Jahrbuch 2008/2009 | Clara Sattler de Sousa e Brito | Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens Patenting Inventions Pertaining to Early Stages of Human Life Clara Sattler de Sousa e Brito MPI für Geistiges Eigentum, W ettbew erbs- und Steuerrecht, München Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Bedenken gegen die moderne Biotechnologie haben auch das Patentrecht erfasst, das sich mit dieser Technik beschäftigt. Biopatentrichtlinie Auf Drängen des Europäischen Parlaments w urden diese Bedenken in die aufgenommen, indem der Ordre-public-Vorbehalt konkretisiert w urde. Die sprachliche Offenheit des Richtlinientextes führte aber sow ohl zu einem Scheitern der Harmonisierungsbestrebungen als auch zu einer unangemessenen Verlagerung der Entscheidung an Verw altungsbehörden. Summary Ethical objections to modern biotechnology, especially those pertaining to human life, currently generate vivacious public discussions, w hich naturally flow into Patent Law due to the application of patents to biotechnology. Subsequently, the European Parliament generated a list of examples of the public order exclusion from patentability in the Biopatent Directive. How ever, these examples w ere unclear, resulting in not only an unfortunate profusion of different national solutions, but also leading to a constitutional issue by removing decision-making pow er from the democratic processes. Patente auf Leben? Chancen und Risiken der modernen Biotechnologie, vor allem am Beginn menschlichen Lebens, w erden seit Jahren kontrovers diskutiert. Diese Diskussion hat nun auch das Patentrecht erreicht. Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens und die damit verbundenen ethischen Fragen sind mit Schlagw orten w ie „Patente auf Leben“ immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und w erden oft sehr emotional debattiert. Besonders aktuell ist die Diskussion um die Patentierbarkeit von Verfahren und Erzeugnissen im Bereich von embryonalen Stammzellen. Seit einigen Jahren ist dieses Problem Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Verfahren auf deutscher und europäischer Ebene. Der Ordre Public als Verbindung zwischen Ethik und Recht Ethische Überlegungen hatten im Patentrecht lange Zeit eine untergeordnete Bedeutung. Zw ar bot der © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/4 Jahrbuch 2008/2009 | Clara Sattler de Sousa e Brito | Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens Vorbehalt der öffentlichen Ordnung und guten Sitten (ordre public) schon immer ein juristisches Einfallstor für Patentierungsbeschränkungen aus ethischen Gründen. Praktische Anw endung fand dies aber kaum. Mit der Diskussion um die Zulässigkeit der Erteilung von Patenten auf Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens w urde der Vorbehalt des ordre public aber als Thema aktuell. Die Konkretisierung des Ordre Public in der Biopatentrichtlinie Als erster politischer Akteur hat das Europäische Parlament die Bedenken gegen die biotechnologische Forschung und ihre Patentierung aufgegriffen und in rechtliche Vorgaben gefasst. Nachdem die Kommission und der Rat bei der Harmonisierung der Rechtslage zur Patentierung biotechnologischer Erfindungen (Biopatentrichtlinie 98/44/EG) keine ethischen Beschränkungen der Patentierbarkeit vorsahen, ließ das Europäische Parlament – zum ersten Mal in der Geschichte des Parlaments – die Richtlinie zunächst scheitern. Aufgrund des Drängens des Europäischen Parlaments, moralische und ethische Aspekte zu berücksichtigen, w urde der ordre public dann in der zw eiten und endgültig verabschiedeten Richtlinienversion gesetzlich konkretisiert. Dazu w urde der allgemeine Patentierungsausschluss aufgrund der öffentlichen Ordnung und guten Sitten um vier Regelbeispiele ergänzt. Eines bezieht sich auf Tiere, drei davon stammen aus dem Bereich der Humanmedizin. Danach sind Verfahren zum Klonen menschlicher Lebew esen und Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebew esens von einer Patentierung ausgeschlossen. Auch die Verw endung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zw ecken ist generell von einer Patentierung ausgeschlossen. Scheitern der Harmonisierung Ein w esentliches Problem dieser „Konkretisierung“ ist allerdings, dass viele entscheidenden Begriffe – etw a „menschliches Lebew esen“ und „menschlicher Embryo“ – nicht w eiter durch die Legaldefinition bestimmt w urden. In Anbetracht des langen Ringens um den Kompromiss des Richtlinientextes w ar