des Moduls

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zwischentöne
Neue Ansätze im Islam
Neue Lesarten des Koran
GEI © 2015 – zwischentoene.info
FACH UND SCHULFORM
Religion/Ethik, Sekundarschulen 10. - 12. Klasse
ZEITRAHMEN
4 x 45 min.
LEHRPLANBEZUG
Wahrheitssuche und Glaubensvielfalt; Vielfalt im Islam; feministische Ansätze im Islam, Geschlechtergerechtigkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau
gefördert durch
Robert Bosch Stiftung
zwischentöne
In diesem Unterrichtsmodul geht es um neue Ansätze im Islam. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf neuen bzw. anderen Lesarten des Koran durch muslimische Theologinnen, Wissenschaftlerinnen und Intellektuelle, die sich zum Teil als Feministinnen verstehen und zum Teil
die Bezeichnung Feministin ablehnen. Ihnen allen gemein ist das Anliegen, die Argumente
für ihr Plädoyer für Geschlechtergerechtigkeit aus dem Islam zu schöpfen und die GenderDebatte anzustoßen bzw. voranzutreiben.
DIDAKTISCHE PERSPEKTIVE
Das Modul behandelt verschiedene Ansätze muslimischer Theologinnen, Wissenschaftlerinnen und Intellektueller, neue geschlechtergerechte Lesarten des Islam zu entwickeln, voranzutreiben und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das betrifft einerseits geschlechtergerechte und kontextualisierte Interpretationen des Korans, andererseits geschlechtergerechte Rechtssprechung im Bereich islamischen Rechts, das sich in den mehrheitlich muslimischen Ländern in der Regel auf familienrechtliche Fragen beschränkt.
Nach einer kurzen Einführung zu Feminismus im Allgemeinen und islamischem Feminismus
im Besonderen setzen sich die SuS mit verschiedenen Positionen auseinander. Hierzu werden Aufsätze und Verschriftlichungen von Interviews einiger Feministinnen herangezogen
(Mir-Hosseini, Barlas, Bozkurt, Müller und Wadud). Im Anschluss sollen wesentliche Aspekte
zusammengetragen und präsentiert werden.
SACHINFORMATION
Worum geht es?
In den letzten Jahrzehnten haben sich immer mehr weibliche Stimmen erhoben, um „den
Missbrauch von heiligem Wissen zur Unterdrückung der Frauen“ (Asma Barlas) anzuprangern und alternative Lesarten der zentralen Quellen des Islam, von Koran und Sunna, d.h.
der Überlieferungen der Taten und Aussprüche Mohammeds, zu entwickeln und zugänglich
zu machen. Sie argumentieren innerislamisch und schöpfen aus der eigenen Tradition, um
Patriarchatskritik zu formulieren. Ihre bisweilen scharfe Kritik ist nicht unbedingt damit verbunden, sich vom Islam als religiöses und kulturelles Referenzsystem loszusagen, ganz im
Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit diesen Stimmen, denen in den Medien wenig bis
kaum Beachtung geschenkt wird, soll erstens zu einer differenzierteren Betrachtung des
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THEMA
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grundsätzlichen – durchaus politischen – Anspruchs von Feminismus als Kritik an herr-
cken und sie zum Maßstab und zur Norm erheben, beitragen. Zweitens soll die Vielfalt weiblicher Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen und deren kritisches Hinterfragen
deutlich werden.
Welche Materialien werden verwendet?
Das Modul basiert auf zwei Publikationen der Friedrich Ebert Stiftung sowie Interviews aus
dem Internetportal Qantara, einem Projekt der Deutschen Welle, an dem auch das GoetheInstitut, das Institut für Auslandsbeziehungen und die Bundeszentrale für politische Bildung
beteiligt sind.
Weiterführende Literatur
Selim, Nahed: Nehmt den Männern den Koran! Für eine weibliche Interpretation des Islam.
München, Zürich 2006.
Buchbesprechung dazu in Qantara:
http://de.qantara.de/inhalt/buchbesprechung-nehmt-den-mannern-den-koran-kritik-amfrauenfeindlichen-koran
Interview mit Irshad Manji: Kein Zwang im Islam:
http://de.qantara.de/inhalt/interview-mit-irshad-manji-kein-zwang-im-islam
Buchbesprechung von Irshad Manjis Der Aufbruch:
http://de.qantara.de/inhalt/irshad-manji-der-aufbruch-bruch-oder-aufbruch
Interview mit der Reformtheologin Amina Wadud: ''Der Koran kann von niemandem vereinnahmt werden'':
http://de.qantara.de/inhalt/interview-mit-der-reformtheologin-amina-wadud-der-koran-kannvon-niemandem-vereinnahmt-werd-0
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schender Wissensproduktion sowie von Definitionsmonopolen, die Männer ins Zentrum rü-
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Feminismus
in
der
islamischen
Welt.
Neue
Gender-Diskussion
und
-Praxis.
http://de.qantara.de/inhalt/feminismus-in-der-islamischen-welt-neue-gender-diskussion-undpraxis
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Buchbesprechung von Margot Badrans Feminism beyond East and West. New Dehli: 2007:
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Arbeit mit Hintergrundtexten, Interviews, Radiofeature
4 x 45 min. (10.-12. Klasse)
Stunde 1 + 2
1. Einstieg ins Thema über Brainstorming (25 min.)
Annäherungen
 Die Lehrkraft bittet die SuS ihre Gedanken zu den Fragen
an den Begriff
„Was verstehst du eigentlich unter Feminismus?“ und „Was
Feminismus
und islamiverstehst Du unter islamischem Feminismus?“ bzw. „Was fällt
scher Femidir dazu ein?“ zu notieren, um sie so auf die Thematik einnismus
stimmen.

Anschließend hält die Lehrkraft die Ergebnisse auf einer
Mindmap (Plakatgröße) fest. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sollten sichtbar sein (bspw.durch verschiedene Farben).
2. Inhaltliche Annäherung und Vertiefung mit Hilfe von zwei
Interviews (35 min.)

Die SuS erhalten jeweils zur Hälfte das Interview mit Margot
Badran und das mit Ziba Mir- Hosseini (Materialien 1 und 2)
und bilden Kleingruppen. Diese bearbeiten den Text mithilfe
des Arbeitsauftrages. Die Lehrkraft weist darauf hin, dass die
Kleingruppen abwechselnd bzw. einander ergänzend im Anschluss an die Textarbeit ihre Ergebnisse der Klasse vorstellen
werden.
3. Auswertung und Ergebnissicherung (30 min.)

Die Kleingruppen tragen ihre Ergebnisse ins Plenum. Um Doppelungen zu vermeiden, empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
Pro Frage wechselt die antwortende Kleingruppe, deren Ergebnis nur bei Abweichungen durch die anderen ergänzt wird.
Die Lehrkraft hält die Ergebnisse auf einem Plakat fest und
schließt die Runde mit der Frage „Kannst du dein Verständnis
von Feminismus nach der Präsentation der Ergebnisse aus der
Auseinandersetzung mit den Interviews neu formulieren?“
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ABLAUFPLAN
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Stunde 3 –
Überblick über
islamischen
Feminismus
Teil I

In Stunde 3 beschäftigen sich die SuS mit vier Vertreterinnen
neuer Lesarten des Islam und ihren Positionen. Dazu werden
die SuS in vier Gruppen eingeteilt, die sich mit jeweils einer
Vertreterin und ihren Argumetationslinien auseinandersetzen
(Materialien 3-6).
Zur Ergebnissicherung soll ein Plakat zu der Persönlichkeit, ihren Positionen und Argumentationsstrategien erstellt werden,
das in einer Art Gallery Walk dem Rest der Gruppe präsentiert
wird. Jede Gruppe erhält die entsprechenden Abschnitte der
Dokumentationen der Friedich Ebert Stiftung und einen Arbeitsauftrag, der auch als Richtschnur für die Plakaterstellung
dient.
Stunde 4 –
Überblick über
islamischen
Feminismus
Teil II
7. Fortsetzung der Textarbeit der vorherigen Stunde (15
min.)

Die SuS erstellen ein übersichtliches, aber aussagekräftiges
Plakat zu der von ihr bearbeiteten Persönlichkeit. Sie bestimmen eine oder mehrere Person(en), durch die das Plakat den
restlichen SuS erläutern wird.
8. Vorstellung der Plakate (20 min.)

Jede Gruppe hat maximal 5 Minuten für ihre Präsentation.
9. Abschluss (10 min.)

Als Abschluss des Unterrichtsmoduls sollen die SuS in einer
Art Blitzlicht zusammenfassen, was sich an ihrem Verständnis
von Feminismus bzw. islamischem Feminismus verändert hat
und worauf sie dies zurückführen (ggf. warum es sich nicht
verändert hat). Hierzu kann die zu Beginn angefertigte
Mindmap herangezogen werden.
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4. Vertiefung (45 min.)
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Material 1
Interview Margot Badran
Die Historikerin Margot Badran konzentriert sich als Spezialistin für Gender Studies
auf den Nahen Osten und die islamische Welt. Im Interview mit Yoginder Sikand
spricht sie über islamischen Feminismus und die Rolle der Frau im Islam.
Wie würden Sie den Begriff "Islamischer Feminismus" definieren? Was unterscheidet ihn von
einem "Muslimischen Feminismus"?
Margot Badran: "Islamischer Feminismus" ist ein Diskurs über Frauen und Gender, der sich
auf religiöse Texte gründet, von denen der Koran natürlich der wichtigste ist; es geht aber
5
auch um das vom Koran bestimmte Alltagsverhalten und Rituale, die in diesen Diskurs einfließen. Den Terminus "Muslimischer Feminismus" gebrauche ich ungern, er wird aber auch
allgemein eher selten gebraucht. Eine Muslimin mag eine Feministin sein, die einen feministischen Diskurs verwendet, der aus verschiedenen Strängen bestehen kann, wie zum Beispiel nationalistischen Elementen (sei es arabischer, ägyptischer, türkischer oder ein anderer
10
Nationalismus), dem Islam, den Menschenrechten, Demokratie usw., aus Elementen, die sie
in besonderer, persönlicher Weise betreffen. Es ist ihr ganz eigener Diskurs, geprägt durch
ihre eigenen Erfahrungen und Akkulturation. Der islamische Diskurs ist Teil dieses feministischen Diskurses mit mehreren eigenen diskursiven Strängen, wohingegen der islamische
Feminismus auf einem islamischen Diskurs basiert, der eher ausschließend und dominant
15
funktioniert. Muslimische Frauen mögen ihren eigenen feministischen Diskurs verwenden (ob
nun allgemeiner oder vielschichtigerer Natur), ebenso aber auch einen islamischen feministischen Diskurs. Lassen Sie mich ein historisches Beispiel anführen: In der Zeit der britischen
Besatzung und in den Anfängen der post-kolonialistischen Ära kämpften ägyptische Feministinnen Seite an Seite für das Recht auf Bildung. Einerlei, ob sie Muslime waren oder Chris-
20
tinnen, benutzen sie hierfür nationalistische Argumente. Gleichzeitig aber führten die muslimischen Feministinnen islamische Argumente ins Feld, um ihre Sache zu vertreten, da im
Islam ihrer Ansicht nach allen Gläubigen der Weg zum Wissen offen stehe. Als es aber um
die Reform des muslimischen Personenstandrechts (moudawana) ging, war dies eine ausschließlich muslimische Kampagne, geführt von muslimischen Feministinnen, die einzig is-
25
lamische Argumente ins Feld führten, um für fortschrittlichere Gesetze auf der Grundlage der
Sharia zu kämpfen. (…)
Wie gehen islamische Feministinnen mit Aspekten des islamischen Rechts (fiqh) um, die den
Frauenrechten sehr negativ gegenüber zu stehen scheinen?
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''Islamischer Feminismus ist ein weltweiter Diskurs''
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Material 1
Badran: Weibliche Gelehrte - egal, ob sie dem islamischen Feminismus oder dem ijtihad
(Rechtsfindung aus dem Koran und anderen religiösen Schriften) nahe stehen - erkennen
die unermessliche Frauenfeindlichkeit des traditionellen fiqh. Eine neue Interpretation des
Korans muss die Basis sein für eine Reformierung des fiqh, also für den Aufbau eines neuen
Rechtssystems. Einige Gelehrte, wie Aziza al Hibri, beschäftigen sich direkter mit der
Rechtssprechung. Was den hadith (die Überlieferung der Aussprüche und Taten Moham35
meds) betrifft, so kennen immer mehr Menschen die Arbeiten von Fatima Mernissi, die sich
der Instrumente klassischer islamischer Methodologie bediente, um die hadith mit einem
Bezug zur Rolle der Frau und Gender zu analysieren. Darin weist sie überzeugend nach,
dass viele der hadith zweifelhaft oder gar gefälscht sind, und dass einige derjenigen, die als
gesicherter gelten können, oft aus ihrem Kontext gerissen wurden. Immer mehr Frauen un-
40
terziehen die hadith einer genauen Prüfung und stellen fest, dass viele den Grundprinzipien
des Islam widersprechen.
Warum eigentlich nehmen die Frauen im allgemeinen muslimischen/islamischen Diskurs
eine so große Rolle ein?
Badran: Die beste Möglichkeit, sich darüber klar zu werden, besteht darin, ihn in den Kon-
45
text der Patriarchie zu stellen — also patriarchalische Denkstrukturen, Verhaltens- und Kontrollmechanismen muslimischer Männer, welche die Patriarchie zu einer islamischen Angelegenheit per se gemacht zu haben scheinen. Praktisch in allen alten islamischen Gesellschaften wurden Frauen und ihre Reinheit (wenn auch unterschiedlich definiert) verknüpft mit der
Ehre von Männern und ihren Familien, ein Diskurs, der wiederum immer stärker verbunden
50
wurde mit dem Islam an sich (oder "legitimiert" durch seine Verknüpfung mit dem Islam). Wir
sehen aber, dass diese Verknüpfung von Ehre und sexueller Reinheit der Frauen auch für
die Angehörigen anderer Religionen in denselben Gesellschaften galt, dass sie die Grenzen
einer einzelnen Religion also durchbricht. Es betrifft die Muslime genauso wie Angehörige
anderer religiöser Gemeinschaften. Die enge Verknüpfung zwischen Ehre und sexueller
55
Reinheit der Frauen wiederum gebot die Kontrolle der Frauen und diejenigen, die kontrollieren, sind Männer oder ihre Stellvertreter, in unterschiedlicher Ausprägung von Alter, Position,
Klasse etc. (innerhalb und außerhalb der Familie). Das patriarchale System verlangt nicht
nach der Kontrolle von Männern. Wenn einige Frauen sexuell nicht rein sind, bedeutet dies
im Umkehrschluss, dass einige Männer es auch nicht sind. So macht man sich kulturelle
60
Ideen nutzbar und übersteigert sie im Dienste politischer Ideologien und Verhaltensweisen.
Frauen und die Kinder, die sie großziehen, werden durch eine strikte Ideologie des Körpers,
des Geschlechts und der Ehre kontrolliert. Frauen und ihre Körper dienen jedoch gleichzeitig
auch als Embleme der Reinheit — und der Politik — einer Gruppe (sei es eine Nation oder
eine religiöse Gruppe). Das Kopftuch wird zu einer Art Staatsflagge und zu einem politischen
65
Symbol. Unsere islamische Ausbildung lehrt uns, dass Kleidungsregeln und das Gebot eingefördert durch
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Material 1
facher Kleidung für Männer ebenso gelten wie für Frauen, und dass auch von ihnen sexuelle
die ihnen der Islam auferlegt, zu befolgen und sollen sich gleichermaßen der taqwa (Frömmigkeit, richtiges Verhalten) verschreiben. Denkt man länger darüber nach, ist ja schon die
70
Fixierung auf den weiblichen Körper eine Art sexueller Obsession — genauso wie es die
Fixierung von Frauen auf den männlichen Körper und seiner Kleidung wäre, wenn es so etwas gäbe. Doch die Fixierung auf den weiblichen Körper ist ein politisierender Mechanismus,
deshalb liegt die Antwort auf Ihre Frage im politischen Bereich und dem sozialer Kontrollmechanismen.
