427 CASUISTIQUES Eine genaue Anamnese und klinische Untersuchung führen zur Diagnose Ein einfacher viraler Infekt? Moritz Haenel a , Manuela Lötscher b , Marc Slawik c , Mario Kurz d Notfallstation, St. Claraspital; b St. Claraspital; c Endokrinologie, St. Claraspital; d Infektiologie, St. Claraspital Fallbericht ­ und somit gelegentlich auch Fäkalien gegenüber ex ­ a poniert. Gemäss eigenen Angaben sei er als Kind an Masern, Röteln und Windpocken erkrankt, ferner habe Ein 19-jähriger Patient stellte sich im April aufgrund er alle erforderlichen Impfungen erhalten. Auf gezieltes von Fieber bis 40 °C, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Ab- Fragen hin gab er an, dass er zwei Tage vor Symptom- geschlagenheit, katarrhalischen Symptomen und leich- beginn von einer seiner beiden Ratten, die er zwei Wo- ter Diarrhoe auf unserer Notfallstation vor. Zum Zeit- chen zuvor in einer deutschen Tierhandlung gekauft punkt der Vorstellung waren die Beschwerden bereits hatte, in die rechte Hand gebissen worden sei. Es sei wieder regredient und das Fieber mit Paracetamol gut hierbei zu einer kleinen oberflächlichen Verletzung senkbar. Bei gutem Allgemeinzustand, unauffälligem mit einer leichten Blutung gekommen, die spontan körperlichem Status sowie laborchemisch erhöhten und ohne Komplikationen abheilte. ­ Anamnese Entzündungswerten (CRP 109 mg/l, Leukozyten 14,7 × Klinisch imponierte ein 19-jähriger Patient in leicht Vier Tage später erfolgte die erneute Vorstellung auf- reduziertem Allgemeinzustand, Blutdruck 112/56 mm grund von persistierenden, nun seit zehn Tagen be- Hg, Puls 100/min, Atemfrequenz 18/min, Temperatur stehenden, abendlichen Fieberschüben, zusätzlich 37,7 °C nach Einnahme von Antipyretika. An den Händen aufgetretenen Halsschmerzen sowie linksseitigen sahen wir ein subjektiv nicht wahrgenommenes, Leisten- und Fussschmerzen. Die erweiterte Anamnese- makulo-papulöses Exanthem, das sich primär an den erhebung ergab eine unauffällige Reise- und Sexual Handflächen und Fusssohlen (Abb. 1) manifestierte anamnese. Der Patient ist von Beruf Sanitärarbeiter ­ und im Bereich der Füsse auf die Fussrücken übertrat. Abbildung 1: Klinisch imponierte ein makulo-papulöses Exanthem der Handflächen und Fusssohlen, das auf die Fussrücken übertrat. SWISS MEDICAL FORUM – FORUM MÉDICAL SUISSE Moritz Haenel ­ Status nach Hause entlassen. ­ 109) wurde er mit Verdacht auf einen viralen Infekt 2016;16(18–19):427– 429 428 Bei der passiven Bewegung im linken oberen Sprung- auf eigenen Wunsch am dritten Hospitalisationstag gelenk sowie der linken Hüfte zeigte sich eine schmerz- entlassen wurde. Bei fortbestehendem Verdacht auf hafte Bewegungseinschränkung ohne Hinweise auf ein Rattenbissfieber wurde die antibiotische Therapie einen relevanten Gelenkerguss. mit Ceftriaxon 1 × 2 g/d i.v. für insgesamt sieben Tage ­ asuistiques C und während sieben weiteren Tagen mit Amoxicillin Befunde 3 × 500 mg/d p.o. weitergeführt. Laborchemisch zeigte sich weiterhin eine Leukozytose Nachdem der Patient ausgetreten war, zeigte sich in 2 von 16 × 10 (mit 89% neutrophilen Granulozyten), der von 6 Blutkulturen ein Wachstum von Streptobacillus 9 moniliformis, was für die Diagnose des Rattenbissfiebers 286 × 109, der CRP-Wert war mit 100 mg/l erhöht, die schlussendlich beweisend war. Da der Patient rasch be- Leber- und Nierenwerte waren im Normbereich. In der schwerdefrei war und er bereits in die ambulante Weiter- Sonographie des linken Hüftgelenks konnte kein rele- betreuung entlassen wurde, und da eine Endokarditis vanter Gelenkserguss nachgewiesen werden. Das Tho- mit Streptobacillus moniliformis insgesamt selten auf- raxröntgenbild und der Urinstatus waren unauffällig. tritt, haben wir auf die Durchführung einer Echokardio- ­ Hb-Wert lag bei 142 g/l, die Thrombozyten betrugen graphie verzichtet. Seit Abschluss der Therapie ist der Exanthem