Alois Glück Politische Verantwortung in dieser Zeit epochaler

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Alois Glück
Ein Diskussionsbeitrag zum weiteren Weg unserer CSU
Politische Verantwortung in dieser Zeit epochaler Veränderungen
Wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen, hat die CSU große Chancen!
Die CSU ist keine Protestpartei sondern eine Partei mit Gestaltungskraft!
Diesem Anspruch müssen wir gerecht werden!
Vorbemerkung
Als CSU-Mitglied ohne politisches Mandat und Führungsverantwortung, aber auch
aus langjähriger Erfahrung als gewählter Volksvertreter und in Führungsverantwortungen im Parlament und in unserer Partei, will ich einen Diskussionsbeitrag zur notwendigen Grundsatz- und Richtungsdebatte über den weiteren Weg der CSU einbringen. In solchen Zeiten des radikalen Wandels gibt es keine Patentlösungen.
Umso wichtiger sind offene und intensive Diskussionen. Die jetzt notwendigen Klärungen und Richtungsbestimmungen sind für den weiteren Weg der CSU von ähnlicher grundsätzlicher Bedeutung wie die – teilweise sehr heftigen – Auseinandersetzungen in den Gründerjahren, in der Phase der Auseinandersetzung mit der Bayernpartei und in den schwierigen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit mit der
CDU.
Ich habe diesen Beitrag in zwei Abschnitte gegliedert.
Im ersten Teil eine zusammenfassende Darlegung der prägenden Entwicklungen
und meine Schlussfolgerungen für die CSU.
Im zweiten Teil eine ausführlichere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Themen, die
für das Selbstverständnis und den weiteren Weg der CSU von zentraler Bedeutung
sind.
Teil I
1. Die Politik steht vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten
Noch nie sind wir so unsicher und so zwiespältig in einen Jahreswechsel gegangen
wie 2015 / 2016. In den Konsumausgaben, auf dem Arbeitsmarkt und in der wirtschaftlichen Entwicklung, in den Zukunftschancen für junge Menschen, in der Stabilität und der Funktionsfähigkeit des Staates, in der politischen Stabilität ist Deutschland in Europa und weltweit in einer/der Spitzenposition.
Klagende und nörgelnde Mitbürger frage ich immer wieder: „Wo sind die Verhältnisse
besser, wo würdest du / würden Sie lieber leben?“
Gleichzeitig gab es noch nie so viel Zukunftsangst wie gegenwärtig. Angesichts von
Botschaften wie „die Welt ist aus den Fugen geraten“, in den täglichen Nachrichten
immer wieder neue Krisen in der Welt, Konflikte, Gewalt und Terror, auch vor unserer
Haustür, der wachsenden Komplexität aller Sachverhalte und ihrer Wechselwirkungen, sind diese Sorgen und Ängste ja auch verständlich.
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Hinzu kommen im eigenen Land gesellschaftliche Entwicklungen, die verunsichern
und Sorge bereiten. Exemplarisch dafür sind die seit Jahren zunehmenden Nachrichten über die Verrohung in unserer Gesellschaft, in der Sprache und im Verhalten,
etwa in Schulen, im Alltag, in der Gewalt gegen Polizisten und Menschen im Rettungseinsatz!
Die Angst ist in unserem Leben ein wichtiger Sensor für drohende Gefahren.
Ängste etwa im Hinblick auf drohende Gefahren technischer Entwicklungen und das
entsprechende Engagement von Menschen haben zu fruchtbaren Ergebnissen in der
Entwicklung von Sicherheitstechnologien, von konstruktiven gesellschaftlichen Debatten und Güterabwägungen geführt.
Auch jetzt gilt:
 die Angst darf uns nicht beherrschen als Gesellschaft;
 die Angst darf unser politisches Handeln nicht bestimmen;
 auch nicht die Angst vor den Rechtspopulisten und den Linkspopulisten.
Diese politische Situation werden wir aber nicht auflösen nur durch einen Kampf gegen die Populisten, gegen die AfD oder andere politische Gruppierungen. Der Widerspruch ist wichtig, wenn es um elementare Werte unserer Gesellschaft und unseres
Staates geht, eine Klarstellung und Auseinandersetzung darüber wichtig ist.
Wir dürfen aber die AfD nicht zum Mittelpunkt unserer politischen Debatte machen.
Wir müssen überzeugende Antworten auf die Sachverhalte und die Ängste der Menschen geben.
Mit einer glaubwürdigen und überzeugenden Zukunftspolitik als Antwort auf diese
Entwicklungen!
2. Mit den Flüchtlingen und Migranten wurden unsere Stärken und unsere Schwächen offenkundig.
Die Reaktionen auf die Flüchtlinge zeigen die Stärken und Schwächen unserer Gesellschaft.
Dies gilt besonders für die großartige Hilfsbereitschaft, das starke Engagement vieler
Menschen und die große Einsatzbereitschaft vieler Ehrenamtlicher, aber auch vieler
in ihren beruflichen Diensten. Es gilt aber ebenso für die seit Jahren in unserer Gesellschaft immer mehr beklagten Entwicklungen der verbalen Radikalisierung, der
Sprache (soziale Netzwerke werden zu „Hetzwerken“) und die ständige Zunahme
von gewaltsamen Auseinandersetzungen bei Konflikten, bis hin zu Angriffen auf Polizisten und Menschen im Rettungsdienst.
Mit der Ankunft so vieler Flüchtlinge und Migranten entwickelte sich eine weitere Eskalation der Gewalt in der Sprache und im Handeln. Das zeigt sich in der explosiven
Steigerung von Gewaltakten gegenüber Flüchtlingsunterkünften, aber auch gegenüber von Politikerinnen und Politikern, die zu den Flüchtlingen eine konstruktive Haltung einnehmen.
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Aktuell sind die Grundwerte unserer Verfassung und unseres Staates, unserer „Leitkultur“, vor allem durch diese Entwicklungen gefährdet. Die Ursachen für diese Entwicklungen liegen nicht bei den ca. 4 Millionen Muslimen, die schon im Land sind,
und ebenso wenig bei den etwa 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund.
Damit soll nicht relativiert werden, dass es auch in diesem Bereich Problementwicklungen gab und gibt.
Mit der großen Zahl von Flüchtlingen und Migranten bündeln und konkretisieren sich
viele Sorgen und Ängste der Menschen, die bislang in der gesellschaftlichen und politischen Debatte eher diffus waren. Die Flüchtlingskrise wurde damit zum Treibsatz
der Entwicklung, politisch vor allem für die AfD. Aber auch dann, wenn kaum mehr
Flüchtlinge kommen würden (was angesichts der internationalen Lage unwahrscheinlich ist), haben sich diese Ängste, die Verbindung von sozialen Ängsten („sozialer
Abstieg“, „Modernisierungsverlierer“) und kulturellen Ängsten (“Überfremdung“), („Islamisierung“) nicht erledigt. Wohl deshalb führte der drastische Rückgang der Zahl
der Flüchtlinge auch zu keiner wesentlichen Veränderung der politischen Stimmungslage.
Wie gehen wir als Partei mit diesen Ängsten, mit dieser Entwicklung um?
Die Angst ernst nehmen muss selbstverständlich sein; die Angst verstehen und bestätigen ist aber noch keine ausreichende Antwort für die Menschen. Sie erwarten
von einer Partei mit dem Gestaltungsanspruch der CSU überzeugende Antworten.
Die CSU ist keine Protestpartei, sondern eine Gestaltungspartei.
3. Die gegenwärtig prägenden Entwicklungen
Die gesellschaftliche und politische Situation wird vor allem von drei Entwicklungen
geprägt, die nicht neu sind, aber jetzt einen besonderen Veränderungsdruck bringen.
