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III. Das Römische Makedonien (168 v.Chr. – 284 n.Chr.)
Pandelis Nigdelis
1. Entwicklungen in Politik und Verwaltung
1.1. Makedonien als römisches Protektorat (168–148 v.Chr.)
Wenige Monate nach ihrem Sieg über Perseus, den letzten König Makedoniens, bei Pydna
(168 v.Chr.) waren die Römer mit der entscheidenden Frage konfrontiert, auf welche Weise
sie das Land unter ihre Kontrolle bringen sollten. Diese Frage war nicht neu. In Wirklichkeit
hatte sie sich schon dreißig Jahre früher gestellt, nämlich nach der Niederlage Philipps V., des
Vaters von König Perseus, bei Kynos Kephalai (197 v.Chr.), doch die Lösung, die man damals bevorzugt hatte, war in der Erhaltung des Königreichs in seinen historischen Grenzen
und in der politischen Erziehung des Thronfolgers Demetrios in Rom bestanden, damit Makedonien weiterhin seiner neuralgischen Rolle im Gebiet als Schutzwall Südgriechenlands
gegen die Angriffe der Barbaren gerecht werden konnte. Der neue Krieg hatte nun gezeigt,
dass diese Lösung illusorisch war und für eine wirksamerere Kontrolle über Makedonien
neue, härtere Maßnahmen erforderlich waren. Dennoch vermieden es die Römer, sich direkt
auf seine Verwaltung einzulassen, und zwar aus dem Grund, dass sie seinen militärischen
Schutz nicht übernehmen wollten. Nachdem sie den jährlichen Tribut der Könige in Höhe von
100 Talenten – also auf die Hälfte herabgesetzt (eine notwendige Maßnahme wegen der Abschaffung eines Teils der staatlichen Einkünfte des vorigen Regimes) – beibehalten und eine
gewaltige Beute angehäuft hatten, deren Wert sich auf 6.000 Talente belief, erzwangen sie als
Lösung die Schaffung eines politisch gespaltenen und wirtschaftlich geschwächten Makedonien.
Der politischen Spaltung diente in erster Linie die Einrichtung von vier selbst verwalteten Bezirken (regiones), für deren Einrichtung die historischen Grenzen der Gebiete
berücksichtigt wurden – mit Ausnahme von Päonien, das, obwohl es von seiner Bevölkerung
her einen einheitlichen Raum bildete, genauso zerstückelt wurde wie Makedonien als Gesamtheit. Der erste Bezirk erstreckte sich vom Nestos bis zum Strymon, schloss jedoch auch
die Gebiete von Bisaltia (westlich des Strymon) und Sintike ein. Der zweite Bezirk umfasste
das Gebiet zwischen den Flüssen Strymon und Axios, während im Norden auf der Höhe des
Mittellaufes des Axios noch Ostpäonien hinzukam. Der dritte Bezirk lag westlich des Axios,
östlich des Berges Bermion und nördlich des Peneios, während ihre Nordgrenze nicht ganz
eindeutig war und zu ihrem Gebiet noch ein Teil von Westpäonien entlang des Axios hinzukam. Der vierte Bezirk schließlich umfasste (von Süden nach Norden) die Gebiete von
Eordäa, Elimeia, Lynkestis, Derriopos, Pelagonien und Westpäonien, wo sie an das Gebiet
der Dardaner grenzte. Über die politische Organisation der Zonen wissen wir nur, dass in ihren Hauptstädten (Amphipolis, Thessalonike, Pella und Pelagonia) Volksversammlungen
abgehalten, Steuern eingetrieben und ihre Oberhäupter gewählt wurden. (Diodor erwähnt,
dass jede Zone ihren archegos (= Führer) hatte.) Obwohl die Quellen darüber keinen sicheren
Aufschluss geben, ist wahrscheinlich, was auch von bestimmten Forschern behauptet wurde,
nämlich dass der Senat den Makedoniern die Bildung eines gemeinsamen Rates (synedrion)
zur zentralen Verwaltung ganz Makedoniens erlaubt hatte (siehe Livius 45, 32). Das Problem
der Sicherheit des gesamten Gebietes wurde auf eine etwas eigenartige Weise gelöst, nämlich
durch die Bildung lokaler, von Makedoniern bemannter Garden, die in Militärlagern entlang
dreier an Gebiete der Barbaren grenzender Zonen (d.h. mit Ausnahme der dritten) untergebracht waren.
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Der Gedanke der wirtschaftlichen Schwächung Makedoniens – damit keine Zentren
wirtschaftlicher Macht entstehen sollten, die dem Gehorsam des Gebietes gegenüber dem
Staat gefährlich werden könnten – wurde wiederum mit Hilfe folgender Maßnahmen umgesetzt: 1. einem Verbot von Mischehen zwischen den Einwohnern der verschiedenen Zonen, 2.
der Abschaffung von Grund- und Immobiliengeschäften zwischen den Einwohnern der verschiedenen Zonen, 3. einem Verbot des Salzhandels zwischen den Gebieten und Anordnung
eines festen Salzpreises für die vierte Zone, 4. der Einstellung des staatlichen (königlichen)
Monopolbetriebs etwa betreffend Wälder, Gold- und Silberminen und mit Ausnahme der
Kupfer- und Eisenminen. Zur Entscheidung für die Einstellung des Bergwerkbetriebes trug
jedenfalls auch die unter den Aristokraten in Rom wegen deren Vergehen in Spanien verbreitete negative Haltung gegenüber den Steuerpächtergesellschaften bei.1 (Text 1)
Die Lösung von 167 v.Chr. erwies sich dennoch sowohl vom politischen als auch vom
militärischen Standpunkt her als unzureichend. Nur vier Jahre nach der Konferenz von
Amphipolis 163/162 v.Chr. kam es in Städten Makedoniens zum Aufruhr, der mit Hilfe einer
römischen Gesandtschaft in Schranken gehalten wurde, während später zu einem nicht genau
bekannten Zeitpunkt ein gewisser Damasippos unter nicht feststellbaren Umständen die
Ratsmitglieder auf dem Inselchen Phakos bei Pella niedermetzelte und als Söldner am Hof
Ptolemäos’ VII. Zuflucht fand. Innere Zusammenstöße, die die Schriftquellen als Bürgerkriege (staseis) bezeichnen – ohne jedoch im Detail auf ihren Gegenstand einzugehen – sind auch
für 151 v.Chr. belegt, als die Makedonen die Vermittlung Roms erbaten und als Schiedsrichter den Sohn des Aemilius Paullus, Scipio Aemilianus, vorschlugen. Und dies geschah trotz
des Wiederaufschwungs der Wirtschaft Makedoniens, die offensichtlich durch die Entscheidung Roms, die Bergwerke des Königreiches wieder in Betrieb zu nehmen, ermöglicht wurde
(158 v.Chr.). Es ist wahrscheinlich, dass der Grund für diese Instabilität nicht so sehr — wie
Polybios behauptet — in den politischen Gewohnheiten der königsfreundlichen Makedonen
und ihren Schwierigkeiten bei der Anpassung an eine demokratische Regierungsform lag,
sondern vor allem in der unzulänglichen und parteiischen Weise der Machtausübung der neuen romfreundlichen politischen Elite, die ihre Freunde mit der Regierung des Landes
beauftragt hatten.
Während die Lösung von 167 in politischer Hinsicht zumindest einen Teil der Gesellschaft Makedoniens zufrieden stellte, war sie in militärischer Hinsicht völlig inakzeptabel und
führte mit mathematischer Sicherheit zu ihrem eigenen Sturz. Die militärische Schwächung
Makedoniens, die den Unterhalt von Militärgarden in den drei Grenzzonen durch das neue
Regime vorsah, machte das Land zur leichten Beute für die schon seit der Zeit des Königreiches vorhandenen Gelüste der angrenzenden Barbarenvölker, und das noch viel mehr, weil
durch die Abschaffung der Monarchie nunmehr auch der Abschreckungsfaktor verloren gegangen war, der sie davon hätte abbringen können. Doch die militärische Sicherheit
Makedoniens stellte eine notwendige Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit jeglicher
Lösung auf der griechischen Halbinsel dar. In diesem Sinne muss man den Aufstand des Androniskos, der im Jahr 149 v.Chr. ausbrach, eher als Produkt äußeren Drucks sehen, und zwar
konkret eine Folge des Drucks der thrakischen Stämme, die ihn militärisch unterstützten, und
weniger — wie manchmal behauptet wird — als nationalen und sozialen Aufstand, obwohl
die Personen, die ihn planten und unterstützten, die soziale Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung sowie ihre königsfreundliche Haltung und ihre durch die traumatische Erfahrung
von 168 entstandene Romfeindlichkeit ausnützten. Dass Androniskos und seine thrakischen
Genossen tatsächlich auf diese Faktoren bauten, beweisen seine Ausrufung zum König von
Makedonien, und das gar mit dem Königsnamen Philipp, seine Behauptung, ein Sohn des
Perseus zu sein und die von ihm in die Wege geleiteten Exekutionen reicher Makedonen. Was
allerdings Letztere betrifft, zeichnet sich diese Handlung nicht durch ideologische Konse-
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quenz aus, und möglicherweise liegt ihr die Idee eines politischen Abenteurers zugrunde, der
auf die Beschlagnahme von Vermögen abzielte — was außerdem die Exekutionen auch eigener Parteigänger vermuten lassen. Andererseits ist es eine Tatsache, dass die Makedonen ihn
militärisch nur nach dem Sommer 149 v.Chr. stützten, als er fast ganz Makedonien unter
Kontrolle hatte.
Wegen der für sie ungünstigen internationalen Lage (ihre Legionen waren mit dem
Kampf gegen Karthago beschäftigt) beschlossen die Römer, die Eroberung auf diplomatischer
Ebene durch die Entsendung einer Gesandtschaft zu entschärfen, doch als die Streitkräfte des
aus heiterem Himmel („aeropetous“) aufgetretenen Usurpators einen Teil Thessaliens einnahmen, entschied man sich zur Lösung durch einen militärischen Zusammenstoß mit
(zumindest anfangs) unglücklichem Ausgang: Die in Griechenland angekommene römische
Legion unter dem Prätor Publius Iuventinus wurde an der Grenze zwischen Thessalien und
Makedonien vernichtend geschlagen, und der römische Würdenträger selbst fiel in der
Schlacht (Sommer 148 v.Chr.). Wenige Monate später traf Quintus Caecilius Metellus in Makedonien ein, dem mit zwei Legionen und unterstützt duch die verbündete Flotte der
Pergamäer (Attalos II.) schließlich in Pydna der Sieg über Androniskos gelang, indem er dessen taktische Fehler ausnützte und ihn in Ketten triumphierend nach Rom führte.2 (Text 3).
Die Androniskos-Episode zeigte der römischen nobilitas klar und deutlich, dass das Experiment des makedonischen Protektorates der vier Zonen ohne militärische Unterstützung im
Grunde keine erreichbare Lösung war. Ab 148 v.Chr. begann Rom, unter der Führung eines
Provinzstatthalters – meist prätorischen Ranges — ein reguläres Heer nach Makedonien zu
schicken, während zur militärischen Sicherheit des Landes weiterhin auch die Makedonen
durch die von Aemilius Paullus vorgesehenen Garden beitrugen. Das Entsenden von Statthaltern und Legionen (deren Zahl den militärischen Notwendigkeiten des gegebenen Moments
angepasst wurde) stellt — zumindest in den esten Jahren ihrer Herrschaft – die einzige, doch
allerdings bedeutende Änderung dar, die die Römer Makedonien im Vergleich zu den Regelungen von 167 v.Chr. auferlegten. Jene Regelungen, sowie auch die Aufteilung des Landes
in vier Zonen, sind bis in die Kaiserzeit hinein weiter gültig. Dagegen erlauben uns die sporadischen Quellen keine Schlüsse darüber, wann genau Makedonien zumindest formell in eine
Provinz des römischen Staates umgewandelt wurde und ob es von Seiten Metellus’ zusätzliche Regelungen gab. Dies ist auch der Grund, warum moderne Forscher wegen der im
Wesentlichen militärischen Tätigkeit der Statthalter Makedoniens von einer Militärverwaltung sprechen und nicht von einer Provinz. Jedenfalls war Makedonien bis zum Ende der
republikanischen Zeit Teil einer riesigen Provinz, deren Statthalter nicht nur über Makedonien
und Südillyrien (dessen Angliederung wegen der Verbindung Makedoniens zu Italien notwendig war) regierten, sondern auch über alle anderen Territorien auf dem Balkan, die die
Legionen in der Folge in Besitz nahmen.3
1.2. Die Festigung der römischen Herrschaft in Makedonien und ihre Rolle auf
dem Balkan allgemein (146–48 v.Chr.)
Es ist kein Wunder, dass die starken königsfreundlichen Gefühle der Generation von Pydna
und die Auswirkungen des fast dauernden äußeren Drucks der Nachbarvölker auf das wirtschaftliche und soziale Leben der Makedonen zusammen mit der Willkürregierung vieler
römischer Statthalter zumindest während der ersten Jahre der Römerherrschaft einen Nährboden für neue Aufstände boten, wenn Usurpatoren in Erscheinung traten. Doch ihre Zahl war
sehr beschränkt. Mit Ausnahme des ersten, der im allgemeinen Chaos der Ereignisse um Androniskos von einem Usurpator, der sich als Alexander, Sohn des Perseus ausgab, ins Leben
gerufen und von Metellus niedergeschlagen wurde, kann man als den einzigen ernstzunehmenden Aufstand jenen eines anderen Pseudo-Philipp (oder Pseudo-Perseus) bezeichnen, der
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im Jahr 143 v.Chr. ausbrach. An diesem Aufstand beteiligten sich zumindest einer Quelle
(Eutropios) zufolge sechzehntausend Bewaffnete, viele davon Sklaven. Schließlich gelang es
den römischen Streitkräften unter dem Quästor L. Tremellus Scrofa, die Aufständischen außer
Gefecht zu setzen. Die dritte derartige Episode fällt in den Beginn der Amtszeit des Statthalters C. Sentius (93 v.Chr.): Indem er sich die Unzufriedenheit über die übermäßige Erhöhung
des Getreidepreises in der Provinz zu Nutze machte, gab sich ein junger Makedone als König
aus und rief seine Landsleute zum Aufstand auf, um das „Königreich der Väter“ wiederherzustellen. Wegen der offensichtlich geringen Resonanz auf seine Aufforderung (die Quellen
bezeichnen seine Anhänger als politische Abenteurer) wurde der Aufstand im Keim erstickt,
noch viel mehr, da der Anstifter von seinem eigenen Vater als Wahnsinniger bezeichnet wurde.4
Wegen der oben beschriebenen Ereignisse dürfen wir natürlich nicht zu dem Schluss
kommen, die römische Herrschaft sei in Makedonien auf dauerhaften und ständigen Widerstand gestoßen. Und dies nicht nur, weil es sich um einzelne Aufstände von unterschiedlicher
Bedeutung handelt, sondern vor allem, weil der Großteil der Bevölkerung schon sehr bald begonnen hatte, sich an die neue unvermeidliche politische Realität des Ostens nach Pydna
anzupassen: die unbestreitbare römische Hegemonie in den Gebieten des östlichen Mittelmeerbeckens. Die Anzeichen dieser Anpassung stammen aus verschienenen Bereichen des
öffentlichen Lebens der Makedonen. Das erste betrifft die Einführung eines neuen Kalendersystems, das mit dem Ersten des Monats Dios (Oktober) 148 v.Chr. beginnt, also im
Zusammenhang steht mit der Niederschlagung des Aufstands des Androniskos. Dieses System, das die alte Zeitrechnung (auf der Basis der Regierungsjahre des jeweiligen Monarchen)
ersetzte, scheint den vorhandenen Daten zufolge nur im eigentlichen Makedonien verwendet
worden zu sein (siehe auch die für diese Angaben manchmal gebrauchten Formulierungen
wie katá Makedónas = „nach den Makedonen“) und war bis in die Kaiserzeit in Gebrauch.
Die Anpassung der Makedonen an die römische Herrschaft zeigt auch die Einführung von
Spielen zu Ehren hoher römischer Beamter wie des Quästors Marcus Annius, der sich während der Kriegsereignisse 120/119 v.Chr. auszeichnete (siehe unten), aber auch die
Einführung politischer Kulte wie im Fall des Zeus Eleutherios und der Roma. Übrigens wurden auch Marktplätze und andere öffentliche Orte der Städte Makedoniens schon sofort nach
den Ereignissen von 148 v.Chr. mit Statuen zu Ehren hoher römischer Beamter geschmückt.
Das früheste Beispiel stellt der von den Einwohnern von Thessalonike geehrte Metellus (148–
146 v.Chr.) dar: In der Inschrift der Basis, auf der seine Statue stand, bezeichneten ihn die
Einwohner der großen Stadt als soter (Retter) und euergetes (Wohltäter), indem sie sich den
neuen Wortschatz der an die römische Herrschaft angepassten politischen Eliten Südgriechenlands zu Eigen machten. Dass diese Anpassung in den darauffolgenden Jahren noch gefestigt
wurde, zeigt am deutlichsten ein Brieffragment Sullas (80 v.Chr.), in dem er den Thasiern
mitteilt, der römische Senat habe ihnen den priviliegerten Status von Bundesgenossen verliehen, da sie während des Mithridatischen Krieges (siehe unten) „den Feinden Roms
widerstanden und schworen, sie würden eher sich selbst, ihre Kinder und ihre Frauen opfern
und im Kampf für Rom sterben als die Freundschaft des römischen Volkes zu verlieren“.
Dass eine solche Auffassung unter den Makedonen entstehen konnte, war allem Anschein nach vor allem deswegen möglich, dass die römische Verwaltung bei der schwierigen
und mühsamen Aufgabe der Verteidigung des Landes gegen die Angriffe der (nördlichen)
Nachbarn an die Stelle der Monarchie getreten war und so ihre Sicherheit und „Freiheit“ garantierte. Tatsächlich ist die politische Geschichte Makedoniens bis zum ersten römischen
Bürgerkrieg, der auf makedonischem Boden stattfand, nichts anderes als eine lange Liste von
Zusammenstößen der römischen Statthalter mit verschiedenen Völkern der Umgebung. Die
Notwendigkeit der Existenz einer zentralen Straße für die schnelle und effiziente Fortbewe-
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gung der Legionen zur Verteidigung Makedoniens war sogar der Hauptgrund für den Bau der
Via Egnatia durch die Römer – man weiß nicht, wann genau, jedenfalls aber vor 120 v.Chr.
Diese Straße wurde nach dem Statthalter gleichen Namens benannt: Es handelte sich um eine
große Militärstraße (via militaris), die das Adriatische Meer (Dyrrhachium, Apollonia) mit
der Propontis (Byzantion) und der Ägäis verband.
Der wichtigste Gegner, mit dem die ersten Provinzstatthalter bis 84 v.Chr. konfrontiert
waren, waren die Skordisker, ein keltischer Stamm, der ursprünglich am Zusammenfluss von
Donau und Save wohnte. Ihr erster aus den Quellen bekannter Zusammenstoß mit den römischen Legionen auf makedonischem Boden geht auf 120–119 v.Chr. zurück und hatte Argos
in Ostpäonien (etwas nördlich von Stobi) zum Kriegsschauplatz. Trotz ihrer anfänglichen Erfolge und obwohl der Provinzstatthalter Sextus Pompeius, Großvaters des Pompeius Magnus,
auf dem Schlachtfeld fiel, konnte die Katastrophe vor allem dank der rechtzeitigen und wirkungsvollen Reaktion des Quästors Marcus Annius verhindert werden. Letzterem gelang es,
sowohl den Skordiskern als auch deren berittener Verstärkung durch den thrakischen Stamm
der Mäder sogar nur mit Hilfe der verfügbaren römischen Legionen und der Bürgergarde der
Umgebung erfolgreich entgegenzutreten, ohne die makedonischen Reserven einzuberufen.
(Text Nr. 4). Wenige Jahre später (114 v.Chr.) erlitt jedoch der Procurator L. Porcius Cato,
Enkel des Cato Censorius, durch die Skordisker im Gebiet von Thrakien, von dem Letztere
einen Teil unter ihrer Kontrolle hatten, eine schwere Niederlage. Es folgte das Eindringen der
Sieger in das Innere des eigentlichen Griechenland, und die Plünderung des Orakles von Delphi. Spürbar in Schranken halten konnten deren Aktivität die darauf folgenden Statthalter, von
denen als wichtigster Minucius Rufus zu nennen sei, der die Provinz für drei Jahre (109-106)
verwaltete und gegen die Skordisker, die Besser und andere mit ihnen verbündete thrakische
Stämme sowohl im Grenzgebiet der Provinz (Europos) als auch außerhalb der Grenzen
(Thrakien) bedeutende Siege errang.
In den folgenden Jahren erlebte Makedonien eine Zeit der relativen Stabilität und des
Friedens. Dieser Zustand fand ein jähes Ende durch die Ereignisse, die sich inzwischen auf
dem internationalen Schauplatz abgespielt hatten und die Skordisker sowie die thrakischen
Stämme erneut auf den Plan riefen. Es handelt sich um den Bundesgenossenkrieg in Italien
(91–89 v.Chr.) und vor allem den ersten Mithridatischen Krieg (88–85 v.Chr.). Gegen die allgemeine Erhebung der barbarischen Stämme (omnium barbarorum defectio mit den Worten
Ciceros) sollte der Statthalter C. Sentius Saturinus antreten, der von 93 bis 87 v.Chr. in der
Provinz blieb. Ab 91 v.Chr. und über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg hatte Makedonien auch unter Invasionen thrakischer Stämme zu leiden, die in sein Inneres vordrangen, aber
von den Römern dank deren militärischer Überlegenheit und der Beteiligung der Bevölkerung
Makedoniens und der verbündeten Dentheliter zurückgedrängt werden konnten. 88 v.Chr.
führte die Thraker auf Anstiftung des Mithridates VI. Eupator, des mit ihnen verbündeten
Königs von Pontos, eine neue Invasion bis zum Heiligtum des Zeus von Dodona in Epirus,
doch sie wurden von Gentius erneut zurückgedrängt. Ein Jahr später (87 v.Chr.) mussten sich
die unzureichenden und schwer geschlagenen römischen Legionen trotz des starken Widerstandes, den sie in Ostmakedonien unter Mithilfe der lokalen Bevölkerung leisteten, nach
Thessalien zurückziehen und Makedonien Ariarathes, dem Sohn des Mithridates, überlassen,
der es in eine Satrapie seines Reiches umwandelte. Die römische Herrschaft im Gebiet wurde
86 v.Chr. wiederhergestellt, als Sulla Makedonien zurückeroberte und es sogar als Basis benützte für militärische Operationen im kleinen Rahmen gegen benachbarte Barbarenstämme
(Dardaner, Sinter, Mäder) mit dem Ziel, seine Soldaten im Kampf zu üben und Beute zu machen. Nach dem Vormarsch von Sullas Truppen nach Asien (Mitte 85 v.Chr.) fand ein neuer
Angriff der Skordisker, der Mäder und der Dardaner auf Makedonien und Griechenland statt,
der zu einer neuen Plünderung des Heiligtums von Delphi führte (Herbst 85 v.Chr.). Ihrer Ak-
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tivität konnte schließlich im Jahr 84 v.Chr. der Statthalter Lucius Scipio Asiagenes einen Riegel vorschieben, der die Skordisker endgültig in das Donaugebiet zurückdrängte.
