Tiefer Eingetaucht - Vielfalt in unseren Meeren

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Tiefer Eingetaucht Vielfalt in unseren Meeren
Informationen für Lehrerinnen und Lehrer zur Bearbeitung der Schulaufgaben
zum Meeresschutz und am Meeresschutz in Deutschland interessierte Menschen
Ausführliche Begleitbroschüre zur BUND-Wanderausstellung
“Eingetaucht - Vielfalt in unseren Meeren”
Impressum
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Landesverband Bremen e.V.
Am Dobben 44 28203 Bremen
Telefon 0421 / 79 00 2 10
Fax 0421 / 79 00 2 - 90
[email protected]
www.bund-bremen.net
Redaktion: Nadja Ziebarth, BUND-Projektbüro Meeresschutz
In Kooperation mit:
Hochschule Bremen
Internationaler Studiengang Technische und Angewandte Biologie (ISTAB)
Bearbeitung:
Eike Martina Holzkämper (ISTAB, Hochschule Bremen) Konzept, Texte und
Gestaltung,
Redaktionelle Überarbeitung: Oliver Hofmann
wissenschaftlicher Lektor: Heiko Brunken (ISTAB, Hochschule Bremen)
V.i.s.d.P: Martin Rode
Diese Broschüre wurde gefördert mit Mitteln von Bingo! Die Umweltlotterie
Inhalt
Der Mensch und das Meer
4
Natura 2000
6
Die Nordsee
11
Die Doggerbank – von wegen Sandwüste unter Wasser!
13
Borkum Riffgrund – das Robbenrevier
17
Sylter Außenriff – buntes Leben im Auftriebsgebiet
22
Östliche Deutsche Bucht – 3135 km² für den Vogelschutz
27
Die Ostsee
31
Fehmarnbelt – Dreh- und Angelpunkt zwischen Nord- und Ostsee 33
Kadetrinne – ungestörte Natur in der Ostsee
38
Die Oderbank – Neue Heimat für den Stör
40
Adlergrund & Westliche Rönnebank – Rifflandschaft in der Ostsee 43
Pommersche Bucht – „Tank und Rast“ für Zugvögel
46
Schutzgebiete – eine große Lösung
48
Fischerei – mit Zukunft?
49
Nährsalze im Meer – gut oder Böse
52
Wasser und Öl – Eine schlechte Mischung
54
Sandabbau – Ein Lebensraum verschwindet
55
Müllkippe Ozean
56
Schifffahrt – Hauptverkehrsroute Nord- und Ostsee
58
Wasserplanet Erde
Fast drei Viertel unseres Planeten sind von
Wasser bedeckt. Unvorstellbare 1,338 Mrd.
km³ Wasser fassen die Ozeane und damit
96,5 % des Wassers der Erde. Die Meeresflora
(Pflanzen und Algen) produziert ungefähr 50
% des Sauerstoffs, ohne den es kein höheres
Leben auf der Erde geben würde. Die Meeresströmungen regulieren das Klima indem sie die
eingestrahlte Sonnenenergie als warmes Wasser über den Planeten transportieren. Das Ökosystem der Meere beherbergt eine ungeheure
Vielfalt an Lebewesen, von denen sich wiederum Milliarden Menschen ernähren. Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch die Ozeane. Doch
in den letzten hundert Jahren hat die Ausbeutung der Meere solche Ausmaße angenommen,
dass heute große Teile dieses Ökosystems vor
dem Zusammenbruch stehen. Dennoch stehen
nicht einmal 2 Prozent der Meeresfläche unter Schutz. Ein weiterer Ausbau ist dringend
notwendig.
Der Mensch
und das Meer
Mensch und Meer
Seit jeher siedelten sich Menschen gerne in der Nähe
von Wasser an. Und dafür gab es gute Gründe. Nahrung war ganzjährig vorhanden, sofern man wusste
wie man sie herankommen kann. Auch das Klima
ist feuchter und milder. Später erschlossen sich die
Menschen die Meere als günstigen Transportweg für
Waren. Seitdem sind eine ganze Reihe neuer Nutzungen der Küsten und Meere hinzugekommen. Wir
fördern Öl und Gas vom Meeresgrund, produzieren
Strom in riesigen Windparks und verbringen unsere
Freizeit zur Erholung an den Stränden. Auch Sand,
vielleicht der wichtigste Baustoff, stammt zu großen
Teilen aus dem Meer.
So leben heute etwa 40 % aller Menschen weniger
als 100 Kilometer von der Küste entfernt.
Bei all diesen Aktivitäten wird jedoch häufig vergessen, dass die Ozeane sich nicht endlos ausbeuten
lassen. Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht.
Überfischung, Gift- und Nährstoffeinträge, Vermüllung sowie die Zerstörungen ganzer Lebensgemeinschaften durch Bauaktivitäten oder Ölunfälle gefährden ein Ökosystem, auf dessen Funktionsfähigkeit wir
Menschen angewiesen sind.
Doch anstelle des dringend benötigten Schutzes
steigt die Belastung der Meere weiter an. Die Folgen
für diesen weltumspannenden Lebensraum lassen
Seit jeher fasziniert das Meer die Menschen
sich kaum abschätzen. Denn auch heute sind noch
fast 90 % der Meere weitgehend unerforscht.
4
Schutz offshore? –
Schutz international!
Die Einrichtung von Meeresschutzgebieten in internationalen Gewässern gestaltet sich besonders schwierig. Denn hier kollidieren häufig die unterschiedlichsten Interessen der verschiedenen Nationen. Doch
ohne einen umfassenden Schutz auch der küstenEines von ca. 40.000 Containerschiffen auf den
Weltmeeren
Meere brauchen Schutz
fernen Gebiete wird ein Stopp des Artenschwundes
in den Meeren nicht erreicht werden können. Denn
gerade hier haben die Belastungen durch die Nutzung
Die scheinbare Unendlichkeit der Ozeane erweckte für
der Meere in beträchtlichem Maße zugenommen.
lange Zeit den Eindruck, die Meere seien unerschöpf-
Deshalb haben sich die Vereinten Nationen (United
lich. Einzelne Eingriffe in die Meeresnatur würden
Nations Convention on the Law of the Sea) 2010
schon auf Grund der schieren Größe der Ozeane
darauf verständigt, 10 % der Meeresfläche bis 2020
„verkraftet“ werden. Diese Haltung hat dazu geführt,
unter Schutz zu stellen. Derzeit sind es gerade ein-
dass wir Menschen uns vom Strand bis in die Tiefsee
mal 1,5 %. Es bleibt also noch viel zu tun, wenn man
nehmen was wir haben wollen, und einleiten, was wir
dieses Ziel erreichen will.
nicht mehr brauchen.
In Europa haben die Oslo-Paris-Konvention (OSPAR)
Doch heute lassen sich die Folgen dieses Verhaltens
für den Nordostatlantik und die Helsinki-Kommission
nicht mehr übersehen - die marine Biodiversität
(HELCOM) für die Ostsee Meeresschutzziele for-
schrumpft, Chemikalien und Gifte lassen sich auch in
muliert. Seit kurzem gewinnt auch das europäische
den großen Tiefen und entlegenen Regionen nach-
Schutzgebiete-Netzwerk Natura 2000 für den Mee-
weisen. Plastikteppiche treiben auf den Meeren. Der
resschutz an Bedeutung.
andauernde Lärm unter Wasser stresst die Lebewesen und die Fischerei fängt deutlich mehr Fische, als
nachwachsen können.
All dies ist heute offensichtlich. Doch bisher wurden
nur zögerlich Maßnahmen ergriffen, um dieses für
unseren Planeten so wichtige Ökosystem zu erhalten.
Dennoch haben in den letzten Jahren immer mehr
Nationen die Bedeutung des Meeresschutzes erkannt
und Programme zur Erhaltung der marinen Umwelt
entwickelt, um die marine Biodiversität und Produktivität zu erhalten. Die Programme befassen sich mit
dem Schutz der Meeresumwelt auf globaler und lokaler Ebene oder mit dem Erhalt besonderer Habitate
oder Arten. Doch die Projekte beschränken sich meist
auf die küstennahen Bereiche.
Bald nur ein Windpark unter vielen in der Nordsee?
Windräder vor Dänemark
5
Natura 2000
Was ist Natura 2000?
Wer macht mit?
“Natura 2000 ist das Kernstück der EU–Naturschutz- und Biodiversitätspolitik“
sagt die Europäische Kommission selber über
ihr Großprojekt. Ziel ist, das größte ökologische Netz der Welt in Europa zu schaffen.
Das Überleben und die Erhaltung – auch für
die Zukunft – von bedeutenden und besonders bedrohten Arten und Habitaten steht an
erster Stelle. Dies wird durch die Ausweisung
von Schutzgebieten sichergestellt. Dies bedeutet nicht, dass die Nutzung dieser Gebiete
durch den Menschen ausgeschlossen wird –
es geht vielmehr um ein ökologisch als auch
ökonomisch nachhaltiges Management der
Gebiete.
Die Natura 2000-Richtlinie ist von allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union umzusetzen. Sie
fußt auf zwei älteren europäischen Richtlinien, der
Vogelschutzrichtlinie von 1979 und der Fauna-FloraHabitat-Richtlinie von 1992. Sie sind als europäische
Gesetze für alle Mitgliedsstaaten der EU verbindlich.
Mit der Schaffung eines Netzwerks von Schutzgebieten kommen die Länder einer gemeinschaftlichen
Verpflichtung nach, nämlich dem in der Konvention
über biologische Vielfalt (CBD, Rio 1992) beschlossenen Schutz der biologischen Vielfalt von Arten und
Lebensräumen.
Was macht Natura 2000?
Wildlebende Pflanzen und Tiere von gemeinschaftlichem europäischem Interesse und ihre Lebensräume
sollen erhalten werden. Unter Schutz gestellt werden Gebiete, die bestimmten Kriterien entsprechen,
welche im Anhang der Richtlinien festgelegt sind.
Sie enthalten z.B. schützenswerte Lebensräume oder
Arten. Von den in diesen Anhängen aufgelisteten 231
Lebensraumtypen und rund 900 Arten kommen in
Deutschland 91 Lebensraumtypen und 133 Tier- und
Pflanzenarten vor.
Ein Regenbrachvogel (Numenius phaeopus) bei der Rast im Watt
6
Wie entsteht ein Natura 2000Schutzgebiet?
Es gibt zwei Arten von Natura 2000-Schutzgebieten:
Jeder Mitgliedsstaat legt der Europäischen Kom-
Besondere Schutzgebiete im Sinne der Vogel-
mission eine Liste von Gebieten mit natürlichen
schutzrichtlinie:
Lebensräumen und wild lebenden Tier- und Pflanzen-
Die Auswahl der Vogelschutzgebiete richtet sich nach
arten vor. Daran schließt sich ein wissenschaftliches
den besonders bedrohten Vogelarten die im Anhang
Bewertungsverfahren des Erhaltungszustandes von
der Vogelschutzrichtlinie aufgelistet sind. Dabei sind
Arten und Habitaten an. In Abstimmung mit den Mit-
die „zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete“
gliedsstaaten wird dann eine Liste mit Gebieten von
zu Schutzgebieten zu erklären. Auch in Brut-, Mau-
gemeinschaftlicher Bedeutung erstellt. Als Grundlage
ser- und Überwinterungsgebieten sowie Rastplätzen
für die Bewertung dienen die biogeografischen Regi-
müssen entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen
onen innerhalb der EU.
werden.
FFH-Gebiete werden einem Bewertungsprozess durch
Besondere Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-
die EU-Kommission unterzogen, um den europäischen
Habitat-Richtlinie (FFH):
Zusammenhang des Netzes Natura 2000 sicherzu-
Die Richtlinie hat zum Ziel, wildlebende Arten, deren
stellen. Schutzgebiete im Sinne der Vogelrichtlinie
Lebensräume und die europaweite Vernetzung dieser
erlangen den Status eines besonderen Schutzgebiets
Lebensräume zu sichern und zu schützen. Außerdem
sofort nach ihrer Meldung an die Kommission.
soll sie zur biologischen Vielfalt in den biogeografi-
Nachdem ein Areal als Gebiet von gemeinschaftlicher
schen Regionen der Europäischen Union beitragen.
Bedeutung ausgewählt wurde, weist der Mitgliedstaat
dieses innerhalb von sechs Jahren als besonderes
Schutzgebiet aus.
Die biogeografischen Regionen der EU. Auf das Netz
Natura 2000 entfallen etwa
20 % der Landesflächen.
Die Fläche der Europäischen
Union wird in neun Naturräume mit ähnlichen
Umweltbedingungen und
Lebensraumtypen eingeteilt:
alpine Region, atlantische
Region, Schwarzmeerregion,
boreale Region, kontinentale Region, makaronesische
Region, mediterrane Region,
pannonische Region und
Steppenregion. Arktische
und anatolische Regionen
befinden sich außerhalb
der Landesfläche der EU. In
Deutschland liegen drei der
biogeographischen Regionen: alpin, atlantisch und
kontinental.
7
Die 10 Natura 2000-Schutzgebiete der
deutschen AWZ
Nordsee
Doggerbank
Borkum Riffgrund
Sylter Außenriff
Östliche Deutsche Bucht
Ostsee
Fehmarnbelt
Kadetrinne
Westliche Rönnebank
Adlergrund
Oderbank
Pommersche Bucht
Sandbänke wirken auf den ersten Blick unbelebt. Tatsächlich
wimmelt es zwischen den Sandkörnern nur so von Leben
In den besonderen Schutzgebieten treffen die Mitgliedsstaaten alle erforderlichen Maßnahmen, um die
Erhaltung der Lebensräume zu garantieren und die
Störung von Zielarten zu vermeiden. Weiterhin sollen
Die Grundlagen, Ziele und Verbindlichkeiten von
die Migration und der genetische Austausch von
Natura 2000 gelten sowohl an Land als auch im
wildlebenden Arten gefördert werden. Bedrohte Arten
Meer. Natura 2000-Gebiete im Meer erhalten das
sind unter strengen Schutz zu stellen und deren Fang
Vorkommen und die Verbreitung spezieller Arten
oder Tötung zu verbieten. Dies alles erfordert ein
von Seevögeln, Meeressäugern und Fischen. Auch
gezieltes Management der Flächen.
können besonders schützenswerte, international
Welche Schutzinstrumente dieses Management
bedeutsame Lebensraumtypen wie Sandbänke und
enthalten soll entscheidet der jeweilige Staat. Er kann
Riffe bewahrt werden. In Deutschland sind für den
zum Beispiel Gesetze erlassen, eine Behörde für die
Naturschutz und damit für die Auswahl der Natura
Umsetzung beauftragen oder Verträge mit Nutzern
2000-Schutzgebiete grundsätzlich die Bundeslän-
des Gebiets abschließen. Auch die Verwendung von
der zuständig. Diese Zuständigkeit gilt allerdings nur
vorhandenen nationalen Schutzkategorien ist mög-
innerhalb der 12 Seemeilen-Zone, dem Küstenmeer.
lich, wie beispielsweise Landschaftsschutzgebiete.
Außerhalb der 12 Seemeilen-Zone sind die Hoheits-
Der Vorteil ist, dass in diesen Fällen schon Manage-
befugnisse Deutschlands auf bestimmte Aktivitäten
mentsysteme existieren und sich die Umsetzung im
beschränkt. Diese Zone (12 bis 200 Seemeilen) wird
Idealfall beschleunigt. Dadurch kann es zu Über-
Ausschließliche Wirtschaftszone, kurz AWZ, genannt.
schneidungen und Kombinationen von Schutzgebie-
Für Naturschutzangelegenheiten in diesem Bereich
ten nach nationalen Schutzkategorien kommen, die
übernimmt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) die
jedoch alle Bestandteil des Natura 2000-Netzwerks
Verantwortung.
sind. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alle sechs
Jahre die Europäische Kommission über die getroffenen Maßnahmen in den Schutzgebieten und deren
aktuellen Zustand zu unterrichten.
8
Natura 2000 in der deutschen
ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ)
Eine typische Riffgemeinschaft im Sylter Außenriff bestehend aus Korallen,
Seenelken, Moostierchen, Seescheiden
und Schwämmen. Die Riff-Habitate
sind nach der FFH-Richtlinie besonders
schützenswert.
Datengrundlage
1. Sammlung wissenschaftlicher Informationen über
Vorkommen zu schützender
Arten- und Lebensräume
2. Abgrenzung von potentiellen
Gebieten nach den Kriterien
von Vogelschutz und FFHRichtlinie
Auswahl der Schutzgebiete
Bsp.: Östliche Deutsche Bucht
Bsp.: SylterAußenriff
Hauptausweisungsgründe nach Hauptausweisungsgründe nach Vogelschutz-Richtlinie
FFH-Richtlinie
Die Datengrundlage der Auswahl potenzieller
Gebiete nach den Kriterien der Vogelschutz- und
FFH-Richtlinien wird durch großräumige Erfassungsmaßnahmen von Flora und Fauna erstellt.
So können geeignete Gebiete abgegrenzt werden.
Daraufhin werden vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) die Gebiete in der AWZ ausgesucht, die den in der FFH-Richtlinie und der
EU-Vogelschutzrichtlinie festgelegten fachlichen
Kriterien am besten entsprechen. Kriterien für
marine Schutzgebiete sind v.a. das Vorkommen
von Seevögeln und Schweinswalen sowie der
Lebensraumtypen „Sandbänke“ und „Riffe“.
Die vorgeschlagenen Gebiete werden der Europäischen Kommission über das Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(BMU) zugeleitet.
Die EU erstellt eine Liste von „Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung (SCI)“ unter Beteiligung
der Mitgliedstaaten. Die Gebiete müssen geeignet
sein, um die wichtigen Lebensraumtypen und
Arten in ihrem gesamten natürlichen Verbreitungsgebiet zu erhalten. Bei der Auswahl der
Gebiete orientieren sich die Fachleute an den
biogeographischen Regionen der EU. Kommt die
Europäische Kommission zu dem Schluss, dass
für eine Region noch Gebiete fehlen, müssen die
betroffenen Mitgliedstaaten weitere Vorschlagsgebiete nachmelden.
Die nach Vogelschutzrichtlinie gemeldeten Gebiete werden direkt, ohne Prüfung und Abstimmung
als „Besondere Schutzgebiete (SPA)“ ausgewiesen
(siehe Pfeile)!
Ausweisung als Besonderes Schutzgebiet
(BSG)
Special Area of Conservation (SAC) nach FFHRichtlinie
Special Protection Area (SPA)
nach Vogelschutz- Richtlinie
Die Mitgliedstaaten weisen die ausgewählten
Gebiete so schnell wie möglich als „Besondere
Schutzgebiete (SAC)“ aus. Die Ausweisung der
Schutzgebietsflächen in Deutschland erfolgt
durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
9
Meeresflächen in Deutschland. Fast 70 % der deutschen Nordseefläche liegt
außerhalb des Küstenmeeres
und gehört somit zur AWZ.
In der Ostsee hingegen
bildet die AWZ ein schmales
Band (ca. 30 % der deutschen Ostsee), da hier die
Anrainerstaaten sehr dicht
nebeneinander liegen. Mehr
als 50 % dieser AWZ-Fläche
konnte als Schutzgebiet
ausgezeichnet werden.