75
Wie können die Einsichten des islamischen Feminismus ihren Weg in die islamische Orthodoxie finden, vor allem in die madrassahs (Koranschulen)? Geschieht dies bereits? Wissen
Sie, ob es bereits Koranschulen für Frauen gibt, in denen islamische feministische Texte
gelehrt werden?
Badran: Lassen Sie mich zunächst etwas über die Zentren islamischer Lehre oder
80
madrassahs im Allgemeinen sagen. Der Begriff, genauso wie die Institution der madrassah
selbst, spiegelt sowohl in zeitlicher wie räumlicher Hinsicht eine große Bandbreite wider. Mit
madrassah mag sowohl eine Art allgemeiner islamischer Ausbildung gemeint sein, aber auch
eine bestimmte institutionelle Struktur. An vielen Orten existieren die von religiösen Lehrern
geleiteten madaessahs nicht mehr als Teil eines staatlichen oder staatsnahen Bildungssys-
85
tems. Statt ihrer breiten sich in letzter Zeit über den gesamten Nahen Osten religiöse Privatschulen aus, die normalerweise nicht als madrassahs bezeichnet werden und die gewissen
staatlichen Vorgaben entsprechen müssen, wenn ihre Abschlüsse anerkannt werden sollen.
Zu Ihrer Frage verweise ich auf die Al Azhar Universität, als der anerkanntesten Lehrinstitution Ägyptens mit ihrem großen Angebot an Fakultäten und Fachbereichen, die sich über das
90
ganze Land erstrecken. Für diese Institution lässt sich Ihre Frage in jedem Fall positiv beantworten. Die Ideen des islamischen Feminismus werden vielleicht nicht explizit als solche
unterrichtet, doch immerhin eingebettet in andere Themen. Lassen Sie mich ein Beispiel aus
der Rechtssprechung anführen: Die Dekanin des Women’s College der Al Azhar Universität,
Dr. Suad Salih, ist zugleich Professorin für "Comparative Fiqh", also vergleichende
95
Rechtssprechung. Sie lehrt am Women’s College und leitet auch das Gremium, das die PhDKandidaten prüft. Sie bewertet also das Verständnis der jungen Männer und Frauen für religiöse Wissenschaften, insbesondere in Bezug auf den fiqh. Diese hoch qualifizierte und respektierte Frau kennt sich in der Materie aus wie kaum eine andere und weiß daher, dass es
aus rechtlicher Sicht kein Hindernis für Frauen gibt, Mufti zu werden oder Ratgeber in Religi-
100
onsfragen. Tatsächlich versuchte sie, selbst zum Mufti ernannt zu werden. Und historisch
belegt sind einige Frauen, die als Mufti fungiert haben. Das bekannteste Beispiel hierfür ist
das von Aisha, der Frau des Propheten. Und doch fand sich Dr. Suad plötzlich in der Rolle
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Reinheit verlangt wird. Männer und Frauen sind in gleichem Maße gehalten, die Vorschriften,
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Material 1
wieder, dafür kämpfen zu müssen, dass Frauen Muftis werden können. Damit soll gezeigt
105
giöser Ausbildung kursieren. (…)
Wie begegnen Sie dem oft zu hörenden Vorwurf, dass islamischer Feminismus ein Import
aus dem Westen sei und eine Verzerrung und Fehlinterpretation des wahren Glaubens, so
wie die salaf us saleh, die frühen Muslime und Begleiter des Propheten, ihn verstanden?
Badran: Der islamische Feminismus basiert auf dem Koran und anderen religiösenTexten
110
und ist weder ein Import aus dem Westen noch aus dem Osten. Es ist ein weltweiter Diskurs.
Es gibt viele Verse im Koran, die darauf hinweisen, dass der Islam eine universelle Religion
ist, die keine geographischen oder kulturellen Grenzen kennt. Dies wird besonders in der
Sure "Al Nur" deutlich: "Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht ist gleich einer Nische, in der sich eine Lampe befindet: Die Lampe ist in einem Glas; das Glas gleich
115
einem funkelnden Stern. Angezündet (wird die Lampe) von einem gesegneten Ölbaum, der
weder östlich noch westlich ist […]" (24:35) Die spezifischen Formen, die der islamische Feminismus als Bewegung annimmt, sind lokal geprägt. Sie entstehen von innen. Ich gebe ihnen zwei Beispiele: In Ägypten gab es eine lang andauernde Kampagne für den Zugang von
Frauen zum Richteramt. Nichts hindere Frauen aus religiöser Sicht daran, Richterin zu wer-
120
den, wurde argumentiert. Endlich, in diesem Januar, obsiegten sie, als drei Frauen erstmals
zu Richterinnen ernannt wurden. In Südafrika kämpften muslimische Frauen um eine bessere Teilhabe am gemeinschaftlichen Beten, also neben ihren Männern und nicht hinter ihnen
oder gar in einem getrennten Raum. Außerdem wollten sie vor der khutba (Freitagspredigt)
Vorträge halten. Auch sie hatten Erfolg mit ihrer Forderung. So sind zum Beispiel in der
125
Claremont Main Road Moschee in Kapstadt, in der Frauen, die beim Freitagsgebet Reden
halten, inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden.
Interview: Yoginder Sikand
© Islaminterfaith.org 2005
130
Margot Badran ist Senior Fellow am Zentrum für Islamisch-Christliches Verständnis an der
Georgetown University, Washington D.C. und lehrt gegenwärtig als Gastprofessorin am ISIM
(Institute for the Study of Islam in the Modern World) in Leiden, Niederlande.
Quelle:
''Islamischer Feminismus ist ein weltweiter Diskurs'' http://de.qantara.de/print/6752
http://de.qantara.de/inhalt/interview-margot-badran-islamischerfeminismus-ist-ein-weltweiterdiskurs
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werden, dass sich die Ideen des islamischen Feminismus selbst in diesen hohen Hallen reli-
zwischentöne
Material 1
1. Stelle die Interviewte kurz vor: Name, Beruf, Themenschwerpunkte.
2. Definiere anhand des Interviews „Feminismus“.
3. Wird zwischen Feminismus und islamischem Feminismus differenziert?
4. Beschreibe die damit verbundene Patriarchatskritik.
5. Erläutere, weshalb es nicht nur um den Koran, sondern auch um weitere Reformen geht.
6. Lege dar, was islamische Feministinnen und säkulare Feministinnen voneinander lernen
können.
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Arbeitsauftrag
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Material 2
Interview mit Ziba Mir-Hosseini
Ziba Mir-Hosseini gehört zu den bekanntesten Forscherinnen, die sich mit dem islamischen Feminismus beschäftigen. Im Interview mit Yoginder Sikand spricht sie über die
Ursprünge und Perspektiven des islamischen Feminismus als Emanzipationsprojekt
und seine Bedeutung für ein neues, kontextbezogenes Verständnis des Islam.
In den vergangenen Jahren sind in der ganzen Welt muslimische Frauengruppen entstanden, die sich für Geschlechtergleichheit und Gerechtigkeit einsetzen und dabei islamisch
argumentieren. Die meisten werden von Frauen geführt, die einem elitären Milieu oder zumindest der Mittelklasse entstammen. Deshalb scheinen sie in breiteren Schichten auch
5
nicht allzu stark verankert zu sein. Wie erklären Sie sich das?
Ziba Mir-Hosseini: Ich denke, die meisten Frauen, die sich schriftlich und publizistisch mit
dem Thema, das gemeinhin als "Islamischer Feminismus" bezeichnet wird, beschäftigen,
tatsächlich entweder aus einer elitären oder einer ''Wir müssen die alten Dogmen überdenken'' mittleren Schicht entstammen. Andererseits hatte der Feminismus, ganz allgemein ge-
10
sprochen, immer etwas mit der Mittelklasse zu tun, zumindest wenn man sich die wichtigsten
Wortführer und Protagonisten anschaut.
Ich glaube, dass der islamische Feminismus in gewisser Weise das "ungewollte Kind" des
politischen Islam ist. Schließlich war es der "politische Islam", der die Fragen von Gender
und den Rechten muslimischer Frauen politisiert hat. Der Slogan "Zurück zur Scharia", der
15
von Repräsentanten des politischen Islam so lautstark vertreten wurde, lief in der Praxis auf
eine Rückkehr zu den klassischen Texten der islamischen Rechtswissenschaft (fiqh) hinaus;
das bedeutetet, Gesetze, die den Frauen Vorteile brachten, wurden aufgegeben, weil sie in
der wörtlichen Auslegung der Islamisten keine Zustimmung fanden.
Dies führte - als Reaktion - zur Entstehung eines islamischen Feminismus und zur Kritik an
20
den Islamisten, die den Islam und die Scharia mit einem puren Patriarchat verschmelzen
wollen und behaupten, dass die Herrschaft der Männer auf Gottes Willen beruhe. Die Gender-Aktivisten dagegen bedienten sich islamischer Argumente, um die Islamisten zu kritisieren und herauszufordern; sie rückten klassische Texte des fiqh und tafsir (Koran-Exegese)
ins Licht der Öffentlichkeit, um sie zur Diskussion zu stellen. Dabei wurden schon bald alter-
25
native, gendergerechte Ansätze, oder vielleicht besser Visionen des Islam vorgestellt. Damit
einher ging auch hinsichtlich der beteiligten Klassen eine Verbreiterung des noch in den Kinderschuhen steckenden islamischen Feminismus.
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''Wir müssen die alten Dogmen überdenken''
Material 2
zwischentöne
gelungen ist, eine größere Reichweite zu gewinnen und auch die so genannten "Graswur30
zeln" zu erreichen. Eine ermutigende Entwicklung zumindest ist darin zu sehen, dass inzwischen einige NGOs mit muslimischen Frauen arbeiten, die diese Diskurse nutzen und weitertragen; dies geschieht sowohl in einem islamischen wie im Menschenrechtskontext, wodurch
die Notwendigkeit von Gendergleichheit und Gerechtigkeit in muslimischen Gemeinden betont wird.
35
Aber es ist doch sicher nicht möglich, alle Islamisten über einen Kamm zu scheren, oder?
Schließlich existiert auch unter ihnen eine Vielzahl verschiedener Meinungen, auch in Bezug
auf die Rechte von Frauen. Einige von ihnen scheinen doch zumindest nach außen hin hinsichtlich der Frauenrechte gar nicht so repressiv eingestellt zu sein.
40
Mir-Hosseini: Das ist sicher richtig. Andererseits ist die Genderfrage für alle Islamisten von
allergrößter Bedeutung. Und alle von ihnen, so scheint es doch, beziehen ihre Legitimität zu
einem großen Teil aus ihrer Kritik am Westen, wozu vor allem die Forderung nach einer
Stärkung der Familie gehört. Sie sagen nicht, dass Frauen keine Rechte haben – die Sprache des politischen Islam ist schließlich auch eine, in der viel von Rechten die Rede ist. Nein,
45
sie behaupten eher, dass der Islam Frauen all die Rechte gibt, die sie brauchen, was aber
für die Frauen letztendlich doch auf die immer gleiche Männerherrschaft hinausläuft.
Der Gegensatz zwischen islamischen Feministinnen und patriarchalen Islamisten ist genauso groß wie der zwischen ersteren und vielen anderen Feministinnen, die islamischen Feminismus für einen Widerspruch in sich halten und glauben, dass er langfristig nur den Islamis-
50
ten in die Hände spielt, wenn er sich auf islamische und nicht auf säkulare Definitionen der
Menschenrechte beruft.
Eine Reihe von NGOs, die mit muslimischen Frauen arbeiten, darunter auch einige recht
bekannte, die sich dem verschrieben haben, was landläufig als "feministischer Diskurs" be55
zeichnet wird, sind finanziell stark von westlichen Geldgebern abhängig. Stärkt dies nicht die
Argumentation jener, die diese Organisationen beschuldigen, sich von den so genannten
"Feinden des Islam" instrumentalisieren zu lassen?
Mir-Hosseini: Natürlich besteht hier die Gefahr, dass dieser so oft zu hörende Vorwurf noch
ein wenig häufiger vorgebracht wird; doch anderseits wird doch sowieso jeder, der sich für
60
Gendergerechtigkeit einsetzt, ganz egal ob von ausländischem Geld abhängig oder nicht,
derart abgestempelt. Welche Alternative hätten wir also?
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Und doch bin ich mir nicht sicher, inwieweit es dem feministischen Diskurs im Islam bisher
Material 2
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ben, ohne starke zivilbürgerliche Institutionen, die sie in ihrer Arbeit unterstützen könnten.
Dies zwingt viele mit muslimischen Frauen arbeitende NGOs dazu, sich an westliche Geld65
geber zu wenden. Die durch ihr Öl zu Reichtum gelangten Wahhabiten in Saudi-Arabien
werden solche NGOs kaum finanziell unterstützen, selbst wenn sie in einem islamischen
Rahmen arbeiten. Wichtig aber ist, dass Frauengruppen, die sich mangels Alternativen von
westlichen Geldgebern finanzieren lassen, darauf achten, sich nicht von ihnen benutzen zu
lassen.
70
Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind die wichtigsten Wortführerinnen im islamischen
Feminismus nicht-arabische Muslime. Empfinden Sie das nicht als seltsam, zumal doch die
arabische Welt im Verständnis vieler arabischer Muslime – und nicht-arabischer im Übrigen
auch – das "Kernland" des Islam bildet?
75
Mir-Hosseini: In der Tat stammen die innovativsten Beiträge zum islamischen Feminismus
aus der so genannten "Peripherie" der muslimischen Welt, also aus Ländern wie dem Iran,
Indonesien und natürlich von muslimischen Autoren aus dem Westen. Interessanterweise
erscheinen deshalb die meisten dieser Werke nicht auf Arabisch, sondern auf Englisch, Farsi
oder Bahasa Indonesia. Ich denke, dass die politischen Rahmenbedingungen in der arabi-
80
schen Welt einfach nicht förderlich sind für eine öffentliche Artikulierung dieses Diskurses.
Wer es dennoch versucht, kann dabei durchaus sein Leben riskieren. Sehr leicht wird man
dort als vom Glauben abgefallen gebrandmarkt und getötet.
Im Fokus vieler islamisch-feministischer NGOs steht die Reform der Persönlichkeitsrechte in
85
muslimischen Kontexten, die Frauen beeinträchtigen. Glauben Sie, dass dieser Fokus zu
eng gesetzt ist? Schließlich sind die Persönlichkeitsrechte nicht das einzige Problem, mit
dem muslimische Frauen zu kämpfen haben. Für viele von ihnen dürfte doch beispielsweise
eine zermürbende Armut eine viel schlimmere Belastung darstellen.
Mir-Hosseini: Ich denke, dass die Frage der Geschlechterbeziehungen innerhalb der Fami-
90
lie – und darum geht es ja in erster Linie bei den Persönlichkeitsrechten – die Frage der
Machtverhältnisse in der Gesellschaft durchaus im Kern berührt. Schließlich bildet die Familie die grundlegende Einheit einer Gesellschaft; nur wenn es innerhalb einer Familie Gerechtigkeit und Demokratie gibt, ist auch in der weiteren Gesellschaft Gerechtigkeit und Demokratie zu erwarten. Mit anderen Worten: Der Schlüssel zur Demokratisierung einer Gesell-
95
schaft im Ganzen liegt in der Demokratisierung ihrer Basis, also der Familie. Dies macht eine
rechtliche Reform der Persönlichkeitsrechte so wichtig.
