36 PFLEGE ERNÄHRUNG Hunger und Durst stillen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung F In der Terminalphase lässt das Interesse an Essen und Trinken nach, die Aufmerksamkeitsphasen werden kürzer und die Nahrungsaufnahme strengt vermehrt an. In dieser letzten Lebensphase stehen daher Überlegungen zur Symptomkontrolle im Vordergrund. In der terminalen Lebensphase muss die Basisversorgung des Patienten immer gesichert sein. Dazu gehören menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung und Ansprache, Körperpflege, Linderung von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen von Hunger und Durst. Bewusst wurde auf den Begriff „Ernährung“ verzichtet, um hervorzuheben, dass vom Erleben der Betroffenen auszugehen ist und weniger von dem, was Angehörige oder das Betreuungsteam für nötig empfinden. Aus ernährungsmedizinischer Sicht gilt es, Maßnahmen gegen Hunger und Durst zu treffen. Sonstige Überlegungen der Ernährungstherapie, beispielsweise zur Unterstützung des Heilungsverlaufs, zur Lebensverlängerung, zur Verbesserung und zum Erhalt von Funktionen treten in den Hintergrund. Die Umsetzung bereitet allerdings noch Probleme: Insbesondere die künstliche Ernährung und Flüssigkeitssubstitution wird immer wieder neu und emotional diskutiert. Wenngleich sich in den Betreuungsteams mehr und mehr durchsetzt, dass die Bedeutung von Nährstoffzufuhr in der Sterbephase kontinuierlich abnimmt, besteht hinsichtlich Flüssigkeitsbedarf und -zufuhr große Unsicherheit. D Terminale Dehydratation Der allmähliche Verlust von Wasser und Elektrolyten gehört ebenso zum Sterbeprozess wie die Abnahme der Aufmerksamkeit, Müdigkeit und der generelle emotionale Rückzug. Die terminale Dehydratation ist von einer akuten (hypo- oder hypernatriämischen) Dehydratation zu unterscheiden. Die terminale Dehydratation kann sehr unterschiedliche Zeichen und Symptome aufweisen (gekürzt nach Richter 2006): z Xerostomie (Mundtrockenheit) und Durst z Fatigue, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen z Apathie, kognitive Störungen, geringeres Schmerzempfinden z Erschlaffen der Haut, trockene Haut, weniger Ödeme z Abfall von Venendruck und Blutdruck, Durchblutungsstörungen, erhöhtes Dekubitusrisiko z Reduktion von Übelkeit, Erbrechen, gastrointestinaler Flüssigkeitsbildung z Weniger Atemnot, Husten und Erstickungsgefühl, jedoch zäher Schleim z Verminderte Ödemneigung, Reduktion von Aszites und Pleuraergüssen z Veränderte Elektrolytzusammensetzung verbunden mit natürlicher Anästhesie und Entspannung, aber auch eventuelles Auftreten von Muskelkrämpfen z Endorphinproduktion mit geringerer Schmerzempfindung Von diesen Symptomen werden Mundtrockenheit und Durst als die größten Probleme benannt (siehe S. 34). Der im Entwurf vorliegende Expertenstandard „Ernährungsmanagement“ des Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) geht in vielfältiger Weise auf die Ernährungsund Flüssigkeitsversorgung in der Pflege schwerkranker und alter Menschen ein und belegt durch Untersuchungen, dass schon mit kleinen Speisen- und Getränkeangeboten dem Hunger- und Durstgefühl begegnet werden konnte. Gegen die Mundtrockenheit werden Eiswürfel oder das Befeuchten und Eincremen der Lippen als effektiv beschrieben (DNQP 2008). Pflegende können zusammen mit den Patienten und deren Angehörigen sowie aus der beruflichen Erfahrung heraus Trinkstrategien entwickeln. Dazu gehören Lieblingsgetränke, Assistenz beim Trinken, entsprechende Trinkgefäße, gegebenenfalls Strohhalm, ansprechende Darreichung etc. Das frühzeitige Einbinden der Angehörigen in die Überlegungen und die Versorgung des Kranken führt häufig zu einem partnerschaftlicheren Umgang. Angehörige reagieren dann in späteren Diskussionen, etwa in der Frage der Infusionstherapie, mit weniger Ängsten. Rehydrierung bei Durst Die Symptome Mundtrockenheit und Durst sind nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit dem Hydrierungszustand der Patienten zu sehen und eine parenterale Flüssigkeitsgabe führt nicht unbedingt zur Besserung des Symptoms. Durch sorgfältige und regelmäßige Mundpflege lassen sich Mundtrockenheit und Durst oft ausreichend behandelt – insbesondere in Kombination mit einfachen Maßnahmen und der Gabe von kleinen Mengen Flüssigkeit (Teelöffelgabe). Erscheint