von Tinnitus - Campus Bad Neustadt

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TINNITUS AURIUM
Psychosomatische Klinik
Bad Neustadt
Abteilung Rehabilitation
Behandlung chronischer und
komplexer Ohrgeräusche
(Tinnitus) im Rahmen eines
stationären integrativen
Therapieansatzes
Träger: Rhön-Klinikum AG
Salzburger Leite 1 · 97616 Bad Neustadt a. d. Saale
Telefon (0 97 71) 67-01 · Telefax (0 97 71) 65 93 01
e-mail: [email protected]
www.rhoen-klinikum-ag.de
Rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einem mittelschwer bis schwer
ausgeprägtem Tinnitus (ICD 10 H 93.1); „die Zahl von 1,5 Millionen ist höher als bisher
angenommen“(Zenner 2001). Von jährlich 250.000 neuen chronischen Tinnitusfällen pro
Jahr wird ausgegangen. Damit wird die sozialmedizinische Bedeutung und der Auftrag an
die Rehabilitationspsychosomatik klar: Wer Probleme mit seinem Gehör hat, ist in besonderer Weise darin eingeschränkt, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu
können.Verlust sozialer Kommunikation,Vereinsamung, soziale Ausgrenzung und Probleme
im Arbeitsbereich können die Folge sein.
Im Gegensatz zur manchmal geäußerten Vermutung,Tinnitus sei eine „Erfindung“ unserer
heutigen Zeit, gibt es eine Kulturgeschichte des Tinnitus von der frühen Antike bis zur
Gegenwart: über Platon und Pythagoras („kosmische Musik“) über Hippokrates, Kaiser
Titus („ein Wurm in seinem Kopfe“) zu Galen („aus Dämpfen und zähen Säften im Kopf“),
mit Berichten des Philosophen Rousseau („das Brausen“), des Göttinger Aphoristikers
Lichtenberg („Glockenklänge in den Ohren“), von Beethoven („meine Ohren, die sausen
und brausen Tag und Nacht fort.“), von Robert Schumann („beständiges Singen und Brausen im Ohr“) bis Bedrich Smetana („die größte Qual bereitet mir das fast ununterbrochene Getöse im Inneren, das mir im Kopf braust und sich bisweilen zu einem stürmischen
Gerassel steigert“). Smetana hat seinen Tinnituston auch künstlerisch dargestellt: Im vierten Satz des Streichquartetts Nr. 1 in e-Moll – “ein starres, sehr laut viergestrichenes e der
ersten Violine“, begleitet von einem dramatischen Tremolo der anderen Streicher (Tenzer
2001).
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1.Tinnitus ist ein Symptom, keine Krankheit
Eine Vielzahl von Ursachen kann ein Ohrgeräusch hervorrufen: Man unterscheidet heute
einen konduktiven Mittelohrtinnitus, einen kochleären Tinnitus (I-IV) und einen
zentralen Tinnitus (primär, sekundär).
Patienten mit Tinnitus leiden unter Ohrgeräuschen, die – zumeist ohne Einwirkung einer
äußeren Schallquelle – einseitig oder beidseitig, vorübergehend oder dauerhaft, auftreten.
Die Patienten empfinden Rauschen, Klopfen, Klingeln etc., sie nehmen selbst gelegentlich
Funktionsstörungen an, die durch chronische Lärmschädigungen, akute Knallverletzungen,
Hörsturz entstanden sein können – manchmal sind mehrere solcher Faktoren gegeben
(Goebel 1997). In bis zu 30% der Fälle wurde das Innenohr durch Lärm geschädigt
(www.aerztblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=28647).
In der psychosomatischen Rehabilitation haben wir es vorrangig mit komplexem1 chronischem2 Tinnitus meist zentraler Ursache zu tun. Eine Hypothese nimmt als Verursachung
an, dass die Geräuschfilterfunktion im Gehirn fehlerhaft arbeitet und Signale ins Bewusstsein dringen, die normalerweise nicht wahrgenommen werden (www.tinnitus.org). Nach
heutigem Wissensstand gibt es keine spezifische Behandlungsform, die eine wirkliche „Heilung“ dergestalt versprechen könnte, dass Ohrgeräusch oder Beeinträchtigung von Seiten
des Hörens völlig verschwinden würden. Es ist daher wichtig, dem Patienten „keine zu optimistischen Erwartungen in Aussicht“ zu stellen (Sopko 1996). Hauptaufgabe der Behandlung muss es sein, den Patienten Hilfestellung zur Krankheitsbewältigung3 zu geben. Damit
ist nicht nur der unmittelbare Umgang mit dem Ohrgeräusch gemeint, sondern vor allem
die Bewältigung der meist gravierenden seelischen Beeinträchtigung. Auf die TinnitusRetraining-Therapie wird weiter unten eingegangen.
