Ursache einer autosomal rezessiv vererbten Ataxie: Mutationen im Senataxin-Gen Veronica Bernard, Ulrike Gehlken, Andreas Dalski, Gabriele Gillessen-Kaesbach, Christine Zühlke Humangenetik, Universität zu Lübeck Einführung Senataxin-Gen Ataxie (griech.) bedeutet wörtlich „fehlende“ Ordnung und bezeichnet die mangelnde Koordination bei der Ausführung von Bewegungen. Der Begriff Ataxie beschreibt eine heterogene Gruppe neurodegenerativer Störungen (Abb.1). Eine große Rolle bei der Zuordnung zu den verschiedenen Formen der Ataxie-Erkrankungen spielen neurologische Untersuchungen. Das Senataxin-Gen (SETX) auf Chromosom 9q34 besteht aus 26 Exons. Das Protein Senataxin trägt eine DNA/RNAHelikasedomäne, die Homologien zum Sen1p-Protein der Hefe aufweist. Das Hefe-Protein spielt eine Rolle bei der RNA-Reifung und Termination. Das humane Senataxin könnte eine ähnliche Aufgabe erfüllen. Im Senataxin-Gen sind bisher 27 Mutationen bekannt, die mit AOA2 assoziiert werden. In unserer Arbeitsgruppe konnten 11 weitere Mutationen im Senataxin-Gen gefunden werden (Tabelle 2). Ataxie 1 L genetisch bedingt exogen bedingt dominant vererbt rezessiv vererbt X-chromosomal vererbt FRDA AOA1 AOA2 16 L 1 L 1 L 1 L 1 L 1 L K ATG : Exons Beispiele: 1 1 3 L L L K TAG : codierende Region : Introns Abb.3: Schematische Darstellung des Senataxin-Gens. Die Nummern über einzelnen Exons geben die Anzahl der unterschiedlichen Mutationen an. Abb.1: Einteilung der Ataxien Tabelle 2: Mutationstyp und -häufigkeit AOA2: eine rezessiv vererbte Ataxie Mutationstyp bekannte Mutationen neue Mutationen 8 Die Ataxie mit okulomotorischer Apraxie (AOA2) wird autosomal rezessiv vererbt (Abb.2). AOA2 tritt in der Regel in einem Alter zwischen dem 10. und 25. Lebensjahr auf. Die Erkrankung beginnt mit einer Gang-Ataxie gefolgt von peripherer Neuropathie und in einigen Fällen okulomotorischer Apraxie. Zudem ist bei AOA2-Patienten ein erhöhter α-Fetoproteinspiegel im Serum nachzuweisen (Tabelle 1). Missense-Mutation 12 Nonsense-Mutation 4 1 Frameshift-Mutation 10 1 Splicesite-Mutation 1 1 Kopplungsanalyse Kopplungsanalysen liefern Hinweise auf einen gemeinsamen Ursprung von Mutationen. In zwei Familien wurde die Nonsense-Mutation R1606X gefunden (Abb.4), die entsprechend der durchgeführten Analyse jedoch unabhängig von einander entstanden ist. Abb.2: autosomal rezessiver Erbgang. In Familien, in denen beide Eltern heterozygot für die Genmutation sind, beträgt das Erkrankungsrisiko für jedes Kind 25%. 8 7 1 R 1 3 2 1 3 2 R 3 5 6 1 3 5 2 R 3 5 5 3 1 5 X 5 5 3 2 3 2 2 R 7 5 5 8 6 1 X 3 6 2 Haplotype Tabelle 1: Klinische Merkmale Symptome Frequenz Gang-Ataxie 100 % okulomotorische Apraxie 47 % Areflexie 93 % Neuropathie 93 % Erhöhter α-Fetoproteinspiegel 86 % 1 3 2 R 3 5 6 3 1 5 X 5 5 3 5 3 3 R 7 5 2 8 6 1 X 3 6 2 D9S159 D9S183 D9S1863 SETX D9S1847 D9S1830 D9S1793 Abb.4: Kopplungsanalyse für Patient 1 und 2. Die unterschiedlichen Haplotypen beider Familien schließen eine gemeinsame Gründermutation mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Literatur Asaka et al. (2006) Autosomal recessive ataxia with peripheral neuropathy and elevated AFP: Novel mutations in SETX. Neurology 66, 1580-1581. Criscuolo et al. (2006) Ataxia with oculomotor apraxia type 2. A clinical, pathologic, and genetic study. Neurology 66, 1207-1210. Duquette et al. (2005) Mutations in Senataxin Responsible for Quebec Cluster of Ataxia with Neuropathy. American Neurological Association 57, 408-414. Moreira et al. (2004) Senataxin, the ortholog of a yeast RNA helicase, is mutant in ataxia-ocular apraxia 2. Nature Genetics 36, 225-227.