Das Projekt „Nationale Strafverfolgung völkerrecht

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Max-Planck-Institut für
ausländisches und internationales Strafrecht
Helmut Kreicker
Projekt
„Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen“
Das Projekt „Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen“
I.
Ausgangssituation
1.
Zum Charakter völkerrechtlicher Verbrechen und zu den Möglichkeiten ihrer Ahndung
Die Entwicklung des Völkerrechts im 20. Jahrhundert war gekennzeichnet durch die Anerkennung des einzelnen Menschen als Völkerrechtssubjekt, und zwar als
• Träger völkerrechtlicher Rechte: Der Einzelmensch ist Träger völkerrechtlicher Menschenrechte
• Träger völkerrechtlicher Pflichten: Bestimmte Verbote des Völkerrechts sind unmittelbar
an den Einzelmenschen adressiert. Diese Verbote sind bereits auf völkerrechtlicher Ebene strafbewehrt. Der einzelne Mensch kann sich also unmittelbar nach Völker(gewohnheits)recht strafbar machen.
„Völkerrechtliche Verbrechen“ beziehungsweise „Völkerstraftaten“ sind:
•
•
•
•
Kriegsverbrechen: Diese waren schon vor dem Zweiten Weltkrieg weithin anerkannt
Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Diese wurden im Anschluß an die Nürnberger
Prozesse anerkannt
Völkermord: Dieser Tatbestand wurde als „Teilmenge“ der Verbrechen gegen die
Menschlichkeit ebenfalls im Anschluß an die Nürnberger Prozesse anerkannt
Verbrechen der Aggression: Dieser Tatbestand ist nach wie vor nicht sicher anerkannt.
Diese Taten auf völkerrechtlicher Ebene strafbewehrt, da sie „den Frieden, die Sicherheit
und das Wohl der Welt bedrohen“ und „die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“ (Präambel des Römischen Statuts).
Wer aber kann nun diesen Strafanspruch der Völkergemeinschaft durchsetzen? Wer kann in
Anwendung der Völkerstraftatbestände Strafen verhängen?
Es existieren zwei Modelle der Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen:
•
„direct enforcement model“: Die Strafverfolgung erfolgt durch internationale Gerichte,
also durch auf der Ebene des Völkerrechts errichtete Gerichte. Dabei kann man wiederum differenzieren nach dem Charakter der Gerichte:
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- Das Jugoslawien-Tribunal und das Ruandatribunal sind Hilfsorgane des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen.
- Der Internationale Strafgerichtshof, der durch das Römische Statut von 1998 gegründet
wurde und im letzten Jahr seine Arbeit aufgenommen hat, ist eine selbstständige
internationale Organisation.
•
2.
indirect enforcement model: Einzelne Staaten übernehmen die Strafverfolgung gewissermaßen stellvertretend für die Völkergemeinschaft.
Zur Pflicht der Staaten zu einer nationalen Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen
Das Römische Statut enthält keine direkte Verpflichtung der Staaten, eine nationale Strafgewalt über völkerrechtliche Verbrechen zu begründen und auszuüben. Doch liegt der Gesamtkonzeption des Statuts die Vorstellung zugrunde, daß die Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen primär Aufgabe der einzelnen Staaten ist. Der IStGH soll nur dann tätig
werden, wenn – aus rechtlichen oder politischen Gründen – eine Ahndung von Völkerstraftaten durch Gerichte einzelner Staaten unterbleibt. So heißt es in Absatz 10 der Präambel und
in Art. 1 des Römischen Statuts, daß der Internationale Strafgerichtshof „die innerstaatliche
Strafgerichtsbarkeit ergänzt“. Die Primärzuständigkeit nationaler Gerichte manifestiert sich
im Prinzip der Komplementarität: Nach Art. 17 des Römischen Statuts ist eine Strafverfolgung durch den IStGH nur dann zulässig, wenn und soweit eine effektive Strafverfolgung auf
nationaler Ebene an rechtlichen oder faktischen Hindernissen scheitert.