 Die demographische Entwicklung, die Veränderung der Bevölkerungsstruktur in
zweifacher Weise.
a) Die Veränderung der Altersstruktur mit all ihren Auswirkungen auf die sozialen
Sicherungssysteme und den Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitskräfte.
b) Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur durch die bisherige Zuwanderung,
die Notwendigkeit weiterer Zuwanderung für den Arbeitsmarkt, um unseren
Wohlstand und die Dienstleistungen auch zu sichern. (Hinzu kommt gegenwärtig als eigener und anderer Faktor Flüchtlinge und Migranten – die nur begrenzt für diese Aufgaben zur Verfügung stehen werden.)
 Die digitale Kommunikation, das Internet und alle anderen Formen verändern unser Zusammenleben, die Organisation unseres Lebens und voraussichtlich mit einer neuen Dynamik die Entwicklungen in der Arbeitswelt mit weitreichenden gesellschaftlichen und ökonomischen Konsequenzen.
Gleichzeitig ist die digitale Kommunikation in all ihren Facetten der Treiber für
viele aktuelle internationale Entwicklungen, Krisen und Konflikte.
 Mit den großen Fluchtbewegungen wird in schmerzlicher Weise spürbar, dass wir
in einer neuen Etappe der Globalisierung sind. Die Welt wird immer mehr zu einer
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Schicksalsgemeinschaft und wir werden von den Krisen und Problemen in der
Welt immer mehr betroffen.
4. Wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen, hat die CSU gerade auch in diesen
schwierigen Zeiten besondere Chancen!
1. Die christlich-soziale Programmatik als Wertefundament ist nicht auf eine bestimmte gesellschaftliche Entwicklung (Agrargesellschaft, Industriegesellschaft
etc.) oder auf gesellschaftliche Teilgruppen (z. B. Arbeiterschaft) oder Teilthemen (z. B. Ökologie) begrenzt.
Wie der christliche Glaube, wie das Christentum, muss diese zeitlos gültige Programmatik aber immer wieder in die jeweilige Zeit hinein gestaltet werden. Aber
sie ist in ihrem grundsätzlichen Charakter zeitlos und alle Lebensbereiche umfassend.
2. In die jeweilige Zeit und ihre Aufgaben hinein bedenken und interpretieren – das
gilt ebenso für die weiter prägenden Elemente wie die Verbindung von Tradition
und Fortschritt, von konservativ und liberal. Das setzt allerdings voraus, dass
wir uns nicht nur in den Bereichen von Technik und Ökonomie mit notwendigen
Weiterentwicklungen befassen, sondern ebenso diese grundsätzlich zeitlos immer wieder wichtigen Prägungen, Spannungen und Verbindungen immer wieder aufs Neue gestalten. (Wie beschreiben und gestalten wir z. B. in dieser Zeit
„Fortschritt“, „konservativ“, „heimatverbunden und weltoffen“?)
3. Der einmalige Schatz, das besondere „Kapital“ der CSU ist die Identifikation der
Menschen in Bayern mit Bayern als ihrer Heimat und der Verbindung von Bayern und CSU. Die Ergebnisse aus der Studie des Bayerischen Rundfunks belegen dies eindrucksvoll.
Die Verbundenheit mit Bayern hat in den letzten Jahren nochmals stetig zugenommen.
„75 % der Bayern leben in Bayern gerne; in ihrer Region sogar sehr gerne.
(2009: 69 %) 88 % fühlen sich absolut zuhause (2009: 79 %) und 83 % sagen
ohne Wenn und Aber „hier ist meine Heimat (2009: 75 %).
Der Anstieg der Verbundenheit mit Bayern geht in erster Linie zurück auf die
junge Generation ( ! ), deren Begeisterung über die letzten sechs Jahre stark
zugenommen hat. Knapp drei Viertel der Bayern sind stolz darauf Bayern zu
sein, 57 % sogar sehr stolz (2009: 51 %).
Der Stolz auf Bayern speist sich sowohl aus der Vergangenheit (Geschichte),
als auch aus der Gegenwart (wirtschaftliche Stärke), von der jeweils rund zwei
Drittel restlos überzeugt sind.
(Aus: Heimat zwischen Tradition und Fortschritt, Schriftenreihe der HSS, Nr.
105, 2016)
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Diese Situation ist für die CSU eine außerordentlich positive Grundlage –
gleichzeitig aber auch ein Risikofaktor, wenn daraus falsche Schlüsse gezogen
werden.
Die CSU bezieht aus der Zustimmung zu Bayern ihre Stärke für ihr Wirken in
Deutschland und in der nationalen und internationalen Politik. Wegen dieser
Kompetenz für Bayern wählen viele bei Bundestagswahlen und Europawahlen
die CSU. Sie gilt als die wirksamste Vertretung der Interessen der Menschen in
Bayern. Das setzt aber voraus, dass wir in der Bundespolitik und in der Europapolitik entsprechend wirksam sein können. Das ist ein entscheidender Unterschied zu den Freien Wählern und den anderen Parteien. Diese Zustimmung,
diese Ergebnisse im Bayern begründen unsere besondere Stärke, gleichzeitig
müssen wir immer wieder aufs Neue darauf achten dass wir uns nicht auf eine
„Bayern-Partei“ reduzieren dürfen. In der Struktur der Partei ist dies eine ständige Versuchung, die durch eine entsprechende Gewichtung der Bundes- und
Europapolitik in der Partei bedacht werden muss.
Der CSU ist es in der Vergangenheit über alle Spannungen und Umbrüche hinweg immer wieder gelungen, die verschiedenen Ausprägungen in der Partei
und die damit verbundenen Spannungen konstruktiv miteinander zu verbinden
und Lagerbildungen zu vermeiden. (Eine solche Entwicklung ist der Ausgangspunkt des Niedergangs der CDU in Baden Württemberg!)
Die CSU ist für Bayern so erfolgreich, weil „heimatverbunden und weltoffen“ seit
jeher zur Programmatik gehören – in der heutigen Aktualität die Verbindung von
„global denken und lokal handeln“.
Für Bayern und für Deutschland können wir nur dauerhaft erfolgreich sein,
wenn wir die Realitäten der Globalisierung nicht nur im Hinblick auf unsere Wirtschaft und den Export realisieren, sondern auch in den anderen politischen Zusammenhängen.
4. Die CSU war (ist?) stärker als jede andere Partei durch ihre Mandatsträger und
ihre aktiven Mitglieder in den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen mit
dabei. Das hat ihre Kraft als Volkspartei geprägt. Damit ist sie nicht nur mit ihren politischen Vorstellungen in diesen Gruppierungen präsent. Ebenso ist
dadurch immer wieder die innovative Kraft gesellschaftlicher Gruppen und Strömungen in der Partei aufgenommen worden und haben damit auch die innovative Politik geprägt.
Das Neue entsteht immer außerhalb der Parteien, das Neue kommt immer von
unten und beginnt in kleinen Gruppen.
Erst die Verbindung von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, von gesellschaftlichen Entwicklungen, die Verbindung mit der Fachwelt der jeweiligen Bereiche und der Politik führt zu einer entsprechenden Gestaltungskraft.
Die CSU ist wie jede andere Organisation aber auch in der ständigen Gefahr,
sich immer mehr mit sich selbst zu beschäftigen und solche Außenkontakte und
damit auch die damit verbundenen Impulse womöglich zu verlieren. Dies muss
immer wieder aufs Neue hinterfragt werden.
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5. Die Zeichen der Zeit erkennen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.
Der außergewöhnlich erfolgreiche Weg Bayerns und der außergewöhnliche Erfolg der CSU ist vor allem darin begründet, dass die CSU immer wieder die Zeichen der Zeit aufgenommen und die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen
hat. Immer wieder aufs Neue geht es dabei um die Frage, ob wir den absehbaren Wandel aktiv gestalten, dafür Führungskraft entwickeln, oder den Wandel
nur erleiden. (Ausführlichere Anmerkungen dazu im Teil II)
6. Glaubwürdige Zukunftspolitik als Antwort auf die Zeichen der Zeit.
Dauerhafter politischer Erfolg im Sinne der Beauftragung für die politische Verantwortung durch die Zustimmung bei Wahlen wird auf Dauer nicht zu gewinnen sein durch den Kampf gegen die Konkurrenz, sondern durch die überzeugende Antwort aufgrund eigener Leistungen. Was in der Wirtschaft für die entsprechenden Produkte gilt, gilt in der Politik für die politischen Konzepte und
dann vor allem durch das konkrete politische Handeln.
