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PFLEGE ERNÄHRUNG
Hunger und Durst stillen
Ernährung und Flüssigkeitsversorgung F In der Terminalphase lässt das Interesse
an Essen und Trinken nach, die Aufmerksamkeitsphasen werden kürzer und die Nahrungsaufnahme strengt vermehrt an. In dieser letzten Lebensphase stehen daher Überlegungen
zur Symptomkontrolle im Vordergrund.
In der terminalen Lebensphase
muss die Basisversorgung des
Patienten immer gesichert sein. Dazu
gehören menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung und Ansprache, Körperpflege, Linderung von Schmerzen,
Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen
von Hunger und Durst. Bewusst wurde
auf den Begriff „Ernährung“ verzichtet,
um hervorzuheben, dass vom Erleben
der Betroffenen auszugehen ist und weniger von dem, was Angehörige oder das
Betreuungsteam für nötig empfinden.
Aus ernährungsmedizinischer Sicht
gilt es, Maßnahmen gegen Hunger und
Durst zu treffen. Sonstige Überlegungen
der Ernährungstherapie, beispielsweise
zur Unterstützung des Heilungsverlaufs,
zur Lebensverlängerung, zur Verbesserung und zum Erhalt von Funktionen
treten in den Hintergrund. Die Umsetzung bereitet allerdings noch Probleme:
Insbesondere die künstliche Ernährung
und Flüssigkeitssubstitution wird immer
wieder neu und emotional diskutiert.
Wenngleich sich in den Betreuungsteams
mehr und mehr durchsetzt, dass die
Bedeutung von Nährstoffzufuhr in der
Sterbephase kontinuierlich abnimmt,
besteht hinsichtlich Flüssigkeitsbedarf
und -zufuhr große Unsicherheit.
D
Terminale Dehydratation
Der allmähliche Verlust von Wasser und
Elektrolyten gehört ebenso zum Sterbeprozess wie die Abnahme der Aufmerksamkeit, Müdigkeit und der generelle
emotionale Rückzug. Die terminale
Dehydratation ist von einer akuten (hypo-
oder hypernatriämischen) Dehydratation
zu unterscheiden. Die terminale Dehydratation kann sehr unterschiedliche Zeichen und Symptome aufweisen (gekürzt
nach Richter 2006):
z Xerostomie (Mundtrockenheit) und
Durst
z Fatigue, Übelkeit, Erbrechen,
Kopfschmerzen
z Apathie, kognitive Störungen,
geringeres Schmerzempfinden
z Erschlaffen der Haut, trockene Haut,
weniger Ödeme
z Abfall von Venendruck und Blutdruck, Durchblutungsstörungen,
erhöhtes Dekubitusrisiko
z Reduktion von Übelkeit, Erbrechen,
gastrointestinaler Flüssigkeitsbildung
z Weniger Atemnot, Husten und Erstickungsgefühl, jedoch zäher Schleim
z Verminderte Ödemneigung, Reduktion von Aszites und Pleuraergüssen
z Veränderte Elektrolytzusammensetzung verbunden mit natürlicher
Anästhesie und Entspannung, aber
auch eventuelles Auftreten von
Muskelkrämpfen
z Endorphinproduktion mit geringerer
Schmerzempfindung
Von diesen Symptomen werden Mundtrockenheit und Durst als die größten
Probleme benannt (siehe S. 34). Der
im Entwurf vorliegende Expertenstandard „Ernährungsmanagement“ des
Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) geht in
vielfältiger Weise auf die Ernährungsund Flüssigkeitsversorgung in der Pflege schwerkranker und alter Menschen
ein und belegt durch Untersuchungen,
dass schon mit kleinen Speisen- und
Getränkeangeboten dem Hunger- und
Durstgefühl begegnet werden konnte.