Das Jahrzehnt ab 70 v.Chr. ist jene Periode, während der die Statthalter Makedoniens
das Gebiet als Ausgangspunkt für die Unterwerfung der noch nicht unter ihre Kontrolle gebrachten Stämme auf dem Balkan verwendeten – darunter am bedeutendsten die Dardaner,
die Besser und die in Moesien angesiedelten Stämme, z. B. die Bastarner. In der selben Zeit
wurde das von den Römern im Rahmen des dritten Mithridatischen Krieges (74-66) kontrollierte Gebiet bis hin zu den großen griechischen Städten an der westlichen Schwarzmeerküste
(Apollonia, Mesembria, Dionysopolis, Kallate, Tomoi, Istros, Parthenopolis und Bizone) ausgeweitet, die sich bis damals im Einflussbereich des Königreichs von Pontos befanden. So
erreichten die Römer unter C. Scribonius Curius (Amtszeit 75–72 v.Chr.) nach einem Sieg
über die Dardaner und der Eroberung großer Teile Moesiens zum ersten Mal die Donau. Sein
Nachfolger M. Terentius Varrus Lucullus (72-71), der Bruder des bekannten Lucullus, schlug
die Besser auf den Gipfeln des Aimos (wo sich auch deren Schlupflöcher befanden), vollendete die Unterwerfung Thrakiens und Moesiens und brachte die schon erwähnten
griechischen urbanen Zentren im Westen des Schwarzen Meeres unter römische Kontrolle.
Dennoch wurde der Nutzen dieser militärischen Erfolge während der Amtszeit seines Nachfolgers, C. Antonius Hybrida (62–60 v.Chr.), bald wieder aufgehoben. Seine Unfähigkeit und
sein räuberisches Verhalten gegenüber den Untertanen der Provinz und den Bundesgenossen
Roms bewogen den Stamm der Bastarner, die die griechischen Städte um das Schwarze Meer
auf die harten Beschlagnahmungen des Antonius hin um Hilfe gebeten hatten, zu rebellieren,
sodass es zu dessen Niederlage kam: Die Nordgebiete der Provinz beschränkten sich so wieder auf die Gebiete südlich des Aimos. Trotz der militärischen Erfolge seines Nachfolgers C.
Octavius (60–59 v.Chr.), des Vaters des Augustus, gegen die Besser sollte die römische Kontrolle über die verlorenen Gebiete erst mit der Herrschaftsübernahme durch Augustus
allmählich wiederhergestellt werden. Zwei Jahre nach der Amtszeit des Octavius und wegen
der wahrscheinlich ineffizienten Amtsführung des (durch das gleichnamige Pamphlet Ciceros) berüchtigten Prokurators L. Calpurnius Piso Caesonius (57–55 v.Chr.) wurde
Makedonien nicht nur von den traditionell feindlichen Stämmen wie den Bessern und den
Dardanern geplündert, sondern auch von ehemaligen Bundesgenossen, wie den Denthilitern,
sodass im Land Unsicherheit und Angst herrschten. Ähnliche instabile Zustände, doch mit
stärkerer Intensität und längerer Dauer, herrschten etwas später, als die so genannte römische
Revolution seine letzte Phase erreichte und die letzten Brüderkriege zwischen den bedeutendsten römischen Feldherren (Pompeius und Caesar, Antonius–Octavian und Befreier, Antonius
und Octavian) ausbrachen. Und dies, weil sich die bedeutendsten militärischen Operationen
dieser Kriege auf makedonischem Boden abspielten – mit allen offensichtlichen Folgen, die
diese Tatsache für das wirtschaftliche und soziale Leben der Makedonen hatte.5
1.3. Die Zeit der römischen Bürgerkriege (48–31 v.Chr.)
Im Frühjahr 49 v.Chr. befand sich Makedonien im Zentrum der Entwicklung des ersten großen Zusammenstoßes im Bürgerkrieg zwischen Pompeius Magnus und Caesar. Da Letzterer
im Westen die Oberhand hatte, indem er Italien unter seine Kontrolle gebracht hatte, kam
Pompeius als Anführer der Aristokraten (optimates) und mit den beiden Konsuln und zweihundert Senatoren im Gefolge in Thessalonike, dem Amtssitz des Statthalters, an, wo er seine
Exilregierung einrichtete. Während er die Ankunft seines Gegners im Osten erwartete, führte
er selbst die Aufsicht über die Ausbildung seiner Truppen (neun Legionen) beim Basisregiment von Beroia (Text Nr. 5). Anfang 48 v.Chr. setzte Caesar mit sieben Legionen in das
Gebiet von Südillyrien über und nahm der Reihe nach die Städte Orikos, Apollonia, Byllis
und Amantis ein, während er etwas später Verstärkung aus Italien erhielt (vier Legionen).
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Dass das Heer des Pompeius nach Westen weiterzog, und zwar speziell in das Gebiet von
Dyrrachion, befreite Makedonien vorübergehend von der Last der Beschlagnahmungen für
militärische Zwecke, doch die Ankunft von zwei neuen Legionen und Hilfstruppen im Frühjahr 48 v.Chr. unter C. Metellus Scipio, dem ehemaligen Statthalter der Provinz Syrien und
Schwiegervater des Pompeius, führte zu Kriegshandlungen zwischen Letzterem und den beiden Unterbefehlshabern Caesars, Cassius Longinus und Domitius Calvus, in
Obermakedonien. Städte und Dörfer im Umkreis wurden von Soldaten beider Parteien geplündert und gebrandschatzt. Nach der Schlacht bei Pharsalos (August 48 v.Chr.) und dem
Sieg Caesars erholte sich das Land wirtschaftlich langsam wieder von der Belastung, die
durch die Aktivitäten und die Bedürfnisse der Truppen der Legionen beider Gegner, aber auch
durch die Rekrutierung seiner Männer entstanden war.
Fünf Jahre nach diesen Ereignissen befand sich Makedonien wieder mitten in den Wirren eines neuen Bürgerkrieges, der über den römischen Staat hereingebrochen war. Zu seinem
Unglück war einer der Mörder Caesars und einer der Protagonisten in diesem Bürgerkrieg, C.
Cassius, sein Statthalter im Jahr 43 v.Chr. In diesem Jahr stellte er gar zwei Legionen auf, die
aus makedonischen Soldaten bestanden und bildete sie auf römische Art für den Bedarf eines
kurzen Feldzugs gegen die Besser aus. Diese Truppen zusammen mit jenen, die der andere
„Befreier“, M. Brutus, in Kleinasien und Syrien zusammengezogen hatte, stießen schließlich
im Herbst 42 v.Chr. bei Philippi mit dem Heer der Anhänger Caesars, Marcus Antonius und
Octavians, zusammen. Der Sieg Letzterer signalisiert die letzte Phase der Geschichte Makedoniens in republikanischer Zeit, in der das Gebiet sich bis zur Seeschlacht bei Aktion
(September 31 v.Chr.) im Einflussgebiet Marc Antons befand. Wie zu erwarten und wie dies
im Fall der anderen griechischen Städte geschah, wurde auch Makedonien aufgefordert, für
einen Teil der Ausgaben aufzukommen und für den Feldzug Marcus Antonius gegen die
Parther Truppen zur Verfügung zu stellen, aber auch für dessen verhängnisvollen Zusammenstoß mit Octavian (später Augustus), dem Sieger der berühmten Seeschlacht. Indem sie sich –
wie dies übrigens auch bei den Bewohnern anderer Provinzen des Ostens der Fall war – an die
neue politische Lage anpassten, führten die Makedonen das Jahr 31 v.Chr. als den Beginn einer in öffentlichen und privaten Schriftstücken verwendeten neuen Ära ein, und zwar jener
der sebastá éte ("ehrwürdige Jahre" nach dem offiziellen Kaisertitel Sebastós = Augustus).6
1.4. Die Kaiserzeit (30 v.Chr.– 284 n.Chr.)
Die ersten Jahre der Herrschaft des Augustus war Makedonien (Macedonia) als die nördlichste Provinz des Imperium Romanums im Osten weiterhin der Ausgangspunkt für die
Feldzüge der Römer in Richtung Norden zur Unterwerfung Thrakiens und Mösiens und zum
Schutz der römischen Provinzen und Verbündeten in der weiteren Region. Bereits seit der
Zeit des ersten Statthalters, M. Licinius Crassus (30-28 v.Chr.), wurden wiederholt Feldzüge
gegen die Daker, die Bastarner, die Thrakier, die Geten und die Mösier durchgeführt, die mit
beträchtlichen Erfolgen und der erneuten Kontrolle über die Halbinsel endeten. Feldzüge
kleineren Umfangs werden für die Zeit bis um 10 v.Chr. berichtet, insbesondere gegen die
Bessen (die eine wichtige Rolle in den Streitigkeiten zwischen den thrakischen Dynastien
spielten). Was ihre administrative Integration nach den Reformen des Jahres 27 v.Chr. betrifft, so bildete das historische Makedonien zusammen mit einem Teil des südlichen Illyriens
den Hauptkern einer (im Vergleich zur republikanischen Zeit) kleinen Provinz, die der
Rechtssprechung des römischen Senats unterstand. Ab dem Jahre 10 v.Chr. an verliert sie jedoch ihre Rolle als militärisches Bollwerk der Römer auf dem Balkan, da die bis dahin auf
makedonischem Boden stationierten Legionen dem Legaten des Kaiserreichs (legatus Augusti
pro praetore) unterstellt werden, der den Militärbezirk (und die spätere Provinz) Moesia verwaltet. Diese Änderung beeinflusste nicht nur die Pflichten des Statthalters der Provinz,
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sondern auch das Leben der Provinzbewohner, da die Region bis auf wenige Kohorten von
der Präsenz der großen Truppen und den damit verbundenen finanziellen Belastungen befreit
wurden, welche die Administration dieser Truppen für die Bevölkerung mit sich brachte.
Diese Reform führte jedoch nicht unmittelbar zu positiven Veränderungen für die Makedonen, wie z.B. zu ihrer endgültigen Befreiung von den Folgen der Missverwaltung der
Provinz, die bis dahin in der Regel unter dem Deckmantel der Bedürfnisse der Truppen verborgen blieb. So unterstellte im Jahre 15 n.Chr. auf ihren Antrag, aber auch auf den Antrag
der Bewohner von Achaea, Kaiser Tiberius diese zwei Provinzen dem kaiserlichen Legaten,
der die Provinz Moesia verwaltete. Diese Änderung in der Verwaltungsstruktur, die bis in das
Jahr 44 n.Chr. Bestand haben sollte, als Kaiser Claudius in der Provinz Macedonia den alten
Zustand einer senatorischen Provinz sowie die Grenzen aus dem Jahre 27 v.Chr. wieder herstellte, hatte wahrscheinlich eine effizientere Verteidigung der beiden Provinzen sowie eine
Einsparung an militärischen Truppen als vorrangiges Ziel7.
Vom Beginn der Kaiserzeit bis zum Anfang des 3. Jh. n.Chr. erlebte Makedonien wie
auch der übrige Osten die Folgen der so genannten pax romana (römischer Frieden), und
zwar um so mehr, da es sich nicht mehr an den Grenzen des Römischen Reiches befand (diese
Grenze hatte sich nach Norden zur Donau verlagert). Die Städte und die Dörfer erholen sich
nach und nach von den bedrückenden Folgen der ständigen Bürgerkriege, und insbesondere
ab der Zeit Traians erlebt das Land eine Phase der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Stabilität. Der Einfall der Kostoboken während des Kriegs von Marcus Aurelius gegen die
Markomannen im Jahr 170 –171 n.Chr. stellt nur ein kurzes Zwischenspiel ohne nennenswerte Auswirkungen auf die Situation insgesamt dar. Das ruhige Leben dieser kleinen Provinz,
deren Territorium unter Antonius Pius durch die Angliederung von Thessalien ausgeweitet
wird, wird nur selten durch den Besuch römischer Kaiser in Aufregung versetzt, wie etwa
durch die Besuche von Hadrian oder Septimius Severus. Doch die Bedeutung Makedoniens
und insbesondere einiger seiner städtischen Zentren an den Land- und Meeresverbindungen,
wie Heracleia Lyncestis und Thessalonike, nimmt vom 3. Jahrhundert zu, als sich die Front
gegen die Perser herausbildet.
Dieses Bild der ruhigen Provinz änderte sich etwa um die Mitte des 3. Jh. n.Chr. Aufgrund der Einfälle der Goten ist Makedonien dazu gezwungen, auf seinem Boden militärische
Truppen aufzunehmen, die sich zwar in mindestens zwei Fällen auch in die Erbfolgekämpfe
einmischen, durch welche die Zeit der so genannten Soldatenkaiser geprägt ist (235–284
n.Chr.), als Statthalter dieser Provinz zu Kaisern ernannt wurden. Dabei handelt es sich um T.
Iulius Priscus, der während des Jahres 250 n.Chr. für einige Monate Kaiser war, sowie Kaiser
Valens, der auch den Beinamen Thessalonicus trug (entweder weil er dort zum Kaiser ausgerufen wurde oder weil er die Stadt zum Sitz seiner Bewegung gemacht hatte) und der während
der ersten Monate des Jahres 261 n.Chr. Kaiser war. Außerdem entschied sich in dieser Region der Ausgang mindestens eines bürgerkriegsartigen Kampfes um die Besteigung des
Kaiserstuhls, nämlich jene zwischen Philippus Arabus (244- 249 n.Chr.) und Decius (249-251
n.Chr.), den letzterer in der Schlacht von Beroia im September 249 n.Chr. für sich entschied.
Dieser Zustand der Instabilität dauerte auf Grund der Einfälle der Goten, die sich seit Beginn
des Jahrhunderts an den Nordküsten des Schwarzen Meeres niedergelassen und die römische
Verwaltung der Grenzprovinzen, insbesondere von Dacia und Moesia, bereits vor dem Jahr
250 n.Chr. beschäftigt hatten, auch die folgenden Jahre weiter an. Von dieser Zeit an stellten
die Goten jedoch auch für die weiter südlich gelegenen Gebiete des Kaiserreichs zunehmend
eine Gefahr dar.
Der erste Einfall der Goten in der Provinz Macedonia wird in das Jahr 253 n.Chr. datiert
und ging mit der Belagerung von Thessalonike einher, dessen Bewohner jedoch tapfer und
entschlossen Widerstand leisteten. Die Einfälle der Goten in Richtung Süden wiederholten
PANDELIS NIGDELIS
67
sich einige Jahre später mit größerer Intensität. In einem dieser Einfälle, der in das Jahr 268
v.Chr. datiert wird, fiel ein 320.000 Mann starkes Heer, an dem auch andere Barbarenstämme
teilnahmen (wie Sarmater, Geten, Gepiden und Peukiner) zunächst in Mösien ein und teilte
sich, nachdem es dort auf einen unüberwindbaren Widerstand gestoßen war, in zwei Teile auf,
von denen sich der eine nach Thrakien wandte und der andere mit Schiffen über den Bosporus
in die Ägäis gelangte. Die Angreifer segelten die makedonischen Küsten entlang, landeten im
Singitischen Golf und belagerten anschließend Kassandreia und Thessalonike. Für einen
Moment entstand der Eindruck, dass diese zwei großen städtischen Zentren unterworfen werden würden, insbesondere als sich der erste Teil der Goten, die durch Thrakien gezogen
waren, mit den Belagerern vereinte. Doch der Vormarsch der Römer unter Kaiser Claudius
aus Pannonien in Richtung Süden versetzte die Goten in Schrecken, die in der Angst, dass die
Römer ihnen den Rückweg zu ihren Wohnsitzen nördlich der Donau abschneiden könnten,
von der Belagerung abließen und sich nach Norden zurückzogen, wobei sie die Region von
Pelagonien verwüsteten. Die zwei Heere stießen bei Naissus (Nis) zusammen, wo die Goten
eine verheerende Niederlage erlitten (ihre Verluste werden auf 50.000 Mann geschätzt). Dies
war das letzte Mal, dass die Goten die Länder des Balkans beschäftigen sollten, da sie von
nun an in das römische Heer integriert wurden.
Einige Jahre später (297 n.Chr.) wurde Makedonien auf Grund der Verwaltungsreformen Diocletians in Makedonien zu einer kleinen Provinz, die sich auf ihr historisches
Territorium beschränkt (d.h. die Gebiete des südlichen Illyriens und von Thessalien) und war
ein Teil der großen Diözese Moesia, einer der zwölf Diözesen, die der römische Kaiser im
gesamten Kaiserreich schuf 8.
2. Die Bevölkerung von Makedonien und die demographischen
Veränderungen
2.1. Die Bevölkerung Makedoniens vor der Eroberung durch die Römer
In einer Region mit einer derartigen geopolitischen Lage und Geschichte, wie Makedonien sie
vorzuweisen hat, konnte die Bevölkerung, was ihre Stammeszugehörigkeit betrifft, freilich
keine solche Homogenität vorweisen, wie dies in Südgriechenland der Fall war. Die Präsenz
von Stämmen nichtgriechischer Herkunft in Makedonien sowohl vor als auch nach der Eroberung durch die Römer wird nur in den wenigsten Fällen durch die Informationen von Autoren
belegt. So informiert uns zum Beispiel Hekataios darüber, dass unter den am Thermaischen
Golf gelegenen Städten auch Chalastra war, das von den Thrakiern bewohnt wurde, sowie
Therme, das über eine gemischte Bevölkerung (griechisch und thrakisch) verfügte. Außerdem
spricht Polybios von der Niederlassung thrakischer Bevölkerungsgruppen in den Küstenstädten des Königreichs um das Jahr 183 v.Chr., sowie von einer anschließenden
Zwangsabwanderung makedonischer Bewohner in die Regionen von Paionia. Darüber hinaus
berichtet Livius (gestützt auf Polybios), dass zur Zeit der Einnahme von Makedonien in Bottiaia „eine große Zahl an Gallatern und Illyriern, arbeitsame Bauern,“ lebten: Siedler, die dort
von Philipp V. zur Erneuerung der Bevölkerung der Region angesiedelt worden waren (oder,
einer anderen These nach, Kriegsgefangene aus den Kriegen, die makedonische Könige gegen
diese Völker geführt hatten, die eventuell königliche Ländereien bebauten)9.
Die Zusammensetzung der Bevölkerung der unterschiedlichen Regionen Makedoniens
zeigt sich auch in den Inschriften aus der hellenistischen und insbesondere aus der Kaiserzeit,
vor allem bei einem genauen Studium der erhaltenen Namen. In den Inschriften des Oberen
Makedoniens sind z.B. thrakische Namen erhalten (historischer Personen oder sonstige Namen), wie etwa die Namen Bithys (dabei handelt es sich um den Namen des mythischen
Stammesahnen der Thraker), Kotys (Name einer Dynastie), Roimetalkes, Doules, Dentis,
Torkos, sowie illyrische Namen wie Epikados, Pleuratos und Breukos. Diese Namen erschei-
68
DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
nen entweder als Name des Trägers oder seines Vaters in Verbindung mit griechischen Namen oder in Kombination zweier derartiger Namen. Die Wahl von Namen historischer
Personen im Rahmen der gleichen Familie (statistisch handelt es sich um eine nur kleine
Stichprobe) deutet eventuell auf die Existenz eines regionalen Geschichtsbewusstseins hin,
was auch die römische Verwaltung tolerierte. Das gleiche Phänomen ist etwa auch in der
Verwendung der Namen paionischer Könige, wie Patraos oder Audoleon zu beobachten, wie
diese in Inschriften von Regionen gefunden wurden, die zu dem alten, bereits seit dem 5. Jh.
v.Chr. hellenisierten Königreich Paionien gehörten. Die Verwendung von Namen, die entweder thrakisch waren oder einer anderen These nach dem so genannten prohellenischen
Substrat zuzurechnen sind, das die Makedonen während ihrer Ausbreitung in Richtung Osten
unterwarfen, wie z.B. Halys, Manta, Nano usw. ist darüber hinaus in Inschriften nicht nur aus
dem Oberen Makedonien, sondern auch aus dem Unteren Makedonien, wie aus den Regionen
von Mygdonia, von Bisaltia und Hedonis festzustellen. Doch sowohl in diesen Fällen als auch
bezüglich der Träger der thrakischen oder illyrischen Namen kann mit Sicherheit gesagt werden, dass sie sich in gesellschaftlicher Hinsicht in das griechische Umfeld integriert hatten, in
dem sie lebten. Und dies unabhängig von der Tatsache, dass Namen dieser Art, verglichen mit
den inschriftlich überlieferten griechischen Namen, eine Minderheit darstellten 10.
Zahlenmäßig stärker und mit einem deutlicheren kulturellen Bewusstsein erscheint das
thrakische Element dagegen im östlichen Makedonien, doch auch hier scheint es sich nach der
Gründung der Kolonie Philippi im Laufe der Jahre an das kulturell vorherrschende Umfeld,
also das griechische bzw. das römische, angepasst zu haben 11.
2.2. Die römische Präsenz in Makedonien während der Zeit der römischen
Republik
Zu dieser multiethnischen Gesellschaft des makedonischen Königreichs kommt einige Jahrzehnte später mit der Eroberung durch die Römer ein neues Bevölkerungselement hinzu,
diesmal ein Element italischer Herkunft, obwohl später als im übrigen Osten, wenn man bedenkt, dass die Niederlassung und Aktivität von italischen Händlern, Unternehmern
(insbesondere Bankiers) und seltener Bauern in den Städten Südgriechenlands, auf den Inseln
der Ägäis und Kleinasiens bereits auf den Beginn des 2. Jh. v.Chr. datiert wird. Ihre dortige
Präsenz zeigt sich in verschiedenen lateinischen oder griechischen Namen und Phrasen, wie
zum Beispiel Italici, negotiatores. consistentes / Romaioi, usw.
Was Makedonien selbst betrifft, so herrschte bis vor kurzem die Meinung vor, dass die
ersten Niederlassungen von Italikern auf die Zeit nach den Mithridatischen Kriegen zu datieren sind. Neuere Inschriftenfunde zeigten jedoch, dass sie bereits auf eine viel frühere Zeit
zurückgehen, und zwar spätestens auf die letzten Jahrzehnte des 2. Jh. v.Chr.: So berichtet uns
etwa eine kurze Weihinschrift aus Apollonia in Mygdonia, dass im Jahr 106 –105 v.Chr., also
vierzig Jahre nach der Andriscus-Episode, ein gewisser Römer mit dem Namen Lucillius
Marcus, der sogenannte Demetrios, dem Zeus Soter, Hermes und Herakles ein Gymnasium
errichtet habe. Worauf genau sich diese Widmung bezieht, ist nicht bekannt. Dennoch ist diese Tatsache, unabhängig davon, ob es sich um die Errichtung einer kompletten Sportstätte
oder um seine Instandsetzung (die Kriegsgeschehnisse jener Zeit des Minucius Rufus lassen
letztere Interpretation wahrscheinlicher erscheinen) handelte, für die Geschichte der italischen
Gemeinden in der Region von besonderer Bedeutung. Diese Weihgabe per se, aber auch die
Annahme eines griechischen Namens, unter dem Lucillius in der Gemeinde dieser makedonischen Stadt bekannt war, zeigen, dass sowohl er, als auch eventuell andere seiner Landsleute,
die das Gymnasium der Stadt besuchten, bereits einige Jahre vor 106 v.Chr. auf ständiger Basis in Apollonia niedergelassen sein mussten. Und auch Inschriften aus dem nahe gelegenen
Kalindoia, die bis in die zweite Hälfte des 2. Jh. v.Chr. datiert werden können, weisen darauf
PANDELIS NIGDELIS
69
hin, dass die Niederlassungen von Italikern in der Region mindestens bereits in die letzten
Jahrzehnte des 2. Jh. v.Chr. zu datieren sind. Die Weihinschrift aus Apollonia zeigt darüber
hinaus auch, dass die ständigen Barbareneinfälle, die für die besagte Zeit bezeugt sind, einige
italische Händler oder Bauern nicht davon abhielten, sich in Makedonien niederzulassen, vielleicht auch, weil diese Einfälle nicht alle so bedeutend waren, wie diese in unseren Quellen
dargestellt werden. Ähnliche frühe Niederlassungen von italischen Siedlern werden auch
durch eine Inschrift aus der freien Stadt Amphipolis aus dem Jahr 90 v.Chr. bestätigt.