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Es ist nun mal ein Fakt, dass viele muslimische Frauen in undemokratischen Kontexten le-
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argumentieren aber nur anders, eben mit islamischen Argumenten?
Mir-Hosseini: Für mich hat Feminismus zwei Seiten: Zum einen besteht er in dem Bewusst100
sein, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts in ihrer häuslichen Umgebung, bei der Arbeit,
in der Gesellschaft und in anderen Lebensbereichen, Diskriminierung erleiden, zum anderen
in der politischen Arbeit, die darauf abzielt, diese Missstände zu beenden. Feminismus ist
damit ein Streben nach Gerechtigkeit und Gleichheit von Frauen innerhalb einer gerechten
Welt. Es ist sowohl eine Geisteshaltung wie ein Lebensstil; es ist ein Weg, der von jedem
105
beschritten werden kann – unabhängig von Gender, Geschlecht, ethnische Herkunft, Glauben und anderen Unterschieden, die uns trennen mögen.
Doch Gerechtigkeit und Gleichheit sind kontroverse und relative Begriffe, da sie für unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Dinge benennen.
Feminismus besitzt auch einen erkenntnistheoretischen Ansatz, in dem Sinne, dass er uns
110
sagt, wie wir wissen, was wir wissen. Die feministische Wissenschaft im Islam kann, wie die
jeder anderen Religion, hier eine Menge beisteuern, und das sowohl zum Verständnis der
Religion als auch zum Streben nach Gerechtigkeit. Feminismus als Ideologie, als Bewegung
und als Erkenntnisprojekt, braucht, um zu wachsen und um nicht zum reinen Dogma zu werden, die Kritik von innen.
115
In den 1970er und 1980er Jahren war es der Feminismus der Schwarzen und der "DritteWelt"-Gruppen, von denen diese Kritik kam. So zum Beispiel Audre Lordes Kritik der feministischen Mainstream-Literatur der 1960er Jahre mit ihrem Fokus auf die Erfahrungen weißer
Frauen aus der Mittelklasse und deren Wertvorstellungen. Chandra Mohanty mit ihrem wegweisenden Artikel "Aus westlicher Sicht: feministische Theorie und koloniale Diskurse" liefer-
120
te eine überzeugende Kritik der Zusammenhänge zwischen Feminismus und Kolonialismus.
Solche Arbeiten halfen dem Feminismus, auch theoretisch zu wachsen und breitere Schichten zu erreichen.
Was können säkulare Feministinnen von islamischen Feministinnen lernen? Stimmen Sie
125
der pauschalen Kritik säkularer Feministinnen zu, dass die Geschlechterrollen sich im allgemeinen muslimischen Verständnis ergänzen?
Mir-Hosseini: Ich bin ich mir ganz sicher, dass wir alle voneinander lernen können. Was
aber den Begriff der "Komplementarität" der Geschlechterrollen angeht, so wie er im herrschenden muslimischen Diskurs verstanden und artikuliert wird, widerspreche ich ganz ve-
130
hement. Es handelt sich dabei lediglich um neue und "moderne" Begrifflichkeiten, um die
Ungleichheit und Diskriminierung von Frauen zu rechtfertigen, die dazu dienen sollen, Frauen und Muslime im Allgemeinen zu täuschen.
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Haben islamische Feministinnen letztlich also die gleichen Ziele wie säkulare Feministinnen,
Material 2
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eine Gleichheit, die lediglich auf eine rechtliche und rein formale Umkehrbarkeit der Ge135
schlechterrollen abzielt, den Frauen keine wirkliche Gleichheit bringt. Frauen haben einen
anderen Startpunkt im Leben als Männer und es gibt nun einmal keine vollkommen gleichen
Wettbewerbsbedingungen zwischen Männern und Frauen; wir brauchen also neue Konzepte, die solche Unterschiede berücksichtigen. So sind eben nicht alle Frauen Diskriminierung
ausgesetzt, noch erleben sie eine solche in der gleichen Weise. Soziale Klasse, Bildung,
140
ethnische Zugehörigkeit, Zugehörigkeit zur "Ersten" oder "Dritten Welt" – all diese Faktoren
spielen ebenfalls eine Rolle. Männer werden in vielen Situationen ebenso unterdrückt wie
Frauen, ja werden in einigen Fällen sogar von ihnen dominiert.
In der feministischen Theorie hat ein Wandel stattgefunden; formale Gleichheitsmodelle wurden zugunsten von Ansätzen aufgegeben, die sich auf die nun so genannte "substanzielle
145
Gleichheit" berufen. Es gibt eine rege Diskussion zu diesem Thema und Muslime müssen
sich an ihr beteiligen. Wir müssen alte Dogmen überdenken, und das gilt für religiöse ebenso
wie für feministische, und eben dort können wir voneinander lernen.
Interview: Yoginder Sikand
150
© Qantara.de 2010
Ziba Mir-Hosseini ist Autorin zahlreicher Bücher, unter anderem von "Islam and Gender, the
Religious Debate in Contemporary Islam" (Princeton, 1999). Zurzeit arbeitet sie am Centre
for Islamic and Middle Eastern Law an der School of Oriental and African Studies, London.
Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
155
Feministischer Islam
Sie berufen sich auf die Tradition: Musliminnen, die in ihrem Kampf um
gesellschaftliche Emanzipation und ein modernes Rollenverständnis auf den Koran
und die Geschichte des Islam zurückgreifen - auch wenn sie damit teilweise
überlieferter Koraninterpretation widersprechen.
160
Quelle:
Source URL: http://de.qantara.de/inhalt/interview-mit-ziba-mir-hosseiniwir-mussen-die-altendogmen-uberdenken
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Und doch ist die feministische Theorie inzwischen dahin gekommen, anzuerkennen, dass
Material 2
zwischentöne
1. Stelle die Interviewte kurz vor: Name, Beruf, Themenschwerpunkte.
2. Definiere anhand des Interviews „Feminismus“.
3. Wird zwischen Feminismus und islamischem Feminismus differenziert?
4. Beschreibe die damit verbundene Patriarchatskritik.
5. Erläutere, weshalb es nicht nur um den Koran, sondern auch um weitere Reformen geht.
6. Lege dar, was islamische Feministinnen und säkulare Feministinnen voneinander lernen
können.
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Arbeitsauftrag
zwischentöne
Material 3
Prof. Dr. Asma Barlas
[…]
Bevor ich die Hauptmerkmale meiner Auslegung erläutere, möchte ich kurz auf den Titel
eingehen, der „feministische Interpretationen des Korans“ lautet, und auch das theoretische
Terrain abstecken, auf dem ich mich mit meiner Arbeit bewege.
5
Welche Fragen finden sich allein im Titel?
Ich möchte den Titel aus zwei Gründen infrage stellen: erstens aus Gründen einer deutlichen
Offenlegung, da ich mich selbst nicht als Feministin bezeichne. Zweitens, weil ich glaube,
dass es um grundlegendere Prinzipien und mehr als nur persönliche Präferenz geht, wenn
10
ich die Bezeichnung Feminismus ablehne.
Meine Kritik besteht aus mehreren Punkten, aber ich werde nur zwei hier ansprechen. Ich
sollte auch darauf hinweisen, dass meine Kritik dem andauernden Dialog mit Margot Badran
entspringt.
Obwohl ich glaube, dass man nichts untersuchen kann, ohne den Gegenstand zu benennen,
15
glaube ich auch, dass alleine schon der Prozess der Namensgebung Gefahr läuft, Unterschiede zu egalisieren, da politische Terminologien oft genauso viel verbergen, wie sie offenlegen.
Zum Beispiel suggeriert der Begriff Feminismus, dass es sich um einen emanzipatorischen
Diskurs handelt. Aber wie wir wissen, sind die westlichen Formen des Feminismus (immer
20
noch) mitverantwortlich für Imperien, Kriege und Kolonialismus und somit auch für die Unterdrückung vieler Frauen.
Außerdem bedeutet Feminismus nicht für jeden das Gleiche. Einer der Gründe, warum ich
gegen Feminismus bin, ist, dass die meisten muslimischen Feministinnen im Grunde säkular
sind und wenig Gemeinsamkeiten mit mir haben. Im besten Fall stehen sie dem gesamten
25
Projekt der Neuauslegung des Korans feindlich gegenüber und heute sind viele solcher Feministinnen hier anwesend.
Margot Badran bietet sicherlich ein Format für die Abgrenzung des muslimischen und islamischen Feminismus, indem sie Letzteren als einen Diskurs zur Gleichberechtigung der Geschlechter bezeichnet, der sein Mandat vom Koran ableitet und Gerechtigkeit für alle Men-
30
schen fordert. Mir gefällt diese Definition, aber als gute Historikerin weiß sie auch,dass es
lange vor dem eigentlichen Feminismus schon einige muslimische Frauen gab, die sich dagefördert durch
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Der Koran neu gelesen
Material 3
zwischentöne
nen genannt.
Aber mir erschließt sich nicht ganz, warum das nützlich oder notwendig sein sollte. Zum Bei35
spiel frage ich mich: Erlösen wir sie dadurch, dass wir sie Feministinnen nennen? Wie ich
soeben schon erwähnte, ist der Feminismus weder allgemein ein Diskurs über Befreiung
noch ein Diskurs über allgemeine Befreiung. Er ist heutzutage eher ein vom Staat geförderter Diskurs der Unterdrückung. Ein gutes Beispiel dafür liefert der Krieg der Bush-Regierung
gegen Afghanistan, der teilweise im Namen der Emanzipierung der afghanischen Frauen
40
geführt wurde.
Versuchen wir also umgekehrt, den Feminismus zu erlösen, indem wir ihn im Koran ansiedeln, wie es Margot Badran getan hat? Falls ja, dann bin ich auf ein Papier gespannt, das die
Auswirkungen dieser Neuorientierung für die feministischen Theorien erforschen würde.
Darüber hinaus, und hier komme ich zu meinem zweiten Punkt: Wenn wir möchten, dass
45
sich die muslimischen Frauen selbst stärken, warum sollten wir dann ihr Recht nicht würdigen, sich selbst so zu bezeichnen, wie sie es wünschen? Wenn wir das Projekt der Gleichberechtigung und der Befreiung nicht Feminismus nennen wollen, warum kann das nicht
einfach akzeptiert werden?
Meiner Meinung nach ist die Bezeichnung einer Person als Feministin nicht so transparent
50
oder nuancenreich oder hilfreich, wie es auf den ersten Blick aussehen mag.
Räume für Interpretationen
Trotz allem, was ich gerade gesagt habe, möchte ich auch deutlich machen, dass, unabhängig davon, wie man uns nennt oder wir uns selbst nennen – ob Gläubige, Feministinnen oder
55
Frauen –, unsere Arbeit doch viele Gemeinsamkeiten aufweist.
[…]
Wir alle haben gemein, dass wir das Motiv der Vorherrschaft des Mannes, das bislang historisch in den Koran hineininterpretiert wurde, infrage stellen. Wir versuchen auch, die Möglichkeiten der Befreiung, die der Koran bietet, offenzulegen, indem wir dessen Haltung zur
60
Gleichberechtigung der Geschlechter verdeutlichen. Dies tun wir nicht nur durch eine neue
Interpretation der sogenannten frauenfeindlichen Verse, die sich auf die vermeintliche Überlegenheit des Mannes, das „Schlagen“ der Ehefrau, Vielweiberei, Zeugenaussagen, Erbschaften usw. beziehen, sondern auch durch Kritik an der Theologie und den Interpretationsmethoden, die den Koran zu Ungunsten der Frauen auslegen.
65
In dem Maße, in dem die Interpretationsweise der Frauen und Feministinnen im Hinblick auf
den Koran kumulativ die vorherrschenden Methoden der Wissensbildung infrage stellt, kann
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mit beschäftigt haben. Somit wurden diese Frauen nur im Nachhinein islamische Feministin-
Material 3
zwischentöne
Wissenschaftlerin ihre eigene unverkennbare Stimme und ihren eigenen Schwerpunkt und
an dieser Stelle scheint es mir angebracht, meinen eigenen Betrachtungswinkel darzustellen.
70
Meine Auslegung
Meiner Meinung nach ist es eine offensichtliche Tatsache, dass ein Gott, der ein biologisches Geschlecht sowie eine soziale oder kulturelle Geschlechtszugehörigkeit als Kategorie
zur Beschreibung seiner selbst wie auch für die Beurteilung zwischen Menschen ablehnt,
75
auch über Geschlechterhass und Parteilichkeit steht. Es gibt keinerlei himmlische, theologische oder logische Gründe, warum ein solcher Gott Frauen hassen sollte oder Männer lehren sollte, sie zu hassen.
Dennoch gilt eine solche Sichtweise des Korans als Angriff auf jene scheinbar frommen Muslime, die den Koran so interpretieren, dass Gott die Männer den Frauen gegenüber um einen
80
Grad (darajah) überlegen geschaffen hat, sie zu deren Vormund (qawwamun) ernannt hat
und es ihnen erlaubt hat, vier Frauen zu heiraten, ihre Frauen sogar zu schlagen (daraba),
wenn sie ungehorsam (nushuz) sind, und das Doppelte des Anteils der Frau zu erben, etc.
Als Muslim geboren zu sein bedeutet, mit der angeblichen Unumkehrbarkeit solcher Interpre85
tationen konfrontiert zu werden, auch wenn man jede einzelne dieser Thesen beanstanden
kann.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich zum Beispiel, dass der Koran das Wort Grad (darajah)
nur im Zusammenhang mit den Privilegien des Ehemanns im Fall einer Scheidung nutzt.
Aber es ist bei weitem nicht klar, welches genau denn sein Privileg ist. Einige Gelehrte glau-
90
ben, das Privileg bestehe darin, dass er eine Scheidung aussprechen kann, während andere
behaupten, es bestehe darin, dass er sie widerrufen kann. In keinem Fall hat es etwas mit
der männlichen Ontologie oder Biologie zu tun.
Ontologisch gesehen, können die Männer den Frauen gar nicht überlegen sein, da im Koran
steht, dass beide ihren Ursprung in einem einzigen Wesen haben (nafs); nafs ist übrigens
95
ein weiblicher Plural. Es gibt keinerlei Erwähnung, dass die Frau aus dem Mann geschaffen
wurde oder dass Adam vor der Frau geschaffen wurde. Wie Hassan aufzeigt, bedeutet das
Wort adamah in 22 von 25 Fällen „aus der Erde”.
Gleichermaßen kann das Wort qawwamun die finanzielle Rolle der Ehemänner als Ernährer
der Familie bezeichnen und nicht die Vormundschaft über die Frauen. So wurde es tatsäch-
100
lich auch von den frühesten Korangelehrten (männlichen, sollte ich hinzufügen) interpretiert.
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sie als ein gemeinsames Werk betrachtet werden. Innerhalb dieser Matrix hat natürlich jede
Material 3
zwischentöne
und gibt beiden den Auftrag, das Richtige vorzuschreiben und das Falsche zu verbieten. Wie
könnten sie das allerdings tun, wenn die Männer völlige Macht über die Frauen hätten, fragt
105
Al-Hibri?
Darüber hinaus beginnt auch das gesamte Gebäude der Vielweiberei zu kollabieren, wenn
wir sehen, dass der Koran nur einigen Männern die Vormundschaft über weibliche Waisen
einräumt und es ihnen erlaubt, mehr als eine Frau zu heiraten, und nur insofern, dass Gerechtigkeit für die Waisen gewährleistet werden kann. Und in demselben Vers heißt es auch,
110
dass es besser ist, mit nur einer Frau verheiratet zu sein, um nicht eine Frau der anderen
vorzuziehen.