Gegen die Mundtrockenheit werden
Eiswürfel oder das Befeuchten und Eincremen der Lippen als effektiv beschrieben (DNQP 2008). Pflegende können
zusammen mit den Patienten und deren
Angehörigen sowie aus der beruflichen
Erfahrung heraus Trinkstrategien entwickeln. Dazu gehören Lieblingsgetränke,
Assistenz beim Trinken, entsprechende
Trinkgefäße, gegebenenfalls Strohhalm,
ansprechende Darreichung etc. Das
frühzeitige Einbinden der Angehörigen
in die Überlegungen und die Versorgung
des Kranken führt häufig zu einem partnerschaftlicheren Umgang. Angehörige
reagieren dann in späteren Diskussionen,
etwa in der Frage der Infusionstherapie,
mit weniger Ängsten.
Rehydrierung bei Durst
Die Symptome Mundtrockenheit und
Durst sind nicht unbedingt in direktem
Zusammenhang mit dem Hydrierungszustand der Patienten zu sehen und eine
parenterale Flüssigkeitsgabe führt nicht
unbedingt zur Besserung des Symptoms.
Durch sorgfältige und regelmäßige
Mundpflege lassen sich Mundtrockenheit und Durst oft ausreichend behandelt – insbesondere in Kombination mit
einfachen Maßnahmen und der Gabe
von kleinen Mengen Flüssigkeit (Teelöffelgabe).
Erscheint eine Rehydrierung sinnvoll,
steht immer die orale Flüssigkeitsgabe im
Palliative Care . Heilberufe Spezial 2009
ERNÄHRUNG PALLIATIVE CARE . PRAXIS
Nahrungsverweigerung kann auch eine nonverbale Willensäußerung darstellen. Diese
Zeichen müssen Angehörige und Pflegende interpretieren lernen.
Foto: dpa
F
Vordergrund. Sie entspricht der natürlichen Anlage und beeinflusst die Lebensqualität in aller Regel positiver als die
künstliche Flüssigkeitszufuhr. Erst wenn
diese Strategien nicht mehr greifen oder
nicht ausreichen, erfolgt eine künstliche
Flüssigkeitsgabe enteral über eine Sonde
(nasal, oral, PEG) oder rektal, intravenös
oder subkutan.
Aus palliativpflegerischer Sicht scheint
die subkutane Infusion (Hypodermoklyse) in der häuslichen Pflege, im Pflegeheim und Hospiz und Krankenhaus die
Methode der Wahl. Die Infusion soll
immer zu der Zeit verabreicht werden, in
der die Patienten ohnehin inaktiv sind
und dadurch während der Flüssigkeitsgabe keine zusätzliche Beeinträchtigung
erleben.
Die künstliche Flüssigkeitsgabe ist
zunächst als Versuch zu werten. Ergibt
sich durch die Infusion jedoch nach etwa
24 Stunden keine Befundbesserung, sollte die künstliche Flüssigkeitsgabe beendet werden, da bei der Nutzen-Belastungs-Abwägung die Risiken der parenteralen Flüssigkeitsgabe überwiegen. Zur
Beurteilung des Erfolgs der Maßnahme
dient das klinische Bild der Patienten, das
sich in Symptomverbesserung und Verbesserung des Allgemeinzustandes zeigen soll.
2009 Heilberufe Spezial . Palliative Care
Tumorkachexie – Ernährung in der
Krebstherapie
Das invasive Tumorwachstum ist von
Veränderungen in der Körperzusammensetzung und biochemischen Vorgängen begleitet. Mit fortschreitendem
Wachstum ergibt sich oft das Bild der
Tumorkachexie (Auszehrung). Das
Ausmaß dieser Veränderung ist individuell unterschiedlich ausgeprägt. Die
Entstehung der Tumorkachexie ist noch
nicht hinreichend bekannt. Neben der
Tumorausdehnung, der Nahrungszufuhr
und dem Stoffwechselstatus ist auch der
Tumortyp für die Kachexie verantwortlich. Das Ausmaß der Malnutrition und
Tumorkachexie beeinträchtigt nicht nur
die Lebensqualität von Tumorpatienten,
sondern begünstigt auch das Auftreten
von Komplikationen wie Wundheilungsstörungen, Dekubitus und Infektionen.