Die Schlussfolgerung, zu der all diese Zeugnisse führen, wird auch durch bestimmte
allgemeine Überlegungen bekräftigt. Denn es wäre in der Tat seltsam, wenn trotz der instabilen Verhältnisse, wie sie zu jener Zeit in der Region vorherrschten, nicht irgendwelche
waghalsigen Italiker die Möglichkeiten hätten nutzen wollen, die ihnen die neuen wirtschaftlichen Verhältnisse in Makedonien nach der Abschaffung der Monarchie boten. Denn nun
entstanden die Rahmenbedingungen für Investitionen für die Nutzung der ausgedehnten königlichen Ländereien oder Waldflächen oder des großen Landbesitzes von verbannten
Adligen sowie der Bergwerke der Region. Andererseits boten die wiederholten militärischen
Operationen - unabhängig von ihrer Ausdehnung - beträchtliche Möglichkeiten für eine Bereicherung aus dem Sklavenhandel mit Kriegsgefangenen, welche die oben angeführten
Feldzüge mit sich brachten. Die Ausübung von Aktivitäten dieser Art in Makedonien durch
italische Händler wird auch aus der berühmten Stele (Ende des 1. Jh. v.Chr.?) des Sklavenhändlers Aulus Carpilius Timotheus bestätigt, die in der Stadt Amphipolis gefunden wurde,
der bedeutendsten Stadt der Region, die über den Fluss Strymon Thrakien mit der Ägäis verband.
Doch unabhängig vom genauen Zeitpunkt und vom Rhythmus, mit dem sich die italischen Siedler in Makedonien niederließen, belegen die Quellen, dass sich in den
einwohnermäßig größten Städten sowie in den wichtigsten Handelshäfen der Region bereits
in der Mitte des 1. Jh. v.Chr. Gemeinschaften italischer Siedler gebildet hatten, bei denen es
sich um einen Teil um Veteranen handelte, die bereits seit der 1. Hälfte des 1. Jh. v.Chr. in
dieser Provinz gedient hatten. Derartige Gemeinden waren etwa jene der Siedler in Beroia,
die in der Inschrift auf dem Sockel einer Statue angeführt werden, die zu Ehren des Prokonsuln Calpurnius Piso (57-55 v.Chr.) erricht wurde, aber auch jene von Amphipolis, deren
Mitglieder von Pompeius kurz nach der Schlacht von Pharsalos rekrutiert wurden. Eine italische Gemeinschaft muss es auch in Pella, der alten Hauptstadt Makedoniens und dem Sitz des
3. römischen Bezirks, bereits seit dem Ende des 2. /Beginn des 1. Jh. v.Chr. gegeben haben,
worauf eine Statue hinweist, die ein gewisser Aulus Victorius Gaius, der sogenannte Alexander, dem Agoraios Hermes gewidmet hatte (ein Mitglied der gleichen Familie scheint im Jahr
25-24 v.Chr. das Amt des Duumvir innegehabt zu haben). Auf die Existenz italischer Gemeinden auch in anderen Städten Makedoniens weist außerdem eine ausreichende Anzahl an
Inschriften hin, die in die Blütezeit der Republik sowie in die Kaiserzeit datiert werden und
die zeigen, dass die in der Provinz sowie in anderen Regionen des Ostens lebenden Italiker
Vereine römischer Bürger mit einer speziellen Organisation gründeten (conventus civium Romanorum). Derartige Städte sind (zumindest nach derzeitigem Wissensstand) Thessalonike,
Akanthos, Edessa, Styberra, Idomene und wahrscheinlich auch Herakleia Lynkestis und Stobi. Diese römischen Vereine bestanden, wie im gesamten Osten, bis sie gegen Ende des 1. Jh.
n.Chr. aufgelöst wurden, da ihre Mitglieder sich mittlerweile komplett in ihrer neuen Heimat
assimiliert hatten.
Was die Herkunft der italischen Siedler betrifft, so geben uns die Quellen darüber nur in
äußerst wenigen Fällen konkret Aufschluss. So werden etwa in Grabinschriften aus Pella,
Amphipolis und der Region von Kassandreia als Herkunftsorte bestimmter Siedler Städte
bzw. Regionen wie Rom, Heraclea in Lucania oder Tarent genannt. In den meisten Fällen je-
70
DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
doch bleibt die Bestimmung der Herkunft ein äußerst schwieriges Unterfangen, das nur in den
wenigstens Fällen sichere Schlüsse zulässt. Die dazu herangezogene Methode beruht auf der
Untersuchung der gentilicia, also der Namen des Geschlechts, welche die italischen Siedler
tragen (z.B. Carpilius, Victorius) und insbesondere darauf, ob und in welcher Region der italischen Halbinsel sie ursprünglich verbreitet waren. Spezielle Forschungen haben gezeigt, dass
zumindest einige der etwa 560 genticilia, welche ausschließlich in Inschriften verschiedener
makedonischer Städte bezeugt sind, ursprünglich aus den Regionen von Latium, Campania
und Lucania sowie aus Norditalien (z.B. Aquileia) stammten. Was die geographische Verteilung der genticilia im Osten betrifft, so ist darüber hinaus festzustellen, dass die Familien, die
der gleichen gens zugehörten, sich gleichzeitig niedergelassen hatten oder sich im Laufe der
Zeit in unterschiedlichen Städten niedergelassen hatten, und zwar nicht nur in Makedonien,
sondern auch in den Grenzregionen des Küstenstreifens von Thrakien und im westlichen
Kleinasien, und zwar insbesondere in Städten entlang der Straßenachse der Via Egnatia oder
an bedeutenden Hafenstädten der Seewege, die Italien mit Kleinasien verbanden. Typische
Beispiele dafür sind etwa die gens der Agelleii, deren Mitglieder sich in Thessalonike, in
Thassos und in Ephesos niedergelassen hatten, oder der Erennii, die in Dyrrhachium, Pella,
Dion, Thessalonike, Europos und später in Philippi anzutreffen sind. Freilich erfolgte die
Niederlassung italischer Siedler nicht durch eine Intervention von Seiten des Staates, wie dies
mit den Siedlern in den Kolonien der Fall war (siehe weiter unten), und sie erfolgte auch nicht
immer direkt aus Städten und Regionen der italischen Halbinsel. So wandte sich zum Beispiel
in der Mitte des 1. Jh. v.Chr. ein Teil der italischen Händler von Delos, des größten freien
Handelshafens des östlichen Mittelmeers, als diese wegen der Mithridatischen Kriege die Insel verließen, nach Makedonien und ließ sich insbesondere in dem großen Handelshafen von
Thessalonike nieder (andere wanderten in die bedeutenden städtischen Zentren an der kleinasiatischen Küste, wie Ephesos, Smyrne und Kyzikos ab) 12.
Die Zahl der in Makedonien niedergelassenen Römer erlebt in der 2. Hälfte des 1. Jh.
v.Chr. mit der Gründung von vier Kolonien, Philippi, Kassandreia, Dion und Pella, auf makedonischem Territorium sowie dem municipium Stobi im Oberen Makedonien einen
beträchtlichen Anstieg. In den Jahren der Antoniner wird in Inschriften eine weitere römische
Stadt (Kolonie oder Municipium) an der Stelle der alten griechischen Stadt Apollonia in
Mygdonia angeführt. Die Umstände sowie die genaue Zeit der Gründung dieser Kolonien
können nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Die zeitlich gesehen ersten Kolonien sind jene
von Dion und von Kassandreia, deren Gründung unter Quintus Hortensius Hortalus im Jahr
43 oder 42 auf Anweisung von Brutus erfolgt sein muss (Hortensius war von ihm zu Beginn
des Jahres 44 v.Chr. zum Statthalter der Provinz ernannt worden und stellte sich nach dessen
Ermordung auf die Seite seines Neffen Brutus, den er auch in seinem Kampf gegen M. Antonius unterstützte; die These, dass die Kolonien wahrscheinlich im Jahr 44 auf Veranlassung
Caesars gegründet wurden, geht auf die Tatsache zurück, dass er ein Prokonsul Caesars war).
Philippi wurde unmittelbar nach der Schlacht von Philippi im Jahr 42 v.Chr. von Veteranen
aus den Truppen von Marcus Antonius kolonialisiert. Was Pella betrifft, so wurde diese Kolonie aller Wahrscheinlichkeit nach erst nach dem Jahr 30 v.Chr. gegründet. Nach der
Seeschlacht von Actium wurden auf Befehl von Augustus Philippi, Kassandreia und Dion
"neu gegründet". Dass diese makedonischen Kolonien im Rahmen ihrer "Neugründung" neue
Siedler aufnahmen, ergibt sich unter anderem aus den Informationen, die Augustus selber in
seinen "Res Gestae" erteilt, in denen Makedonien als eine der Regionen angeführt wird, in
denen sich Veteranen seiner Truppen niederließen (Text Nr. 6), aus dem Titel parens (d.h.
Vater der Kolonie), den die Bewohner von Dion ihm in einer Ehrinschrift zuweisen, aber auch
aus den Münzen der Kolonien, auf denen die Worte Julia Augusta eingeprägt sind.
PANDELIS NIGDELIS
71
Die Gründung der Kolonien ist natürlich auch mit dem demographischen Problem in
Verbindung zu sehen, welches die umfangreichen Rekrutierungen der männlichen Bevölkerung (seit der Zeit des 1. Mithridatischen Krieges und in größerem Umfang während der
römischen Bürgerkriege) sowie die ständigen in der Region ausgetragenen Kriege hervorriefen. Diese Geschehnisse machten eine Belebung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Lebens in Makedonien erforderlich. Doch Geschehnisse von derartiger Tragweise können natürlich nicht nur in einer Hinsicht von bedeutend sein. In günstiger Lage an der Via Egnatia
sowie der Straße, die Nord- und Südgriechenland miteinander verband, erlaubten diese römischen Wachposten die Kontrolle nicht nur von Makedonien, sondern auch all der
Durchzugswege von Westen nach Osten, und dies umso mehr in einer Zeit, zu der die nördliche Balkanhalbinsel noch nicht unter römischer Herrschaft war. Die Kolonien selbst konnten
als Reserven für die Rekrutierung von Truppen für die Feldzüge zur Eroberung Thrakiens herangezogen werden - eine Funktion, die sie zum Teil in der Tat erfüllten.
Eine Betrachtungsweise, bei der Kolonien in Makedonien rein auf militärische Funktionen beschränkt werden, wäre jedoch falsch. Bereits Dio Cassius berichtet in Bezug auf die
Kolonie Philippi, dass die Bewohner von Dyrrhachium und Philippi Anhänger von Marcus
Antonius waren, die aus Italien vertrieben worden waren, wo sie lebten und von Augustus dazu gezwungen worden seien, sich in den Kolonien Makedoniens niederzulassen.
Prosopograpische Studien zeigen auch, dass an der Herausbildung der Führungselite in den
Kolonien zahlreiche bereits in makedonischen Städten niedergelassene italische Siedler beteiligt waren, und in einigen spielten auch freigelassene Sklaven eine bedeutende Rolle.
Die Zahl der Siedler, die sich in den Kolonien niederlassen, ist uns nicht bekannt, da die
epigraphischen Dokumente für die Gesamtheit der Kolonien Makedoniens nur sehr unzulänglich sind. In der einzigen, für die ausreichende Quellen vorhanden sind, nämlich für jene von
Philippi, erlauben uns einige statistische Angaben, ein allgemeines Bild von der Größe ihrer
Bevölkerungsgruppen zu machen: von insgesamt 1480 Personen, deren rechtliche Stellung
auf der Grundlage ihres Namens ermittelt werden kann, beliefen sich die römischen Bürger,
einschließlich der freigelassenen Sklaven, auf 1032 Personen, also auf etwa 70%, wohingegen
die nicht römischen Bürger, die so genannten paregrini, 428 Personen, also einen Anteil von
29% ausmachten (darunter auch die alten Bewohner griechischer und thrakischer Herkunft).
Was die Herkunft der Siedler betrifft, so verweist das Studium ihrer Namen auf Regionen wie
Calabria, Samnio und Campania (Süditalien), Latium und Etrurien (Mittelitalien) und Aquileia (Norditalien)
Die Niederlassungen in den Kolonien hörte im Jahr 30 v.Chr. jedoch nicht auf, sondern
hielt auch nach der „Neugründung“ zumindest in einigen von ihnen weiter an, wie der Fall
von Philippi zeigt, wo sich auch nach der Gründung der Provinz Thracia (46 n.Chr.) auf ihrem
Territorium Veteranen niederließen, die an den Feldzügen zur Eroberung der Provinz teilgenommen hatten13.
2.3. Die Migration nach Makedonien während der Kaiserzeit
Die Ansiedlung römischer Bürger dauert auch während der Kaiserzeit weiter an, insbesondere
in den großen städtischen Zentren wie Thessalonike, Herakleia, Lynkestis, aber auch in den
Kolonien Philippi und Dion. Doch in diesem Fall handelt es sich nicht mehr um Römer, die in
der ersten oder zweiten Generation im Osten leben. Eine Untersuchung der Namen ihrer gens
zeigt, dass es äußerst gewagt wäre, hier von einer "römischen" Migration zu reden, da in der
Regel die Träger dieser Namen, insbesondere, wenn sie im 2. oder 3. Jh. n.Chr. erscheinen,
hellenisierte Nachkommen alter italischer Siedler oder Nachkommen von freigelassenen
Sklaven sind. In eben dieser Zeit ändert sich auch der Horizont der Migration. Insoweit es
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DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
möglich ist, ihren Herkunftsort zu bestimmen, handelt es sich nunmehr um die großen Städte
der nordwestlichen und westlichen Küstengebiete Kleinasiens (wie die Regionen von Bithynien, Troas, Ephesos, Smyrne usw.) und weniger um die Städte und Regionen Italiens oder
Südgriechenlands.
Die Niederlassung von Kleinasiaten und noch dazu in einem beträchtlichen Ausmaß ergibt sich nicht nur aus der Zahl von Einzelpersonen mit einer entsprechenden Abstammung,
wie ihre jeweilige gens diese verrät, sondern auch ihrer kollektiven Organisation in privaten
Vereinen, wo sie unter dem Oberbegriff Asianoi zusammengefasst werden. Derartige Vereine
mit Dionysos als Schutzgott wurden gemäß dem heutigen Wissensstand im 2. und 3. Jh.
n.Chr. in Thessalonike, in Lete und in Philippi sowie in einigen anderen Regionen und wichtigen Städten des benachbarten Thrakiens gebildet. Die fragmentarischen Informationen, über
die wir verfügen, lassen jedoch keine Schätzung des Ausmaßes der Migration nach Makedonien oder gar eine Rekonstruierung der Bedingungen, unter denen sie erfolgte, zu. Die
Purpurverarbeitung und das Textilgewerbe, in dem einige der Kleinasiaten tätig waren, veranlasste moderne Wissenschaftler zu der These, dass es sich um Handwerker und Händler
handelte, die von den Defiziten profitieren wollten, die in dem wirtschaftlich entwickelten
Makedonien nach dem Ende der Bürgerkriege auftraten14.
Eine ausländische Bevölkerungsgruppe mit einer kollektiven Organisation waren die
Juden. Die römische Verwaltung behandelte diese jedoch nicht als eine nationale, sondern als
eine gesellschaftliche Gruppe, d.h. die jüdischen Gemeinden wurden als private Personenverbände, als rein religiöse Organisationen betrachtet. Auf der Grundlage unserer heutigen
Kenntnisse sind jüdische Gemeinden für vier große städtische Zentren von Makedonien bezeugt, und zwar für Philippi, Thessalonike, Beroia und Stobi (der einzigen Gemeinde, in der
archäologische Überreste ihrer Synagoge gefunden wurden). Wann sich die Juden zum ersten
Mal in dieser Region niederließen, ist nicht bekannt, auch wenn diesbezüglich verschiedene
Thesen geäußert wurden, von denen einige ihre Präsenz in Makedonien bereits in die Mitte
des 2. Jh. v.Chr. datieren. Die ersten Informationen stammen jedoch vom Autor der Acta Apostolorum in den entscheidenden Jahren, bei denen lediglich die Synagogen von Philippi,
Thessalonike und Beroia genannt werden, in denen der Apostel Paulus während seiner ersten
Makedonienreise im Jahr 50 n.Chr. predigte.
Diese Gemeinden bestehen mindestens bis in das 4 Jh. n.Chr. weiter, und es kann nicht
ausgeschlossen werden, dass Thessalonike, die bedeutendste derartige Gemeinde, sogar eine
Zunahme ihrer Bevölkerung vorzuweisen hatte und mehr als eine Synagoge erhielt. Neuere
epigraphische Angaben aus Beroia erlauben ein gewisses Bild von der Organisation der dortigen Gemeinde, die von einem Rat gewählter Presbyter verwaltet wurde, wie dies auch bei
verschiedenen paganen Verbänden der Fall war. Trotz ihrer Integration in die örtliche Gemeinschaft - eine Tatsache, die etwa durch die Verwendung der griechischen Sprache auf
ihren Grabmonumenten sowie der Existenz gemeinsamer Friedhöfe mit anderen Stadtbewohnern bewiesen wird - haben sich die Juden niemals an ihre neue Umgebung assimiliert. Auf
ihren Grabmonumenten, aus denen sie uns in der Regel bekannt sind, erklären sie klar und
deutlich ihre religiöse Identität, entweder durch religiöse Symbole oder durch die Nennung
ihrer institutionellen Rolle in der Synagoge während ihrer Lebzeiten oder auch einfach durch
die Anführung der Bezeichnung "Hebraios"15.
PANDELIS NIGDELIS
73
3. Die Verwaltung des römischen Makedoniens
3.1. Die Provinzverwaltung
3.1.1. Der Verwaltungsmechanismus.
Vom Jahr 148 v.Chr. an wurde die Verwaltung Makedoniens von einem römischen Offizier,
in der Regel einem ehemaligen Feldherrn (Praetor) ausgeübt, der vom römischen Senat für ein
Jahr entsandt wurde und mit politischer und militärischer Befehlsgewalt bekleidet war (imperium). Die Statthalter, die in der Realität "Laien" ohne entsprechende berufliche Ausbildung
in Verwaltungsfragen waren, wurden bei der Durchführung ihrer Pflichten von einem Beraterstab (consilium) unterstützt, die zusammen mit ihnen und mit ihrer Einwilligung vom Senat
gewählt wurden. Die wichtigsten Mitglieder dieses Rates waren der Legatus, eine Art Vertreter des Statthalters mit beruflicher (administrativer und militärischer) Erfahrung, der ihn in
seinen Pflichten vertreten konnte, sowie der Quaestor, eine Art Schatzmeister, der für die
Verwaltungsausgaben (Bezahlung von Angestellten, Soldaten usw.) zuständig war. Weitere
Mitglieder dieses Stabs waren seine Begleiter (comites, cohors amicorum), also Personen seines Vertrauens, deren Zahl nicht mehr als zehn betrug und die insbesondere beratende
Aufgaben hatten. Zu diesem Mechanismus gehörte schließlich noch eine kleine Anzahl an
Beamten, die der Prokonsul aus Rom mit sich nahm (die so genannten apparitores), wie Sekretäre, Schreiber, Liktoren, Boten, Herolde, Auguren sowie eine gewisse Zahl an Sklaven für
seinen persönlichen Bedarf (Köche, Wagenlenker, Pferdeknechte usw.).
Um das Jahr 10 v.Chr. wurden die militärischen Zuständigkeiten der Statthalter Makedoniens, die nunmehr konstant als Prokonsul bezeichnet wurden, auf die Verwaltung einer
kleiner Zahl ihnen unterstellter Soldaten beschränkt (officium), die Aufgaben von Sekretären
und Leibwächtern ausführten. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Grenzlinie
des Kaiserreichs weiter nach Norden gerückt war und dass in der Provinz Macedonia keine
Legionen mehr stationiert waren. Freilich gehörten Legati, Quaestores, aber auch seine persönlichen Sklaven oder Freigelassenen weiterhin zum Gefolge des Prokonsuls.
In einigen Fällen kam es während der Kaiserzeit, was die Verwaltung betrifft, zu gewissen Inkontinuitäten gegenüber der Zeit der Republik. Dies ist insbesondere auf die
Interventionen einiger römischer Kaiser, wie etwa von Tiberius oder Traian, zurückzuführen,
welche die senatorischen Provinzen, darunter auch die Provinz Macedonia, unter ihrer Kontrolle haben wollten, und sie somit zum Teil direkt mit ihren eigenen Vertrauten (legati pro
praetore Augusti) teilweise durch die Entsendung ihrer Vertreter in speziellen Missionen verwalteten, welche die Macht der dortigen militärischen Statthalter wesentlich einschränkten.
Seit der Zeit der Severer und insbesondere seit der Mitte des 3. Jh. n.Chr. wurden an Stelle
der Prokonsuln Prokuratoren oder einfache Reiterpräfekten entsandt, welche die Verwaltung
der Provinzen und der militärischen Truppen übernahmen, die dort auf Grund der Einfälle der
Goten erneut stationiert wurden. Die kaiserlichen Interventionen wurden zur Zeit Traians
durch die Einführung von speziellen kaiserlichen Gesandten, den so genannten curatores rei
publicae, auf die Kontrolle der Finanzverwaltung der Städte ausgedehnt.
Einen besonderen, direkt dem Kaiser unterstellten Verwaltungsmechanismus bildete
während der Kaiserzeit der Bereich der Verwaltung des staatlichen Vermögens, also des
Grundbesitzes des Kaisers und der direkten Steuern, welche der römische Staat von den römischen Bürgern Makedoniens eintrieb, also die Tribute auf Erbschaften und auf die
Freilassungen. Die entsprechenden Ämter wurden von erfahrenen Führungskräften der so genannten "Kaiserfamilie" (familia Caesaris) bekleidet, bei denen es sich um Sklaven oder um
Freigelassene handelte und die von kaiserlichen Prokuratoren (procuratores) aus dem Ritterstand geleitet wurden (zumindest nach unserem heutigen Wissensstand nach). In den Quellen
74
DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
ist außerdem von kaiserlichen Prokuratoren mit Zuständigkeiten nicht wirtschaftlicher Natur
die Rede16.
3.1.2.
