CICERO (3. JANUAR 106- 7. DEZEMBER 43 V. CHR.) Redner, Staatsmannund Philosoph Ciceros Leben fiel in die Endzeit der Republik, die vom Konflikt zwischen Popularen und Optimaten geprägt war. Im Jahre 106 v. Chr. wurde Marcus Tullius Cicero in Arpinum als Sohn eines römischen Ritters (eques) geboren. Um seinen beiden Söhnen Marcus und Quintus die beste Ausbildung zukommen zu lassen, zog der Vater mit ihnen nach Rom. Dort studierte Cicero Grammatik, Literatur und Rhetorik. Es folgte ein Militärdienst im Bundesgenossenkrieg in den Jahren 90 und 89 v. Chr. Im Jahre 88 v. Chr. begegnete er Philon von Larissa, einem der letzten Vertreter der platonischen Philosophie. Philon machte ihn mit den Dialogen Platons bekannt und begeisterte den achtzehnjährigen Cicero für die Philosophie. Etwa um 87 v. Chr. nahm ihn der Jurist Quintus Mucius Scaevola in seine Obhut. Unter ihm studierte Cicero Rechtswissenschaft und lernte die besten Redner seiner Zeit kennen. 81 bis 80 v. Chr. trat er zum ersten Mal erfolgreich als Gerichtsredner auf. Kurz davor verfasste er seine ersten Schriften. Er ging er dann 79-77 v. Chr. nach Griechenland und Kleinasien, um seine philosophischen und rhetorischen Studien fortzusetzen und zu vervollkommnen. Nach seiner Rückkehr 77 v. Chr. begann seine politische Laufbahn. 75 v. Chr. wurde er zum Quästor gewählt. Er erhielt den Westteil der Provinz Sizilien zugewiesen, die er mit größter Gewissenhaftigkeit und Unbestechlichkeit verwaltete. Mit der Quästur erlangte er 74 v. Chr. die Aufnahme in den Senat. Sein Durchbruch als Anwalt und Politiker in Rom gelang ihm 70 v. Chr. im Prozess gegen Verres (Reden gegen Verres, In Verrem). Es folgte im Jahre 69 v. Chr. das Amt des Ädils, dem sich 66 v. Chr. das des Prätors anschloss. Als Prätor hielt er seine erste politische Rede De imperio Cn. Pompei, in der er sich für den außerordentlichen Oberbefehl des Generals Cn. Pompeius im Krieg gegen König Mithridates einsetzte. Diese Rede legte Ciceros Position in der politischen Auseinandersetzung fest und bestimmte wesentlich sein politisches Schicksal. 63 v. Chr. erreichte er mit dem Konsulat den Höhepunkt des cursus honorum. Obwohl Ciceros Familie nicht zur römischen Aristokratie gehörte, wurde er mit den Stimmen aller Centurien gegen seinen Mitfavoriten Catilina, der im Hintergrund anscheinend von Caesar und Crassus unterstützt wurde, zum Konsul gewählt. Als homo novus, d.h. als erster Nichtaristokrat seit 60 Jahren, erreichte er dieses höchste politische Amt. Während seiner Amtszeit deckte er die Verschwörung des Catilina auf, der einen Staatsstreich zum Sturz der Regierung organisierte hatte. Cicero hielt vier Reden In Catilinam (zwei im Senat, zwei in der Volksversammlung), die zu den berühmtesten Reden aller Zeiten gehören, und erwirkte die Todesstrafe gegen die Verschwörer. Ohne Gerichtsurteil ließ er einige Angehörige der Gruppe um Catilina im Carcer Mamertinus, dem römischen Staatsgefängnis, hinrichten. Caesar, der Vertreter der Popularen, und andere römische Senatoren kritisierten Ciceros Vorgehen, da den Verschwörern als römischen Bürgern kein ordentlicher Prozess gewährt worden war. Cicero wurde daraufhin 58 v. Chr. zum Exil gezwungen. Nach über einjährigem Aufenthalt in Makedonien wurde er von Pompeius in Absprache mit Caesar 57 v. Chr. nach Rom zurückgerufen. Da Cicero nach seiner Rückkehr aus dem Exil politisch kaltgestellt war, widmete er sich in den folgenden Jahren der schriftstellerischen Tätigkeit. In dieser ersten größeren Schaffensperiode, die sich von 55 - 51 v. Chr. erstreckte, enstanden das rhetorische Hauptwerk De oratore sowie die staatstheoretischen Schriften De re publica und De legibus. Er unterbrach seine schriftstellerische Arbeit im Jahr 51 v. Chr., als er als Prokonsul in die römische Provinz Kilikien geschickt wurde. Im Jahr 50 v. Chr. kehrte er nach Rom zurück und schloss sich im 49 v. Chr. ausgebrochenen Bürgerkrieg Pompeius an. Nach Pompeius’ Niederlage 48 v. Chr. ging Cicero auf das