Sphärische Vielecke - ETH E

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Sphärische Vielecke
Hans Walser
Sphärische Vielecke
ii
Inhalt
1 Sphärische Vielecke ..............................................................................1
1.1 Sphärische Dreiecke.........................................................................1
1.2 Sphärische Zweiecke........................................................................2
1.3 Der Flächeninhalt sphärischer Dreiecke...................................................3
2 Regelmäßige sphärische Netze ..................................................................4
2.1 Regelmäßige Netze in der Ebene ..........................................................4
2.2 Regelmäßige Netze auf der Sphäre........................................................5
2.2.1 Regelmäßige sphärische Dreiecke....................................................5
2.2.2 Regelmäßige sphärische Vierecke....................................................7
2.2.3 Regelmäßige sphärische Fünfecke...................................................8
2.3 Die fünf platonischen Körper ..............................................................8
2.3.1 Die platonischen Körper und die vier Elemente ....................................9
2.3.2 Kepler und die platonischen Körper............................................... 10
Literatur ............................................................................................ 12
1995:
1996:
1999:
2001:
Erstausgabe
Korrektur von Fehlern
Erweiterungen. Graphische Überarbeitung
Erweiterungen. Neue Moduleinteilung.
[email protected]
1 Sphärische Vielecke
1. 1 Sphärische Dreiecke
Unter einem sphärischen Dreieck verstehen wir ein von drei Großkreisen berandetes Kugeldreieck. Sphärische Dreiecke werden auch als EULERsche Dreiecke bezeichnet.
C
B
A
Sphärisches Dreieck
Da sich zwei Großkreise immer in zwei diametralen Punkten P und P′ schneiden, gehört
zu einem sphärischen Dreieck ABC ein diametrales sphärisches Dreieck A′B′C ′ , welches
symmetrisch bezüglich des Kugelmittelpunktes zum Ausgangsdreieck liegt. Dieses Gegendreieck ist daher kongruent und insbesondere flächengleich zum Ausgangsdreieck.
B′
A′
C
C′
B
A
Sphärisches Dreieck mit Gegendreieck
Sphärische Dreiecke unterscheiden sich wesentlich von den Dreiecken der ebenen Geometrie. So ist zum Beispiel die Winkelsumme bei sphärischen Dreiecken nicht mehr π; es
gibt sogar sphärische Dreiecke mit drei rechten Winkeln.
Sphärisches Dreieck mit drei rechten Winkeln
Sphärische Vielecke
2
Hier beträgt die Winkelsumme 23 π . Wir werden sehen, dass die Winkelsumme mit der
flächenmäßigen Größe der sphärischen Dreiecke zusammenhängt. Dazu studieren wir
aber zunächst die sphärischen Zweiecke.
Winkelsumme der Dreiecke? [Petit 1982]
1. 2 Sphärische Zweiecke
Unter einem sphärischen Zweieck verstehen wir eine von zwei Großkreisen berandete
Kugelfigur.
α
A′
α
A
Sphärisches Zweieck
In der ebenen Geometrie gibt es keine Zweiecke mit geradlinigen Rändern. Die flächenmäßige Größe eines sphärischen Zweieckes ist durch seinen Winkel α gegeben, der an
Sphärische Vielecke
3
den beiden Ecken A und A′ erscheint. Der Flächeninhalt ist proportional zu diesem Winkel, für den vollen Winkel α = 2 π erhalten wir die Kugeloberfläche 4 πr 2 . Daher gilt für
den Flächeninhalt fα des sphärischen Zweieckes mit dem Winkel α die Formel:
fα =
α
2π
4 π r 2 = 2α r 2
1. 3 Der Flächeninhalt sphärischer Dreiecke
B′
A′
C
γ
β
C′
B
α
A
Drei sphärische Zweiecke
Die Vereinigung der drei sphärischen Zweiecke mit den Winkeln α , β und γ bildet eine
Figur ("Fuß mit drei Klauen"), welche genau die Hälfte der Kugeloberfläche bedeckt, da
es zu jedem Teil dieser Figur ein diametrales gleich großes Stück gibt, das nicht dazu gehört. Bei der Vereinigung dieser drei sphärischen Zweiecke wird aber das sphärische
Dreieck ABC dreimal überdeckt. Die Summe der Flächeninhalte dieser drei sphärischen
Zweiecke beinhaltet den Flächeninhalt der "Klauenfigur", also die halbe Kugeloberfläche,
worin das sphärische Dreieck ABC bereits einmal enthalten ist, plus zusätzlich zweimal
den Flächeninhalt dieses Dreieckes. Somit erhalten wir für den Flächeninhalt f∆ABC des
sphärischen Dreieckes ABC die Beziehung
fα + fβ + fγ =
1
2
fKugel + 2 f∆ABC ,
also
2α r 2 + 2β r 2 + 2 γ r 2 = 2 πr 2 + 2 f∆ABC .