Je komplexer und unübersichtlicher die Entwicklungen und die Aufgaben werden, umso entscheidender wird die Vertrauensfrage gegenüber den Parteien
und damit letztlich gegenüber den Personen, die die Parteien repräsentieren.
Die wachsende Kritik an den Parteien hat eine wesentliche Ursache in dem Eindruck der Menschen, dass diese Parteien und ihre Repräsentanten in erster Linie um ihre Macht kämpfen und zu wenige Antworten für die Aufgaben der Zeit
entwickeln. Wenn Macht und Streben nach Macht – eine notwendige Voraussetzung für Gestaltungsmöglichkeiten - primär als Selbstzweck für die Partei
und für Personen erlebt wird, ist das Vertrauen der Menschen nicht zu gewinnen.
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Teil II
Erläuterungen zu Einzelthemen, die für die gegenwärtige Entwicklung und
für unsere Politik von zentraler Bedeutung sind.
1. Die aktuellen Konflikte sind vor allem Wertekonflikte.
2. Die Quellen der Kraft der Volkspartei CSU
3. Das Wertefundament unserer Partei
4. Die Zeichen der Zeit jetzt – die drei prägenden Entwicklungen
5. „Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft“ (FJS)
6. „Konservativ“ in dieser Zeit – zurück in die Vergangenheit?
7. „Konservativ“ in dieser Zeit – neue Leitbilder für den Fortschritt!
8. Wir brauchen eine fundierte Diskussion über die wachsende Bedeutung der
Religionen!
1. Die aktuellen Konflikte sind vor allem Wertekonflikte
Die pragmatisch-technokratische Modernisierung macht orientierungslos und heimatlos! Mit einer Entwicklung, in der vor allem Zahlen, Daten, „Fakten“ das Denken und
Handeln prägen, haben wir anscheinend auch verlernt, die Lebenswelten zu verstehen, die nicht mit Statistiken erfasst werden können. Die Welt der Werte, der Gefühle, die Welt der Kultur. Exemplarisch dafür ist, dass die schul- und bildungspolitischen Debatten und die entsprechende Politik weitgehend von testfähigem Wissen
und entsprechenden Vergleichen bestimmt werden. Die Persönlichkeitsbildung, mit
allem was dazugehört, etwa die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung, die Bereitschaft und die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen und so Freiheit und Verantwortung miteinander zu verbinden, eine Einführung in die kulturellen
Welten, ist immer mehr in den Hintergrund geraten. Als CSU haben wir daran auch
unseren Anteil! Rationalität und Nützlichkeit prägt dann das Denken und das Handeln – und in der Konsequenz dann auch schleichend das Bild vom Menschen.
Die Modernisierung der technischen und ökonomischen Entwicklungen war und ist
außerordentlich wichtig als Motor und Fundament der wirtschaftlichen und damit
auch der sozialen Entwicklungen. Auch die Modernisierung im Sinne einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sozialer Durchlässigkeit und eigenverantwortlicher Lebensgestaltung Raum gegeben hat, die Freiheit und die Toleranz für unterschiedliche
Lebenswege und Respekt gegen die Minderheiten entwickelt, sind ein wichtiger humaner Fortschritt. Intolerant ist die liberale Welt allerdings gegenüber konservativen
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Lebensentwürfen! Das ist eine wesentliche Ursache von Spannungen in unserer Gesellschaft - eine der Strömungen in der Zustimmung zur AfD! Aber es gilt auch: Wir
hatten in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur einen Zuwachs an Wohlstand, sondern auch einen enormen Zuwachs an Humanität! Dies hat die Lebensbedingungen
in Bayern und den Aufstieg Bayerns geprägt. Wir dürfen aber auch die kritischen, die
problematischen Kehrseiten dieser Modernisierung nicht verdrängen – auch nicht unseren eigenen Anteil daran, Es ist nun mal nicht so, dass nur „die Anderen“ Fehler
gemacht haben. Kein Mensch ist perfekt – und auch keine Partei. Wer einen gegenteiligen Eindruck erweckt, ist nicht glaubwürdig. Zu viel Selbstgewissheit macht blind!
Das Zauberwort Modernisierung hat ab den 1990er Jahren die gesellschaftliche und
politische Debatte und Entwicklungen geprägt. Die Schlüsselbegriffe der sehr technokratischen Modernisierung sind Geschwindigkeit, Flexibilität, Mobilität, Effektivität und
Effizienz. Dieser „aufgeklärte“ Pragmatismus wurde als Sieg über die „Ideologien“ gefeiert, als sachgerecht und sachbezogen und allein zukunftsweisend. Der Journalist
Jan Ross hat in der „Zeit“ vom 15.07.1989 diese Entwicklung so charakterisiert: „Modernisierer zu sein, das befreit von der Last, eine eigene Position beziehen zu müssen, eigene Kriterien für richtig und falsch, für Freund und Feind, womöglich gar für
Gut und Böse zu entwickeln und zu vertreten.“ Weil etwas „modern“ ist, es eben auch
gut und fortschrittlich ist, wird es automatisch als Fortschritt deklariert. Diese Entwicklung hat viele Menschen entwurzelt und heimatlos gemacht. In stürmischen Zeiten
bestehen aber nur „Tiefwurzler“ – dies gilt nicht nur für die Bäume bei stürmischen
Winden.
Nach Jahrzehnten, in denen der pure Pragmatismus und der ökonomische Nutzen
die Entwicklungen prägten, sind wir nun immer mehr in Debatten um Werte verstrickt
und herausgefordert. Im eigenen Land und in der weltweiten Entwicklung.
Auch die internationale Entwicklung, die internationalen Krisen, werden immer mehr
davon bestimmt, die sozialen Spannungen, die ethnischen Konflikte, die Machtfragen, werden als Kampf zwischen unterschiedlichen Werten und kulturellen Prägungen aufgeladen und inszeniert. Der Konflikt um die Ukraine wird von Russland vor allem geschürt - in Verbindung mit der orthodoxen Kirche- als Kampf gegen die „westlichen Werte“. In noch ganz anderer Weise handelt es sich bei dem unfassbar menschenverachtenden islamistischen Terror vom IS im Irak und in Syrien, beim fundamentalistischen Islam, um eine Kampfansage an die „westlichen Werte“. Mit dem
Kampf um Werte begründen Protestgruppen wie auch Rechtspopulisten und Rechtsradikale und ebenso Linkspopulisten ihr Engagement. Die jeweils dominanten Wertvorstellungen prägen weltweit Entwicklungen und Konflikte – wir haben es nur noch
nicht richtig aufgenommen oder nicht verstanden. Das ist die Ursache gravierender
Fehlentscheidungen in der internationalen Politik. Weil offensichtlich die religiösen
Kräfte die stärksten Kräfte und Motivationen bei den Menschen sind, versuchen alle
politischen Ideologien gewissermaßen sinnstiftende Ersatzreligionen zu werden.
Diese Emotionen, diese Kräfte, sind stärker als Statistiken und Erfolgszahlen.
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2. Die Quellen der Kraft der Volkspartei CSU
Die wachsende Entfremdung zwischen – zumindest beachtlichen Teilen - der Bevölkerung und den Parteien und der Politik in Deutschland und in Europa ist eindeutig.
In den USA ist der Wahlkampf gegenwärtig davon ganz wesentlich geprägt. Die Protestbewegungen nehmen zu, ebenso die Distanz zur Politik und zum Staat. Gleichzeitig erleben wir gerade im Zusammenhang mit den großen Fluchtbewegungen die
Auswirkungen, wenn Staaten nicht mehr handlungsfähig sind.
