Die Topologie von R , C und Rn Für R haben wir bereits eine Reihe von Strukturen kennengelernt: eine algebraische Struktur (Körper), eine Ordnungsstruktur und eine metrische Struktur (Absolutbetrag, Abstand). Bei vielen Untersuchungen in der Analysis kommt es nur auf die metrische (bzw. allgemeiner topologische) Struktur an, welche es etwa ermöglicht, konvergente Folgen zu definieren. In R ist diese metrische Struktur durch pd(x, y) = |x − y| gegeben, in C (= R2 ) durch d(z, w) = |z − w| = (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 falls zs= x1 + iy1 und w = x2 + iy2 , und im Rn durch d(x, y) = kx − yk = n P (xi − yi )2 . i=1 Allgemeiner nennt man ein Paar (M, d) einen metrischen Raum, wenn M 6= ∅ eine Menge ist und d : M × M → R eine Abbildung mit folgenden Eigenschaften ist: (1) d(x, y) ≥ 0 ; d(x, y) = 0 ⇔ x = y (2) d(x, y) = d(y, x) (Symmetrie) (3) d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) (Dreiecksungleichung) Die Abbildung d heißt Metrik, und die Zahl d(x, y) der Abstand zwischen x und y . Zuvor wurde schon für R , C und Rn gezeigt: Satz. R , C und Rn sind mit den oben genannten Abstandsfunktionen metrische Räume. Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum und x0 ∈ M . (i) Für jedes ε > 0 heißt die Menge Uε (x0 ) = {x ∈ M : d(x0 , x) < ε} die (offene) ε-Kugel (oder ε-Umgebung) um x0 . 1 (ii) U ⊆ M enthält. heißt Umgebung von x0 , wenn U eine ε-Kugel um x0 Bemerkungen. Für M = R ist eine ε-Kugel um x0 offenbar das offene Intervall (x0 − ε, x0 + ε) , für M = C (bzw. R2 ) eine offene Kreisscheibe mit Radius ε um z0 ∈ C (bzw. (x0 , y0 ) ∈ R2 ) , und im Falle M = R3 eine offene Kugel mit Radius ε um den jeweiligen Mittelpunkt. Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum. Dann heißt eine Folge (xn ) in M konvergent gegen x0 ∈ M , wenn in jeder ε-Kugel um x0 fast alle Folgenglieder liegen, d.h. ∀ ε > 0 ∃ Nε ∈ N sodass ∀ n > Nε gilt xn ∈ Uε (x0 ) . Bemerkung. Man beachte, dass diese Definition konsistent ist mit den vorherigen Defintionen von konvergenten Folgen für die speziellen Räume R , C und Rn . Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum und X ⊆ M . (i) x0 ∈ X heißt innerer Punkt von X, wenn ein ε > 0 existiert mit Uε (x0 ) ⊆ X . Die Menge der inneren Punkte von X heißt das Innere von X (bzw. offener Kern von X) und wird mit X 0 bezeichnet. (ii) X heißt offen , wenn X = X 0 , d.h. wenn alle Punkte von X innere Punkte sind. Per definition ist die leere Menge ebenfalls offen. Bemerkungen. 1) Klarerweise ist M selbst eine offene Menge. Für x0 ∈ M und ε > 0 ist die ε-Kugel Uε (x0 ) auch selbst wieder eine offene Menge, weil für y0 ∈ Uε (x0 ) gilt: d(x0 , y0 ) < ε und mit δ = ε − d(x0 , y0 ) > 0 und der Dreiecksungleichung folgt Uδ (y0 ) ⊆ Uε (x0 ) . (z ∈ Uδ (y0 ) ⇒ d(x0 , z) ≤ d(x0 , y0 ) + d(y0 , z) < d(x0 , y0 ) + δ = ε ) 2) Man zeigt leicht, dass die beliebige Vereinigung von offenen Mengen sowie der endliche Durchschnitt von offenen Mengen wieder eine offene Menge ist. 2 3) In R sind damit Intervalle der Form (a, b) , (−∞, b) , (a, ∞) offen, nicht hingegen die Intervalle [a, b) , (a, b] , (−∞, b] etc. 4) Man kann zeigen, dass die zuvor definierten offenen Intervalle des Rn ebenfalls offene Mengen sind (man veranschauliche sich die Situation im R2 ) . Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge X ⊆ M heißt abgeschlossen, wenn das Komplement M \ X offen ist. Bemerkungen. 1) M und ∅ sind stets abgeschlossen. 2) In R sind etwa [a, b] , (−∞, b] und [a, ∞) abgeschlossen. 3) Wiederum kann man zeigen, dass die zuvor definierten abgeschlossenen Intervalle des Rn auch tatsächlich abgeschlossen sind. Definition. Eine Teilmenge X ⊆ Rn heißt kompakt, wenn sie beschränkt und abgeschlossen ist. Teilmengen von R (bzw. C , Rn ) können von sehr unterschiedlicher Natur sein. Betrachte etwa X = {x ∈ Q : 0 < x < 1} ∪ {−5, 2} ⊆ R . Jede εUmgebung von x ∈ R ∩ (0, 1) enthält unendlich viele Punkte von X . In einer hinreichend kleinen ε-Umgebung von x = −5 (bzw. x = 2) liegen jedoch keine weiteren Punkte von X. Betrachte X = {1, 12 , 13 , .., n1 , ..} ⊆ R . In einer hinreichend kleinen εUmgebung eines Punktes von X liegt kein weiterer Punkt von X mehr. Hingegen liegen in jeder ε-Umgebung von x = 0 unendlich viele Punkte von X . 3 Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum, X ⊆ M und (xn ) eine Folge in M . 1) x0 ∈ M heißt Häufungspunkt von X, wenn in jeder ε-Kugel um x0 unendlich viele Elemente von X liegen. 2) x0 ∈ M heißt Häufungspunkt der Folge (xn ) , wenn in jeder ε-Kugel um x0 unendlich viele Folgenglieder liegen. 3) x0 ∈ X heißt isolierter Punkt von X, wenn es eine ε-Kugel um x0 gibt, in der keine weiteren Punkte von X liegen. Bemerkungen. (a) x0 ist Häufungspunkt von X ⊆ M genau dann, wenn es eine Folge (xn ) mit Elementen aus X gibt mit xn 6= x0 und xn → x0 . (Betrachte die Durchschnitte U n1 (x0 ) ∩ X ) (b) x0 ist Häufungspunkt der Folge (xn ) genau dann, wenn es eine Teilfolge (xnk ) von (xn ) gibt mit xnk → x0 . So hat etwa die reelle Folge nämlich 1 und −1 . 1, −1, 1, −1, 1, .... zwei Häufungspunkte, (c) Satz. Eine Teilmenge X ⊆ M ist genau dann abgeschlossen, wenn sie alle ihre Häufungspunkte enthält. Beweis. Der Fall X = ∅ ist trivial. Sei also X 6= ∅ . (i) Sei x ∈ M ein Häufungspunkt von X . Annahme: x ∈ / X . Weil M \X laut Voraussetzung offen ist, ∃ ε > 0 mit Uε (x) ⊆ M \ X . Da in Uε (x) unendlich viele Elemente von X liegen, erhalten wir einen Widerspruch. Also x ∈ X . (ii) Annahme: X ist nicht abgeschlossen. D.h. M \ X ist nicht offen ⇒ ∃ x ∈ M \ X und keine ε-Kugel um x liegt in M \ X ⇒ jede ε-Kugel um x schneidet M . Damit ist x ein Häufungspunkt von X . Wegen x ∈ M \ X erhalten wir einen Widerspruch. ¤ 4 Satz. (Bolzano-Weierstrass) Jede beschränkte unendliche Teilmenge X ⊆ R (bzw. C , Rn ) hat mindestens einen Häufungspunkt. Beweis. (für R) Wegen der Beschränktheit ∃ K > 0 mit |x| ≤ K für alle x ∈ X . Weil X unendlich ist, liegen in mindestens einem der Teilintervalle [−K, 0] bzw. [0, K] unendlich viele Elemente von X . Wähle ein derartiges Intervall aus und nenne es I1 = [a1 , b1 ] . Durch