Daraus ergibt sich:
f∆ABC = r 2 (α + β + γ − π )
Der Ausdruck (α + β + γ − π ) heißt sphärischer Exzess des sphärischen Dreieckes ABC.
Der Exzess oder Überschuss der Winkelsumme über π , also über die Winkelsumme im
ebenen Dreieck, ist bis auf den Faktor r 2 der Flächeninhalt des sphärischen Dreieckes.
Sphärische Vielecke
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Ein Achtel der Kugeloberfläche
Als Beispiel diene nochmals das sphärische Dreieck mit den drei rechten Winkeln, das
offensichtlich einen Achtel der Kugeloberfläche abdeckt. Der sphärische Exzess ist π2 ,
woraus sich der Flächeninhalt f∆ = r 2 π2 errechnet.
Zur Berechnung des Flächeninhaltes eines sphärischen n-Eckes mit den Innenwinkeln ϕ i
unterteilen wir dieses mit geeigneten Diagonalen in (n-2) sphärische Dreiecke und erhalten
dann die Formel:
 n

fn − Eck = r 2  ∑ ϕ i − (n − 2)π 

 i =1
Der sphärische Exzess ist hier der Überschuss der Winkelsumme des sphärischen nEckes über die Winkelsumme des entsprechenden ebenen n-Eckes.
2 Regelmäßige sphärische Netze
2. 1 Regelmäßige Netze in der Ebene
In der Ebene gibt es nur drei Typen von Netzen aus kongruenten regelmäßigen Vielecken:
Netze aus gleichseitigen Dreiecken, aus Quadraten und aus regelmäßigen Sechsecken.
a)
b)
c)
Regelmäßige Netze in der Ebene
Ein Netz aus regelmäßigen Fünfecken kommt nicht in Frage, da die Innenwinkel von 108°
an den Ecken nicht „aufgehen“, es bleibt eine Lücke übrig.
Sphärische Vielecke
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Bei regelmäßigen Fünfecken bleibt eine Lücke übrig
Bei regelmäßigen Siebenecken oder allgemein bei regelmäßigen n-Ecken mit n ≥ 7 entsteht an den Ecken eine Überlappung.
Überlappung bei regelmäßigen Siebenecken
2. 2 Regelmäßige Netze auf der Sphäre
Bei regelmäßigen sphärischen Vielecken ist der Innenwinkel grösser als beim entsprechenden ebenen Vieleck. An den Ecken müssen k Vielecke mit k ≥ 3 zusammenkommen,
daher erhalten wir für die Innenwinkel die Bedingung, dass sie 360°
k , k ≥ 3, messen müssen. Regelmäßige sphärische Sechsecke kommen daher nicht mehr in Frage, ebenso regelmäßige sphärische Vielecke mit mehr als sechs Ecken. Hingegen kommen regelmäßige
sphärische Fünfecke in Frage.
Es bleiben folgende Fälle übrig:
2. 2. 1 Regelmäßige sphärische Dreiecke
Für die Innenwinkel α gilt:
• 60°< α ≤ 120°
• α muss ein Teiler von 360° sein.
Für α bleiben somit die Werte 72°, 90° und 120° übrig.