zu befürchten, dass die Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich umgesetzt w ürde. Tatsächlich w urden die in der Biopatentrichtlinie enthaltenen Regelbeispiele in einigen Staaten in abw eichender oder ergänzter Form übernommen. Manche Mitgliedstaaten haben sich außerdem für Verw eise auf die jew eilige nationale Forschungsgesetzgebung entschieden. Ein solcher Verw eis ist durch das Umsetzungsgesetz zur Biopatentrichtlinie auch in das deutsche Patentrecht eingegangen. Dieses bezieht sich nun zur Auslegung der Patentierungsausschlüsse auf das Embryonenschutzgesetz und die darin enthaltenen Legaldefinitionen. Ziel der Richtlinie w ar es, durch die beispielhaften Konkretisierungen das Recht auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Wegen der zum Teil w esentlich voneinander abw eichenden Umsetzungen w urde dieses Ziel nicht erreicht. Vor allem bei der deutschen Regelung stellt sich die Frage, ob ihr Verw eis auf die im europäischen Vergleich äußerst restriktive Regelung des Embryonenschutzgesetzes im Sinne des europäischen Gesetzgebers w ar. Die Regelungen w erden w eiterhin unterschiedlich umgesetzt und angew endet. Dies führt zu divergierenden Rechtsw irklichkeiten in den Mitgliedsstaaten. W ährend es etw a in Schw eden Patente auf Stammzellen gibt, hat das Deutsche Bundespatentgericht im Dezember 2006 das erste entsprechende deutsche Patent für nichtig erklärt, dabei stützte es sich auf die deutsche Umsetzung der Richtlinie im Patentgesetz. © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/4 Jahrbuch 2008/2009 | Clara Sattler de Sousa e Brito | Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens Die losgelöste Entwicklung des Europäischen Patentamtes (EPA) W ährend bei solchen Unterschieden der Rechtsumsetzung und Rechtsanw endung in den Mitgliedsstaaten der Europäische Gerichtshof (EuGH) zumindest theoretisch Klarheit bei der Auslegung dieser Begriffe schaffen kann, ist die Anw endung der Richtlinie durch einen anderen w ichtigen Akteur hiervon völlig losgelöst: Nachdem der Verw altungsrat der Europäischen Patentorganisation den Wortlaut der Richtlinie auch in der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) schlicht übernommen hat, w endet nun auch das Europäische Patentamt (EPA) den Richtlinientext an. Hier w ird besonders deutlich, zu w elchen Problemen es kommt, w enn eine Legaldefinition im Richtlinientext fehlt. Implizit w ird das EPA als Verw altungsbehörde zum letztentscheidenden Richter über die Forschungsgesetzgebung der Mitgliedstaaten, w enn entschieden w ird, dass die Verw ertung einer Erfindung gegen einen gemeineuropäischen ordre public verstößt. Dies ist vor allem desw egen problematisch, w eil das EPA w eder einer gerichtlichen Überprüfung – auch nicht durch den EuGH2 – noch einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt. Patentrecht oder Forschungsgesetzgebung? Grundsätzlicher noch ist zu fragen, ob das Patentrecht überhaupt für derart politisch aufgeladene Überlegungen, die sich mehr mit der allgemeinen Zulässigkeit der Technologie als mit der Zulässigkeit gerade einer bestimmten Patentierung beschäftigen, der richtige Anknüpfungspunkt sein kann. Man muss berücksichtigen, dass eine Erfindung auch dann verw ertet w erden kann, w enn ihre Patentierbarkeit zurückgew iesen w ird. Die Erfindung steht dann nämlich jedem zur Nutzung frei. Eine Ablehnung der Patentierbarkeit führt also nicht zu einem Nutzungsverbot, sondern im Gegenteil zu einer noch freieren Nutzung der Erfindung. Das Patentrecht kann also kein Ersatz für ethisch motivierte Rechtsvorschriften sein, die Beschränkungen oder Verbote festlegen oder die Forschung und die Anw endung oder Vermarktung ihrer Ergebnisse kontrollieren sollen. Vielmehr liegt in diesen letztgenannten Normbereichen häufig der angemessene Ort für Bedenken und Befürchtungen, die gegen das Patentrecht vorgebracht w erden. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter (Employee Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung [1] Der vierte beispielhafte Patentierungsausschluss bezieht sich auf Tiere. Er nimmt Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere, von der Patentierbarkeit aus. [2] So kürzlich noch einmal bestätigend die Große Beschwerdekammer des EPA in der Stammzellentscheidung WARF, Az.: G2/06, vom 25. November 2008. © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/4 Jahrbuch 2008/2009 | Clara Sattler de Sousa e Brito | Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/4