In der deutschen AWZ der
Nordsee beträgt der Anteil
der Schutzgebietsflächen
etwa 30 %.
Flächenangaben der Natura 2000-Meeresschutzgebiete in der deutschen AWZ
Vogelschutzgebiete
Die Fläche der Vogelschutzgebiete beträgt in Nord- und Ostsee insgesamt 5.145 km²,
die der FFH-Gebiete insgesamt 9.440 km². Zusammen genommen wurde mit den zehn
Natura 2000-Gebieten eine Fläche von etwa 10.400 km² ausgewiesen. Dies entspricht ca.
31 % der deutschen AWZ in der Nord- und Ostsee. Die Differenz zwischen den Flächenangaben ergibt sich aus der Überlappung von Schutzgebieten nach FFH-Richtlinie und
Vogelschutzrichtlinie. Das mit Abstand größte Gebiet ist das Sylter Außenriff mit über
5.300 km² Fläche in der Nordsee. Das größte Schutzgebiet der Ostsee ist die Pommersche
Bucht mit Oderbank von etwa 2.000 km² Ausdehnung.
10
Die Nordsee
Silbermöwe (Larus argentatus) über der Nordsee.
Natura 2000-Schutzgebiete in der deutschen AWZ der Nordsee
Doggerbank
Seite 13
Borkum Riffgrund
Seite 17
Sylter Außenriff
Seite 22
Östliche Deutsche Bucht
Seite 27
11
Übersicht
12
Nordsee
Die Doggerbank von wegen Sandwüste unter Wasser!
Eine Sandbank mitten in der Nordsee - Gemeinsame
Verantwortung von England, Norwegen, Dänemark,
die Niederlande und Deutschland
Die Doggerbank ist eine bis zu 13 Meter unter dem
Meeresspiegel aufragende Sandbank in der zentralen
Nordsee. Die Bank ist etwa 260 km von der deutschen
Küste entfernt und bildet die nordwestliche Grenze der
Deutschen Bucht. Ihre Form erinnert an die eines Tropfens. Mit etwa 300 km Länge, 120 km Breite und etwa
18.000 km² ist sie die größte Sandbank der Nordsee.
Die Doggerbank – Nahrungskammer für
Mensch und Tier?
Die Doggerbank ist aufgrund der hier herrschenden Strömungsverhältnisse, ihrer Bodenstruktur
und der vorkommenden Artengemeinschaft einzigartig in der Nordsee. Der Sandboden erscheint
stellenweise wie eine gleichförmige unterseeische Wüste. Doch dieser Eindruck täuscht:
Würmer, Muscheln, Seeigel und Krebstiere finden
auf der seichten Bank beste Lebensbedingungen.
Aber auch in der Wassersäule bietet die Doggerbank dem Plankton gute Wachstumsbedingungen. Dies macht sie zu einem Nahrungsgebiet für
viele Fische. Auch Wale, Robben und Seevögel
finden hier einen reich gedeckten Tisch.
Doch die Aktivitäten einer hochtechnisierten europäischen Fischereiflotte bedrohen diesen einzigartigen Lebensraum. Die schweren Ketten der
Grundschleppnetze pflügen den sandigen Boden
der Doggerbank regelrecht um und zerstören
dabei die empfindlichen Artengemeinschaften.
Schon seit längerem wird die Doggerbank ihrem Ruf als fischreiches Fanggebiet nicht mehr
gerecht.
Bilder oben (v.l.n.r.): Riesenhai (Cetorhinus maximus), Nagelrochen (Raja clavata) und Seehund (Phoca vitulina)
Die Bank erstreckt sich über die Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) von England, Norwegen, Dänemark,
der Niederlande und Deutschland. Die Niederlande und
Deutschland haben ihre relativ kleinen Bereiche schon
als Natura 2000-Gebiete ausgewiesen und werden
damit ihrer Verantwortung für den Erhalt der wertvollen
Meeresnatur gerecht. Andere Länder sträuben sich noch,
da auf dem Gebiet größere Öl- und Gasvorkommen
vermutet werden. Auch für die Offshore-Windindustrie
hat die Doggerbank Potential.
Der geschützte deutsche Teil der Doggerbank umfasst
den sogenannten „Tailend“-Bereich mit Wassertiefen
von 29 m bis 40 m. Mit einer Größe von 1.600 km² ist
die Doggerbank das zweitgrößte Meeresschutzgebiet in
Deutschland.
Der deutsche Teil der Doggerbank umfasst die abflachenden nordöstlichen Areale der Sandbank
(Tailend).
13
Als Lebensraum für Fische, Schweinswale, Robben und Seevögel muss dieses Gebiet erhalten
und seine natürlichen Funktionen wiederhergestellt werden. Als „Trittstein“ ermöglicht die
Doggerbank die Ausbreitung der Bodenlebewesen in der gesamten Nordsee: die küstenferne
Untiefe ist ein Bindeglied zwischen den Arten
der relativ flachen Deutschen Bucht und der
restlichen tieferen Nordsee. Wird diese ökologische Funktion durch eine übermäßige und zerstörerische Fischerei gestört, kann dies direkte
Auswirkungen auf die Artenzusammensetzung
der gesamten Nordsee haben.
Schlick, Sand und Kies
Der deutsche Teil der Doggerbank weist die für Sandbänke typischen Lebensräume auf: Bruchstücke von
Muschelschalen (Schill) und Kies wechseln sich mit
sandigen und schlickigen Bereichen in muldenförmigen Vertiefungen ab – das sorgt für eine Vielfalt an
Lebensräumen.
Die sandigen Bereiche im Zentrum der Bank sind von
einer Bodentiergemeinschaft besiedelt, die an relativ
flache Wassertiefen angepasst ist. Dazu gehört auch
die Flohkrebs-Tellmuschel (Bathyporeia-Fabulina)Gemeinschaft, die für diesen küstenfernen Bereich
der Nordsee eine Besonderheit darstellt. Besonders
an den Hängen der Doggerbank sind Schlangensterne
die dominierende Tierklasse
Bislang sind in diesem Natura 2000-Gebiet ca. 38
Arten der Roten Listen ermittelt worden, wie z.B. die
Wellhornschnecke.
Das Haus der Wellhornschnecke
(Buccinum undatum) wird bis zu 11 cm
groß. Sie ist die größte Schnecke der
Nordsee.
Bathyporeia-Fabulina–Gemeinschaft
Als Bathyporeia-Fabulina- oder auch Flohkrebs-Tellmuschel–Gemeinschaft wird eine spezielle Artengemeinschaft bezeichnet die typisch für die flacheren Bereiche der Nordsee mit sandigem Grund ist. Die hier vorkommenden Arten
leben meist gut versteckt im Sand eingegraben und werden deshalb auch als Infauna bezeichnet. Dominierende Arten
sind der Flohkrebs Bathyporeia elegans, die Gerippte Tellmuschel Fabulina fabula und die beiden Borstenwürmer Spiophanes bombyx und Spio decorata.
Eine Besonderheit der Bathyporeia-Fabulina–Gemeinschaft ist ihre Ernährungsweise. Tellmuscheln filtern winzige
organische Schwebstoffe aus der Wassersäule. Borstenwürmer bevorzugen es, bei guten Strömungsverhältnissen die
im Wasser schwebenden Partikel herauszufiltern. Sind die Strömungsverhältnisse jedoch ungünstig, begnügen sie sich
auch mit dem Abgrasen des Sediments (interface-feeding). Die Flohkrebse sind auf das „Reinigen“ der Sandoberfläche und dem Abweiden von darauf sitzenden Mikroalgen spezialisiert.
Das Vorkommen der Bathyporeia-Fabulina–Gemeinschaft ist damit ein Hinweis auf
eine hohe Primärproduktion - so bezeichnet man das Wachstum von Phytoplankton in der Nähe des Meeresbodens. Die hohe Primärproduktion ist hier möglich, weil klares
und nährstoffreiches Wasser für ideale Wachstumsbedingungen für Algen sorgen.
Flohkrebs Bathyporeia elegans
14
Phytoplankton – die Grundlage des marinen Lebens
Plankton ist ein Sammelbegriff für alle im Wasser lebenden Organismen, deren Hauptmerkmal es ist, dass sie sich
mit der Wasserströmung fortbewegen, bzw. fortbewegt werden. Man unterscheidet Zoo- (Tiere), Phyto- (Pflanzen),
Bakterio- (Bakterien) und Mycoplankton (Pilze).
Das Phytoplankton besteht aus Lebewesen, die durch Photosynthese Sonnenenergie in Biomasse umwandeln. Das
Phytoplankton ist der wichtigste Primärproduzent in den Meeren und bildet die Grundlage für die Nahrungskette. Es
ist also das marine Gegenstück zu den Landpflanzen und produziert einen Großteil des Sauerstoffs auf der Erde.
Das Phytoplankton setzt sich hauptsächlich aus mikroskopisch kleinen Algen und Kieselalgen (Diatomeen) zusammen,
die in ungeheurer Formenvielfalt vorkommen. Von ihnen ernährt sich das Zooplankton, zu dem auch die Flohkrebse
gehören. Das Zooplankton wiederum hat unzählige Fressfeinde: Muscheln, Krebse und marine Würmer ernähren sich
von ihm, genauso wie Heringe und Sardinen und sogar die Meeresgiganten wie Riesenhai oder Bartenwale.
Entscheidend für ein gutes Wachstum von Phytoplankton ist die Versorgung mit Sonnenlicht, eine stabile Wasserschichtung und ausreichend gelöste anorganische Nährsalze wie Nitrat und Phosphat. Diese beiden Stoffe sind in
Kunstdüngern und Gülle enthalten. Durch die industrielle Landwirtschaft gelangen sie inzwischen in viel zu hohen
Konzentrationen über die Flüsse in die Meere - mit schweren Folgen für das Ökosystem der Meere.
Nahrung für Zwergwal,
Riesenhai und Eissturmvogel
Die ständige Verfügbarkeit von Plankton bildet eine
ausgezeichnete Nahrungsgrundlage für viele unterschiedliche Lebewesen. Das Benthos (die am Boden
lebende Tiergemeinschaft) ist hier besonders indiviUnter dem Mikroskop wird die große Formenvielfalt des Phytoplanktons sichtbar.
Gut gemischt
duenreich. Unzählige Muscheln und Borstenwürmer
ernähren sich vom Plankton, indem sie es aus dem
Wasser filtern. Diese Tiere sind wiederum die Haupt-
Die Doggerbank ist eine „biogeographische Schei-
nahrung für viele Fische. Das reichhaltige Nahrungs-
de“. Denn hier treffen die Wassermassen des kalten,
angebot lockt Fischschwärme an, darunter viele
nördlichen atlantischen Stroms auf die wärmeren der
Arten, die für die Fischerei von Bedeutung sind wie
südlichen Nordsee aufeinander. Dies hat natürlich
Kabeljau, Schellfisch, Scholle, Seezunge und Sandaal.
auch Auswirkungen auf die Tierwelt. So kommen im
Der Fischreichtum macht die Doggerbank zum Fut-
nördlichen Teil der Doggerbank vor allem kältean-
tergrund für Seehund und Schweinswal. Arten wie
gepasste Arten vor, im Süden findet man hingegen
Weißschnauzendelfin und Zwergwal suchen die
wärmebevorzugende Spezies.
Doggerbank bei ihren jährlichen Wanderungen auf.
Das Wasser über der Sandbank ist ständig in Bewe-
Selbst die seltenen Riesenhaie werden hier regelmä-
gung: Durch Wirbelbildung gelangt warmes Oberflä-
ßig gesichtet, wie sie mit weit geöffnetem Maul das
chenwasser auch zum Grund.
Plankton aus dem Wasser filtrieren.
Diese fortwährende Durchmischung des Wasserkör-
Auch viele verschiedene Vogelarten wie der Eissturm-
pers führt zu einer guten Verteilung der Nährstoffe
vogel finden hier ihre Nahrung. Vor allem im Herbst
über der Doggerbank. Phytoplankton gedeiht unter
und Winter halten sich auch viele Basstölpel, Trottel-
diesen Bedingungen hervorragend und das ganze Jahr
lummen, Tordalk und Möwenarten in dem Gebiet auf.
über.
15
Factsheet Doggerbank
Lebensraumtyp
Sandbank - größte Sandbank in der Nordsee
Schutzstatus
FFH- Schutzgebiet seit 2008
Ausdehnung
1.600 km²
Tiefe
zwischen 13 und 40 Metern
Meeresboden
Sedimente (Sand, Schill,
Kies, Schlick)
Strömungen
biogeographische Scheide,
Mischung von kalten und
warmen Wassermassen,
Wirbelbildung
Artengemeinschaften MZB
Flohkrebs - TellmuschelGemeinschaften, Zierlicher
Schlangenstern
FFH/VS-RL-Arten
Schweinswal, Seehund
Rote-Liste-Arten
MZB
38
Ein Tordalk (Alca torda) hat Sandaale erbeutet
Fischfang ohne Ende?
Jahrzehntelang war die Doggerbank eines der wichtigsten Fanggebiete in der zentralen Nordsee. Heringsschwärme kamen zum Laichen hier her, große
Rochen schwebten dicht über dem Sandboden,
Schellfische und Kabeljau suchten nach Fressbarem.
Reiche Beute war den Fischern garantiert. Seit 1950
MZB: Makrozoobenthos = makroskopische, den Boden
bewohnende Tiere.
hat sich die Fischereiaktivität hier vervielfacht. Doch
heute ist das Gebiet stark überfischt. Die Bestände
mehrere Male im Jahr. Langlebige Arten haben kaum
vieler wichtiger Speisefischarten sind zusammenge-
mehr eine Chance, alt genug zu werden, um sich zu
brochen oder akut bedroht.
vermehren. Durch diesen menschgemachten Selek-
Doch auch die Bodenfauna nimmt durch die inten-
tionsdruck hat sich die Artenzusammensetzung der
sive Fischereiaktivität Schaden. Besonders die beim
Bodenfauna schon verändert. Auf lange Sicht werden
fischen von Muscheln, Plattfischen und Krabben ein-
langlebige Arten verdrängt und durch andere ersetzt
gestezten schweren Grundschleppnetze durchpflü-
werden, deren Populationen sich schneller wieder
gen den Meeresgrund zentimetertief, häufig gleich
erholen.
Die Kraft der Schallwellen
Bei der Suche nach Öl und Gas werden hydroakustische
Untersuchungsmethoden eingesetzt: Druckluftpulser feuern
von Schiffen im Sekundentakt einen lauten, explosionsartigen Knall ab. Die Schallwellen dringen über den Wasserkörper bis tief in die Erdkruste ein. Aus dem reflektierten Schall
kann abgelesen werden, wo sich Lagerstätten befinden.
Die Lautstärke von über 260 dB führt bei Walen und
Delfinen zu schweren Gehörschäden bis zur Taubheit. In
unmittelbarer Nähe wirkt der Schall sogar tödlich. Sämtliche Meerestiere, auch Fische und Vögel, die in dem Untersuchungsgebiet leben, werden in einem Radius von bis
zu 70 km massiv gestört und für längere Zeit aus ihrem
angestammten Lebensraum vertrieben. Besonders für die
Doggerbank ist dies ein Konfliktthema, da Schweinswale
dieses Gebiet intensiv nutzen. Unter anderem werden hier
oft Weibchen mit Jungen gesichtet.
16
Schweinswal (Phocoena phocoena)
Borkum Riffgrund das Robbenrevier
Verknüpfte Vielfalt
Borkum Riffgrund weist auf kleiner Fläche viele
verschiedene Bodenstrukturen auf. Wegen der
Vielfalt an Lebensräumen können sich eine Fülle
von Artengemeinschaften ansiedeln: die TellinaFabula – Gemeinschaft der Weichböden, die
Goniadella-Spisula – Gemeinschaft der Grobsande und Riff-Gemeinschaften. Das Gebiet liegt
im Einstrombereich des Atlantikwassers, das aus
dem Ärmelkanal und aus der westlichen Nordsee
einfließt. Diese Lage im Zirkulationssystem der
Nordsee begünstigt die Ausbreitung von Arten
zwischen dem Atlantik, dem Ärmelkanal und
dem ostfriesischen Wattenmeer: planktonische
Larven vieler Arten treiben mit den Strömungen
in neue Siedlungsgebiete.
Darüber hinaus kommen besonders geschützte
Arten im Borkum Riffgrund vor: Schweinswal,
Seehund, Kegelrobbe und der Wanderfisch Finte.
Die Kegelrobbe ist in der deutschen Nordsee
sehr selten, deshalb ist der Schutz des Borkum
Riffgrunds als geeigneter Jagdgrund und Migrationskorridor in der Nähe ihrer Liegeplätze im
Wattenmeer besonders wichtig.
Die Kegelrobbe (Halichoerus grypus) erkennt man an ihrer
langen, kegelförmigen Schnauze. Sie ist eine von 3 Robenarten
die vor der Deutschen Küste vorkommen
Rifflandschaft vor Deutschlands Küste
Borkum Riffgrund ist ein Areal im Westen der Deutschen
Bucht, geprägt von einem Mosaik aus sandigen Böden und
felsigen Stellen mit kleinen Riffen.
Das Gebiet liegt nördlich der ostfriesischen Inseln Borkum
und Juist. Im Westen grenzt es an die AWZ der Niederlande. Im Süden verläuft die Grenze entlang des deutschen
Küstenmeeres vor Niedersachsen (Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer).
Borkum Riffgrund umfasst etwa 625 km² mit Wassertiefen
zwischen 20 und 30 Metern. Anders als der Name vermuten lässt, sind nach FFH-Richtlinie ca. 521 km² als
Sandbankhabitat klassifiziert und nur 23 km² als Riffe.
Hier kommen zahlreiche Rote-Liste-Arten vor.
Meeresschutzgebiet Borkum Riffgrund
Einsiedlerkrebse (Pagurus bernhardus) schleppen ihre
Behausung, meist ein leeres Schneckenhaus mit sich
herum.
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Seeanemone (Metridium
senile), Sepien bei der
Eiablage (Sepia officinalis), Seehase (Cyclopterus
lumpus)
Viel Abwechslung auf kleiner Fläche
Das Besondere an Borkum Riffgrund ist die abrupt
Insgesamt hebt sich der Borkum Riffgrund durch
und kleinräumig wechselnde Verteilung des Sedi-
die Vielfältigkeit der Bodenstruktur und seiner Sedi-
ments. Strömungen lagern die oberen Sandschichten
mente deutlich von den umgebenden Gebieten ab.
ständig um und gestalten so diesen Lebensraum
Im Borkum Riffgrund formen Riffe und Sandbänke
ständig neu. Unter der mobilen Sandschicht liegt eine
ein komplexes System aus Lebensräumen von hohem
ca. 10 bis 40 m starke Schicht aus eiszeitlichen Fein-
ökologischem Wert. Die Variation der Meeresboden-
bis Grobsanden. Große Gesteinsbrocken schauen hier
beschaffenheit führt zu einem bunten Nebeneinander
und da aus dem Sand hervor und bieten Siedlungs-
von zahlreichen Tierarten auf vergleichsweise kleiner
raum für Riffgemeinschaften.
Fläche.
Moment mal – Riffe in der deutschen Nordsee?