Sphärische Vielecke
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2. 2. 1. 1 Regelmäßige sphärische Dreiecke mit α = 72°
An jeder Ecke kommen fünf Dreiecke zusammen. Für den Flächeninhalt eines einzelnen
Dreieckes erhalten wir:
1 r 2 4π
f∆ = r 2 3 25π − π = r 2 π5 = 20
(
)
1 der gesamten Kugeloberfläche. Die Frage ist nun,
Ein einzelnes Dreieck bedeckt also 20
ob es möglich ist, zwanzig solcher Dreiecke auf der Kugel so anzuordnen, dass an jeder
Ecke genau 5 Dreiecke zusammenstoßen. Wir erhalten ein solches Dreiecksnetz, indem
wir ein regelmäßiges Ikosaeder von seinem Mittelpunkt aus auf die Umkugel projizieren.
Regelmäßiges Ikosaeder
Wenn wir jeden Großkreisbogen auf der Kugel mit dem Kugelmittelpunkt zu einem Sektor verbinden, erhalten wir die Figur ganz rechts. Der Zentriwinkel dieses Sektors entspricht der Bogenlänge des Großkreisbogens. Zu seiner Berechnung brauche wir Formeln der sphärischen Trigonometrie.
2. 2. 1. 2 Regelmäßige sphärische Dreiecke mit α = 90°
An jeder Ecke kommen vier Dreiecke zusammen. Für den Flächeninhalt eines einzelnen
Dreieckes erhalten wir:
f∆ = r 2 3 π2 − π = r 2 π2 = 18 r 2 4 π
(
1
8
)
Ein einzelnes Dreieck bedeckt also der gesamten Kugeloberfläche. Das zugehörige Kugelnetz ist die Zentralprojektion des Oktaeders auf die Umkugel.
Regelmäßiges Oktaeder
Sphärische Vielecke
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2. 2. 1. 3 Regelmäßige sphärische Dreiecke mit α = 120°
An jeder Ecke kommen drei Dreiecke zusammen. Für den Flächeninhalt eines einzelnen
Dreieckes erhalten wir:
f∆ = r 2 3 23π − π = r 2 π = 14 r 2 4 π
(
)
Ein einzelnes Dreieck bedeckt also 14 der gesamten Kugeloberfläche. Das zugehörige
Kugelnetz ist die Zentralprojektion des Tetraeders auf die Umkugel.
Regelmäßiges Tetraeder
2. 2. 2 Regelmäßige sphärische Vierecke
Für die Innenwinkel α gilt:
• 90°< α ≤ 120°
• α muss ein Teiler von 360° sein.
Für α bleibt nur 120° übrig. Für den Flächeninhalt eines einzelnen Viereckes erhalten
wir:
fViereck = r 2 4 23π − 2 π = r 2 23 π = 16 r 2 4 π
1
6
(
)
Jedes einzelne Viereck bedeckt der gesamten Kugeloberfläche. An jeder Ecke kommen
drei regelmäßige sphärische Vierecke zusammen. Das zugehörige Kugelnetz ist die Zentralprojektion des Würfels auf die Umkugel.
Würfel
Sphärische Vielecke
8
2. 2. 3 Regelmäßige sphärische Fünfecke
Für die Innenwinkel α gilt:
• 108°< α ≤ 120°
• α muss ein Teiler von 360° sein.
Für α bleibt nur 120° übrig. Für den Flächeninhalt eines einzelnen Fünfeckes erhalten
wir:
1 r 2 4π
fFünfeck = r 2 5 23π − 3π = r 2 13 π = 12
(
)
1 der gesamten Kugeloberfläche. An jeder Ecke komJedes einzelne Fünfeck bedeckt 12
men drei regelmäßige sphärische Fünfecke zusammen. Das zugehörige Kugelnetz ist die
Zentralprojektion des Dodekaeders auf die Umkugel.
