GESUNDHEIT GENERAL−ANZEIGER Samstag/Sonntag, 11./12. Juni 2016 7 FOTO: DPA Routine: Die Untersuchung mit dem Magnetresonanztomographen. Zum Spektrum der Bauchspeicheldrüsen-Diagnostik gehören auch Röntgen und Endoskopie Die stille Gefahr aus der Mitte E Von Ulrike Strauch s ist ein ambivalentes Organ: zentral positioniert und zwischen Milz und Leber in einer C-förmigen Schleife des Zwölffingerdarms wie „unter Putz verlegt“. Die keilförmige Bauchspeicheldrüse (Pankreas) – 15 bis 20 Zentimeter lang, mit einem Gewicht von 60 bis 80 Gramm – erfüllt zwei ebenso unterschiedliche wie essenzielle Funktionen: Sie produziert die Enzyme zur Kohlenhydrat-, Eiweißund Fettverdauung sowie die Hormone Insulin und Glucagon zur Regulierung des Blutzuckerspiegels. Sie verrichtet diese Arbeit zuverlässig und unscheinbar. Doch ihre Erkrankungen werden gefürchtet. Während sich Therapiemöglichkeiten und Überlebensraten bei Brust- oder Prostatakrebs stetig verbessert haben und die Diagnose längst keinem Todes- Rechtzeitig entdeckte Tumoren sind oft Zufallsbefunde urteil mehr gleichkommt, lässt das Wort „Pankreaskarzinom“ die Patienten verzweifeln. Was diesen Krebs kennzeichnet und wie er von Fall zu Fall behandelt werden kann – darüber sprechen Professor Christian Strassburg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I, und Professor Jörg Kalff, Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie beim nächsten Patientenkolloquium der Bonner Uniklinik am 16. Juni. Das Pankreaskarzinom ist neben Darm- und Magenkrebs der dritthäufigste bösartige Tumor im Verdauungstrakt. Jedes Jahr erkranken nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts in Berlin bundesweit mehr als 15 400 Menschen neu an Bauchspeicheldrüsenkrebs; etwa zur Hälfte auf Männer und Frauen verteilt. Faktoren, die die Entstehung eines solchen Karzinoms begünstigen, sind Alkohol und Rauchen, eine akute oder chronische Bauchspeichelentzündung (Pankreatitis), eine erbliche Veranlagung (bei rund fünf Prozent der Patienten) sowie Diabetes und Polypen. Vorbeugend sollte deshalb je- de auffällig Veränderung genau untersucht werden, besonders bei Menschen mit erblicher Vorbelastung. Eine spezielle Früherkennung gibt es jedoch nicht. Was macht das Bauchspeicheldrüsenkarzinom so gefährlich?: „Es ist nicht unbedingt die Aggressivität von kaum mehr differenzierten Zellen, die sich rasant vermehren, sondern die zentrale Lage des Organs, so dass Metastasen sich rasch ausbreiten. Dazu kommt die lange Beschwerdefreiheit, die eine Früherkennung verhindert.“ Denn Symptome wie Schmerzen, Appetit- und Gewichtsverlust, unklare Verdauungsstörungen wie Völle- oder Druckgefühl, eine begleitende Pankreasentzündung, Neigung zu Blutgerinnseln, Diabetes oder eine Vergrößerung der Gallenblase ohne Schmerzen machen sich erst bemerkbar, wenn die bösartige Erkrankung bereits fortgeschritten ist und gestreut hat. „Eine Heilung“, sagt Gastroenterologe Strassburg, „ist nur durch eine Operation im Frühstadium möglich“, etwa wenn die Wucherung am Bauchspeicheldrüsenkopf nahe des Ausgangs zum Gallengang sitzt und ihn beim Wachsen mehr und mehr verschließt. Das führt zu einer Gelbsucht. „Das ist für den Patienten zwar unangenehm, aber diagnostisch gesehen ein Glücksfall.