Normale, nicht pathologische Ohrgeräusche:
bei normalem Hörvermögen in extrem ruhiger Umgebung als körpereigenes
Hintergrundgeräusch
pulssynchrone Geräusche (mit dem Ohr auf dem Kissen liegend)
aufgrund von Kontraktionen der Muskeln in der Eustachischen Röhre, dem
Mittelohr, dem Gaumen oder dem Rachen
Tinnitus, der länger als 5 Minuten anhält, ist bei einer von 6 Personen anzutreffen.
Die Mehrheit der Erwachsenen mit Dauergeräuschen ist nur leicht oder gar nicht beunruhigt.
„Komplex“ meint, dass sich zum Tinnitus selbst psychische Beeinträchtigungen hinzugesellen - s.u.
„Chronisch“: wenn seit dem Auftreten der Ohrgeräusche ein Jahr oder mehr vergangen ist.
3
zur Thematik Krankheitsbewältigung vgl. Beutel, M., Bewältigungsprozesse bei chronischen Erkrankungen.Basel, 1988.
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2
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Pathologische Ohrgeräusche:
a) Mittel- und Innenohr:
mit normalem Hörvermögen auf einem Ohr durch eine Dysfunktion
des Innenohrs
bei oder nach Hörsturz
bei der Ménière’schen Erkrankung
Malformation eines Gefäßes mit entsprechendem pulssynchronen Geräusch
b) als Symptom einer Schädigung des 8. Hirnnerven:
Acusticusneurinom
Schädigung durch Salicylate, Chinidin, Chinin
c) als „zentraler“ Tinnitus
Einstufung:
Hochtongeräusche: Quieken, Pfeifen, Klingeln
Tieftongeräusche: Dröhnen, Rumpeln, Summen
Vergleichsmessung von Lautheit und Tonhöhe lassen den Tinnitus hals-nasen-ohren-ärztlich
beschreiben:
Im Lautheitsvergleich muss der Patient die Lautstärke eines Tones so lange verstellen, bis
sie genau der Lautheit seines Tinnitus entspricht. In einem weiteren Test wird der Ton so
weit erhöht, bis er gerade das Tinnitusgeräusch verschluckt.
Dies nennt man den minimalen Maskierpegel.
Im Tonhöhenvergleich muss der Patient angeben, ob der eingespielte Vergleichston über
oder unter dem Ton des eigenen Ohrgeräusches liegt.Tonlage und Lautstärke können variieren. Die Angabe der Lautheit korreliert nicht mit dem subjektiven Beeinträchtigungsgefühl.
Tinnitus nimmt im Alter von über 40 Jahren an Häufigkeit zu. Bei Personen mittleren Alters
gibt es möglicherweise einen Häufungseffekt durch altersbedingte “Abnutzung” der Ohren,
etwa bei Personen, die ständigem Lärm ausgesetzt sind, als Nebenwirkung von regelmäßig
eingenommenen Medikamenten, durch Virusinfektionen.
Allgemeinbefinden und Beeinträchtigungsgefühl:
Wie aufdringlich die Geräusche wirken, hängt z.T. vom Umfang der Hintergrundgeräusche
ab. Je leiser die Umgebung, desto mehr tritt das Ohrgeräusch hervor.
Schlaflosigkeit verstärkt die subjektiven Beeinträchtigungsgefühle. Etwa ein Viertel der Tinnitusbetroffenen gibt an, dass sie nachts vom Tinnitus wach werden. Je lauter die Geräusche, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten.
Dabei ist zu beachten, dass der Schlaf auch durch eine depressive Entwicklung beeinträchtigt sein kann, die ihrerseits die Wahrnehmung und Verarbeitung des Tinnitus verändert.
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2. Ziele und therapeutisches Konzept
Zur Diagnostik des Tinnitus
Selbstbeurteilungsfragebögen dienen dazu, die Beziehung des Tinnitus im Sinne eines biopsycho-sozialen Modells auf den verschiedenen Verhaltensebenen beschreibbar zu
machen.