Auch wenn ein Ausbleiben einer nationalen Strafverfolgung nach dem Römischen Statut
lediglich zur Folge hat, daß ein Strafverfahren vor dem IStGH zulässig wird, so liegt es
gleichwohl im eigenen Interesse der einzelnen Staaten, zu einer Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen zumindest in gleichem Umfang wie der IStGH in der Lage zu sein. Damit
wird nicht nur der Idee einer primären Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen durch nationale
Gerichte, sondern auch nationalen Souveränitätsinteressen Rechnung getragen.
Allerdings geht das Römische Statut in Absatz 6 seiner Präambel davon aus, daß die Staaten durch das sonstige Völker(gewohnheits-)recht zu einer Strafverfolgung völkerrechtlicher
Verbrechen verpflichtet sind. Tatsächlich ergeben sich denn auch Verpflichtungen zu einer
nationalen Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen aus anderen völkerrechtlichen Verträgen, wie den Genfer Abkommen, der Völkermordkonvention und der UN-Folterkonvention,
die für die große Mehrzahl der Staaten als völkerrechtlicher Vertrag bindend sind. Die Genfer
Abkommen von 1949 und das Erste Zusatzprotokoll von 1977 verpflichten zumindest den
Tatortstaat beziehungsweise den Staat, in dem sich ein Beschuldigter aufhält, die in den
Abkommen genannten schweren Kriegsverbrechen, soweit sie in einem internationalen bewaffneten Konflikt begangen worden sind, strafrechtlich zu ahnden. Die Völkermordkonvention von 1948 legt dem jeweiligen Tatortstaat die Pflicht auf, Genozidtaten zu ahnden.
Zunehmend gewinnt auch die Auffassung völkergewohnheitsrechtlicher Verfolgungspflichten
an Boden. Für die Annahme einer völkergewohnheitsrechtlichen Verfolgungspflicht – die sich
auch auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und auf Kriegsverbrechen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten erstreckt – läßt sich ins Feld führen, daß Absatz 6 der
Präambel des Römischen Statuts eine solche Pflicht impliziert und die Staaten, die das Statut ratifiziert haben, durch ihre Ratifikation und damit durch einen Akt der Staatenpraxis auch
ihre Anerkennung der in Absatz 6 angesprochenen Verfolgungspflichten zum Ausdruck ge-
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bracht haben, mithin der Nachweis einer sich in der Staatenpraxis manifestierenden Rechtsüberzeugung der Staaten als erbracht angesehen werden kann.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, daß die einzelnen Staaten zu einer nationalen
Strafverfolgung zumindest bestimmter völkerrechtlicher Verbrechen verpflichtet sind und im
übrigen eine solche durch das Römische Statut generell gewünscht wird und wegen des
Prinzips der Komplementarität auch im Interesse der einzelnen Staaten ist.
II.
Forschungsgegenstand und Ziel des Projekts
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist Forschungsgegenstand des rechtsvergleichenden Projekts, das am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht durchgeführt wird, wie und in welcher Weise die Strafrechtsordnungen verschiedener Staaten eine Ahndung von Völkerstraftaten durch eigene nationale Gerichte vorsehen
bzw. ermöglichen, welche Defizite gegenüber dem geltenden Völkerrecht (und dort normierten Verfolgungspflichten) im Hinblick auf eine solche nationale Strafgewalt bestehen und
welche Reformen zur Ermöglichung einer nationalen Strafverfolgung völkerrechtlicher
Verbrechen durchgeführt wurden oder geplant sind.
Über den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der strafrechtlichen Grundlagenforschung hinaus ist es Ziel des Projekts, zum einen Anstöße und Impulse für Reformüberlegungen in einzelnen Staaten zu geben, indem verschiedene Regelungsmechanismen zur
Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen rechtsvergleichend aufgezeigt und bewertet werden.