“ Früh entdeckte und allein auf die Bauchspeicheldrüse begrenzte Tumore sind meist Zufallsbefunde, wenn etwa ein Patient nach einem Unfall oder vor einer Operation umfassend untersucht wird. Meist wächst der Tumor, wenn er entdeckt wird, bereits in benachbarte Organe hinein, befällt umliegende Lymphknoten oder bildet sogar Fernmetastasen in Leber und Lunge. „Das ist es, was viele fürchten“, sagt Strassburg. Denkbar sind auch andere Erkrankungen: Das kann eine Entzündung (Pankreatitis) mit den typischen gürtelförmigen Beschwerden vom Oberbauch bis in den Rücken sein. Ernst zu nehmen ist diese Erkrankung aber ebenso: Unbehandelt würde sie dazu führen, dass Enzyme des Bauchspeicheldrüsensekrets, die normalerweise die Nahrung in ihre Bestandteile zerlegen, das Organ selbst zu zersetzen beginnen. Das ist jedoch sehr selten, da diese Schmerzen niemand lange aushalten kann. „Bei manchen Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die mit knotigen Veränderungen, abdominellen Schmerzen Das Fingerspitzengefühl des Chirurgen und Funktionsstörungen auf den ersten Blick bösartig aussehen, kann auch eine als IGG4-Pankreatitis bezeichnete Autoimmunerkrankung die Ursache sein“, ergänzt Strassburg. „Sie lässt sich mit Cortison wirkungsvoll behandeln.“ Nicht jeder Bauch- und Rückenschmerz weist auf eine mögliche Krebserkrankung hin. „Und aus Angst davor nicht zum Arzt zu gehen, führt unter Umständen dazu, dass sich die andere Erkrankung in der Zwischenzeit weiter verschlimmert, was die Behandlung komplizierter und langwieriger macht als nötig gewesen wäre.“ „Die Pankreas-Diagnostik“, so Strassburg, „setzt Erfahrung in der Gastroenterologie voraus“. Dabei werden Verfahren wie CT (Computertomographie), MRT (Magnetresonanztomographie), Röntgen sowie auch Hightech-Endoskopie angewendet. „Wenn man dabei eine Raumforderung erkennt, muss es sich nicht unbedingt um einen Tumor oder ein Karzinom handeln. Es gibt im Magen-Darm-Trakt auch viele gutartige Läsionen wie zum Beispiel Zysten“ (mit Wasser oder Sekret gefüllte Hohlräume). „Sie können durchaus ein gewissen Potenzial der Entartung besitzen und sie sind endosonographisch gut und zielgenau punktierbar, so dass die Flüssigkeit danach abfließen kann. Eine weitere, wenn auch seltene, Erkrankung sind Neuroendokrine Tumore (NET). Sie entwickeln sich aus hormonproduzierenden Zellen, schütten Insulin oder auch Gastrin in vermehrter Menge aus, was zu schweren Störungen des Hormonspiegels, zu einer Übersäuerung des Magens oder einer schweren Unterzuckung führen kann.“ Handelt es sich jedoch tatsächlich um Krebs, wird der Fall in einem interdisziplinären „Tumorboard“ vorgestellt. An dieser Konferenz sind neben dem Gastroenterologen und dem Chirurgen auch ein Radiologe, ein Pathologe sowie ein Hämoto-Onkologe und ein Nuklearmediziner beteiligt, um die jeweiligen Behandlungsoptionen zu diskutieren. „Das Spektrum möglicher Pankreaskarzinome ist recht groß, und dasselbe gilt auch für die chirurgischen Eingriffe“, sagt Strassburg. „Wir müssen sehr vorsichtig dabei sein, verdächtiges Gewebe zu punktieren oder anzufassen. Bei Krebszellen besteht die Gefahr der Streuung. Hier ist also äußerstes Fingerspitzengefühl unserer Chirurgen gefragt.“ Das heißt in der Konsequenz: Ein Tumor der Bauchspeicheldrüse wird erst operativ entfernt und dann in der Pathologie histologisch bestimmt.