Riffe – dieser Begriff lässt Bilder von exotischen Korallenriffen und paradiesischen Stränden vor dem inneren Auge
auftauchen. Dabei ist die wissenschaftliche Definition eines „Riffs“ überhaupt nicht malerisch:
„ […] untermeerische turm- oder barrenartige Erhebung (Untiefe) mit meist steilen Hängen, aus freiliegendem Felsgestein (Felsriff), Kies oder Sand (Schaar) oder - vor allem - koloniebildenden Organismen (Korallen, Algen, Schwämmen usw.) bestehend. […]“ Murawski, H. & Meyer, W. (1998): Geologisches
Text beginnt Wörterbuch. - 10. Aufl.: 278 S.; Stuttgart
(Enke).
Demnach werden Strukturen von festem Gestein (Hartsubstrate)
am Meeresboden schon Riff genannt: ein Riff geogenen Ursprungs.
Riffe können aber auch biogenen Ursprungs sein, d.h. sie entstehen durch das Wachstum von Lebewesen bzw. durch wiederholtes
Aufwachsen neuer Organismen. Neben dem bekannten Beispiel des
Korallenriffs gibt es auch Muschelriffe und Riffe aus den Wohnbauten von Borstenwürmern (Sabellaria-Riffe). Auch in der Nordund Ostsee gibt es Riffe. Hier bilden hauptsächlich Geröllfelder und
große Steine den Kern, auf dem das Leben dort im wahrsten Sinne
der Wortes fußt. Daneben gibt es viele Miesmuschelbänke und
auch einige wenige Sabellaria-Riffe in Küstennähe. Riffe beherber- Riffgemeinschaft in der Nordsee
gen eine reiche Artengemeinschaft, da sie Schutz und Nahrung bieten. Gerade alte Riffe weisen eine enorme Artenvielfalt auf. Vor allem festsitzende (sessile) Lebewesen sind auf die
festen Strukturen der Riffe angewiesen. Diese Tiere werden als Epifauna bezeichnet.
Ein Riff zeichnet sich immer durch seine besondere Bodenstruktur und Strömungseigenschaften aus. Will man diesen
artenreichen Lebensraum erhalten, dürfen die vorhandenen Strukturen aus Steinen und Felsen und die Wasserzirkulation nicht gestört werden. Auch das Vorkommen von Plankton und Nährstoffen sowie die Ablagerung von Partikeln
(Sedimentation) bestimmen über die „Gesundheit“ des Riffs. Ein zerstörtes Riff baut sich gar nicht oder nur sehr
langsam wieder auf, deshalb müssen Eingriffe in den Lebensraum verhindert werden. Gefahr droht den Riffen vor
allem durch Fischerei, die mit ihrem schwerem Geschirr Riffe beschädigt, Schadstoffe und Öl, Eutrophierung sowie
durch Kies- und Sandabbau. Hier reichen oft schon Abbauaktivitäten in der Nähe der Riffe aus, um die Organismen
unter einer dicken Schicht aufgewirbelten Sediments zu begraben. Miesmuschelbänke reagieren dazu empfindlich
auf die Entnahme von Jungmuscheln durch die Muschelfischerei und Baggergutverklappungen.
18
Korallen in der Nordsee – die Tote Mannshand (Alcyonium digitatum)
Die Tote Mannshand, auch Tote Meerhand genannt, gehört zu den Lederkorallen. Im Gegensatz zu ihren Verwandten,
den Steinkorallen, haben diese „weichen“ Korallen kein festes Kalkskelett und bilden keine Riffe. Ihre Larven treiben
mit der Stömung, um sich, sobald sie einen freien festen Platz gefunden haben, anzusiedeln. Sie ernähren sich von
Plankton, welches sie mit ihren Tentakeln aus dem Wasser fischen.
Man findet die Tote Mannshand auf festem Untergrund ab 20 m Tiefe in Nord- und Ostsee, im europäischen Atlantik und im Ärmelkanal. Sie kann weiß, gelblich, hellorange oder rosa gefärbt sein. Ihren seltsamen und makaberen
Namen hat sie daher, dass sie in Form und Farbe der Hand einer Wasserleiche ähnelt.
Von Weichböden zu Mini-Riffen
In den geschützten feinsandigen Abschnitten des
Gebiets Borkum-Riffgrund leben die für Weichböden
typischen Arten der Tellmuschel (Tellina fabula)Gemeinschaft. Dort, wo der Sand gröber ist und mehr
Umlagerungen stattfinden, dominieren KnäuelwurmTrogmuschel (Goniadella-Spisula)-Gemeinschaften.
Doch nicht nur Sandkörnung spielt für das Gebiet
eine Rolle: die vielen vereinzelt herumliegenden Steine bieten Lebensraum für ganz andere Lebewesen.
Auf den „Mini-Riffen“ sitzen Seenelken, Tote Mannshand, Zypressenmoos, Seescheiden, Moostierchen
und Schwämme.
Von den etwa 40 Fischarten, die im Borkum Riffgrund
vorkommen, stehen fünf auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten des deutschen Wattenmeer- und
Nordseebereichs. Dazu gehören die Wanderfische
Die Tote Mannshand (Alcyonium digitatum)
braucht festen Untergrund.
Factsheet Borkum Riffgrund
Lebensraumtyp
Sandbank mit Riffanteilen
Schutzstatus
FFH-Schutzgebiet seit 2008
Ausdehnung
625 km²
Tiefe
zwischen 20 und 30 Metern
Meeresboden
Sedimente (Feinsand, Grobsand, Kies), Hartsubstrate
(Steine)
Strömungen
Gezeitenströmung
Artengemeinschaften MZB
Tellmuschel-Gemeinschaften,
FFH/VS-RL–Arten
Finte, Flussneunauge,
Schweinswal, Seehund,
Kegelrobbe
Rote-Liste-Arten
Fische
Finte, Flussneunauge,
Kleines Petermännchen,
Großer Scheibenbauch,
Große Seenadel
Finte und Flussneunauge, das Kleine Petermännchen,
der Große Scheibenbauch sowie die Große Seenadel.
Auch die für die Fischerei wichtigen Fischarten wie
Hering, Sprotte, Scholle und Kabeljau haben hier
ihre Kinderstuben. Schweinswale und viele Seevögel
suchen das Gebiet regelmäßig zum Jagen auf. Für
Kegelrobben und Seehunde ist die Nähe dieses Nahrungsgrundes zu ihren Liegeplätze im Wattenmeer
von besondere Bedeutung.
Knäuelwurm-Trogmuschel–
und Riffgemeinschaften
MZB: Makrozoobenthos = makroskopische, den Boden
bewohnende Tiere.
Die Kamm-Furchenschnecke (Janolus chistatus) weidet
in den Riffen die Moostierchen von den Felsen ab.
19
Riffe
in Nord- und Ostsee
Die schrittweise Besiedelung eines Riffs (Sukzession)
Als Sukzession bezeichnet man die sich mit der Zeit auf einem gegebenen Areal einander ablösenden Lebensgemeinschaften von Organismen. In der Nord- und Ostsee besteht der Boden hauptsächlich aus Sand oder Schlick und
beherbergt eine speziell an diese Bedingungen angepasste Fauna. Ein nackter Felsen hingegen bietet Lebensraum für
viele Tierarten, die auf festen Grund angewiesen sind.
Deshalb bleiben Hartsubstrate wie größere Kiesel, Steine und Felsen unter Wasser nicht lange unbesiedelt. Die ersten
Ankömmlinge (Primärbesiedler) versuchen, freie Areale schnell für sich zu erobern. Im Verlauf der Jahre siedeln sich
immer wieder neue Arten an und verdrängen oder „übersiedeln“ die vorhandenen Lebewesen, bis ein mehr oder
weniger stabiles Stadium (Klimax) erreicht ist. Es zeichnet sich durch eine hohe Artenvielfalt und zahlreiche spezialisierte Lebewesen aus und ist deshalb ein besonders wertvolles Habitat. Dieses Stadium ist stabil, solange Strömung,
Salzgehalt und Lichtverfügbarkeit unverändert bleiben. Doch durch natürliche Störungen, aber auch Beschädigungen
durch Fischereigeräte, Kiesabbau und Bauwerke ändert sich die Zusammensetzung der Artengemeinschaften immer
wieder. So kommt es häufig vor, dass Riffgemeinschaften ein oder mehrere Sukzessionsstadien zurückgeworfen werden. Dadurch gehen wertvolle Habitate verloren.
1. Larvenfall von Mytilus edulis
(sogenanne Veliger-Larven) und
Metamorphose Jungmuscheln
(5 mm Größe) stoßen auf kleinräumiges Ansiedlungssubstrat
(Steine, Kiesel, Fischernetz)
Kasten: Veliger-Larve
Röhrenpolyp
(Tubularia larynx)
2. Anheftung mit Byssusfäden
Kasten: Miesmuschel mit
Byssusfäden
3. Wachstum der Muscheln und
damit der Schalenoberfläche,
Einspinnen von Schalenresten
mit Byssusfäden, Bildung eines
Schlickpolsters durch Pseudofaeces
Kasten: Filtration des Meerwassers, Ausscheiden nicht verwertbarer Partikel (Pseudofaeces)
20
Seepocken
(Balanidae)
Schwamm
(Reniera aquaeductus)
Biogene Riffe in der Nord- und Ostsee: Ein Muschelriff entsteht
Miesmuschelbänke sind biogene, d.h. eine von Lebewesen erzeugte Riffstruktur. In den deutschen Meeresgebieten
sind die riffbildenden Tiere vor allem Miesmuscheln (Mytilus edulis), in der Nordsee auch die eingewanderte pazifische Auster (Crassostrea gigas). Eine Miesmuschel produziert 5 bis 10 Millionen Eier, aus denen freischwimmende
(planktonische) Trochophora-Larven schlüpfen. Aus ihnen entwickeln sich wiederum die Veliger-Larven. In diesen
planktontischen Larvenstadien werden sie durch Meeresströmungen teilweise mehrere hundert Kilometer weit verdriftet. In dieser Zeit werden fast 99,9 % von ihnen gefressen. Haben die überlebenden Larven eine Größe von etwa
3 mm erreicht, setzen sie sich an Steinen, Muschelschalen und Algenfäden fest und entwickeln sich zu Jungmuscheln.
Bis zu einer Größe von 5 cm sind die Muscheln noch mobil, bis sie einen geeigneten Platz gefunden haben, wo sie
sich mit ihren Byssusfäden endgültig fest verankern. Dabei suchen sie die Nähe zu ihren Artgenossen, so dass sich
schnell größere Ansammlungen zusammenfinden. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ihre in die Wassersäule abgegebenen Samenzellen die ebenfalls davontreibenden Eizellen erfolgreich befruchten.
Miesmuscheln sind Filtrierer, das heißt sie entnehmen ihre Nahrung aus dem sie umgebenden Meerwasser. Winzige
Nahrungsteilchen bleiben an den Kiemen hängen und werden zur Verdauung in den Magen geschleust. Unverwertbare Reste werden ausgeschieden (Pseudofaeces) und sammeln sich zu einer dicken Schicht zwischen den Muscheln an.
Diese mit Muschelkot gefüllten Zwischenräume bilden einen ganz eigenen Lebensraum. Viele verschiedene Würmer
finden hier immer noch verwertbare Nahrungspartikel. Auch die Schalenoberfläche größerer Muscheln bietet Platz
für neue Lebewesen wie Seepocken, Moostierchen und Polypen. Mit dem Wachstum der Muscheln wird auch das
Netz aus Byssus-Fäden erweitert und die Struktur immer größer und stabiler. Selbst große Braunalgen, z.B. Zuckertang, finden nach einiger Zeit auf der Muschelbank genügend Halt.
Das erweiterte Nahrungsangebot lockt nun auch Räuber wie Schnecken, Krebse und Seeigel an, die die Muscheloberflächen abweiden oder die Muscheln fressen und somit Platz für neue Muscheln schaffen. Durch Rekrutierung neuer
Generationen von Miesmuscheln, die sich auf und zwischen die älteren Tiere setzen, wächst die Bank unter guten
Bedingungen beständig, wobei die älteren Tiere nach und nach unter dem Kot der oberen Tiere ersticken.
4. Die geschaffenen Lebensräume Schlick, Muschelschale
und Zwischenräume (Byssusfädennetz) werden besiedelt.
Kästen: Schnurwurm (Tubulanus superbus), Braunalgen
(Phaeophyceae), Moostierchen
(Membranipora membranacea),
Polypen von Quallen (Hydrozoa), Seepocken (Balanidae)
Einsiedlerkrebs
(Pagurus bernhardus)
5. Das Nahrungsangebot lockt
bewegliche Räuber an (v.l.n.r.):
Seeigel (Echinus esculentus),
Wellhornschnecke (Buccinum
undatum), Taschenkrebs (Cancer pagurus), Seestern (Asterias
rubens), Einsiedlerkrebs (Pagurus bernhardus)
Gemeiner Seestern
(Asterias rubens).
6. Wachstum durch Rekrutierung neuer Muschelgenerationen, Nahrung und Versteckmöglichkeiten für Fische
Taschenkrebs
(Cancer pagurus)
Zeichnungen: Eike Holzkämper
21
Sylter Außenriff buntes Leben im Auftriebsgebiet
Schutz für die Meeressäuger
Das Sylter Außenriff ist mit insgesamt 5314 km2
das größte Schutzgebiet Deutschlands und zugleich die größte Riffstruktur in der deutschen
Bucht.
Dieses Gebiet ist für den Schutz der Meeressäuger Seehund, Kegelrobbe und besonders des
Schweinswals von zentraler Bedeutung. Hier werden die größten Ansammlungen der gefährdeten
Kleinwale in der gesamten Nordsee beobachtet.
Das Sylter Außenriff dient den Schweinswalen
als Jagdgrund, Durchzugs- und Paarungsgebiet.
Auch Mutter-Kalb-Paare werden hier regelmäßig
gesichtet. Für Seehunde und die seltenen Kegelrobben ist das Sylter Außenriff ebenfalls ein
wichtiges Jagdgebiet.
Doch nicht nur für Meeressäuger ist das Sylter
Außenriff von unschätzbarem Wert. Besondere
Strömungsverhältnisse und sein Strukturreichtum
machen dieses Gebiet zu einem einzigartigen Lebensraum. Insgesamt 42 Rote-Liste Arten wurden
hier schon nachgewiesen.
Deshalb muss das Sylter Außenriff vor Eingriffen
durch den Menschen besonders geschützt werden. Doch schon heute führt eine starkbefahrene
Schifffahrtsroute durch das Gebiet, werden an
seinen Grenzen nach Öl und Gas gesucht und
Offshore-Windparks samt Kabelanbindungen
errichtet.
Eine Minimierung der negativen Auswirkungen
auf dieses wertvolle Gebiet ist eine große Herausforderung für die Zukunft.
Finne eines Schweinswals (Phocoena phocoena). Die
Tiere sind noch häufig im Sylter Außenriff anzutreffen.
Ein Riff im Flussbett
Würde man den Meeresspiegel der Nordsee um 40
Meter absenken, würde das Sylter Außenriff sehr einer sanften Flusslandschaft ähneln. Denn noch heute
lässt sich am Meeresgrund erkennen, wo sich einst
die Elbe durch die eiszeitlichen Tundren ihren Weg
bahnte, als der Meerspiegel noch deutlich niedriger
lag. Das Flussbett hebt sich deutlich als 10 Meter
Die Violette Fadenschnecke (Flabellina
pedata) ist im Sylter Außenriff häufig.
22
Im Zentrum des Schutzgebietsnetzes
Das 5314 km² große Sylter Außenriff liegt in der Deutschen Bucht westlich des nordfriesischen Wattenmeeres
und nördlich der Insel Helgoland vor Sylt und Amrum. Es
beinhaltet eine große Sandbank (87 km²) und zahlreiche
Steinriffe (154 km²). Die Wassertiefen betragen zwischen
8 m und 48 m und fallen nach Westen hin ab.
Das Sylter Außenriff umfasst die Sylt-Amrumer Außengründe mit der Amrumbank und die nordöstlichen Hänge
des Elbe-Urstromtals. Das Elbe-Urstromtal ist ein eiszeitliches Relikt des Stromtals der Elbe. Noch heute ist das
ehemalige Flussbett als breite Rinne in der Nordsee zu
erkennen. Im Norden grenzt das Sylter Außenriff an die
AWZ von Dänemark. Im Osten überlagert sich die Schutzgebietszone um etwa 3000 km² mit dem Vogelschutzgebiet “Östliche Deutsche Bucht”. An der Grenze zum
Küstenmeer schließt das Sylter Außenriff an das Kleinwalschutzgebiet im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches-Wattenmeer an.
Der Langstachlige Seeskorpion (Taurulus bubalis) ist ein kleiner
Räuber in den Riffen
Ein Riff für Stachelhäuter
Auf den sandigen Böden des Sylter Außenriffs dominiert wie schon auf der Doggerbank die Tellmuschel
(Tellina fabula)–Gemeinschaft. Auch die für grobsandiges und kiesiges Substrat typischen KnäuelwurmTrogmuschel (Goniadella-Spisula)–Gemeinschaften
sind hier häufig vertreten.
Außergewöhnlich ist jedoch die Vielfalt der Riffgemeinschaften im Sylter Außenriff. Jeder Stein ist
dicht besiedelt von Seenelken, Toter Mannshand,
Blättermoostierchen, Seescheiden und Schwämmen.
Das FFH-Meeresschutzgebiet Sylter Aißenriffs ist das größte
Schutzgebiet in Deutschland
Dazwischen wandern gemächlich die Räuber Seeigel,
und Meeresschnecken. Da ihre Hauptnahrung, die
tiefe, mit Sand und Kies gefüllte Mulde vom umge-
Moostierchen, fest auf Steinen und Algen wachsen,
benden Meeresgrund ab.
kommt es bei ihrer Jagd nicht auf Geschwindigkeit
An den Flanken der Mulde haben einst die eiszeitli-
an. Seeigel gehören genauso wie Seesterne zum Tier-
chen Gletscher und die Elbe große Gesteinsbrocken
stamm der Stachelhäuter.
abgeladen. Diese bilden heute die Grundlage für die
großen Riffstrukturen, die dem Gebiet den Namen
gegeben haben.
Felsbrocken werden schnell
besiedelt.
Der Kuckuckslippfisch (Labrus mixtus)
lebt an algenbewachsenen Felsen.
Der Knotige Seestern (Hippasteria phrygiana)
gehört zur Famile der Stachelhäuter.
23
Da die großen Steinbrocken eine Befischung mit
Grundschleppnetzen unmöglich machen, sind die
Steingründe wichtige Rückzugsgebiete für Fische
und die häufig als „Beifang“ mitgefischten Bodenbewohner. Viele der hier vorkommenden Rifflebewesen
finden sich auch auf den bekannten Felsriffen bei
Helgoland, sind aber sonst in der Deutschen Bucht
sehr selten. 42 Rote-Liste-Arten kommen im Sylter
Außenriff vor, von denen 15 auf Steinriffe als Lebensraum angewiesen sind. Besonders Seesterne und Seeigel sind in diesen Bereichen sehr häufig. Von hier aus
erobern ihre Larven, von den Strömungen getragen,
Fischschwarm in der Nordsee
neue Lebensräume und sorgen dafür, dass die von der
Fischerei geschädigten Gebiete neu besiedelt werden.
