Anhang 58: Pythagoras am Tetraeder

Werbung
Anhang 58: Pythagoras am Tetraeder
Eine Unterrichtsreihe zur Aufgabenvariation
durchgeführt von StD Josef Molitor (Saarlouis)
Lerngruppe: Leistungskurs 12
Zeit: 2 Doppelstunden
Initialaufgabe (im Rahmen der Besprechung und Bewertung des Schwierigkeitsgrades saarländischer Abituraufgaben zur Vektorrechnung):
Die Schnittpunkte der Ebene e: 2x1 2x2 x3 + 5 = 0 mit den Koordinatenachsen bilden ein Dreieck. Berechnen Sie den Flächeninhalt dieses Dreiecks.
Lösung:
Nach Klärung des Lösungsverfahrens
a) Ermittlung der Schnittpunkte
b) Angabe zweier Vektoren, die das Dreieck aufspannen
c) Berechnung des Vektorprodukts dieser beiden Vektoren
d) Berechnung des Flächeninhalts
wurde die Aufgabe (von der überwiegenden Mehrheit der Kursteilnehmer) als
erledigt betrachtet. Auf eine Ausführung mit den gegebenen konkreten Zahlen
wurde verzichtet.
Variationsvorschlag eines Schülers:
Durchführung mit „allgemeinen“ Zahlen, d.h. Herleitung einer Formel (Strategie: Verallgemeinerung):
Die Schnittpunkte der Ebene e: a1x1 + a2x2 + a3x3
= 0,
0, mit den
Koordinatenachsen bilden ein Dreieck. Berechnen Sie den Flächeninhalt
dieses Dreiecks.
σ ≠ 0 wurde sofort vorausgesetzt: Die Ebene sollte nicht durch den Ursprung
verlaufen. Erst bei der Ermittlung der Spurpunkte wurden die zusätzlichen Voraussetzungen a1, a2, a3 ≠ 0 hinzugefügt: zunächst wegen „Division durch Null
geht nicht“, dann erst wegen ihrer geometrischen Entsprechung.
Die weitere Lösung der Aufgabe bereitete keine Probleme:
S1 = (
σ
| 0 | 0 ),
a1
S2 = ( 0 |
σ
a2
| 0 ) , S3 = ( 0 | 0 |
σ
)
a3
247
S1S2
=
 σ
− 
 a1 
 σ  ,SS
 a2  1 3
 0 




 σ2 


 σ
 a2a3 
− 
 σ2 
 a1 
=  0  , S1S2 × S1S3 = 

a
a
σ
3
1




2
 a 
 σ 
 3 


 a 1a 2 
σ4
A = ½ S1S2 × S1S3 = ½
a 2 2 a 32
+
σ4
a 3 2 a 12
+
σ4
a 12 a 2 2
Die Aufforderung, das Ergebnis in Einzelarbeit „kosmetisch zu überarbeiten“,
lieferte (erst nach dem Hinweis, die Brüche unter der Wurzel zusammenzufassen):
σ2
A=
2 a 1a 2 a 3
a1 + a 2 + a 3
2
2
2
σ2
=
2 a 1a 2 a 3
 a1 
 
