Augen-OP: "Die Hornhaut ist für eine Lasik nicht geeignet"

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Augen-OP: "Die Hornhaut ist für eine Lasik nicht geeignet"
Weg mit der Brille, vergesst Kontaktlinsen - im vergangenen Jahr haben sich in Deutschland fast
100.000 Menschen ihre Kurz- oder Weitsichtigkeit weglasern lassen. Doch die Risiken werden oft
verschwiegen. Augen-Physiologe Andreas Berke erklärt, welche Gefahren bei der Operation
lauern.
SPIEGEL ONLINE: Als Augen-Physiologe kennen Sie die biologischen Vorgänge in der Hornhaut des
Auges genau. Was bedeutet eine Lasik-Operation für das Auge?
AFP
Vorbereitung für eine Laser-Behandlung: "Wundheilungsprozesse mit Trübungen und Narben"
Berke: Bei einer Lasik-OP wird die Hornhaut scheibchenförmig eingeschnitten und dann hochgeklappt.
Dieses Scheibchen, das "Flap" genannt wird, wächst wahrscheinlich nie wieder richtig an. Anschließend
werden unter dem Flap Teile der Hornhaut weggelasert. Es entsteht eine große Wunde im Auge.
SPIEGEL ONLINE: Und was ist daran so schlimm?
Berke: Die Hornhaut ist im Laufe einer Millionen Jahre dauernden evolutionären Anpassung entstanden.
Damit sie schön klar und durchsichtig bleibt, arbeitet das Immunsystem dort in der Regel nur auf
Sparflamme - denn jeder Entzündungsprozess könnte zu einer Verschlechterung der optischen
Eigenschaften der Hornhaut führen. Doch durch die Wunde - die übrigens nicht nur bei einer Lasik,
sondern auch bei den anderen Augenlaser-Verfahren entsteht - wird das Immunsystem der Hornhaut
massiv aktiviert. Es kommt zu einer Entzündung und zu Wundheilungsprozessen mit Trübungen und
Narben in der Hornhaut. Das kann bei einem Teil der Patienten zum Beispiel zu Blendungseffekten
führen, die das Sehen bei Nacht auch dauerhaft verschlechtern können. Viele Operierte klagen zudem
über einen Kontrastverlust, der die Welt mitunter wie ein ausgeblichenes Foto aussehen lässt. Auch das
ist wahrscheinlich eine Folge der Wundheilung.
SPIEGEL ONLINE: Die Lasik-Internet-Foren sind voll von Leidensgeschichten über trockene Augen,
die bei einem Teil der Operierten - einige Studien sprechen von 20 Prozent und mehr - auch auf Dauer
bestehen bleiben. Wie kommt es dazu?
Berke: Das ist leicht zu erklären. Die Hornhaut ist stark mit Nervenfasern versorgt. Eine wichtige
Aufgabe dieser Nerven ist es, festzustellen, ob sich trockene Stellen auf der Hornhaut befinden. Über
einen komplizierten Reflexbogen, der bis ins Gehirn reicht, wird dann der Tränenfluss in Gang gesetzt.
Wenn bei der Lasik-OP durch das Einschneiden der Hornhaut der Reflexbogen gekappt wird, kriegt das
Gehirn gar nicht mehr mit, dass das Auge trocken ist und lässt deshalb viel zu wenig Tränenflüssigkeit
produzieren.
SPIEGEL ONLINE: Je nach ursprünglicher Fehlsichtigkeit brauchen zwischen drei und 50 Prozent der
Patienten selbst nach einer möglichen Nachoperation noch eine Brille. Und bei vielen kommt die
Fehlsichtigkeit auch nach Monaten oder Jahren wieder zurück. Woran liegt das?
Berke: Auch das hängt vor allem mit den Wundheilungsprozessen zusammen. Dadurch kann die
Krümmung der Hornhaut ansteigen und ihre Brechkraft wieder ändern.
SPIEGEL ONLINE: Die Deutsche Lufthansa meidet es, Pilotenschüler anzunehmen, die gelasert sind vor allem, weil sie die Langzeitfolgen einer Lasik für unkalkulierbar hält. Was sind die wichtigsten
Langzeitrisiken dieser OP?