Hier hat der Schweinswal sein „Zuhause“
Der Fischreichtum des Sylter Außenriff und seine relative Nähe zum Land macht dieses Gebiet zu einem
wichtigen Jagdrevier für Seevögel und Robben. Viele
Seeigellarven lassen kaum
erahnen zu welchem Tier sie
heranwachsen werden.
der auf Helgoland brütenden Basstölpel und Lummen
finden hier die Nahrung, mit denen sie ihre Jungen
großziehen. Seehunde und Kegelrobben nutzen das
Gebiet ebenfalls für die Jagd nach fetten Fischen.
Das Sylter Außenriff ist zudem der „Hot Spot“
für Schweinswale. Von den geschätzten 38.000
Schweinswalen in Nord- und Ostsee halten sich
Auftrieb sorgt für einen gedeckten Tisch
flinken Tiere finden sich hier zu großen Gruppen zu-
An den nordöstlichen Hängen des Elbe-Urstromtales
sammen und jagen gemeinsam nach Fischen, Krebsen
führen Strömungen zum Aufsteigen wärmerer Was-
und Tintenfischen. Zudem werden häufig Muttertiere
sermassen an die Oberfläche. Diese Auftriebsgebiete
mit sehr jungen Kälbern gesichtet. Deshalb ist das
zeichnen sich durch besonders viel Phytoplankton
Sylter Außenriff von internationaler Bedeutung für
aus, weil in den aufströmenden Wassermassen hohe
den Schutz der Schweinswale -einer der Hauptgründe
Konzentrationen von Stickstoffverbindungen und
für die Meldung als Natura 2000-Gebiet im Jahre
Phosphaten gelöst sind. Diese Substanzen „düngen“
2008.
das Oberflächenwasser und führen so zu einem explosionsartigen Wachstum des Phytoplanktons, der
Basis der Nahrungskette im Meer.
24
über 10.000 regelmäßig im Sylter Außenriff auf. Die
Auftriebsgebiete und ihre Bedeutung
Temperatur und Salzgehalt bestimmen die Dichte von Wasser; je kälter und salzhaltiger, umso schwerer ist es. Treffen Wassermassen mit unterschiedlicher Dichte aufeinander, bilden sie übereinander gelagerte Schichten: kaltes und
salzhaltiges Wasser unten, warmes und salzarmes Wasser oben.
Zwischen den Wasserschichten bildet sich eine sogenannte Sprungschicht. In der schmalen Sprungschicht ändern
sich Temperatur oder Salzgehalt von oben nach unten rasch. Sehr leichte Partikel (z.B. Plankton) und gelöste Stoffe
(z.B. Nährsalze, Sauerstoff) durchdringen diese Grenze oft nicht, sondern sammeln sich an diesen Sprungschichten.
Erst durch Stürme, starke Winde oder einem Abkühlen und damit einhergehender größerer Dichte des Oberflächenwassers im Winter kommt es zu einer Durchmischung der Schichten.
Größere Partikel organischen Materials hingegen sinken auf den Meeresboden herab und werden von Bakterien zersetzt. Die dabei freigesetzten Stoffe, wie Nitrat und Phosphat sind wichtige Nährsalze für das Phytoplankton. Dieses
kommt jedoch nur in den oberen, von Licht durchdrungenen Wasserschichten der photischen Zone vor. Das Tiefenwasser ist normalerweise durch Schichtung vom Oberflächenwasser getrennt, so dass die vom Phytoplankton benötigten Nährsalze es nicht erreichen. Doch in Gebieten, wo unterschiedlich dichte Wassermassen aufeinander treffen,
schiebt sich das kältere und/oder salzreichere und damit dichtere Wasser unter das wärmere und/oder salzärmere
Wasser. Dieses steigt an die Oberfläche und mit ihm werden die gelösten Nährsalze vom Grund zum Phytoplankton
an die Oberfläche transportiert. Der Kreislauf beginnt von vorn.
Beim Auftrieb handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel aus Wind, Meeresströmungen und anderen Faktoren
wie der Dichte des Wassers. Die produktivsten und fischreichsten Gebiete der Erde, beispielsweise vor Peru und Mauretanien, sind riesige, vom Wind angetriebene Auftriebsgebiete. Permanent blasen hier die Passatwinde das Oberflächenwasser von der Küste weg, Richtung offenen Ozean. Nährstoffreiches Tiefenwasser fließt beständig nach oben
und nimmt den Platz der oberen Wasserschicht ein, bis es vom Wind weiter getrieben wird. Diese „Pumpe“ treibt das
globale Strömungsystem der Erde mit an.
Und in der Nordsee? Da die Nordsee ein sehr flaches Meer ist, sind ausgeprägte dauerhafte Schichtungen wie in den
tiefen Ozeanen eher selten. Doch grade während warmer Sommer kommt es auch in der Nordsee zu sehr stabilen
Schichtungen, die zu einer deutlichen Verknappung der Nährsalze im Oberflächenwasser führen. So führt das Aufeinandertreffen warmer Wassermaßen aus der südlichen Nordsee und kalter aus dem Norden, noch begünstigt durch
die Bodenstruktur der Doggerbank, dort zu idealen Wachstumsbedingungen für Phytoplankton. Ansonsten führen
häufig Stürme, kurzfristige Wasserwirbel oder Meeresströmungen zur explosionsartigen Vermehrung von Mikroalgen, auch Phytoplanktonblüten genannt. Sie sorgen zeitweise für eine sehr hohe Produktion von Biomasse.
Gefahr für das Sylter Außenriff
Vor allem Grundschleppnetze fügen der gefährdeten
Rifffauna verheerende Schäden zu. Stellnetze, die für
den Herings- und Kabeljaufang eingesetzt werden,
sind eine ständige Bedrohung für Schweinswale und
Meeresenten. Denn Leicht verfangen sich die Tiere in
den für sie unsichtbaren Netzen und ertrinken. Lärm
und giftige Substanzen von den Offshore-WindanEin toter Schweinswal
am Strand. Opfer eines
Stellnetzes?
lagen, Öl- und Gasplattformen und unterseeische
Pipelines an den Grenzen des Schutzgebiets belasten
die Lebewesen im Sylter Außenriff ebenfalls. Gerade
Schweinswale reagieren sehr empfindlich auf Unter-
Auch Seevögel verfangen sich immer wieder
in Fischernetzen.
wasserlärm.
25
Saugbagger für den Kies- und Sandabbau.
Kritischer Kiesabbau
Außerordentlich kritisch ist der Sand- und Kiesabbau
unter Wasser. Denn mit dem Sand verschwindet der
ganze Lebensraum vieler Lebewesen, und es kann
Jahre dauern, bis die ausgebaggerten Stellen sich
wieder mit Sand gefüllt haben und wiedebesiedelt
wurden. Doch häufig finden sich danach andere Arten als vor dem Eingriff. Es kommt zu einer Verschiebung hin zu opportunistischen Arten.
Das ist nicht das einzige Problem. Denn beim Baggern
werden ungeheure Mengen feinen Sediments aufgewirbelt, welches mit der Strömung verteilt wird. So
können noch in einigen Kilometern Entfernung Riffe
unter einer dicken Schlickschicht begraben werden.
Durch den Lärm, der beim Ausbaggern entsteht, werden die hier lebenden Fische, Schweinswale, Robben
und Seevögel vertrieben. Vor allem der Lebensraum
der Sandaale, ein wichtiger Beutefisch für Seevögel
und Meeressäuger, wird dauerhaft zerstört. Diese
Fische sind auf kiesigen bis grobsandigen Grund
angewiesen.
Derzeit findet zum Glück kein Sand- und Kiesabbau
im Sylter Außenriff statt. Dennoch wurden Schürf-
Sandaale (Ammodytidae) brauchen sandigen Untergrund
zum Überleben.
Factsheet Sylter Außenriff
Lebensraumtyp
Riff, Sandbank
Schutzstatus
FFH-Schutzgebiet seit 2008
Ausdehnung
5314 km²
Tiefe
zwischen 8 und 48 Metern
Meeresboden
Hartsubstrate (Steine)
Sedimente (Sand, Kies)
Strömungen
unregelmäßiges Auftriebsgebiet
Artengemeinschaften MZB
Tellmuschel-, KnäuelwurmTrogmuschel- und Riffgemeinschaften
FFH/VS-RL–Arten
Finte, Flussneunauge,
Schweinswal, Seehund,
Kegelrobbe
Rote-Liste-Arten
MZB
42
rechte für große Kiesvorkommen kurz vor der Meldung als Natura 2000-Gebiet vergeben, die heute
immer noch gültig sind. Der Beginn der Förderung
würde große Teile dieses einzigartigen Gebiets dauerhaft beeinträchtigen.
26
MZB: Makrozoobenthos = makroskopische,
den Boden bewohnende Tiere.
Östliche Deutsche Bucht 3135 km² für den Vogelschutz
Basstölpel (Morus bassanus) bei der Balz auf Helgoland
Ein Schutzgebiets-Netzwerk für Seevögel
Das Vogelschutzgebiet Östliche Deutsche Bucht
ist fast deckungsgleich mit dem Natura 2000Gebiet Sylter Außenriff. Diese Überlappung
von einem Vogelschutzgebiet mit einem FFHSchutzgebiet hat einen einfachen Grund. Durch
die Meldung als Vogelschutzgebiet erhielt dieser
Bereich automatisch den Schutzstatus als besonderes Schutzgebiet (SPA), ohne dass ein langwieriges Verfahren nach der FFH-Richtlinien nötig
wurde (siehe Seite 9). So konnten große Teile
des späteren Natura 2000-Gebiets Sylter Außenriff schon 2005 geschützt werden. Die Eile war
geboten, da zu dieser Zeit die Planung großer
Offshore-Windparks vorangetrieben wurde und
dieses Gebiet so dauerhaft für den Naturschutz
gesichert werden konnte.
Die Meldung als Vogelschutzgebiet war nötig,
weil die Östliche Deutsche Bucht als Rast-, Nahrungs- und Überwinterungsgebiet für viele seltene Seevögel von internationaler Bedeutung ist.
Denn viele der in Deutschland nur auf Helgoland
brütenden Eissturmvögel, Basstölpel und Trottellummen finden dort Nahrung für ihre Jungen.
Die Ausweisung des Sylter Außenriffs nach FFHRichtlinien erfolgte 2008. So schließt der Schutz
jetzt mehr Arten und die wichtigen Habitate
unter der Wasseroberfläche mit ein.
Dreizehenmöwe (Rissa tridactyla)
Vogelschutz vom Sylter Außenriff bis zum Wattenmeer
Die Östliche Deutsche Bucht ist 3135 km² groß und umfasst die Außengründe vor Sylt und Amrum nördlich der
Insel Helgoland, sowie den nordöstlichen Teil des ElbeUrstromtals. Die östliche Grenze bildet das nordfriesische
Wattenmeer in der 12-Seemeilen–Zone.
Somit schließt die Östliche Deutsche Bucht direkt an den
Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und
das Seevogelschutzgebiet Helgoland an. Im Norden grenzt
das Naturschutzgebiet an die ausschließliche Wirtschaftszone von Dänemark. Die Östliche Deutsche Bucht ist fast
deckungsgleich mit dem östlichen Teil des Sylter Außenriffs; die Naturschutzgebiete überschneiden sich um etwa
3000 km².
Das Vogelschutzgebiet Östliche Deutsche Bucht überscheidet sich mit dem FFH-Schutzgebiet Sylter Außenriff
27
Ein Schlaraffenland für die Seevögel
Kleine Fische, Muscheln und Würmer sind die Hauptnahrungsquelle für viele Vögel, die die Östliche Deutsche Bucht aufsuchen. Und diese gibt es hier reichlich
auf und in dem sandigen Grund oder auch den Riffen.
Hier sorgt das nährstoffreiche Wasser ganzjährig für
eine hohe biologische Produktivität und somit für
Brandseeschwalbe (Sterna sandvicensis) auf Fischfang.
genügend Nahrung für Seevögel.
Fischer versus Vögel
Viele der auf Helgoland brütenden Basstölpel, Trottellummen und Tordalke kommen bei der Suche nach
Jahrhundertelang profitierten Fischer und Vögel
Fisch bis hier her. Doch von besonderer Bedeutung
voneinander. Die Fischer brauchten nur nach großen
ist die Östliche Deutsche Bucht als Überwinterungs-
Vogelschwärmen am Himmel Ausschau zu halten,
und Mausergebiet für die sehr scheuen Stern- und
und schon wussten sie, wo sich ein lohnender Fang
Prachttaucher. Hier finden sie noch Bereiche, wo sie
verbarg. Umgekehrt ergab sich so für die Seevögel ein
ungestört sind, bis sie im Frühjahr in ihre Brutgebiete,
einfacher und bequemer Weg an Nahrung zu kom-
die Tundren Skandinaviens und Russlands, zurückkeh-
men, in dem sie einfach warteten, bis die Fischer die
ren.
Reste ihres Fangs (Beifang und Fischinnereien) über
Eissturmvögel, die festen Boden nur zum Brüten auf-
Bord warfen. Gerade Möwen, die nur sehr schlecht
suchen, rasten hier während ihrer langen Reisen über
tauchen können, erschlossen sich so eine ergiebige
die Meere. Sie umkreisen gerne Fischerboote in der
Nahrungsquelle, so ergiebig, dass sie sich schnell
Hoffnung, dass auch etwas für sie abfällt.
darauf verlegten, gleich die Fischerboote aufs Meer
zu begleiten.
Fliegende Taucher
Trottellummen (Uria aalge) sind wahre Meister im Tauchen. Bis in Tiefen von über 100 m stoßen sie bei ihren bis zu
6 min langen Tauchgängen vor. Doch meist finden sie ihre Nahrung, vor allem Sandaale und andere kleine Fische, in
flacheren Bereichen. Ein besonderes Ereignis ist jedes Jahr der Lummensprung auf Helgoland. Ende Juli stürzen sich
die jungen, noch flugunfähigen Lummen todesmutig von den Felsen ins tosende Meer und schwimmen davon.
Etwa 4500 der prächtigen Sterntaucher (Gavia stellata) kommen jedes Jahr zum Mausern und Überwintern in die
Östliche Deutsche Bucht. Zum Brüten bevorzugen sie die Weiten der russischen Taiga und die Tundren Skandinaviens.
Sterntaucher sind sehr scheue Vögel. Ständig auf der Flucht vor großen Schiffen, finden sie in Gegenden mit starkem
Seeverkehr keine Ruhe mehr. In Nord- und Ostsee jagen sie vor allem kleine Fische wie den Hering. Die Netze der
Fischer sind dabei eine ständige Gefahr für die Vögel.
Trottellume (Uria aalge)
28
Sterntaucher (Gavia stellata)
Nucula-nitidosa–Gemeinschaft
Namensgebend für diese Nucula-nitidosa–Gemeinschaft ist die kleine Glänzende Nussmuschel (Nucula nitidosa). Sie
teilt sich ihren feinsandigen und schlickigen Lebensraum meist mit der Körbchenmuschel (Corbula gibba) und der
Kleinen Pfeffermuschel (Abra alba). Die drei Muschelarten leben im gleichen Lebensraum, haben sich jedoch in der
Art der Nahrungsaufnahme differenziert. So ernährt sich die Glänzende Nussmuschel von organischem Material, das
sich in ihrem strömungsgeschützten Lebensraum reichlich ansammelt. Dabei durchwühlt sie den Schlick nach Nahrungspartikeln. Die Körbchenmuschel filtriert Nahrungspartikel aus der Wassersäule und zählt damit zu den Suspensionsfressern. Die Kleine Pfeffermuschel wechselt zwischen den beiden Ernährungsweisen hin und her, je nachdem,
was mehr Nahrung verspricht.
Auch Borstenwürmer der Familien Spinonidea und Cirratulidae (z.B. Spio filicornis und Spiophanes bombyx) gehören
zu der Gemeinschaft. Sie durchwühlen ebenfalls den Schlick nach geeigneten Futterpartikeln. Dazu benutzen die
Würmer ihre langen, tentakelähnlichen Fortsätze im Kopfbereich. Immer in Acht nehmen müssen sie sich dabei vor
ihren räuberischen Verwandten, dem Gewöhnlichen Blutwurm (Glycera alba) und dem Opalwurm (Nephtys hombergii).
Ebenfalls typisch für diesen Lebensraum sind der Helle Schlangenstern (Ophiura albida) und die Ruderkrabbe (Liocarcinus depurator). Sie leben im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern dieser Artengemeinschaft auf oder nur
leicht eingegraben im Sand und gehören somit zu den Tieren, die man als Taucher am ehesten auf einer Sandbank zu
Gesicht bekommt. In ihrer Ernährungsweise sind sie wahre Opportunisten. Aas, Detritus, Muscheln, Schnecken und
Würmer - alles was ihnen in die Fangarme kommt, wird gefressen.
An tieferen Stellen wird die Nucula-nitidosa–Gemeinschaft langsam von der Amphiura filiformis–Gemeinschaft abgelöst. Charakteristisch für diese Gemeinschaft ist der Zierliche Schlangenstern (Amphiura filiformis). Er lebt „kopfüber“ im Feinsand eingegraben und fängt im Wasser schwebende Nahrungspartikel mit seinen aus dem Sediment
herausragenden langen Armen ein. Andere typische Arten sind die Längliche Linsenmuschel ( Tellimya ferruginosa)
und der Seeringelwurm (Nereis diversicolor).
V.l.n.r.: Heller Schlangenstern (Ophiura albida), Gläzende Nussmuschel (Nucula nitidosa) und Kleine Pfeffermuschel (Abra alba)
Der Zierliche Schlangenstern (Amphiura
filiformis)
mit seinen charakteristisch langen Armen.
Diese Arme sind das
einzige, was von diesen
Tieren nochrmalerweise
zu sehen ist (rechts)
29
Dennoch sind die Fischernetze eine ständige Gefahr
für alle tauchenden Seevögel. Leicht verheddert sich
ein Vogel, angelockt von zappelnden Fischen, selbst
im Netz und ertrinkt. Wie viele Tiere auf diese qualvolle Weise jedes Jahr sterben, ist unbekannt.
Eine andere Gefahr sind verlorengegangene Schnüre
und Netzteile. Basstölpel bauen diese gerne in ihre
Nester ein und bringen so sich selbst und ihre Jungen
in Gefahr. Jedes Jahr verheddern sich alleine auf Helgoland einige Dutzend dieser prächtigen Vögel in den
Schlingen und verenden, ein trauriger Anblick.
Jagende Basstölpel (Morus bassanus).
Scheuchwirkung
Veränderungen der Meeresbodenstruktur durch
Grundschleppnetze und Sedimentabbau sowie die
intensive Fischerei gefährden auch die Seevögel.
Denn mit dem Verschwinden von Muscheln, Würmern
und kleineren Fischen wird auch den Vögeln ihre
Nahrungsgrundlage entzogen. Dies kann zur Aufgabe
der Gebiete als Jagdgründe und somit zum Verlust
der Vogelarten in der deutschen Nordsee führen.
Netze im Nest, Tote Basstölpel auf Helgoland.