eine Rehydrierung sinnvoll, steht immer die orale Flüssigkeitsgabe im Palliative Care . Heilberufe Spezial 2009 ERNÄHRUNG PALLIATIVE CARE . PRAXIS Nahrungsverweigerung kann auch eine nonverbale Willensäußerung darstellen. Diese Zeichen müssen Angehörige und Pflegende interpretieren lernen. Foto: dpa F Vordergrund. Sie entspricht der natürlichen Anlage und beeinflusst die Lebensqualität in aller Regel positiver als die künstliche Flüssigkeitszufuhr. Erst wenn diese Strategien nicht mehr greifen oder nicht ausreichen, erfolgt eine künstliche Flüssigkeitsgabe enteral über eine Sonde (nasal, oral, PEG) oder rektal, intravenös oder subkutan. Aus palliativpflegerischer Sicht scheint die subkutane Infusion (Hypodermoklyse) in der häuslichen Pflege, im Pflegeheim und Hospiz und Krankenhaus die Methode der Wahl. Die Infusion soll immer zu der Zeit verabreicht werden, in der die Patienten ohnehin inaktiv sind und dadurch während der Flüssigkeitsgabe keine zusätzliche Beeinträchtigung erleben. Die künstliche Flüssigkeitsgabe ist zunächst als Versuch zu werten. Ergibt sich durch die Infusion jedoch nach etwa 24 Stunden keine Befundbesserung, sollte die künstliche Flüssigkeitsgabe beendet werden, da bei der Nutzen-Belastungs-Abwägung die Risiken der parenteralen Flüssigkeitsgabe überwiegen. Zur Beurteilung des Erfolgs der Maßnahme dient das klinische Bild der Patienten, das sich in Symptomverbesserung und Verbesserung des Allgemeinzustandes zeigen soll. 2009 Heilberufe Spezial . Palliative Care Tumorkachexie – Ernährung in der Krebstherapie Das invasive Tumorwachstum ist von Veränderungen in der Körperzusammensetzung und biochemischen Vorgängen begleitet. Mit fortschreitendem Wachstum ergibt sich oft das Bild der Tumorkachexie (Auszehrung). Das Ausmaß dieser Veränderung ist individuell unterschiedlich ausgeprägt. Die Entstehung der Tumorkachexie ist noch nicht hinreichend bekannt. Neben der Tumorausdehnung, der Nahrungszufuhr und dem Stoffwechselstatus ist auch der Tumortyp für die Kachexie verantwortlich. Das Ausmaß der Malnutrition und Tumorkachexie beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität von Tumorpatienten, sondern begünstigt auch das Auftreten von Komplikationen wie Wundheilungsstörungen, Dekubitus und Infektionen. Die zentrale Aufgabe der Ernährungstherapie liegt darin, alle Voraussetzungen für optimale Körperfunktionen zu schaffen, für den Erhalt einer im Sinne der Patienten hohen Lebensqualität zu sorgen und so positiv auf die Regenerationsfähigkeit des Organismus einzuwirken. Dabei sollen sich die Patienten so lange wie möglich oral, also natürlich, ernähren. Die Auswahl der Lebensmittel und deren Verarbeitung soll sich an den Prä- 4 Terminale Dehydratation PRO Rehydrierungsversuch z Patientenwille z Verwirrtheitszustand z Unerklärliche Unruhe z Muskelkrämpfe z Erhöhte (toxische) Medikamentenwirkung z Hyperkalzämie z Akuter Flüssigkeitsverlust bei ansonsten relativ guter Lebensqualität CONTRA Rehydrierungsversuch z Fehlender Zusammenhang von subjektivem Durstgefühl und Dehydrierung z Weniger Ödembildung z Besserung der Atemsituation mit weniger Atemnot, Husten, Erstickungsgefühl z Weniger Übelkeit und Erbrechen bei geringer Bildung gastrointestinaler Sekrete z Abnahme der Urinproduktion, geringere Stuhlproduktion z Endogene Endorphinproduktion mit reduziertem Schmerzempfinden z Psychische Veränderungen mit Schläfrigkeit, weniger Unruhe, z Potenzielle Nebenwirkungen artifizieller Flüssigkeitsubstitution (verkürzt nach Richter 2006) 37 38 PFLEGE ERNÄHRUNG gung gegen Fleisch entwickelten (DNQP 2008). 4 Faktoren bei der Ernährungsberatung z Erfassen der aktuellen Probleme (Appetitlosigkeit, Schmerzen, Unverträglichkeiten) z Erfassen der persönlichen Bewältigungsstrategien z Erarbeiten eines Speiseplans mit Wunschkost (Präferenzen und Aversionen) z Anpassen der Speisen an die individuellen Möglichkeiten/Fähigkeiten z Beachten der Darreichungsform (Mahlzeitengröße, Aussehen, Konsistenz) z Sensorische Signale (optische und olfaktorische Reize, Geschmack) z Appetitanregung durch psychische Verstärker (Rituale, Gespräche, ) z Umgebungsgestaltung (Speisenpräsentation, Tisch- und Raumgestaltung) z Störmomente ausschalten (Umgebungsgeräusche, Musikbeschallung) z Beobachten der Ernährungsparameter (Menge der