Die zentrale Aufgabe der Ernährungstherapie liegt darin, alle Voraussetzungen
für optimale Körperfunktionen zu schaffen, für den Erhalt einer im Sinne der
Patienten hohen Lebensqualität zu sorgen und so positiv auf die Regenerationsfähigkeit des Organismus einzuwirken.
Dabei sollen sich die Patienten so lange
wie möglich oral, also natürlich, ernähren. Die Auswahl der Lebensmittel und
deren Verarbeitung soll sich an den Prä-
4 Terminale Dehydratation
PRO Rehydrierungsversuch
z Patientenwille
z Verwirrtheitszustand
z Unerklärliche Unruhe
z Muskelkrämpfe
z Erhöhte (toxische) Medikamentenwirkung
z Hyperkalzämie
z Akuter Flüssigkeitsverlust bei ansonsten
relativ guter Lebensqualität
CONTRA Rehydrierungsversuch
z Fehlender Zusammenhang von subjektivem
Durstgefühl und Dehydrierung
z Weniger Ödembildung
z Besserung der Atemsituation mit weniger
Atemnot, Husten, Erstickungsgefühl
z Weniger Übelkeit und Erbrechen bei geringer Bildung gastrointestinaler Sekrete
z Abnahme der Urinproduktion, geringere
Stuhlproduktion
z Endogene Endorphinproduktion mit reduziertem Schmerzempfinden
z Psychische Veränderungen mit Schläfrigkeit,
weniger Unruhe,
z Potenzielle Nebenwirkungen artifizieller
Flüssigkeitsubstitution
(verkürzt nach Richter 2006)
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PFLEGE ERNÄHRUNG
gung gegen Fleisch entwickelten (DNQP
2008).
4 Faktoren bei der
Ernährungsberatung
z Erfassen der aktuellen Probleme (Appetitlosigkeit, Schmerzen, Unverträglichkeiten)
z Erfassen der persönlichen Bewältigungsstrategien
z Erarbeiten eines Speiseplans mit Wunschkost
(Präferenzen und Aversionen)
z Anpassen der Speisen an die individuellen
Möglichkeiten/Fähigkeiten
z Beachten der Darreichungsform (Mahlzeitengröße, Aussehen, Konsistenz)
z Sensorische Signale (optische und
olfaktorische Reize, Geschmack)
z Appetitanregung durch psychische Verstärker (Rituale, Gespräche, )
z Umgebungsgestaltung (Speisenpräsentation, Tisch- und Raumgestaltung)
z Störmomente ausschalten (Umgebungsgeräusche, Musikbeschallung)
z Beobachten der Ernährungsparameter
(Menge der Speisenaufnahme, Vorlieben)
z Einbeziehen, gegebenenfalls Schulen der Bezugspersonen (Familie, Freunde, Mitarbeiter)
(nach Hahn 2006, Richter 2006, Huhn 2007)
ferenzen der Kranken orientieren
(Wunschkost). Empfohlen wird der Verzicht auf Genussmittel (Alkohol, Tabak),
eine Einschränkung der Fettzufuhr und
ein hoher Obst- und Gemüseanteil. Die
Tumorlokalisation muss bei der Ernährungsentscheidung, insbesondere bei
Überlegungen zu künstlicher Ernährung,
einbezogen werden.