Die Zuständigkeiten der römischen Verwaltung
Während der Zeit der Republik gab es im Wesentlichen zwei Bereiche, in denen die römische
Verwaltung tätig war: Der erste Bereich betraf die militärische Sicherheit der Region sowie
die Sicherung des Friedens, und der zweite Bereich war die Eintreibung der dem Staat geschuldeten Steuern und Tribute. Die Erreichung des ersten Ziels, welches die Stationierung
und Versorgung der Legionen betraf, die jährlich nach Makedonien entsandt wurden, aber
auch die der örtlichen Nachschubtruppen, die an den Grenzposten stationiert waren, war mit
hohen Kosten verbunden, die im Wesentlichen von den Städten getragen wurden, und zwar
im ersten Fall zum größten Teil, im zweiten Fall vollständig. So waren z.B. die Bewohner der
Provinz dazu verpflichtet, den Legionen Getreide zu einem vom Senat festgesetzten Preis zu
liefern. Ein typisches Beispiel dafür ist das zuvor angeführte Dekret von Lete, in dem die
Einwohner der Stadt den Quaestor der Provinz, M. Annius, dafür loben, dass er den Feinden
Einhalt geboten hatte, ohne dafür die Städte mit den Ausgaben zu belasten, welche die Rekrutierung von Nachschubtruppen aus Makedonen nach sich gezogen hätte. Zur Erreichung
dieses Ziels schritten die römischen Statthalter des öfteren zu einer regelmäßigen Rekrutierung, insbesondere während der Zeit nach den Mithridatischen Kriegen. Höhepunkt dieser
Entwicklung stellt die Bildung von zwei Legionen unter Brutus dar. Diese in der Regel militärischen Kompetenzen prägen das Bild, das sich aus den verfügbaren literarischen und
epigraphischen Quellen bezüglich der Zuständigkeiten der Statthalter von Makedonien ergibt,
ein Bild, das weitgehend mit der Realität übereinstimmt. Freilich gehörten zu seinen Zuständigkeiten in jener Epoche auch andere Aufgaben nicht militärischen Charakters, wie etwa die
Rechtssprechung unter den Bewohnern der Provinz, doch die Informationen, die wir diesbezüglich haben, sind äußerst spärlich.
Der zweite große Bereich der römischen Verwaltung betraf die Verwaltung der staatlichen Einkünfte. Bereits seit dem Jahr 167 v.Chr. legten die Römer den als „frei“ erklärten
Städten Makedoniens eine Steuer von insgesamt 100 Talenten auf. In den Quellen werden
keine klaren Angaben dazu gemacht, was genau diese Steuer umfasste (und auch nicht dazu,
ob sie in den späteren Jahren angepasst wurde), doch einige Wissenschaftler vertreten, gestützt auf Informationen aus der Kaiserzeit, die These, dass es sich im Wesentlichen um eine
Steuer auf Land (tributum soli) und auf natürliche Personen (tributum capitis) handelte. Zu
den staatlichen Einkünften gehörten auch die Zölle (portoria), die auf die importieren und exportieren Waren erhoben wurden.
Wie auch in anderen Provinzen des Kaiserreichs erfolgte die Eintreibung der Steuern
über einen Mechanismus der Steuerpächter (publicani). Dabei handelte es sich um eine Art
Unternehmen, welche die finanziellen Interessen Roms vertraten und im Anschluss an eine
Ausschreibung die Eintreibung der vorgesehenen Steuern mit Hilfe ihrer Agenten übernahmen, wobei sie sich häufig illegaler Methoden bedienten und höhere Steuern als die gesetzlich
vorgesehenen eintrieben, nicht selten unter Duldung der Provinzbehörden. Die Details dieses
Mechanismus, also etwa die Art und Weise, wie die Gesamtbesteuerung der Provinz auf die
einzelnen Städte aufgeteilt wurde, sind uns nicht bekannt, doch die Beibehaltung des Systems
der vier Bezirke bis zur Kaiserzeit lässt die These zu, dass diese auch als Steuerregionen dienten. Unbekannt ist darüber hinaus auch die Art und Weise der Nutzung des gewaltigen
Landbesitzes des königlichen Vermögens (große Ländereien, Wälder und Gold- und Silberbergwerke), die nunmehr zur Staatsdomäne geworden waren (ager publicus), also die Frage,
ob diese durch eine Verpachtung direkt an die Publicani oder durch eine gleiche Anzahl an
Pächtern (einheimischen oder fremden) erfolgte, wie dies während der Zeit der Königsherr-
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schaft der Fall war. Das System der Steuerpächter, das einen ständigen Zankapfel zwischen
den politischen Fraktionen in Rom darstellte, wurde letztendlich mit der Machtübernahme
durch Augustus eingestellt, und die Eintreibung der Steuern übernahmen Privatpersonen oder
niedrigere kaiserliche Beamte (in der Regel Sklaven oder Freigelassene), die unter der Aufsicht und der Kontrolle kaiserlicher Prokuratoren standen.
Die ausschließlich zivilen Zuständigkeiten der Statthalter während der Kaiserzeit beschränkten sich nicht nur auf die Rechtssprechung mittels des Systems der Gerichtsbezirke
(conventus), das allem Anschein nach in Makedonien vorherrschte, sondern gingen deutlich
weiter. Die Statthalter regelten mittels der Beschlüsse, die sie - häufig in der Form von Edikten - fassten, unterschiedlichste Themen, wie z.B. die Beziehungen zwischen den Städten
(Grenzstreitigkeiten), die Instandhaltung der großen öffentlichen Straßennetze oder das Verfahren der Freilassung von Sklaven in regionalen Sanktuarien. Der beeindruckendste Aspekt
jener Zeit ist jedoch die Intervention der römischen Verwaltung in Themen der städtischen
Selbstverwaltung, und das noch dazu in einer Weise, die einige Wissenschaftler zu dem
Glauben veranlasste, dass die Städte keine Entscheidung treffen konnten, ohne zuvor die Genehmigung des Statthalters einholen zu müssen. Diese These ist sicherlich übertrieben,
insbesondere, wenn es um Entscheidungen ohne irgendeine rechtliche Bindung geht, sie beschreibt jedoch die Verfassungsrealität der Städte, wo auf Grund der Aristokratisierung der
Gesellschaft die angeblich demokratische Verfassung so gut wie keine institutionellen, ja
nicht einmal alltägliche Themen lösen konnte. Ein typisches Beispiel dafür ist der Fall eines
jüngst veröffentlichten Edikts aus Beroia vom Ende des 1./Beginn des 2. Jh. n.Chr: Die Bürger der Stadt bitten, da sie nicht dazu in der Lage sind, eine Einigkeit darüber zu erzielen,
welche der nicht genutzten öffentlichen Ressourcen genutzt werden müssten, um die kontinuierliche Finanzierung des Gymnasiums der Stadt zu sichern (die ihren Betrieb eingestellt
hatte), um ein Eingreifen des Prokonsul, der das Problem lösen solle 17.
Ähnliche Interventionen, also Interventionen, die auf Initiative der Städte mittels der
Entsendung von Legaten erfolgten, sind auch für die Kaiser bezeugt und betreffen sie sowie
den Bund (Koinon) der Makedonen. Das repräsentativste Beispiel ist aus einem Antwortschreiben von Antonius Pius an eine unbekannte makedonische Stadt im östlichen
Makedonien (Parikopolis?) bekannt. Darin weist der Kaiser auf verschiedene Wege hin, wie
die Finanzen der Stadt verbessert werden könnten, wie etwa durch die Ausdehnung von Personensteuern auf die freien Bewohner der Stadt, die keine politischen Rechte hatten, durch die
Erhöhung der Ratsmitglieder auf achtzig sowie des Betrags, den sie mit der Aufnahme ihrer
Tätigkeiten zahlten usw. (Text Nr. 9).
Während jener Zeit dauert die direkte und indirekte Besteuerung zu Gunsten des römischen Staates weiter an, die in der Zeit der Republik eingeführt worden war, wenn auch die
Verpflichtungen der Städte deutlich niedriger waren. Zunächst einmal allein schon deswegen,
weil sie nicht mehr dazu verpflichtet waren, für den Unterhalt der in der Region stationierten
römischen Legionen aufzukommen. Die einzige ähnliche Verpflichtung bestand in einem partiellen (finanziellen) Beitrag zum Betrieb des kaiserlichen Postdienstes (cursus publicus), das
mit der Beförderung von Beamten des Staates, Truppen des römischen Heeres sowie Waren
des Staates oder Befehlen der Zentralverwaltung betraut war. Zu einer Erleichterung der Städte trug jedoch in erster Linie die rationalere Verwaltung bei, wie sie von den Vertretern der
römischen Verwaltung im Vergleich zu jener ihrer Vorgänger während der Zeit der Republik
ausgeführt wurde. Möglich wurde dies auch durch die langjährige administrative Erfahrung,
die in der Zwischenzeit zusammengekommen war, die neue gerechtere Methode der Eintreibung von Steuern, sowie insbesondere die politische Stabilität, welche das neue
Herrschaftsregime auszeichnete.
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3.2. Die Verwaltung der Städte
Direkt nach der Eroberung Makedoniens durch die Römer wurden die makedonischen Städte
alle als tributpflichtige Städte (civitates stipendiariae) in den Staat integriert. Ausnahmen bildeten lediglich Amphipolis, Skotousa und Thessalonike (erst ab 42 n.Chr.) die als freie Städte
anerkannt wurden (civitates liberae). Der Unterschied zwischen diesen zwei Kategorien an
Städten betraf die Privilegien der freien Städte, da diese z.B. von den regelmäßigen Steuern
der tributpflichtigen Städte befreit waren, ihre Gerichte einen privilegierten Status genossen
(vor ihnen konnten auch Fälle behandelt werden, bei denen eine der Prozessparteien ein römischer Bürger war) und allgemein einen Teil der Provinz bildeten, auf dessen Territorium die
Zuständigkeiten des Statthalters nicht galten. In Ausnahmezuständen, wie etwa im Falle von
Kriegen, wurden diese Privilegien, insbesondere, was die wirtschaftlichen Aspekte betraf,
ausgesetzt und die Städte wurden von der Provinzverwaltung gleich behandelt, wie sich dies
zum Beispiel aus der berühmten Schrift Ciceros gegen den Prokonsul von Makedonien, L.
Calpurnius Piso, ergibt.
Trotz der Interventionen der römischen Verwaltung werden die Städte Makedoniens
auch nach der römischen Eroberung von den Institutionen verwaltet, über die sie während der
Zeit der Königsherrschaft verfügten. Jede Stadt verfügte über ihre eigenen kollektiven Staatsorgane, die Volksversammlung (ekklesia tou demou), der Rat (boule) und die Archontes
(Verwaltungsbeamte) sowie über ihre eigenen Gesetze, die freilich nur von regionaler Geltung waren, und ihr eigenes Gerichtswesen für bestimmte Straftaten, freilich unter der
Voraussetzung, dass es sich bei den Prozessparteien nicht um römische Bürger handelte, deren Handlungen unter die Zuständigkeit des Statthalters fielen. So konnten zum Beispiel die
Städte Strafzahlungen im Falle von Grabschändungen eintreiben. Darüber hinaus verfügten
die Städte über Eigenmittel aus Landbesitz und Vermögenswerten (die insbesondere im 2. Jh.
n.Chr., als die Region eine wirtschaftliche Blüte erlebt, durch die Schenkung und Erbschaften
der Bürger anwuchsen). Allgemein ließ Rom, radikalen Änderungen gegenüber eher abgeneigt, die bestehenden Institutionen unberührt, verfolgte jedoch, wie auch anderswo, das Ziel,
mittels ihm wohlwollend gesonnener Personen, denen es politisch an die Macht verhalf, eine
Kontrolle auszuüben.
In institutioneller Hinsicht weist die Verfassung der makedonischen Städte die gleichen
Merkmale auf, wie die der Städte Südgriechenlands, und kann als demokratisch charakterisiert werden. Diese Charakterisierung erlaubt insbesondere die inschriftlich bezeugte Existenz
kollektiver demokratischer Organe, wie der ekklesia tou demou und der boule ( oder auch einer großen Zahl an Archontes. Doch aus historischen Gründen ging die Demokratie in
Makedonien nie über das timokratische System hinaus, das bis zum Ende der Antike Bestand
hatte. Der Ausschluss der Nachkommen der Arbeiter aus dem Gymnasium von Beroia (siehe
das „Gymnasiarchen-Gesetz“ der Stadt, das wahrscheinlich aus der Königszeit stammt), sowie die Festlegung von Vermögenskriterien (Mindestvermögen von 3.000 Drachmen in Land
oder beweglichen Vermögen) für die Teilnahme der Jugendlichen (epheboi) am Ausbildungssystem in Amphipolis („Ephebarchen-Gesetz“ aus dem Jahr 23/22 v.Chr.) lassen es
wahrscheinlich erscheinen, dass das aktive und passive Wahlrecht bereits vor der Eroberung
durch die Römer bereits timokratischen Einschränkungen unterlag, die auch danach weiterhin
Bestand hatten. Diese institutionellen Restriktionen in der Funktion der Demokratie in Makedonien bereits von der Zeit der Republik an spiegelt auch das Recht des übermächtigen
Gremium der Politarchen, das in allen Städten anzutreffen ist, wider, als das einzige Organ in
der boule (und in der ekklesia tou demou) Beschlüsse zur Abstimmung vorzulegen (diese Einschränkung galt einer These nach bereits seit der Zeit des Königtums, da die Institution der
Politarchen bereits seit dieser Zeit in den makedonischen Städten eingeführt worden sei). Die
zunehmende Aristokratisierung der Gesellschaft der makedonischen Städte, die aus den ge-
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sellschaftlichen Änderungen hervorging und die durch den unterschiedlichen rechtlichen Status noch verstärkt wurde, den Rom gegen Ende des 1. Jh. v.Chr. einführte (zunächst römische
– nicht römische Bürger, später honestiores – humiliores), verbunden mit dem funktionellen
Charakter der Ämter (deren Ausübung mit der Übernahme von Kosten verbunden war), trug
schließlich zu einer völligen politischen Entmachtung der Volksversammlung bei. Diese Institution wird nach und zu einem Organ, das lediglich die Vorschläge der in politischer Hinsicht
dominanten Boule und der Archonten sanktioniert, also der Mitglieder der örtlichen nobilitas.
Diese Diskrepanz zwischen der Gesellschaft und der in formaler Hinsicht demokratischen
Verfassung erkannte auch die römische Verwaltung an, wie das zuvor angeführte Edikt von
Beroia durchscheinen ließ, wo der Prokonsul sich dazu gezwungen sieht, in der Präambel zu
betonen, dass mit der von ihm vorgeschlagenen Lösung die boule und die protoi von Beroia,
also die Oberschicht des örtlichen Adels, einverstanden waren.
Bezüglich der Zusammensetzung und der Funktion der kollektiven Organe der makedonischen Städte ist uns nur weniges bekannt. Die Volksversammlung (ekklesia tou demou)
bestand ausschließlich aus männlichen Bürgern, und trat nur zusammen, wenn sie von den
Politarches einberufen wurde, nie jedoch aus eigener Initiative heraus. Die Diskussionen in
der Volksversammlung setzten das Vorliegen eines vorbereitenden Beschluss-Entwurfs (probouleuma) voraus, den die boule vorbereitet hatte und den die Politarches zur Diskussion und
Abstimmung brachten. In Ausnahmefällen, insbesondere im Falle der Ehrung von herausragenden römischen Würdenträgern oder Bürgern der Stadt, arbeitete die Volksversammlung
mit den Versammlungen der Italiker zusammen, sofern diese autonome Vereine mit einem
rechtlichen Fundament bildeten.
Im Gegensatz zur Volksversammlung war die Rolle des Rates (boule) deutlich umfassender. Abgesehen von der Vorbereitung von Beschlüssen wird in den Quellen ein breites
Spektrum an Aktivitäten des öffentlichen Lebens der Städte angeführt, die direkt ihrer Aufsicht unterstanden. Derartige Bereiche waren etwa die Ausbildung der Epheboi, der Sport der
Jugendlichen, die Nutzung und die Kontrolle des öffentlichen Vermögens (das sich in der Regel aus Schenkungen und Erbschaften zusammensetzte), die Austragung von Spielen, die
Erteilung von Ehren und Auszeichnungen an bedeutende Mitglieder der Gemeinschaft oder
an Fremde sowie die Vertretung der Stadt mittels Botschaftern in der römischen Zentral- (kaiserlichen) und Provinzverwaltung. Was die Zusammensetzung der boule betraf, so bildete sie
ein zahlenmäßig starkes Gremium, dessen Mitglieder, wie aus prosopographischen Studien
hervorgeht, zum örtlichen Adel gehörten. Die politische Bedeutung und das Ansehen dieses
Gremiums zeigt sich nicht nur in seiner Kompetenz, zumindest zu bestimmten Themen eigenständig Beschlüsse treffen zu können (insbesondere bezüglich der Erweisung von Ehren),
sondern auch darin, dass einige Bürger der Stadt allein aus Gründen der Ehre den Titel des
bouleutes (Mitglied der Ratsversammlung) erstrebten (super legitimum numeum). Dies galt
bis in das 3. Jh. n.Chr., also bis in eine Zeit, in der die Amtszeit in der boule wohl auf Lebzeiten bestand (wann genau es in Makedonien zu dieser bedeutenden Änderung kam, welche die
tief verwurzelte Institution der einjährigen Amtszeit beendete, ist nicht bekannt). Die allgemeine Entwicklung der Institutionen zeigt sich auch in der Erscheinung der Institution des
Senats (gerousia) in der Stadt Thessalonike während der Kaiserzeit, eines aristokratischen
Organs, dessen altehrwürdige Mitglieder auf Grund ihres Ansehens, das ihnen ihr Reichtum
und ihre Erfahrung verlieh, eine beratende Rolle spielten.
Was die Ämter der makedonischen Städte betrifft, so präsentieren uns die erhaltenen
Quellen ein ziemlich homogenes Bild, da für praktisch alle Städte die Ämter des Politarchen,
des Stadtschreibers, des Agoranomen, des Schatzmeisters, des Gymnasiarchen, des Ephebarchen, der Notare überliefert sind, was natürlich nicht bedeutet, dass es nicht auch weitere
Ämter gab. So erscheinen z.B. für einzelne Städte noch bestimmte andere Ämter, wie das des
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Sitonen (Getreideeinkäufers) oder des Eirenarchen (Polizeibeamten), die entweder außerordentliche Aufgaben (wie etwa die Beschaffung von Getreide) oder ständige Bedürfnisse (wie
den Polizeischutz der ländlichen Regionen) erfüllten. In den Quellen sind außerdem noch
weitere außerordentliche Ämter angeführt, die mit der Verwaltung des Vermögens der örtlichen Priester in Zusammenhang stehen (epimelitai). Was ihre Wahl betrifft, so hatten diese
Ämter eine Amtszeit von einem Jahr, und die Wahl erfolgte durch die ekklesia tou demou.
Eine besondere Beachtung ist, was die vorstehenden Ämter betrifft, zwei Ämtern zu
schenken, nämlich jenem des Politarchen und des Gymnasiarchen. Das Amt des Politarches
stellt, wie bereits zuvor erwähnt, das wichtigste Amt der makedonischen Städte dar, und seine
Bedeutung beruht nicht nur in der entscheidenden Rolle bei der Vorbereitung und Verabschiedung von Beschlüssen, sondern auch in seinen anderen Zuständigkeiten, dank derer die
jeweilige Person in praktisch alle Bereiche des öffentlichen Lebens der Städte involviert ist.
Dass die Bedeutung und die Zuständigkeiten dieses zunächst aus zwei Personen bestehenden
Kollegiums der Politarchen im Laufe der Zeit erweitert wurden, ergibt sich z.B. aus der Erhöhung seiner Mitgliederzahl auf fünf sowie aus der Tatsache, dass in den "Acta
Apostolorum" die Politarchen von Thessalonike auch gerichtliche Zuständigkeiten hatte (wie
die Richter während der Zeit der Königsherrschaft), da vor sie der Freund von Paulus, Iason,
gebracht wird und vor ihnen die Anklagen der Juden zu Lasten seines Landsmannes vorgetragen werden). Das Amt des Gymnasiarchen gewinnt ebenfalls zusehends an Bedeutung, da
durch die Großzügigkeit seiner Träger die jeweilige Stadt die mageren Geldbeträge ergänzt,
die sie für den Kauf des in Makedonien schwer aufzufindenden Öls zur Verfügung hatte, das
sowohl für den Sport, als auch für das Bad ihrer Bewohner benötigt wurde (während der Kaiserzeit diente das Gymnasium eher als eine Art Badeanstalt). In der Realität gewährleistete
dieses Amt für die Dauer seiner einjährigen Amtszeit das reibungslose gesellschaftliche Leben einer Stadt sowie eine gute Gesundheit der männlichen Bevölkerung der Stadt.
Die Institutionen der Städte Makedoniens, wie auch der anderen griechischen Städte,
blieben jedoch von der Eroberung durch die Römer nicht völlig unberührt, was auch kaum zu
erwarten gewesen wäre. Diese Behauptung wird alleine schon durch das Erscheinen von Ämtern wie jenes des Oberpriesters der örtlichen Kaiserverehrung bestätigt. Dem Einfluss der
Römer ist auch die Einführung der summa honoraria zuzuschreiben, also jenes Betrags, welchen die Kandidaten für das Amt des Archon bei Amtsantritt entrichteten. Es bleibt jedoch
fraglich, ob die Durchsetzung dieser Sitte auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass sie mit
dem bereits seit der Mitte der hellenistischen Zeit bekannten Brauch der griechischen Städte
zusammen fiel, wo die staatlichen Ämter im Namen des Euergetismus, also der damals vorherrschenden Ideologie der Wohltätigkeit der örtlichen Aristokratien, mit der Übernahme von
Kosten zu unterschiedlichen Zwecken verbunden waren. Diese von den gesellschaftlichen
Veränderungen beeinflusste Aristokratisierung der Verfassung spiegelt sich in verschiedenen
Aspekten der Realität wider, wie etwa in der gleichzeitigen Häufung von Ämtern in einer Person oder der wiederholten Ausübung des gleichen Amtes durch ein und denselben Bürger
oder gar durch das Erscheinen von Frauen und Minderjährigen unter den Archontes der
Städte18.
3.3. Die lokalen Landtage (Koina) des Oberen Makedoniens
Die Entwicklung der politischen Institutionen des Oberen Makedoniens weist gewisse historisch bedingte Unterschiede zum übrigen Makedonien auf. Diese gehen insbesondere auf die
Verzögerung bei der Urbanisierung dieser gebirgigen Region zurück, die zur Folge hatte, dass
die alten Stammesgruppen, wie die Eordäer, die Elimioten, die Lynkester und die Orester ihre
alte Organisation in der Form der lokalen Landtage (Koina) beibehielten, also eines Bundes
von Städten und Dörfern, die jedoch nicht mehr auf dem Geschlecht oder dem Stamm basier-
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ten. Die Autonomie dieser Landtage erklärt vielleicht auch die Tatsache, dass das Obere Makedonien bei den republikanischen Schriftstellern häufig als „frei“ bezeichnet wird (bei
Plinius wird diese Bezeichnung jedoch auf die Oresten beschränkt). Die Römer, diese regionale Eigentümlich anerkennend, akzeptierten die Koina als Kommunikations-Medium
zwischen der Provinzverwaltung und den darin zusammen geschlossenen Städten und Dörfern. Diese Wahl war auf Grund des geringen Grades der Urbanisierung und der geringen
Größe der städtischen Zentren der Region mehr oder weniger unausweichlich.