Speisenaufnahme, Vorlieben) z Einbeziehen, gegebenenfalls Schulen der Bezugspersonen (Familie, Freunde, Mitarbeiter) (nach Hahn 2006, Richter 2006, Huhn 2007) ferenzen der Kranken orientieren (Wunschkost). Empfohlen wird der Verzicht auf Genussmittel (Alkohol, Tabak), eine Einschränkung der Fettzufuhr und ein hoher Obst- und Gemüseanteil. Die Tumorlokalisation muss bei der Ernährungsentscheidung, insbesondere bei Überlegungen zu künstlicher Ernährung, einbezogen werden. Im Entwurf zum Expertenstandard Ernährungsmanagement des DNQP (2008) wird auf Untersuchungen verwiesen, die belegen, dass durch Schmerzmanagement, Symptomreduktion und die Anpassung der Speisen an die Fähigkeiten und den Geschmack der Patienten, das Ernährungsverhalten positiv beeinflusst werden konnte. Interessant ist ein Ergebnis, wonach 92 % der an Krebs erkrankten Patienten bis zum Tag ihres Todes essen konnten und nur 13 % eine Abnei- Künstliche Ernährung Auch für die künstliche Ernährung in der Terminalphase gibt es keine allgemeingültigen oder sonstigen festgelegten Standards, die zur Entscheidungsfindung herangezogen werden können. Da Patientenverfügungen diesen Aspekt immer noch zu häufig aus klammern, ist bei der Entscheidung für oder gegen die künstliche Ernährung von den grundsätzlichen Zielen bei der Betreuung auszugehen (nach Richter 2006): z Leidensverminderung z Symptomkontrolle z Vermeiden von behandlungsbedingten Belastungen und Nebenwirkungen z Verbesserung der Lebensqualität z Ermöglichen von Selbstkontrolle und Selbstbestimmung z Erreichen eines „guten Todes“/Sterben in Würde Diese Ziele sollten innerhalb des Teams diskutiert und mit den Patienten und deren Angehörigen besprochen werden. Oft kann künstliche Ernährung keinen wesentlichen Beitrag leisten, um diese Ziele zu erreichen. Angehörige aber auch professionelle Betreuer erwarten von der Sondenernährung meist eine Verbesserung des Wohlbefindens und der Lebensqualität oder zumindest die Linderung von Beschwerden und eine Lebensverlängerung. Die Annahme ist, dies würde sich durch Stoppen oder Ausgleich des Gewichtsverlusts erreichen lassen. Ein häufiges Argument für eine Sondenernährung – auch in der Betreuung von Demenzkranken – ist eine mögliche Reduktion des Aspirierens und der gefürchteten Aspirationspneumonie. Dafür gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege. Es liegen jedoch Arbeiten vor, die zumindest den Verdacht einer erhöhten Morbidität und Mortalität nahe legen. Zudem liegen keine Vergleichsstudien vor, die belegen, dass die Sondenernährung bessere Ergebnisse zeigen wür- de als das assistierte Darreichen. Während gemeinsame Mahlzeiten oder assistiertes Essen soziale Interaktionen darstellen, entspricht vollständige Sondenernährung oft einer Ausgrenzung aus der Gemeinschaft und verstärkt die Isolation. Pflegende müssen vielleicht lernen, dass Patienten und Bewohner für sich andere Prioritäten setzen oder dass die Verweigerung der Nahrung auch eine nonverbale Willensäußerung darstellen kann. Die permanente Erwartungshaltung von Angehörigen und dem Betreuungsteam an das Ernährungsverhalten der Patienten und Bewohner kann von diesen durchaus als Bedrohung erlebt werden, und zu sozialer und psychischer Belastung führen, weil sie den Ansprüchen der (gut meinenden) Anderen nicht entsprechen. Vielmehr sollten Angehörige und Betreuungspersonen ihr Verhalten reflektieren, damit nicht eigene Hilflosigkeit auf die Patienten/Bewohner projiziert wird. Fazit Der Expertenstandard „Ernährungsmanagement“ des DNQP beleuchtet aus pflegerischer Sicht auch die Ernährung und Flüssigkeitsversorgung bei Schwerstkranken und Sterbenden und bietet damit eine Orientierung. Dabei werden die physiologischen, die sozialen und ethischen Aspekte berücksichtigt. Menschenwürdige Pflege und Betreuung erfordern einen hohen Aufwand an Zeit und personeller Unterstützung sowie regelmäßige Fort- und Weiterbildung. Eine Aufgabe der Akteure im Gesundheits- und Sozialwesen muss es daher sein, diese Notwendigkeiten aufzuzeigen und die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. z E Siegfried Huhn E Pflegeberatung, Fortbildung, Qualitätssicherung Hagelbergerstr. 46, 10965 Berlin E Literatur in der Rubrik „Kontext“ unter www.heilberufe-online.de Palliative Care . Heilberufe Spezial 2009