⋅ a2 
 
 a3
 a1 
 
Die Schüler erkannten: a =  a 2  ist ein Normalenvektor von e, a jedoch nicht
 
 a3
die Höhe h des Tetraeders S1S2S3O, das an dieser Stelle erstmals von ihnen erwähnt wurde. Ihre Berechnung mittels der HNF von e veranlaßte sie nun, die
σ
Eingangsvoraussetzung σ ≠ 0 zu σ > 0 abzuändern. Ergebnis: h =
.
a
Die Aufforderung, a 1a 2 a 3
σ3
zu interpretieren, lieferte zunächst:
ist das
a 1a 2 a 3
Volumen des von OS1 , OS2 und OS3 aufgespannten Quaders. Mit ein wenig
σ3
Unterstützung („Es geht um das Tetraeder.“) wurde das Volumen
des
6 a 1a 2 a 3
Tetraeders S1S2S3O erkannt und die gefundene Formel für A durch Erweitern
3V
mit 3σ zu A =
. Dieser Umweg zu einem bekannten Ergebnis brachte die
h
Schüler sofort auf eine
Lösungsvariante:
248
Da Volumen und Höhe (mittels der HNF von e) des Tetraeders schnell und
einfach berechnet werden können, kann seine Grundfläche dann sofort mit
3V
A=
berechnet werden.
h
Diese alternative Lösungsstrategie hatte zu Beginn niemand vorgeschlagen und
man war einstimmig der Auffassung, daß man „darauf nicht gekommen wäre“,
wenn man die Initialaufgabe nur mit konkreten Zahlen gelöst hätte. Die Nachfrage, ob es einen speziellen Grund gebe, warum sich hier die zweite Lösungsvariante anbietet, führte zum Begriff des „rechtwinkligen Tetraeders“. Den
Schülern fiel auf, daß bei ihm nicht nur drei von einer Ecke ausgehende Kanten
paarweise orthogonal sind, sondern auch die von ihnen aufgespannten Seiten(flächen).
Gewissermaßen als Zusatz wurden nun noch die Flächeninhalte der übrigen Tetraederseiten berechnet.
Bezeichnet Ai den Flächeninhalt der der Ecke Si gegenüberliegenden Seite, so ist
σ2
σ2
σ2
A1 =
, A2 =
, A3 =
.
2 a2a3
2 a 3a 1
2 a 1a 2
Ein Vergleich mit der Formel für A lieferte sofort: A2 = A12 + A22 + A32 . Die
Aufforderung, die Formel in Worte zu fassen, brachte dann als
Unterrichtsergebnis:
Der Satz von Pythagoras läßt sich wörtlich vom rechtwinkligen Dreieck auf
das rechtwinklige Tetraeder übertragen, wenn man dort die rechten Winkel einschließenden Seiten als Katheten und die ihm gegenüberliegende Seite als Hypotenuse bezeichnet.
Zu Beginn waren weder dieses Ergebnis noch der dahin führende Unterrichtsverlauf von mir geplant. Erst ab der Nachfrage nach dem Grund für die einfache
Lösungsvariante habe ich die Verallgemeinerung des Satzes von Pythagoras
„trichterförmig“ angesteuert und die Schüler anschließend aufgefordert, weitere
Aufgaben (Probleme) vorzuschlagen. Dies führte zu folgenden Fragen1 :
(1) Gilt auch der Kehrsatz des Satzes von Pythagoras für Tetraeder?
(2) Kann man auch den Katheten- und den Höhensatz auf das Tetraeder übertragen?
(3) Kann man auch die Verallgemeinerung des Satzes von Pythagoras, den Kosinussatz, auf das Tetraeder übertragen?
1
Natürlich war die erste Anschlußfrage von mir. Vielleicht ist den meisten Schülern hier
erstmals bewußt geworden, was mit dem Kehrsatz gemeint ist, obwohl die Problematik schon
vorher im Unterricht angesprochen worden war.
249
Wie könnte (müßte) eine entsprechende Formel beim Tetraeder aussehen?
Sie wurden in den nächsten Unterrichtsstunden und im Rahmen arbeitsteiliger
Hausaufgaben untersucht.
Ergebnis der ersten Hausaufgaben und der Besprechung:
zu (1): Die Mehrheit der Schüler vermutete, daß der Kehrsatz nicht gilt. Einige
konnten angeben, daß ein Gegenbeispiel zum Beweis genügt, sahen aber dessen
Konstruktion als aussichtslos an.
Die Minderheit hatte zunächst keine Beweisidee für ihre Hypothese außer, daß
von einem beliebigen Tetraeder auszugehen sei. Daraus ergab sich nach kurzer
Diskussion, daß ein solches von drei linear unabhängigen Vektoren a , b , c aufgespannt wird (s. Zeichnung) und zu zeigen wäre:
2
2
2
2
1

1

1

1

 (( c − a ) × ( b − a )) =  (a × b) +  ( b × c) +  ( c × a ) ⇒ a ⋅ b = b ⋅ c = c ⋅ a = 0
2

2

2

2

bzw. vereinfacht
((c − a) × ( b − a))2 = (a × b)2 + (b × c)2 + (c × a)2 ⇒ a ⋅ b = b ⋅ c = c ⋅ a = 0 .
zu (2): Keine Lösung außer der einmütigen Vorstellung, daß unter der Höhe des
rechtwinkligen Tetraeders die Länge des Lotes von der Spitze auf die „Hypotenuse“, also der Abstand des Ursprungs von der Ebene zu verstehen sei.
σ
σ2
2
Dessen Quadrat war bereits bekannt: h = ⇒ h = 2
.
a
a 1 + a 2 2 + a 33
Vorliegende Skizzen, z.B. die folgende, veranlaßten nun die Schüler, den Lotfußpunkt H zu berechnen:
250