Bündnisangebot mit Caesar ein und wurde 47 v. Chr. begnadigt. Es folgte von 46 - 44 v. Chr. die zweite und produktivste Schaffensperiode Ciceros. Während die Hauptwerke der ersten produktiven Phase vorwiegend politischer und rhetorischer Natur waren, zog sich Cicero nach seinem endgültigen politischen Scheitern und nach dem Tod seiner Tochter Tullia im Jahr 45 v. Chr. aus dem politischen Leben zurück und konzentrierte sich überwiegend auf seine philosophischen Arbeiten. In einem knapp zweijährigen Zeitraum entstanden neben den weiteren rhetorischen Schriften Brutus und Orator seine wichtigsten philosophischen Schriften: neben der Consolatio ad se ipsum (Trostschrift für sich selbst) sind hier vor allem zu nennen: Hortensius (verloren), De finibus bonorum et malorum, Tusculanae disputationes, De natura deorum, De senectute, De amicitia sowie De officiis. Ciceros literarisches Werk steht im Zentrum der lateinischen Prosa überhaupt. Seine Schriften, die zum Großteil an ihre griechischen Quellen angelehnt sind, haben wesentlich zur Erhaltung der griechischen Philosophie und Rhetorik beigetragen. Als seine wichtigsten griechischen Lehrer nennt Cicero selbst den Stoiker Diodotos, den Akademiker Philon von Larissa, Antiochos von Askalon, Poseidonios und den Epikureer Zenon von Sidon. Große Bedeutung kommt ebenfalls den vier Sammlungen von Ciceros Briefverkehr mit verschiedenen Freunden zu. Diese Briefe sind private Selbstzeugnisse ihres Autors sowie eine ausgezeichnete Quelle über die Politik und das Leben in Rom. Ciceros Werke übten großen Einfluss auf spätere Autoren aus, insbesondere auf Boethius und Augustinus sowie Petrarca und andere Renaissanceschriftsteller. Seine meist in Dialogform verfassten Arbeiten sind als Produkte eines exzellenten Rhetorikers und als Quelle historischer Zeugnisse von größtem Wert. Sein vollkommener Stil gilt bis heute als vorbildlich. 44 v. Chr. übernahm Cicero schließlich im Senat nach Caesars Ermordung die führende Rolle. In der Hoffnung auf den Wiederaufbau der Republik unterstützte er Caesars Adoptivsohn Octavian, den späteren Kaiser Augustus, in seinem Machtkampf mit dem römischen Konsul Marcus Antonius. Cicero hielt daraufhin 14 Reden gegen Antonius, die Orationes Philippicae. Im November des Jahres 43 v. Chr. kam es zur Versöhnung zwischen den Gegnern, als Octavian mit Lepidus und Antonius das zweite Triumvirat schloss. Die politischen Gegner der Triumvirn, darunter auch Cicero, kamen auf Proskriptionslisten. Am 7. Dezember 43 v. Chr. wurde Cicero von den Häschern des Antonius ermordet, die ihm Haupt und Hände abschlugen. Antonius ließ diese in Rom zur Schau ausstellen; seine Frau Fulvia soll die Zunge des Verhassten mit ihrer Nadel durchbohrt haben. Auch wenn Cicero selbst, wie wir erfahren, die Rhetorik nur als Werkzeug, die Philosophie aber als seine eigentliche Aufgabe angesehen hat ..., so hat er doch wie kein anderer gezeigt, welche überragende Wichtigkeit die eloquentia, die Kunst der Sprache, für den Politiker, der Menschen gewinnen, wie für den Philosophen, der sie belehren will, besitzt. An sie vor allem denkt er, wenn er von den Disziplinen spricht, die den Menschen zu der humanitas formen, die in sich Menschlichkeit und Geistesbildung vereint ...; sie ist ihm unentbehrlich, um Menschen verantwortlich zu leiten ...; und durch die Fähigkeit, das Gedachte allen verständlich zu machen, «krönt sie sogar die Künste der Philosophen» ... Durch seine eloquentia hat Cicero es erreicht, dass die Sprache des kleinen Latium der Literatur- und Weltsprache Griechisch ebenbürtig und in späteren Jahrhunderten zur gemeinsamen Sprache Europas wurde. Und so hat sein prominentester Gegner und Bewunderer, Caesar, nicht ohne Grund von ihm gesagt: Cicero habe um so viel mehr für Rom geleistet als alle Feldherren mit ihren Triumphen, «als es mehr ist, die Grenzen des römischen Geistes erweitert zu haben, als die des römischen Reiches». Wilfried Stroh, Cicero, Redner, Staatsmann, Philosoph, S. 122