Der Zusammenschluss der örtlichen Koina des Oberen Makedoniens stellt bis heute eine in der Forschung umstrittene Frage dar. Gemäß der einen These verfügte jedes Koinon
über lediglich eine Stadt, die das administrative und kulturelle Zentrum bildete, wohingegen
alle anderen Siedlungen auf institutioneller Ebene nicht mehr als Dörfer waren. Jüngste Inschriftenfunde zeigten jedoch, dass im Falle von bestimmten Gemeinden die in den Quellen
angeführten politeiai keine Dörfer waren, wie zuerst angenommen wurde, sondern kleine
Städte, die aus einem kleinen städtischen Zentrum und einer Art an ländlichen SatellitenSiedlungen gebildet wurden. Ein typisches Beispiel dafür ist die inschriftlich überlieferte
Lykaion politeia, die sich um den Ort Agios Achileios in dem kleinen Prespa entwickelte und
als Zentrum Lyke hatte, das in einer Inschrift als Stadt (polis) angeführt wird. Folglich gab es
in dem Koinon der Orester (weitere Region der heutigen Präfektur Kastoria) die Stadt Argos
Orestikon, administratives und kulturelles Zentrum des Koinons, Keletron (das heutige Kastoria), sowie die politeiai der Lynkeier, der Olbostier und der Battynaier, ohne jedoch die
Existenz anderer Siedlungen oder Dörfer auszuschließen (zu deren Lage siehe weiter unten).
Eine ähnliche Zusammensetzung schienen auch andere Koina des Oberen Makedoniens gehabt haben, wie etwa die Eordäer, die Elimioten, die Lynkesten oder die Derrioper (bezüglich
der Organisation von Pelagonia lassen die Quellen kein exaktes Bild zu).
Was ihre Institutionen betrifft, so verfügten die Koina über eine boule und eine Volksversammlung (ekklesia tou demou), wählten ihre Archonten, sofern dies erforderlich war
(etwa für die Bereitstellung von Salbölen während der gemeinsamen Feste wählten sie z.B.
einen Gymnasiarchen des Stammes, wie uns aus dem Koinon der Lynkesten bekannt ist). Die
kollektiven politischen Organe wählten darüber hinaus auch Gesandtschaften, welche die Belange des Koinon vor dem Statthalter vertraten. Dies ergibt sich zum Beispiel aus dem
berühmten Dekret der Battynaier, wo Beschwerden seitens der Bewohner der Stadt sowie aller Orester über eine Gruppe mächtiger Personen vorgetragen werden, die als eparchikoi
bezeichnet werden und den öffentlichen Grundbesitz des Koinons missbrauchten. Schließlich
betraf ein Großteil der Tätigkeiten der Koina der Kaiserkult 19.
Trotz der verglichen mit den früheren Epochen höheren Urbanisierung während der
Kaiserzeit blieb die aus historischen, geographischen und wirtschaftlichen Gründen dominierende politische Organisationsform der Bewohner des Oberen Makedoniens die von Dörfern.
Zur Zunahme der Zahl der Dörfer insbesondere gegen Ende der Republik trug auch der Bevölkerungsrückgang der Region bei, welche die Zerstörungen in den römischen
Bürgerkriegen nach sich zogen.
In den uns verfügbaren Inschriften sind bestimmte Namen von Dörfern des Oberen Makedoniens mittels der Anwesenheit ihrer Bewohner in fremden Regionen erhalten. Derartige
Namen sind z.B. Kolobaisa in Pelagonia, Bistyrros in Elimeia, Krannea in Eordäa. In einigen
selteren Fällen werden die Dörfer auch unter dem Begriff koinon „So-und-so“ (z.B. Koinon
Neapoleiton) angeführt. Die Weise, wie sich die Bewohner dieser Dörfer in der Regel selbst
definierten, umfasst außer ihrem Ethikon auch den Namen ihres lokalen Koinon, innerhalb
dessen Grenzen sich ihr Dorf befindet. So wird z.B. in der Freilassungsurkunde aus Leukopetra bei Beroia ein gewisser Freigelassener mit dem Begriff Bistyrrios, katoikon en Elimeia
(Bistyrrios, wohnhaft in Elimeia) angeführt. Derartige Selbstbestimmungen, also über den
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Namen des Koinons, in dem sich die Dörfer befanden, ist freilich verständlich, da so eine größere geographische Genauigkeit der Abstammung des Freigelassenen erzielt werden konnte
(was insbesondere in juristischen Dokumenten, wie einer Freilassungsurkunde, von Bedeutung war). Die Bedeutung dieser Angabe geht jedoch noch weit darüber hinaus, da sie die
Frage einer möglichen administrativen Abhängigkeit der Dörfer vom jeweiligen Koinon aufwirft. Auf Grund des Fehlens von Angaben lässt sich diese Frage nicht beantworten, zumal da
sich die Geschichte der Dörfer der Region von Fall zu Fall unterscheidet (so konnte es zum
Beispiel Dörfer geben, die aus Städten entstanden waren, die direkt dem Koinon unterstanden
sowie andere, die Städten des Koinons unterstanden, mit denen sie die zuvor angeführten politeiai bildeten)20.
Bezüglich der Organisation der Dörfer des Oberen Makedoniens ist uns nur wenig bekannt. In einer Inschrift aus dem benachbarten Lychnidos wird das Amt des Komarches oder
Dorfhauptmanns angeführt, wie wir es aus anderen griechischen Regionen kennen. Die Bewohner der Dörfer konnten mittels Volksversammlungen, die vom Komarches einberufen
wurden, Entscheidungen zu eher unbedeutenden Themen des Alltagslebens fassen, insbesondere was die Ehrerweisungen an Personen betrifft. Von Interesse ist der Fall des Dorfes
Alkomenoi (im Koinon Derriopoi): auf einer Inschrift aus diesem Dorf werden vier Stämme
(phyles) genannt. Die wahrscheinlichste Auslegung dieser Eigentümlichkeit ist, dass es sich
dabei um die institutionellen Überreste einer einst blühenden Stadt handelte, die zur Zeit Strabons zu einem kleinen Dorf geworden war und sich auch niemals wieder erholt hat.
Eine zentrale Rolle im Leben zumindest einiger Dörfer spielte scheinbar ein Heiligtum,
und die Gottheit, die darin verehrt wurde, stellte die Schutzgottheit des Dorfes dar. Dieses
Heiligtum spielte häufig die Rolle eines Archivs des Dorfes, und in diesem Sinne muss der
Priester auch über Zuständigkeiten bezüglich der Führung des Archivs gehabt haben. Jedes
Dorf verfügte über ein eigenes, von ihm dominiertes Gebiet, das zu dem Gebiet der angrenzenden organisatorischen Einheiten (Dörfer oder Städte) klar abgegrenzt war. Aus der Zeit
Traians und Hadrians sind Grenzinschriften vorhanden, welche die Beilegung von territorialen Streitigkeiten zwischen benachbarten Gemeinden durch die römischen Behörden zeigen,
wie z.B. im Falle der Dörfer Geneatai und Deb[.]aiai in Pelagonia 21.
3.4. Die Verwaltung der römischen Provinzen
Die Kolonien in Makedonien wurden nach dem Vorbild Roms verwaltet, also, wie auch die
anderen römischen Kolonien während der Kaiserzeit, über die Volksversammlung (populus,
plebs), die Ratsversammlung (ordo decurionum, decuriones) und die Archonten (magistratus). Zuvor wurden sie von ihrem "Gründer" verwaltet, der den Titel legatus coloniae
deducendae oder einfach deductor coloniae trug (bekannt sind zwei deductores, Q. Paccius
Rufus in Philippi und Q. Hortensius in Kassandreia oder Dion) und die mit timokratischen
Kriterien die Mitglieder des Rates und die Archonten ernannte. So wählte er zum Beispiel die
bedeutendsten Magistrate der Kolonie, die duoviri iure dicundo aus den Siedler, die als Tribuni mulitium oder Centurinen gedient hatten, sowie die anderen Archonten und
Ratsmitglieder unter denjenigen, die ein öffentliches Amt bekleidet hatten (Die bouleutes /
decuriones verfügten in zahlreichen kaiserlichen Kolonien über ein Vermögen von 100.000
Sesterzen). Die Bürger der Kolonie wurden je nach ihren Amt und ihrem politischen Rang mit
Landgütern aus dem öffentlichen Landbesitz der Kolonie entlohnt. So erhielt z.B. ein Ratsmitglied bis zu 100 jugera ( 1 jugerum = 25 Hektar).
Das bedeutendste politische Organ der Kolonie, das im Wesentlichen die Regierung in
der Kolonie ausführte, war die boule (Rat), die in etwa dem römischen Senat entsprach. Dabei
handelte es sich um ein aristokratisches Gremium, das nicht mehr als hundert Mitglieder um-
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fasste, die auf Lebzeiten ernannt wurden und durch Bürger erneuert wurden, die die cursus
honorum durchlaufen hatten (eine fest vorgegebene Ämterlaufbahn, die ab dem 2. Jh. n.Chr.
aufgegeben wurde). Die Wahl der neuen Mitglieder erfolgte alle fünf Jahre durch die duoviri
quinquenale, die den Censoren in Rom entsprachen.
Das bedeutendste Amt in der Ämterlaufbahn einer Kolonie war jenes der duoviri iuris
dicundo. Dabei handelt es sich um ein Amt, das jenem der zwei Konsuln in Rom entsprach
und das vor allem gerichtliche Zuständigkeiten hatte. Ein in der Ämterlaufbahn niedrigeres
Amt, mit dem gewöhnlich die politische Karriere eines Mannes begann, war jenes des Aedilen, das von zwei Personen ausgeübt wurde und das ein breites Spektrum an Zuständigkeiten
umfasste, wie etwa a) polizeiliche Zuständigkeiten, was den Markt und insbesondere die reibungslose Getreideversorgung, den Zustand der Straßen und der öffentlichen Gebäude betraf,
b) wirtschaftliche Zuständigkeiten bezüglich der verpachteten, staatlichen Ländereien oder die
Verteilung der dem Staat geschuldeten öffentlichen Leistungen, und c) liturgische Zuständigkeiten bezüglich der Austragung der Feste und Zeremonien. Ein weiteres Amt der cursus
honorum war schließlich jenes des Quaestors, einer Art Schatzmeister der Stadt. Außer diesen
Ämtern gab es noch andere von geringfügigerer Bedeutung, wie jenes des Eirenarchen (eine
Art Polizei-Magistrat), oder Priesterämter, insbesondere jene, die mit dem Kaiserkult in Verbindung standen. Den höheren Magistraten stand ein zahlreiches Diener- und Hilfspersonal
zur Verfügung.
Das passive und aktive Wahlrecht für die vorstehenden Organe und Ämter hatten die
Siedler (coloni), also jene Bewohner der Provinz, an die bei der Gründung der Kolonie Landgüter abgetreten worden war (die entweder aus konfisziertem Land oder aus Aneignungen
von Teilen des ager publicus stammten). Die Coloni genossen vollständige politische Rechte,
die auf ihre Nachkommen übertragbar waren. Die Bürger der Kolonien waren - mit Ausnahme jener in Pella -was ihre Steuerpflicht gegenüber dem römischen Staat betrifft den
Bewohnern von Italien gleichgestellt (ius Italicum), waren also von der Personensteuer (tributum capitis) und Landsteuer (tributum soli) befreit, wahrscheinlich, weil viele von ihnen vor
ihrer Übersiedelung nach Makedonien bereits in Italien über Landbesitz verfügten.
Zur Bevölkerung der Kolonien gehörten außerdem die Incolae, also die nicht eingebürgerten Bewohner, insbesondere die alteingesessenen (griechischer oder im Falle von Philippi
auch thrakischer Abstammung), denen zwar ein umfassender Landbesitz möglich war, die
aber keinerlei politische Rechte hatten, so dass sie als eine Art „Fremde in ihrer eigenen Heimat“ lebten. Die Incolae waren gegenüber der Kolonie steuerpflichtig, und zwar sowohl für
den Besitz von Land, das sie eventuell in ihrem Eigentum hatten, als auch für die staatlichen
Ländereien der Provinz (subcessiva concessa), die sie zu Anbauzwecken pachteten. Im Herrschaftsbereich der Kolonien gab es so genannte vici, in denen größtenteils die einheimische
Bevölkerung lebte (in Philippi war eine große Zahl von ihnen thrakischer Abstammung, in
einigen Fällen war diese Bevölkerung jedoch gemischt in dem Sinne, dass sich dort auch die
Coloni niedergelassen hatten, die vollständige politische Rechte genossen). Die Bewohner
dieser vici, die Vicani, bewahrten sich einen gewissen Grad an administrativer Autonomie und
fällten in bestimmten Bereichen, welche sie betrafen, ihre eigenen Entscheidungen, verfügten
über ihr eigenes Vermögen und genossen gewisse Zivilrechte, waren jedoch von der Kolonie
abhängig, d.h. standen rechtlich und politisch gesehen auf einer Ebene unter den Coloni. In
einigen Fällen konnten von den Kolonien auch kleine Gemeinden außerhalb des eigentlichen
Territoriums der Kolonie abhängen, und zwar in der Form der so genannten civitas adtributa.
Diese waren trotz ihrer örtlichen Autonomie dazu verpflichtet, der Kolonie, von der sie abhingen, kollektive Steuern zu entrichten, wie dies etwa mit Neapolis und Tripolis in Bezug
auf Philippi der Fall war.
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Was die Beziehungen der ursprünglichen örtlichen Bevölkerung mit den Coloni betrifft,
sind unsere Informationen nur sehr dünn. Auch wenn es Möglichkeiten eines sozialen Aufstiegs der mächtigeren Bevölkerungsschichten der örtlichen Bevölkerung und einer
Integration in die Elite der Coloni mittels des Erwerbs des Rechts des römischen Bürgers gab,
blieb die Aristokratie in den Kolonien gegenüber der Perspektive einer Integration angesehener Ortsbewohner in ihre Schichten eher reserviert. Dieser Zustand änderte sich erst nach dem
Jahr 212 n.Chr., als mit einem Dekret von Caracalla so gut wie alle Bewohner der Kolonie in
die Gruppe der Bürger aufgenommen wurden22.
3.5. Das Koinon der Makedonen
Parallel zu ihrer städtischen Selbstverwaltung verfügten die Makedonen während der Kaiserzeit auch über eine kollektive Institution, das Koinon (Bund) der Makedonen. Die Institution
des Koinon, also einer Art Staatenbundes, über welchen die Mitglieder-Städte vor den Eroberungsbestrebungen der großen hellenistischen Königreiche geschützt werden sollten, wurde
nach einer kurzen Unterbrechung direkt nach der römischen Eroberung wieder aufgenommen,
jedoch mit einem anderem Inhalt. Die Koina dienten nunmehr als föderales Organ, in dem
sich die Mitglieder einheitlich insbesondere zu religiösen und gesellschaftlichen Belangen
äußerten, also wie etwa mittels von Spielen und Festen, und betrafen weniger die politische
Ebene, wo sie lediglich als eine Art Sprachrohr für die Kommunikation zwischen den Aristokratien und der römischen Regionalverwaltung dienten. Die Hauptcharakteristika wurden
auch während der Kaiserzeit beibehalten, jedoch mit einem Unterschied: Zentrum des religiösen und gesellschaftlichen Lebens wird nunmehr der Kult des römischen Kaisers und die
damit einhergehenden Feste.
Die Geschichte des makedonischen Koinon ist uns leider nur lückenhaft bekannt. Makedonien verfügte zwar bereits seit der Königsherrschaft von Antigonos Doson über eine Art
an föderaler Organisation, doch nach der Eroberung durch die Römer erscheint das Koinon
der Makedonen erst wieder auf Münzen aus der Zeit von Claudius. Einigen Wissenschaftlern
zufolge ist die Wiederaufnahme in eine frühere Zeit, also bereits unter Augustus anzusetzen.
Auch wenn aus Gründen der historischen Logik eine Wiederbelebung des Koinons der hellenistischen Epoche nach dem Jahr 148 v.Chr. eher unwahrscheinlich erscheint, so wurde die
Unterteilung in vier Bezirke (womit im Wesentlichen mit gewissen Abwandlungen die administrativen Unterteilungen aus der Zeit der Königsherrschaft übernommen wurden) in dem
neuen Koinon der Kaiserzeit beibehalten. Dieses Koinon hatte bis in das Jahr 424 n.Chr. weiterhin Bestand, wie sich aus einer Erwiderung (rescriptum) von Kaiser Theodosius II. ergibt,
die in dem theodosianischen Kodex erhalten ist. Es ist jedoch offenkundig, dass das Koinon
nach dem Ausbreiten des Christentums seinen kultischen Charakter verloren haben muss und
im Laufe der Zeit in ein politisches Verwaltungsorgan umgewandelt wurde, wie es die Koina
in der Zeit nach Diokletian waren.
Die Ausdehnung dieses Bundes ist uns nicht bekannt, aber sein Titel, Koinon Makedonon, sowie das Fehlen von Vertretern oder Beamten aus dem illyrischen Teil der Provinz
lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass daran nur die Städte und Regionen aus dem makedonischen Teil der Provinz mit Ausnahme der römischen Kolonien beteiligt waren. Sitz des
Koinons, an dem die Vertreter der makedonischen Städte, die synedroi, und die Magistrate
des Bundes zusammen kamen, war Beroia. In dieser Stadt fanden auch im Monat Oktober die
Spiele zu Ehren des römischen Kaisers statt, die die griechischen Spiele (sowohl religiöse, als
auch pagane) mit einem Programm aus Sport- und Musikwettkämpfen sowie Gladiatorenund Tierkämpfe bzw. Tierhetzen umfassten. Im Mittelpunkt der Veranstaltungen stand der
provinziale Kaiserkult. Dies war auch der Grund, weshalb dieser Stadt das Recht verliehen
wurde, als einzige einen Tempel für den Kaiserkult in Makedonien zu haben (neokoros) und
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den Titel Metropolis zu tragen, ein Privileg, wegen dessen Geltung und materiellen Vorteilen
sie sich in einer ständigen Rivalität mit der anderen großen Stadt der Provinz, Thessalonike,
befand.
Das Koinon der Makedonen, sowie alle anderen derartigen Koina der Kaiserzeit hatte,
wie bereits gesagt wurde, den Kaiserkult als vorrangiges Anliegen. Dies ergibt sich auch aus
dem Titel des Oberpriesters und Agonotheten der Spiele des Koinons der Makedonen, den
sein Vorsitzender trug (gegen Ende des 2. und während des 3. Jh. n.Chr. wurde der Titel Makedoniarch, eventuell in Analogie zu dem Titel anderer Koina, wie etwa Asiarch, Bityhniarch,
Thrakarch usw. geschaffen). Und auch wenn das Koinon keine politische Organisation darstellte, so war es an den Angelegenheiten der Provinz nicht völlig unbeteiligt. Aus
epigraphischen Quellen zu Ehren der Römer oder ihrer eigenen Beamten lässt sich ableiten,
dass zumindest eine Einmischung in die Steuerfragen der Provinz gegeben war. Es lässt sich
also nicht ausschließen, dass es mit der Provinzverwaltung bei der Festsetzung der Steuern
mitwirkte und für die rechtzeitige und regelmäßige Zahlung an den römischen Staat verantwortlich war. Abgesehen von der Prägung von Münzen und der Gesandtschaften an die
Kaiser und ihre Statthalter scheint es keine anderen Verwaltungsbereiche gegeben zu haben,
auf die sich die rechtliche Zuständigkeit des Koinons erstreckte.
Bezüglich der Organisation haben wir nur vereinzelte und beschränkte Informationen.
So bleibt zum Beispiel die Zahl der Synedroi, der Vertreter usw., also der Mitglieder, und die
Art ihrer Wahl unbekannt. Die Gewählten hielten sich nicht ständig am Sitz des Koinons auf,
sondern traten dort zu jeder Versammlung zusammen, wahrscheinlich anlässlich der Feste
oder anderer Belange des Koinons. Aus den erhaltenen Ehreninschriften wird bestätigt, dass
die Versammlung über die Ehrung von Menschen entschied, die sich in der Provinz durch ihre Wohltaten ausgezeichnet hatten, von Magistraten des Koinons oder der Mitgliedsstädte
oder von Vertretern der Provinzverwaltung, und die Errichtung von Ehrendenkmälern am Sitz
des Koinons oder am Herkunftsort des Geehrten genehmigte.
Über die Versammlung des Koinons wählte es seine Magistrate. Abgesehen vom Oberpriester, der in der Regel auch die Rolle des Agonotheten der Spiele übernahm, ist uns
außerdem das Amt des Hierophanten (ebenfalls eine Art Priester) bekannt. Ihre Amtszeit belief sich, wie auch jene der Versammlungsteilnehmer, in der Regel auf ein Jahr. Eine
Ausnahme davon stellt das ad hoc-Amt des Gymnasiarchen dar, für dessen Wohl Beroia zuständig gewesen zu scheint. Der immer größer werdende Wunsch nach Auszeichnung unter
den Mitgliedern der örtlichen Aristokraten führte jedoch in einigen Sonderfällen zu einer lebenslangen Übertragung des Amtes des Vorsitzenden des Koinons. Die Ausübung dieses
Amtes war, wie sich aus bestimmten Einladungen zu Spielen des 3. Jh. n.Chr. ergibt, mit gewaltigen Ausgaben verbunden, darunter jenen für die Veranstaltung von Gladiatoren- und
Tierkämpfen, für die nur die reichsten Makedonen aufkommen konnten. In der Tat weisen
prosopographische Studien darauf hin, dass die Personen, welche Vorsitzende oder Versammlungsteilnehmer waren, zu den prominentesten Makedonen ihrer Zeit gehörten und alle
römische Bürger waren. Tatsächlich war das Koinon der institutionelle Rahmen, innerhalb
dessen die Aristokraten Makedoniens auf überregionaler Ebene agieren und sich auf diese Art
und Weise einen Namen machen konnten, um so anschließend selber oder ihre Kinder in den
Ritter- oder Senatorenstand des römischen Kaiserreichs aufzusteigen, oder, anders ausgedrückt, war es eine Art Ausgangspunkt für ihren sozialen Aufstieg in der Gesellschaft des
Kaisserreichs23.
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DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
4. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen
4.1. Die wirtschaftlichen Entwicklungen während der Zeit der Republik
Die Auswirkungen der Barbareneinfälle sowie insbesondere der römischen Bürgerkriege auf
das Leben in den Städten spiegeln sich zunächst in den archäologischen Funden wider. Auch
wenn wir diesbezüglich über kein vollständiges Bild verfügen, so haben die Ausgrabungen
gezeigt, dass in einigen Regionen das städtische Leben in beträchtlichem Maße in Mitleidenschaft gezogen wurde und einige Städte sogar gänzlich verlassen wurden. So wird zum
Beispiel in Eordäa die antike Stadt in der Region von Petres völlig verlassen, in Bottiaia ist
das städtische Leben von Pella, der alten Hauptstadt des makedonischen Königreichs, deutlich
zurückgegangen, und Philippi erinnerte eher an ein bescheidenes Dorf.
Von einem Bevölkerungsrückgang und Bedeutungsverlust der Städte Makedoniens berichten auch die literarischen Quellen. So schreibt zum Beispiel der Geograph Strabo (Ende 1.