Analog dazu beginnt auch der Vers über das „Frauen- Schlagen“ sich aufzulösen, wenn man
erkennt, dass das Wort, das mit „schlagen“ übersetzt wird, vom daraba stammt, der mehrere
Bedeutungen haben kann, darunter „sich trennen“. Für mich stellt sich daher die ewige Fra-
115
ge, warum Muslime eine Bedeutung – noch dazu die schlimmste – vor allen anderen gewählt
haben. Tatsächlich lehrt der Koran, dass Liebe die Grundlage für eine Ehe sein sollte (und
das im siebten Jahrhundert!), und schreibt Barmherzigkeit und Großzügigkeit zwischen Eheleuten vor, auch wenn sie sich gegenseitig hassen oder sich gerade scheiden lassen.
Die Auslegung von nushuz als Ungehorsam der Ehefrau wird auch unhaltbar, wenn wir die
120
Stellen des Korans lesen, die sich auf nushuz eines Ehemanns beziehen. Darüber hinaus,
wie Wadud sagt, macht der Koran Gehorsam dem Ehemann gegenüber niemals obligatorisch für die Ehefrau.
[…]
Gleichermaßen gelten tatsächlich die Zeugenaussagen zweier Frauen so viel wie die Aussa-
125
ge eines Mannes, wenn die Zeugenaussage sich auf Schulden aus einem Vertrag bezieht. In
dem viel entscheidenderen Fall von Ehebruch überwiegt die Aussage der Ehefrau die ihres
Ehemanns. Falls ein Mann nur aufgrund seiner eigenen Zeugenaussage seiner Ehefrau
Ehebruch vorwirft, kann sie die Anschuldigung durch ihre Aussage zurückweisen – und
rechtlich gesehen hat sie das letzte Wort.
130
Worauf will ich also hinaus? Ich möchte deutlich machen, dass die Interpretation des Korans
davon abhängt, wer den Koran interpretiert, wie und in welchem Kontext er interpretiert wird.
Wenn er, wie es bisher in der Geschichte der Fall war, nur von Männern interpretiert wird
und noch dazu nur bruchstückhaft und immer im patriarchalischen Kontext, ist es kaum überraschend, dass der Koran als patriarchalischer Text interpretiert wurde.
135
Wie ich in meinem Buch zu zeigen versuche, kann der Koran als das genaue Gegenteil gelesen werden: als ein antipatriarchalischer Text. Ich glaube sogar, dass eine solche Auslegung im Hinblick auf Theologie und Methodik auf gesünderen Füßen steht als die vorherrgefördert durch
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Der Koran hat Frauen und Männer vielmehr als awliya oder Leitfiguren füreinander bestimmt
Material 3
zwischentöne
schen Aspekte nicht eingehen können, aber ich möchte erläutern, wie ich das Patriarchat
140
aus dem Koran „hinausinterpretiere“.
Zunächst sollte ich klarstellen, dass ich mit Patriarchat zwei Dinge meine: einerseits die Art
und Weise, wie der Patriarch regiert, basierend auf der Darstellung Gottes als Vater (traditionelles Patriarchat), und andererseits eine Politik der Unterscheidung der Geschlechter, die
Männer bevorzugt und Frauen ausgrenzt (modernes/weltliches Patriarchat).
145
Ich möchte nun einige Gründe nennen, warum ich glaube, dass der Koran weder die traditionelle noch die moderne Form des Patriarchats unterstützt.
Mein erster Punkt ist, dass der Koran Gott nicht als Vater darstellt. Er verbietet vielmehr eine
Sakralisierung Gottes und sogar jede Art von Abbild für Gott. Im Koran steht, dass Gott nicht
geschaffen wurde und daher über jeglicher Geschlechtszugehörigkeit steht und somit nicht
150
abbildbar ist, auch wenn die Sprache des Menschen Gott immer mit einem männlichen Pronomen versieht.
Der Koran erhebt Väter und Vaterschaft nicht zu etwas Heiligem, sondern besagt, im Gegenteil, dass „den Fußspuren der Väter zu folgen“ vom Weg Gottes abführt. Ich sehe darin eine
klare Widerlegung des traditionellen Patriarchats. Denn was bedeutet Patriarchat anderes,
155
als „den Fußspuren der Väter zu folgen“?
Natürlich erkennt der Koran durchaus, dass Patriarchate existieren und dass in diesen Patriarchaten die Macht in den Händen der Männer liegt. Daher wendet er sich oft an Männer.
Aber das Anerkennen des Patriarchats oder die Ansprache der Männer sind etwas anderes
als das Verfechten der Vorherrschaft der Männer!
160
Darüber hinaus benutzt der Koran nicht das biologische Geschlecht, um Männern Privilegien
einzuräumen oder Frauen auszugrenzen, wie es die modernen und die weltlichen Formen
des Patriarchats tun. Der Koran verbindet noch nicht einmal das Geschlecht mit einer sozialen oder kulturellen Geschlechtszugehörigkeit. Ich meine damit, dass der Koran durchaus die
biologischen (sexuellen) Unterschiede anerkennt, aber ihnen keine spezifische Geschlechts-
165
symbolik zuordnet. Einfach ausgedrückt: Im Koran existiert das Konzept eines geschlechtsspezifischen Mannes oder einer geschlechtsspezifischen Frau nicht.
Kein einziger Vers
weist Männern und Frauen spezifische Arbeitsbereiche zu oder definiert ihre Rollen als biologische Funktion oder besagt, dass die biologischen Unterschiede Männer und Frauen ungleich, inkompatibel, unvergleichbar oder zu Gegensätzen machen.
170
Sicherlich behandelt der Koran Männer und Frauen nicht in jeder Angelegenheit identisch,
aber das bedeutet nicht, dass er sie ungleich macht. Wie wir wissen, impliziert Unterschied
nicht immer Ungleichheit. Außerdem knüpft der Koran seine unterschiedliche Behandlung
von Männern und Frauen nicht an irgendwelche Ansprüche über Biologie oder Ungleichheit.
gefördert durch
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schende patriarchalische Auslegung. Heute werde ich auf die theologischen und methodi-
Material 3
zwischentöne
175
xen Interpretation und ich habe sie nur vorgetragen, um zu zeigen, dass man den Koran auf
gute und schlechte Weise interpretieren kann. Bezeichnenderweise fordert der Koran selbst
jeden Einzelnen von uns auf, ihn für uns selbst zu lesen und ihn in seiner „besten Bedeutung“ zu interpretieren.
Wenn uns das nicht gelungen ist und wir Ungleichheit der Geschlechter und Unterdrückung
180
und sogar Vielweiberei hineinlesen, ist es unredlich, den Koran dafür verantwortlich zu machen. Die Texte können sich nicht selbst interpretieren. Das können nur wir und daher müssen wir die Last unserer eigenen Fehlinterpretationen tragen.
Schlussfolgerungen
185
Ich möchte zum Schluss wieder auf die Koranstudien der Frauen und Feministinnen zurückkommen.
Ich sehe diese Studien als einen Versuch, den Hintergrund des Textes zu beleuchten und
den historischen Zusammenhang sichtbar zu machen, in dem der Koran offenbart und interpretiert wurde. Auf diese Weise möchten wir erklären, warum Muslime ihn als patriarchali-
190
schen Text (miss)interpretiert haben. Gleichzeitig ist die Forschung der Frauen und Feministinnen auch ein Versuch, den Vordergrund des Textes zu verdeutlichen, um den Lehren einen neuen Kontext zu geben, damit sie im Leben der Gläubigen, die heute nach dem Koran
leben möchten, Relevanz haben.
Es ist genau dieser Prozess der ständig neuen Kontextualisierung des Korans, der ihn wahr-
195
haft universell macht. Aber leider bleibt dieser emanzipatorische Versuch auf den Rand des
muslimischen Diskurses beschränkt, da die Strukturen der religiösen Autorität nur Männern,
und auch nur einigen Männern, erlauben, im Namen Gottes zu sprechen.
Eine viel weiter reichende Reform als nur die Reform der muslimischen Staaten und Gesellschaften wäre nötig, um das zu ändern. Auch das Bewusstsein der Glaubensgemeinschaft
200
müsste sich ändern, da man den Koran in repressiven und antidemokratischen Verhältnissen
nicht in seiner besten Bedeutung lesen kann. Und auch nicht, wenn man an einer geistigen
Haltung festhält, die im Schlamm von Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Unsicherheiten
feststeckt.
Genau dieser direkte Zusammenhang von hermeneutischen und existentiellen Fragen gibt
205
Muslimen einen Grund, gegen die sozialen Ungleichheiten und das Ungleichgewicht der Geschlechter zu kämpfen. Nur durch einen solchen Kampf kann ein Empowerment der muslimischen Frauen gelingen.
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Das ist eine sehr kurze und vereinfachte Zusammenfassung einer sehr langen und komple-
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zwischentöne
Argwohn, denn sie haben genau diese Gleichberechtigung der Geschlechter als westliches
210
und feministisches Konstrukt kennen gelernt. Aber der Kampf um Gleichberechtigung liegt im
Kern derselben islamischen Tradition verankert, die oft benutzt wird, um den Frauen genau
die Rechte zu verwehren, die ihnen der Koran gewährt hat.
Ich meine damit die Tradition, die uns berichtet, dass Umm Salama, eine der Frauen des
Propheten, ihn gefragt hat, als der Koran ihm offenbart wurde, warum der Koran sich nicht
215
an die Frauen wendet. Und es wird berichtet, dass ab jenem Zeitpunkt der Koran sich direkt
an die Frauen zu wenden begann.
In dieser Tradition, ob sie nun gänzlich wahr ist oder nicht, finde ich unendliche Lehren.
Zum einen zeigt sie uns, dass wir die richtigen Fragen stellen müssen, wenn wir möchten,
dass der Koran zu uns spricht. Zum Beispiel können wir seine Position zu Gleichberechti-
220
gung und Patriarchat nur dann erkennen, wenn wir hinterfragen, ob es sich tatsächlich um
einen patriarchalischen Text handelt und nicht davon ausgehen, dass es so ist.
Zum anderen zeigt sie auch, dass Frauen die Schrift hinterfragen können, ja sogar müssen.
Und das ohne die Intervention einer selbsternannten Klasse von männlichen Geistlichen
oder Mittlern. Das Entgegenkommen Gottes auf die Frage von Umm Salama zeigt, dass das
225
Infragestellen des heiligen Textes ein von Gott verbrieftes Recht der Frau ist.
[…]
Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.). 2008. Asma Barlas, Nahide Bozkurt, Rabeya Müller:
Der Koran neu gelesen: feministische Interpretationen. Dokumentation. Politische Akademie,
Interkultureller Dialog. Islam und Gesellschaft Nr. 6. Berlin, Bonn: Friedrich Ebert Stiftung.
Arbeitsauftrag
1. Skizziere kurz die Biographie und wichtige Wegmarken der jeweiligen Autorin. Worauf
basiert ihr Engagement?
2. Verorte ihre Sichtweise zum Feminismus.
3. Erläutere ihre Argumentationsmethode.
4. Benenne und beschreibe die ihrer Argumentation zugrundeliegende Theorie/den Ansatz.
5. Finde Beispiele für ihre Koraninterpretation. Welche Reformen sind ihr zufolge erforderlich?
6. Nimm zu diesem Ansatz Stellung.
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Indes betrachten viele Muslime den Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter mit
zwischentöne
Material 4
Prof. Dr. Nahide Bozkurt
In meiner Präsentation werde ich zunächst die Position der Frau in der Zeit vor dem Islam
definieren und aufzeigen, was der Islam aus historischer Sicht hervorgebracht hat.
Da die Frauenproblematik nicht unabhängig von den Bemühungen, den heiligen Text zu verstehen und zu interpretieren, diskutiert werden kann, werde ich im zweiten Schritt die Metho5
den erläutern, mit denen der Text des Korans in unserer Tradition und in der modernen Welt
interpretiert wird. Ich werde einige Beispiele für die Interpretation durch moderne Denker
geben.
Drittens werde ich meinen eigenen methodischen Ansatz als Historikerin vorstellen, mit dem
man sich dem Koran nähern und ihn verstehen kann.
10
Die Position der Frau in der Zeit vor dem Islam
In der präislamischen arabischen Gesellschaft wurden Frauen im Allgemeinen wenig beachtet. Wenn ein Mann einen Sohn bekam, fühlte er sich glücklich und veranstaltete ein Festessen. Wurde ihm allerdings eine Tochter geboren, schämte er sich. Zu jener Zeit entledigten
15
sich die Araber ihrer Töchter dadurch, dass sie sie lebendig begruben oder auf eine andere
Art und Weise töteten. Manchmal wurde eine Frau, die eine Tochter geboren hatte, von ihrem Mann geschieden. Es ist auch bekannt, dass es Männer gab, die nicht mit ihren Frauen
im selben Bett schliefen, oder solche, die nicht im selben Haus wohnten oder nicht mit ihnen
zusammen aßen. Frauen wurden zudem als unheilbringend angesehen.
20
Damals war es Brauch, dass eine Frau, deren Ehemann gestorben war, ein Jahr lang um ihn
trauerte. Wenn eine Frau, aus welchem Grund auch immer, geschieden wurde, wurde sie
daran gehindert, einen anderen Mann zu heiraten. Dies geschah nur, um sie zu quälen. Ein
Araber, der sich von seiner Frau hatte scheiden lassen, nahm sie dann zu dem Zeitpunkt
wieder auf, an dem ihre Witwenschaft zu Ende ging, nur um sich dann wieder von ihr schei-
25
den zu lassen. Somit konnte seine Frau niemand anderen heiraten, da ihre Witwenzeit, die
ein Jahr betrug, von vorne begann. Ein Ehemann hatte das Recht, dies dreimal zu tun. Das
Recht, sich scheiden zu lassen, lag prinzipiell beim Mann.
Sklavinnen wurden in die Prostitution getrieben und das Geld, das sie verdienten, wurde
ihnen abgenommen. Ein Mann konnte unzählige Frauen heiraten. Ein Vater konnte seine
30
Tochter mit jemandem verheiraten, den sie nicht mochte. Zu der Zeit war es auch möglich,
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Ein methodischer Ansatz zur Frauenproblematik im Islam
Material 4
zwischentöne
konnte auch zwei Schwestern gleichzeitig heiraten.1
Ein methodischer Ansatz zur Frauenproblematik im Islam Über die Veränderungen der
35
Position der Frau durch den Koran und die Methoden zum Verständnis des Korans
Der Koran hat die Identität und die Rechte der Frau verändert. Er unterstreicht die Einheit
und die Verbundenheit von Mann und Frau in der Schöpfung und besagt, dass Gott beide
aus einem einzigen Wesen erschaffen hat.2 Im Koran steht auch, dass für ein lebendig begrabenes Mädchen Rechenschaft verlangt werden wird. 3
40
Der Koran betont, dass Mann und Frau sich ergänzen und es keinen Unterschied zwischen
ihnen gibt.4 Darüber hinaus weist er darauf hin, dass der muslimische Mann und die muslimische Frau sich gegenseitig beschützen.5 In vielen Versen des Korans werden Mann und
Frau gemeinsam erwähnt.6
1
Für mehr Information über die Position der Frau vor dem Islam siehe Javad Ali, al-Mufassal fî Târîkh
Arab qabl al-Islâm, Beirut 1970, Band IV, S. 615–660; Neşet Çağatay, İslam Öncesi Kadın, İstanbul,
2004, S. 23–37; İzzet Derveze, Asru’n-Nebi Kurân’a Göre Hz. Muhammed’in Hayatı, İstanbul 1988,
Band I, S. 123–151;
Şemseddin Günaltay, İslam Öncesi Araplar ve Dinleri, Ankara 1997, S. 117–125.
Prof. Dr. Nahide Bozkurt Arap Tarihi ve Cahiliye Çağı, Ankara 1982, S. 133–137; Rıza Savaş, Hz.