Kritisch für Seevögel sind vor allem Störungen, die
durch Schiffsverkehr und technische Installationen,
Factsheet Östliche Deutsche Bucht
wie dem Bau von Offshore-Windkraftanlagen erzeugt
Lebensraumtyp
Riff, Sandbank
werden. Beeinträchtigt werden besonders Seetaucher,
Schutzstatus
Schutzgebiet nach VS-RL seit
2005
die sehr empfindlich auf Störungen reagieren und
Ausdehnung
3135 km², Überschneidung
mit dem Sylter Außenriff
etwa 3000 km²
Vögel meiden Windkraftanlagen in einem Radius von
Tiefe
zwischen 13 und 40 Metern
Meeresboden
Sedimente (Sand, Kies,
Schlick)
Hartsubstrate (Steine)
Strömungen
unregelmäßiges Auftriebsgebiet
VS-RL–Arten
Sterntaucher, Prachttaucher, Küstenseeschwalbe,
Flussseeschwalbe, Brandseeschwalbe, Zwergmöwe,
Sturmmöwe, Heringsmöwe,
Mantelmöwe, Dreizehenmöwe, Basstölpel, Trottellumme
aus den Baugebieten vertrieben werden. Die scheuen
mehreren Kilometern.
Prachttaucher (Gavia arctica) sind scheue Vögel.
30
Die Ostsee
Natura 2000-Schutzgebiete der deutschen AWZ der Ostsee
Fehmarnbelt
Seite 33
Kadetrinne
Seite 38
Oderbank
Seite 40
Adlergrund und Westliche
Rönnebank
Seite 43
Pommersche Bucht
Seite 46
31
Übersicht
32
Ostsee
Fehmarnbelt:
Dreh- und Angelpunkt zwischen Nord- und Ostsee
Wanderweg für Meerestiere
Fehmarnbelt heißt die Meerenge zwischen den
beiden Inseln Lolland und Fehmarn. Dazwischen
liegt eine 35 Meter tiefe Rinne, in der sich
Tangwälder unter der starken Strömung biegen.
Denn durch die schmale Rinne zwängt sich 70 %
des Nordseewassers, das die Ostsee mit frischem
Sauerstoff versorgt. Gleichzeitig strömt ein
beständiger Strom des brackigen Ostseewassers
Richtung Nordsee. Aber nicht nur ein Großteil
des Wasseraustauschs findet über diese Rinne
statt, mit ihm werden auch die schwimmenden
Larven vieler Meerestiere verbreitet. Schweinswale, Seehunde und Fische müssen ebenfalls bei
ihren Wanderungen den Fehmarnbelt passieren.
Diese besonderen Bedingungen haben zu einer
sehr vielfältigen Fauna und Flora geführt. Muscheln und Braunalgen sind bestens an die Strömungsverhältnisse angepasst. Sie bilden große
Muschelriffe und Tangwälder. Einen einzigartigen Lebensraum bilden die sogenannten „Megarippel“ - bis zu drei Meter hohe Sandrippeln.
Dieser Lebensraum ist jedoch bedroht. Ein Tunnel soll in Zukunft Dänemark und Deutschland
verbinden - mitten durch den Fehmarnbelt.
Nur 18 Kilometer trennen Deutschland und die dänische
Insel Lolland. Das FFH-Schutzgebiet Fehmarnbelt ist das
Nadelöhr deim Austausch zwischen Nord- und Ostsee.
Schmales Band zwischen den Staaten
Das Schutzgebiet „Fehmarnbelt“ ist etwa 280 km² groß
und umfasst die deutsche Ausschließliche Wirtschaftszone
(AWZ) nördlich der Insel Fehmarn. Die AWZ der Ostseestaaten sind in diesem Gebiet ein schmales Band von
wenigen Kilometern Breite, da die Länder (Deutschland,
Dänemark, Polen und Schweden) sehr dicht beieinander
liegen.
Die etwa 18 km breite Meerenge zwischen Fehmarn und
der Insel Lolland in Dänemark verbindet als Seeweg den
westlichen mit dem östlichen Teil der Ostsee. Etwa in der
Mitte des Belts, parallel zur Küste, verläuft ein 9 Kilometer breiter Streifen mit Wassertiefen zwischen 20 und 35
Metern: die Fehmarnbelt-Rinne.
Durch diese Rinne erfolgt ca. 70 % des Wasseraustausches
zwischen den über den Skagerak in die Ostsee einfließenden Nordseewassers und der südlichen Ostsee. Weitere 25 % fließen durch den Øresund zwischen Dänemark
und Schweden.
Die Aalmutter (Zoarces viviparus) kommt in weiten Teilen der
Ostsee vor, auch in den Brackwasserbereichen weiter östlich.
33
Von salzig nach süß
Links: Die Rotalgen Blutroter Meerampfer (Delesseria
sanguinea). Oben: Essbarer Seeigel (Echinus esculentus) auf Zuckertang (Laminaria sachharina) mit einem
Aufwuchs aus Moostierchen (Bryozoa).
Der Fehmarnbelt ist für das Ökosystem der Ostsee
marine Arten endet jedoch ihr Verbreitungsgebiet im
von großer Bedeutung. 70% des Wasseraustauschs
Fehmarnbelt.
zwischen Nord- und Ostsee findet hier statt. Das
Er beherbergt die FFH-Lebensraumtypen „Riffe“
salzreiche und damit dichtere Nordseewasser strömt
und „Sandbänke“. Steine und Muschelschalen sind
am Meeresgrund Richtung Zentrale Ostsee. Darüber
bis in Tiefen von über 20 Metern dicht mit Algen
fließt das leichtere Brackwasser der Ostsee in die
bewachsen. Zuckertang (Laminaria sachharina)
entgegengesetzte Richtung. Dabei vermischen sich
und Meerampfer bilden regelrechte Algenwälder.
die beiden Wasserkörper langsam. Der Salzgehalt des
Zwischen und auf den Algen leben verschiedene
Ostseewassers sinkt von West nach Ost. Schon auf
Schwämme (z.B. Gallert- und Geweihschwamm), Mu-
Rügen schmeckt man kaum noch das Salz im Wasser.
scheln und Schnecken (z.B. die Islandmuschel, grüne
Dies hat Konsequenzen für die Verbreitung vieler
Samtschnecke). Wo die Algen nicht so dicht wachsen,
Arten in der Ostsee. So dominieren im westlichen
findet man ausgeprägte Miesmuschelriffe mit ihren
Teil die marinen Arten, wie sie auch in der Nordsee
typischen Begleitarten wie Seeanemonen, Seesternen
vorkommen. Im Osten hingegen leben viele typische
und Schlammröhrenwürmern vor. Diese Riffe sind ein
Süßwassertiere.
idealer Lebensraum für viele Fische wie den Klippen-
Hechte und Flussbarsche sind hier keine Seltenheit.
barsch (Ctenolabrus rupestris) der hier ausreichend
Andere Arten wie der Ostseehering sind besonders
Schutz und Nahrung findet.
tolerant gegenüber schwankenden Salzgehalten und
kommen fast überall in der Ostsee vor. Für viele
Rot – Grün – Braun: Algenvielfalt in der Ostsee
Algen machen den Hauptteil des Phytoplanktons aus und sind damit ein unentbehrlicher Bestandteil der Meeresumwelt. Diese mikroskopisch kleinen Vertreter der Algen nennt man Mikroalgen. Aber auch die Makroalgen, die Längen
von einigen Metern erreichen können, sind bedeutend für die Nord- und Ostsee. Im Gegensatz zu den Mikroalgen
bestehen sie aus zahlreichen Zellen, die einen strauch- oder blattartigen, festen Körper formen. Makroalgen stellen
Meerestieren einen eigenen Lebensraum zur Verfügung, indem sie Nahrung, Versteckmöglichkeiten und Besiedlungsfläche bieten.
Makroalgen leben meist verankert auf Hartsubstrat und bilden oft dichte Felder. Ihre Verbreitung ist vom Salzgehalt
und der Lichtdurchlässigkeit des Wassers bzw. seiner Tiefe abhängig. Als Photosynthesebetreiber sind sie vom Licht
als Energiequelle abhängig. Alle Makroalgen enthalten den grünen Farbstoff Chlorophyll, der bei der Photosynthese
gebraucht wird und Pflanzen und Algen ihre charakteristische Farbe gibt.
34
Die Sandgrundel (Pomatoschistus minutus) sitzt meist
gut getarnt vor ihrem Sandloch.
Die Gebogene Schwebegarnele (Praunus flexuosus) ist
ein typischer Bewohner der Sandböden.
Megarippel – „Sandbänke“ der
besonderen Art
Die Rippel sind relativ stabil. Bei starken Stürmen
Im südlichen Teil des Schutzgebiets formiert sich der
jedoch können sich die Formationen verändern - neue
Sand am Meeresboden zu einem seltsamen Gebilde,
Rippel entstehen oder wandern weiter. Wie sie genau
den sogenannten „Megarippeln“. Rippel findet man
entstehen, ist aber noch nicht vollständig erforscht.
gewöhnlich dort, wo sich das Wasser zurückgezogen
Bewohnt werden sie von Astartemuscheln (Astar-
hat, als wellenförmiges Muster im Sand. Doch es gibt
te montagui) und den langlebigen Islandmuscheln
sie auch unter Wasser - und diese hier sind gewaltig.
(Arctica islandica). Aber auch typische Sandbankbe-
Die Rippel messen vom Tal bis zum Kamm bis zu 3
wohner wie Schwebegarnelen (Praunus flexuosus)
Meter. Damit solch große Rippel entstehen können,
und verschiedene Trogmuschel- und Borstenwurmar-
braucht es hohe Strömungsgeschwindigkeiten.
ten sind hier häufig.
Braunalgen – Phaeophyceae enthalten den Farbstoff Fucoxanthin, der die Grünfärbung des Chlorophylls überdeckt, weshalb sie bräunlich gefärbt sind. Sie werden oft
weit über einen Meter lang. Zu ihnen gehört der Zuckertang (Laminaria saccharina),
die Zottige und die Gemeine Meersaite (Chorda tomentosa, C. filum) und der Blasentang (Fucus vesiculosus). Aus diesen Großalgen bestehen die ausgedehnten Tangwälder
des Fehmarnbelt, der Kadetrinne und rund um die Nordseeinsel Helgoland.
Grünalgen – Chlorophyceae erhalten ihre satte grüne Färbung durch die Chloroplasten, in denen Chlorophyll a und b enthalten ist. Sie werden meist nur einige Dezimeter
lang. Einige Vertreter der meist auffallend grün leuchtenden Algen sind: Darmtange
(Enteromorpha), essbare Meersalate der Gattung Ulva und die Trompetenalge (Monostroma grevillei). Sie wachsen meist schneller als Braunalgen. Durch die Eutrophierung
der Meere kommt es immer häufiger zu Massenvorkommen dieser Algen.
Rotalgen – Rhodophyceae sind wegen ihrer speziellen Pigmente (Phycobiliproteide)
leuchtend rot gefärt. Dank dieser Farbstoffe können Rotalgen auch in großer Tiefe
noch Photosynthese betreiben. In Nord- und Ostsee kommen unter anderem die Asiatische Rotalge (Gracilaria vermiculophyll), der Blutrote Seeampfer (Delesseria sanguinea), der Fädige Röhrentang (Polysiphonia fibrillosa), der Rote Horntang (Ceramium
rubrum) und die Speckkrustenrotalge (Hildenbrandia rubra) vor.
Von oben nach unten: Blasentang (Fucus vesiculosus); Meersalat (Ulva lactuca). Die Rotalge
(Dasya baIlouviana) ist wie auch die Asiatische Rotalge eine eingeschleppte Art.
35
Empfindliche Fauna
Der Strukturreichtum und die Strömungsverhältnisse
des Fehmarnbelt sorgten dafür, dass sich hier eines
der artenreichsten Gebiete der Ostsee gebildet hat.
37 Rote-Liste-Arten sind hier schon nachgewiesen
worden. Viele von diesen Arten reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen der Umweltbedingungen.
Dazu gehören die langlebigen Wellhorn- und Spindelschnecken und die vom Aussterben bedrohte KalkPlattmuschel.
Der Kabeljau (Gadus morhua) oder Dorsch ist ein wichtiger Fangfisch. Sein Laichverhalten könnte durch den unterseeischen Bau
beeinträchtigt werden.
Strandseeigel (Psammechinus miliaris).
Mit dem Auto durchs Riff die Fehmarnbeltquerung
36
entgehen. Eine Brücke auf ihrem Weg wäre eine tödliche Gefahr für Vögel gewesen.
Derzeit wird der Bau eines 5,5 Milliarden Euro teuren
Im Juni 2007 beschlossen die deutsche und dänische
Senktunnels favorisiert, der bis 2018 in den weichen
Regierung ein gemeinsames Mammutprojekt - den
Untergrund der Ostsee eingegraben werden soll. Da-
Bau einer Straßenverbindung zwischen der dänischen
für werden vorgefertigte Tunnelteile in den Meeres-
Insel Lolland und Deutschland durch den Fehmarn-
grund eingegraben. Doch auch dieses Bauwerk wird
belt. Diese soll den heutigen Fährverkehr zwischen
negative Konsequenzen für das Ökosystem im Natura
Puttgarden und Rødby ablösen und so für eine Zeiter-
2000-Gebiet Fehmarnbelt haben. Da der Tunnel im
sparnis von ein paar Stunden sorgen.
Meeresgrund eingegraben werden soll, werden die
Zunächst wurde der Bau einer gewaltigen Brücke
auf der Strecke liegenden Riffe und Sandbänke mas-
geplant. Dieses Bauwerk wurde jedoch auf Grund von
siv gestört. Ein weiteres Problem ist, dass das auf-
Protesten von Umweltschützern und zu hoher Kosten
gewirbelte Sediment aufgrund der starken Strömung
wieder aufgegeben. Die Brücke hatte für Zugvögel
weit verteilt wird. So werden auch noch weit ent-
wie eine Barriere gewirkt, und das auf einer der wich-
fernte Riffe durch Sand und Schlick beeinträchtigt.
tigsten Vogelzugrouten Europas.
Zudem soll das anfallende Baggergut auf Ablage-
Viele Zugvögel ziehen im Schutz der Nacht. Gerade
rungsflächen am Meeresgrund versenkt werden, was
über dem offenen Meer fliegen Vögel häufig sehr tief,
für die dort lebenden Tiere den sicheren Tod bedeuten
um dem kräftigen Wind in höheren Luftschichten zu
wird. Der ständige Baulärm wird die Schweinswale
Satellitenbild des Fehmarnbelts mit Fehmarn im
Süden und Lolland im Norden. Die gelbe Linie
verläuft an der geplanten Verbindungslinie quer
durch das Schutzgebiet.
Factsheet Fehmarnbelt
Lebensraumtyp
Sandbank, Riffe
Schutzstatus
FFH-Schutzgebiet seit
2008
Ausdehnung
280 km²
Tiefe
zwischen 15 und 35
Metern
Meeresboden
Sedimente (Sand, Kies),
Hartsubstrate (Steine,
Felsen)
Strömungen
70% des Wasseraustauschs zwischen Nordund Ostsee
Artengemeinschaften
MZB
Pfeffer- und Islandmuscheln, Riffgemeinschaften
Zudem ist noch völlig unbekannt, wie die Meeresle-
FFH/VS-RL-Arten
Schweinswal, Seehund
bewesen auf den Verkehrslärm aus dem Untergrund
Rote-Liste-Arten MZB
37
und Seehunde aus dem Gebiet vertreiben, die hier
wichtige Nahrungsgründe haben.
reagieren werden. Die Folgen für das Ökosystem des
Natura 2000-Schutzgebiets, die dieses Bauprojekt
MZB: Makrozoobenthos = makroskopische, den Boden
bewohnende Tiere.
haben wird, sind noch nicht abzusehen.
Grüne Samtschnecke
(Elysia vidris) in dichten Rotalgen.
Die Islandmuschel (Arctica islandica)
kann einen Dezimeter groß werden.
37
Kadetrinne
–
Ungestörte Natur in der Ostsee
Ein beispielhaftes Schutzgebiet
Die Kadetrinne ist wie der Fehmarnbelt ebenfalls
Teil des für den Wasseraustausch so wichtigen
Rinnensystems der Ostsee. In dem nur knapp
100 km2 großen Schutzgebiet finden sich die
artenreichsten Riffgemeinschaften der zentralen
Ostsee. Die großen Gesteinsbrocken sind dicht
bewachsen mit Braun- und Rotalgen, dazwischen große Miesmuschelbänke mit ihren typischen Artengemeinschaften. Auch die in der Ostsee sehr seltenen Schweinswale schwimmen auf
ihren Wanderungen hier regelmäßig hindurch.
Die Kadetrinne ist von allen marinen Natura
2000-Schutzgebieten wohl am geringsten von
menschlichen Aktivitäten beeinträchtigt. Deshalb
muss die Kadetrinne unbedingt in ihrem jetzigen
Zustand erhalten bleiben.
Die Nordseegarnele (Crangon crangon) kommt auch in
der Ostsee vor.
38
Gadus morhua, der Kabeljau, in der Ostsee auch Dorsch genannt, ist
einer der beliebtesten Speisefische
Rinnensystem in der Darßer Schwelle
Das ca. 100 km² große Schutzgebiet Kadetrinne liegt in der
Mecklenburger Bucht im schmalen Band der deutschen AWZ
mit Grenze zu Dänemark.
Sie hat zusammen mit dem Fehmarnbelt eine wichtige Funktion für den Wasser- und Artenaustausch zwischen Nordund Ostsee. Über die 32 Meter tiefe Rinne fließt sauerstoffreiches Nordseewasser in die zentrale Ostsee und versorgt
die Bodenlebensgemeinschaften mit dem wichtigen Atemgas.
Auch viele Larven werden mit den Wassermassen verdriftet.
Geologisch gesehen ist die Kadetrinne ein System aus Rinnen,
welche in eine der unterseeischen Erhöhungen der Ostsee,
der Darßer Schwelle, eingeschnitten sind. Von 11 Metern am
oberen Rand bis in eine Tiefe von 32 Metern erstreckt sich
das Schutzgebiet.
Ebenfalls Teil des für den Wasseraustausch wichtigen
Rinnensystems das FFH-Schutzgebietze Kadetrinne
Steinfelder und Sandinseln
Steinfelder mit kleinen Sandinseln bestimmen das Bild
an den Hängen der Kadetrinne. Bis in eine Tiefe von
18 Metern sind sie dicht bewachsen mit Zuckertang
und anderen Braunalgen. Danach dominieren die
Rotalgen, die besser an die schwächeren Lichtverhältnisse angepasst sind. Ab 24 Metern wachsen kaum
noch Algen. Hier reicht das Licht nicht mehr für die
Photosynthese aus.
An den tiefsten Stellen der Rinne hat sich ein sandiger Schlick abgelagert, aus dem größere Gesteinsbrocken hervorragen. Die Steine sind idealer Lebensraum
für Rifftiere, die nicht auf Licht angewiesen sind wie
Seenelken, Seescheiden und Schwämme.