Halbierung von I1 erhalten wir zwei Teilintervalle, von denen eines, etwa I2 = [a2 , b2 ] , unendlich viele Elemente von X enthält. Fortsetzung dieses Verfahrens liefert eine Folge von ineinander geschachtelten Intervallen In = [an , bn ] , wobei offenbar gilt, dass (an ) monoton K wächst, (bn ) monoton fällt, und bn − an = 2n−1 ist. Beide Folgen sind konvergent gegen denselben Grenzwert x . Wähle nun K < ε , dann liegt ein beliebiges ε > 0 . Wird n so groß gewählt , dass 2n−1 In in der ε-Kugel um x, und damit liegen unendlich viele Elemente von X in dieser ε-Kugel. D.h. x ist ein Häufungspunkt von X . ¤ Wir haben zuvor schon den Begriff der kleinsten oberen Schranke (Supremum) bzw. der größten unteren Schranke (Infimum) einer Teilmenge X ⊆ R behandelt. (Man beachte, dass hierbei die Ordnungstruktur von R eine Rolle spielt.) Wir zeigten, dass in R jede nach oben beschränkte Teilmenge ein Supremum und jede nach unten beschränkte Teilmenge ein Infimum besitzt. Für den Fall, dass X ⊆ R nicht nach oben beschränkt ist (bzw. nicht nach unten beschränkt ist), setzen wir supX = ∞ (bzw. infX = −∞ ) . Bemerkung. Sei X ⊆ R eine kompakte Teilmenge, also beschränkt und abgeschlossen. Dann existieren supX, infX ∈ R und liegen in X ! ( supX (bzw. infX) ist entweder ein isolierter Punkt von X oder ein Häufungspunkt von X ) Damit hat eine kompakte Teilmenge X ⊆ R also ein größtes und ein kleinstes Element ! 5 Wir betrachten nun wieder Folgen. Satz. (Bolzano-Weierstrass für Folgen) Jede beschränkte Folge (xn ) in R (bzw. C , Rn ) hat mindestens einen Häufungspunkt. Beweis. Betrachte die Menge X der Folgenglieder. Ist X endlich, dann muß eines der Folgenglieder ein Häufungspunkt sein. Ist X unendlich, dann hat X nach dem Satz von Bolzano-Weierstrass einen Häufungspunkt x , welcher offenbar ein Häufungspunkt der Folge ist. ¤ Satz. (ohne Beweis) Sei (xn ) eine Folge in R (bzw. C , Rn ) . Dann ist Hp(xn ) , die Menge der Häufungspunkte von (xn ) , stets eine kompakte Teilmenge. Sei nun (xn ) eine beschränkte reelle Folge. Dann ist Hp(xn ) 6= ∅ , und besitzt nach dem vorhergehenden Satz ein größtes und ein kleinstes Element, welches mit lim xn = lim sup xn .... Limes superior von (xn ) bzw. lim xn = lim inf xn .... Limes inferior von (xn ) n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ bezeichnet wird. Folgerung. Ist (xn ) eine beschränkte reelle Folge, dann gibt es zu jedem ε > 0 ein Nε ∈ N sodass für alle n > Nε gilt : lim inf xn − ε ≤ xn ≤ lim sup xn + ε . n→∞ n→∞ Somit ist eine beschränkte reelle Folge (xn ) genau dann konvergent, wenn lim inf xn = lim sup xn . n→∞ n→∞ Weitere Schreibweisen. Sei (xn ) eine reelle Folge. 1) Gilt für jedes K ∈ R dass xn > K für fast alle n , dann schreiben 6 wir lim xn = +∞ bzw. n→∞ xn → +∞ . 2) Gilt für jedes K ∈ R dass xn < K für fast alle n , dann schreiben wir lim xn = −∞ bzw. xn → −∞ . n→∞ 3) Gibt es eine nach oben unbeschränkte Teilfolge, dann schreiben wir lim sup xn = +∞ . n→∞ 4) Gibt es eine nach unten unbeschränkte Teilfolge, dann schreiben wir lim inf xn = −∞ . n→∞ 7