Tinnitus-Patienten leiden unter einer Reihe von Problemen:
den Ohrgeräuschen selbst, die für sie kaum oder überhaupt nicht kontrollierbar sind, und an die auch keine Gewöhnung eintritt; die Aufmerksamkeit ist
auf das Ohrgeräusch fokussiert
dem Gefühl von Bedrohung, Beschädigung
an Krankheitsbefürchtungen, die durch die ständige Aufmerksamkeitsauslenkung auf das Ohrgeräusch dauernd aktualisiert werden
dem Umgang mit vor allem komplexeren sozialen Situationen
dem Umgang mit Ruhesituationen (ohne externe Geräuschquellen)
an Zukunftsängsten (z.B. berufsbezogen)
an Depressivität, Resignation, Gereiztheit mit entsprechenden sozialen
Konsequenzen usw.
Leitlinien bei der Entwicklung des therapeutischen Vorgehens sind:
bessere Bewältigung des chronischen Tinnitus durch ein multidimensionales Trainings- und Bearbeitungsprogramm4
stimmige Einfügbarkeit in den Kontext eines tiefenpsychologisch ausgerichteten,
psychosomatischen stationären Rehabilitationskonzepts
realistischer zeitlicher Rahmen (4-6 Wochen Aufenthalt der Patienten); halboffene Gruppe ohne fixes Ablaufprogramm, aber mit vorgegebenen inhaltlichen Bausteinen/Elementen der Therapie. (Wir haben uns nach einigen Erfahrungen mit verschiedenen Modellen entschlossen, unseren Patienten die
“halboffene“ Gruppe anzubieten, weil sich geschlossene Gruppen organisatorisch sehr schlecht in den sonstigen Rahmen einfügen lassen und dies für viele
Patienten dann eine zusätzliche Belastung ist.)
Unabhängig von der Frage, wieweit psychisches Geschehen die Entstehung des Tinnitus im
Einzelfall mit verursachen, unterhalten oder verstärken mag, wird nicht davon ausgegangen,
4
mit den Dimensionen „Bearbeitung der psychisch-geistig-sozialen Situation“, „Entspannung“, „Aufmerksamkeitssteuerung“ und
„Information“ – abgesehen von Aspekten wie Einbeziehung des HNO-Arztes oder Hörgeräteakustikers (Anpassung eines Noisers in
Einzelfällen)
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dass durch das Programm die Ohrgeräusche selbst beseitigt werden. Die therapeutischen
Ansatzpunkte sind teils oben schon genannt; die wesentlichen sind:
Die meisten Tinnitus-Patienten erleben das Ohrgeräusch im Vordergrund ihrer
Wahrnehmung und haben das Gefühl, sich dagegen kaum wehren zu können;
es handelt sich um Gefühle der Hilflosigkeit und die Überzeugung, das Ausmaß,
in dem sie durch das Ohrgeräusch belästigt sind, nicht beeinflussen zu können.
Die therapeutische Zielsetzung muss daher sein, Gefühle der Hilflosigkeit
zu überwinden und die Überzeugung, seine Situation mehr beeinflussen zu
können, zu verbessern.
Damit einher geht ein Erleben, überhaupt in seiner Lebensführung fundamental und durchgehend beeinträchtigt zu sein, am Leben bzw. vielen eigentlich
relevanten Facetten des Lebens (z.B. geselliges Zusammensein mit mehreren
Personen) nicht mehr teilnehmen zu können. Der Tinnitus erhält eine sehr zentrale und globale negative Bedeutung. Ziel muss es daher sein, diese globale,
zentrale und teils überwältigend negative Bedeutung (oder „Bewertung“) des
Tinnitus aufzulockern, also zu besserer (kognitiv-emotionaler) Differenzierung und zu einer Dezentralisierung zu gelangen.
Es fällt den meisten Patienten mit chronischem Tinnitus sehr schwer, innerlich
Distanz zum Ohrgeräusch aufzunehmen. Die Aufmerksamkeit ist bei dem
Geräusch, geht immer wieder dahin. Das Geräusch wird als penetrant und aufdringlich erlebt. Es fehlt weitgehend die Möglichkeit, sich innerlich gelassener
dazu zu verhalten. Das ist der Grund, warum das Erlernen eines Entspannungsverfahrens so wichtig ist. Hierbei gezielt Hilfestellung zu geben ist auch
umso relevanter, da es paradoxerweise für diese Patienten besonders wichtig
wäre, sich entspannen zu können, gerade dann aber der Tinnitus oft bedrängender erlebt wird, wenn sie versuchen, zur Ruhe zu kommen und äußere Stille herrscht. Durch verbesserte Entspannungsfähigkeiten kann auch dem Tinnitus
als „Stressor“ ein Stück Gewicht genommen werden.
