357_405_BIOsp_0409.qxd 396 09.06.2009 13:05 Uhr Seite 396 WISSENSCHAFT · S P E C I A L : Z E L L B I O L O G I E Zytokine Oncostatin M – ein proinflammatorisches Zytokin HEIKE M. HERMANNS RUDOLF -VIRCHOW-ZENTRUM WÜRZBURG Eine falsch regulierte Zytokin-Signalweiterleitung führt zur Entstehung schwer wiegender Erkrankungen. Zur therapeutischen Intervention ist eine umfassende Kenntnis der von einzelnen Zytokinen eingeleiteten Signalwege unerlässlich. Dysregulated cytokine signaling is involved in the pathogenesis of a large number of diseases. Understanding cytokine signaling specificity is required to generate more specific therapeutic intervention methods and to avoid harmful side effects. ó Zur Koordinierung einer angemessenen Immunantwort auf Gewebsschädigung (Verletzung oder Infektion) hat unser Körper ein höchst komplexes Kommunikationssystem entwickelt. Neben kleinmolekularen Mediatoren (z. B. Prostaglandin) oder biogenen Aminen (z. B. Histamin) spielen hier die Zytokine eine entscheidende Rolle. Diese unterscheiden sich von klassischen Hormonen (z. B. Insulin, Adrenalin) dadurch, dass sie von den meisten Körperzellen direkt am Ort der Gewebeverletzung freigesetzt werden können. Ihre Wirkung ist daher meist lokal begrenzt, das heißt von auto- oder parakriner Natur. Zu den Hauptaufgaben der Zytokine gehört neben der Regulation der Hämatopoese die Koordination von Entzündungsreaktionen. Physiologie von Oncostatin M (OSM) Das Zytokin vom Interleukin(IL)-6-Typ OSM (Abb. 1) wird von aktivierten Neutrophilen, ˚ Abb. 1: Physiologische Antworten, die Oncostatin M (OSM) in verschiedenen Zielzellen hervorruft. APP: Akutphase-Protein; LDL: low density lipoprotein; VEGF: vascular endothelial growth factor; COX: Zyklooxygenase; PGE2, Prostaglandin E2. Monozyten und T-Lymphozyten freigesetzt. Seinen Namen verdankt es einer wachstumsinhibierenden Wirkung auf Tumorzellen epithelialen Ursprungs (z. B. Melanom-, Brustkarzinomzellen) [1]. Inzwischen weiß man jedoch, dass es sich bei OSM um einen wichtigen Regulator von Entzündungsreaktionen handelt. Wie einige seiner Verwandten (IL-6; leukemia inhibitory factor, LIF) reguliert OSM die Expression der Akutphaseproteine. Diese Proteine stellen eine unspezifische Immunantwort der Leber dar und fördern unter anderem die Blutgerinnung und die Aktivierung des Komplementsystems. Weiterhin werden OSM-Funktionen bei der Proliferation und Differenzierung z. B. von Endothelzellen, Fibroblasten und Osteoblasten, bei der Wundheilung, der Induktion neurotropher Peptide und der Regulation des Cholesterinmetabolismus zugeschrieben [2]. Neueste Studien in OSM-defizienten Mäusen weisen auf eine wichtige Rolle zur Unterdrückung von Autoimmunerkrankungen hin [3]. Erhöhte Expressionsspiegel von OSM findet man in vielen chronisch verlaufenden Entzündungen, unter anderem bei der rheumatoiden Arthritis (RA). Diese chronische Gelenksentzündung ist in ihren molekularen Ursachen immer noch unverstanden und verursacht alleine in Deutschland jährlich Behandlungs- und Folgekosten von über zehn Milliarden Euro. Der erfolgreiche Einsatz blockierender Antikörper bzw. antagonistisch wirksamer löslicher Rezeptoren vor allem gegen Tumornekrosefaktor-α (TNFα) betont die besondere Bedeutung der pro-inflammatorischen Zytokine für die Pathogenese der RA. Leider ist eine TNFα- oder IL-1β-Blockade nicht bei allen Patienten wirksam, sodass nach neuen möglichen Zielzytokinen gefahndet wird. OSM verkörpert ein interessantes Zielzytokin, da es an vielen pathologischen Prozessen der RA beteiligt ist. So fördert OSM, zum Teil in Synergismus mit TNFα oder IL1β, den Knorpel- und Knochenabbau durch verstärkte Expression von Metalloproteinasen und Osteoklastendifferenzierung [2, 4]. Isolierte Fibroblasten aus der Synovialmembran einiger rheumatisch erkrankter PatienBIOspektrum | 04.09 | 15. Jahrgang 357_405_BIOsp_0409.qxd 09.06.2009 13:05 Uhr ten sezernieren konstitutiv OSM [5]. Zudem ist OSM ein hochpotenter Induktor verschiedener Chemokine (CCL1, CCL2, CCL7, CCL8, CCL11, CCL13) (Abb. 2) [5, 6]. Die Chemokin-Superfamilie kontrolliert mit der Rekrutierung von Leukozyten einen initialen Schritt der Entzündungsreaktion. Das erst kürzlich in der Synovialflüssigkeit von RA-Patienten nachgewiesene CCL13 wird ausschließlich durch OSM, nicht aber durch IL-6, LIF, TNFα oder IL-1β induziert. Beachtlich ist ferner die Expression dieses Chemokins in synovialen Fibroblasten, nicht jedoch in Fibroblasten der Haut, der Lunge oder der Cervix [5]. Signaltransduktion von OSM Als einziges Mitglied der IL-6-Typ-Zytokine signalisiert humanes OSM über zwei Rezeptorkomplexe: den Typ-I-Rezeptorkomplex, bestehend aus dem LIF-Rezeptor (LIFR) und gp130, und den Typ-II-Rezeptorkomplex aus gp130 und dem OSMRezeptor (OSMR) (Abb. 3) [2]. Wie für alle Zytokinrezeptoren ist auch für die OSMvermittelte Signaltransduktion der erste Schritt eine ligandeninduzierte Heterodimerisierung der signalweiterleitenden Rezeptoren. Hierdurch werden die zytoplasmatischen Bereiche in räumliche Nähe zueinander gebracht und somit die Signalkaskade ausgelöst [7]. Im Gegensatz zu den Rezeptoren der Wachstumsfaktoren besitzen Zytokinrezeptoren jedoch keine intrinsische enzymatische Aktivität. Sie sind daher zur Signalweiterleitung auf die konstitutive Interaktion mit zytoplasmatischen Tyrosinkinasen der Janus-Familie (JAK) angewiesen. Da man in der C-terminalen Hälfte der JAKs zwei Kinasedomänen findet, wurde für diese Proteine in Anlehnung an die römische Mythologie der Name des doppelgesichtigen Gottes Janus gewählt. Eine genauere Analyse der Aminosäureabfolge der N-terminalen Kinase-ähnlichen Domäne zeigt jedoch, dass katalytisch bedeutsame Bereiche mutiert sind, weshalb diese Domäne enzymatisch inaktiv ist. Sie scheint eine wichtige Rolle für die Autoinhibition der ruhenden Kinasen zu spielen. So weist die onkogene Variante JAK2 V617F eine Mutation in der Kinase-ähnlichen Domäne auf, die zu einer Autoaktivierung der Kinase führt und damit substanziell zum Fortschreiten myeloproliferativer Leukämien beiträgt. Der genaue BIOspektrum | 04.09 | 15. Jahrgang Seite 397 Aktivierungsmechanismus der JAKs ist aber bis heute unverstanden. In Analogie zu den Rezeptortyrosinkinasen scheint eine Aktivierung durch wechselseitige Tyrosinphosphorylierung wahrscheinlich. Im Verlauf einer OSM-vermittelten Signaltransduktion werden JAK1, JAK2 und TYK2 aktiviert, wobei alle bislang untersuchten Signalwege auf die Anwesenheit von TYK2 verzichten können. Nach ihrer Aktivierung phosphorylieren die JAKs im membrandistalen intrazellulären Bereich der Rezeptoren gelegene Tyrosinseitenketten, die nun ihrerseits als Andockstellen für zytoplasmatische Proteine fungieren. Unter diesen sind für die Zytokin-Signaltransduktion vor allem die Transkriptionsfaktoren der STAT(signal transducer and activator of transcription)-Familie hervorzuheben. Im Fall des OSM erfolgt eine Tyrosinphosphorylierung von STAT1, STAT3 und in einigen Zelltypen auch von STAT5 und STAT6. Nach ihrer Aktivierung homo- und/oder heterodimerisieren die STATs und translozieren in den Zellkern, wo sie an Enhancer OSM-induzierbarer Genpromotoren binden. Neben dem JAK/STAT-Signalweg aktiviert OSM die MAPK(mitogen-activated protein kinase)-Signalkaskaden. Dies erfolgt über Adapterproteine, die ebenfalls an phosphorylierte Rezeptortyrosine binden und die Rekrutierung eines Guaninnukleotid-Austauschfaktors in die Nähe einer kleinen GTPase ermöglichen. Im Fall des OSM-Rezeptors ist hierfür das Adapterprotein Shc (SH2 and collagen-homology domain containing protein) verantwortlich [7]. Für die Induktion der Chemokin-Gene stellte sich heraus, dass die MAPK ERK1/2 (extracellular signal-regulated kinase) über ihre aktivierten Transkriptionsfaktoren cJun und c-Fos die Transkription einleiten, während die Stress-aktivierte Proteinkinase p38 wichtig ist, um die produzierte mRNA zu stabilisieren und deren effiziente Translation zu erlauben [5, 6]. Erstaunlicherweise sind weder aktiviertes STAT1 noch STAT3 an der Transkription der