Zum anderen kann dargelegt werden, inwieweit verschiedene Staaten normativ zur eigenen
Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen in der Lage sind. Diese Erkenntnis dürfte im
Hinblick auf das Komplementaritätsprinzip des Römischen Statuts von erheblicher praktischer Relevanz sein. Nicht zuletzt können möglicherweise aus Feststellungen zu den
Rechtsauffassungen in verschiedenen Staaten, etwa bezüglich des Umfangs völkerrechtlicher Verpflichtungen zur nationalen Strafverfolgung, auch Rückschlüsse auf den Stand des
Völkergewohnheitsrechts gezogen werden.
III.
Konzeption des Projekts und einbezogene Länder
1.
Konzeption
Das Projekt baut auf der bewährten Konzeption internationaler rechtsvergleichender Studien
der strafrechtlichen Forschungsgruppe des Freiburger Max-Planck-Instituts auf. Den
Schwerpunkt der Forschungen bilden Berichte zu ausgewählten Staaten. Diese Landesberichte werden anhand eines einheitlichen Fragenkatalogs erstellt, der zugleich als verbindliches Gliederungsschema dient. Damit soll sichergestellt sein, daß in den Berichten zu einzelnen Ländern die relevanten Fragen aufgegriffen und beantwortet werden. Zugleich wird
so die spätere Vergleichbarkeit der Berichte gewährleistet. Denn das Projekt soll abgeschlossen werden mit einem rechtsvergleichenden Querschnitt, also einer komparativen Analyse und Bewertung der einzelnen Landesberichte.
Insofern erfolgt eine Rechtsvergleichung auf zwei Ebenen:
•
vertikale Rechtsvergleichung: Die einzelnen Landesberichte vergleichen die Rechtslage im jeweiligen Land mit dem Völkerrecht, vor allem mit den Regelungen des Römischen Statuts.
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•
2.
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horizontale Rechtsvergleichung: In einer zweiten Phase des Projekts wird auf der
Basis der Landesberichte die Situation in den verschiedenen Ländern miteinander verglichen.
Einbezogene Länder
Insgesamt sind 36 Staaten in die Untersuchung einbezogen
Europa:
Amerika:
Asien:
Afrika:
Ozeanien
IV.
Belgien, Deutschland, England/Wales,
Estland, Finnland, Frankreich, Italien,
Kroatien, Niederlande, Österreich, Polen,
Rußland und Weißrußland, Schweden,
Schweiz, Serbien-Montenegro, Slowenien
und Spanien.
Kanada und USA (Nordamerika); Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa
Rica, El Salvador, Kolumbien, Mexiko, Peru, Uruguay, Venezuela (Mittel- und
Südamerika)
China, Israel und Türkei.
Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste)
Australien.
Fragestellungen und erste Ergebnisse
Im Rahmen der einzelnen Landesberichte werden im wesentlichen folgende Fragestellungen
untersucht:
•
Inwieweit sind die im Römischen Statut und im geltenden Völkergewohnheitsrecht als völkerrechtliche Verbrechen pönalisierten Verhaltensweisen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen) nach der Strafrechtsordnung des untersuchten Landes strafbar? Ist darüber hinaus das
Verbrechen der Aggression im nationalen Recht unter Strafe gestellt?
Die Landesberichte gehen der Frage nach, welche völkerrechtlichen Verbrechen von Gerichten des untersuchten Landes bestraft werden können, also der nationalen Strafgewalt des
betrachteten Staates unterfallen. Dabei beschränkt sich die Betrachtung nicht darauf, einen
Vergleich des nationalen Strafrechts mit den materiellen Strafnormen des Römischen Statuts
vorzunehmen. Denn diese spiegeln den Stand des völkerrechtlichen Strafrechts nicht vollständig wider. So weist das Römische Statut vor allem im Bereich der Kriegsverbrechen in
nicht-internationalen bewaffneten Konflikten Lücken auf. Zudem wird das Verbrechen der
Aggression zwar grundsätzlich der Gerichtsbarkeit des IStGH unterstellt, doch im Statut nicht
definiert. Dem IStGH bleibt vorerst die Ausübung von Gerichtsbarkeit über Aggressionsverbrechen entzogen. Indem die Landesberichte auch der Frage nachgehen, inwieweit über
das Römische Statut hinausgehend Kriegsverbrechen und Aggressionstaten von der nationalen Strafgewalt des untersuchten Staates erfaßt werden, ermöglichen sie Rückschlüsse
auf den Stand des Völkergewohnheitsrechts. So hat beispielsweise der deutsche Gesetzgeber im neuen Völkerstrafgesetzbuch Kriegsverbrechen überwiegend unabhängig davon unter
Strafe gestellt, ob sie im Rahmen eines internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikts begangen werden und sich darauf berufen, damit lediglich das völkergewohnheitsrechtlich geltende Strafrecht zu rezipieren.