Muhammed devrinde
2
4:1: „O IHR MENSCHEN! Fürchtet Euren Herren. Der euch aus einem einzigen Wesen geschaffen
hat …”
3
81:8–9: „…und wenn nach dem lebendig begrabenen Mädchen gefragt wird: Für welches Verbrechen ward es getötet?“. 16:58–59, „… und wenn einem von ihnen die Nachricht von (der Geburt) einer
Tochter gebracht wird, so verfinstert sich sein Gesicht, indes er den inneren Schmerz unterdrückt. Er
verbirgt sich vor den Leuten ob der schlimmen Nachricht, die er erhalten hat: Soll er sie trotz der
Schande behalten oder im Staub verscharren? Wahrlich, übel ist, wie sie urteilen!”
4
49:13: „O ihr Menschen, Wir haben euch von Mann und Weib erschaffen und euch zu Völkern und
Stämmen gemacht, dass ihr einander kennen möchtet. Wahrscheinlich, der Angesehenste von euch
ist vor Allah, der unter euch der Gerechteste ist. Siehe, Allah ist allwissend, allkundig.“
5
3:195: „Ihr Herr antwortet ihnen also: ‚Ich lasse das Werk des Wirkenden unter euch, ob Mann oder
Weib, nicht verlorengehen. Die einen von euch sind von den anderen.’“
6
16:97: „Wer recht handelt, ob Mann oder Frau, und gläubig ist, dem werden Wir gewisslich ein reines
Leben gewähren; und Wir werden gewisslich solchen ihren Lohn bemessen nach dem besten ihrer
Werke.” 9:71: „Die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind einer
des anderen Freund ...“
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dass ein Mann seine eigene Stiefmutter heiratete, nachdem sein Vater gestorben war. Er
Material 4
zwischentöne
45
Aber es gibt auch einige Verse, die bei einer wörtlichen Auslegung des Korans die Überlegenheit des Mannes implizieren. Zum Beispiel:
4:35:
„Die Männer sind die Verantwortlichen über die Frauen, da Allah die einen vor den anderen
50
ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben ...“
2:228:
„… Und wie die Frauen Pflichten haben, so haben sie auch Rechte nach dem Brauch; doch
haben Männer einen gewissen Vorrang vor ihnen ...“ 2:282: „… Und ruft zwei unter euren
55
Männern zu Zeugen auf; und wenn zwei Männer nicht (verfügbar) sind, dann einen Mann
und zwei Frauen, die euch als Zeugen passend erscheinen, so dass, wenn eine der beiden
irren sollte, die andere ihrem Gedächtnis zu Hilfe kommen kann ...”
Wie sollen wir den Text des Korans an dieser Stelle verstehen? Ist eine wörtliche Auslegung
60
ausreichend, um den Koran zu verstehen? Falls nicht, wie sollen wir den Koran sonst verstehen? Welche Methoden gibt es, mit denen wir den Koran verstehen und interpretieren
können? Wie bekannt, wurden in der Geschichte bereits verschiedene Interpretationsmethoden eingesetzt, um den Koran verständlich zu machen. Diese bestanden im Wesentlichen
aus wörtlichen, allegorischen, wissenschaftlichen, ideologischen und historischen Auslegun-
65
gen.
- Beim wörtlichen Ansatz wird die äußere Bedeutung des Verses betont. Die Zahiriten/Zahiria
wählen die wörtliche Interpretation zum Verständnis des Korans.
- Beim allegorischen Ansatz wird der inneren Bedeutung des Verses mehr Bedeutung beigemessen als der äußeren. Die Sufi interpretationen sind zum Beispiel eine solche Art der
70
Interpretation.
- In der wissenschaftlichen Interpretation werden die Ergebnisse der Wissenschaft und
Technik vom Koran abgleitet. Beim ideologischen Ansatz wird versucht, die akzeptierte
Sichtweise durch den Koran zu bestätigen.
7
40:40: „… wer aber Gutes tut – sei es Mann oder Weib – und gläubig ist, diese werden in den Garten
eintreten ...” 9:72: „Allah hat den gläubigen Männern und den gläubigen Frauen Gärten verheißen, die
von Strömen durchflossen werden, immerdar darin zu weilen, und herrliche Wohnstätten in den Gärten der Ewigkeit …”
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Gott sagt: Wer an Gott glaubt, ob Mann oder Frau, wird erhört werden.7
Material 4
zwischentöne
75
den jüngsten Vertretern dieser Methode befinden sich zum Beispiel Fazlur Rahman, Sayyid
Husain Nasr. Diese Methode betrachtet den historischen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen, geographischen, religiösen und traditionellen Kontext des Textes und nimmt den Anlass der Offenbarung als Grundlage, um die Offenbarung über die wörtliche Bedeutung hinaus zu verstehen und Schlussfolgerungen zu ziehen.
80
Husain Nasr sagt zum Beispiel, dass Omar den Anlass zum Gebot des Korans, Almosen
(zakât) an all diejenigen zu geben, deren Herzen Trost brauchen (muallafa al-kulûb), nicht
aus dem göttlichen Text selbst abgeleitet hat, sondern aus dessen allgemeinem Kontext.
Omar habe erkannt, dass das Spenden der Stärkung des Islam diente, der bis dahin
schwach war. Als der Islam gestärkt war, gab es keinen Grund mehr, zum Trost Almosen zu
85
geben. Innerhalb dieser Betrachtungsweise überlebte auch eine weitere Interpretation des
Grundes, Almosen zu geben, der darin bestand, etwas von den Reichen zu nehmen und den
Armen und Bedürftigen zu geben.8
Mehmed Said Hatiboğlu, ein türkisch-muslimischer Theologe, der den historistischen Ansatz
nutzt, beschreibt ein interessantes Beispiel von Imâm Ata. In diesem Beispiel geht es darum,
90
dass die Ehe zwischen muslimischen Männern und den Frauen des Volkes des Buchs durch
den Koran in der Sure Al-Mâida, dem fünften Vers, erlaubt war. Imam Ata interpretierte diesen wie folgt: Gott erlaubte es, christliche und jüdische Frauen zu heiraten, da die Anzahl der
muslimischen Frauen gering war. Aber da sie nun gestiegen ist und die anderen nicht mehr
notwendig sind, ist die Erlaubnis erloschen. Wenn man die Erläuterungen Mehmed
95
Hatiboğlus positiv betrachtet, kann man sagen, dass Imâm Ata und andere Gelehrte zu denjenigen gehörten, die die Denkweise des Korans und der Sunna kannten und sich der Traditionen bewusst waren.9
An dieser Stelle meiner Präsentation möchte ich einige Interpretationen durch türkische und
muslimische Gelehrte vorstellen, die den Status der Frau im Koran darlegen. Laut Beyza
100
Bilgin wurde die Schöpfung der Menschheit in ihrer Gesamtheit in dem Ausdruck „aus einer
einzigen Seele/einem einzigen Wesen“ beschrieben, ohne Unterscheidung zwischen Mann
und Frau. Sie schreibt, dass die Seele, die der gemeinsame Ursprung der gesamten
Menschheit ist, grammatikalisch gesehen, feminin ist, aber als Fachbegriff weder männlich
noch weiblich. In der Schöpfungsgeschichte des Korans wird die Entstehung der Menschheit
105
nicht dem Mann zugeordnet, das heißt, sie wird ohne Bezug auf ein Geschlecht beschrieben.
8
Sayyid Husain Nasr, İlahi Hitabın Tabiatı Metin Anlayışımız ve Kur’an İlimleri Üzerine, Übersetzer:
Mehmet Emin Maşalı, Kitabiyat Veröffentlichungen,
Ankara 2001, S. 134.
9
Siehe Mehmed Said Hatiboğlu, Müslüman Kültürü Üzerine, Kitabiyat Veröffentlichungen, Ankara
2004, S. 144
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- Die historische Methode bietet eine weitere Möglichkeit zum Verständnis des Korans. Unter
Material 4
zwischentöne
laufen ist.10
Im Hinblick auf die Interpretation der Sure Al-Nisa, Vers 4, die als Beweis der Überlegenheit
des Mannes angebracht wird und besagt: „Die Männer sind die Verantwortlichen über die
110
Frauen, weil Allah die einen über die anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem
Vermögen hingeben ...“, sagt Salih Akdemir, dass das Wort qawwâmûn nicht „Überlegenheit“
bedeutet, wie es viele gerne hätten. Seiner Meinung nach bedeutet es „die eigene Arbeit
verrichten oder lenken“. Die Männer übernahmen die Rolle des Oberhaupts der Familie, da
sie physisch stärker waren als die Frauen. Der Koran machte diese Verpflichtung von zwei
115
Punkten abhängig. Es ist eindeutig, dass die Verpflichtung, Oberhaupt zu sein, nicht mehr
existiert, wenn die beiden Punkte nicht mehr gegeben sind.11
Die Sure Al-Nisa, Vers 11, die hinsichtlich des Erbes besagt: „Allah verordnet euch in Bezug
auf eure Kinder: Ein Knabe hat so viel als Anteil wie zwei Mädchen ...“, interpretiert er folgendermaßen: Der Grund, warum das Mädchen nur die Hälfte erhalten soll, ist nicht die
120
Überlegenheit des Jungen, sondern ist vielmehr eine Frage von Gleichgewicht und sozialer
Gerechtigkeit. Islamischem Recht zufolge ist der Mann als Einziger für den Lebensunterhalt
der Familie, die Versorgung der Eltern und für die Mitgift für die Frau verantwortlich. Nach
islamischem Recht ist das Vermögen der Frau vom Vermögen des Mannes getrennt und
somit gehört das, was sie verdient, ihr. Trotz alledem übernimmt die Frau niemals die finan-
125
zielle Verantwortung für jemand anderen. Somit wäre ein ganzer Anteil für die Frau ungerecht dem Mann gegenüber. Aus diesem Grund wird der Tochter zur Herstellung sozialer
Gerechtigkeit nur ein halber Anteil gewährt. 12
Methodologie der Historiker
130
Ich würde an dieser Stelle gerne meinen methodischen Ansatz als Historikerin vorstellen, mit
dem wir uns dem Text des Korans nähern und ihn verstehen können.
In der Bedeutungsrangfolge ist der Koran die wichtigste historische Quelle des Islam, das
heißt, er ist die Hauptquelle für die Geschichte des Islam. Aus diesem Grund bin ich der
Meinung, dass die allgemeinen Grundsätze der Geschichtsmethodologie beim Verständnis
135
und der Interpretation des Korans als Hauptquelle der Geschichte des Islam nicht ignoriert
10
Siehe Byza Bilgin, İslam’da Kadının Rolü Türkiye’de Kadın, Sinemis Veröffentlichung, Ankara 2005,
S. 5.
11
Salih Akdemir, „Tarih Boyunca ve Kur’an-ı Kerim’de Kadın”, İslami Araştırmalar, Band 5, Nr. 4, Oktober 1991, S. 268.
12
Salih Akdemir, „Tarih Boyunca ve Kur’an-ı Kerim’de Kadın”, İslami Araştırmalar, Band 5, Nr. 4, Oktober 1991, S. 268.
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Es gibt auch kein Wort darüber, dass die Schaffung von Mann und Frau unterschiedlich ver-
Material 4
zwischentöne
jektivität, Kausalität und dem historischen Kontext.13
Nutzung von Quellen: Wie W. Montgomery Watt sagt, haben moderne Studien des Korans
140
keinen ernsthaften Zweifel an dessen Authentizität erhoben. Obwohl die Methode der Studien immer eine andere sei, seien die Studien meist frei von Zweifeln. 14 Mit dieser Aussage
betont er die Authentizität des Korans. Die Verlässlichkeit des Textes des Korans erfordert
von uns daher keine Kritik an der Quelle, denn von Anfang an wurde der Koran als Buch
aufgeschrieben und gesammelt. Um die Verse besser zu verstehen, ist es hilfreich, den Ko-
145
ran vor dem Hintergrund der Informationen zu lesen, die aus anderen Quellen der Religionsgeschichte des Islam stammen.
Chronologie: Die Abfolge der Ereignisse und Daten ist bei der Bestimmung des Verhältnisses der Ereignisse untereinander von Bedeutung, da die Chronologie als wichtiger Schlüssel
150
für die Bestimmung von Ursache und Wirkung in der Interpretation gilt. Die Ereignisse in der
Geschichte können im Zusammenhang mit der Kausalität erläutert werden. Die Ereignisse
haben einen Hintergrund und es ist unmöglich, ein Ereignis zu analysieren, ohne gleichzeitig
den Hintergrund zu beleuchten. Dies gelingt allerdings nur, indem man der Chronologie folgt.
Obwohl es nicht einfach ist, den Koran zu datieren, ist eine Chronologie im Allgemeinen an-
155
hand der Quellen der Geschichte des Islam möglich.
Objektivität: Es ist bekannt, dass Objektivität das wichtigste Kriterium für wissenschaftliche
Glaubwürdigkeit ist. Das Hauptprinzip der Objektivität besteht darin, zu versuchen, den Text
vorurteilsfrei zu lesen. Der Versuch, die Bedeutung des Textes zu verstehen, ohne dabei
160
nach Bestätigung der eigenen vorgefassten Meinung zu suchen, ist das Sine-quanon der
Objektivität.
Kausalität: In dem historischen Bereich der Existenz, in dem die Menschheit der Untersuchungsgegenstand ist, beeinflusst und bestimmt jedes vorhergehende Ereignis das folgende.
165
Somit erfordert die Vielseitigkeit der Kausalität, dass jeder Faktor eines Ereignisses einzeln
13
Zu den Prinzipien der Methodologie der Geschichte, siehe Nahide Bozkurt, „Terör ve Şiddet
Bağlamında Kullanılan Rivayetlerin Yorumlanması Üzerine …”, Dini Araştırmalar, Band 7, Nr. 20, Ankara 2004, S. 131–139.
14
W. Montgomery Watt, Kur’an’a Giriş, Übersetzer Süleyman Kalkan, Ankara Okulu Veröffentlichungen, Ankara 2000, S. 65.
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werden sollten. Diese Grundsätze bestehen aus der Nutzung von Quellen, Chronologie, Ob-
Material 4
zwischentöne
Allah auch die Gründe für seine Urteile. Die Beobachtung der Ereignisse im Kontext der
Kausalität trägt zu deren besserem Verständnis bei.
170
Historischer Kontext: Um die Verse des Korans zu verstehen, muss man die Arabische
Halbinsel kennen, den Kontext, in dem der Koran offenbart wurde. Man muss die geographischen, kulturellen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen und religiösen Aspekte kennen. Ich
bin der Meinung, dass der historische Kontext bekannt sein muss, um den Koran besser zu
verstehen. Er wurde offenbart, um verstanden zu werden, und die Fakten und die Kultur
175
spielten offensichtlich eine Rolle bei der Entstehung des göttlichen Textes.
Wie kann man die folgenden Verse sonst verstehen, wenn man den historischen Kontext der
Zeit, in der der Koran offenbart wurde, nicht kennt?
• „Die beiden Hände von Abu Lahab werden vergehen, und er wird vergehen ... Bald wird er
180
in ein flammendes Feuer eingehen; und sein Weib (ebenfalls) ...“ Al-Lahab, 111/1–4
• „Allah hat das Wort jener gehört, die bei dir wegen ihres Mannes vorstellig wurde und sich
vor Allah beklagte ...“ Mudschadilah, 58/1
• „Das Verschieben (eines heiligen Monats) ist nur eine Mehrung des Unglaubens ... Sie erlauben es im einen Jahr und verbieten es in einem anderen Jahr, damit sie in der Anzahl
185
(der Monate), die Allah heilig gemacht hat, übereinstimmen ...“ Tauba, 9/37
• „Ihr aber, habt ihr Lat und Uzza betrachtet und Manat, die dritte (Göttin), die eine andere
ist?“ Nadschm, 53/19–20.