Im Entwurf zum Expertenstandard
Ernährungsmanagement des DNQP
(2008) wird auf Untersuchungen verwiesen, die belegen, dass durch Schmerzmanagement, Symptomreduktion und die
Anpassung der Speisen an die Fähigkeiten
und den Geschmack der Patienten, das
Ernährungsverhalten positiv beeinflusst
werden konnte. Interessant ist ein Ergebnis, wonach 92 % der an Krebs erkrankten Patienten bis zum Tag ihres Todes
essen konnten und nur 13 % eine Abnei-
Künstliche Ernährung
Auch für die künstliche Ernährung in
der Terminalphase gibt es keine allgemeingültigen oder sonstigen festgelegten
Standards, die zur Entscheidungsfindung
herangezogen werden können. Da Patientenverfügungen diesen Aspekt immer
noch zu häufig aus klammern, ist bei der
Entscheidung für oder gegen die künstliche Ernährung von den grundsätzlichen
Zielen bei der Betreuung auszugehen
(nach Richter 2006):
z Leidensverminderung
z Symptomkontrolle
z Vermeiden von behandlungsbedingten Belastungen und Nebenwirkungen
z Verbesserung der Lebensqualität
z Ermöglichen von Selbstkontrolle und
Selbstbestimmung
z Erreichen eines „guten Todes“/Sterben in Würde
Diese Ziele sollten innerhalb des Teams
diskutiert und mit den Patienten und
deren Angehörigen besprochen werden.
Oft kann künstliche Ernährung keinen
wesentlichen Beitrag leisten, um diese
Ziele zu erreichen.
Angehörige aber auch professionelle
Betreuer erwarten von der Sondenernährung meist eine Verbesserung des
Wohlbefindens und der Lebensqualität
oder zumindest die Linderung von
Beschwerden und eine Lebensverlängerung. Die Annahme ist, dies würde sich
durch Stoppen oder Ausgleich des
Gewichtsverlusts erreichen lassen. Ein
häufiges Argument für eine Sondenernährung – auch in der Betreuung von
Demenzkranken – ist eine mögliche
Reduktion des Aspirierens und der
gefürchteten Aspirationspneumonie.
Dafür gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege. Es liegen jedoch Arbeiten
vor, die zumindest den Verdacht einer
erhöhten Morbidität und Mortalität nahe
legen. Zudem liegen keine Vergleichsstudien vor, die belegen, dass die Sondenernährung bessere Ergebnisse zeigen wür-
de als das assistierte Darreichen. Während gemeinsame Mahlzeiten oder assistiertes Essen soziale Interaktionen darstellen, entspricht vollständige Sondenernährung oft einer Ausgrenzung aus
der Gemeinschaft und verstärkt die Isolation.
Pflegende müssen vielleicht lernen,
dass Patienten und Bewohner für sich
andere Prioritäten setzen oder dass die
Verweigerung der Nahrung auch eine
nonverbale Willensäußerung darstellen
kann. Die permanente Erwartungshaltung von Angehörigen und dem Betreuungsteam an das Ernährungsverhalten
der Patienten und Bewohner kann von
diesen durchaus als Bedrohung erlebt
werden, und zu sozialer und psychischer
Belastung führen, weil sie den Ansprüchen der (gut meinenden) Anderen nicht
entsprechen. Vielmehr sollten Angehörige und Betreuungspersonen ihr Verhalten reflektieren, damit nicht eigene Hilflosigkeit auf die Patienten/Bewohner
projiziert wird.
Fazit
Der Expertenstandard „Ernährungsmanagement“ des DNQP beleuchtet aus
pflegerischer Sicht auch die Ernährung
und Flüssigkeitsversorgung bei Schwerstkranken und Sterbenden und bietet
damit eine Orientierung. Dabei werden
die physiologischen, die sozialen und
ethischen Aspekte berücksichtigt. Menschenwürdige Pflege und Betreuung
erfordern einen hohen Aufwand an Zeit
und personeller Unterstützung sowie
regelmäßige Fort- und Weiterbildung.
Eine Aufgabe der Akteure im Gesundheits- und Sozialwesen muss es daher
sein, diese Notwendigkeiten aufzuzeigen und die nötigen Voraussetzungen zu
schaffen.
z
E Siegfried Huhn
E Pflegeberatung, Fortbildung,
Qualitätssicherung
Hagelbergerstr. 46, 10965 Berlin
E Literatur in der Rubrik „Kontext“ unter
www.heilberufe-online.de
Palliative Care . Heilberufe Spezial 2009
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