Christian Katzschmann Mama Monster © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1 Bei der Uraufführung am 12. 11. 2007 am Landestheater Detmold wurde eine Spielfassung von Christian Katzschmann und Marcel Kohl verwandt, in der die Protagonistin in einzelnen Sequenzen vor einer Kamera agiert. Auf Wunsch stellen wir diese Fassung zur Verfügung. © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2008 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße 28 10405 Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2 © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH Ich hab nicht damit gerechnet, dass das stärker wird mit der Zeit, ich mein, das Gefühl, dass ich bis übern Hals drinstecke, dass die doch Recht hatten mit dem Monster. Ich wars vielleicht nicht, als ichs getan hab, aber jetzt fühl ich mich schon so. Die ham mich das so spüren lassen, dass ich der letzte Dreck bin, ein Stück Scheiße, jedenfalls nichts, was man anfassen kann, ohne sich dann nicht die Hände zu waschen. Ich hab mich ja schon so schrecklich gefühlt, plötzlich kam das alles heraus, ich habs irgendwie weggesteckt gehabt, war nicht mehr drin im Kopf. Und dann wars auf einmal alles wieder da, und dann eingesperrt, allein mit dem Mist, was man getan hat. Das krieg ich nicht mehr los. – Wie geht es Ihnen? Läuft es auf der Arbeit? Und schon jemanden näher kennengelernt? – Diese ganze Psychonummer. Ja, wie gehts mir denn? Sieht man das nicht? Ich denk, Sie können in mich reinkucken? Was ist denn da drin? Etwa noch mal was zum Wegmachen? Ne, das hat sich. Könnt ja schon brechen bei dem Gedanken. Aber was da mal war, das steckt eben jetzt im Kopf, krieg ich nicht weg. – Hat Ihnen denn unser Gesprächsangebot nichts gebracht, Sie waren doch bei allen Terminen? – Ich sag da nie was, ich kann das nicht. Die Leute checken das doch nicht. Was ist los, warum schaut ihr mich an? Bin ich ein Monster oder was. Irgendwas nicht o. k.? Na gut, klar ist was nicht o. k. Klar Monster. Habt ihr euch wohl n bisschen anders vorgestellt. Überraschung, sieht ja ganz normal aus, ist es aber nicht. Könnt ihr noch so glotzen, starren. Was is n das für eine. Was hat n die für ein Problem? Ja, ja, Horror. Heulen und so, und man kann nicht mehr das, was man will, und man muss dran denken, wieso das gekommen ist, wieso ich da reingeschlittert bin. Horror, Scheiße, das ganz große Elend. Ist noch gar nicht so lange her. Wann ging denn das los? Was macht denn das aus mir. In der Schule ham wir immer drüber gequatscht, das war das große Ding irgendwann. Gab auch anderes, Klamotten, den richtigen Eyeliner, wer hat die schönste Brust und so, was ziehst du an, was zieh ich an, scheiße, sieht der gut aus, der steht vielleicht auf, ne, auf die fliegt der nicht, der hat doch schon die und die. Gemacht, also gevögelt hat wohl nur Britti, bei der kam das eben © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 3 so, hat auch nicht viel Aufhebens drum gemacht, war in den Schulferien. Die Mutter hat die schon mit 13 allein wegfahren lassen, na gut, Sylt, Strand, ist halt so passiert. Hat nicht groß damit geprahlt, aber anders ist die dann schon gewesen nachher wieder in der Schule, war irgendwie ne andere Nummer. Was die anderen dann so erzählt haben, das warn so Hirngespinste, die ham sich die Mäuler heißgeredet manchmal. Oooch, dem hab ich einen geblasen, und mit dem hab ichs gemacht, der ist geil, sag ich euch. Ich hab da halt mitgemacht, aber war ne ganze Zeit überhaupt nichts. Hatte auch gar keine Lust drauf. So richtig nicht jedenfalls. Ich mein, ich hatte ja alles, Zeitschriften und so, man ist ja nicht blöd. Musste nicht noch drumrum geschwafelt werden. Als ich das erste Mal meine Tage hatte, hat meine Mutter nur zu mir