Riffe in gutem Zustand
Dass Großalgen bis in eine Tiefe von 24 Metern vorkommen, ist in der Ostsee selten geworden. Schuld
daran ist paradoxerweise ein Zuviel an Nährsalzen
(Phosphate und Stickstoffverbindungen), auch Eutrophierung genannt. Diese Substanzen stammen meist
Das Verbreitungsgebiet des Gestreiften Leierfischs (Callionymus lyra) reicht bis in die westliche Ostsee.
aus der Landwirtschaft.
Planktische Mikroalgen nehmen diese Nährstoffe auf
und vermehren sich stark. Dadurch trübt sich das
Wasser, weswegen weniger Licht in die Tiefe gelangt.
Factsheet Kadetrinne
Lebensraumtyp
Riffe, Sandbänke
Schutzstatus
FFH-Schutzgebiet seit
2008
Abwehrstoffe gegen Fressfeinde und Parasiten
Ausdehnung
100 km²
aufbauen. Dies hat zu einem langsamen aber steti-
Tiefe
zwischen 11 und 36
Metern
Meeresboden
Hartsubstrate (Steine,
Felsen), Sedimente (Sand,
Schlick)
Strömungen
Wasseraustausch zwischen Nord- und Ostsee
deutet das Vorkommen großer, bis zu 50 Jahre alter
Artengemeinschaften
MZB
Riffgemeinschaften
Islandmuscheln hin. So blieb das Gebiet von den
FFH/VS-RL-Arten
Schweinswal, Seehund
immer häufiger auftreten Sauerstoffmangelereig-
Rote-Liste-Arten MZB
29
Die großen Braun- und Rotalgen können weniger
energiereiche Verbindungen für den Winter und
gen Rückgang der Algenwälder in der Ostsee in den
letzten Jahrzehnten geführt.
In der Kadetrinne sind Algenwälder noch in einem
guten Zustand, und auch sonst scheinen die Lebensbedingungen bisher stabil geblieben zu sein. Darauf
nissen bisher verschont. Die Kadetrinne ist somit für
den Erhalt und die Wiederausbreitung von Arten von
unschätzbarem Wert für die gesamte Ostsee.
MZB: Makrozoobenthos = makroskopische, den Boden bewohnende Tiere.
39
Die Oderbank neue Heimat für den Stör
Muschelbank Oderbank
Die 480 km2 große Oderbank ist die zentrale Erhebung im gleichnamigen Natura 2000-Schutzgebiet. Dieser Sandhügel im Mündungsbereich
der Oder erhebt sich aus 20 Metern Tiefe bis
auf 7 Meter unter die Wasseroberfläche. Die
Lebensgemeinschaften der großen Sandbank
sind vergleichsweise artenarm, jedoch extrem
individuenreich. Sandklaff-, Herz und Plattmuscheln sitzen dicht an dicht versteckt im Sand.
Dazwischen suchen kleine Krebse und Würmer
nach Fressbarem, immer auf der Hut vor jungen
Schollen und Steinbutten. Die jungen Plattfische
können sich schnell im feinen Sediment eingraben und sich so vor ihren Feinden praktisch
unsichtbar machen. Deshalb ist die Oderbank ein
wichtiges Laichgebiet und Kinderstube für viele
Plattfische.
Aber auch bei den Bemühungen, den Stör wieder
in der Oder anzusiedeln, spielt dieses Gebiet eine
wichtige Rolle. Hier sollen bald wieder die jungen Störe zu ihrer vollen Größe heranwachsen,
um später zum Laichen die Oder hinaufzuziehen.
Gemeine Strandkrabben (Carcinus maenas) sind Allesfresser
und weit verbreitet in Nord- und Ostsee.
Die größte Sandbank der Ostsee
Das FFH-Schutzgebiet Oderbank östlich der Insel Rügen
umfasst 1101 km². Es ist das östlichste der deutschen
marinen Schutzgebiete und grenzt an die polnische AWZ.
Die Oderbank ist der Mündung der Oder vorgelagert.
Sie entstand aus einer ausgedehnten Dünenlandschaft,
die nach der Eiszeit durch den Meeresspiegelanstieg
überflutet wurde. Mit einer Fläche von 480 km² ist sie
die größte Sandbank im Bereich der deutschen AWZ der
Ostsee. Die Sandbank steigt von 20 Metern Tiefe bis auf
7 Meter unter die Wasserobefläche an. Sie besteht fast
ausschließlich aus Mittel- und Feinsanden.
FFH-Schutzgebiet Oderbank.
Die Scholle (Pleuronectes platessa) gräbt sich in den Sand und ist
damit perfekt getarnt.
40
Factsheet Oderbank
Die Sandklaffmuschel (Mya arenaria) ist eine der größten
Muscheln der Oderbank. Sie kann sich bis zu 30 cm tief in
den Sand graben. Nur die Spitze ihres langen Siphos schaut
dann noch aus dem Sand.
Lebensraumtyp
Sandbank
Schutzstatus
Schutzgebiet nach FFH-RL
seit 2008
Ausdehnung
1101 km²
Tiefe
zwischen 7 und 35 m
Meeresboden
Sedimente (Schlick, Feinsand, Grobsand),
Strömungen
abhängig vom Wind und
den Dichteunterschieden
der Wassermassen
Artengemeinschaften MZB
Flohkrebs-TellmuschelGemeinschaften, Baltische
Plattmuschel.
FFH– Arten
Schweinswal, Kegelrobbe
Rote-Liste-Arten
MZB
13
Eine Sandbank als Sauerstoff-Schutzzone
Die Oderbank unterscheidet sich durch ihre Größe und ihre einheitliche Struktur von allen anderen
untermeerischen Bänken der deutschen Ostsee. Der
Meeresgrund besteht aus welligem, teils rippeligem
Sandboden. Stellenweise ist der feine Sand mit Schalentrümmern von Muscheln und Schnecken (Schill)
Schillernder Seeringelwurm (Nereis diversicolor)
versetzt. In größerer Wassertiefe, wo die Strömungen
weniger stark ausgeprägt sind, hat sich Schlick abgelagert. Auf Grund der geringen Wassertiefe bleibt die
Sandbank von Sauerstoffmangelereignissen weitgehend verschont.
Die Baltische Plattmuschel (Macoma baltica) dominiert an vielen Stellen. Bis zu 2000 der bis 4 cm
großen Muscheln können in einem Quadratmeter
Sand leben. Durch ihren bis zu 25 cm rüsselartigen
Einströmsipho nehmen sie Sauerstoff und Nahrungspartikel auf.
Auf diese aus dem Sand herausschauenden Siphos
haben es besonders die jungen Schollen abgesehen.
Doch wenn er einmal abgebissen wurde, wächst er
schnell wieder nach. Auch die großen Sandklaff- und
Herzmuscheln sind hier in großer Zahl anzutreffen.
Ebenfalls häufig sind andere für Sandbänke typische
Arten wie die Nordsee- und Schwebegarnelen, der
Schillernde Seeringelwurm und die Sandgrundel.
Essbare Herzmuschel (Cerastoderma edule)
Sie alle bilden die Nahrungsgrundlage für viele Seevögel und große Fische.
41
Der Ostseewal
Ein Traum aus Sand für Fische
Von besonderer Bedeutung ist die Sandbank für
Schweinswale sind die einzigen in der Ostsee hei-
Scholle, Steinbutt und Flunder. Die Plattfischarten
mischen Wale. Sie teilen sich in eine westliche und
finden hier nicht nur genug Nahrung, sondern auch
eine östlich Population auf. Der Bestand der östli-
eine perfekte Kinderstube. Die feinen Sande erleich-
chen Schweinswal-Teilpopulation ist besonders stark
tern den Jungfischen das Verstecken - mit ein paar
gefährdet. Schätzungsweise nur noch 600 Tiere leben
wellenartigen Flossenschlägen sind sie schnell unter
hier - zu wenig, um die hohen Verluste durch die
feinkörnigem Sediment verschwunden.
Fischerei und andere Umweltbelastungen ausgleichen
Auch die gefährdeten Wanderfische Finte und
zu können.
Schnäpel wurden hier in größerer Zahl nachgewiesen.
Auf der Oderbank werden regelmäßig Schweinswale
Sie wandern wie die Lachse zur Eiablage in die Flüsse.
nachgewiesen, teilweise sogar in recht hohen saiso-
Deren Begradigung und Verschmutzung, der Bau
nalen Konzentrationen. Ein Verbot schweinswalge-
von Staustufen und das häufige Ausbaggern haben
fährdender Fischereitechniken, wie Stellnetze sollte
dazu geführt, dass diese Fische kaum noch geeig-
deshalb in diesem Gebiet unbedingt durchgesetzt
nete Laichplätze finden. Für den Schutz dieser Tiere
werden. Derzeit laufen Versuche mit für Schweins-
schafft das Natura 2000-Schutzgebiete-Netzwerk
wale „sichtbaren“, also akustisch ortbaren Stellnet-
die nötigen Voraussetzungen.
zen. Doch bis diese marktfähig sind, kann es für den
Ostsee-Schweinswal schon zu spät sein.
Der Stör – ein Vertreter längst vergangener Zeiten
Seit mindestens 200 Millionen Jahren schwimmen Störe durch
die Meere und Flüsse. Der Stör ist ein urtümlicher Knochenfisch – sozusagen ein lebendes Fossil, von dem es heute noch
27 Arten gibt. In der Ostsee war der atlantische Stör (Acipenser oxyrinchus) und in der Nordsee der europäische Stör (A.
sturio) heimisch. Sie gelten beide in deutschen Gewässern seit
ca. 50 Jahren als verschollen.
Beide Arten werden über 3 Meter lang und mehr als 300 Kilogramm schwer. Ähnlich den Lachsen verbringen viele Störarten
einen Teil ihres Lebens in den Flüssen und Meeren. Die Weibchen legen im Frühsommer bis zu 3 Millionen Eier ab,
bevorzugt auf dem sauberen Kiesgrund von stark strömenden Flüssen. Die Jungfische zieht es nach dem Schlüpfen
stromabwärts, bis sie mit ca. 6 Monaten das Brackwasser der Flussmündungen erreichen. Hier leben sie, bis sie im
Alter von 2-4 Jahren in die angrenzenden Meeresgebiete abwandern. Mit 10–15 Jahren erreichen die Tiere die Geschlechtsreife. Dann sind sie bereits etwa 1,5 Meter lang und kehren in ihre Geburtsflüsse zurück.
2007 wurden an der Oder und 2008 an der Elbe junge Störe ausgesetzt. Diese stammen aus Aufzuchtanlagen in
Frankreich und Kanada. Der große Aufwand, der betrieben wurde, um diese faszinierenden Tiere wieder bei uns anzusiedeln, wird sich nur lohnen, wenn die Fische auch geeigneten Lebensraum sowohl in den Flüssen als auch in den
Meeren finden. Die Oderbank ist hierfür ein ideales Gebiet. Hier können die jungen Störe den sandigen Untergrund
nach Würmern, Krebsen und Weichtieren durchwühlen.
Ein Erfolg dieser Wiederansiedlungsprojekte ist wichtig, da seit 1998 alle Störarten im Washingtoner Artenschutzabkommen als bedroht gelistet sind. Die Europäische Union fordert von ihren Mitgliedsstaaten, für den Stör entsprechend der FFH-Richtlinie Arterhaltungs- und Wiedereinbürgerungsmaßnahmen durchzuführen. Dafür müssen
jedoch Flusshabitate geschützt bzw. wiederhergestellt, die Wasserqualität verbessert und die Durchwanderbarkeit
von Fließgewässern sichergestellt werden. Zudem braucht es noch geeignete Meeresgebiete, in denen die Fische
zu ihrer vollen Größe heranwachsen können. Der Stör ist somit eine ideale Art, um ein Funktionieren des Natura
2000-Schutzgebiete-Netzwerks unter Beweis zu stellen.
42
Adlergrund &
Westliche Rönnebank Rifflandschaften in der Ostsee
„Trittsteine“ unter Wasser
Die Riffe des Adlergrunds und der westlichen
Rönnebank unterscheiden sich deutlich von
den weiter westlich gelegenen Schutzgebieten
Kadetrinne und Fehmarnbelt. Das Wasser ist hier
deutlich salzärmer, so dass viele typische Salzwasserarten nicht mehr vorkommen.
Was der Riffgemeinschaft an Artenreichtum
fehlt, gleicht sie durch einen enormen Individuenreichtum wieder aus. Große zusammenhängende Miesmuschelbänke bedecken die
Gesteinsbrocken mit einem lebenden Überzug.
Fischarten wie Schwimm- und Schwarzgrundel, Aalmutter und Dorsch finden hier reichlich
Nahrung und Versteckmöglichkeiten. Zudem ist
das Gebiet ein mariner Nahrungsgrund für die
gefährdeten Wanderfischarten Finte und Aal.
Es ist auch ein wichtiges Laichgebiet und Kinderstube für verschiedene Speisefische z.B. den
Hering. Ein guter Zustand der beiden Gebiete ist
somit auch für die Erholung der Fischbestände in
der Ostsee von großer Bedeutung.
Zwei Schutzgebiete - eine Einheit
Die Schutzgebiete Adlergrund und Westliche Rönnebank
gehören geologisch gesehen zusammen. Sie sind beide
Teile der Rönnebank, einer unterseeischen Erhebung in
der südwestlichen Ostsee. Sie entstanden als Endmoränen
eiszeitlicher Gletscher und verlaufen von der Südküste der
dänischen Insel Bornholm bis in die Gewässer nordöstlich
von Rügen. Die Rönnebank bildet die geografische Grenze
zwischen den Seegebieten „Arkonabecken“ im Norden und
der „Pommerschen Bucht“ im Süden.
Das rund 234 km² große Schutzgebiet „Adlergrund“ umfasst den östlichsten Teil der Rönnebank. Dort hat sie ihre
flachsten Stellen mit Wassertiefen von teilweise unter 10
m. Auf dieser „Kuppe“ liegen die größten und flachesten
Riffe in der deutschen AWZ der Ostsee.
Das Schutzgebiet Westliche Rönnebank ist mit 86 km²
das kleinste marine Natura 2000-Gebiet in der AWZ. Es
umfasst den westlichen Hang der Rönnebank mit Wassertiefen von 22 bis 35 Metern. Auf einer Fläche von 65
km² erstrecken sich die Riffe.
Die Schutzgebiete Westliche Rönnebank (links) und Adlergund (rechts) gehören geologisch zu einer Einheit.
Die Schwarzgrundel (Gobius niger) fühlt sich zwischen Steinen
und Algen wohl.
43
Die flachen Muschelbänke sind eine ergiebige
und einfach zu erreichende Nahrungsquelle für
Seevögel. Vor allem die in der Ostsee überwinternden Eis- und Samtenten sowie die Gryllteisten schätzen das reichhaltige Futterangebot
von Adlergrund und Rönnebank. Besonders in
strengen Wintern, wenn große Teile der Ostsee
zufrieren, sind diese eisfreien Bereiche wichtige
Zufluchtsgebiete für Seevögel.
Miesmuscheln (Mytilis edulis) an einem Felsen.
Baltische Meerassel (Idotea baltica)
Flache Riffe auf der Rönnebank
Die beiden Schutzgebiete sind wichtige Ausgangspunkte für eine Wiederbesiedlung der tieferen
Umgebung.
Das Ostseewasser ist in diesem Gebiet besonders
klar, da die vielen Miesmuscheln einen Großteil der
Großflächige und zusammenhängende Riffe prägen
Schwebepartikel aus der Wassersäule filtern. So
die Rönnebank. Vor allem in den flachen Bereichen
wachsen hier bis in Tiefen von 20 Metern verschie-
des Adlergrunds ist der Meeresboden dicht mit
dene Großalgen. Danach dominieren die Muschelriffe
Großalgen bewachsen. Sägetang, Meersaite und
mit ihren typischen Begleitarten wie Seepocken,
Gabeltang finden hier beste Wachstumsbedingun-
Flohkrebse und Garnelen. Auf den sandigen Böden
gen. In den Algenwäldern und auf den Steinen finden
in den tieferen Bereichen kommen der Fächerwurm
sich noch viele Rifflebewesen, die besonders tolerant
Fabricia stellaris und die Ostsee-Riesenassel (Saduria
gegenüber dem geringeren Salzgehalt des Wassers
entomon) häufig vor.
sind. Im Vergleich zum Fehmarnbelt oder Kadetrinne
leben hier jedoch schon deutlich weniger Tier- und
Pflanzenarten. Einige neue Arten, die hauptsächlich
in Brackwasser vorkommen z.B. die BrackwasserKahnschnecke und verschiedene Meerasselarten,
füllen die freigewordenen Lücken.
Die Riffe der Rönnebank sind die am höchsten zur
Wasseroberfläche aufragenden in der AWZ der Ostsee. Sie befinden sich so nah an der Oberfläche, dass
sauerstoffreiches Oberflächenwasser sie mit dem
lebenswichtigen Atemgas versorgt. Sauerstoffmangelereignisse kommen hier kaum vor.
44
Kleine Felsengarnele (Palaemon elegans)
Factsheet Adlergrund und Westliche Rönnebank
Miesmuscheln sind weit verbreitet im deutschen Teil der
Ostsee.
Wenig Salz - dünne Schale
Lebensraumtyp
Sandbank, Riffe
Schutzstatus
FFH-Schutzgebiet seit 2008
Ausdehnung
234 km² (Adlergrund), 86
km² (Westliche Rönnebank)
Tiefe
zwischen 7 und 35 m
Meeresboden
Sedimente (Schlick, Feinsand, Grobsand, Kies),
Hartsubstrate (Blöcke,
Steine)
Strömungen
abhängig vom Wind und
den Dichteunterschieden
der Wassermassen
Artengemeinschaften MZB
Islandmuscheln, Riffgemeinschaften (Makroalgen,
Miesmuschelbänke)
FFH/VS-RL – Arten
Schweinswal, Kegelrobbe
Rote-Liste-Arten
MZB
13
MZB: Makrozoobenthos = makroskopische, den Boden bewohnende Tiere
Das Wasser im Bereich der Rönnebank ist schon
Salzgehalt Konsequenzen. Miesmuscheln bereitet das
deutlich salzärmer als in den Riffen des Rinnensys-
fehlende Salz Stress. Dieser Dauerstress führt dazu,
tems wie Fehmarnbelt und Kadetrinne. Zum Ver-
dass sie weniger Energie in den Aufbau ihrer Schalen
gleich: Das Nordseewasser, das in die Ostsee ein-
stecken können und diese somit deutlich dünner sind
strömt, enthält 35 g Salz je Kilogramm Wasser. Wenn
als die ihrer weiter westlich lebenden Verwandten.
es den Fehmarnbelt erreicht sind es noch ca. 20 g,
Aus diesem Grund sind sie eine beliebtes Futter für
und bis zur Rönnebank ist der Salzgehalt auf ca. 10 g
die hunderttausenden Meeresenten, vor allem Samt-,
je kg Wasser gesunken. Ab diesem Wert spricht man
und Eisenten, die im Vogelschutzgebiet Pommersche
von Brackwasser.
Bucht überwintern. Die Muscheln sind tauchend
Dies hat zur Folge, dass in diesem Gebiet nur noch
leicht zu erreichen und das Knacken der dünnen
besonders tolerante Arten die Riffgemeinschaften
Schalen ist mit ihrem kräftigen Schnabel kein Prob-
bilden. Aber auch für viele von ihnenhat der geringe
lem.