Jh. v.Chr. /Beginn des 1. Jh. n.Chr.) in seinen Ausführungen über das Obere Makedonien (7,
327), dass es in der Region während der Zeit der Königsherrschaft Städte gab, dagegen zu
seiner Zeit die Städte in einem solchen Grade geschrumpft waren, dass die Hauptform der
Ansiedelungen die von Dörfern (komedon) war. Und auch Dion Chrysostomos, ein Philosoph
und Rhetoriker aus Prusa in Bithynien (Ende 1. / Anfang 2. Jh. n.Chr.) schrieb über Pella (33,
27): „Jemand der heute in Pella vorbeikommt, würde davon keine Spuren mehr sehen außer
einigen zerbrochenen Scherben, die auf die Existenz dieser Stadt hinweisen“. Auch wenn diese Äußerungen, insbesondere jene von Dion, eine gewisse Übertreibung aufweisen, was vor
allem auf den zwischen den Zeilen zu lesenden Vergleich mit der ruhmreichen Vergangenheit
während der Zeit der Königsherrschaft zurückzuführen ist, so lässt sich das Bild des wirtschaftlichen Rückschritts, insbesondere in den Jahren der späten Republik, nur schwer in
Frage stellen.
Die immer wieder auftretenden wirtschaftlichen Probleme, mit denen sich die Städte
Makedoniens, in einigen Fällen sogar die bedeutendsten unter ihnen, konfrontiert sahen,
scheinen auch gewisse Dekrete erkennen zu lassen, mit denen prominente Bürger geehrt werden, wie etwa jenes zu Ehren des Oberpriesters der wohltätigen Götter Harpalos (Ende 2. /
Beginn 1. Jh. v.Chr.), wo von der schlechteren Lage der Stadt (etton tyche) im Vergleich zur
Vergangenheit die Rede ist, oder das Dekret zu Ehren des Gymnasiarchen Philippos von
Amphipolis, der im Jahr 105/104 v.Chr., also ein oder zwei Jahre nach den Feldzügen des
Minucius Rufus gegen die Skordisker, selber die für die sportliche Übung der Jugend von
Amphipolis erforderlichen Gelder zur Verfügung stellte, da die Stadt nicht dazu in der Lage
war, für diese Ausgaben aufzukommen, wie es eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre 24.
4.2. Die wirtschaftlichen Entwicklungen während der Kaiserzeit
Bereits ein flüchtiger Blick auf die Inschriften der frühen Kaiserzeit (insbesondere auf die
Jahre seit Traian) und auf die Berichte der archäologischen Ausgrabungen reicht, um zu erkennen, dass sich die allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen, die zu jener Zeit in
Makedonien vorherrschten, deutlich verbesserten. Als Beweis für diese Entwicklung ließen
sich etwa die imposanten Bauprogramme anführen, die in den bedeutenden Städten, wie Philippi, Beroia und Thessalonike bis in die ersten Jahrzehnte des 3. Jh. n.Chr. erfolgen. Diese
Programme umfassten die Errichtung, die Instandsetzung oder die Erweiterung von großen
öffentlichen Bauten auf der Agora der Städte oder in anderen öffentlichen Anlagen, die mit
öffentlichen Geldern und/oder mit den Geldern bedeutender Persönlichkeiten finanziert wurden. Ein entsprechender Beweis wäre außerdem die Zunahme der Anzahl der Schenkungen
und Erbschaften reicher Bürger an ihre Heimat zu den unterschiedlichsten Zwecken. Diese
günstigen in Makedonien vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen spiegeln sich
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schließlich auch in der großen Zahl der alten und neuen mit hohen Ausgaben verbundenen
Feiern wider, die weiterhin bzw. zum ersten Mal in den großen und kleinen Städten zu den
unterschiedlichsten Anlässen organisiert wurden.
Trotz der Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und der Entwicklung der
Städte während der Kaiserzeit blieb die Wirtschaft Makedoniens im wesentlichen von der
Landwirtschaft geprägt. Die aktuelle Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Klein- und
Großbesitz, also anders gesagt, die Frage, ob ersterer im Laufe der Zeit von letzterem absorbiert wird, lässt sich auf Grund des Fehlens von Informationen nur schwer beantworten.
Jüngste Funde stärken freilich das Bild, dass in jener Zeit reiche Bürger große Ländereien besaßen (siehe nächsten Abschnitt), aber sowohl ihre Organisation, als auch die Art dieser
Ländereien bleiben uns unbekannt, also ob es sich um große Ländereien (latifundia) handelte,
wie uns diese aus anderen Regionen des Kaiserreichs unter unterschiedlichen Namen bekannt
sind (tractus, saltus usw.). Ebenso problematisch ist das Amt des chorikos apo choriarchion,
das ein bedeutender Bürger aus Thessalonike um das Jahr 240 n.Chr. innehatte und das der
Meinung einiger Wissenschaftler nach ein Beweis für die Existenz derartiger großer Latifundien sein könnte. Der grundsätzliche landwirtschaftliche Charakter der Wirtschaft
Makedoniens zeigt sich jedoch auch in der Tatsache, dass zur Zeit der Antoniner auf Aufforderung der Verwaltung eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion angestrebt
wurde und diesbezüglich Bürgern der Stadt unabhängig von ihrer sozialen Stellung unter günstigen Bedingungen Land zur Verfügung gestellt werden sollte, wie in einer Inschrift aus
Gazoros zu lesen ist. Unbekannt ist darüber hinaus auch das Ausmaß der kaiserlichen Ländereien, die, wie bereits gesagt, durch Freigelassene oder Sklaven des Kaisers bewirtschaftet
wurden und dem kaiserlichen Prokurator unterstanden. Diese Ländereien waren aus Schenkungen oder Konfiszierungen des Vermögens römischer Bürger hervorgegangen sowie nach
der Gründung von Kolonien aus den Resten des ager publicus.
In den Gebirgsregionen des Oberen Makedoniens war auch die Holzfällerei eine beträchtliche Quelle für Reichtum, wie aus dem berühmten Dekret der Battynaier hervorgeht, in
dem Bewohner der Region (Koinon der Orester) sich an den Statthalter wenden und ihn darum ersuchen, sie vor den mächtigen ausländischen Personen aus der Provinz (eparchikoi) zu
schützen, welche ihre Wälder und Weidenflächen verwüsten. Bezüglich der Viehwirtschaft
und einer eventuellen Entwicklung der Wollwirtschaft schweigen die Quellen. Strabo berichtet lediglich von der entwickelten Fischerei in der Region von Prespes.
Was die Nutzung der Erzvorkommen in Makedonien betrifft, die zu den bedeutendsten
Einnahmequellen der makedonischen Könige gehört hatten, zeigen archäologische Ausgrabungen einen Bergwerksbetrieb in verschiedenen Regionen, wie auf der Chalkidike, in
Pangaion, in der Region von Philippi, in Odomantike, in Dysoron (Region von Krestonia,
heutiges Kilkis) sowie in der Region von Stobi. Diese waren in kaiserlichem Besitz, wie sich
in Analogie zu anderen Regionen, aber auch aus einem Verweis im Theodosianischen Kodex
(386 n.Chr.) (procuratores metallorum intra Macedoniam) ableiten lässt. Eine in der Nähe
der westlichen Grenzen von Philippi gefundene Inschrift zeigt jedoch, dass ihre Nutzung zumindest zum Teil durch Pächter (conductores) erfolgte, welche das Interesse reicher Familien
aus Philippi vertraten25.
Für die anderen Bereiche der Wirtschaft, wie etwa den Handel, werden die Informationen aus den schriftlichen Quellen durch die archäologischen Funde ergänzt. Gräber und
zerstörte Schichten der Städte bringen kostbare eingeführte Produkte ans Tageslicht, wie etwa
Gefäße (aus Keramik oder Glas), die für den Bedarf einer wohlhabenden Bevölkerung bestimmt waren und aus den Werkstätten Kleinasiens und Italiens stammten. Dazu kommen
noch imposante Grabmonumente wie attische Sarkophage. Und auch die schriftlichen Quellen
bestätigen die Existenz von Handelsberufen, wie etwa der Händler von Gewürzen und Heil-
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DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
mitteln oder Sklavenhändler. Was das Niveau der Gewerbetätigkeit betrifft, so scheint dieses
nicht über die örtliche Nachfrage hinausgegangen zu sein. Im Bereich der Herstellung von
Purpurgewändern scheint jedoch eine Verstärkung durch Arbeiter aus Kleinasien und insbesondere aus der Region von Thyateira stattgefunden zu haben, einer auf diesem Sektor
traditionsreichen Region.
Diese wirtschaftliche Lage lässt sich nicht auf der Grundlage von zahlen- oder mengenmäßigen Angaben komparativ darstellen. Doch repräsentative Vergleiche der Ausgaben
prominenter Bürger Makedoniens mit den entsprechenden Ausgaben reicher Bürger etwa in
Kleinasien für die Deckung der Kosten vergleichbarer Feste vermitteln den Eindruck, dass die
reichen Bürger Makedoniens nicht mit ihren Pendants aus den mittleren oder großen städtischen Zentren der Provinz Asia mithalten konnten. Diese Feststellung gilt wohl auch für den
Entwicklungsstand der Wirtschaft in der Region26.
4.3. Die neue Aristokratie und der "Euergetismus"
Während des gesamten Zeitraums von 167 v.Chr. bis 31 v.Chr. erlebte die Gesellschaft der
Städte Makedoniens nicht nur demographische, sondern auch soziale Umwälzungen. Dazu
trugen die instabilen und von Zeit zu Zeit auch ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklungen,
in erster Linie jedoch die menschlichen Verluste der aufeinander folgenden Schlachten von
Perseus und Andriscus, die von Rom angeordnete Verbannung der kaiserlichen Aristokratie
im Jahr 167 v.Chr. (Text Nr. 2), die Beseitigung von Gegnern durch Andriscus und später
durch Mithridates sowie die Barbareneinfälle und allen voran die römischen Bürgerkriege bei.
Doch das genaue Ausmaß dieser Umwälzungen sowie die Folgen für das soziale Netz der
Städte lässt sich schwierig abschätzen, da die Quellen aus jener Zeit nur äußerst dürftig sind
und kaum detaillierte Informationen enthalten. Etwas deutlicher zu rekonstruieren sind die
gesellschaftlichen Entwicklungen für den Zeitraum ab der Mitte des 1. Jh. v.Chr. Seit dieser
Zeit schlossen sich die alten städtischen Familien aus der Zeit der Königsherrschaft, die nach
den zahlreichen Abenteuern dort verblieben waren, allmählich mit den mächtigen Familien
von Einwanderern (insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, der Italiker) zu der neuen städtischen Aristokratie zusammen, welche dort gesellschaftlich und politisch eine dominante
Position innehatte. Gegen Ende der Antike werden die Beziehungen dieser zwei Gruppen
durch die Integration der Einwanderer in das Leben der Städte und insbesondere durch Eheschließungen immer enger. Auf die Aktivitäten dieser neuen Elite, ihre wirtschaftliche
Physiognomie und ihre Ideologie soll direkt im Anschluss an diesen Abschnitt eingegangen
werden. An dieser Stelle muss jedoch auf eine These eingegangen werden, die kürzlich formuliert wurde und die gesellschaftlichen Entwicklungen in bestimmten Regionen
Makedoniens, insbesondere in den Städten Beroia und Kalindoia (in der Region von Mygdonia), betrifft.
Gemäß dieser These zeigt das vergleichende Studium der Namen der obigen Städte
während der Zeit der Republik und der Kaiserzeit eine statistisch bedeutende Zunahme der
Zahl der pro-hellenischen Namen sowie einen entsprechenden Rückgang der Zahl der makedonischen Namen, eine Entwicklung, die als Beweis für den sozialen Aufstieg dieser
Bevölkerungsgruppen Makedoniens gedeutet wird, die bis zur römischen Eroberung als die
unteren sozialen Schichten nicht in unseren Quellen erscheinen27. Diese verlockende Theorie
trägt, sofern die untersuchten Namen junge Männer des Gymnasiums (epheboi) betreffen,
gewiss zur Rekonstruktion paralleler gesellschaftlicher Entwicklungen sowie der Herausbildung einer Elite in den untersuchten Städten bei (ihr Auftreten ist Eheschließungen zwischen
Mitgliedern der örtlichen Gesellschaften mit unterschiedlicher sozialer Herkunft zuzuschreiben). Sie darf jedoch nicht zu einer Überbewertung dieses Phänomens führen, da in den
meisten Fällen die soziale Stellung der Träger dieser Namen nicht bedeutend ist (die Inschrif-
PANDELIS NIGDELIS
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ten, auf die Bezug genommen wird, sind in der Regel einfache Grabsteine oder Weihgaben).
Andererseits zeigt das Auftreten derartiger Namen jedoch, dass während der Kaiserzeit auf
Grund der günstigen wirtschaftlichen Lage selbst Mitglieder von niedrigeren Schichten dazu
in der Lage waren, für sich selber anständige Grabmonumente anfertigen zu lassen oder
Weihgaben darzubringen.
Der erste Aspekt bezüglich der neuen Aristokratie der makedonischen Städte betrifft ihr
wirtschaftliches Profil. Auch wenn die Aufnahme von Siedlern italischer Abstammung, die
sich in der Regel mit dem Handel beschäftigten, per se schon zeigt, dass die Quellen für
Reichtum der neuen Aristokratie zahlreiche gewesen sein müssen, so spielten dennoch der
Landbesitz sowie die Nutzung des Landes weiterhin das wichtigste Fundament der Wirtschaftsmacht. Es handelte sich also in erster Linie um Grundbesitzer, deren Landvermögen
zumindest in einigen Fällen ausgedehnt gewesen sein muss. Zu dieser Schlussfolgerung führen zum Beispiel das Auftreten einer beträchtlichen Zahl an Landverwaltern in Inschriften aus
Regionen wie Philippi, Thessalonike, Mygdonia, Beroia, Pella und Herakleia Lynkestis oder
auch die Bequemlichkeit, mit der vornehme Bürger der Stadt Getreide zu Preisen, die unter
den Marktpreisen lagen, zur Verfügung stellten. Auf jeden Fall gab es jedoch auch zusätzliche
Quellen für Reichtum, wie etwa die Viehzucht im Oberen Makedonien, die Fischerei in der
Region von Prespes oder die Investitionen in die Schifffahrt insbesondere im großen Hafen
von Thessalonike. Schließlich ist auch nicht auszuschließen, dass reiche Makedonen aus der
Pachtung der staatlichen Bergwerke und Wälder Vermögen bildeten, wie zuvor dargelegt
wurde.
Welches Ausmaß das Reichtum der Mitglieder der makedonischen Aristokratie erreichen konnte, lassen bestimmte repräsentative Inschriftenzeugnisse vermuten. So ehren zum
Beispiel im Jahr 1 n.Chr., also dreißig Jahre nach dem Ende der letzten römischen Bürgerkriege, die Einwohner der mygdonischen Stadt Kalindoia einen jungen Mitbürger für seine
zahlreichen Wohltaten, die er ihnen während seiner Amtszeit als Priester im städtischen Kaiserkult erbracht habe. Dabei handelte es sich um einen gewissen Apollonios, Sohn des
Apollonios und einer Stratto und Enkel eines gewissen Kertimas. Bereits diese Namen (in
ganz Griechenland bzw. in Makedonien verbreitet) zeigen, dass dieser Apollonios aus einer
alten makedonischen Familie stammte, welche die Umwälzungen der Zeit der Republik überlebt hatte. Aus dem Ehrendekret erfahren wir, dass Apollonios während der Dauer seiner
Amtszeit, die ein Jahr betrug, jeden Monat dem Zeus und dem vergöttlichten Augustus eine
Opfergabe darbot und anschließend für alle Bürger von Kalindoia ein öffentliches Festmahl
veranstaltete. Er selber schmückte anlässlich dieser Festlichkeiten, welche die Stadt zu Ehren
dieser zwei Götter durchführte, den Festzug mit Sehenswürdigkeiten jeglicher Art, organisierte prächtige Spiele, übernahm die Ausgaben für die erforderlichen Opfergaben für die
Rinderopfer, welche die Stadt belasteten, organisierte wiederholte Male Empfänge für alle
Bürger und errichtete eine Augustus-Statue, Taten, für die seine Mitbürger ihn und seine Eltern mit dem außerordentlichen Recht ehrten, an der wichtigsten Stelle der Agora Statuen
aufzustellen, für deren Kosten schließlich Apollonios selber aufkam (Text Nr. 7).
Noch beeindruckender ist das Bild des Reichtums, das sich aus einer anderen Inschrift
ergibt, mit der ein Stamm aus Beroia einen vornehmen Bürger etwa hundert Jahre später ehrt
(um das Jahr 98 n.Chr.). Dabei handelt es sich um den auf Lebzeiten das Amt des Oberpriesters des Koinons der Makedonen, ausführenden Quintus Popillius Python, eine bedeutende
Persönlichkeit, der über die Stadtgrenzen hinaus angesehen war, wie sich aus der Tatsache
ableiten lässt, dass er mit Erfolg eine Gesandtschaft an den Kaiser anführte, die darum bat,
dass Beroia das ausschließliche Privileg der Aufsicht des provinzialen Kaiserkults (siehe Kapitel zur Verwaltung, Koinon der Makedonen) erhalten solle. In dieser Inschrift werden
zahlreiche Wohltaten ähnlich jener von Apollonios angeführt, jedoch für die von deutlich
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DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
mehr Zuschauern frequentierten Feiern und Wettkämpfe des ganzen Koinons, wie Festmähler,
die Verteilung von Geld und Nahrungsmittel, die Austragung von Sportwettkämpfen sowie
die Veranstaltung von Gladiatorenspielen und Tierkämpfen bzw. Tierhetzen, wozu er überdies exotische Tiere einführen ließ. Gleichzeitig werden jedoch — was besonders
beeindruckend ist — Wohltaten angeführt, die mit gewaltigen finanziellen Aufwendungen
verbunden sind, wie etwa die Instandsetzung von Straßen, die Verteilung von Getreide zu
Preisen unter dem Marktpreis und die Entrichtung eines großen Teils der dem römischen
Staat von den am Koinon beteiligten Städten geschuldeten Steuern (auf Grund der stichwortartigen Formulierung der einschlägigen Ehreninschriften ist jedoch auch die Möglichkeit
nicht auszuschließen, dass Popillius als Verantwortlicher gegenüber den römischen Behörden
einen Teil des Gesamtbetrags entrichtete, der aus verschiedenen Gründen nicht zusammengetragen werden konnte, und nicht die Gesamtheit der Personensteuer für Tausende an Personen
aus Städten, die am Koinon beteiligt wird) (Text Nr. 8). Zu Pontillius Python ist anzumerken,
dass er aus einer alten Familie von Siedlern italischer Abstammung stammte, die sich bereits
seit dem Ende des vorhergehenden Jahrhunderts in Beroia niedergelassen hatten.
Die Beispiele des Apollonios und des Popillios Python sind freilich nicht die einzigen.
Hunderte an Inschriften aus allen Städten, ja sogar aus Dörfern Makedoniens belegen, dass ihr
Leben in allen Phasen mit dem Reichtum der Mitglieder der höheren sozialen Schichten verwoben ist. Reiche Bürger sorgen in Jahren mit schlechten Ernten von sich aus für die
ausreichende Versorgung des Marktes mit Getreide, für die Bereitstellung der Grundnahrungsmittel zu einem niedrigen Preis, für die reibungslose Wasserversorgung der Städte,
indem sie sich am Bau oder an der Instandhaltung von Brunnen oder gar von Aquädukten beteiligten, oder für die kostenlose Verteilung von Fleisch und Lebensmitteln zu einer Reihe
unterschiedlicher Anlässe, insbesondere während der Festtage. Sie selbst kümmerten sich sogar um die Lebensqualität ihrer Mitbürger, indemsie regelmäßig Gelder spendeten, welche
den Betrieb des Gymnasiums und der Bäder (eine Art Einrichtung für den Massensport und
kollektive Gesundheit) sicherstellten oder verbesserten, bereicherten die öffentlichen Bibliotheken und sorgten insbesondere mittels Sport-, Bühnen- und Musik-Wettkämpfen, aber auch
mittels Gladiatoren- und Tierkämpfen, ein Schauspiel, welches die italischen Einwanderer mit
sich brachten und welches den neuen Bedürfnissen nach Spektakulärem entsprach, für eine
Abwechslung von der Alltagsroutine. In einigen Fällen, wie etwa im Falle der Spiele des Koinons in Beroia, trugen sie nicht nur zur Unterhaltung der Bürger bei, sondern auch zu einer
Belebung der lokalen Wirtschaft, da es sich letztendlich um Festlichkeiten handelte, die Tausende an Menschen aus anderen Städten Makedoniens, oder auch aus den benachbarten
Regionen anzogen.
Ein Teil der Ausgaben, für welche Mitglieder der oberen sozialen Schichten aufkamen,
betrafen die Beziehungen der Städte mit den römischen Behörden. Diese Ausgaben standen
insbesondere mit der cursus publicus in Verbindung (also mit der Sicherstellung von Nahrung, Unterkunft und Transportmitteln für Personengruppen oder einzelnen Personen, die zu
ihrer Nutzung berechtigt waren) oder auch mit den Reisekosten zum Statthalter oder insbesondere zum Kaiser nach Rom. Doch der Bereich, in dem die vornehmen Bürger den größten
finanziellen Beitrag leisteten, war jener, der mit dem Bau oder der Instandhaltung von öffentlichen Gebäuden jeglicher Art zu tun hatte, wie etwa Brunnen, Aquädukten, Odeen, Theater,
Basiliken, Bädern, Sportstätten usw. Mit derartigen Projekten, von denen einige mehrere Jahre dauerten und nach und nach durchgeführt wurden, wurden funktionellen Erfordernissen der
Städte, aber auch ihrer Ausschmückung Rechnung getragen, insbesondere, wenn es sich um
Prachtbauten handelte. Was letzteres Ziel, also die Verschönerung der Städte betrifft, so ging
es dabei vor allem im Falle der zwei großen, miteinander konkurrierenden Städte Beroia und
Thessalonike, auch darum, den "ersten Rang" (proteia) unter den Städten der Provinz zu er-
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zielen, mit all den wirtschaftlichen Vorteilen, welche eine derartige Auszeichnung für die
Bewohner der Stadt mit sich brachte.
Ein derartiges Verhalten der Mitglieder der oberen Gesellschaftsschichten stellt freilich
keine Besonderheit Makedoniens dar, sondern es handelte sich vielmehr um Äußerungen des
"Euergetismus", der Wohltätigkeit, also eines Systems ethischer Bindungen und rechtlicher
Verpflichtungen, das in den griechischen Städten bereits seit Beginn des Hellenismus in Erscheinung tritt und die lokalen Aristokratien dazu verpflichtet, auf eigene Kosten für den
wichtigsten Teil des städtischen Betriebs aufzukommen. Die offensichtliche Entlohnung dafür
war freilich die dominante politische Rolle dieser Aristokraten, wie dies im Kapitel zur städtischen Verwaltung bereits dargelegt wurde. Es versteht sich von selbst, dass das Bild der
Wohltäter, wie es in den Inschriften dargestellt wird, auf Grund der Tatsache, dass es sich bei
diesen Texten um Ehrungen handelt, in gewisser Weise idealisiert ist. Denn nicht selten nutzten die Wohltäter ihre politische und soziale Stellung zu ihrem eigenen finanziellen Nutzen
aus, in manchen Fällen sogar bis hin zu Missbrauch. Ein anderer Aspekt, bezüglich dessen
unsere Quellen (vorwiegend Ehrendrekrete) irreführend sind, ist die Beteiligung der Städte
selber an den Ausgaben für ihren Betrieb, welche sie gerade auf Grund ihrer die entsprechende Person verherrlichenden Natur unterbewerten oder gar verschweigen. Doch auf jeden Fall
ist der "Euergetismus" als das dominante Phänomen des sozialen Lebens der Städte Makedoniens (einschließlich der Kolonien) zu betrachten, wie dies auch sonst für das ganze
Kaiserreich gilt.