Bei allen hier genannten Punkten spielen Aufmerksamkeit und Gewöhnung eine wichtige Rolle. Gewöhnung findet trotz der dauerhaften Wirksamkeit des Ohrgeräuschs nur sehr begrenzt oder nicht statt, die Aufmerksamkeit
kommt immer wieder zum Ohrgeräusch zurück; es tritt nicht oder zu selten in
den Hintergrund. Daraus ergibt sich für die Therapie die Notwendigkeit, die
Aufmerksamkeitssteuerung zu trainieren, und damit auch dem Patienten ein
Gefühl dafür zu geben, dass er die Aufmerksamkeit selbst wenden und richten
kann. Die Aspekte Entspannung (und innere Distanzierung) und Aufmerksamkeitssteuerung sind wichtige Hebel, um das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein,
zu vermindern und die Überzeugung zu verbessern, dass man das Ausmaß, in
dem man unter den Ohrgeräuschen leiden muss, selbst mit beeinflussen kann
(s.o.). Auch ein Wahrnehmungsspaziergang dient dazu, die Wahrnehmung über
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alle Sinneskanäle zu üben. Die selektive Aufmerksamkeit für Wahrnehmungen
aus der Natur zu schärfen hilft dazu, sich vom Tinnitus innerlich zu distanzieren.
Viele Tinnitus-Patienten berichten, dass „Stress-Situationen“ (z.B. Leistungsdruck
am Arbeitsplatz; Konflikte mit Vorgesetzten oder in der Familie) die Ohrgeräusche stärker werden lassen. In solchen Fällen ist eine Bearbeitung der
„Stress-Situationen“ notwendig und die Frage anzugehen, wie diese Situationen besser bewältigt werden können. Dabei spielt auch die Fähigkeit, sich
wirksam entspannen zu können, eine wichtige Rolle.
In manchen Fällen erspart das Ohrgeräusch es einem Betroffenen, sich unangenehmen, anstrengenden, konfliktuösen Situationen stellen zu müssen. Zum
Beispiel kann es unbewusst „helfen“, sich abzugrenzen, ohne dass man sich
direkt mit denen, die Forderungen stellen oder Erwartungen an einen richten,
auseinandersetzen muss5. Letztlich geht es dabei um Krankheitsgewinn.
Gegen eine „Aufdeckung“ dieser Dynamik mobilisiert sich leicht „Widerstand“,
dennoch ist eine Analyse solcher Vorgänge wichtig, denn diese Art der Gratifikation wirkt sich natürlich stabilisierend auf die Symptomatik aus. Es muss daher
in der Therapie nach Wegen gesucht werden, die gleichen Effekte auf andere
Weise zu erzielen, z.B. durch eine verbesserte verbale Kommunikation mit den
Interaktionspartnern des Alltags.
Dies ist keine vollständige Liste relevanter Faktoren, sie führt aber zu zentralen Aufgaben,
die durch ein therapeutisches Programm zur Tinnitus-Bewältigung anzugehen sind6. Sie
bestehen damit teils aus Trainings- und Lern-Elementen (Entspannung, Aufmerksamkeitssteuerung), teils wird an der Aufdeckung unbewusster oder vorbewusster Prozesse gearbeitet, bevor – auf der Basis solcher Einsichten – alternative Bewältigungsmechanismen
entwickelt werden können.
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Beispiel: Man kann wegen des Tinnitus seine Frau nicht zu einem Treffen mit deren Familie begleiten.
Natürlich kommen u.a. diagnostische und Behandlungsmaßnahmen durch HNO-Arzt und evtl. Hörgeräteakustiker hinzu sowie
Information über das Krankheitsbild. Vgl. hierzu das Konzept der Tinnitusretrainingtherapie, siehe z.B. Biesinger, E. & Heiden, C.,
Dt. Ärztebl. 1999; 96; A-2817-2825 (Heft 44).