Miesmuscheln (Mytilus edulis) - Kläranlagen der Meere
Miesmuscheln sind die Klärwerke der Meere. Sie saugen ständig Wasser an
und leiten es über ihre feinen Kiemenblätter. Damit filtrieren sie nicht nur den
lebensnotwendigen Sauerstoff aus dem Wasser, sondern auch Planktonorganismen und Detritus. Die Nahrungspartikel landen im Magen, alle unverdaulichen Partikel werden über den Sipho wieder ausgeschieden. Zwei bis drei Liter
Wasser durchlaufen auf diese Weise eine ausgewachsene Muschel pro Stunde.
Miesmuscheln haben zahlreiche Feinde. Neben Meeresenten und anderen
Vögeln sind Seesterne und Krebse ihre Hauptfeinde. Zudem haben es viele
Meeresschnecken auf sie abgesehen.
Aber auch wir Menschen verspeisen ca. 550 000 Tonnen Miesmuscheln jedes
Jahr alleine in Europa. Die meisten davon stammen aus Aquakulturen.
Miesmuscheln und Algenbewuchs.
45
Pommersche Bucht „Tank und Rast“ für Zugvögel
Vogelschutz auf der Ostsee
Das Vogelschutzgebiet Pommersche Bucht östlich der
Insel Rügen ist fast 2010 km² groß. Es ist das östlichste
der deutschen marinen Schutzgebiete und schließt an
die Außengrenze der deutschen AWZ mit Polen an. Das
Vogelschutzgebiet umfasst den Adlergrund mit Teilen
der Rönnebank im Norden sowie die Oderbank im
Süden.
Nonnengänse (Branta leucopsis) auf dem Durchzug.
Entenhausen an der Ostsee
Die Pommersche Bucht mit der Oderbank ist das
wichtigste Überwinterungs-, Rast-, Nahrungsund Mausergebiet für Meeresenten und Taucherarten in der deutschen Ostsee. Auch für andere
Zugvogelarten ist das 2010 km² große Vogelschutzgebiet von internationaler Bedeutung. Es
beinhaltet die FFH-Schutzgebiete Oderbank und
Adlergrund und schließt damit die Lebensraumtypen Riffe und Sandbänke mit ein.
Besonders der Bereich der Oderbank ist im Winter ein Hotspot für Meeresenten. Denn auf der
flachen Sandbank leben viele Würmer, Muscheln,
Krebse und kleine Fische in einer gut erreichbaren Tiefe. In besonders strengen Wintern zieht es
viele Seevögel auf die eisfreien Flächen in diesem Gebiet.
46
Zum Vogelschutzgebiet Bommersche Bucht gehören
auch die FFH-Schutzgebiete Oderbank und der Adlergrund.
Eine halbe Million Enten können nicht
irren
Wie produktiv Oderbank und Adlergrund als Teil des
Vogelschutzgebietes Pommersche Bucht sind, wird
schnell klar, wenn man sieht, wie viele Vögel im Laufe
des Jahres der Pommerschen Bucht einen Besuch
abstatten. Fast eine halbe Million Meeresenten
überwintern hier. Die größte Anzahl stellen dabei die
Trauerenten, gefolgt von Eis- und Samtenten. Hinzu
kommen noch hunderte Lappen- und Seetaucher.
Hier finden sie genügend Muscheln, Krebse, Weichtiere und kleine Fische, um durch die kalte
Factsheet Pommersche Bucht
Lebensraumtyp
Sandbank - größte Sandbank in der deutschen
Ostsee (Oderbank), Riffe
(Adlergrund)
Schutzstatus
Schutzgebiet nach VS-RL
seit 2005
Ausdehnung
2.010 km²
Tiefe
zwischen 7 und 35 m
Meeresboden
Sedimente (Schlick, Feinsand, Grobsand, Kies),
Hartsubstrate (Blöcke,
Steine)
Strömungen
abhängig vom Wind und
Dichteunterschieden der
Wassermassen
VS-RL – Arten
Sterntaucher, Prachttaucher,
Rothalstaucher, Ohrentaucher, Eiderente, Eisente,
Trauerente, Samtente, Mittelsäger, Küstenseeschwalbe, Flussseeschwalbe,
Zwergmöwe, Gryllteiste
Eiderentenpaar (Somateria mollissima)
Jahreszeit zu kommen. Zudem friert dieses Gebiet im
Gegensatz zu den Küstenbereichen nicht zu.
Im Sommer sind es Seeschwalbenarten, die hier nach
kleinen Fischen für ihren Nachwuchs suchen.
Küstenseeschwalbe (Sterna paradisaea)
Meeresenten - Wintergäste in der Ostsee
Eisenten brüten in den arktischen Tundren in der Nähe der Packeisgrenze. Etwa 130.000 Vögel kommen zum Überwintern in die Pommersche Bucht. Die kleinen und wendigen Meeresenten sind gute Taucher, die bis in 60 Meter Tiefe
nach kleinen Muscheln, Würmern und Fischen suchen. Weltweit gibt es noch 6,7 Millionen Tiere, so dass ihr Bestand
als nicht gefährdet gilt. Doch gerade in der Ostsee sind Fischernetze eine ständige Bedrohung für sie.
400 000 Trauerenten, ein Viertel des Weltbestandes, überwintern vor der deutschen Ostseeküste. Die Enten jagen
besonders im Bereich der Oderbank nach Muscheln und Krebsen, die sie mit ihren kräftigen Schnäbeln mühelos knacken können. Im Frühjahr machen sie sich auf in ihre Brutgebiete in Schottland, Skandinavien und Sibirien.
Eisentenerpel (Clangula hyemalis) im Prachtkleid
Trauerenten (Melanitta nigra) im Winterkleid
47
Schutzgebiete die große Lösung?
10 % Schutz bis 2020
Schutzgebiete sind sicherlich ein Teil der Lösung.
Doch selbst, wenn bis 2020 wie geplant 10 % der
Meeresfläche unter Schutz stehen, wird dies nicht
automatisch zu einer Erholung der marinen Ökosysteme führen. Zu gravierend sind die menschengemachten Eingriffe in die Meeresumwelt. Zudem sind
im Meer beispielsweise die Schäden durch Unfälle
noch weniger als an Land lokal begrenzt. Durch
Strömungen und Wind werden Ölteppiche schnell
über riesige Gebiete verteilt. Und an den Grenzen zu
einem Schutzgebiet macht das Öl schon gar keinen
Halt.
Aber dies betrifft nicht nur die Stoffe, die durch
Unfälle oder versehentlich freigesetzt werden. Der
chronische Eintrag von Schadstoffen, beispielsweise aus Abgasen, Abwässern oder Schiffsanstrichen,
Nährsalzen aus der Landwirtschaft, Plastikmüll von
Schiffen und Touristen, dazu der Lärm durch Schiffsverkehr und Baustellen beeinträchtigen das marine
Ökosystem weiträumig. Nicht zuletzt ist die derzeitige Fischereipraxis ein Ausdruck der Selbstbedienungsmentalität, die wir Menschen gegenüber der
scheinbaren Unerschöpflichkeit der Ozeane und ihrer
Ressourcen zeigen.
Diese Einstellung muss sich ändern, um einen dauerhaften Erhalt der marinen Ökosysteme zu erreichen.
Schutzgebiete sind da nur ein kleiner, aber sehr
wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Miesmuscheln (Mytilus edulis) mit Aufwuchs aus Seepocken und Grünalgen.
Gespensterkrebse sind schwer zu entdecken. Die 2-3 cm langen Krebse leben versteckt in den Großalgen.
48
Fischerei mit Zukunft?
Fischbestände am Ende
Nach offiziellen Zahlen werden heute jährlich über
80 Millionen Tonnen Fisch aus den Meeren gefangen. Ein Krabbenkutter auf der Nordsee. Diese Fischerei produziert
viel Beifang.
Weitere 60 Millionen Tonnen stammen aus Aquakulturfarmen. Wie viele Fische den Piratenfischern zum
Menschgemachte Evolution Opfer fallen oder als „wertloser“ Beifang über Bord
Überfischung
gehen, ist völlig unbekannt.
So sind heute 30 % aller Fischbestände überfischt,
Die industrielle Fischerei hat schon heute das Ökoweitere 57 % gelten als maximal genutzt. Spitzensystem der Meere drastisch verändert. Der Fischereiter sind die EU-Gewässer, wo derzeit 47 % der
reidruck hat dazu geführt, dass kleine Fische, die
Bestände als überfischt gelten. Besonders betrifft
früher geschlechtsreif werden, evolutionär im Vorteil
dies den Wittling, den Heilbutt und den Dornhai, der
sind, da sie am ehesten durch die Maschen der Netze
sich hinter Produkten wie Schillerlocke und Seeaal
entwischen können. Viele Fischarten bleiben dadurch
verbirgt.
insgesamt kleiner. Man spricht auch von einer „fiFür die Festsetzung der Fangquoten in europäischen
schereiinduzierten Evolution“. Das wirkt sich auf die
Meeren ist die EU verantwortlich. In den letzten
Räuber- und Nahrungsnetzbeziehungen aus, denn
Jahren lagen sie durchschnittlich um 48 % über den
kleinere Raubfische können auch nur kleinere Beute
Empfehlungen des Internationalen Rats für Meeresmachen.
forschung (ICES).
Die Überfischung hat Konsequenzen für viele MenIn der Nord- und Ostsee werden jährlich ungefähr
schen. Europäische Konsumentinnen und Konsumen3,1 Millionen Tonnen Fisch gefangen. Norwegen,
ten müssen in Zukunft wohl höhere Preise an der
Dänemark und Spanien betreiben derzeit die größten
Fischtheke zahlen. Schlimmer sind die Folgen für die
Fangflotten in Europa. Die deutsche Fischereiflotte
Menschen in den armen Küstenregionen Afrikas und
liegt mit rund 280.000 Tonnen Fisch im europäischen Südamerikas. Ihnen drohen Engpässe in der NahMittelfeld, wobei sie sich hauptsächlich auf kleine
rungsmittelversorgung. Dort hat die Überfischung
Fischarten wie Hering, Wittling und Sprotte spezialivielerorts schon zu einer Verarmung der Küstenbesiert hat. Die Fischerei verliert in Deutschland wirtvölkerung geführt.
schaftlich jedoch immer mehr an Bedeutung.
49
Beifang - Mitgefangen, Mitgehangen
Ein großes Problem für die Meeresumwelt ist der
sogenannte Beifang der Fischerei. Beifang bezeichnet die Tiere, die nicht verkauft oder verwertet und
daher wieder über Bord geworfen werden. Nur wenige Tiere überleben diesen Vorgang. Je nach Fangmethode und Zielart können bis zu 80 % des Fischfangs
Beifang sein.
Allein in der Nordsee werden jährlich bis zu einer
Million Tonnen Beifang an Deck geholt. Besonders
viel Beifang fällt bei der Krabbenfischerei mit ihren
Grundschleppnetzen an. Die großen Mengen an Beifang haben dazu geführt, dass heute auch viele nicht
kommerziell genutzte Arten gefährdet sind.
Weltweit werden jährlich 39 Millionen Tonnen Tiere
tot oder verletzt zurück ins Meer geworfen, darunter
schätzungsweise 300.000 Wale, 300.000 Seevögel, mehrere Millionen Haie, 650.000 Robben und
250.000 Meeresschildkröten.
In Nord- und Ostsee besteht der Beifang hauptsächlich aus Seesternen, Schnecken, Muscheln,
Schwämmen und sehr kleinen Fischarten, aber auch
Haie, Rochen, Vögel, Robben und Schweinswale
sind betroffen. Gerade kleine Populationen wie die
Die industrielle Fischerei fängt mehr Fisch als nachwachsen
kann.
Schweinswale in der Ostsee sind durch die hohen
Verluste durch Beifang bedroht.
Die übliche Praxis, den Beifang direkt über Bord zu
werfen, hat dazu geführt, dass die auf Aas spezialisierten Arten, vor allem Möwen und Krebse, genügend Nahrung finden und sich gut vermehren.
Durch technische Hilfsmittel und Neuerungen könnte
der Beifang erheblich reduziert werden. So lassen
sich Wale durch akustische Signale fernhalten, Haie
durch elektrische Felder vertreiben, und Schildkröten hilft schon eine Fluchtklappe, um sich aus den
Netzen zu befreien.
Hering ist einer der beliebtesten Fische der Deutschen. Inzwischen erholen sich einige Bestände wieder von der jahrelangen Überfischung.
Im Eimer - im doppelten Wortsinne- der Beifang aus einem
Grundschleppnetz.
50
Die Vielfalt in den Meeren zu erhalten ist unser Anliegen. Die Fischerei ist derzeit die wohl größte Bedrohung für das marine Ökosystem. Doch mit einer Änderung in unserem Konsumverhalten können wir einen
großen Beitrag für die Erholung der Meere leisten. Doch auch die Fischereipolitik ist gefordert. Es ist Zeit,
dass Nachhaltigkeit oberstes Ziel der Fischerei wird.
Das können Sie tun:
• Essen Sie Fisch bewusst als Delikatesse.
• Verzichten Sie auf bestimmte Fischprodukte, z.B. die
Schillerlocken vom stark bedrohten Dornhai.
• Kaufen Sie nachhaltig gefangenen Fisch und
Meeresfrüchte.
• Nutzen Sie die aktuellen Fischführer der Umweltverbände.
• Unterstützen Sie den BUND bei seiner Meeresschutzarbeit.
Der BUND fordert:
• die Einrichtung neuer und den Erhalt bestehender
Schutzgebiete
• keine Grundschlepp- und Stellnetze in Schutzgebieten
• die Festlegung der Fangquoten nach wissenschaftlichen
Empfehlungen;
• die Einrichtung von fischereifreien Zonen;
• eine drastische Reduzierung des Beifangs durch moderne und selektive Fanggeräte;
• effektive Kontrollen zur Eindämmung der illegalen
Fischerei.
Meeresboden, nachdem ein Grundschleppnetz herrüber gezogen wurde. Es sind die schweren Ketten dieser
Fanggeräte (Bild rechts) die Krabben, Schollen und Seezungen in die Netz treiben sollen und dabei auch
Muscheln, Krebse und Würmer töten.
EU-Fischereireform: Neue Wege - Alte Probleme
Im Juli 2011 hat die EU-Kommission Vorschläge zu einer Reform der europäischen Fischereipolitik vorgelegt. Ziel ist es,
die europäische Fischerei nachhaltiger zu gestalten, Subventionen abzubauen und die Arbeitsbedingungen auf den Kuttern zu verbessern. So sollen die Quoten zukünftig den höchstmöglichen Dauerertrag, kurz MSY (maximum sustainable
yield), nicht überschreiten. Als MSY wird die größte mögliche Fangmenge bezeichnet, die einem gesunden Fischbestand
jährlich abgefischt werden kann, ohne dass in der Zukunft seine Fortpflanzungsfähigkeit gefährdet ist. Der große Haken
an diesem Ziel ist jedoch, dass für einen Fang nach MSY die meisten Fischbestände erst einmal in einen guten Zustand
gebracht werden müssten, ein Ziel, das auch in der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) formuliert
ist.
Ebenfalls wird eine Neuerung in der Beifangpolitik in dem Reformpapier vorgeschlagen. So sollen in Zukunft alle Fische,
deren Fang mit Quoten reguliert wird, an Land gebracht werden. Dieses Rückwurfverbot betrifft auch unverkäufliche,
weil zu kleine Jungfische dieser regulierten Arten. Mit Hilfe dieser Fische ließe sich endlich die „wahre“ Menge gefangener und getöteter Fische feststellen. Ausnahmen soll es für Jungfische von „robusten“ Fischarten wie z.B. Schollen
geben, denn sie überstehen einen „Hol“ relativ gut.
Außerdem soll ein einheitliches „integriertes europäisches Fischereimanagement-Informationssystem“ für alle EU-Gewässer eingeführt werden. Bisher ist es kaum möglich, solide Vorhersagen zum Bestandszustand und zur Bestandsentwicklung für viele Fischarten zu machen, da häufig Daten kaum vorhanden oder zwischen den einzelnen Ländern nicht
kompatibel sind.
Ob und wie diese Reform tatsächlich umgesetzt wird, muss sich noch zeigen. Die vorgeschlagenen Änderungen werden jedoch kaum ausreichen, um zu einer dauerhaften und nachhaltigen Erholung der Fischbestände in den Meeren zu
führen.
51
Nährsalze im Meer –
gut oder schlecht?
Zuviele Nährsalze führen zu starkem Algenwachstums und zu
einer Trübung des Wassers
Tote Zonen in der Ostsee
Sogenannte tote Zonen sind in der Ostsee kein
unbekanntes Phänomen. Durch eine ausgeprägte
Schichtung des Wasserkörpers, die eine Vermischung
von sauerstoffreichem Oberflächenwasser mit sauerstoffarmem Tiefenwasser verhindert, kommt es in
den tiefen Becken der zentralen Ostsee zu größeren
anoxischen, d. h. sauerstofffreien Zonen. Im Bornholmer und Gotlandbecken entstehen tote Zonen immer
dann, wenn nicht genügend Nordseewasser von
Stürmen in die Ostsee gedrückt wird. Neu ist jedoch,
dass diese Zonen immer öfter auch in den flacheren
Ostseebereichen, also auch vor der deutschen Küste
auftreten. Zeitweise bedeckten sie fast 1/6 des Meeresgrundes der Ostsee.
Die toten Zonen sind als dunkle Flecken am Meeresgrund zu erkennen. Sie entstehen dann, wenn
Bakterien organisches Material, beispielweise von
abgestorbenen Mikroalgen, abbauen. Dabei verbrauchen die Bakterien fast den gesamten Sauerstoff.
Meist geschieht dies im Sediment und in den untersten Wasserschichten über dem Meeresgrund. Für
Großalgen, Seegras und Tiere, die sich nicht oder nur
52
langsam fortbewegen können wie Muscheln, Würmer
oder Seeigel, bedeutet dies den Tod durch Ersticken. Aber auch bei Fischen kann es bei bestimmten
Strömungsverhältnissen zu Massensterben kommen.
Doch nicht nur der Sauerstoffmangel tötet Tiere. In
den anoxischen Zonen wird giftiger Schwefelwasserstoff freigesetzt.
Es gibt zwei Hauptgründe, die für die Ausbreitung
der Todeszonen auch in flachere Bereiche der Ostsee
verantwortlich sind. Zum einen trägt der Klimawandel dazu bei, dass sich das Oberflächenwasser
erwärmt. Dies stabilisiert die Wasserschichtung und
verhindert eine Vermischung des sauerstoffreichen
Oberflächenwasser mit den tieferen Schichten.
Zudem kann wärmeres Wasser weniger Sauerstoff
aufnehmen, was die Sauerstoffarmut verschärft.
Der zweite Hauptgrund ist der Eintrag von Nährsalzen (Phosphat und Stickstoffverbindungen) vom
Land. Sie stammen aus Abwässern, Abgasen und
vor allem aus der intensiven Landwirtschaft und
aus den Massentierhaltungsbetrieben. Denn nur ein
Teil des Kunstdüngers und der Gülle bleibt auf den
Feldern. Der andere Teil gelangt über die Flüsse in die
Meere. Und auch im Wasser fördern die Nährsalze
das Pflanzenwachstum. Davon profitieren vor allem
Dort, wo wenig Nährsalze im Wasser sind, ist die Ostsee klar.