Viele Mechanismen und Rituale der Politik fördern sicher die Politikverdrossenheit.
Hier ist eine selbstkritische Auseinandersetzung dringend notwendig. Dies gilt aber
ebenso für den modernen Medienbetrieb, der sich primär für „wer ist gegen wen?“ interessiert. Es ist zu billig, die Schuld nur bei der Politik und den Politikern zu suchen.
Die Medienmechanismen und die politische Kultur stehen in einer engen Wechselbeziehung.
Und es gibt andere Ursachen. Es ist „schick“ geworden über die Politik, „die Politiker“
und über den Staat abschätzig und hämisch zu sprechen. Der Staat und die Staatsverwaltung werden weithin nur noch als Dienstleistungsbetrieb gesehen (zu oft haben wir die Staatsverwaltung aller Ebenen auch häufig nur als modernen Dienstleistungsbetrieb definiert!). Anspruchsdenken gegenüber Dienstleistern ist normal. So ist
die Haltung des Verbrauchers als Konsument. So ist dann auch der Einwohner – ist
er noch Bürger und Bürgerin? – nur noch Konsument gegenüber dem Staat und der
Politik. Nicht mehr Bürger und Bürgerin im und für sein Gemeinwesen, sondern Demokratie-Konsument mit entsprechenden Ansprüchen.
Die Entwicklung der CSU als moderne Volkspartei ist untrennbar verbunden mit ihrer
Präsenz durch die Mitglieder und die Mandatsträger in allen Strukturen der Gesellschaft und durch die Mitarbeit in den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen.
Das Gespür für Entwicklungen in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und
den verschiedenen Fachwelten, auch das Gespür für notwendige Innovationen, gesellschaftliche, technisch-ökonomische und politische, haben wir aus dieser Verankerung bezogen. (Aus meiner eigenen Erfahrung nenne ich als Beispiele die Pionierleistungen der neuen Agrarpolitik – „Der bayerische Weg“, die Pionierleistungen der
Umweltpolitik, die Zukunftsoffensiven für Bayern u. a.). Das Neue entsteht nicht in
den Parteien und nicht in den Großorganisationen aller Art (von den Verbänden bis
zu den Kirchen); es beginnt immer mit „Außenseitern“ („Neuland des Denkens“, Frederic Vester) wächst in kleinen Gruppen, daraus werden soziale Bewegungen. Ähnlich ist der Prozess in der Wissenschaft und in der Wirtschaft. Die Innovationskraft
der Parteien – auch der CSU! - hängt ausschließlich davon ab, wie sehr sie damit in
Verbindung stehen oder ob sie immer mehr geschlossene und mit sich selbst beschäftigte Gesellschaften werden.
Keine andere Partei in Deutschland war in diesen Jahrzehnten so in der Bevölkerung
und in den gesellschaftlichen Gruppen verankert. Das war die die Kraftquelle der
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CSU – verbunden mit der Identifikation mit Bayern. Dem traditionellen und dem modernen Bayern.
Wir müssen uns selbstkritisch, ehrlich damit auseinandersetzen, wie es heute darum
bestellt ist!
3. Das Wertefundament unserer Partei
Die CSU hat sich in schwierigen und oft schmerzlichen inneren Auseinandersetzungen zur starken Volkspartei entwickelt. Gerade im Jahr der Veranstaltungen zu 70
Jahre CSU haben wir einen guten Anlass, uns damit zu befassen und daraus Orientierung und Kraft zu gewinnen.
Von entscheidender Bedeutung ist das Fundament als christlich-soziale Partei, eine
Orientierung, die nicht gruppenspezifisch und begrenzend ist, sondern allen Menschen zugänglich ist - auch ohne entsprechende religiöse Bindung. In den Anfangsjahren entwickelte sich mit vielen Kontroversen und schmerzlichen Auseinandersetzungen die besondere bayerische Symbiose von liberal und konservativ, die Verbindung von heimatverbunden und weltoffen.
Für die Zukunft der CSU (der Unionsparteien) ist nicht nur die Entwicklung am rechten politischen Rand von Bedeutung, sondern ebenso, dass wir dem „C“ und dem „S“
weiter gerecht werden. Eine zu starke Orientierung an den Wahlergebnissen mit dem
Blick nach rechts kann auch ein schleichender Prozess des Verlustes der Grundsubstanz und des Fundaments der C – Parteien – das christliche Menschenbild und das
Menschenbild nach Art. 1 Grundgesetz werden. Wenn wir dies nicht ebenso aufmerksam beachten, führt dies zu einer Entfremdung und Abwendung des Teils der
Wählerschaft, in denen das C und das S wichtig sind. In diesem Spektrum ist bereits
ein erheblicher Erosionsprozess im Gang.
„Wir alle haben keine Patentrezepte und keine schnellen Lösungen parat, aber es ist
beleidigend, wenn ich Politiker reden höre, die uns „Kirchenleute“ lächerlich machen
wollen, weil wir nach wie vor dezidiert eine humane Flüchtlingspolitik unterstützen.
Tausende von Christinnen und Christen in unserem Land sind es, die Seite an Seite
mit allen Menschen guten Willens zeigen, dass wir nach wie vor oder gerade jetzt die
Botschaft Jesu Christi ernst nehmen wollen und zwar unter den realen Bedingungen
unserer Zeit.“ (Prof. Hans Tremmel, Vorsitzender des Diözesanrates München)
In den letzten Wochen haben mir viele Menschen, die bislang CSU gewählt haben,
erklärt, dass sie und ihre Familie sich nicht mehr in der Lage sehen, CSU zu wählen.
Im Hinblick auf die tatsächlichen Leistungen der CSU und Bayerns dürfte dies für
viele von uns unverständlich sein, aber die Wahrnehmung der CSU aufgrund diverser Debatten prägt eben dieses Bild. Ob es uns passt oder nicht. Und leider gibt es
auch immer wieder Äußerungen aus dem Bereich von Mandatsträgern, die dieses
Bild bestätigen, wenn zum Beispiel nur abfällig über die „Willkommenskultur“ geredet
wird, die Kosten für Flüchtlinge und Migranten gegenüber Wünschen aus gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, mit Stimmungen gespielt
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wird. Ähnlich verhält es sich mit der insgesamt ja schwierigen Debatte um die „Leitkultur“. Wer fühlt und erlebt, dass er eigentlich unerwünscht ist, wird sich der Anstrengung zur Integration nicht stellen. Wir würden es mit einer solchen Erfahrung
auch nicht tun.
Über viele Entwicklungen und Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik kann man aus guten Gründen auch unter Christen unterschiedlicher Meinung sein, aber der Maßstab
des christlichen Menschenbildes, die Würde des Menschen nach Art. 1 Grundgesetz
darf nicht zur Disposition stehen. („Für die CSU ist das christliche Menschenbild bestimmender Maßstab.“ Grundsatzprogramm S. 28) Ansonsten müssten wir konsequenterweise das C und diese Passage streichen.
Von ganz besonderer Bedeutung war und ist die klare und entschiedene Unterscheidung zwischen Patriotismus und Nationalismus. Gerade diese Unterscheidung ist gegenwärtig für die Kursbestimmung der CSU besonders wichtig! Patriotismus als
Wertschätzung unserer eigenen Kultur und Identität, verbunden mit einem Gespür
und einer Wertschätzung für andere Kulturen. Dies als eindeutige Unterscheidung
und Abgrenzung zum Nationalismus, der die eigene Kultur überhöht, zur Ideologie
und zur Ersatzreligion macht und andere Kulturen abwertet und ausgrenzt. Das ist
die Spielkarte der Rechtspopulisten. Damit müssen wir uns auseinandersetzen und
auf die Alternative Patriotismus, die Alternative heimatverbunden und weltoffen setzen! Das ist auch eine wichtige Orientierung in der Auseinandersetzung um die Zukunft der Globalisierung! Auch diese Debatte verkürzen wir weitgehend auf die technischen und ökonomischen Aspekte. Wir erleben aber bei uns, in Europa und, wie
der Wahlkampf zeigt, auch in den USA, zunehmend wachsende Ängste vor diesem
Prozess und eine wachsende Ablehnung. Eine gefährliche Entwicklung. Neben sozialen Themen und Ängsten ist dabei vor allem die Angst vor Identitätsverlust, vor Verlust an Selbstbestimmung im eigenen Lebensraum, vor „Überfremdung“ die treibende
Kraft. Wiederum: Dies ist in Statistiken nicht erfassbar und wird deshalb wenig verstanden. Dies gilt auch für die Zentrifugalkräfte in der Europäischen Union – auch
hier wächst diese Angst.