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Werden diese Straftaten durch spezielle Straftatbestände des nationalen Strafrechts erfaßt oder lediglich durch die „allgemeinen“ Straftatbestände des Strafgesetzbuches oder aber durch Verweis auf Völkerrecht (Völkergewohnheitsrecht
oder Völkervertragsrecht wie das Römische Statut)?
Die Strafrechtsordnungen einzelner Länder erfassen völkerrechtliche Verbrechen in unterschiedlicher Art und Weise. In einigen Ländern können Taten, die als völkerrechtliche
Verbrechen zu klassifizieren sind, nur durch Anwendung der Tatbestände des „normalen“,
auch die „Alltagskriminalität“ erfassenden Strafrechts, etwa als Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte, geahndet werden. Dies gilt etwa für Israel, Österreich und die Türkei und galt
bis zum Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches auch für Deutschland, wobei allerdings
die Einschränkung zu machen ist, daß in Deutschland, Israel und Österreich bereits frühzeitig zur Bestrafung von Völkermordtaten in Umsetzung der Völkermordkonvention von 1948
ein spezieller Straftatbestand geschaffen worden ist. Viele Länder haben neben einem Spezialtatbestand zur Erfassung von Völkermordtaten – zumeist im Anschluß an die Ratifikation
der Genfer Abkommen von 1949 – ferner Spezialtatbestände zur Erfassung von Kriegsverbrechen im allgemeinen Strafgesetzbuch oder in einem gesonderten Militärstrafgesetzbuch geschaffen, können aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur unter Anwendung
der „normalen“ Straftatbestände ahnden. Zu diesen Ländern gehören etwa Italien, Rußland
und die USA, um nur drei Beispiele zu nennen. Das Strafrecht Frankreichs wiederum enthält
Spezialtatbestände zur Erfassung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nicht aber für Kriegsverbrechen. Diejenigen Länder, die ihre Strafrechtsordnung im
Anschluß an die Verabschiedung des Römischen Statuts, also erst in jüngster Zeit, geändert
haben oder derzeit Reformen planen, haben sich zumeist am Römischen Statut orientiert.
Während beispielsweise Australien seinen „Criminal Code“ entsprechend den materiellen
Strafnormen des Römischen Statuts modifiziert hat, haben andere Länder in einer gesonderten Kodifikation Völkermordtaten, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe gestellt beziehungsweise entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt. Dies
gilt etwa für Deutschland mit dem Völkerstrafgesetzbuch von 2002, für Belgien mit einem
1999 modifizierten Spezialgesetz von 1993, für Kanada mit dem „Crimes against Humanity
and War Crimes Act“, für Großbritannien mit den „Criminal Court Acts 2001“ und für Schweden mit dem 2002 vorgelegten Entwurf eines „Gesetzes über Völkerrechtsstraftaten“. Aber
auch hinsichtlich dieser Staaten gibt es signifikante Unterschiede im Hinblick auf die Art und
Weise der Erfassung von Völkerstraftaten. Während das deutsche Völkerstrafgesetzbuch,
um dem im internationalen Vergleich strengen Gesetzlichkeitsprinzip der deutschen Verfassung Rechnung zu tragen, die Straftatbestände eigenständig und ausführlich formuliert (ähnlich auch der schwedische Entwurf), beschränken sich andere Kodifikationen auf einen pauschalen Verweis auf das Völkergewohnheitsrecht (so weitgehend das kanadische „Crimes
against Humanity and War Crimes Act 2000“) oder die Tatbestandsdefinitionen des Römischen Statuts (so etwa England mit dem „Criminal Court Act 2001“).