• „Und Allah war euch schon bei Badr beigestanden, als ihr schwach wart …” Baqara/Imran,
3/123
190
• „Wahrlich, Allah half euch schon auf so manchem Schlachtfeld, und am Tage von Hünan
...“ Tauba, 9/25
Wenn man den Koran vor dem Hintergrund dieser Grundsätze liest und die Werte dem modernen Menschen beschreibt, sieht man, dass der Koran den gläubigen Mann und die gläu195
bige Frau Seite an Seite stellt und dass die Frau als Mensch gewürdigt wird. Man sieht nicht
die Problematik, die in der Historizität des Korans bislang bestand.
Der Zweck dieses Ansatzes liegt darin, die geschichtlichen Zusammenhänge korrekt zu verstehen und vor dem Hintergrund der Lösungen, die die Geschichte vorgibt, Lösungen für die
heutigen Probleme zu finden. Darüber hinaus dient dieser Ansatz dazu, der Vernunft und der
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und nacheinander untersucht wird. Bei den Meinungsäußerungen Allahs im Koran betont
Material 4
Wissenschaft Orientierungshilfen zu geben.
Quelle:
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.). 2009. Amina Wadud, Irshad Manji. Frauen im Islam: feministische Orientierungen und Strategien für das 21. Jahrhundert. Dokumentation. Politische
Akademie, Interkultureller Dialog. Islam und Gesellschaft Nr. 8. Berlin: Friedrich-EbertStiftung.
Arbeitsauftrag
1. Skizziere kurz die Biographie und wichtige Wegmarken der jeweiligen Autorin. Worauf
basiert ihr Engagement?
2. Verorte ihre Sichtweise zum Feminismus.
3. Erläutere ihre Argumentationsmethode.
4. Benenne und beschreibe die ihrer Argumentation zugrundeliegende Theorie/den Ansatz.
5. Finde Beispiele für ihre Koraninterpretation. Welche Reformen sind ihr zufolge erforderlich?
6. Nimm zu diesem Ansatz Stellung.
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200
zwischentöne
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Material 5
PD Rabeya Müller
Hermeneutik ist das wissenschaftliche Verfahren zur Auslegung und Deutung u.a. von Texten. Die Anwendung hermeneutischer Methoden an einem Text, wie dem des Korans, erscheint vielen als unangebracht. Die einen betrachten einen solchen Text als rein historisch
und damit nicht mehr relevant. Sie wollen ihn beiseitelegen, womit eine Interpretation über5
flüssig erscheint, die anderen gehen davon aus, dass seine Auslegung bereits abgeschlossen ist und es nur noch darauf ankommt, die alten Auslegungsfassungen zu erlernen und
nachzuvollziehen, denn das Tor des iğtihad gilt seit vielen Jahrhunderten als geschlossen
und es gibt viele, die den Schlüssel vergraben sehen wollen, während andere ihn ständig
suchen, um dieses Tor wieder zu öffnen.
10
Die klassische Herangehensweise an den Text erfolgt im Allgemeinen über die wesentliche
linguistische Bedeutung (al-haqiqa al-luġawiyya), die traditionelle Bedeutung (al-haqiqa alurfi yya) und die Bedeutung gemäß der Scharia (al-haqiqa al-šariyya). Es ist möglich, den
Texten durch die Standardisierung nach der Zeichensetzung (nuţq), der Setzung der diakritischen Zeichen (šakl) und der Lesung (qira’a) nachzugehen. Eine Standardisierung des
15
Schreibens (rasm) wurde mit starker Betonung auf nuţq und šakl etabliert. Der dynamische
Charakter bleibt nur erhalten, wenn eine fortwährende Interpretation für eine textlich zwar
abgeschlossene, jedoch in ihrer Anwendung fortlaufende Offenbarung möglich ist. Allein die
Bemühungen darum stellen in der Praxis weit mehr als einen iğtihad dar.
Ein kleines Beispiel ist der Vers des Korans, mit dem die islamische Schöpfungsgeschichte
20
beginnt.
[…]
Vers 4:1 lautet in der herkömmlichen Übersetzung:
„Ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, Der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen;
und aus ihm erschuf Er seine Gattin, und aus den beiden ließ Er viele Männer und Frauen
25
entstehen ... “
Eine geschlechtergerechte Möglichkeit der Übersetzung hingegen wäre zum Beispiel:
„Ihr Menschen, fürchtet euren Rabb, Der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen;
und aus diesem erschuf Er das entsprechende Partnerwesen, und aus den beiden ließ Er
30
viele Männer und Frauen entstehen ...“
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Hermeneutik in der Praxis oder vom Iğtihad zum ğihad?
Material 5
zwischentöne
dem allgemein verbreiteten traditionellen Denken, die Frau sei aus der Rippe oder Seite des
Mannes geschaffen, zu finden ist, sondern dass der Koran davon spricht, dassAllah/Gott den
35
Menschen aus einer einzigen Substanz geschaffen hat.
Diese Gleichheit auf der Ebene der Geschöpflichkeit gilt nicht nur für die Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch im Hinblick auf alle Menschen als Geschöpfe Gottes, ob sie nun
einer Religion angehören oder nicht.
Die Problematik ergibt sich zum Beispiel aus der einfachen Frage der Zugehörigkeit des
40
Pronomens, in diesem Fall des Personalpronomens ha ‫ ھآ‬. Die Mehrheit der Schriftgelehrten
versteht das Pronomen so, dass es sich auf das Wort nafsun wahidatun bezieht, Muslim alIsfahani ist jedoch der Meinung, dass es sich ausschließlich auf nafs ohne wahida bezieht.
Die erste Interpretation impliziert in der patriarchalischen Lesart, dass die Frau nach dem
Mann geschaffen wurde, die letztere allerdings substantielle Gleichheit zwischen beiden, da
45
sie vom selben Ursprung sind. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt dieses Pronomen auch im
Hinblick auf das Wort zauğ. Es wird vielfach mit „Gattin“ übersetzt, kann aber ebenso „Gatte“
oder „Partner“ bedeuten. Wenn es den Anhang ha, also eine weibliche Endung, hat, müsste
es mit „ihre Gattin“ übersetzt werden. Die Übersetzung mit „Partnerwesen“ spiegelt eine Geschlechtsneutralität wider, die sich auch aus der Geschaffenheit aus einer einzigen Substanz
50
ergibt.
Wie wesentlich eine fortwährende Interpretation für eine fortlaufende Offenbarung ist, wenn
wir sie denn ernst genommen wissen wollen, zeigt u. a. auch der Fall, der sich in dieser Woche in Frankfurt am Main abgespielt hat: Eine deutsche Richterin weigert sich, eine Verfügung bezüglich einer Scheidung auszusprechen, weil sie der Meinung ist, dass die Ehefrau
55
hätte wissen müssen, dass ihr marokkanischer Ehemann sie, unter Berufung auf den Koran,
habe schlagen dürfen. Mal abgesehen von dieser rechtlich sehr bedenklichen Begründung:
Hätte die Richterin sich zum Beispiel das Buch über die Auslegung des Verses 4:34, und um
diesen handelt es sich bei der angeblichen Legitimation des Schlagens von Frauen, durchgelesen, hätte sie feststellen können, dass es nicht nur eine Sichtweise auf einen solchen
60
Vers gibt. Das Buch, das unser Frauenzentrum 2005 heraus gegeben hat, beschäftigt sich
am Beispiel des Verses 4:34 auch u. a. mit einer geschlechtergerechten Sichtweise auf den
Koran.
Bei einer genaueren Betrachtungsweise ist in der Tat das Menschenbild und somit auch das
Verhältnis Gott – Mensch von entscheidender Bedeutung. Über Gott, arabisch Allah (= „der
65
Gott“ – auch die arabischen Christen und Christinnen sagen Allah), wissen wir islamisch gesehen nur das, was er von sich selbst im Koran sagt. Dabei sind seine Nähe zum Menschen
und seine Barmherzigkeit dem Menschen gegenüber von entscheidender Bedeutung.
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Bei einem kurzen Blick auf den arabischen Text ist leicht feststellbar, dass hier nichts von
Material 5
zwischentöne
marginalisierend zu übertragen. Für eine geschlechtergerechte Sichtweise lassen sich fol70
gende fünf Kriterien benennen:
1. Hermeneutik des Verdachts
Die Fortsetzung der patriarchalischen Tradition durch androzentrische Interpretation und
Instrumentalisierung mehrt gesamtgesellschaftlich die subtile Vorstellung der Vorherrschaft
75
des Männlichen an sich und lässt eine Hermeneutik des Verdachts wiederum in Verdacht
geraten. Deshalb ist es notwendig, eine neue Beziehung zum Wort Gottes zu erarbeiten und
eine Hierarchisierung der Quellen (Koran und Sunna) anzudenken.
2. Hermeneutik des Fortdenkens im Guten
80
Die geschlechtergerechte Interpretation bewegt sich in einem Spannungsbogen zwischen
traditionellen Lesarten, kontextuellen Perspektiven und der Eigendynamik des Korans. Aufgrund der Wirkungsgeschichte und Macht historischer Überlieferungen existiert im globalen
Gedächtnis der Musliminnen und Muslime eine Kontinuität mit der Vergangenheit. Dadurch
bekommen gegenwärtige Ereignisse und Veränderungen eine Ausgangsbasis in der Ver-
85
gangenheit, auch um die Traditionskette zu erhalten. Geschichte und damit Veränderungsprozesse verschwinden. Hierbei wird oft verkannt, dass der Koran durchaus dreidimensional
in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft relevant ist und es möglich ist, sich einer traditionellen Methodik zu bedienen, um temporäres Umdenken bzw. Weiterdenken koranischen
Gedankenguts auf der Basis des ruh-at-tašri („Geist des Wortes“) umzusetzen.
90
3. Hermeneutik des Vertrauens und der Einforderung
Sie ist eine hermeneutische Methode zwischen Geschlossenheit und Kontinuität koranischer
Traditionen. Es gilt, Hermeneutik zu verstehen als das Ernstnehmen der Möglichkeit, dass
der Koran etwas anderes zu sagen hat, als es die Tradition bzw. die TraditionalistInnen bis95
her analysiert haben. Das bedeutet, zunächst die Einsicht zuzulassen, dass es eine Begrenzung und Endlichkeit des Gültigkeitsanspruchs aller menschlichen Interpretationen gibt. Es
bedeutet weiter, die Bereitschaft zur Akzeptanz und zur Auseinandersetzung mit der Bedeutungsvielfalt und der daraus resultierenden kritischen Überprüfung des eigenen Vorverständnisses anzuer kennen.
100
Hierbei ist vor allem das Ernstnehmen der allgemeingültigen Annahme der Gerechtigkeit des
Schöpfers gegenüber seiner Schöpfung in den Blick zu nehmen. Die Erkenntnismöglichkeit,
dass es stets das Andere ist, das uns selbst unbekannt ist, ergibt sich daraus, dass es in der
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Es ist also möglich, ein und denselben Vers geschlechtergerecht oder Frauen
zwischentöne
Material 5
Interpretieren einzufordern ist. Dies gilt allerdings unter der Bedingung, dass auch die eigene
105
Interpretation als gleichwertig akzeptiert wird.
4. Hermeneutik der werkimmanenten Geschlechtergerechtigkeit
Ausgehend von dem Vertrauen in die Schöpferkraft in Bezug auf Gerechtigkeit, einhergehend mit der Barmherzigkeit, gilt es, die frühislamische Methodik des Auslegens des Korans
110
durch sich selbst zu verfeinern und eine Sensibilisierung speziell für die als „Frauenverse“
bezeichneten Textpassagen in dem Sinne zu entwickeln, dass von einer geschlechtergerechten Absicht der Offenbarung ausgegangen wird.
5. Hermeneutik der Jurisprudenz
115
Die im islamischen Rechtsdenken entwickelten Instrumentarien können als Grundlage hermeneutischen Denkens betrachtet werden. Es ist also notwendig, die geschlechtergerechten
Einsatzmöglichkeiten dieser Instrumentarien zu dokumentieren und zur Diskussion zu stellen.
Um diese Kriterien umzusetzen, bedarf sowohl in der muslimischen als auch in der nichtmus-
120
limischen Welt einer ungeheuren Anstrengung. Grundsätzlich gilt, dass geschlechtergerechte Hermeneutik sich für patriarchalische Kreise völlig anders darstellt als für nichtpatriarchalische. Wenn Menschenrechte kein Geschlecht haben, hat auch eigenständiges Denken
keins. Die Auseinandersetzung ist viel tiefgreifender und muslimische Frauen müssen sie
gleichzeitig in mehrere Richtungen führen:
125
Geschlechtergerechte Hermeneutik wird in vielen Gruppierungen abgelehnt, weil …
weil
weil
Muslimische
sie
als
westliche
Gruppen
Denkstruktur gilt
weil
geschlechtergerecht = Deutungshoheit
feministisch gesehen Männern zugestanden
wird
wird
Nichtmuslimische
sie in Zusammenhang
diese
Gruppen
mit
nicht wahrgenommen Zusammenhang
Religiosität
suspekt gilt
nur
als
Bewegungen sie mit Islamismus in
werden sollen
ge-
bracht und damit geschwächt werden soll
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Vielfalt der Schöpfung vorgesehen ist und es als Pendant zum eigenen Denken und eigenen
Material 5
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130
angefangen von dem Versuch, Frauen von der Schrift zu trennen, bis hin zu einem gönnerhaften Nicken und dem gleichzeitigen Versuch, Frauen von der Mitsprache und Mitentscheidung fernzuhalten
• in der nichtmuslimischen Gesellschaft
die es oft nicht verkraftet, dass muslimische Frauen in ihrem Selbstverständnis eine vielfach
135
andere Sichtweise an den Tag legen, als ihnen zugestanden wird.
Muslimische Frauen haben begriffen oder beginnen zu verstehen, dass ihnen die Deutungshoheit über das Buch ebenso zusteht wie den Männern: Im Klartext es ist ein iğtihad, der
einen ğihad nach innen notwendig werden lässt.
140
Die Tatsache, dass ein muğtahid aus dem Koran allgemeine Rechtsverordnungen ableitet
(die für eine Gesamtgesellschaft relevant sein können), schmälert keineswegs die Tatsache,
dass Musliminnen und Muslime jeweils in ihrem privaten Bereich mittels eigenständigen
Denkens Entscheidungen für die eigene Person treffen können. Ebenso müssen sowohl die
internationale Frauenbewegung als auch die nichtmuslimische Gesellschaft sich von dem
145
alleinigen Anspruch, geschlechtergerechtes Denken zu praktizieren, verabschieden, ansonsten lässt sich die Vorstellung, die Menschenrechte würden für alle gelten, ebenfalls nicht
aufrechterhalten.
Vielmehr sind diese Gruppen durch ihren Mehrheitsstatus noch mehr verpflichtet, diese Bestrebungen zu fördern und den Druck, unter den beide Seiten muslimische Frauen setzen,
150
abzubauen. Nur wenn die nichtmuslimische Seite diesen Druck vermindert, kann sie dies
von der muslimischen Minderheit ebenfalls einfordern, ansonsten wird sie unglaubwürdig.
Ebenso wird dann die muslimische Gemeinschaft, wenn sie nicht nachzieht, unglaubwürdig.
Für beide Seiten gilt: keine Kritik ohne Selbstkritik.