Doch die Bestrebungen der Mitglieder der oberen Gesellschaftsschicht der Städte beschränkten sich nicht auf den engen Rahmen ihrer jeweiligen Stadt. Die prominentesten unter
ihnen verfolgten das Ziel, mittels der verfügbaren Mechanismen eines sozialen Aufstiegs den
Sprung in die Aristokratie des Kaiserreichs zu schaffen. Grundlegende Voraussetzung für die
Verwirklichung dieses ehrgeizigen Ziels war der Erwerb der römischen Bürgerrechte, das mit
einer Reihe an rechtlichen Verpflichtungen, aber auch Privilegien verbunden war. Bis zum
Beschluss Caracallas (Constitutio Antoniniana) aus dem Jahr 212 n.Chr. mit einigen Ausnahmen an alle Bewohner des Kaiserreichs das römische Bürgerrecht zu verleihen, hatten
scheinbar praktisch alle Mitglieder der oberen Gesellschaftsschicht der Städte Makedoniens
bereits römische Bürgerrechte erworben. So lässt sich die Tatsache erklären, dass die meisten
römischen Bürger (zu einem Anteil von 60% der bekannten Fälle aus der Provinz, die Kolonien ausgenommen) aus den bekannten städtischen Zentren des Unteren Makedoniens, wie
insbesondere Thessalonike und Beroia, stammten, wohingegen im Oberen Makedonien mit
seiner beschränkten Urbanisierung dieser Anteil bei lediglich 27% lag. Diese große Zahl an
römischen Bürgern, insbesondere aus Thessalonike und Beroia, ist nicht überraschend und
auch auf Grund des Verfahrens zu erklären, in dem gewöhnlich das römische Bürgerrecht verliehen wurde. Dieses Verfahren bestand in der Einreichung eines Antrags mit all den
entsprechenden Unterlagen an das Sekretariat des Kaisers, wobei der Antrag jedoch von einem Empfehlungsschreiben des Statthalters unterstützt werden musste. Folglich ist es leicht
nachzuvollziehen, dass die vornehmen Bürger von Thessalonike und Beroia leichter Zugang
zu diesem Mechanismus der Erteilung des römischen Bürgerrechts hatten, da diese Städte der
Sitz der Provinz bzw. des Koinons der Makedonen waren28.
Mit dieser Voraussetzung und dank des Reichtums, über den einige Makedonen verfügten, gelang es ihnen, zunächst in den römischen Ritterstand aufzusteigen und so
Verwaltungsposten in unterschiedlichen Regionen des Kaiserreichs zu übernehmen. Eine
deutlich kleinere Anzahl an Personen (absolut gesehen sowie im Vergleich mit anderen größeren und wirtschaftlich weiter entwickelten Provinzen des Kaiserreichs, wie etwa Kleinasien
oder auch Achäa) schaffte den Aufstieg in die höchste Gesellschaftsschicht, jene der römischen Senatoren. Was die makedonischen Senatoren betrifft, so wissen wir, dass sie zunächst
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aus den Kolonien und insbesondere aus Philippi sowie aus dem municipium Stobi stammten,
wohingegen es Nachkommen einiger der vornehmsten Familien aus Thessalonike erst im 3.
Jahrhundert gelang, den Sprung in die höchste Gesellschaftsschicht des Kaiserreichs zu schaffen 29.
4.4. Die anderen sozialen Schichten
Im Gegensatz zur Honoratiorenschicht der Städte sind die Mitglieder der anderen gesellschaftlichen Schichten nur gelegentlich in den schriftlichen Quellen erwähnt. So erscheinen
z.B. die Sklaven, die den größten Teil der Bevölkerung Makedoniens ausgemacht haben müssen, da sich die Land- und Viehwirtschaft auf die Sklavenarbeit stützte, nur äußerst selten. Es
ist jedoch zu erkennen, dass einige von ihnen von einer Verbesserung ihres Lebensstandards
und vom Wohlstand profitierten, den die Region während der Kaiserzeit erlebte, und es ihnen
dank der bedeutenden Position (mit wirtschaftlichen Zuständigkeiten) ihrer Herren gelang,
Geld zu sparen, um in den Tempeln Weihgaben darzubieten oder insbesondere, um ihre Freilassung zu erzielen. Aus einer Reihe an "Freilassungsurkunden", die in verschiedenen
Heiligtümern in landwirtschaftlich geprägten Regionen von Mittel- und Westmakedonien,
und zwar insbesondere in Leukopetra (Beroia) gefunden wurden, geht hervor, dass das Phänomen der Sklaverei in Makedonien bis zu Beginn des 4. Jh. n.Chr. andauert30. In den meisten
uns bekannten Fällen von Freigelassenen handelt es sich allerdings um ehemalige Sklaven
römischer Bürger. Mit ihrer Freilassung erwarben auch sie politische Rechte und wurde in die
Mittelschicht, insbesondere der Städte, integriert (plebs urbana).
Die gesellschaftliche Mittelschicht weist, wie nicht anders zu erwarten ist, eine bunt
gemischte Zusammensetzung auf. In den Grabinschriften finden wir in der Tat sehr selten
Erwähnungen von Arbeitern, Handwerkern, Kleinhändlern, Schauspielern, sondern eher von
Veteranen des römischen Heeres. Was die Teilnahme der Makedonen am römischen Heer betrifft, so war diese ziemlich begrenzt und betraf insbesondere die Zeit der Bürgerkriege und
der ersten Jahrzehnte der Kaiserzeit. Die meisten der bekannten Soldaten stammten aus den
Kolonien oder aus den ärmeren Regionen des Oberen Makedoniens, und die Truppen, in denen sie dienten, waren Legionen und zwar insbesondere die Kohorten der Prätorianer. Durch
ihren Dienst im römischen Heer erwarben die Bewohner Makedoniens römische Bürgerrechte31.
Etwas deutlicher zeigen sich Aspekte des gesellschaftlichen Lebens der Unter- und Mittelschichten — zumindest in einigen Regionen — in den Vereinen. Aus Makedonien sind uns
etwa achtzig derartige Vereine bekannt, die in überwältigender Mehrheit in die Kaiserzeit,
und zwar insbesondere in das 2. und 3. Jh. n.Chr. datiert werden. Die meisten von ihnen (zu
einem Anteil von über 80%), waren in den städtischen Zentren wie Thessalonike, Philippi und
Beroia aktiv. Unter diesen Vereinen gab es freilich auch solche mit rein beruflichem Charakter, wie etwa den der Purpurfärber von Thessalonike oder der Geldwechsler in Philippi, doch
die Anzahl derartiger Vereine ist eher gering. Die meisten davon scheinen eher kultischen
Charakter gehabt zu haben, also in dem Sinne, dass sie zum Zweck der kultischen Verehrung
ihrer Schutzgottheit (insbesondere des Dionysos, des Herakles, des Silvanus usw.) organisiert
wurden, auch wenn an ihnen vorwiegend Vertreter ähnlicher oder unterschiedlicher Berufsgruppen beteiligt waren. Zur Entwicklung dieses Phänomens der kollektiven Organisation
scheint in einigen städtischen Zentren, wie etwa in Thessalonike, auch das große Ausmaß der
Einwanderungen beigetragen zu haben, so dass einige von ihnen zumindest ursprünglich von
Fremden gegründet worden waren.
Die Tätigkeiten der Mitglieder der Vereine (bei denen es sich um zahlenmäßig kleine
Gruppen mit gewöhnlich einigen Dutzend Mitgliedern handelte) dienten ihrem gesellschaftli-
PANDELIS NIGDELIS
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chen Leben, etwa durch die Organisation von Festgelagen und Festveranstaltungen, die im
Rahmen der Verehrung ihrer Schutzgottheit standen (insbesondere in einigen der dionysischen Gruppen), umfassten jedoch auch praktische Probleme mittels der zwischen ihnen
gebildeten Solidarität, wie insbesondere etwa die Deckung der Kosten für eine gebührende
Beerdigung und Grabausstattung (dieses Phänomen breitete sich insbesondere in den wirtschaftlich schwierigen Jahren der 2. Hälfte des 3. Jh. n.Chr. aus). Im Rahmen dieser Vereine
herrschte jedoch parallel zu der Tendenz der Gleichstellung eine Ämter-Hierarchie vor, die im
Wesentlichen jener der Städte entsprach.
Diese Suche nach neuen alternativen Formen der kollektiven Organisation ist zunächst
auf den allmählichen Verlust der Rolle und der Bedeutung der städtischen Institutionen zurückzuführen, die in einer „Entpolitisierung“ resultierte, insbesondere auch angesichts des
„Honoratioren-Regimes“. Als Ersatz dafür fanden die Mitglieder der Vereine die Möglichkeit
zu einer Selbstbestimmung in diesen vertrauteren und zentralisierteren kollektiven Institutionen, ein Gefühl der Überlegenheit in einem unsicheren sozialen Umfeld, aber auch die
Möglichkeit einer gesellschaftlichen Selbstdarstellung und Beteiligung durch die Übernahme
von Ämtern, sofern sie freilich die dazu erforderlichen Mitteln hatten. Diese Möglichkeiten,
die ihnen eine Teilnahme an Vereinen bot, nutzten insbesondere Personen mit niedriger gesellschaftlicher Herkunft, die schon ihre wirtschaftliche Lage deutlich verbessern konnten
(siehe z.B. die große Anzahl an Freigelassenen im Verein der Anhänger des Silvanus-Kults in
Philippi). Die Tatsache, dass in Makedonien das verbindende Element bei der Gründung von
Vereinen der Kult und nicht so sehr eine gemeinsame Berufszugehörigkeit der Mitglieder
war, ist nicht nur der Bedeutung zuzuschreiben, welche der Kult als grundlegender Faktor der
Selbstbestimmung für den normalen Bürger der Antike hatte, sondern auch dem in erster Linie landwirtschaftlichen Charakter der Wirtschaft des römischen Makedonien32.
Anmerkungen
1. Zu den Maßnahmen der Römer nach der Schlacht von Pydna siehe D. Kanatsoulis, I istoria tis Makedonias mechri tou Megalou Konstantinou [Die Geschichte Makedoniens bis
Konstantin dem Großen], Thessalonike 1964, 88 ff., F. Papazoglou, „I Makedonia ypo
tous Romaious“ [Makedonien unter den Römern], in dem Band M. Sakellariou (Red.),
Makedonia. 4000 chronia ellinikis istorias kai politismou [Makedonien. 4000 Jahre griechische Geschichte und Kultur], Athen 1982, 192 ff. und für eine andere Position: E.
Gruen, The Hellenistic World and the Coming of Rome, California 1984, Bd. 2, 423 ff.
2. Zur Erhebung von Andriscus siehe die Studien von J. M. Heliesen, Andriscus and the
Revolt of Macedonians 149-148 B.C., Wisconsin 1968 und Mac Kay, Studies in the
History of the Republican Macedonia (168-148 B.C.), Berkeley 1964 (mit einer detaillierten Analyse der numismatischen Zeugnisse).
3. Zum rechtlichen Status von Makedonien bis zum Beginn des Jahrzehnts von 70 siehe R.
Kallet-Marx, Hegemony to the Empire. The Development of the Roman Imperium in the
East from 148 to 62 B.C., Berkeley & Los Angeles, California 1995, 11 ff.
4. Zu den Aufständen der Makedonen nach 167 v.Chr. siehe Papazoglou, „Makedonien unter
den Römern“, 193.
5. Zu den Barbareneinfällen gegen Makedonien während der republikanischen Zeit siehe F.
Papazoglou, The Central Balkan Tribes in Pre-roman Times, Amsterdam 1978, auch F.
Papazoglou, „Quelques aspects de l’ histoire de la province de Macédoine“, ANRW, 7
(1979), II. 1., 312-321.
6. Zu den römischen Bürgerkriegen, die auf makedonischem Boden ausgetragen wurden,
siehe Kanatsoulis, op. cit., 95-97 und Papazoglou, „Quelques aspects“, 321-325
7. Zur Verwaltungsreform unter Tiberius siehe Th. Ch. Sarikakis, Romaioi archontes tis
eparchias Makedonias [Römische Archonten der Provinz Macedonia], Bd. 2 Apo tou Au-
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DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
gustou mechri tou Dioklitianou 27 p.Ch.-284 m.Ch. [Von Augustus bis Diokletian 27
v.Chr.- 284 n.Chr.], Thessalonike 1977, 13 und Papazoglou, „Makedonien unter den Römern“, 196.
8. Zur Politischen Geschichte und zur Verwaltungsgeschichte Makedoniens während der
Kaiserzeit siehe Kanatsoulis, op. cit., 97 ff. und Papazoglou, „Makedonien unter den Römern“, 196 ff.
9. Siehe F. Papazoglou, Laoi kai paroikoi. Recherches sur la structure de la société hellénique, Belgrad 1997, 234.
10. Zur Zusammensetzung der Bevölkerung von Makedonien auf der Grundlage der in Inschriften bezeugten Namen siehe F. Papazoglou, „Structures ethnique et sociales dans les
régions centrales des Balkans à la lumière des études onomastiques“, in Actes du VIIe
congrès international d’ épigraphie crecque et latine Constanza 9-15 Sept. 1977, Bukarest & Paris 1979, 153-169, M. B. Hatzopoulos & L. D. Loukopoulou, „Recherches sur
les marches orientales des Téménides (Anthémonte - Kalindoia)“, Meletimata, 11 (Athen
1992-1996), Bd. 1-2, sowie auch $. Sverkos, Symvoli stin istoria tis Ano Makedonias ton
romaikon chronon (politiki organosi – koinonia – anthroponymia) [Beitrag zur Geschichte des Oberen Makedoniens während der Römischen Zeit (politische Organisation –
Gesellschaft – Personennamen)], Thessalonike 2000, 115 ff.
11. Zum thrakischen Element in der Region von Philippi siehe D. Kanatsoulis, „I makedoniki
polis apo tis emfaniseos tis mechri ton chronon tou M. Konstantinou“ [Die Makedonische
Stadt von ihren Anfängen bis zur Zeit Konstantins des Großen], Makedonika, 6 (19641965), 23 ff.
12. Zu den italischen Händlern in Makedonien siehe A. Rizakis, „L’ émigration romaine en
Macédoine et la communauté marchandise de Thessalonique: perspectivites économiques
et sociales“, in Ch. Müller & Cl. Hasenohr (Red.), Les Italiens dans le Monde Grec IIe
siècle av. J.C. – Ie siècle ap. J. C. Circulation, Activités, Intérgration. Actes de la Table
Ronde. École Normale Supérieure Paris 14-16 Mai 1998 (: BCH Supplément 41), Paris
2002, 109-132.
13. Zu den römischen Kolonien in Makedonien siehe A. Rizakis, „Recrutement et formation
de élites dans les colonies romaines de la province de Macédoine“, in M. Cébeillac, Gervasoni & L. Lamoine (Red.), Les élites locales dans le monde hellénistique et romain,
Rom 2003, 107-129.
14. Zu den Einwanderern aus Kleinasien in Makedonien während der Kaiserzeit siehe P. M.
Nigdelis, Epigraphica Thessalonicensia, Epigraphikes Symvoles stin Istoria tis Thessalonikes [Epigraphica Thessalonicensia, Epigraphische Beiträge zur Geschichte
Thessalonikes], Thessalonike 2005.
15. Zu den jüdischen Gemeinden in Makedonien siehe P. M. Nigdelis, „Synagoge(n) und
Gemeinde der Juden in Thessalonike: Fragen aufgrund einer neuen jüdischen Grabinschrift der Kaiserzeit“, ZPE, 102 (1994), 297–306 und A. Koukouvou, I evraiki koinotita
tis Veroias stin Archaiotita. Nees epitymvies epigrafes [Die jüdische Gemeinde von Beroia
in der Antike. Neue Grabinschriften], Tekmeria, 13-31.
16. Zur römischen Verwaltung Makedoniens während der Republik und der Kaiserzeit siehe
Th. Ch. Sarikakis, Romaioi archontes tis eparchias Makedonias [Römische Archonten der
Provinz Macedonia], Bd. 1, Apo tis idryseos tis eparchias mechri ton chronon tou Augustou 148-27 p.Ch. [Von der Gründung der Provinz bis zur Zeit Augustus 148-27 v.Chr.],
Thessalonike 1971, 5 ff. und Bd. 2, Von Augustus bis Diokletian, 13 ff.
17. Siehe P. M. Nigdelis & G. A. Souris, Anthypatos legei. Ena diatagma ton autokratorikon
chronon gia to gymnasio tis Veroias [Auf Veranlassung des Prokonsul: Ein Dekret der
Kaiserzeit für das Gymnasium von Beroia], Thessalonike 2005.
PANDELIS NIGDELIS
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18. Für einen Überblick über die Institutionen der römischen Städte in der zu untersuchenden
Zeit siehe D. Kanatsoulis, „I makedoniki polis apo tis emfaniseos tis mechri ton chronon
tou M. Konstantinou“ [Die makedonische Stadt von ihren Anfängen bis zur Zeit Konstantins des Großen], Makedonika, 4 (1955-1960), 232-314, Makedonika, 5 (1961-1963), 15101 und F. Papazoglou, Les villes de Macédoine à l’ époque romaine (BCH Suppl. XVI),
Athen 1988.
19. Zu den örtlichen Koina Makedoniens siehe Sverkos, op. cit., 60 ff.; zum Problem der politeiai siehe P. M. Nigdelis & G. A. Souris, “Poleis and politeiai in Upper Macedonia under
the Principate: a new inscription from Lyke in Orestis”, Tekmeria, 3 (1997), 55-63 sowie
für die entgegengesetzte These M. B. Hatzopoulos, „Epigraphie et villages en Grèce du
Nord: ethnos, polis et kome en Macédoine“, L’ epigrafia del villagio, Faenza 1993, 151 ff.
20. Zu den Dörfern im oberen Makedonien siehe Sverkos, op. cit., 35 ff.
21. Zur Beilegung von Grenzstreitigkeiten in Makedonien während der Kaiserzeit siehe Th.
Sarikakis, “Synoriakai diaforai kai timisis (census) eis tin romaikin eparchian tis Makedonias” [Grenzstreitigkeiten und Census in der römischen Provinz Macedonia], Archaia
Makedonia, 2 (1973) [1977], 431–463 und I. Pikoulas, “Termonismoi Makedonias. Symboli proti” [Makedonische Grenzen. Erster Beitrag], Archaia Makedonia 6 (1996) [1999],
893–902.
22. Zur Verwaltung und den Institutionen der Kolonien siehe Kanatsoulis, „Die makedonische Stadt“, Makedonika, 6 (1964-1965), 24 ff. und Rizakis, „Recrutement et formation
des élites“.
23. Zum Koinon der Makedonen siehe D. Kanatsoulis, „To Koinon ton Makedonon“ [Das
Koinon der Makedonen], Makedonika, 3 (1956), 27-102 und J. Deininger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des 3. Jhts, Berlin 1965,
91-96.
24. Zu den wirtschaftlichen Entwicklungen in Makedonien während der Zeit der Republik
siehe J. A. O. Larsen, “Roman Greece”, in T. Frank (Red.), An Ecomomic Survey of
Anciet Rome, Bd. 4, Paretson, N. Jersey 1938, 422 ff..
25. Siehe D. Samsaris, „Une inscription latine inédite trouvée près des frontières du territoire
de la colonie romaine de Philippes“, Klio, 65 (1983), 1 ff.
26. Zu den wirtschaftlichen Entwicklungen in Makedonien während der Kaiserzeit siehe Larsen, op. cit., 436 ff. sowie auch H. Wolff, „Makedonien“, in Fr. Vittinghoff (Red.),
Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Stuttgart 1990, I, 631638.
27. Zu dieser Theorie siehe siehe A. Tataki, Ancient Beroea. Prosopography and Society
(Meletimata, 8), Athen 1988, 412, 435-436, 453-454 und Hatzopoulos & Loukopoulou,
op. cit., Bd. 1, 117 ff.
28. Zu den „Freilassungs“-Urkunden aus Leukopetra siehe Ph. M. Petsas, M. B. Hatzopoulos,
L. Gounaropoulou & P. Paschidis, Inscriptions du sanctuaire de la Mère des dieux Autochtone de Leukopétra (Macédoine) (Meletimata, 28), Athen 2000.
29. Zu den Senatoren aus Makedonien siehe J. Oliver, “Roman Senators from Greece and
Macedonia”, Tituli, 5 (1982), 583-602
30. Zur Verleihung des römischen Bürgerrechts siehe D. Samsaris, „Atomikes chorigiseis tis
romaikis politeias [civitas romana] kai i diadosi tis sti romaiki eparchia Makedonia. I periptosi tis Thessalonikes, protevousas tis eparchias“ [Persönliche Gewährungen der
römischen Staatsbürgerschaft [civitas romana] und ihre Verbreitung in der römischen
Provinz Macedonia. Der Fall von Thessalonike, der Provinzhauptstadt], Makedonika, 26
(1987-1988), 308-351 und ds., „Atomikes chorigiseis tis romaikis politeias [civitas romana] kai i diadosi tis sti romaiki eparchia Makedonia. I periptosi tis Veroias, edras tou
Koinou ton Makedonon“ [Persönliche Gewährungen der römischen Staatsbürgerschaft
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DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
[civitas romana] und ihre Verbreitung in der römischen Provinz Macedonia. Der Fall von
Beroia, Sitz des Koinons der Makedonen], Makedonika, 27 (1989-1990), 327-382.
31. Zur Teilnahme der Makedonen im römischen Heer siehe Th. Sarikakis, „Des Soldats macédonieniens dans l’ armée romaine“, Archaia Makedonia, 2 (1973), [1977], 431-463 und
Papazoglou, „Quelques aspects“, 351.
32. Zu den Verbänden Makedoniens siehe Kanatsoulis, „Die makedonische Stadt“, Makedonika, 4 (1955-1960), 269 ff. und R. Ascough, Paul’s Macedonian Associations, Tübingen
2003.
Texte
Text Nr. 1: Die Regelungen des Senats und von Aemilius Paullus für Makedonien nach der
Schlacht von Pydna. Die Konferenz von Amphipolis (Titus Livius, Ab urbe condita, XLV).