auf. Der CRP-Wert war zwei Wochen und mit einem makulo-papulösen Exanthem der Hände vier Monate nach Therapieabschluss normwertig. Leider und Füsse sowie Oligoarthralgien zehn Tage nach einem wurden im ambulanten Setting keine Überwachungs- Rattenbiss wurde der Patient mit Verdacht auf ein Rat- blutkulturen abgenommen, was der Dokumentation tenbissfieber stationär aufgenommen. Differentialdia- des Therapieerfolges gedient hätte. Patient afebril und weist weder Arthralgien noch ein Mit dem klinischen Bild eines persistierenden Fiebers Diagnose / Verlauf gnostisch dachten wir an eine exanthematös verlaufende virale Erkrankung, wie zum Beispiel eine Infektion mit Parvovirus B19, Coxackievirus, Enterovirus, Adeno- Diskussion virus, CMV (Zytomegalievirus), EBV (Epstein-Barr-Virus) Das Rattenbissfieber ist eine selten diagnostizierte, oder HIV (humanes Immundefizienz-Virus), ferner systemische Erkrankung, die durch eine Infektion mit an eine disseminierte Gonokokkeninfektion, eine Lues den gramnegativen Stäbchenbakterien Streptobacillus moniliformis oder Spirillum minus hervorgerufen wird ­ oder Leptospirose. Als mögliche nicht-infektiöse Ur und einen akuten bis chronisch-remittierenden Krank- Nach Abnahme von Blutkulturen wurde bei Verdacht heitsverlauf aufweisen kann. auf ein Rattenbissfieber eine antibiotische Therapie Streptobacillus moniliformis ist für die Mehrzahl der mit Ceftriaxon 1 × 2 g/d i.v. begonnen; dies hätte zusätz- Krankheitsfälle in Europa und den USA, Spirillum minus lich auch eine disseminierte Gonokokken-Infektion, vor allem für das Rattenbissfieber in Asien verantwort- sache wurde ein Morbus Still in Betracht gezogen. lich [1]. Das Rattenbissfieber ist eine selten diagnostizierte, systemische Erkrankung, die durch eine Infektion mit den gramnegativen Stäbchenbakterien Streptobacillus moniliformis oder Spirillum minus hervorgerufen wird. Die Übertragung von Streptobacillus moniliformis erfolgt nach einem Rattenbiss oder dem Biss durch andere Nagetiere, bei denen der Erreger die nasopharyngeale Mukosa in variablem Prozentsatz kolonisiert hat. Ferner kann die Einnahme von mit Nagetierkot eine Lues sowie eine Leptospirose therapiert. Das mikro- verunreinigten Nahrungsmitteln oder mit Rattenurin biologische Labor wurde über den klinischen Verdacht kontaminierten Getränken zu einer Infektion führen, eines Rattenbissfiebers informiert. die unter dem Namen «Haverhill fever» bekannt ge- Der HIV-Test, die Serologien für Lues, Parvovirus B19, worden ist [4]. Die vor allem im ostasiatischen Raum durch Spirillum ebenso die nasopharyngeal abgenommenen PCR- minus ausgelöste Erkrankung ist im Japanischen unter ­ EBV, CMV und Leptospira interrogans fielen negativ aus, dem Namen «Sodoku» bekannt. Hier verbreitet sich die Adenoviren. Spirillose gerne über Eichhörnchen und nagetierfres- Unter der Therapie mit Ceftriaxon stellte sich rasch sende Haustiere. Im Vergleich zur Streptobacillose ist eine klinische Besserung ein. Der Patient entfieberte, «Sodoku» durch eine meist längere Inkubationszeit die Arthralgien und das Exanthem waren innerhalb von 1–32 Tagen und dem selteneren Auftreten von Ar- von drei Tagen praktisch komplett regredient. Die la- thritiden gekennzeichnet [2]. borchemischen Entzündungsparameter normalisier- Beim in Europa durch Streptobacillus moniliformis aus- ten sich in derselben Zeitspanne, so dass der Patient gelösten Rattenbissfieber kommt es nach einer Inku- SWISS MEDICAL FORUM – FORUM MÉDICAL SUISSE Untersuchungen auf Coxackieviren, Enteroviren und 2016;16(18–19):427– 429 429 reichend. In der Initialphase der Behandlung wird eine schmerzen und einem schweren Krankheitsgefühl. intravenöse Therapie mit Penicillin während 5–7 Tagen Insbesondere bei jüngeren Kindern können auch gas empfohlen. Im Falle des guten klinischen und laborche- ­ bationszeit von 1 bis 20 Tagen zu hohem Fieber, Kopf- mischen