Es ist notwendig, dass Frauen die ihnen zustehenden Rechte zurückerhalten, Rechte, von
155
denen auf muslimischer Seite als unbestritten gilt, dass der Koran sie den Frauen gewährt,
die Umsetzung allerdings oft mehr als zu wünschen übrig lässt, Rechte, die auf nichtmuslimischer Seite von muslimischen Gremien immer wieder eingefordert werden, wobei oft vergessen wird, dass dabei das Selbstbestimmungsrecht der muslimischen Frauen eben auch
ein solches Recht darstellt. Muslimische Frauen müssen die Möglichkeit bekommen, ihren
160
Rechtsradius selbst zu finden und umzusetzen, wobei es auch zu bedenken gilt:
Wer wirklich etwas für muslimische Frauen und ihre Sichtweise tun will, lässt deren eigene
Selbstkonzepte und Interpretationen zu. Dann kann es eine starke Entwicklung im islamischtheologischen Denken und bei den muslimischen Frauen geben. Beides geht miteinander
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• innerislamisch
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vertrauen hat.
Quelle:
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.). 2008. Asma Barlas, Nahide Bozkurt, Rabeya Müller: Der
Koran neu gelesen: feministische Interpretationen. Dokumentation. Politische Akademie,
Interkultureller Dialog. Islam und Gesellschaft Nr. 6. Berlin, Bonn: Friedrich Ebert Stiftung.
Arbeitsauftrag
1. Skizziere kurz die Biographie und wichtige Wegmarken der jeweiligen Autorin. Worauf
basiert ihr Engagement?
2. Verorte ihre Sichtweise zum Feminismus.
3. Erläutere ihre Argumentationsmethode.
4. Benenne und beschreibe die ihrer Argumentation zugrundeliegende Theorie/den Ansatz.
5. Finde Beispiele für ihre Koraninterpretation. Welche Reformen sind ihr zufolge erforderlich?
6. Nimm zu diesem Ansatz Stellung.
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einher und vor beidem muss sich niemand fürchten, der demokratisch denkt und/ oder Gott-
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Material 6
Sicht
Prof. Dr. Amina Wadud
Die Arbeit, die mich seit mittlerweile drei Jahrzehnten beschäftigt, beruht auf zwei Grundsätzen, die mir beide gleich wichtig sind. Der eine ist mein Glaube an Allah, und der andere ist
der Glaube, dass Frauen und Männer vor Allah gleich sind.
Am Anfang des Koran steht ein einzelner Imperativ: „Iqra!“ – „Lies!“ oder „Rezitiere!“ Mit die5
ser Aussage begann eine der größten Transformationen der Geschichte der Menschheit: Sie
ist Ursprung und Inbegriff des Islam. Der Islam ist als historische Bewegung eine Bewegung
in der Zeit. Im Laufe seiner Entwicklung über die Jahrhunderte haben menschliche Angst
und Schwäche viele der Kernelemente der ursprünglichen Botschaft verzerrt. Eine dieser
Schwächen ist das Patriarchat. Die patriarchalischen Traditionen haben schon vor dem Ende
10
des Kolonialismus vielen wohlmeinenden muslimischen Frauen und Männern die Luft zum
Atmen genommen. Es waren die Hände der weißen Männer, die sich um den Hals der muslimischen Gemeinden weltweit gelegt hatten. Als ihre Macht schwand, wurden auch eine
Stimme, ein Lied und eine Botschaft befreit, die von der Hälfte der „Umma“, der muslimischen Gemeinschaft, kam: den Frauen. Den muslimischen Frauen wurde eine Stimme ge-
15
geben.
Zwei mit einander verbundene Quellen verleihen dieser Stimme Authentizität: der Koran
selbst mit Kernaussage und Inhalt sowie die menschliche Erfahrung, die einer Straße gleicht,
die sich endlos vor uns erstreckt.
Warum sind die Stimmen und Erfahrungen muslimischer Frauen im Islam, in der islamischen
20
Reform und im globalen Pluralismus so wichtig? Hier geht es nicht nur um die Beachtung
von Menschen- und Frauenrechten, sondern auch darum, was unsere Menschlichkeit ausmacht und wie eine beide Geschlechter einbeziehende Hermeneutik die weibliche Stimme
innerhalb des Korans enthüllt und eine weibliche Interpretation des Korans authentisch
sichtbar macht – eine Stimme, die in den letzten 1.400 Jahren fast völlig abwesend war.
25
Jede Beschäftigung mit dem Islam lenkt unsere Aufmerksamkeit zentral auf den Koran als
dem Wort Allahs, wie es sich seinem Propheten Mohammed offenbart hat. Seine normative
Praxis – die Sunna – baut auf dem Koran auf und bilden mit ihm die beiden primären Quellen
des islamischen Denkens und Handelns. Aus diesem Grund möchte ich mit diesen Quellen
30
beginnen, insbesondere mit dem Koran. Eingangs möchte ich einige wichtige Zitate vorstellen und sie kommentieren, um zu verdeutlichen, warum der Koran als Quelle so unabdingbar
für eine Reformierung muslimischer Gesetze und öffentlicher Politiken ist. Bedenkenswert ist
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Warum es im Islam auf Frauen ankommt – Koran und Tradition aus feministischer
Material 6
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Recht (Scharia) und die Entwicklung der islamischen Rechtssprechung (Fiqh) nicht verste35
hen kann. Muslimische Rechtsgelehrte haben das Fiqh als umfassendes Studiengebiet entwickelt, um die muslimischen Gesellschaften gerechter und gleicher zu machen. Angesichts
unserer neuen Erfahrungen und gegenwärtigen Realitäten sollten wir uns auch weiterhin für
die Förderung gerechter und gleichberechtigter Gesellschaften einsetzen. Dazu müssen
auch neue Ideen zu Gerechtigkeit und Werten einbezogen werden, einschließlich der wert-
40
vollen Rolle, die die Frauen als Individuen, Familienmitglieder, als Aktive in den muslimischen Zivilgesellschaften und globale Bürgerinnen spielen. Ich gehe von der Prämisse und
dem Glauben aus, dass der Islam eine gerechte Lebensweise ist. Meine Kommentare werden Theorie und Praxis verbinden und einen Beitrag zum Verständnis der Natur des Göttlichen im Islam leisten.
45
Nach dem koranischen Verständnis von Offenbarung gibt es drei wesentliche Phasen in der
menschlichen Entwicklung: die Schöpfung, das Jenseits („Al-Akhira“) und das gesamte Leben zwischen diesen beiden Polen. Wenn wir über Reformen diskutieren, geht es uns natürlich hauptsächlich um das Dazwischen. Dennoch ist es wichtig, die beiden anderen Phasen
in die Entwicklung des Lebensrahmens mit einzubeziehen. Das ist schon deshalb notwendig,
50
weil der Koran die Verbindungen zwischen jenen Phasen betont. Das bedeutet, dass alles,
was von den Menschen im Diesseits erwartet wird, in einer Beziehung zu dem steht, was wir
vom Wesen Allahs und seiner Schöpfung annehmen und was wir als ultimatives Ergebnis
unseres diesseitigen Handelns im „Al-Akhira“ erwarten.
Der Koran sagt: „O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen
55
erschuf, aus ihm seine Gattin erschuf und aus ihnen beiden viele Männer und Frauen entstehen und sich ausbreiten ließ. (Sure 4,1).
[…]
All unsere Handlungen, beispielsweise in Fragen von Atomwaffen oder Arsenalen, unseres
Verständnisses von Familie, des menschlichen Lebens oder menschlicher Leistung, betref-
60
fen direkt andere Menschen auf der Erde – Männer wie Frauen, Muslime wie Nicht-Muslime.
Die Idee des Pluralismus ist bereits Teil der Weltsicht des Korans. Die Möglichkeit, an muslimischen Gesellschaften teilzuhaben und diese Gesellschaften sowie ihre Gesetze und Kulturen in einer immer komplexer werdenden Welt zu verändern, ist in dem Text daher bereits
enthalten: „O ihr Menschen, Wir haben euch von einem männlichen und einem weiblichen
65
Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, damit ihr
einander kennenlernt. Der Angesehenste von euch bei Gott, das ist Gottesfürchtigste von
euch.“ (Sure 49,13). Wie aber schafft man es nun in einer so vernetzten Welt, charakterliche
Exzellenz anzustreben, anstatt zum Geringsten der Geringen zu werden? „Taqwa“ – Gottesgefördert durch
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dabei, dass man ohne diese beiden Quellen, den Koran und die Sunna, das islamische
Material 6
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70
beschrieben ist. Der oben zitierte Vers nennt explizit sowohl das Männliche als auch das
Weibliche als Teil der Schöpfungsordnung. So hat Allah uns geschaffen. Und aus allem haben wir das Paar gemacht, das Männliche und das Weibliche. Daher müssen auch beide bei
der Formulierung von Gesetzen und Politiken berücksichtigt werden und Vorteile von der
Rechtssprechung unter diesen Gesetzen und Politiken haben. Zu guter Letzt wird der Begriff
75
des Pluralismus wiederholt, diesmal in der Form der (Verbände) Nationen und Stämme. Diese Nationen und Stämme werden angehalten, sich gegenseitig kennen zu lernen. Auf die
Gegenseitigkeit kommt es hier an – es gibt eine Reziprozität zwischen dem Selbst und dem
Anderen.
Das ultimative Kriterium für die Beurteilung menschlichen Handelns ist die „Taqwa“. Taqwa
80
ist eine Art moralische Integrität bei erwachsenen Menschen. Als erwachsene und verantwortungsbewusste Menschen müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass wir zwischen
gut und böse, gerecht und unterdrückerisch unterscheiden können. Dies ist integraler Bestandteil des freien menschlichen Willens. Diesen freien Willen können wir so ausüben, wie
wir wollen. Obwohl wir jedoch diese Freiheit haben, steht das Urteil über unsere Entschei-
85
dungen auf der Grundlage dieses freien Willens nicht uns zu, sondern Allah. Allah ist der
höchste Richter. Allah sieht und weiß alles, sei es im öffentlichen oder privaten Raum wie
beispielsweise zu Hause. Für diese beiden Sphären der menschlichen Interaktion soll es
also keine unterschiedlichen Verhaltensmuster geben. Gutes und gerechtes Verhalten im
öffentlichen Raum ist daher nicht wichtiger oder weniger wichtig als gutes und gerechtes
90
Verhalten im eigenen Zuhause. Beide Räume verlangen von uns moralische Integrität oder
„Taqwa“.
An dieser Stelle sei eine Anmerkung zum Koran und die Erschaffung der Menschheit gestattet. Wenn der Koran sagt: „Ich werde auf der Erde schaffen“, dann wissen wir, dass die
Menschheit ihr Schicksal hier auf der Erde auszuleben hat. Unser Schicksal erfüllen wir
95
durch „Hilafa“. Hilafa ist die moralische Instanz. Menschen wurden erschaffen, um moralische Wesen zu sein. Es gibt unter diesem göttlichen Mandat keinen Unterschied zwischen
männlich und weiblich. Wir alle sind verantwortlich dafür, was wir mit unserem Leben machen. Das ist umso bedeutender, da wir Allahs Bevollmächtigte sind und uns obliegt, Allahs
Willen auf Erden zu erfüllen. Die Entscheidung, Gutes zu tun und die Gerechtigkeit zu för-
100
dern, ist deswegen Teil unseres Hilafas. Am besten erreicht man dies durch „Taqwa“ oder
das Bewusstsein, dass wir zwar frei sind in der Entscheidung, wie wir uns verhalten, aber
trotzdem dazu neigen werden, Allahs Willen zu erfüllen, da das die beste Wahl ist. Es ist
diese Wahl, die es dem Menschen ermöglicht, sein Schicksal als moralischer Akteur zu erfüllen.
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furcht – ist im Koran der Schlüsselbegriff für moralische Integrität, wie sie in diesem Vers
Material 6
Zum Jenseits zitiere ich hier nur diese beiden Verse, da der Koran sehr konsequent sowohl
das Männliche als auch das Weibliche als moralisch verantwortliche Akteure anführt. Und
beiden, Mann und Frau, wird auf der Grundlage ihres Glaubens oder ihrer Taten eine Belohnung oder eine Strafe in Aussicht gestellt – seien das Taten, die nur einen selbst betreffen,
Taten in der Familie, in der Gemeinde oder in der gesamten Weltgemeinschaft. Was zählt,
110
sind die Absichten des Akteurs. Ein Beispiel: „Diejenigen, die etwas von den guten Werken
tun, ob Mann oder Weib, und dabei gläubig sind, werden ins Paradies einziehen… (Sure
4,124; 40,40) „Und keine lasttragende Seele trägt die Last einer anderen“ (Sure 6,164;
17,15; 35,18) Es wird der Tag kommen wird, an dem keine menschliche Seele auch nur im
Mindesten einer anderen Seele helfen kann oder für sie bitten kann, an dem niemand sich
115
selbst oder einen anderen freikaufen kann und niemandem geholfen werden soll. In diesen
Versen betont der Koran erneut die eindeutige Vorstellung, dass moralische Verantwortung
und die Aussicht auf Strafe und Belohnung sowohl für Männer als auch für Frauen gilt, da
keine menschliche Seele durch die Taten einer anderen Seele Vor- oder Nachteile haben
kann. Das göttliche Urteil gründet sich allein auf den Glauben des Einzelnen und die Hand-
120
lungen, die sich daraus in der Beziehung zu den Mitmenschen und der gesamten Menschheit ergeben.
[…] Das Patriarchat ist älter als die Geschichte des Islams und die Frau des Propheten Mohammed, und so behandelte der Islam wie alle anderen Religionen die bestehenden patriarchalischen Normen innerhalb des Kontexts, in dem der Koran offenbart wurde – nämlich
125
dem des Arabien des 7. Jahrhunderts. Obwohl es scheint, dass diese patriarchalischen
Normen als gegeben hingenommen wurden, bietet der Koran dem Leser eine Bewegung
und eine Richtung, in die der Gläubige als Mensch und Mitglied einer gerechten gesellschaftlichen Ordnung jenseits des Patriarchats streben kann. Die Fragen, die sich stellen, sind
diese: Wie weit haben sich die muslimischen Denker und die Mitglieder der muslimischen
130
Gesellschaften in geschichtlicher, intellektueller, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher
Sicht nach der Offenbarung gegenüber dem Propheten entwickelt? Haben wir es beispielsweise geschafft, Geschlechtergerechtigkeit in dem Maße zu erreichen wie der Koran es uns
aufzeigt? Die Antworten auf diese und andere Fragen können nur innerhalb jedes sich entwickelnden Kontexts gegeben werden. Es reicht nicht aus zu sagen, dass mit dem Ende der
135
Offenbarung die gesamte Absicht des Korans vollständig dargelegt und bereit zur Umsetzung sei, ohne dass die zukünftigen Generationen noch etwas zu lernen oder zu tun hätten –
außer das zu wiederholen, was damals an jenem Ort vor über 1400 getan wurde.
Heute sehen wir uns einem doppelten Mandat gegenüber. Innerhalb unseres Glaubens haben wir das Problem, dass Frauen unter muslimischen Gesetzen, in muslimischen Kulturen,
140
Ländern und Gemeinden stets einen unterlegenen Status innehaben. Wir sehen uns ferner
einer Herausforderung gegenüber, die von außen an die muslimischen Kulturen herangetragefördert durch
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Universalismus mitzuarbeiten und den Anforderungen an Demokratie und Menschenrechte
gerecht zu werden. Wir haben diese Fähigkeit aber sehr wohl, und wir begegnen den Fra145
gen, wie wir das Patriarchat überwinden und zu egalitäreren Konzepten und Praktiken in den
muslimischen Zivilgesellschaften kommen können, innerhalb eines islamischen Rahmens,
sei es in Nationen, in denen Muslime die Mehrheit stellen oder wo Muslime in der Minderheit
sind, in der Diaspora Situation Nordamerikas und Europas. Das Patriarchat ist rühmt sich,
eine Vormachtstellung im privaten und öffentlichen Raum zu genießen. Beim Patriarchat
150
geht es jedoch nicht nur um Männer. Es zielt darauf ab, eine bestimmte Art des Seins und
des Wissens zu privilegieren. Diese Art des Wissens entstammt festgelegten Auffassungen
über die Funktionsweise des öffentlichen Raums. Und diesem Raum kommt größere Bedeutung zu als dem privaten. Nach meinen oben angestellten Überlegungen gibt es jedoch keinen Unterschied in den Anforderungen an die Taqwa des Gläubigen, ob er sich im öffentli-
155
chen oder privaten Raum befindet. Der öffentliche Raum ist seit jeher hauptsächlich so gestaltet worden, wie es die Männer durch ihr Verhalten als Norm festgelegt haben. Das schafft
für Frauen einen unerreichbaren Standard, denn sie müssen in diesem Raum entweder genau so agieren wie die Männer, um als gleich anerkannt zu sein, oder sich aber auf den privaten Raum beschränken, in dem sie dann einer niedrigeren Bewertungsnorm unterliegen.
