Begleitung sterbender Hindus Hindus sind nicht mehr ausschließlich auf dem indischen Subkontinent zu finden. Seit mehreren Generationen lebt auch eine Anzahl hier in Deutschland. Neben aus Nepal, Srilanka oder Afghanistan stammenden Menschen gehören auch jene Europäer dazu, die Mitglieder hinduistischer Bewegungen sind, oft verächtlich „Sekten“ genannt. Hinduismus ist keine einheitliche Religion, sondern besteht aus verschiedenen Philosophien und Gottesvorstellungen, sowie völlig verschiedenen Glaubenswegen und Gebräuchen. Keine Glaubenssätze sind für alle gleichermaßen gültig und es gibt kein allgemeines Oberhaupt. Wichtige Instanzen sind neben den überlieferten Traditionen oft die jeweiligen Gurus, die spirituellen Lehrer der Geschichte oder noch heute lebende. Alle Lehren jedoch müssen mit den wichtigsten hinduistischen Schriften, den Veden, in Einklang stehen. Das Göttliche wird nach außen hin in verschiedenen Formen verehrt, etwa als Ganesha, Vishnu, Krishna, Shiva oder in verschiedenen weiblichen Formen z.B. Laxmi oder Durga. Jedoch verkörpert in mehreren Traditionen jede dieser Darstellungen letztlich das Eine, gilt als eine der vielen Manifestation des Höchsten, des Brahman. Für andere dagegen, dazu gehören auch die in Europa verbreiteten Harekrishna-Anhänger, ist ihre Gottheit (in diesem Fall Krishna) das Höchste, alle anderen Götter gelten als ihm unterlegene Geistwesen. Aus der Vielfalt von Glaubenswegen resultiert meist eine offene Haltung gegenüber anderen Religionen und häufig hohe Bereitschaft zur Anpassung an europäische Lebensweise. Trotzdem sind auch im Umgang mit Hindu-Patienten einige Punkte zu beachten, um das psychische Wohlbefinden und damit eine möglichst rasche Genesung zu fördern. WAS GIBT ES BEI DER PFLEGE ZU BEACHTEN? Durch die völlig verschiedenen Religionsvorstellungen sind auch die Erfordernisse nicht für alle Hindus dieselben. Was für die einen wesentlich ist, kann für andere völlig bedeutungslos sein. Für die Praxis bedeutet das: Grundsätzlich ist in jedem Fall eine gute Kommunikation zwischen dem Spitalspersonal und Patienten oder/und den Angehörigen entscheidend. Hilfreich können konkrete Anfragen nach speziellen Bedürfnissen sein – etwa nach Tabus im Essen oder nach Reinheitsvorschriften, auch hinsichtlich der Pflege. Besonders wichtig ist Hindus oft die Körperpflege. Die tägliche Dusche (zumindest eine Ganzkörper-Waschung) und mindestens 2x Mundpflege, bzw. nach jedem Essen, sollte darum möglich sein, solange keine medizinischen Einwände dagegen bestehen. Normalerweise gibt es keine Einschränkungen ob sich eine Frau von einem männlichen oder weiblichen Arzt untersuchen lässt, aber auch hier gibt es Ausnahmen. Körperpflege dagegen kann meist nur vom gleichgeschlechtlichen Pfleger/Pflegerin akzeptiert werden. Prinzipiell ist das Schamgefühl meist sehr ausgeprägt und solche Situationen bedeuten erheblichen Stress. Mögen diese Dinge für Pflegende Kleinigkeiten sein, welche die Routine im Alltag stören - für eine Frau vom indischen Subkontinent hängt unter Umständen ihr Wohlbefinden im Spital entscheidend davon ab. ESSEN Ein wesentlicher Faktor, oft Quelle von Konflikten, ist oft die Nahrung. Gesundes und reines Essen hat traditionell einen besonders hohen Stellenwert. Obwohl die vorgeschriebenen Essensgewohnheiten sehr unterschiedlich sein können – für die jeweilige Tradition ist sie unbedingt verbindlich. Darum empfiehlt es sich, prinzipiell nach Einschränkungen zu fragen! Viele Hindus sind Vegetarier und