurde,
wird heute wegen der sehr niedrigen Konzentrationen das Risiko als sehr gering eingeschätzt und ist wissenschaftlich nicht
belegt. Wie bei allen Materialien besteht hier aber auch ein
Allergierisiko.
Dabei ist vor allem entscheidend, ob diese Monomere freigesetzt werden, damit sie überhaupt eine Reaktion auslösen können. Diese Freisetzung hängt mit der Aushärtung des Materials
zusammen. Normalerweise wird die oberste Schicht wegen des
Luftkontakts nicht ausreichend fest, weshalb sie diese Monomere freisetzt. Deswegen wird diese Schicht entweder nachträglich wegpoliert oder es wird während des „Föhnens“ ein Gel aufgetragen, das den Kontakt mit der Luft verhindert und für eine
gute Aushärtung sorgt.
Besonders der letzte Punkt ist sehr wichtig, da von vielen unserer
(aufgeklärten) Patienten alles Mögliche hinter den Materialien in
einer Zahnarztpraxis vermutet wird. Ungefährlich bohren, möglichst ohne die Pulpa zu öffnen. Wie soll das denn gehen? Lassen Sie sich überraschen und lesen Sie die nächste recall dazu.
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