a 1σ
a 2σ
a 3σ
.
H=  2
;
;
2
2
2
2
2
2
2
2
 a1 + a 2 + a 3 a1 + a 2 + a 3 a1 + a 2 + a 3 
Die Vermutung, daß H auch der Höhenschnittpunkt des Dreiecks S1S2S3 sei,
wurde durch den Nachweis S3H ⊥ S1S2 , S1H ⊥ S2S3 verifiziert.
Nachdem im Rahmen der Hausaufgaben keine Kandidaten für „Hypotenusenabschnitte“ gefunden worden waren, genügte nun das Einzeichnen der Höhen des
Dreiecks S1S2S3 und ein kleiner Impuls: Sinnvolle Entsprechungen am Tetraeder
sind die Dreiecke S1S2H, S2S3H, S3S1H .
zu (3): Aufgrund der Erörterungen zu (1), weniger als Ergebnis häuslicher
Überlegungen erkannte ein Schüler, daß man nur den Term
(
(
))
2
(
(
))
2
1

 (c − a ) × b − a  ausrechnen muß. Einzelarbeit lieferte zunächst:
2

1
 (c − a ) × b − a
2
1
=
4
=



=
((
)
(
1
c × b − (c × a ) − a × b
4
))
2
((b × c) + (c × a) + (a × b))
2
1
 (a × b)2 + (b × c)2 + (c × a ) 2 + 2(a × b)(b × c ) + 2(c × a )(a × b) + 2(b × c)(c × a )

4
Ausmultiplizieren, passende Verteilung des Faktors
1
auf die Vektorprodukte
4
und Umschreiben der Skalarprodukte ergab im folgenden Unterrichtsgespräch:
~
~ + 2A A ⋅ cos β
A2 = A12 + A22 + A32 + 2A1A2 ⋅ cos ~
γ + 2A2A3 ⋅ cos α
.
3 1
Es störten noch die Pluszeichen bei den letzten drei Summanden und die in die251
ser Unterrichts(doppel)stunde nicht mehr geklärte Zuordnung der Winkel.
Dies und die Fortsetzung der Arbeit an den ersten beiden Problemen wurde als
Hausaufgabe gestellt.
Ergebnis der zweiten Hausaufgaben und der Besprechung:
zu (3): Das Problem war fast vollständig gelöst. Durch Vertauschung je zweier
Faktoren in den Vektorprodukten waren die erwünschten Minuszeichen erzeugt
worden. Eine kurze Diskussion bezüglich der Zuordnung der Winkel ergab
dann:
A2 = A12 + A22 + A32 − 2A1A2 ⋅ cosγ − 2A2A3 ⋅ cosα − 2A3A1 ⋅ cosβ .
Dabei sind α, β, γ die Innenwinkel zwischen den Tetraederseiten an den Kanten
OS1, OS2 bzw. OS3 .
Damit war die räumliche Entsprechung des Kosinussatzes gefunden:
In einem Tetraeder ist das Quadrat der Maßzahl einer Seite gleich der
Summe der Quadrate der Maßzahlen der übrigen Seiten vermindert um
das Doppelte der Summe der Produkte aus den Maßzahlen zweier gegenüberliegender Seiten und dem Kosinus des von ihnen eingeschlossenen
Winkels.
zu (1): Die Vermutung, daß der Kehrsatz des Satzes von Pythagoras beim Tetraeder nicht gilt, war damit schon fast bestätigt. Während beim Dreieck der Kosinus des Winkels zwischen zwei Seiten verschwinden muß, damit die Summe
der Quadrate der Maßzahlen dieser Seiten gleich dem Quadrat der Maßzahl der
gegenüberliegenden Seite ist, muß beim Tetraeder
A1A2 ⋅ cosγ + A2A3 ⋅ cosα + A3A1 ⋅ cosβ = 0
sein, damit A2 = A12 + A22 + A32 ist.
Offenbar (?) müssen dazu nicht alle drei Kosinuswerte verschwinden.
Ein Gegenbeispiel war damit aber immer noch nicht gefunden. Mir war zwar
eines bekannt1, aber nicht mehr, wie und warum ich es konstruiert hatte. Also
regte ich an, allen Mut zusammenzunehmen, drei beliebige linear unabhängige
Vektoren a , b , c , die nicht aufeinander senkrecht stehen, aufzuschreiben und zu
überprüfen, ob sie die Gleichung
(*)
2
((c − a) × (b − a)) = (a × b)2 + (b × c)2 + (c × a)2
erfüllen.
1
Molitor,J.: Vektorrechnung und analytische Geometrie - Saarbrücken: Softfrutti-Verlag
1995, S. A 2-23
252
 1
 1
 1
 