4. Die Zeichen der Zeit jetzt – die drei prägenden Entwicklungen,

Die demographische Entwicklung der entsprechenden Veränderung der Bevölkerungsstruktur

das Internet mit den verschiedenen Ausprägungen (soziale Netzwerke etc.)

die Globalisierung mit der Entwicklung zur weltweiten Schicksalsgemeinschaft.
Alle drei Faktoren führen jetzt zu Entwicklungen, die uns besondere Schwierigkeiten
bereiten und unsere Lebenswelten in einer Weise verändern, wie wir es bisher nicht
kannten oder nicht sehen wollten.
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
Die demographische Entwicklung:
Veränderungen in den Altersstrukturen in unserer Bevölkerung werden nun in ihren
Auswirkungen immer deutlicher und zeigen immer mehr Probleme. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Situation im Alter. Für die älteren Menschen im Hinblick auf
Pflege und materielle Sicherheit und für die jüngere Generation für ihre Erwartungen,
genauer Befürchtungen für ihre Lebenssituation im Alter. Die Generationensolidarität
wird starken Belastungsproben unterzogen. Das ist der aktuelle Leidensdruck, die
Problematik und die Aufgabe ist aber weit größer. Das dürfen wir nicht, wie bisher,
weiter verdrängen. Meinhard Miegel hat schon vor vielen Jahren auf diese Entwicklung und ihre Folgen hingewiesen. Die gegenwärtige Situation beschreibt er so: „Unsere Gesellschaft wird derzeit tiefgreifend umgepflügt, mit der Folge, dass unser Gewicht in Europa und der Welt weiter abnimmt. Grundsätzlich gilt es daher zu entscheiden: Wollen wir uns gegen diese Entwicklung stemmen, oder wollen wir uns
letztlich in bescheideneren Verhältnissen einrichten?
Folgen wir der ersten Strategie, bedeutet dies: Deutlich mehr Kinder, eine planmäßige Zuwanderung bei gleichzeitiger, umfassender Integration von Millionen von
Menschen und nicht zuletzt größte Anstrengungen in allen Bereichen von Wirtschaft,
Wissenschaft und Kunst. Machen wir hingegen weiter wie bisher, wird zunächst sowohl unser materieller als auch immaterieller Wohlstand sinken. Auf lange Sicht werden wir zudem marginalisiert. Das muss keine Katastrophe sein. Aber uns sollte
schon klar sein, was uns da bevorsteht. Denn eines ist gewiss: So oder so werden
wir künftig ein erheblich anderes Leben führen, als wir es seit Generationen gewohnt
sind. Wir benötigen jetzt und in der vorhersehbaren Zukunft hunderttausende von
Menschen, die sich um Alte, Gebrechliche oder Demente kümmern. Aber wieder
wurde keine Kultur gepflegt, die in ausreichender Zahl Menschen hervorbringt, die
bereit sind, anderen zu dienen, noch wurden Strukturen geschaffen, in denen solche
Menschen optimal wirken können. Wenn jetzt nach Polinnen oder Ungarinnen gerufen wird, die solche Dienste erbringen sollen, dann ist dies ein gesellschaftliches und
politisches Armutszeugnis.“ (Stiftung & Sponsoring 2/2016)
Die zu erbringende Führungsleistung der Politik und der Führenden in den gesellschaftlichen Gruppen ist, den Menschen diese Entwicklungen verständlich zu vermitteln. Ohne diese Grundlagenarbeit kann nicht erwartet werden, dass die Bürgerinnen
und Bürger entsprechende politische Strategien und die damit verbundenen Anstrengungen verstehen und akzeptieren .Dann sind sie rasch die Opfer der Verführung
von Protestparteien wie der AfD.

Digitale Kommunikation:
Die digitale Kommunikation verändert nun mit hoher Geschwindigkeit fast alle Lebensbereiche. „Schnelles Internet“ ist ein wichtiger Standortfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit. Aber es reicht nicht, sich nur damit auseinanderzusetzen. Was bedeutet diese technische Entwicklung für die inneren Entwicklungen in unserem Gemeinwesen und in unserer Gesellschaft, für die Kommunikation in der Demokratie,
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für das Bildungswesen, nicht nur im Hinblick auf Fertigkeiten, sondern für die Entwicklung der Persönlichkeiten, für den Schutz der Menschenwürde durch wirksamen
Datenschutz?
Was bedeutet die neue Dynamik der Digitalisierung für die Entwicklungen in unserer
Arbeitswelt, etwa die 3D-Drucker und die industrielle Produktion mit digitaler Vernetzung - 4.0 Produktionsanlagen? Was bedeutet dies für neue Produkte im weltweiten
Wettbewerb? Was bedeutet das für die Zukunft von vielen Arbeitsplätzen in unserer
Automobilindustrie? Bleiben unsere Firmen durch Wandel in der Spitzengruppe der
Welt? Für Bayern eine besonders bedeutsame Fragestellung! Für die Energieversorgung?

Die EINE WELT - eine neue Etappe der Globalisierung.
Die Welt wird eine Schicksalsgemeinschaft.
Das Internet ist der Motor der rasanten Beschleunigung der Internationalisierung unseres Lebens, der Wegbereiter der neuen Etappe der Globalisierung zur weltweiten
Schicksalsgemeinschaft. Ohne Internet wäre der Welthandel, wären unsere Exporte,
unser Wohlstand nicht möglich. Ohne Internet gäbe es keine globale Urlaubswelt.
Ohne Internet hätte es keinen „Arabischen Frühling“ gegeben – mit seinen fatalen
Folgen. Ohne Internet gäbe es keinen international organisierten Terrorismus, wie er
nun im „Islamischen Staat“ (IS) grausame und bedrohliche Wirklichkeit ist. Ohne Internet gäbe es nicht die großen Flüchtlingsströme.
Mit der modernen digitalen Kommunikation wissen wir immer mehr voneinander und
daraus entstehen immer mehr Konflikte. Die Verlierer der bisherigen Entwicklungen,
die Armen in der Welt, wissen um unsere Lebenssituation und sie sind nicht mehr bereit, dies einfach hinzunehmen.
Das Internet hat aber auch Milliarden von Menschen die Chance gegeben, Zugang
zum Wissen dieser Welt zu erhalten.
Nur wenn wir diese Realitäten aufnehmen, werden wir, in Verbindung mit den sozialen und kulturellen Konfliktstoffen, die Entwicklungen in dieser Welt verstehen und
nur so können wir daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Diese Einsicht ist
die notwendige Voraussetzung, um auch die Einsicht zu gewinnen, dass wir nur die
Wahl haben zwischen mehr Solidarität innerhalb dieser einen Welt oder der Zunahme der Krisen und immer mehr Unruhen und Konflikten in unseren eigenen Lebenswelten. Nur so werden wir auch die Kraft dafür gewinnen, die entsprechende
Anstrengung und eine neue Solidarität auch im Hinblick auf den Einsatz unserer Ressourcen. Dabei steht nicht im Vordergrund das Teilen, sondern das Eröffnen von Zukunftschancen für die Menschen in anderen Regionen dieser Erde. Dies sind die
Prüfsteine für „christliche Werte“, aber ebenso ein Gebot der Vernunft.