160
So werden Frauen von der Teilhabe in öffentlichen Räumen ausgeschlossen, genau so wie
Männer von der gleichberechtigten Teilhabe im privaten Raum ausgeschlossen werden. Die
Antwort auf das Patriarchat besteht nicht in dem Bestreben der Frauen nach Herrschaft über
die Männer, und auch nicht darin, dass Frauen nun genau das tun müssen, was Männer
schon immer getan haben. Stattdessen bewegen wir uns von der Unterdrückung und Privile-
165
gierung hin zur Zusammenarbeit und Partnerschaft. Im Begriff der Gegenseitigkeit finden wir
die beste Antwort auf das Patriarchat. Hierzu gehören zwei Komponenten: die jeweilige
Kenntnis des anderen und die gegenseitige Unterstützung füreinander als Individuen, in der
Familie und in der gesamten Gesellschaft.
[…] Das Patriarchat ist eine historische Weltsicht, die von der Idee ausgeht, dass alles, was
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Männer tun, besser ist als alles, was Frauen tun – egal, was es ist. Es bedeutet auch, dass
Männer in bestimmten Angelegenheiten immer besser sind als Frauen – und umgekehrt.
Zwischen dem, was Männer besser können und dem, was Frauen besser können, besteht
jedoch keinerlei Beziehung – es sind getrennte Welten. Daher führt jede Idee, nach der
Männer überlegen seien, zu Handlungen, die Frauen zu untergeordneten Akteurinnen ma-
175
chen. Männer und Frauen sind so sozialisiert, dass sie diese falsche Vorstellung männlicher
Überlegenheit akzeptieren und ihre Gleichheit gering schätzen, anstatt sie als wesentliche
Voraussetzung für ihre Aussichten auf das Jenseits, Al- Akhira, und das Leben davor zu betrachten.
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gen wird. Es wird unterstellt, dass der Islam nicht fähig sei, am globalen Pluralismus und
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Männer – für das, was sie tun und die Art, wie sie es tun. Das andere Maß ist ein untergeordnetes. Es gilt für die Frauen und das, was sie tun und wie sie es tun. Diese Einstellungen
und Strukturen der Ungleichheit hinter uns zu lassen, verlangt uns Reformen ab, die die gleiche Bedeutung der Frauen, ihrer Denk- und Lebensweisen und ihrer gleichen Verantwortung
reflektieren. Wir brauchen ein System der sozialen Gerechtigkeit, dass Beziehungen auf Ge-
185
genseitigkeit und Gleichheit zwischen Männern und Frauen aufbaut. Dieses System würde
sowohl Männer als auch Frauen als kompetente Akteure im privaten und im öffentlichen
Raum behandeln. Ein solches System würde Frauen wie Männer dazu ermutigen, das, was
sie tun, gut zu tun. Es würde jedoch weder Frauen noch Männer davon abhalten, das Gute in
der einen oder in der anderen Sphäre zu tun. Diese Gegenseitigkeit ist von wesentlicher Be-
190
deutung, wenn wir die Werte von Menschen bewerten wollen, die glauben und Gutes tun,
ohne sie in ihren Taten je nach Geschlecht einzuschränken oder das Geschlecht des Handelnden höher zu bewerten als die Tat selbst. So kommen die vielfältigen Fähigkeiten dessen zum Tragen, der Gutes tut, und werden als wichtiger erachtet als die Frage, welches
Geschlecht der Handelnde hat. Die Grundlage dieser Gegenseitigkeit findet sich im Islam
195
unter der Rubrik „Tawhid.“ Wir sprechen daher vom „tawhidischen Reformparadigma.“
In den heutigen Betrachtungen zum muslimischen Recht und zur muslimischen Politik besteht der Unterschied in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen als Akteure. Das
gilt für die Auslegung ebenso wie für die Rechtsprechung (Fiqh).
Der Koran unterstreicht die Berechtigung von Frauen als Akteurinnen und Agentinnen aufzu-
200
treten. Wie aber können Frauen und Männer aktiv als Partner an allen juristischen oder politischen Reformen im Namen des Islams und der Gerechtigkeit zusammenarbeiten? Die
größte Inspiration für die Umsetzung einer solchen Kooperation entstammt der Idee des
„Tawhid“ und wie man das Tawhid praktisch in der Gesellschaft und in menschlichen Beziehungen leben kann. Tawhid bedeutet vor allem, dass Gott bzw. Allah eine Einheit ist. Allah
205
ist der Eine; Allah ist einzigartig. Da aber „Tawhid“ sich von der zweiten Form des Verbs
„wahhada“ ableitet, ist es ein dynamischer Begriff. Er beinhaltet die Macht, Dinge miteinander zu vereinen oder Harmonie zwischen ihnen herzustellen. Diese Harmonie meine ich,
wenn ich von Gegenseitigkeit, Zusammenarbeit und Interdependenz spreche.
Eine grundlegende Idee des Islam ist, dass Allah der Größte ist. Darüber hinaus sagt der
210
Koran, dass Allah immer der Dritte ist, wo zwei Menschen zusammentreffen, der Fünfte, wo
vier Menschen zusammentreffen, und so weiter. Allah ist also immer präsent. Das führt zu
einer horizontalen Gegenseitigkeit, die folgendermaßen aussieht: Es gibt das „Ich“ und den
„Anderen“, und dazu kommt Allah in seiner Position als der Eine und Einzigartige. Wenn alle
diese drei Elemente, das Ich, der Andere und Allah, in einer Beziehung miteinander stehen,
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Seit langem messen viele unserer muslimischen Praktiken mit zweierlei Maß. Ein Maß gilt für
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so kann das Ich nie vertikal über dem Anderen stehen. Das ist jedoch die Bedeutung des
Patriarchats, in dem sich die Männer oben und die Frauen unten befinden. Das Problem ist
die Unumkehrbarkeit dieser Beziehung. Kehrte man sie nämlich um, befänden sich die Frauen über den Männern. Und das kann natürlich keinem Mann Recht sein. Warum sollte er
dem also zustimmen? Nach dem tawhidischen Paradigma ist es jedoch so: Weil Allah immer
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präsent ist, hat der Mensch einen neuen Horizont, und seine Beziehungen mit anderen Menschen können immer nur gegenseitig sein. Die Rollen sind austauschbar. Wenn man glaubt,
dass es einen Platz für Männer und einen für Frauen gibt, können weder Frauen noch Männer aus ihren gesellschaftlich zugeteilten Rollen ausbrechen. Gegenseitigkeit auf einer horizontalen Ebene ermöglicht hingegen einen Austausch, bei dem niemand an Macht verliert,
225
denn alle Macht gehört Allah. Allah ist ultimativ in uns. […]
Noch eine Bemerkung zu Gebeten für Männer und Frauen, die von Frauen geleitet werden,
da diese Frage anscheinend viele interessiert: Die Grundlage für mich ist auch hier Tawhid.
Tawhid besagt, dass Rollen austauschbar sind. Daher kann man nicht sagen, dass nur Männer führen dürfen und Frauen nur folgen müssen. Frauen und Männer können Frauen und
230
Männer
führen
und
dabei
im
Sinne
des
Dienstes
an
Allah
handeln.
Quelle:
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.). 2008. Asma Barlas, Nahide Bozkurt, Rabeya Müller: Der
Koran neu gelesen: feministische Interpretationen. Dokumentation. Politische Akademie,
Interkultureller Dialog. Islam und Gesellschaft Nr. 6. Berlin, Bonn: Friedrich Ebert Stiftung.
Arbeitsauftrag
1. Skizziere kurz die Biographie und wichtige Wegmarken der jeweiligen Autorin. Worauf
basiert ihr Engagement?
2. Verorte ihre Sichtweise zum Feminismus.
3. Erläutere ihre Argumentationsmethode.
4. Benenne und beschreibe die ihrer Argumentation zugrundeliegende Theorie/den Ansatz.
5. Finde Beispiele für ihre Koraninterpretation. Welche Reformen sind ihr zufolge erforderlich?
6. Nimm zu diesem Ansatz Stellung.
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Soweit nicht anders vermerkt, entstammen die Erläuterungen von duden.de
Akkulturation: (lat. Kulturanpassung/Kulturübernahme) meint das Phänomen der Angleichung bzw. Verschmelzung verschiedener Kulturen. Die Gründe für das Verlassen
des eigenen Kulturkreises sind vielfältig. 15
Allegorisch: sinnbildlich, gleichnishaft
Diskurs: Debatte, Erörterung, Diskussion
Dogmen: verbindliche, normative Glaubensaussagen/Lehren
Egalisieren: aufheben, wettmachen, ausgleichen, nivellieren
Egalitär: auf soziale und politische Gleichheit gerichtet
Empowerment: Damit bezeichnet man in der Pädagogik Strategien und Maßnahmen, die
den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen. 16
Gender: Der Begriff wurde in den 1970er Jahren als historisch-soziale Analysekategorie
eingeführt. Damit verbunden ist das Konzept, dass das biologische Geschlecht (sex)
durch gesellschaftliche Prozesse Ausprägungen des sozialen Geschlechts (gender)
zur Folge hat und ihm entsprechende Bedeutung zugeschrieben wird. Gender ist also
ein soziales und kulturelles Konstrukt und gleichzeitig ein gesellschaftliches Strukturprinzip, das umso deutlicher wird, wenn auch Geschlechterverhältnisse und damit
verbundene Machtverhältnisse in den Blick genommen werden.17
Gender Studies: Der interdisziplinäre Ansatz der Geschlechterforschung hat sich aus der
feministischen Forschung entwickelt und in den 1970er Jahren Einzug in die Universitäten gehalten. Geschlechterforschung untersucht das soziale und kulturelle Konstrukt von Geschlecht und den damit verbundenen Einfluß auf menschliche Denkund Wissenssysteme sowie gesellschaftliche und kulturelle Strukturen und Organisationsformen.
15
Böhm, Winfried: Wörterbuch der Pädagogik. 16. vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart 2005. S.
14
16
http://de.wikipedia.org/wiki/Empowerment
17
Günther, Ursula, 2003, Postcolonialism – Gender – Africa. Herausforderungen für Afrikaforschedne.
In diese,be, Vböll, Verena, et al. Umbruch – Bewältigung – Geschlecht. Genderstudien zu afrikanischen Gesellschaften in Afrika und Deutschland. Münster et al.: 15-41, hier 26.
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Glossar
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Texten, Dokumenten und weiteren Zeugnissen dar. Zentral ist das Verstehen-Wollen
eines bestimmten Textes/einer Situation. Es geht ihr nicht um allgemeingültige Aussagen.18
Historizität: historische Betrachtungsweise; das Eingehen auf die Geschichte; das
Historischsein
Integrität: Unbestechlichkeit, Unbescholtenheit
Interdependenz: gegenseitige Abhängigkeit
Islamisten: Befürworter des Islamismus (Ideologie, die dem islamischen Fundamentalismus
zugrunde liegt)
Jurisprudenz: Rechtswissenschaft
Kausalität: Ursächlichkeit, zeigt einen kausalen Zusammenhang auf (Grund/Ursache)
Komplementarität: Ergänzung, wechselseitige Entsprechung
Kontinuität: Stetigkeit; gleichmäßiger Fortgang
Koran: „Mit dem Wort ,Koranʼ (betont wird die letzte Silbe) ist gewöhnlich das gesamte heilige Buch des Islam gemeint, d.h. die Sammlung der von Mohammed empfangenen
und öffentlich verkündeten Offenbarungen Gottes.“19
Kumulativ: steigernd, (sich) häufend
Linguistisch: sprachwissenschaftlich
Mufti: islamischer Rechtsgelehrter
NGOs: Nichtregierungsorgansitionen
Obsession: „[mit einer bestimmten Furcht verbundene] Zwangsvorstellung oder -handlung“;
Passion, Spezialgebiet
Ontologie: Lehre vom Sein/vom Seienden
Orthodoxie: meint in allen Religionen die Strenggläubigkeit
18
Böhm, Winfried: Wörterbuch der Pädagogik. 16. vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart 2005. S.
283
19
Bobzin, Hartmut: Der Koran. Eine Einführung. 4. Auflage. München 2001. S. 18
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Hermeneutik: Diese Methode stellt den geisteswissenschaftlichen Weg der Auslegung von
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Männer über Frauen und Kinder innerhalb der Familie und die Ausdehnung männlicher Dominanz über Frauen auf die Gesellschaft insgesamt.“20
Peripherie: Randgebiet
Post-kolonialistisch: bezieht sich auf die Postkoloniale Theorie, die sich im Grundsatz mit
der Thematisierung der vielfältigen Facetten des Postkolonialismus beschätfigt; wobei
die Auswirkungen des Kolonialismus auf die Gegenwart zum einen ehemaliger Kolonien bzw. Kolonialisierter wie von Kolonialstaaten und zum anderen für die vom Kolonialismus nicht direkt betroffenen Gebiete eine bedeutende Rolle spielen; auch bei
letzteren sind koloniale Denkmuster und Imaginationen zu finden. Das Präfix „post“ ist
hier nicht primär zeitlich nach dem Kolonialismus zu sehen, sondern verweist auf sich
noch auswirkende Langzeiteffekte, die wiederum notwendig zu thematisieren sind,
um spezifische Probleme der postkolonialen Gegenwart zu verstehen.21
Reziprozität: Wechselseitigkeit, Wechselbezüglichkeit
Sakralisierung: wenn etwas im religiösen Sinne geweiht wird und somit heilig ist
Säkular: weltlich
Scharia: islamische Rechtsordnung22
Suggerieren: jemandem etwas [ohne dass ihm dies bewusst wird] einreden oder auf andere
Weise eingeben, um so Einfluss zu nehmen; einflüstern; einen bestimmten Eindruck
entstehen lassen wollen.
Sunna: Heißt wörtlich so viel wie „Gewohnheit“ des Propheten und der Urgemeinde in Medina und ist, neben dem Koran, Bestandteil der Scharia. Sie enthält göttliche Willensäußerungen, indem die Worte und Taten Mohammeds durch sie überliefert werden. 23
Sure: Der Koran enthält 114 Abschnitte (Suren).24
Transformation: Wechsel, Übergang
Zahiriten: Rechtsschule, die nach ihrer Hauptmethode zum Erstellen eines Rechtsgutachtens benannt wurde, nämlich sich auf den zahir, d.h. die wörtliche Bedeutung des Ko-
20
Lerner, Gerda, 1991, Die Entstehung des Patriarchats. München: 295.
Kerner, Ina: Postkoloniale Theorien zur Einführung. Hamburg 2012. S. 9
22
Halm, Heinz: Der Islam. Geschichte und Gegenwart. München 2000. S. 45
23
Ebd. S. 74
24
Ebd. S. 14
21
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Patriarchat/Patriarchie: „ […] die Manifestation und Institutionalisierung der Herrschaft der
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konnte sich aber nie als eine Schule mit großer Anhängerschaft durchsetzen.
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rans und der Hadithe zu stützen. Sie war v.a. in Nordafrika und Spanien verteten,
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