Zuerst beschloss der Senat, dass den Makedonen Freiheit gewährt werden müsse, so dass
allen Völkern offensichtlich werde, dass die militärische Macht des römischen Volkes
nicht freie Menschen die Slaverei bringe, sondern Unterdrückten die Freiheit..... Darüber
hinaus wurde beschlossen, dass die Verpachtung der makedonischen Bergwerke ausgesetzt werden solle, die eine gewaltige Einnahmequelle darstelle, sowie auch die
Verpachtung des (königlichen) Landbesitzes. Der Grund war, dass diese nicht ohne irgendeinen (römischen) Steuerpächter verpachtet werden könnten und dass dort, wo
derartige Verpachtungen stattfänden, entweder der öffentliche Besitz aufgelöst werden
würde oder die Freiheit der Verbündeten abgeschafft werden würde. Doch der Senat war
der Ansicht, dass auch die Makedonen sie nicht ausnutzen konnten: denn dort, wo die
Verwalter einen beachtlichen Gewinn erhalten würden, würde es nicht an Anlässen für
Verschwörungen und soziale Konflikte fehlen. Schließlich beschloss der Senat aus der
Furcht, dass im Falle eines Bestehens einer gemeinsamen Versammlung (concilium) für
das makedonische Volk irgendein kühner Demagoge die in einem gesunden Maß gewährte Freiheit zu einer fatalen Willkür missbrauchen könne, die Aufteilung von Makedonien
in vier Bezirke (regiones), und zwar in einer solchen Art, dass jeder von ihnen seine eigene Versammlung hatte. Des weiteren wurde beschlossen, das Makedonien dem römischen
Volk die Hälfte der Steuern zu entrichten habe, die es gewöhnlich den Königen zahlte.
Die Details überließen sie den Feldherrn und der Gesandtschaft der zehn Legaten, für die
die Diskussionen im Senat eine stabile Planungsbasis bilden sollten (18).
Als der Tag kam, an dem der Befehl erteilt worden war, dass sich die zehn ersten
Männer einer jeden Stadt in Amphipolis einfinden sollten und all die offiziellen Archive,
wo auch immer diese niedergelegt waren, sowie die königlichen Gelder dort hinbringen
sollten, nahm Paullus zusammen mit den zehn Legaten auf seinem offiziellen Sitz Platz,
umgeben von einer Reihe an Makedonen. Diese waren freilich an die königliche Macht
gewohnt, doch die neue Macht präsentierte sich vor ihnen in einer Art und Weise, die ihnen Ehrfurcht einflösste: Der Sitz des Konsuln, sein Eintreten, nachdem zuvor ein Gang
gebildet wurde, der Herold und sein Gefolge, all dies waren neue Dinge für ihre Augen
und Ohren, Dinge, die sogar Verbündete, und um so mehr natürlich unterworfene Feinde
erschrecken konnten. Nachdem der Herold für Schweigen gesorgt hatte, verkündete Paullus auf Lateinisch die Beschlüsse des Senates sowie jene, die er mit seinem Rat gefällt
hatte. Der Feldherr Gnaeus Oktavius – der ebenfalls anwesend war – wiederholte seine
Beschlüsse ins Griechische übersetzt. Die Bedingungen waren die folgenden: Zuerst einmal sollten die Makedonen frei sein und ihre Städte und ihre Äcker behalten dürfen, mit
ihren eigenen Gesetzen und ihren eigenen auf ein Jahr gewählten Archonten. Sie mussten
dem römischen Volk die Hälfte der Steuern entrichten, die sie zuvor den Königen gezahlt
hatten. Anschließend sollte Makedonien in vier Bezirke unterteilt werden…. Die Hauptstädte dieser Bezirke, in denen die Ratsversammlungen zusammen treten sollten, waren
Amphipolis für den ersten, Thessalonike für den zweiten, Pella für den Dritten und Pelagonia für den vierten. Der Konsul ordnete an, dass die Ratsversammlung eines jeden
PANDELIS NIGDELIS
Bezirks in diesen Städten zusammentreten müsse, dass dort die Gelder zusammengetragen und die Archonten gewählt werden müssen. Anschließend wurde der Beschluss
verkündet, dass niemand das Recht habe, außerhalb der Grenzen des Bezirks, in dem er
lebte, zu heiraten oder Land oder Gebäude zu erwerben. Außerdem, dass die Gold- und
Silberminen nicht betrieben werden dürften, wohingegen der Betrieb der Kupfer- und Eisenbergwerke erlaubt war. Die Steuer für diejenigen, welche diese Bodenschätze
abbauten, wurde auf die Hälfte jener festgesetzt, die sie den Königen entrichtet hatten.
Außerdem wurde die Verwendung von importiertem Salz untersagt. Als die Dardaner
forderten, dass ihnen Paionia zurückgegeben werde, mit der Begründung, dass es ihnen
gehöre und sie eine gemeinsame Grenze hätten, verkündete Paullus, dass allen, die sich
unter der Macht des Perseus befunden hätten, die Freiheit gewährt worden sei. Nachdem
er ihnen Paionia verweigert hatte, erteilte er ihnen das Recht, Salz einzuführen. Er erteilte
dem dritten Bezirk den Befehl, Salz nach Stobi in Paionia zu bringen und legte den Preis
für dieses Produkt fest. Er verbot den Makedonen, für den Schiffbau verwendbares Holz
zu fällen oder dies anderen zu gestatten. An den an die Barbaren angrenzenden Bezirke und dies betraf alle Bezirke außer dem Dritten - erlaubte er die Beibehaltung von befestigten Wachposten entlang der Grenzen (29). Nach diesen Beschlüssen bezüglich der
Verfassung von Makedonien wurde verkündet, dass die Senatoren gewählt werden müssen, denen der Titel synedroi gegeben wurde, mit deren Beschlüssen der Staat verwaltet
werden solle.... Paullus gab den Makedonen mit einer solchen Sorgfalt Gesetze, dass es
schien, dass er diese nicht unterlegenen Feinden, sondern ihm bewährten Verbündeten erteile - Gesetze, die sich auch in der langfristigen Anwendung, welche das beste Mittel für
die Verbesserung einer jeden Gesetzgebung ist, nicht als fehlerhaft herausstellten (32).
Text Nr. 2. Die Verbannung der königlichen Aristokraten (Titus Livius, Ab urbe condita, XLV)
… Anschließend wurden die Namen der ersten Makedonen bekannt gegeben, die
auf Beschluss zusammen mit ihren Kindern über fünfzehn Jahren das Land verlassen sollten. Doch auch die Vertreter der Makedonen erkannten innerhalb kurzer Zeit, dass diese
auf den ersten Blick harte Maßnahme zu ihrem Vorteil war. Und das, weil diese Namen
jene der Freunde des Königs waren und all jener, die Purpur trugen, der Verwalter der
Truppeneinheiten, der Anführer der Schiffe und der Wachen, Menschen, die es gewohnt
waren, unterwürfig dem König zu dienen, anderen dagegen mit Hochmut begegneten. Einige von ihnen waren steinreich, andere taten es ihnen gleich, auch wenn ihnen ihr
Vermögen nicht reichte. Alle von ihnen lebten und kleideten sich wie am Hofe des Königs, keiner von ihnen hatte jedoch den Charakter eines Bürger und ertrug auch nicht, das
Gesetz, die Gleichheit und die Freiheit zu dulden. Alle also, die irgendein königliches
Amt innegehabt hatten, auch jene, die Gesandte gewesen waren, erhielten unter Androhung der Todesstrafe den Befehl, Makedonien zu verlassen und sich in Italien
niederzulassen ….(32).
Text Nr. 3: Der Aufstand des Andriscus (Diodor, Polybios).
Andriscus erfuhr von ihr, dass Teres, der König der Thraker, eine Tochter des Königs von
Makedonien, Philipps (V.), geheiratet hatte. Anlässlich dieser Nachricht wurde er übermütig, rückte nach Thrakien und vor... und kam zu Teres. Dieser ehrte ihn und gab ihm
hundert Soldaten und ein Diadem. Teres empfahl ihn auch anderen (thraksichen) Dynasten, von denen er weitere hundert Soldaten erhielt. Anschließend ging er zum König der
Thraker…. den er davon überzeugte, sich am Feldzug zu beteiligten, den er plante, und
dass er ihn wieder auf den Thron von Makedonien bringe, mit dem Argument, dass das
Königreich der Makedonen sein väterliches Erbe sei… Nachdem er zunächst von den
Makedonen besiegt wurde, floh der Pseudo- Philipp nach Thrakien. Am Ende brachte er
jedoch die Städte Makedoniens unter seine Kontrolle. (Diodor 32, 15, 5-7).
Zunächst schienen die Menschen den Gesprächen über den Pseudo-Philipp keine
Bedeutung zu schenken. Da war also in Makedonien wie vom Himmel herab irgendjemand als Philipp erschienen, sich über die Makedonen und die Römer hinwegsetzend und
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ohne irgendeinen nachvollziehbaren Ausgangspunkt für diese Aktion zu haben, da der
wahre Philipp, wie bekannt war, im Alter von achtzehn Jahren bereits zwei Jahre vor seinem Vater Perseus in Alba in Italien gestorben war. Doch nach drei oder vier Monaten,
als Andriscus sich selber einen Namen gemacht hatte, nachdem er die Makedonen in der
Schlacht jenseits des Fluss Strymon in Odomantike besiegt hatte, begannen einige über
ihn zu reden, andere misstrauten der ganzen Sache jedoch weiterhin. Als sich jedoch nur
wenig später die Neuigkeit verbreitete, dass er die Makedonen diesseits des Strymon besiegt habe und zum Herrscher von Makedonien wurde, und dass Thessaler damit
begannen, Briefe und Gesandte an die Achaier zu schicken und sie um Hilfe zu bitten,
mit den Worten, dass sie in großer Gefahr seien, schien ihnen diese ganze Angelegenheit
beachtenswert und zugleich seltsam. Denn es bestand keine Wahrscheinlichkeit und es
war auch nicht zu erwarten, dass sie ein glückliches Ende nehme. (Polybios 36, 10, 1-7).
Text Nr. 4: Ehrendekret von Lete aus dem Jahr 119 v.Chr. für den Quaestor der Provinz, M. Annius (Syll 3, 700).
Dekret des 20. des Monats Panemos (= Juni) des 29. Jahres, Einführung der Stadthauptmänner auf der Grundlage des von der Ratsversammlung genehmigten Dekretentwurfs:
Marcus Annius, Sohn des Poplius, ein guter und rechtschaffener Mann, hat, nachdem er
vom römischen Volk als Quastor in die Provinz Makedonien entsandt wurde, während
seiner ganzen Amtszeit seine Pflichten ununterbrochen zum Nutzen der Gesamtheit der
Makedonen ausgeführt und darüber hinaus mit außerordentlichem Eifer und Enthusiasmus insbesondere für das Interesse unserer Stadt gesorgt. Aber auch während der
jüngsten Krise, als das Volk der Galater sich sammelte und mit einer großen Heeresmacht
in die Region von Argos zog und die Soldaten den Mut verloren, da es sich zugetragen
hatte, dass der Verwalter Sextus Pompeius in der normalen Schlacht, die er sich mit ihnen
(den Galatern) geliefert hatte, gefallen war, zog er mit den ihm unterstellten Truppen gegen sie. Er selber schlug die Gegner in die Flucht, trug die Leichen der getöteten Soldaten
zusammen, tötete viele Feinde, eroberte viele Pferde und Waffen und sich vorausblickend
für die Rettung der Soldaten der Wachposten dieser Region einsetzend, rief er diese in
sein Heerlager. Einige Tage später, als sich noch mehr galatische Reiter versammelt hatten und sich Tipas, der Anführer der Maider, mit einer großen Herde mit ihnen
zusammentat, leistete Annius dem von den Barbaren durchgeführten Angriff alleine mit
den Soldaten, die er in seinem Heerlager hatte, Widerstand, also ohne Hilfstruppen unter
den Makedonen zu rekrutieren, da er die Städte nicht mit ihrem Sold belasten wollte und
es vorzog, den Menschen ihre (landwirtschaftliche) Arbeit zu lassen. Er selber führte, ohne irgendein Risiko oder Mühen zu scheuen, selber seine Soldaten an, besiegte die Feinde
in der Schlacht mit dem Willen der Götter, tötete viele von ihnen in Kämpfen von Mann
zu Mann, nahm andere gefangen und brachte viele Pferde und Waffen in seinen Besitz.
Mit einer solchen Tapferkeit handelnd brachte Annius die Lage unter seine Kontrolle und
versuchte auf diese Art und Weise, Makedonien seinen Nachfolgern mit einer intakten
Bevölkerung und darüber hinaus mit friedlichen und optimalen Bedingungen zu übergeben, Taten, mit denen er sich seiner Heimat, seiner Vorfahren, seinem Ruf, seiner
Tapferkeit, aber auch der ihm übertragenen Verantwortlichkeiten als würdig erwies. Aus
den vorstehenden Gründen haben die Ratsversammlung und das Volk von Lete beschlossen, Marcus Annius, Sohn des Poplius, den Quaestor der Römer, zu ehren, ihn mit einem
Kranz aus Olivenzweigen zu krönen und zu seinen Ehren die Reiterwettkämpfe des Monats Daesius (Mai) zu veranstalten, wenn auch die Wettkämpfe zu Ehren der anderen
Wohltäter stattfinden. Außerdem haben sie beschlossen, eine Gesandtschaft zu wählen,
deren Mitglieder zu ihm gehen, und nachdem sie ihn seitens der Stadt gegrüßt und beglückwünscht haben, da er und seine Soldaten gesund sind, ihm dieses Dekret übergeben
und ihn dazu einladen, die Ehrung unseres Volkes anzunehmen und immer unserer Stadt
zu nützen. (Sie beschlossen des weiteren), dass dieses Dekret und der (Ehren-) Kranz auf
eine Stein-Stele eingraviert werden sollten, die auf dem am besten sichtbaren Ort der
Agora aufgestellt werden sollten, dass die Stadthauptmänner und der Quaestor der Stadt
PANDELIS NIGDELIS
für die Aufstellung der Stele Sorge tragen sollten. Das Dekret wurde im Anschluss an die
Abstimmung vom 20. Panemos (Juni) des 29. Jahres genehmigt und es wurden Adaios,
Sohn des Adaios, Lyson, Sohn des Philotas und Amyntas, Sohn des Dieos zu Gesandten
gewählt.
Text Nr. 5. Pompeius in Makedonien (Dio Cassius, Plutarch).
Im nächsten Jahr hatten die Römer zweifache Herrscher….. \Diejenigen, die sich in Thessalonike befanden, führten (im Gegensatz zu dem, was in Rom geschah), keine Wahlen
durch, obwohl sich dort, wie einige sagen, an die zweihundert Senatoren und Konsuln befanden und eine Region von Thessalonike für die offiziellen Zeremonien zum
öffentlichen römischen Boden erklärt hatten, so dass der Eindruck erweckt wurde, dass
alles rechtmäßig ablaufe und dass in ihrer Person sowohl das Volk, als auch Rom dort
anwesend war… (Dio Cassius, 51, 43).
In der Zwischenzeit versammelte Pompeius ein großes Heer…. Seine Fußtruppen,
die gemischt waren und einer Übung bedurften, trainierte er in Beroia, wobei er selber
nicht müßig war, sondern am Training teilnahm, so als ob er sich in der Blüte seines Lebens befunden hätte. Und all diejenigen, die ihn sahen, wie er mit seinen 58 Jahren
zusammen mit den Fußsoldaten mit kompletter Kriegsrüstung trainierte und anschließend
ritt und dabei in vollem Galopp sein Schwert zog, ohne das Pferd dabei zu beeinträchtigen und schließlich das Schwert ohne Schwierigkeiten wieder in seine Scheide steckte,
fassten Mut .... Außerdem besuchten ihn weiterhin die Könige der Nationen und Dynasten sowie eine große Zahl an vornehmen Römern, die dazu ausgereicht hätten, einen
kompletten Senat zu bilden (Plutarch, Pompeius 64) .
Text Nr. 6. Die Gründung der römischen Kolonien (Dio Cassius, Augustus).
Er (Augustus) verpflichtete außerdem die Bewohner Italiens, die sich auf die Seite von
Antonius gestellt hatten, zu Auswanderung, wobei er ihre Städte und Felder seinen Soldaten zur Verfügung stellte. Was jene betrifft, so erlaubte er den meisten von ihnen als
Gegenleistung, dass sie sich in Dyrrachium und in Philippi niederließen, und den übrigen
versprach er, dass er sie für ihr Land entschädigen werde …. (Dio Cassius 51, 4, 67).
Ich errichtete militärische Kolonien in Afrika, auf Sizilien, in Macedonia und … in
Achaea (Augustus, Res Gestae V, 356).
Text Nr. 7. Ehrendekret für Apollonios aus Kalindoia in Mygdonia (SEG 35, 1985, 744 und Année épigraphique 1992, 1525)
Dekret des Jahres 148 (= 1 n.Chr.)· Einführung der Stadthauptmänner vor dem Volk,
nach dem die Ratsversammlung zuerst einen vorbereitenden Beschluss verabschiedet hatte und das Volk zur Volksversammlung zusammengetreten war. Apollonios, Sohn des
Apollonios und Enkel des Kertimas, war ein guter und rechtschaffener Mann und verdient alle Ehren, da er, als er freiwillig das Amt des Priesters des Zeus und von Rom und
des Kaisers Sebastos (Augustus), des Sohn des Gottes, übernommen hatte, eine so große
Bereitwilligkeit und Großzügigkeit zeigte, wie sie der Tugend seiner Vorfahren und seiner eigenen Tugend würdig ist, so dass er es keinem erlaubte, ihn an Aufwendungen für
die Götter und die Heimat zu überbieten. Konkret sorgte er auf seine eigenen Kosten das
ganze Jahr für die monatlichen Opferfeste, die zu Ehren des Zeus und des Kaisers Augustus zelebriert werden, wobei er kostbare Geschenke zu Ehren der Götter erbrachte und
den Bürgern Festmahle und reichhaltige Gelage im Rahmen von Massen-Festessen für
das ganze Volk und (getrennt) in triclinia darbot. Er selber sorgte während der Dauer der
(jährlichen) Feiern für einen bunten und sehenswerten Festumzug und organisierte pompöse Spiele zu Ehren des Zeus und des Kaisers Augustus, wie sie der Götter und der
Heimat würdig waren, wobei er nicht nur für den Bedarf des Festmahles sorgte, sondern
auch für die Spektakel und die Ergötzung und Unterhaltung der Seele und so seinen Bürgern Wohltaten erbrachte. Auf seinen Antrag hin kümmerte er persönlich sich auf seine
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DAS RÖMISCHE MAKEDONIEN (168 V.CHR.–284 N.CHR.)
eigenen Kosten auch um die Opferungen an Zeus und Kaiser Augustus und die anderen
Wohltäter, welche die Stadt während der Dauer der (jährlichen) Feiern veranstaltet, indem er Rinder opfern ließ, und empfing während dieser Festlichkeiten jeden einzelnen
Bürger in seinen Speisegemächern und teilte unter allen Stämmen großzügig Gaben aus,
so dass sie dank ihm schlemmen konnten, wo sie wollten. Kurz gesagt, ohne irgendwelche Kosten zu scheuen, errichtete er auch die Statue des Kaisers auf seine eigenen
Kosten, stellte sie zum ständigen Gedenken an die Wohltätigkeit des Augustus an die
Menschheit auf und schenkte damit seiner Heimat ein Schmuckstück, und dem Gott die
ihm gebührende Ehre und Dankbarkeit. Aus den vorstehenden Gründen beschlossen die
Ratsversammlung und das Volk, ihn für den Glanz seiner Seele und für seine Wohltaten
gegenüber der Heimat zu ehren und ihn mit einem Kranz aus Ölzweigen zu bekränzen
und dass Steinstatuen von ihm selber, seinem Vater Apollonios und seiner Mutter Stratto
aufgestellt werden, je eine für jeden von ihnen. (Es wurde des weiteren beschlossen) dass
die Statue und das Dekret an dem am besten sichtbarsten Platz der Agora aufgestellt werden sollen, der er selber als Veranstalter der Spiele bevorzuge, so dass die übrigen Bürger
bei seinem Anblick die Anerkennung der Stadt wünschen und der Heimat ihren Dienst
erweisen wollen. Nach der Genehmigung des Dekrets nahm Apollonios die Ehren und die
Anerkennung der Heimat an, befreite jedoch die Stadt von den diesbezüglichen Kosten.
Das Dekret wurde am 14. Daisios (Mai) verabschiedet.
Text Nr. 8. Die Tätigkeit eines Oberpriesers des Kaiserkultes (EKM I, 117).
Der Stamm der Peukasten ehrt den Wohltäter Quintus Popillius Pytho, den Oberpriester
des Kaiserkultes auf Lebzeiten und Spieleveranstalter des Koinons der Makedonen, da es
ihm als Gesandter an den Kaiser Nerva gelungen war, dass (unsere Stadt) Beroia weiterhin als einzige die Aufsicht des Augusti-Kult innehält und den Titel der Metropolis (von
Makedonien) trägt. Außerdem, da er während seiner Amtszeit als Oberpriester die Personensteuer der Provinz übernahm und auf eigene Kosten Straßen bauen ließ. Außerdem
weil er Spiele erklärte und organisierte, die den Aktischen Spielen gleichwertig waren
und die als Siegespreis ein Talent hatten, dazu Theater- und Sportwettkämpfe, Tierkämpfe mit jeglicher Art an einheimischen und fremden Tieren, aber auch Gladiatorenkämpfe.
Außerdem, weil er in schwierigen Zeiten zu einem billigen und niedrigeren Preis (als der
Marktpreis) Getreide verkaufte, und während der ganzen Zeit seines Priesterdienstes die
Bewohner der Provinz empfing und auf jeder Versammlung (des Koinons) unter allen
Lebensmittel oder Geld verteilte. Und schließlich weil er während seiner Amtsjahre als
Gymnasiarch sich selber immer allen zur Verfügung stellte und selber immer freundlich
zu seinen Mitbürger war. Dieses Denkmal errichtete Dioskourides, Sohn des Alexandros.
Text Nr. 9. Brief des Antoninus Pius an eine Stadt in Ostmakedonien (IGBulg IV, 2263)
….. die Fremden …. für ihr Land, während Ihr, die Bürger, so viel für [….] und die Sklaven und die Silberplatten zahlt, die nicht für Euren eigenen Bedarf bestimmt sind. Wenn
sie mich nun diesbezüglich darüber informieren, dass irgendetwas geschieht, dass Ihr
wissen solltet, so werde ich Euch darüber informieren. Ich gebe meine Einwilligung, dass
Ihr ebenfalls Steuern in der Höhe eines Denaren auf jeden freien Bewohner Ihrer Stadt
erhebt (der jedoch kein Bürger ist), von dem Alter an, in dem er dieser Steuer unterliegen
kann, so dass dieser Betrag die Einkünfte für Ihren Bedarf bilden. Die Zahl Ihrer Mitglieder der Ratsversammlung ist achtzig, und jeder von ihnen kann fünfhundert attische
Drachmen entrichten, so dass einerseits die Größe der Ratsversammlung der Stadt ein
größeres Ansehen verschafft und andererseits die Gelder, die gezahlt werden, eine zusätzliche Einnahmequelle darstellen. Die Fremden, die Landvermögen auf Ihrer Erde
erworben haben, unterliegen der Rechtssprechung Ihrer Archonten für Prozesse mit einer
Höhe von bis zu zweihundertfünzig Denaren, sei es als Kläger oder als Beklagte. Legaten
waren Demeas, der Sohn des Paramonos, und Krispos, der Sohn des Toskos, denen die
Reisekosten erstattet werden, außer falls sie versprochen haben, für diese selber aufzu-
PANDELIS NIGDELIS
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kommen. Mögen Sie Erfolg haben. Geschrieben und archiviert unter den Stadthauptmännern Valerius Pyrrus und seinen Mitarbeitern im Jahr 189 (=158 n.Chr.).
Literaturauswahl
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