Ansprechens kann zur Komplettierung der Durchfall hinzukommen [2, 3]. Im weiteren Verlauf der 14 Tage im weiteren Verlauf auf eine perorale Penicillin- Erkrankung kann ein makulo-papulöses Exanthem therapie gewechselt werden. Alternativ kann zu Beginn auftreten, das charakteristischerweise an den Handin- Ceftriaxon verabreicht werden, im Falle einer Typ-1- nenflächen und den Fusssohlen erscheint; Arthralgien Penicillinallergie wird Doxycyclin empfohlen. werden ebenfalls häufig beobachtet. Das kompliziert verlaufende Rattenbissfieber mit Me- Das kompliziert verlaufende Rattenbissfieber kann zu ningitis, Endokarditis, Myokarditis, Pneumonie oder Pneumonien, Endokarditiden, ubiquitär auftretenden septischer Arthritis als Folge einer Bakteriämie ist sel- Abszedierungen sowie auch zu septischen Arthritiden ten und meist die Folge einer im Frühstadium nicht führen, wie es vereinzelt in der Literatur beschrieben etablierten Antibiotikatherapie. In diesen Fällen wird wird [5]. ebenfalls mit intravenösem Penicillin behandelt (alter- Die Diagnose des Rattenbissfiebers ist meist eine klini- nativ Ceftriaxon). Die Therapiedauer richtet sich nach sche Diagnose im Kontext mit einem Rattenbiss, da die dem klinischen Szenario, zum Beispiel vier Wochen i.v. kulturelle Isolation des Erregers häufig schwierig ist Therapie im Falle einer Nativklappenendokarditis. und bis dato keine serologischen Tests zur Verfügung Zur Vermeidung der Erkrankung sollte nach einem stehen. Wie wichtig hierbei eine genaue Anamnese Rattenbiss eine Postexpositionsprophylaxe über drei und klinische Untersuchung ist, hat sich auch in unse- Tage mit Penicillin V 4 × 500 mg/d p.o. oder Augmentin rem Fall gezeigt. Der Nachweis von Streptobacillus 3 × 625 mg/d p.o. erfolgen. ­ moniliformis kann aus Wund-/Abszessabstrichen und aus Blutkulturen erfolgen, meist ist eine verlängerte Bebrütungszeit notwendig. Differentialdiagnostisch muss, wie auch bei unserem Patienten, neben Virusinfektionen mit CMV, EBV, Coxsackie-/Enterovirus und Parvovirus B19, an eine Lues, Informed consent Die Publikation erfolgt im Einverständnis des Patienten. Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Leptospirose oder disseminierte Gonokokkeninfektion Literatur Das kompliziert verlaufende Rattenbissfieber kann eine 1 Mortalitätsrate von bis zu 10% aufweisen [6], weshalb 2 ­ 3 rapie der Wahl, die optimale Therapiedauer ist nicht ­ therapie begonnen werden sollte. Penicillin ist die The- 4 St. Claraspital berichten – nach dem klinischen Erscheinungsbild bzw. 5 Kleinriehenstrasse 30 Schweregrad der Erkrankung [7]. claraspital.ch SWISS MEDICAL FORUM – FORUM MÉDICAL SUISSE 2016;16(18–19):427– 429 ­ ­ auf, eine Therapiedauer von 14 Tagen ist in der Regel aus- 6 Die meisten Fälle weisen einen unkomplizierten Verlauf 7 moritz.haenel[at] ­ CH-4058 Basel Dr. med. Moritz Haenel bekannt und richtet sich – auf der Grundlage von Fall- Korrespondenz: ­ beim klinischen Verdacht eine empirische Antibiotika- Futaki K, Takaki I, Taniguchi T et al. (1917) Spirochaeta marsus muris, n. sp., the cause of rat bite fever. J Exp Med 25:33–44. Josephson SL. (1988) Rat-bite fever. In: Balows A, Hausler Jr. WJ, Ohashi M, Turano A (eds) Laboratory diagnosis of infectious disease, vol 1. Springer, Berlin Heidelberg New York. Raffin BJ, Freemark M (1979) Streptobacillary rat-bite fever: a pediatric problem. Pediatrics 64:214–7. Parker Jr F, Hudson NP (1926) The etiology of Haverhill fever (Erythema arthriticum epidemicum). Am J Pathol 2:375–9. Simon MW, Wilson HD (1986) Streptobacillus moniliformis endocarditis. A case report. Clin Pediatr (Phila) 25:110–1. Elliott SP (2007) Rat bite fever and Streptobacillus moniliformis. Clin Microbiol Rev. 2007 Jan;20(1):13–22. Truckis M; Rat bite fever; up to date; 2014. ­ gedacht werden. ­ ­ trointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und ­ asuistiques C