streng vegetarische Kost ist auch hier im Westen wichtig. Viele lehnen sogar Eier ab sowie sämtliche Produkte daraus (einschließlich Kuchen), und essen weder Zwiebeln noch Knoblauch. In Deutschland wird diese starke Einschränkung eher nicht sehr häufig vorkommen. Die Mehrheit isst gern Fleisch. Dagegen ist Rindfleisch und Produkte daraus (Suppen, Soßen, Wurst etc.) für alle Hindus tabu, da die Kuh traditionell einen besonderen Stellenwert hat. Aber auch jene, die normalerweise außer Rindfleisch alles essen, unterwerfen sich oft zeitweise strengen Fastenregeln. Das kann z.B. auf Grund persönlicher Ereignisse sein oder von verschiedenen Mondphasen abhängen. Auch schränken sich Hindus oft besonders im Alter in der Ernährung immer mehr ein. Bei der Zusammenstellung der persönlichen Speisekarte wäre meist eine kurze Beratung wichtig, wenn die betreffende Person mit deutschem Essen wenig vertraut ist (Suppen sind häufig auf Rindsbasis gekocht, verschiedene Fleischspeisen, Wurst etc. enthalten Rindfleisch). Um eine für sie unreine Speise zu vermeiden, ist Unterstützung erforderlich. VORBEREITUNG AUF DAS STERBEN Wie in allen Lebensbereichen können auch in der Phase des Sterbens die Bedürfnisse von Hindus sehr unterschiedlich sein, je nach Glaubensrichtung und Traditionen. Darum gilt auch hier: Wünsche und Notwendigkeiten immer abklären! Möglicherweise äußern Patienten ihre speziellen Anliegen nicht von selbst. Pfleger/Pflegerin oder Arzt/Ärztin könnten von sich aus nachfragen, das wird für alle Beteiligten die Situation erheblich erleichtern. Hinduistische Religionen gehen von einem Kreislauf von verschiedenen Leben aus, jedem Tod folgt eine neue Geburt. Je nach den Taten des Lebens oder nach den Versäumnissen ist das folgende Leben gut, angenehm, oder unglücklich (Gesetz des Karma). Aufgrund dieser Vorstellung von Wiedergeburt ist die Art des Sterbens wichtig für das Wohl des Individuums. Darum sehen Gläubige die üblichen religiösen Riten vor und nach dem Tod als große Unterstützung an. Grundsätzlich sollte ein Sterbe-Raum angenehm gestaltet sein, etwa mit Blumen, wenn gewollt ein Räucherstäbchen, etc. Auf Wunsch ruft man einen Priester (wenn möglich). Möglicherweise wünschen Angehörige und Patienten ein kleines Ritual, dessen Bedeutung in etwa der Krankensalbung bei Katholiken entspricht – also eine seelische Stärkung. Wasser aus dem Gangesfluss, das hinduistische „Weihwasser“, spielt dabei eine wesentliche Rolle: Man gibt unter Segens-Gebeten einige Tropfen davon in oder auf den Mund, dazu ein Blatt der heiligen Tulsi-Pflanze. Mit einer Butterlampe, Blumen und Räucherstäbchen wird gesegnet und die Stirn mit Sandelpaste oder Kumkum (rote Farbe) betupft. Gottes-Namen werden rezitiert. Diese Segnung wird auch nach Eintritt des Todes durchgeführt. Angehörige oder Freunde können das notfalls ebenso tun wie ein Priester. Die häufig zahlreichen Besucher bei Hindu-Patienten sind oft eine besondere Herausforderung für Spitalspersonal und andere Patienten. Vor allem wenn jemand im Sterben liegt kommen möglicherweise viele Angehörige und Freunde. Diese Gewohnheit hat nicht zuletzt religiös/kulturelle Gründe, denn üblicherweise nimmt jeder vom Sterbenden Abschied. Eine Beschränkung des Besuches auf die nächsten Angehörigen bedeutet darum oft eine besondere Härte. Viele hinduistische Überlieferungen betrachten es als unerlässlich, den Sterbenden oder soeben Verstorbenen auf den Boden zu legen. Europäern mag das ungewöhnlich vorkommen, im ersten Reflex