“ Wenn die Resektion gelingt, ist die Prognose meist günstig und eine vollständige Heilung wahrscheinlich. Wenn die Bösartigkeit leider bereits erwiesen ist, kommt es vor allem darauf an, wo er sitzt. Geht das Karzinom vom Pankreaskörper aus, wird dieser zusammen mit dem Schwanz fast vollständig entfernt. Das Kolloquium „Bauchspeicheldrüsenkrebs – was nun?“: So lautet das Thema von Professor Christian Strassburg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I, und Professor Jörg Kalff, Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, beim nächsten Patientenkolloquium der Universitätsklinik Bonn am Donnerstag, 16. Juni. Beginn ist um 18 Uhr am Campus Venusberg im Biomedizinischen Zentrum (Gebäude 344, gegenüber dem Notfallzentrum). Eine Anmeldung ist nicht nötig, der Eintritt ist frei. Haben Sie Fragen, die behandelt werden sollten? Dann senden Sie diese vorab per E-Mail an [email protected] stl FOTO: UNIVERSITÄTSKLINIKUM/SABA Beim nächsten Patientenkolloquium der Bonner Uniklinik geht es um bösartige Tumore der Bauchspeicheldrüse Experten für Bauchspeicheldrüsenkrebs: Professor Christian Strassburg (links) und Professor Jörg Kalff Liegt ein Befall des Pankreaskopfes vor, müssen mehrere Organe ganz oder teilweise entfernt werden: Zwölffingerdarm, die Gallenblase mit Gallengang, die Bauchspeicheldrüse (totale Pankreatektomie) sowie der untere Teil des Magens (etwa 66 Prozent). Diese klassische Whipple-Operation wird inzwischen öfter durch ein weniger radikales Verfahren ersetzt, das den Schließmuskel des Magens erhält. „Auch wenn die Bauchspeicheldrüse lebenswichtige Prozesse steuert, ist es dennoch möglich, auch ohne sie weiterzuleben. Der Weg der Nahrung im Körper lässt sich rekonstruieren, Enzyme und Insulin können mit Hilfe entsprechender Medikamente von außen ersetzt werden“ erläutert Strassburg. Die chirurgische Entfernung des Tumors ist die einzige, kurative Behandlungsmethode dar. Bei lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Pankreaskarzinomen werden diverse Chemotherapiekombinationen eingesetzt, auch in Verbindung mit Radiotherapie. Diese zielt darauf ab, das Tumorwachstum zu Tumoren missbrauchen das Immunsystem verlangsamen und bestmögliche Beschwerdefreiheit zu erzielen. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall können auftreten und mit Arzneien spürbar gemildert werden. Ruft das Tumorwachstum Komplikationen wie einen Verschlussikterus oder eine Magenausgangsstenose hervor, kann endoskopisch ein Stent eingelegt werden. „Wir verfügen hier als erstes und in Deutschland bislang einziges Klinikum über ein HIFU-Gerät (High Intensity Focused Ultrasonography) zur fokussierten Ultraschallanwendung, mit dem eine Tumorbehandlung unter bildgebender Steuerung möglich ist.“ Ein neuer Ansatz ist auch die „Targeted Therapy“. Sie zielt auf die genetische Analyse des Tumors ab. „Es geht darum, aus dem Tumor Informationen zu gewinnen, wie wir ihm am besten schaden können“, sagt Strassburg. „Tumoren missbrauchen Kontrollpunkte unseres Immunsystems, um die gegen sie gerichtete Immunabwehr außer Kraft zu setzen. Checkpoint-Inhibitoren hemmen genau diese Signalwege, lösen also die Bremsen der Immunsystems wieder.“ In Kooperationsprojekten forscht das Labor für Molekulare Therapieforschung der Medizinischen Klinik I derzeit an neuen immunologischen Ansätzen zur Therapie des Pankreaskarzinoms in Zellkultur und in Mausmodellen für das Pankreaskarzinom.