Das wird viel Anstrengung und viel Geld kosten – im eigenen Land und im internationalen Engagement. Ein Fundament unseres Wohlstands ist auch die Situation der
Armen in der Welt, ihre Lebenssituationen, ihre fehlenden Zukunftsperspektiven sind
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auch Bausteine unseres Wohlstandes. Unser Wohlstand ist auch ein Ergebnis der
Ungerechtigkeiten in der Welt. Bundesminister Gerd Müller weist immer wieder darauf hin, aber „Entwicklungspolitik“ war nie populär.
„Wir wussten, dass es vielen Menschen auf der Welt viel schlechter geht als uns.
Uns war auch klar, dass sie wissen, wie man zu uns kommt. Jetzt haben sich viele
auf den Weg gemacht. Unser Interesse muss jetzt sein, die Krisenregionen im Nahen
und Mittleren Osten und in Afrika zu stabilisieren, damit die Welt nicht noch mehr aus
den Fugen gerät. Das ist unser Rendezvous mit der Globalisierung – ob uns diese
Begegnungen nun gefallen oder nicht. Dafür können wir uns nicht im warmen Stübchen verstecken (...) Wir werden unsere Ausgaben für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, für innere und äußere Sicherheit deutlich erhöhen. Die Verteidigungsausgaben müssen steigen, weil wir unser militärisches Engagement ausweiten müssen. Das werden zentrale Aufgaben der deutschen Politik, um die Wünsche
der Menschen ernst zu nehmen, in Sicherheit leben zu können. (Wolfgang Schäuble
Interview PNP 04.02.2016)
Zur glaubwürdigen Flüchtlingspolitik der CSU gehört, dass wir uns dafür – die Bekämpfung von Fluchtursachen – genauso engagieren und positionieren wie zur notwendigen Begrenzung der Zuwanderung. Die Fluchtursachen wirksam bekämpfen,
begrenzt sich freilich nicht auf die aktuelle Hilfe in Notsituationen, wie etwa in den
großen Flüchtlingslagern im Nahen Osten. Das ist wichtig und das Wirken Bayerns
und der CSU dafür ist wertvoll! Eine wirklich dauerhafte wirksame und ernst gemeinte
Bekämpfung der Fluchtursachen führt zwangsläufig zu selbstkritischen Auseinandersetzungen über die Bedingungen des Welthandels, über die Ausbeutung von Menschen und Regionen für kostengünstige Produkte bei uns.
Mit dem Hinweis auf Auswirkungen auf Arbeitsplätze bei uns werden solche Überlegungen schnell blockiert. Ohne solche Veränderungen werden aber die Krisen, die
Konflikte und die Auswirkungen all dieser Krisen auf uns noch drastisch zunehmen.
Die Gefahr ist groß, dass wir dies weiter so verdrängen, wie wir die Flüchtlingsfrage
trotz schrecklicher Bilder und Nachrichten aus dem Mittelmeerraum verdrängt haben,
bis uns die Entwicklung selbst erreicht hat. Es ist zu befürchten, dass wir im Hinblick
auf die tatsächlich notwendigen Konsequenzen in den Strukturen und Regeln des
Welthandels die Sachverhalte wieder weiter verdrängen - um dann noch größere Krisen zu bekommen.
Das ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit und der großen Aufgaben
für eine glaubwürdige Zukunftspolitik
5. „Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere
Zukunft (FJS)
Bayern ist unsere Heimat und besondere Stärke. Die CSU ist aber mehr als eine
„Bayern-Partei“!
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Bayern ist uns eine besondere Verpflichtung, der wir nur gerecht werden können,
wenn wir unsere weltweiten Abhängigkeiten und die weltweiten Chancen gleichermaßen erkennen. Eine Parole „Bayern zuerst“ könnte uns schnell in eine Engführung
bringen, mit der wir die Wirklichkeit verkennen und Zukunftschancen verspielen.
Diese Orientierung gilt auch für unsere Zeit, erweitert um die Dimensionen Bayern in
der globalisierten Welt, Chance und Aufgabe zugleich.
Den Pionieren des europäischen Einigungsprozesses verdanken wir unendlich viel.
Unsere (!) Europäische Union ist von Krisen geschüttelt und trotzdem für eine gute
Zukunft als handlungsfähige Gemeinschaft unverzichtbar. Die Ursachen der Krisen
und der Schwierigkeiten sind vielfältig. Der langjährige Spitzendiplomat (jetzt Leiter
der Münchner Sicherheitskonferenz) Wolfgang Ischinger hat es selbstkritisch so formuliert: „Wir haben die europäischen Strukturen angelegt wie ein Häuslebauer, der
nie einen Sturm erwartet. Das war unser Hauptfehler der letzten Jahrzehnte.“ Er benennt dann Schengen und die Grenzkontrollen und andere Beispiele. (Interview „Die
Welt“ 18.04.2016)
Als Partei in der Verantwortung können wir uns nicht darauf beschränken zu kritisieren, was mangelhaft ist und was an Weichenstellungen in der Vergangenheit aus
heutiger Sicht falsch war. Ich bin über den Verlauf vieler europapolitischer Diskussionen sehr beunruhigt. Zumal sie meistens nach dem Muster sind: klagen und benennen, was nicht geht, häufig verbunden mit Anklagen an andere Adressen, aber zu
selten mit konkret benannten und vertretenen Alternativen. Protest allein genügt
nicht, wir sind eben nicht eine Protestpartei!
Unsere Antwort kann nicht ein zunehmend negatives Reden über Europa sein. Wir
müssen konzeptionelle Alternativen und Antworten entwickeln. Dabei müssen wir realisieren, dass die sozialen, kulturellen und politischen Unterschiede in Europa weit
größer sind, als wir angenommen hatten. Die große und grundsätzliche Herausforderung dieser Zeit der immer engeren Verflechtung der Länder und Kontinente ist, dass
damit auch immer intensivere Erfahrungen der Verschiedenheit verbunden sind. Dafür brauchen wir neue Konzepte für die Verbindung von notwendiger Einheit und der
Realität der Vielfalt mit dem Anspruch auf Selbstbestimmung. (Das ist, als Beispiel,
gegenwärtig auch die zentrale Herausforderung und Aufgabe in der katholischen Kirche als Weltkirche und im Lutherischen Weltbund). Die Bindung an die eigene Kultur,
die Bedeutung der eigenen Identität und der Wunsch nach Selbstbestimmung im eigenem Lebensraum, wird auf Dauer stärker sein als alle Logik der Rationalität, der
Effizienz, der Globalisierung. Beispiele aus der europäischen Welt: Die Gesellschaften der früher kommunistischen Länder haben in etwa zehn Jahren gesellschaftliche
Veränderungen erfahren, für deren Prozess wir 50 Jahre Zeit und trotzdem Schwierigkeiten hatten. Außerdem: Sie fühlten sich früher von Moskau beherrscht und entwickeln nun zunehmend Abwehrhaltungen gegen europäischen Zentralismus. Auch
deshalb müssen wir vieles in Europa neu durchdenken. „Weiter so“ wird nicht funktionieren.
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Unsere Orientierung ist eine neue Aktualisierung des Subsidiaritätsprinzips, des Föderalismus. Dafür ist viel konzeptionelle Arbeit und Anstrengung notwendig.
Wir müssen auch in der Europapolitik ein neues Gespür für die unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Prägungen entwickeln. Viele Konflikte in der gegenwärtigen Welt sind darauf zurückzuführen, dass wir geglaubt haben, alle Menschen
in der Welt denken und fühlen, „ticken“ genauso wie wir. Das ist die Quelle des großen Irrtums, dass wir nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nun in der Eigendynamik der Anziehungskraft von Freiheit, Recht und Demokratie einen großen
Siegeszug unserer westlichen Zivilisation erleben werden.