Chemokingene beteiligt. STAT5 spielt jedoch eine zelltypspezifische Rolle: Während dieser Transkriptionsfaktor für die OSM-vermittelte Expression von CCL13 in synovialen Fibroblasten absolut essenziell ist [5], übt er auf die Expression von CCL1 eine reprimierende Wirkung aus [6]. Diese Beobachtung ist von besonderem Interesse, da Chemokine nicht nur für die 357_405_BIOsp_0409.qxd 398 09.06.2009 13:05 Uhr Seite 398 WISSENSCHAFT · S P E C I A L : Z E L L B I O L O G I E besonderer Bedeutung für die Rekrutierung zytotoxischer T-Zellen und NK(natural killer)Zellen ist, stellt die Aufrechterhaltung eines Signalweges, der die Freisetzung dieses Chemokins verhindert, eine geschickte Überlebensstrategie von Tumorzellen dar. Danksagung Die Forschung der Arbeitsgruppe wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (SFB542, TP B6; FZ82; Nachwuchsgruppe) unterstützt. ó Literatur ˚ Abb. 2: Die OSM-vermittelte Chemokinexpression in humanen Fibroblasten sowie GAPDH als Beladungskontrolle. Zeitliche Abhängigkeit der OSM-vermittelten Transkription der Chemokine CCL1, CCL2, CCL7 und CCL8 (in dermalen Fibroblasten) und CCL13 (in synovialen Fibroblasten) im RNase-Protektionsassay (RPA, links) sowie für einen Teil der Chemokine deren Translation mittels ELISA untersucht wurde (rechts, Mittelwerte ± SD). ˚ Abb. 3: Die Rezeptorkomplexe von OSM. Im intrazellulären Bereich sind die Assoziation der Janus-Kinasen (JAK) sowie die Positionen phosphorylierter Tyrosinseitenketten dargestellt. LIFR: LIF-Rezeptor; OSMR: OSM-Rezeptor. Auslösung einer effizienten Immunantwort gegenüber Traumata oder einwandernden Pathogenen wichtig sind, sondern auch für die Bekämpfung maligner Zellen. Interessanterweise beobachtet man eine konstitutive Aktivierung von STAT-Faktoren, vor allem STAT3 und STAT5, in einer großen Anzahl von Tumoren sowohl epithelialen als auch hämatopoetischen Ursprungs. Da CCL1 von [1] Zarling JM, Shoyab M, Marquardt H, Hanson MB, Lioubin MN, Todaro GJ (1986) Oncostatin M: a growth regulator produced by differentiated histiocytic lymphoma cells. Proc Natl Acad Sci USA 83:9739–9743. [2] Tanaka M, Miyajima A (2003) Oncostatin M, a multifunctional cytokine. Rev Physiol Biochem Pharmacol 149:39–52. [3] Esashi E, Ito H, Minehata KI, Saito S, Morikawa Y, Miyajima A (2009) Oncostatin M deficiency leads to thymic hypoplasia, accumulation of apoptotic thymocytes and glomerulonephritis. Eur J Immunol, im Druck. [4] Hui W, Cawston TE, Richards CD, Rowan AD (2005) A model of inflammatory arthritis highlights a role for oncostatin M in pro-inflammatory cytokine-induced bone destruction via RANK/RANKL. Arthritis Res Ther 7:R57–R64. [5] Hintzen C, Quaiser S, Pap T, Heinrich PC, Hermanns HM (2009) Induction of CCL13 expression in synovial fibroblasts underlines a significant role of oncostatin M in rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum, im Druck. [6] Hintzen C, Haan C, Tuckermann JP, Heinrich PC, Hermanns HM (2008) Oncostatin M-induced and constitutive activation of the JAK2/STAT5/CIS pathway suppresses CCL1, but not CCL7 and CCL8, chemokine expression. J Immunol 181:7341–7349. [7] Heinrich PC, Behrmann I, Haan S, Hermanns HM, MüllerNewen G, Schaper F (2003) Principles of interleukin (IL)-6type cytokine signalling and its regulation. Biochem J 374:1– 20. Korrespondenzadresse: PD Dr. Heike M. Hermanns Rudolf-Virchow-Zentrum DFG-Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin Universität Würzburg Versbacher Straße 9 D-97078 Würzburg Tel.: 0931-201 48722 [email protected] AUTOR Heike M. Hermanns Jahrgang 1971. Nach Biologiestudium 1996–2000 Promotion in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Behrmann an der RWTH Aachen. 2001–2007 Arbeitsgruppenleiterin und Habilitation am Institut für Biochemie der RWTH Aachen (Prof. Dr. Heinrich). Seit 2007 Nachwuchsgruppenleiterin „Signaltransduktion inflammatorischer Zytokine“ am Rudolf-Virchow-Zentrum, DFG-Forschungszentrum für experimentelle Biomedizin in Würzburg. BIOspektrum | 04.09 | 15. Jahrgang