Regelmäßiges Dodekaeder
2. 3 Die fünf platonischen Körper
Damit sind alle Möglichkeiten erschöpft. Wir haben also gerade die Projektionen der fünf
regelmäßigen Polyeder (sog. platonische Körper) erhalten. Damit ist aber auch bewiesen,
dass es nicht noch weitere regelmäßige Polyeder geben kann, denn jedes weitere regelmäßige Polyeder würde durch Zentralprojektion auf die Umkugel zu einem weiteren Regelmäßigen Netz auf der Sphäre führen.
Die fünf platonischen Körper
Die fünf platonischen Körper spielten in verschiedenen Epochen eine wichtige Rolle.
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2. 3. 1 Die platonischen Körper und die vier Elemente
Die platonische Vorstellung vom Aufbau der Materie beruhte auf den vier Elementen Feuer, Luft, Erde und Wasser (vgl. Timaios-Dialog in [Platon 1964]), denen in dieser Reihenfolge die vier platonischen Körper Tetraeder, Oktaeder, Würfel, und Ikosaeder, zugeordnet wurden. Dem fünften platonischen Körper, dem Dodekaeder, wurde dann das
gesamte Weltall zugeordnet.
Tetraeder: Feuer
Würfel: Erde
Oktaeder: Luft
Ikosaeder: Wasser
Dodekaeder: Himmel
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2. 3. 2 Kepler und die platonischen Körper
K EPLER s Planetenmodell
KEPLER versuchte, die Radienverhältnisse der Planetenbahnen mit einem Modell zu erklären, das aus ineinander geschachtelten platonischen Körpern mitsamt deren Umkugeln
und Inkugeln bestand.
Die Inkugel des einen Körpers ist gleichzeitig die Umkugel des nächst inneren Körpers.
KEPLER versuchte in einem Brief an Michael MÄSTLIN diese Idee zweidimensional mit einem Quadrat und einem Dreieck zu erklären.
Sphärische Vielecke
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Zweidimensionales Analogon
Johannes K EPLER 1571 - 1630
Diese Vorstellungen KEPLERs basieren noch ganz auf platonischem Denken und dem Versuch, die Welt durch möglichst schöne Gedanken und geometrische Modelle zu erklären.
Kepler hat seine Vorstellungen später korrigiert. Durch minutiöses Auswerten der empirischen Messresultate von Tycho BRAHE fand er die nach ihm benannten drei Keplerschen
Gesetze, von denen eines — in Abweichung der alten Vorstellung von den Planetenbahnen als Kreisbahnen — aussagt, dass die Planetenbahnen Ellipsenform haben. So steht
Kepler an der Schwelle zwischen antikem und neuzeitlichem Denken.
Sphärische Vielecke
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Kupferstich aus A P I A N U S , Astronomisches Instrumentenbuch, 1533
Literatur
[Berger 1987.2]
Berger, Marcel: Geometry II. New York: Springer 1987. ISBN 0387-17015-4
[Bigalke 1984]
Bigalke, Hans Günther: Kugelgeometrie. Otto Salle Verlag, Frankfurt am Main 1984. ISBN 3-7935-5530-5
[Coxeter 1973]
Coxeter, H.S.M.: Regular Polytopes. Third Edition. New York:
Dover 1973. ISBN 0-486-61480-8
[Gray 1993]
Gray, Alfred: Modern Differential Geometry of Curves and Surfaces. CRC Press, Boca Raton 1993. ISBN 0-8493-7872-9
[Petit 1982]
Petit, Jean-Pierre: Das Geometrikon. Weinheim: Physik-Verlag
1982. ISBN 3-87664-062-8
[Platon 1964]
Platon: Sämtliche Werke 5, Politikos, Philebos, Timaios, Kritias.
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1964.
[Schröder E 1988] Schröder, Eberhard: Kartenentwürfe der Erde. Teubner Verlag,
Leipzig 1988. ISBN 3-322-00479-1
[Schröder EM 1991] Schröder, Eberhard M.: Vorlesungen über Geometrie. Band 1:
Möbiussche, elliptische und hyperbolische Ebenen. B.I. Wissenschaftsverlag, Mannheim 1991. ISBN 3-411-15291-5
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