Angesichts der weltweiten Entwicklungen und der neuen Kraftzentren in anderen
Kontinenten geht es für Europa jetzt um unsere Selbstbehauptung in dieser Welt.
Dies gilt nicht nur für die Märkte und die Technik, es gilt auch für unsere Kultur und
es gilt für eine schon im Gang befindliche grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen den politischen Systemen – den autokratischen Leitbildern wie Russland,
China und andere und den Demokratien.
Der Anteil Europas an der Weltbevölkerung geht dramatisch zurück. Als Nationalstaaten werden wir in diesem Weltgefüge im Hinblick auf unseren Einfluss bedeutungslos. Deshalb lohnt es sich weiter für gemeinsame europäische Wege zu arbeiten und zu kämpfen.
6. „Konservativ“ in dieser Zeit – zurück in die Vergangenheit?
Seit vielen Jahren und immer wieder diskutieren wir darüber, was „konservativ“ eigentlich beinhaltet. Konservativismus ist keine in sich geschlossene Denkwelt. Die
Kategorien konservativ und progressiv oder liberal gibt es auch innerhalb der verschiedenen politischen Gruppierungen, in den Religionen und in den Gesellschaften.
In CSU und CDU wird immer wieder beklagt, dass konservative Werte zu wenig zur
Geltung kämen. Meistens, wie oft auch in anderen Gemeinschaften, nach dem Muster: Ein Defizit wird beklagt, Beteiligung wird eingefordert – und dann erwartet, dass
die Vorsitzenden die Sache so regeln, aber bitte nicht „von oben“. Meistens bleibt es
unscharf, was mit dem Ruf nach mehr konservativ konkret verbunden wird. Mit den
Wahlergebnissen der AfD ist dieser Ruf wieder lauter geworden. Die konservative
Botschaft dieser Partei ist aber vor allem eine Flucht aus der Wirklichkeit, eine Haltung, die der angeblich so guten Vergangenheit nachtrauert. Das bedeutet Ablehnung von Wandel und der damit verbundenen Freiheit der offenen Gesellschaft mit
den verbundenen Anstrengungen und Belastungen. Das gleiche gilt für die Ablehnung der Globalisierung und die Ignoranz gegenüber der Realität der Internationalisierung vieler unserer Lebensbezüge Diese Variante von konservativ ist eine
Scheinantwort auf die Ängste der Menschen, aber auch eine Versuchung. Hinzu
kommen aber auch Entwicklungen, mit denen wir uns schon kritisch auseinandersetzen müssen.
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Das mangelnde Gespür, der mangelnde Respekt, die fehlende Toleranz der angeblich so toleranten Gesellschaft gegenüber konservativen Lebenshaltungen ist auch
eine wesentliche Quelle des Protestes und der Wahlergebnisse. „Man ist“ natürlich
tolerant gegenüber allen neuen und ungewöhnlichen Lebensstilen, aber nicht gegenüber traditionellen Leitbildern. Exemplarisch dafür ist die Debatte um „traditionelle“
Leitbilder für die Familie und damit verbunden die Debatte um das Erziehungsgeld.
Eine umgekehrte Intoleranz gibt es freilich auch mit dem Konservativismus in der AfD
und ihrer konservativen Wählerschaft. Wir haben unsere Position, unser Leitbild für
Ehe, Familie und Lebenspartnerschaft im Grundsatzprogramm (S. 71 - 81) beschrieben.
Wir müssen uns deutlich abgrenzen gegenüber einem Konservatismus, der die
Flucht in die Vergangenheit pflegt, die Illusion verbreitet, dass all die anstrengenden
Veränderungen nicht notwendig sind und aufgehalten werden könnten. Diese Haltung ist der Leitfaden für die Rechtspopulisten und die Linkspopulisten. Damit müssen wir uns auseinandersetzen! Diese Prägung von konservativ ist gefährlich für die
künftigen Lebenschancen der Menschen! Das ist eine Beruhigungsdroge mit gefährlicher Wirkung.
7. „Konservativ“ in dieser Zeit – neue Leitbilder für den Fortschritt!
Die besondere Stärke der Volkspartei CSU gründet vor allem auch auf der Verbindung von konservativer und liberaler, von bewahrenden und progressiven Einstellungen. Aus dieser Erfahrung heraus ist es eine besondere Chance und Aufgabe der
CSU für die Situationen und die Aufgaben von heute die notwendige Dynamik zur
Veränderung, zur Innovation mit einer zeitgemäßen konservativen Position zu verbinden. Dies sind keine unvereinbaren Gegensätze.
Viele Fehlentwicklungen haben ihre Quelle in dem Wandel vom längerfristigen zum
kurzfristigen Denken. Unsere Zeit, unsere Einstellungen sind auf das Hier und Jetzt
fixiert und dabei „geschichtsvergessen“ und „zukunftsvergessen!“
Geschichtsvergessen – wir vernachlässigen die Erinnerung, die Pflege und damit die
Kenntnis unserer Geschichte und die Entwicklungen und Prägungen unserer Kultur
mit der Bedeutung der Traditionen.
Es ist bemerkenswert, dass schon vor Jahren vor allem bekannte Ökonomen die Bedeutung von Traditionen betont haben.
„Es gab wahrscheinlich nie einen echten Glauben an die Freiheit und gewiss keinen
erfolgreichen Versuch, eine freie Gesellschaft zu schaffen, ohne eine echte Ehrfurcht
vor entstandenen Einrichtungen, vor Bräuchen und Gewohnheiten und vor allem jenen Sicherungen der Freiheit, die sich aus lange bestehenden Regelungen und alten
Gepflogenheiten ergeben. So paradox es klingen mag, eine erfolgreiche freie Gesellschaft wird eine immer im hohem Maße traditionsgebundene Gesellschaft sein.“
(Friedrich A. Von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Tübingen)
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„Nicht die Prinzipien der offenen Gesellschaft, nicht das marktwirtschaftliche Regelwerk, nicht der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren tendieren zur Raffgesellschaft,
sondern die Beschädigungen unserer Moralregeln, wie sie sich in den letzten Jahren
deutlich zeigen, sind das Problem.“
(Karl Schiller, der schwierige Weg in die offene Gesellschaft, Berlin 1994)
Zukunftsvergessen – wir leisten uns einen Lebensstil auf Kosten der Zukunftschancen der nachkommenden Generationen. Wir sind als Gesellschaften weit entfernt
von der Haltung von Eltern, die um der Zukunftschancen ihrer Kinder willen auf das
ein oder andere verzichten, was nicht lebensnotwendig ist.
Nur aus einer solchen Verantwortung heraus können wir die Wege zu einer Lebenskultur entwickeln, die langfristig tragfähig ist. Unsere heutige Art zu leben ist nicht zukunftsfähig. Weder ökologisch, noch ökonomisch und noch weniger sozial verträglich. In unseren eigenen Gesellschaften fühlen sich immer mehr Menschen überfordert vom „immer höher, immer schneller, immer weiter“. Immer mehr Menschen werden psychisch krank und immer mehr nutzen Aufputschmittel, um noch bestehen zu
können.
Wir brauchen ein neues Leitbild für den Fortschritt! Das Leitbild „Nachhaltigkeit“. Es
ist eine Symbiose von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt und gelebte
Verantwortung gegenüber den Menschen und der ganzen Schöpfung. Praktizierte
Zukunftsverantwortung. Der Wegweiser für eine zukunftsfähige Lebenskultur. Bei uns
und für die weltweite Entwicklung. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein ökologischer Maßstab. Alle sozialen und politischen Prozesse können nach diesem Kriterium beurteilt
werden, ob sie langfristig möglich und tragfähig sind. Dieser Maßstab ist fachübergreifend, er ist für ökologische, ökonomische und soziale Situationen und Entwicklungen gleichermaßen geeignet. Nachhaltigkeit ist ein ganzheitliches Prinzip, eine ganzheitliche Betrachtungsweise, die auch in anderen Religionen und Kulturen eine Heimat hat. Damit im Zeitalter der Globalisierung und der immer stärker erlebten Unterschiedlichkeit eine gemeinsame Grundlage, eine gemeinsame Perspektive. Globalisierungstauglich!