scheint diese Sitte mit den Normen im deutschen Spital/Hospiz unvereinbar zu sein. Wenn aber keine wirklich wichtigen Gründe dagegen sprechen, sollte das auf Wunsch gestattet sein. Nach dem Eintritt des Todes ist der Geist des Verstorbenen noch einige Zeit anwesend. Und eine Totenwache ist darum üblich. Man lässt den Verstorbenen bis zur Verbrennung des Körpers nicht allein. Im Spitals- oder Hospizbetrieb mag das undurchführbar sein. Man könnte aber, falls gewünscht, eine längere Anwesenheit von Angehörigen oder Freunden ermöglichen. Auch das Waschen und Ankleiden der Leiche führen traditionell meist die Angehörigen durch, denn nur nahe Angehörige sollten den Verstorbenen berühren. Leben und Tod sind ein sich ständig wiederholender Zyklus. Nach dem Tod des Körpers verlässt der unsterbliche Kern das Individuum um in einem anderen Körper wieder geboren zu werden - bis er schließlich Moksha, die Erlösung, erreicht. Also nicht das Individuum, nur der Körper stirbt. Die Bhagavadgita, eines der wichtigsten Heiligen Bücher, drückt es so aus: " So wie ein Mensch abgetragene Kleider ablegt und andere, neue anlegt, so legt auch die Seele die abgetragenen Körper ab und geht in andere neue ein“. (Bhagavadgita II.22) BESTATTEN Leichen werden normalerweise verbrannt, außer kleinen Kindern sowie Swamis (Mönche, Heilige) – diese werden begraben. In Indien trägt man die Leiche noch am selben Tag zum Verbrennungsplatz, begleitet von Familie, Nachbarn und Freunden. In manchen Traditionen nehmen nur Männer daran teil. Vor der Verbrennung reinigt man den Verstorbenen rituell mit Gangeswasser, träufelt einige Tropfen davon auf die Lippen und legt die Blätter der TulsiPflanze und etwas frisch gekochtes Essen (Pindi) darauf. Diese letzte Zeremonie ist ein Hindu-Sakrament (Samskara), ein Priester leitet sie. Wichtigster Teil ist Mukhagni: Unter Anleitung des Priesters und unter Rezitation von Gebeten facht der älteste Sohn (im Notfall auch andere Familienmitglieder oder nahe Freunde) mit einem Bündel Stroh das Feuer im Mund des Toten an. In Europa kann dieser wichtige Akt nur symbolisch mit einem glimmenden Stroh durchgeführt werden, da die tatsächliche Verbrennung im Krematorium erst später stattfindet. Die Asche streut man normalerweise in einen Fluss, am besten in den Ganges. Sie darf nicht nach europäischer Sitte in einer Urne aufbewahrt werden. Aus diesem Grund überführt man sie normalerweise nach Indien (bzw. Nepal, Bangladesh etc.) um sie dort an einem besonders segensreichen Ort der Natur zu übergeben. Die Verbrennung ist nicht nur aus hygienischen Gründen notwendig: Das Feuer verkörpert Agni, die Flammengestalt Gottes, und Agni geleitet die Seele des Verstorbenen ins Jenseits. Dort hält sie sich einige Zeit auf - bis zur nächsten Wiedergeburt. Die Trauerzeit kann verschieden lang sein, meist zwischen elf und fünfzehn Tagen. Während dieser Zeit führen die Angehörigen ein eingeschränktes, möglichst asketisches Leben und gelten als unrein. Nach Ende der Trauerzeit findet die Shradh-Zeremonie statt, zu der Verwandte und Freunde zum Gedenken und zu einem festlichen Mahl eingeladen werden. Ein Jahr nach dem Todestag, in einigen Familien auch in jedem weiteren Jahr, feiert man einen Gedenktag, oft mit einem Gottesdienst. In vielen Häusern steht von nun an ein Bild des/der Verstorbenen mit Blüten geschmückt auf dem Hausaltar. Trauerkarte – mit Mantra an Ganga (der heilige Gangesfluss), Blättern der heiligen Tulsi-Pflanze sowie Ritual-Gefäßen. Christina Kundu, Wien