•
Welche im Völkerrecht pönalisierten Völkerstraftaten sind im nationalen Strafrecht nicht unter Strafe gestellt?
Vor dem Hintergrund des Komplementaritätsprinzips des Art. 17 des Römischen Statuts gilt
es aufzuzeigen, welche Völkerstraftaten von den nationalen Gerichten nicht geahndet werden können, inwieweit also Defizite der nationalen Strafgewalt existieren, die den IStGH
möglicherweise zur Ausübung eigener Strafgerichtsbarkeit berechtigen.
•
Nach welchen Anknüpfungsprinzipien des sogenannten „internationalen Strafrechts“ (Strafanwendungsrechts) wie etwa dem Territorialitätsprinzip, dem Per-
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sonalitätsprinzip oder dem Weltrechtsprinzip wird die räumliche und personale
Reichweite der Strafgewalt über völkerrechtliche Verbrechen begründet?
Während das deutsche Völkerstrafgesetzbuch alle erfaßten völkerrechtlichen Verbrechen
pauschal dem Weltrechtsprinzip unterwirft – also eine deutsche Strafgewalt für alle irgendwo
auf der Welt begangenen völkerrechtlichen Verbrechen begründet – und lediglich die Pflicht
der Strafverfolgungsbehörden, bei Auslandstaten eine Strafverfolgung zu betreiben, beschränkt, gehen die meisten anderen Strafrechtsordnungen nicht so weit, sondern begründen nur eine räumlich und personal beschränkte nationale Strafverfolgungszuständigkeit,
etwa nur für Taten, die im Inland, von eigenen Staatsangehörigen oder gegen eigene
Staatsbürger begangen werden. Die Frage der zulässigen beziehungsweise von Völkerrechts wegen gebotenen räumlichen und personalen Reichweite nationaler Strafverfolgungszuständigkeit bei völkerrechtlichen Verbrechen ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Dies
haben auch die Sondervoten zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Verfahren Demokratische Republik Kongo gegen Belgien vom Februar 2002 gezeigt. Einige Richter waren
der Auffassung, daß ein Staat nicht befugt ist, nach dem uneingeschränkten Weltrechtsprinzip eine Strafverfolgung wegen im Ausland begangener Völkerrechtsverbrechen dann durchzuführen, wenn sich der Beschuldigte nicht im eigenen Hoheitsgebiet aufhält. Der deutsche
Gesetzgeber ist, wie die Festlegung des uneingeschränkten Weltrechtsprinzips im Völkerstrafgesetzbuch zeigt, gegenteiliger Meinung. Auch über die Frage, im welchen Fällen das
Völkerrecht die Staaten verpflichtet, Völkerrechtsverbrechen zu verfolgen, wird unterschiedlich beantwortet. Zum Teil wird eine Pflicht nur bei Taten im eigenen Hoheitsgebiet beziehungsweise Taten eigener Staatsbürger angenommen, zum Teil von einer Pflicht zur Verfolgung oder Auslieferung jedes Beschuldigten ausgegangen, der sich im Staatsgebiet des
jeweiligen Staates aufhält. Durch eine Betrachtung der Rechtslage und geäußerten
Rechtsauffassungen in verschiedenen Staaten kann möglicherweise ein Beitrag zur Klärung
dieser Fragen geleistet werden.
•
Welche Bestimmungen gelten bei völkerrechtlichen Verbrechen im Hinblick auf
allgemeine Fragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (Allgemeiner Teil des
Strafrechts), etwa bezüglich der Rechtfertigungsgründe der Notwehr oder des
Handelns auf Befehl, eines Verbotsirrtums oder einer Verantwortlichkeit von Befehlsgebern (Hintermännern)?