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3. Zum Verhältnis zwischen
tiefenpsychologischer Vorgehensweise
und „Psychologischem Bewältigungstraining“
Die therapeutischen Gruppensituationen sollen einerseits die Aufdeckung der genannten
unbewussten Mechanismen, auch anhand der Analyse der Übertragungs-Gegenübertragungsprozesse (sich-nicht-ernst-genommen fühlen; unzumutbare Erwartungen des Therapeuten, einen anderen Standpunkt einzunehmen usw.), ermöglichen; andererseits ist es
wegen der Begrenztheit der Zeit notwendig, immer wieder einen Focus zu setzen, der einmal die Auslösesituation für eine Verschlechterung des Ohrgeräuschs sein kann, ein andermal die Frage des Krankheitsgewinns oder die eintretende Verallgemeinerung der negativen Bedeutungen, die mit dem Ohrgeräusch verbunden sind. Vom therapeutischen
Vorgehen her leisten wir einerseits eine Kombination von Trainings- und Übungsschritten,
andererseits ein aufdeckendes Vorgehen mit Fokussierungen Tinnitus-relevanter Momente
(nötig ist also – neben dem „Üben und Trainieren“ – ein zwischen themenzentriertem und
tiefenpsychologisch orientiertem Vorgehen wechselndes Therapeutenverhalten).
Die im Programm selbst aufgeführten Themen sollen während der Gruppenarbeit auch
tatsächlich so weit als möglich aufgegriffen werden. Es bleibt aber den Therapeuten überlassen, die Reihenfolge zu steuern und bei bestimmten Themen länger oder kürzer zu verweilen, so wie das jeweils für die gegebene Gruppenzusammensetzung am sinnvollsten
erscheint. Es hat andererseits wenig Zweck, z.B. Widerstände bei einem bestimmten
Thema zu ignorieren und bei der nächsten verbalen Gruppensituation einfach mit dem
nächsten Programmpunkt weiter zu machen, wie das in manchen Tinnitus- BewältigungsProgrammen vorgesehen wird. Von tiefenpsychologischer Warte aus ist nicht davon auszugehen, dass ohne Bearbeitung des Widerstandes und ohne eine gewisse Einsicht beim
Patienten einfach ein nächster Schritt „gelernt“ werden kann.
Dieser Ansatz geht weit über die Tinnitus-Retraining- Therapie (TRT) hinaus. Unter der
TRT wird ein Vorgehen auf vier Ebenen verstanden. Die Wahrnehmung des Tinnitus soll
wieder verlernt werden. Dazu dient eine Beratung (Counseling), psychologische Betreuung, das Erlernen eines Entspannungstrainings und die Geräteversorgung mit einem „Masker“.
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Gruppentherapeutisches Vorgehen
Äußerer Rahmen:
16 Sitzungen à 50 Minuten = 3 pro Woche
Halboffene Gruppe
Gruppenraum mit z.B. Beamer, Overheadprojektor, Geräuschquelle
(u. a. Wecker) und Kassettenrecorder und CD-Player
Verfügbarkeit von Nebenräumen zu Kleingruppenbesprechungen
Für Aufmerksamkeitssteuerungstraining geht die Gruppe bei Bedarf auch aus
der Klinik ins Freie, z. B. auf die Promenade, in die Tiefgarage, an den
Waldrand.
Lenkung der Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsbeeinflussung
Eine Beeinträchtigung durch den Tinnitus kann in Teilen als eine Störung der Aufmerksamkeitsrichtung angesehen werden.
Ein Tinnitusgeräusch sollte zu der Kategorie der langweiligen, wiederkehrenden Ereignisse,
die ohne Bedeutung sind, gehören. Normalerweise zieht sich Tinnitus in den Hintergrund
des Bewusstseins zurück. Nur wenn er lauter als gewöhnlich wird, wie in Stresssituationen,
bei Müdigkeit oder in sehr stiller Umgebung, gelangt er wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. Es ist gerade so, als ob der Tinnitus noch ankündigen will: “Ich bin noch da.”
Bisher gesunde und zufriedene Menschen haben oft die größten Schwierigkeiten, mit den
emotionalen Auswirkungen des Tinnitus zurechtzukommen. Auch das Alter spielt eine
wichtige Rolle. Ein älterer Mensch wird eine gesundheitliche Einschränkung für normal halten und dankbar dafür sein, dass es nichts “Ernsteres” ist.
