Geist und Geschmack

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MünchnerKultur
l
Mittwoch, 21. April 2010
Erwin Pelzig auf der Staatsschauspiel-Bühne:
Endlich geregelte
Arbeitszeiten!
A
m24.AprilkommtamStaatsschauspiel
Frank-Markus
Barwassers erstes Theaterstück heraus. Er selbst ist übrigens
als junger Mann bei der Aufnahmeprüfung der Schauspielschule
Bochum mit Pauken und Trompeten durchgefallen. „Ich stand dort
als verklemmtes Bürschlein und
hatte die Unverschämtheit, einen
eigenen Text vorzutragen“, sagte
der 50-Jährige dem Münchner
Merkur. Die Prüfer hätten ihm
damals empfohlen, „kein Fahrgeld zu verschwenden und nicht
anderswo vorzusprechen“. Einige
Jahre später wurde dann sein Alter Ego „Erwin Pelzig“ geboren,
der in seinem ersten Theaterstück
Alkaid – Pelzig hat den Staat im
Bett die Hauptrolle spielt.
Die Regie überlässt Barwasser
dabei dem hochgelobten und vielfach preisgekrönten Film- und
Theaterregisseur Josef Rödl, der
auch als Drehbuchschreiber und
Tatort-Regisseur einen guten Namen hat. Die tz sprachen mit beiden.
Wie ist die Lage, kurz vor der
Premiere? Da kommt doch immer
der Moment, an dem eigentlich al-
Regisseur Eckhart Schmidt ist sauer
Foto: Ralf Kruse
Harte Kritik an
Film-Akademie
Im letzten Jahr beschwerte sich Caroline
Link ausführlich über
das Prozedere bei der
Filmauswahl des Deutschen Filmpreises, in
diesem Jahr legt Eckhart Schmidt in einem
offenen Brief nach. Der
renommierte Filmemacher, „zur Zeit noch Mitglied der Filmakademie“, wie er schreibt,
kritisiert die Deutsche
Filmakademie scharf
und spricht von „Diktatur“ und „Manipulation“ bei der Auswahl der
prämierten Filme.
„Ich fühle mich diktatorisch bevormundet,
wenn eine Jury vorentscheidet, über welche
Filme ich entscheiden
darf – und mir nur großzügig eine einzige Mög-
lichkeit anbietet, auch
einen der Filme meiner
Wahl vorzuschlagen“,
schreibt er.
Und zum Thema Manipulation: „Ich möchte
mich unter der Handvoll
nominierter Filme nur
für einen einzigen Film
entscheiden – für meinen Lieblingsfilm. Das
aber darf ich nicht. Ich
muss insgesamt drei Filme wählen, oder meine
Stimme ist ungültig.“
Heißt also: Die Juroren
müssen im Extremfall
weitere zwei Filme wählen, die sie „unterirdisch“ finden. Ergebnis:
Ein Film könnte die
„Lola“ als bester Film
erhalten, den die Akademie-Mitglieder gar
nicht wählen wollten.
M. B.
-Interview
Frank-Markus Barwasser
Kabarettist mit Staatstheater-Premiere
und Josef Rödl
Regisseur von Barwassers Bühnenstück
les schiefgeht und man nicht für
möglich hält, dass die Premiere
überhaupt herauskommt, oder?
Beide: Nein, gar nicht. Wir haben eine kreative Zeit hinter uns
und freuen uns. Na ja, ein bisschen
unruhig ist man immer.
Frank-Markus Barwasser: An
meinem Geburtstag, dem 16. Februar, haben wir mit den Proben
angefangen. Das hat mich über
den 50. hinweggetröstet.
Wie sucht man sich die Darsteller aus, wenn man das Theater
nicht ganz genau kennt?
Josef Rödl: Wir haben fünf
Schauspieler, außer Pelzig und der
Komparserie, und haben jeden in
mindestens zwei Vorstellungen
angesehen.
Über den Text erfährt man bisher nur in großen Zügen etwas.
Barwasser: Ja, wir finden es besser,wenndasStücknichtschonvor
der Aufführung beurteilt wird. Es
soll seine Chance auf der Bühne
haben.
Hat Josef Rödl Ihnen schon vorher über die Schulter schauen dürfen?
Barwasser:Ja,erkamimmermal
wieder dazu, und er hatte auch
Einwände gegen die erste Version.
Da waren zu lange Monologe drin.
Das wäre Steh-Theater geworden.
Es soll auch nicht verkapptes Kabarett werden. Mein Ehrgeiz ist
schon ein richtiges Theaterstück.
Es hat natürlich die Nähe zum Autor Barwasser, aber ich kann es
mir auch gut ohne mich, mit einem
anderen Schauspieler, mit einer so
ein bisserl skurrilen Figur vorstellen.
Wollen Sie in diesem Text die zu
schnelle Abfolge von Pointen vermeiden?
Barwasser: Da muss ein längerer
Atem her, und den muss man sich
erarbeiten. Der Zuschauer muss
aushalten, dass da nicht alle drei
Minuten eine Pointe abgeschossen wird. Wir wollen nicht Kabarett mit Theaterelementen, sondern eine richtige Komödie. Wenn
es nicht zu unbescheiden ist, würde ich sagen, in Richtung Feydeau.