Nachhaltigkeit als Leitbegriff setzt langfristiges Denken und die Bereitschaft zur Zukunftsverantwortung voraus. Ohne diese Grundeinstellung gibt es keine Chance, dieses Prinzip zu verwirklichen. Die Transformation unserer heutigen Art zu leben in
eine solche Lebenskultur ist schwierig und ein langwieriger Prozess. Das setzt zunächst die unerlässliche Einsicht in die Notwendigkeit der Änderung voraus. Die
Komplexität erfordert Lernbereitschaft und viel Sachkenntnis. Dies alles reicht aber
nicht. Wir werden uns einer solchen Anstrengung nur unterziehen, wenn wir dafür
eine entsprechende moralische Motivation haben.
Diese Aufgabe ist die größte ethische Herausforderung unserer Zeit! In der Konsequenz heißt dies ja, dass als Entscheidungsmaßstab nicht mehr ausreicht, was uns
an Entwicklungen und Entscheidungen jetzt und heute nutzt, sondern ebenso unsere
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Nachkommen und die Menschen in anderen Regionen dieser Welt mit einbeziehen
zu müssen. Solidarität und Gemeinwohl erfordern eine ganz neue Dimension.
Eine solche konservative Grundhaltung des längerfristigen Denkens ist verknüpft mit
der Verbindung von Freiheit und Verantwortung. Das verlangt eine Absage an ein
Verständnis von „Selbstverwirklichung“, lange Zeit ein Leitbild in Erziehung und Bildung, das letztlich darauf hinausläuft „Freiheit für mich – die Verantwortung und die
Anstrengungen an andere“.
8. Wir brauchen eine fundierte Diskussion über die wachsende Bedeutung der
Religionen!
Die christlichen Kirchen erleben die größte Veränderung seit der Säkularisation. Immer weniger Menschen gehören zu den beiden christlichen Kirchen, der Traditionsabbruch in der Weitergabe des Glaubens ist überall Realität und die Zahl der Gläubigen und die Rolle der Kirchen wird sich schon in den nächsten zehn Jahren tiefgreifend verändern. Dies hat auch eine Auswirkung auf der Rolle der Kirchen in der Gesellschaft und im Verhältnis von Kirchen und Staat.
Die Situation ist aber gleichzeitig extrem widersprüchlich. Wir betonen, ja beschwören die Bedeutung der „christlichen Werte“ und der „westlichen Werte“, bleiben aber
weiterhin diffus und unscharf in der Erklärung, was wir damit meinen.
Die widersprüchliche Situation zeigt sich sehr deutlich in einer Untersuchung in Österreich.
„Die eigentlichen Inhalte des christlichen Glaubens verdunsten“. So wird darauf verwiesen, dass von der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung Ostern nur noch als
Brauchtum und nur mehr von 43 % als religiöses Fest gesehen werden. Gleichzeitig:
„Die österreichische Bevölkerung tritt massiv für die Aufrechterhaltung der christlichen Prägung des Landes ein. Sogar 80 % – also mehr als Christen in Österreich
vorhanden sind – fordern auch für die Zukunft, dass Österreich ein christliches Land
bleiben sollte.“ Bezogen auf die Anhängerschaft der Parteien: ÖVP 87 %;
FPÖ/FPK/BZÖ 86 %; SPÖ 79 %; Grüne 50 %. (Untersuchung IMAS)
Was ist hier mit „christlich“ gemeint, was meinen wir damit? Die Kirchen als Stabilitäts-und Ordnungsfaktor? Die christlichen Traditionen als Teil unserer Kulturen unsere Identität – oder mehr? Was meinen wir mit christlichen Werten konkret?
Zeitgebundene gesellschaftliche Leitbilder - oder auch die oft unbequemen Botschaften und Forderungen wie Nächstenliebe, Solidarität mit den Schwachen, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit?
Den Religionen wird wieder eine wachsende Bedeutung für die Entwicklungen in der
Welt zugeschrieben. Gleichzeitig werden in allen Religionen die Strömungen zum
Fundamentalismus stärker. Nicht nur im Islam, auch in asiatischen Religionen (siehe
Indien) gewinnen radikale Strömungen an Einfluss, auch in der Politik. Wenn wir im
Zeitalter der Globalisierung die Entwicklungen in diesen Regionen der Welt besser
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verstehen wollen, werden wir uns damit intensiver auseinandersetzen müssen. Aber
auch über die Rolle der Religionen in Europa und bei uns.
Die Gewährleistung der Religionsfreiheit wird auch in der internationalen Politik zunehmend der Maßstab für die Qualität der Staatswesen.
Religionsfreiheit und die Trennung von Religion und Staat ist der Weg zu einem friedlichen Nebeneinander oder gar Miteinander der Religionen.
Die Religionsfreiheit und die entsprechende Trennung von Religion und Staat sind
die Frucht der furchtbaren Auseinandersetzungen der christlichen Konfessionen in
Europa und ein kostbarer Schatz für unser Land.
Deshalb müssen wir auch mit Blick auf den Islam in Deutschland mit dem hohen Gut
Religionsfreiheit sehr sorgfältig und gut überlegt umgehen. Die Regelungen des
Grundgesetzes gelten für alle Religionen gleichermaßen und können für eine Religion nicht infrage gestellt werden, ohne dass es auf die anderen Religionen auf
Dauer Auswirkungen hätte.
Wir brauchen eine fundierte und entsprechend differenzierte Diskussion über den Islam. Wer Islam und Islamisten gleichsetzt mit „der Islam“ errichtet Mauern, erschwert
die Integration, entmutigt die Muslime, die selbstverständlich in unserem Land nach
unseren Regeln leben.
Die überwältigende Mehrheit der schon bisher bei uns lebenden ca. 4 Millionen Muslime in Deutschland ist in unserer Arbeitswelt und im allgemeinen Leben selbstverständlich dabei.
Gleichzeitig gibt es die Realität von Parallelwelten, ist die Situation sehr unterschiedlich, wie etwa in München mit einem weit höheren Ausländeranteil als in Berlin,
gleichzeitig aber mit einem großen Unterschied in der Integration.
Mit der nun rasch wachsenden Zahl von Muslimen in Deutschland ist eine offene,
ehrliche und intensive Debatte über die Situation, die Perspektiven und die notwendigen Entscheidungen notwendig. Für diesen Weg müssen wir vor allem mit den Muslimen und ihren Repräsentanten aktiv zusammenarbeiten, die sich in den vergangenen Jahren in ihrem Verhalten und ihrem Engagement als verlässliche Partner ausgewiesen haben. Notwendige Veränderungen innerhalb des Islam können wir nicht
von außen erzwingen, aber durch die Stärkung dieser Kräfte fördern. Die Angst vor
einer „Islamisierung“ unseres Landes ist vor allem Ausdruck der eigenen Unsicherheit über unsere Werte, Ausdruck einer verunsicherten und oft in sich zerrissenen
Gesellschaft.
Diese grundsätzlich positive Bilanz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir
viele ungelöste Problem- und Aufgabenstellungen haben, für die nun mehr denn je
ein Klärungsprozess notwendig ist. Zu einer durchdachten Integrationspolitik gehört
also zwingend die offene, intensive und konstruktive Gestaltung all der Themenbereiche die mit der Realität des Islam in Deutschland mit der zwingenden Notwendigkeit,
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gemeinsam den Weg in die Zukunft zu gestalten, verbunden sind. Dazu gehört dann
auch weiter höchste Wachsamkeit gegenüber den radikalen Strömungen wie sie
etwa mit den Salafisten ebenso Realität sind. Dafür brauchen wir den starken
Rechtsstaat.
Alois Glück
Anfang Juni 2016
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