Das Römische Statut enthält eine Vielzahl von Regelungen zu allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen beziehungsweise Straffreistellungen, die zum Teil erheblich von den entsprechenden Rechtsvorschriften nationaler Strafrechtsordnungen abweichen. So wird beispielsweise ein Rechtsirrtum, also eine Fehlvorstellung des Täters über das Verbotensein seiner
Tat, von einem Ausnahmefall abgesehen für irrelevant erklärt, während etliche nationale
Rechtsordnungen – etwa die deutsche – dem unvermeidbaren Verbotsirrtum strafausschließende Wirkung beimessen. Solche und andere Divergenzen können angesichts des Komplementaritätsprinzips des Römischen Statuts praktische Relevanz erlangen, wenn die nationalen Regelungen einer staatlichen Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen entgegenstehen und damit die Zulässigkeit eines Strafverfahrens vor dem IStGH begründet wird.
Eine Analyse der in einzelnen Ländern für völkerrechtliche Verbrechen geltenden allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen und Straffreistellungen ist aber nicht nur geboten, um
Kenntnis über die jeweiligen Möglichkeiten einer Ahndung von Völkerstraftaten zu erlangen,
sondern kann auch für eine Antwort auf die Frage von Bedeutung sein, welche Regelungen
in bezug auf völkerrechtliche Verbrechen als gewohnheitsrechtlich anerkannt betrachtet werden dürfen.
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Gibt es besondere Regelungen im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Strafverfolgung, etwa bezüglich völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Immunitäten
oder Verjährung?
Auch im Hinblick auf einige (strafprozessuale) Fragen der Zulässigkeit einer Strafverfolgung
wegen völkerrechtlicher Verbrechen bestehen Unsicherheiten, die es interessant machen,
die relevanten Bestimmungen einzelner nationaler Rechtsordnungen zu betrachten. So muß
beispielsweise trotz der bereits erwähnten Entscheidung des IGH im Verfahren Kongo gegen
Belgien vom Februar 2002, in der festgestellt wurde, daß amtierende Außenminister auch
dann, wenn ihnen die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen vorgeworfen wird, der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten entzogen sind, die Frage, inwieweit sich staatliche Funktionsträger gegenüber einer Strafverfolgung wegen Völkerstraftaten auf Immunitäten berufen
können, als nicht vollständig geklärt bezeichnet werden.
•
Gelten bei einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen Besonderheiten im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung oder die Gerichtszuständigkeit?
•
Inwieweit findet im Berichtsland eine Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher
Verbrechen tatsächlich statt?
•
Sind Reformen des Strafrechts zur (besseren) Erfassung völkerrechtlicher
Verbrechen geplant?
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Projekt „Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen“
Modelle einer nationalen Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen
Völkerrechtliche Verbrechen
Völkermord
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Kriegsverbrechen
Strafverfolgung unter Anwendung
völkerrechtlicher Strafnormen
Anwendung der
Straftatbestände des
Völkergewohnheitsrechts
Länderbeispiel:
Kanada
Strafverfolgung unter Anwendung nationaler Strafnormen
Anwendung der
Straftatbestände
des Römischen
Statuts
Anwendung von
Spezialtatbeständen als Bestandteil
einer gesonderten
Kodifikation
Länderbeispiele:
England/Wales und
Schottland
Länderbeispiele:
Deutschland, zukünftig Schweden
Anwendung der
Straftatbestände
des „allgemeinen
Strafrechts
Länderbeispiele:
Österreich, Türkei,
Israel, Deutschland
bis zum Inkrafttreten
des VStGB; allerdings teilweise Spezialtatbestände zur
Erfassung von Völkermord
Anwendung von
Spezialtatbeständen als Bestandteil
des Strafgesetzbuches
Länderbeispiele:
Australien, Rußland,
Slowenien, Polen,
Frankreich
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