 
 
Nachdem wir uns auf a =  0 , b =  1 , c =  0 geeinigt hatten, war doch je 
 
 
 0
 0
 1
dermann klar, daß die Wahrscheinlichkeit, daß dies ein Gegenbeispiel sei, praktisch Null ist. (So viel Glück hat nicht einmal der Mutige!)
Da „Parameteraufgaben“ hinreichend bekannt sind, wurde beschlossen, einen
Parameter einzuführen, in der Hoffnung, ihn so bestimmen zu können, daß die
Gleichung (*) erfüllt wird.
 t
 1
 1
 
 
 
a =  0 , t ≠ 0, b =  1 , c =  0 lieferte
 
 
 
 0
 0
 1
 0
 1
 0
 −1
 
 
 


a × b =  0 , b × c =  − 1 , c × a =  t  , (c − a ) × b − a =  1 − t
 
 
 


 t
 − 1
 0
 1 − t
(
)
.
(*) wäre genau dann erfüllt, wenn 1 + 2(1−t)2 = 2t2 + 3 wäre.
Die einzige Lösung dieser Gleichung ist indessen t = 0, womit aber a , b , c linear
abhängig wären und kein Tetraeder aufspannen würden. Pech gehabt.
Immerhin hatte das Verfahren im Prinzip funktioniert. Man müßte bloß ein wenig an den Koordinaten der Ausgangsvektoren „wackeln“ (wir variieren wieder!). Die Änderung eines einzigen Vorzeichens
 t
 1
 − 1
 
 
 
a =  0 , t ≠ 0, b =  1 , c =  0  ergab
 
 
 
 0
 0
 1
 0
 1
 0
 −1 
 
 
 


a × b =  0 , b × c =  − 1 , c × a =  t  , (c − a ) × b − a =  1 − t 
 
 
 


 t
 1
 0
 − 1 − t
(
)
.
Nun ist (*) genau dann erfüllt, wenn 1 + (1−t)2 + (1+t)2 = 2t2 + 3 ist. Dies trifft
aber für alle t zu und damit waren auf einen Schlag unendlich viele Gegenbeispiele gefunden. Da eines genügte, entschieden wir uns für
 1
 1
 − 1
 
 
 
a =  0 , b =  1 , c =  0  ,
 
 
 
 0
 0
 1
womit auch (1) entschieden war.
253
zu (2): Der Kathetensatz für rechtwinklige Tetraeder wurde nur als Vermutung
formuliert:
In einem rechtwinkligen Tetraeder ist das Quadrat der Maßzahl einer der
die rechten Winkel einschließenden Seite („Kathete“) gleich dem Produkt
der Maßzahlen der „Hypotenuse“ S1S2S3 und des „anliegenden Hypotenusenabschnitts“ S1S2H bzw. S2S3H bzw. S3S1H.
Auf einen Beweis (s. das o.a. Skript, S. A2-24) mußte aus Zeitgründen verzichtet werden.
Zum Höhensatz wurde festgestellt, daß allein aus Dimensionsgründen h2 sicher
nicht mit dem Produkt der Maßzahlen der „Hypotenusenabschnitte“ S1S2H,
S2S3H und S3S1H übereinstimmen kann.
Meine die Unterrichtseinheit abschließende, zunächst verwirrende Frage nach
einer Beziehung zwischen den Höhen des rechtwinkligen Dreiecks führte die
Schüler (mit etwas Hilfestellung, insbesondere bei der Formulierung) zu einem
Korrolar des Höhensatzes:
In einem rechtwinkligen Dreieck ist der Kehrwert des Quadrates über der
Höhe auf der Hypotenuse gleich der Summe der Kehrwerte der Quadrate
über den anderen Höhen.
Eine Kontrolle anhand bereits vorliegender Ergebnisse zeigte sofort, daß der
Höhensatz in dieser Form wortwörtlich auch für das Tetraeder gilt.
254
This document was created with Win2PDF available at http://www.daneprairie.com.
The unregistered version of Win2PDF is for evaluation or non-commercial use only.
Herunterladen