gesagt, wenn ich was brauche, finde ichs im obersten Fach im Kosmetikschrank im Bad. Nichts weiter. Fand ich aber super erst. Hab keine Kuscheleinheiten gebraucht. Und vom Verhüten hat zuhause nie jemand gesprochen. Also, meine Eltern hams schon gemacht, ham manchmal geglaubt, wir kriegens nicht mit, war mir eh nur peinlich, wollt ich gar nichts wissen, also wie und so, das hat mich echt nicht interessiert. Ich glaub, meine Mutter hat die Pille genommen, weiß es aber gar nicht. Wollten sicher nach meinem Bruder kein Kind mehr. Naja, und als das mit mir war, da ham sie sich vielleicht gewünscht, es wär nur bei dem geblieben. Gummi oder Pille oder so, das war in der Klasse kein Thema, da gings ums Knutschen und wer mit wem. Wer macht sich denn schon ne Birne über den Kram. Hauptsache es kribbelt. Ich mein, da lief alles total normal. Ich hatte erst den Lars, das war n Ruhiger, der war da elfte, hat sich nach nem Basketballspiel ergeben. Da hab ich zugekuckt mit noch paar andern und dann sind wir danach noch ne Cola trinken und dann zusammen nach Hause. Ich war gar nicht richtig verliebt in den, und gelaufen ist auch nichts weiter, ham uns beide nicht getraut. War irgendwie ganz schön so, das wars dann aber auch schon. Ne ganze Weile nix bis zu Biggis Geburtstag. Jeder hat ne beste Freundin oder den besten Freund, sonst ist man angearscht. Biggi war so ne Ulknudel, die hat 4 © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH immer Witze gerissen über Lehrer und blöde Typen, hat aber niemandem was Schlechtes gewollt. Wir ham immer zusammen abgehangen, sogar Schulkram zusammen gemacht, Eis essen, Kino und so. Sah nicht so besonders aus, aber auch nicht ganz beknackt. Wir waren so Mittelfeld. Biggis 16. ham wir im Garten hinterm Haus gefeiert und es warn ne Menge Leute da – von der Schule und von Biggis Verein, fand ich nicht so prickelnd, Frauenhandball, doch da war auch der Bruder von ner Mitspielerin mit. Der war auch bei uns auf der Schule, hatte ich aber nie so geblickt. Wenn man noch mal so zurückkönnte, Klick, Löschtaste, alles weg, nur das davor ist noch da, da wars noch ganz alles, heile Welt. Rumspinnen, was ham wir immer gegickert. Hab niemanden mehr von denen gesehen. Ging auch nicht mehr in der Scheißstadt, wollte nicht, ging nicht. Weiß schon, wie die mich anstarren würden, immer noch wie damals alle. Oder gar nicht anglotzen, einfach wegsehen, ich bin nicht mehr da für die, tja. Mit so was haben die doch nichts zu tun. Die war mal bei mir auf der Schule, kannste glauben, na die Sache damals, weißt de nicht mehr. Was die wohl jetzt machen? Keiner hat sich einen Dreck um mich gekümmert, auch die Lehrer nicht, war alles wie weg, als wäre ich gar nicht da gewesen. Ich hab das gar nicht gemerkt erst, aber nach ein paar Wochen schon. Kam gar nichts, hat nicht einer von denen gefragt: Was wird denn jetzt mit dir? Was ist denn überhaupt los? Ich kam ja bald raus, nix mehr Kripo, dafür Psychokacke. Schule hätte ich gekonnt, ging aber irgendwie nicht mehr für mich. Zu Hause Horror, draußen Horror, die Leute, ich hab das nicht ausgehalten, hat mich fertig gemacht. Und dann wars schon beinah egal. War ja dann schon das Tier, hab die Zähne gezeigt. Monster, Monster, Monster, ja. Irgendwann treff ich sicher einen von denen wieder, die erkennen mich vielleicht gar nicht. Ob ich die noch erkenne? Wer weiß, was die jetzt werden. Ärzte, Steuerfritzen, verbeamtet, ham ja sicher die meisten ihr Ding gemacht, Studium und so. Und Kinder, klar, Kinder. Dann ist das Glück ja perfekt. Ich weiß gar nicht, ob ich da schon drüber nachgedacht hab damals. Hab ich glaub ich nicht. Kinder, das war ich doch selber noch. Eine Scheiße. Und der © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 5