Starpianist Murray Perahia reiste wegen des Flugverbots mit dem Auto aus London an
Foto: Veranstalter
Szene aus „Alkaid“ von und mit Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig: „Pelzig ist nicht der Star, der die anderen in den
Hintergrund spielt. Es ist ein Geben und Nehmen“, sagt der Kabarettist im tz-Gespräch
Fotos: Dashuber (2), Bodmer
Barwasser im Gespräch mit tz-Autorin Beate
Kayser: „Theateralltag gefällt mir seeehr!“
Regisseur Josef Rödl (r.) greift Barwasser bei
seinem Theaterstück unter die Arme
Wie haben die Schauspieler auf
den Kollegen Barwasser reagiert?
Beide: Sie waren neugierig. Der
Pelzig ist ja eine Figur, an der man
sich reibt. Er ist auch nicht der Star,
der die anderen in den Hintergrund
spielt. Die müssen alle Raum haben,
sich entwickeln. Es ist ein Geben
und Nehmen. Und in der Vorbereitung, wenn man den Text genau auseinandernimmt, kommt schon heraus, wo es hakt – gut, dass der Autor
immer dabei ist!
Können Sie nicht doch verraten,
worum es ungefähr geht?
Barwasser: Es klingelt an Pelzigs
Wohnung,undzweiLeutevomLandeskriminalamt wollen eine Kamera aufstellen, um die Nebenwohnung zu überwachen. Pelzig, den das
eigentlich gar nicht interessiert, weil
er ein Verträumter ist, der Sterne
beobachtet – Alkaid ist ein Stern,
und der politische Anklang des Namens ist beabsichtigt –, wird da hineingezogen. Es steht Romantik gegen Aufklärung. Aber nun Schluss.
Mehr verrate ich nicht.
Gefällt Ihnen die Theatererfahrung?
Barwasser: Seeehr! Man sieht sich
täglich; es ist eine verschworene Gemeinschaft. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich geregelte Arbeitszeiten. Ist doch eine luxuriöse
Situation: Arbeit in der warmen Stube, und alle können davon leben!
Sieht Pelzig das auch so?
Barwasser: Ich glaube, ja. Er
spricht auf der Bühne, wie er eben
spricht, hat auch dasselbe an. Wir
haben Jeans überlegt, aber das geht
nicht.
Rödl: Er hat zum Hemd auch eine
rotkarierte Bettdecke!
Barwasser: Eigentlich habe ich
ihn ja noch nie bei sich zu Hause
gezeigt. Ich wollte ihn ja nicht definieren.
Sieredeninzwischenwirklichvon
ihm wie von einer zweiten Person.
Barwasser: Ist er auch. Ich habe
jedenfalls verfügt, das er an meinem
Grab spricht.
Beate K ayser
Samstag Uraufführung
Alkaid. Pelzig hat den Staat im
Bett von Frank-Markus Barwasser
Residenz Theater
Uraufführung am 24. April
Regie: Josef Rödl
Bühne: Ioanna Pantazopoulou
Kostüme: Ann Poppel
Darsteller: Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig, Barbara
Melzl, Heide von Strombeck,
Lisa Wagner, Gerd Anthoff,
Hannes Liebmann, Felix Rech
Wieder am 7., 14. und 20. Mai,
Karten-Tel. 2185 - 1940.
Geist und
Geschmack
Philharmonie: Murray Perahia
Kein Flug möglich?
Egal! Murray Perahia,
Wohnsitz London, setzt
sich ins Auto, fährt bis
drei Uhr nachts nach
Karlsruhe, übernachtet
und kommt am nächsten
Nachmittag in München
an. Allein dafür erntet
der Weltklassepianist zu
Recht Applaus in der
vollen Philharmonie.
Im
künstlerischen
Kofferraum
liegen
Schwergewichter. Unaufgesetzt, mit seiner
typischen Mischung aus
Klarheit und Klangzauber, kredenzt Perahia
Bachs e-Moll-Partita.
Gelegentliche
Fehler
verzeiht man bei dieser
Leuchtkraft gerne, und
die finale Gigue tänzelt
so anmutig durch den
Saal, dass alle Schwerblütigkeit der Sarabande
mit Geist und Geschmack weggewischt
wird.
Perahias unaufgesetztes Spiel ist immer wieder ein Genuss. Beethovensop.109hatvielleicht
nicht den Tiefgang einer
Solomon- oder SerkinInterpretation, aber atmet Menschlichkeit und
Wärme aus jeder Pore.
Schön schlicht das Variations-Thema, zutiefst
anrührend die erste Variation, alles überstrahlend die finalen TrillerKetten.
Unerhört im besten
Sinne Schumanns Kinderszenen. Da schafft es
Perahia, die einzelnen
Miniaturen als logische
Folge zu spielen. Nimmt
teils die Tempi des Vorgängerstücks mit ins
nächste, so dass man das
Gefühl hat, einem Kind
durchgängig beim Spielen, Träumen, Fürchtemachen,
Einschlummern zuzusehen. Chopin am Schluss – und die
erste Zugabe als Höhepunkt: Schuberts EsDur-Impromptu (erster
Band) jagt einem Schauer über den Rücken,
wenn die perlende DurLeichtigkeit brutal zerstört wird. Zum Glück
gab’s danach Chopins
cis-Moll-Etüde (aus op.
10). Klingt spektakulär,
wird mit Feuer und Finesse geboten, hat aber
nicht halb so viel Tiefe
wiedieMusikSchuberts.
Matthias BieBer
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