Daraus lassen sich die folgenden Grundsätze für den Umgang mit dem Tinnitus ableiten:
1. Es ist ein Irrtum, wenn alle Probleme dem Tinnitus angelastet werden.
2. Der Tinnitus mag unbeeinflussbar sein, die Reaktionen auf den Tinnitus und
auch andere Stressursachen lassen sich aber beeinflussen.
3. Befürchtungen und Sorgen hinsichtlich des Tinnitus sollten durch ein ärztliches
Beratungsgespräch relativiert werden.
4. Tinnitus ist kein Hauptproblem.
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Diese Einstellungsänderung kann durch verschiedene Vorgehensweisen erreicht werden
1. Kognitive Umstrukturierung zu
der Überprüfung der Grundeinstellung
den selbsterfüllenden Prophezeiungen
dem Wunsch nach Kontrolle um jeden Preis
dem katastrophisierenden Denken
dem Schwarz-Weiß-Denken
2. Entspannungsübungen
Jacobson-Training
Biofeedback (EMG, Haut)
3.Veränderung des Wahrnehmungsvermögens
Veränderung der Geräuschwahrnehmung: Einbetten der Geräusche in eine Vorstellung, z.B. Uhrwerk, den Ton an- und abschwellen lassen
Vorstellungen zum äußerlichen Tinnitus nicht mehr “im Kopf ” oder “in den
Ohren”, sondern externalisieren, etwa als Geräusch eines Zuges oder eines
Flugzeuges, gekoppelt mit den Vorstellungen an eine Urlaubsreise
Vorstellungen entrücken, indem zwischen dem Geräusch und dem Patienten
eine räumliche Entfernung hergestellt wird.Vorstellungen dazu können sein ein
Geräusch im Nebel oder das Geräusch als Aufzug, mit dem man abwärts fährt
und sich von der Geräuschquelle entfernt.
Auflösende Vorstellungen: Das Geräusch entsteht durch das Entweichen von
Gas aus einem Zylinder, wenn das Ventil langsam zugedreht wird, hört das
Geräusch des strömenden Gases auf.
4. Behandlung der Schlafstörungen
Die Behandlung von Schlafstörungen erfolgt in unserer Klinik durch einen speziellen Arztvortrag, der sich schwerpunktmäßig mit den Problemen schlafgestörter Patienten befasst
und in dem den Patienten die wichtigsten Regeln zur Schlafhygiene vermittelt werden.
5. Bei Bedarf wird ein Hals-Nasen-Ohrenarzt konsiliarisch zugezogen. Die folgenden Hilfsmittel können angewendet werden:
Hörgeräte zur Tinnituskompensation “Maskierung”
Walkman
Tinnitus-Masker
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Leitlinie zur Behandlung von Tinnituspatienten:*
www. uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/hno_ll63.htm
Selbsthilfeorganisationen:
Deutsche Tinnitus-Liga, Erbschlöer Str. 22, 42369 Wuppertal
Tinnitus-Sprechstunden an den HNO-Abteilungen der Universitäten
Selbsthilfebücher:
Hallam, R.: Leben mit Tinnitus.Wie Ohrgeräusche erträglicher werden. Quintessenz-Verlag
1996.
Tönnies, S.: Leben mit Ohrgeräuschen. Ein Selbsthilfebuch. Asanger - Verlag 1991.
Literatur:
Beutel, M.(1988): Bewältigungsprozesse bei chronischen Erkrankungen. Basel.
Cramer, A. (2002): Grundlagen und Möglichkeiten der Musik- und Klangtherapie als
Behandlungsmaßnahme bei Tinnitus.Verlag Dohr, Köln
Goebel, G. (1997): Der Tinnitus aus medizinischer Sicht. In: Kröner-Herwig, B. (Hrsg.):
Psychologische Behandlung des chronischen Tinnitus. Weinheim.
Goebel, G. & Hiller, W.(1998):Tinnitus- Fragebogen (TF): Ein Instrument zur Erfassung von
Belastung und Schweregrad bei Tinnitus. Göttingen.
Kröner-Herwig,H.(1997): Psychologische Behandlung des chronischen Tinnitus. Weinheim.
Sopko, J. , Bauer (1996): H.H. HNO-Heilkunde. In: Uexküll,Th.v. (Hrsg.): Psychosomatische
Medizin, München, 1996.
Tenzer, E. (2001): Der Verlust der Stille, SZ 07/08-07-2001, 154
Zenner, H.P. (2001): Schwerhörigkeit und Tinnitus, Dt. Ä-Blatt, 98, 37, 2038
*
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