Berke: Vor allem eine Aufweichung der Hornhaut, die sogenannte Keratektasie. Für die Betroffenen ist
das furchtbar, weil sich ihre Sehschärfe dann von Minute zu Minute ändert. Oft hilft nur noch eine
Hornhauttransplantation. Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit der Biomechanik der Hornhaut
beschäftigt und bin zu dem Ergebnis gekommen: Die Hornhaut ist unter biomechanischen
Gesichtspunkten für eine Operation wie die Lasik schlicht nicht geeignet.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Berke: Wie in einem Luftballon herrscht auch im Auge ständig ein gewisser Druck, der sogenannte
Augeninnendruck. Beim Luftballon muss die Gummihülle diese Spannung aushalten, beim Auge ist es
die Hornhaut - und zwar lebenslang. Wenn die Hornhaut durch eine Lasik-OP geschwächt wird, ist es für
mich unkalkulierbar, wie lange sie diesem Druck standhalten kann - oder ob es nicht doch, begünstigt
durch genetische Faktoren, irgendwann zu einer Aufweichung kommt. Die Spannung in der Hornhaut
bleibt nach einer Lasik-OP unverändert, sie muss aber, da Hornhautgewebe abgetragen worden ist, von
weniger Gewebe aufgefangen werden. Wenn sich jemand mit 20 Jahren operieren lässt, muss die
Hornhaut ja noch 60 oder 70 Jahre halten. Die Lasik-Technik gibt es aber erst seit 15 Jahren. Diejenigen
die ihre Kurzsichtigkeit vor der Erfindung der Lasik mit Einschnitten in die Hornhaut behandeln ließen,
bevölkern heute die Wartezimmer der Spezialisten, weil ihre durch die OP geschädigte Hornhaut dem
Druck nicht mehr standhalten kann.
SPIEGEL ONLINE: Zudem sehen wir im Alter ja ohnehin nicht mehr so gut.
Berke: Ja, vor allem auch das Kontrastsehen wird dann schlechter. Ob es nach einer Lasik, die ja
ebenfalls das Kontrastsehen beeinträchtigt, dann noch für ein selbstbestimmtes Leben reicht, weiß derzeit
niemand. Auch ein Linsenaustausch bei grauem Star wird schwieriger, weil man die Hornhaut dann nicht
mehr richtig vermessen kann. Und eine Lesebrille braucht man auch nach einer Lasik - Kurzsichtige oft
sogar früher als ohne Laser-OP.
SPIEGEL ONLINE: Allerdings wagen sich die Augenchirurgen jetzt auch zunehmend an die
Alterssichtigkeit. Entweder, indem sie ein Auge, das dann für die Nähe zuständig sein soll, leicht
kurzsichtig lasern. Oder indem sie eine sogenannte Multifokallinse mit mehreren Brennpunkten
implantieren. Damit sieht man mehrere Bilder in der Nähe und der Ferne gleichzeitig scharf, die
unerwünschten soll das Gehirn dann jeweils ausblenden.
Berke: Derzeit sind das noch alles Kompromisse. Wenn jemand wirklich anspruchsvolles Sehen, wozu
auch das Sehen beim Autofahren zählt, braucht, dann sollte er die Finger davon lassen. Es gibt bessere
Alternativen wie multifokale Kontaktlinsen, die man jederzeit absetzen kann, ohne dass es zu dauerhaften
Schäden am Auge kommt.
SPIEGEL ONLINE: Was ist der schlimmste Fall einer Lasik-Komplikation, den Sie bislang gesehen
haben?
Berke: Das war eine junge Frau Anfang 20, die vor der OP -2,5 Dioptrien kurzsichtig war. Neun Wochen
nach der OP war ihre Hornhaut so aufgeweicht und zerbeult, dass sie auf eine Hornhauttransplantation
wartete. Sie war dadurch schwer depressiv geworden und in psychiatrischer Behandlung.
Das Interview führte Veronika Hackenbroch
Sich seine Kurz- oder Weitsichtigkeit weglasern zu lassen ist verlockend - und für die Operateure ein
Riesengeschäft.
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