Ein Großteil der Nährsalze stammt
aus der Landwirtschaft, denn nicht
die ganze Gülle bleibt auf den Feldern.
Mikro- und Grünalgen, die sehr schnell wachsen und
sich explosionsartig vermehren können. Wenn sie
nach kurzer Zeit in großer Zahl absterben, auf den
Grund sinken und von Bakterien abgebaut werden,
bilden sich hier die toten Zonen.
Alegenteppich in der Ostsee aufgenommen aus dem Weltraum.
Rettung aus der Nordsee
Diese Eutrophierung ist aus mehreren Gründen eine
besondere Gefahr für das Ökosystem der Ostsee.
Durch die ausgeprägte Schichtung findet kaum ein
Austausch zwischen Wasserschichten statt. Die von
den Flüssen eingetragenen Nährsalze konzentrieren
sind dabei in den oberen Wasserschichten. Dort führen sie zur Blüte von planktischen Mikroalgen. Das
geringe Volumen und der geringe Wasseraustausch
der Ostsee verstärken das Problem zusätzlich. Denn
so reichern sich eingetragene Schad- und Nährstoffe
schnell an.
Es sind die Herbst- und Winterstürme, die Bewegung in den Wasserkörper der Ostsee bringen. Sie
drücken große Mengen salziges und sauerstoffreiches Nordseewasser in die Ostsee, welches dann am
Grund entlang über die Schwellen und Rinnen in die
Becken der zentralen Ostsee fließt. Diese Ereignisse, auch Salzwassereinbrüche genannt, sind für das
Ökosystem dort von großer Bedeutung. Je stärker
die Sturmsaison in der Nordsee ist, desto geringer
ist die Ausbreitung der toten Flecken in der Ostsee
im folgenden Sommer. Bei der Überlebensrate von
Dorschlarven konnte dieser Zusammenhang ebenfalls
festgestellt werden.
Da durch die Schutzgebiete Fehmarnbelt und Kadetrinne häufig sauerstoffreiches Nordseewasser
fließt, bleiben sie von der Ausbreitung toter Zonen
verschont. Deshalb sind sie wichtige Arteninseln, von
denen aus sich Tiere und Pflanzen verbreiten können,
um ehemals Tote Zonen wieder neu zu besiedeln.
Unscheinbar aber
die Masse macht`s,
Algen unter dem
Mikroskop.
53
Wasser und Öl –
eine schlechte Mischung!
Die tägliche Ölkatastrophe
Mehr als 400 Ölplattformen stehen alleine in der
Nordsee. Jede dieser künstlichen Inseln wirkt täglich
– auch ohne Unfälle – extrem schädigend auf den
Ölbohrinsel Mittelplate im Wattenmeer
Lebensraum Meer. Durch die Einleitung von sogenanntem „Produktionswasser“, durch Bohrschlamm
sowie durch das Abfackeln von Gas verschmutzen die
Die Schäden sind irreparabel
Bohrinseln täglich die Meere und die Luft. Jedes Jahr
Die Folgen der Ölverschmutzung sind kaum zu repapumpen die Bohrinseln der Nordsee 200.000 Tonnen
rieren. Überall, wo sich der zähe Film ablegt, sterben
Chemikalien ins Wasser. 33 Millionen Tonnen Kohdie höheren Lebewesen. Besonders Vögel leiden extlendioxid und je rund 115.000 Tonnen Methan und
rem an den Folgen. Ihr Gefieder verklebt und behinStickoxide gelangen in die Atmosphäre.
dert sie beim Fliegen. Beim Versuch, ihren Körper zu
Doch nicht nur Bohrinseln sind für die Öleinleitung
reinigen, vergiften sie sich selbst. Auch dann wenn
verantwortlich. 13 Prozent der jährlich in die NordMenschen ihnen zu Hilfe kommen und sie aufwändig
see strömenden Ölmenge stammt aus Tankerunfälreinigen, überleben gerade einmal 5 % der Tiere.
len. Auch kommunale Abwässer und besonders stark
Zudem gelangen giftige Substanzen aus dem Öl in
die illegale Verklappung von Altölen tragen zur chrodie Nahrungskette, so dass zahlreiche Meeresbewohnischen Ölverschmutzung bei. So gelangen jährlich
ner geschädigt werden.
200.000 Tonnen Öl in die Nordsee. Weltweit beträgt
Die Bekämpfung und Reinigung von Ölverschmutdie Gesamtbelastung der Meere pro Jahr in etwa drei
zungen ist eine Sisyphusaufgabe. Bei der mechaMillionen Tonnen.
nischen Reinigung von Stränden mit HochdruckAuch auf deutschem Seegebiet gibt es eine Bohrreinigern wird das Öl meist nur tiefer in den Boden
insel: Am südlichen Rand des Schleswig-Holsteinigespült. Die inzwischen häufig zum Einsatz kommenschen Wattenmeeres fördert seit 1987 die „Mittelden Lösungsmittel und sogenannte Dispergatoren
plate“ jedes Jahr rund zwei Millionen Tonnen Öl an
sind ebenfalls giftig und keine Lösung des Problems.
die Erdoberfläche - mitten im Nationalpark!
Der BUND fordert deshalb:
- Bei jeder Öl- oder Gasförderung müssen höchstmögliche Sicherheitsstandards gelten.
- Die Sicherheitsstandards auf Plattformen müssen staatlich kontrolliert werden.
- Keine Ölförderung in sensiblen Meeresgebieten wie der Arktis und der Tiefsee! Die Risiken sind hier
nicht kalkulier- und kontrollierbar.
- Das Vorsorgeprinzip muss gelten. Das heißt im Fall der Erdölplattform „Mittelplate“ im Nationalpark
und UNESCO-Welterbe Wattenmeer: es darf keine Verlängerung der Genehmigung geben!
- Um die Abhängigkeit der Industriegesellschaften vom Öl zu beenden, bedarf es wesentlicher Weichenstellungen für eine Energiezukunft auf Basis erneuerbarer Ressourcen.
54
Sandabbau –
ein Lebensraum verschwindet!
Kritischer Kiesabbau
15 % des bundesweiten Bedarfs an Sand und Kies
stammen aus Nord- und Ostsee. Er wird vor allem
beim Bau und bei der Herstellung von Beton und
Mörtel verwendet. Für den Küstenschutz werden
ebenfalls große Mengen benötigt. Im Schnitt „verbraucht“ ein Bundesbürger in seinem Leben durchschnittlich 460 Tonnen Sand und Kies.
Bei der Sand- und Kiesentnahme werden Teile von
Sandbänken oder gleich gesamte Sandbankhabitate
mit allen dort vorkommenden Lebewesen entnommen, weil Saugbaggerschiffe den Boden oft metertief abtragen. Eine spätere Wiederbesiedelung durch
die gleichen Arten ist meist nicht mehr möglich, da
sich die Korngrößen des Sediments nach dem Eingriff
verändert haben. Feinere Sedimente werden wieder
ins Wasser gespült und lagern sich erneut ab, während Sand und Kies an Bord bleiben. Diese Sedimente
bieten Sandaalen und Grundeln keine Unterschlupfmöglichkeiten mehr.
Sandaale sind die Hauptnahrung für viele Vögel,
Fische, Robben und Schweinswale. Daher schadet
der Sandabbau langfristig auch jenen Tieren, die der
direkten Gefahr entkommen konnten. Zudem bleiben
die Schäden nicht lokal begrenzt. Denn das beim
Baggern aufgewirbelte feine Sediment wird mit der
Strömung weit verteilt. So können noch in einigen
Baggerschiff auf der Ostsee
Kilometern Entfernung Riffe unter einer dicken
Schlickschicht begraben werden.
Auch die Geräuschbelastung ist enorm. Noch in 25
Kilometern Entfernung ist das Dröhnen der Saugbaggerschiffe unter Wasser zu hören. Das stört
besonders die Meeressäuger wie Schweinswale und
Robben.
Sand- und Kiesflächen werden in der Roten Liste der
Biotoptypen der Nord- und Ostsee als „gefährdeter
Lebensraum“ bzw. als „stark gefährdet“ eingestuft.
Im deutschen Meeresgebiet sind die Sandbänke entsprechend als Natura-2000-Schutzgebiete ausgewiesen.
Besonders bedroht ist derzeit das Natura 2000-Gebiet Sylter Außenriff. Hier wurden noch kurz vor der
Meldung als Schutzgebiet Schürfrechte für große
Kiesvorkommen vergeben. Ein Beginn der Förderung
würde große Teile dieses einzigartigen Gebiets dauerhaft schaden.
Der BUND lehnt Eingriffe zum Sand- und Kiesabbau in Meeresschutzgebieten grundsätzlich ab. Auch bereits
erteilte Lizenzen müssen nach der Ausweisung der Natura 2000-Gebiete aufgehoben werden.
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Müllkippe Ozean
Plastik ist überall
6,4 Millionen Tonnen Müll landen weltweit jährlich in den Meeren. Zu den bekannten Quellen der
Verschmutzung gehören die Fischerei, die Schifffahrt,
der Eintrag durch unzureichende Abfallentsorgung
an Land und der Tourismus. Doch oft lässt sich die
Herkunft, abgesehen von Fischernetzen oder dicken
Tauen, nicht genau bestimmen. Die sogenannten
diffusen Quellen umfassen den Müll der über Flüsse
oder Winde eingetragen wird. Man geht davon aus,
dass 80 % des Mülls seinen Ursprung an Land hat,
während die restlichen 20 % direkt von Fischerbooten, Sportseeglern oder Containerschiffen ins Meer
gelangen. Ungefähr 80 bis 90 % des Mülls besteht
aus Plastik. Es ist wegen seiner Langlebigkeit, von
vermutlich 200-450 Jahren bis zu seiner vollständigen Zersetzung, zu einer großen Bedrohung für die
Meeresumwelt geworden. Ein Strandspaziergang
abseits der Touristenzentren vermittelt schnell einen
Eindruck von der Größe des Problems. Und dies ist
nur der sichtbare Teil, denn der Hauptteil der Müllpartikel (ca. 85 %) sinkt auf den Meeresboden. Inzwischen ist selbst der Ozeangrund in den entlegenen
Polargebieten mit Plastikteilen übersät.
Treibgut, nur ein kleiner Teil ist überhaupt sichtbar. Die restlichen
ca. 85 % sinken zum Meeresgrund.
Diesem Austernfischer ist der Strandmüll zum Verhängnis geworden.
Links: Ein Seehund mit einem Plastikring um den Hals.
Reihe oben: Plastik findet sich überall, ob unter oder über Wasser. Strandaufräumaktionen wie diese vom BUND können lokal
für kurze Zeit helfen die Gefahr zu reduzieren, Aber nur wenn
sich der Mülleintrag deutlich reduziert, kann Meeresumwelt und
Tieren geholfen werden
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Maskottchen der BUNDMüllkampagne
Tod durch Plastik
Die Auswirkungen auf die Ökosysteme der Meere
sind immens. Schätzungsweise 1 Million Meerestiere
sterben jährlich an den direkten Folgen des Meeresmülls. Von 200 Tierarten weiß man bisher, dass
sie massiv geschädigt werden, sei es weil sie die
schwimmenden Teile mit Nahrung verwechseln, sei
es weil sie sich in Schnüren und Netzen verwickeln.
Betroffen sind vor allem die Eissturmvögel. 93 %
der Eissturmvögel (Fulmarus gracilis) in der Nordsee
hatten laut einer OSPAR-Studie verschluckten Meeresmüll in ihren Mägen, im Durchschnitt waren es 27
Teilchen pro Vogel.
Winzig und überall
Der Plastikmüll verschwindet nicht spurlos. Sonne
und Wellen beschleunigen lediglich die Zersetzung
in winzige Teilchen, sogenanntes Mikroplastik. Viele
Sandstrände bestehen inzwischen zu einem beacht-
Toter Eisstrumvogel auf Juist. Auch in seinem Magen wurdenvkleine Plastikteile gefunden.
lichen Teil aus diesen Plastikkörnern. Beim Zerfall
der Kunststoffe gelangen gefährliche Substanzen
wie Bisphenol A ins Meerwasser. Solche Chemikalien
reichern sich in Böden und Tieren an. Zudem zieht
die Oberfläche der Plastikteile andere Umweltgifte
wie das Pflanzenschutzmittel DDT oder PCB an. Diese
Gifte reichern sich über die Nahrungskette an. Auch
Fische und Meeresfrüchte nehmen diese Substanzen
auf. So landet letztlich der Müll wieder auf unserem
Teller.
Der BUND setzt sich für einen nachhaltigen Umgang mit Plastik ein. Verpackungen für Produkte sollten umweltfreundlich gestaltet werden, d.h. weniger Verpackung aus Plastik und eine bessere Recycelfähigkeit muss
schon beim Produkdesign oberstes Ziel sein!
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Schifffahrt Hauptverkehrsroute Nord- und Ostsee
Schifffahrt ohne Grenzen
Fast 25 % aller weltweiten Schiffsbewegungen
finden auf der Nordsee statt und haben dieses Meer
zu einem der meistbefahrenen Gebiete der Welt gemacht. Viele ihrer Routen führen bis in die Ostsee.
Die Seeschifffahrt bringt jedoch mehrere gravierende
Umweltbelastungen und -risiken mit sich.
Zu den Problemen zählen Schiffsemissionen, Lärm,
Müll, Rückstände von den Antifoulinganstrichen sowie das Risiko von Schiffsunglücken. Dadurch kommt
es regelmäßig zu Schädigungen der Natur. Lange
unbeachtet blieben auch die Gefahren, die dem Ökosystem durch mit dem Ballastwasser eingeschleppte
neue Arten drohen.
Blinde Passagiere
Mit Ballastwasser erhöhen Schiffe ihr Gewicht, um
sich bei Leerfahrten zu stabilisieren. Leider werden
dabei jede Menge kleine Tiere und Larven mit in
die Tanks gepumpt. Beim Auspumpen der Tanks am
nächsten Hafen landen auch diese blinden Passagiere
wieder im Meer. Finden sie dann gute Lebensbedingungen vor, steht einer Ausbreitung der sogenannten
Neozoen wie der amerikanischen Schwertmuschel,
Schiffsbohrmuschel oder pazifischen Auster nichts
mehr im Wege.
Dennoch ist die Anzahl der eingeschleppten Arten in Nord- und Ostsee bisher mit rund 170 Arten
vergleichsweise gering geblieben. Meist haben sich
die neuen Arten ins Ökosystem eingegliedert, ohne
größere Schäden anzurichten. Aber auch Parasiten
und Krankheitserreger können über diesen Weg eingeschleppt werden.
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Ein ganzes Schiff nur für Autos
Schiffsemissionen: Schwefel & Co –
Sondermüll in der Luft
Die heutigen Schiffsdieselmotoren werden meist
mit Schweröl angetrieben. Es ist ein Rückstand aus
der Erdölverarbeitung und enthält große Mengen
an Schwefel. Bei der Verbrennung entstehen Luftschadstoffe, Treibhausgase und Substanzen, die
zum Abbau der Ozonschicht beitragen. Neben dem
Treibhausgas CO2 gelangen auch gesundheitsschädliche Stickoxide (NOx), Schwefeldioxid (SO2) und
große Mengen Ruß in die Luft. Diese Stoffe, die auch
für den sauren Regen verantwortlich sind, tragen im
Meer zur Eutrophierung bei.
Aber auch für uns Menschen sind die Schiffsabgase
schädlich. Grund hierfür ist besonders ihr hoher Feinstaubanteil, denn er schädigt unser Herz-Kreislaufund Atemsystem.
Schiffslärm stört Kommunikation von
Meeressäugern
Auch der Lärm, den die Schiffe verursachen, ist eine
Art der Emission. Schall breitet sich im Wasser viermal schneller und viel weiter aus als in der Luft. Das
führt in den vielbefahrenen Meeren zu einer Dauergeräuschbelastung.
Wie sich der ständige Lärm auf die Meeressäuger
– besonders die mit akustischen Signalen kommunizierenden Wale und Delphine – auswirkt, ist noch
weitestgehend unbekannt. Vergessen wird häufig,
dass auch viele Fische sich mit Hilfe von Lauten
verständigen. Bestes Beispiel ist der Knurrhahn, der
daher seinen Namen hat.
Schiffssicherheit:
Der nächste Unfall kommt bestimmt
Antifouling-Substanzen: Wenn die
Hormone verrückt spielen
Nord- und Ostsee gehören aufgrund ihrer Untiefen,
des dichten Verkehrs und zahlreicher Bauwerke wie
Ölplattformen und Offshore-Windanlagen zu den
gefährlichsten Meeresregionen der Welt.
Wann ein Unfall mit einem der riesigen Tanker oder
Containerschiffen passiert, ist nur eine Frage der
Zeit. Die Folgen eines solchen Unglücks für das
empfindliche marine Ökosystem der Schutzgebiete sind kaum abschätzbar. Umso wichtiger ist es,
die Sicherheit mit Hilfe von genauen Ortungs- und
Warnsystemen so weit wie möglich zu verbessern.
Außerdem müssen Notfallpläne bereitliegen und das
für eine Eindämmung der Umweltfolgen benötigte
Material muss vorhanden sein. Auf diesem Gebiet
gibt es noch viel zu tun.
Unter „Biofouling“ versteht man die Besiedlung von
Objektoberflächen durch Wasserorganismen. Jeder
feste Untergrund ist den Larven von Seepocken,
Muscheln, Korallen, Seescheiden, Schwämmen und
Algen äußerst willkommen und wird besiedelt. Für
Schiffe ist das ein großes Problem, da sich dadurch
Reibung und Gewicht erhöhen. Der Kraftstoffverbrauch steigt, die Korrosion nimmt zu, und die Manövrierfähigkeit der Schiffe verschlechtert sich. Die
Beseitigung dieser Organismen ist ein beträchtlicher
Kostenfaktor für die Schifffahrtsindustrie.
Man versucht dieses Problem zu lösen, indem man
Schiffsrümpfe mit hochgiftigen Farben bestreicht,
die vor allem Organo-Zinn-, Kupfer- und OrganoStickstoff-Verbindungen enthalten. Die Substanzen
lösen sich langsam aus der Farbe und vergiften die
Organismen. Diese sterben, fallen bestenfalls ab oder
stellen das Wachstum ein. Natürlich müssen die giftigen Farben regelmäßig erneuert werden, damit sie
ihre Wirksamkeit behalten.
Da viele dieser Substanzen stabil sind, reichern
sie sich in den vielbefahrenen Meeresregionen an
und schädigen dann auch andere am Biofouling
unbeteiligte Meerestiere. Besonders in die Kritik
geraten ist das inzwischen verbotene TBT (Tributylzinn). Es wirkt bei vielen Meeresschneckenarten
wie ein Geschlechtshormon und führt zu Imposex:
Den weiblichen Schnecken wächst ein Penis, der die
Vermehrungsfähigkeit stark einschränkt. Die Wellhornschnecke in der Nordsee hat das an den Rand
des Aussterbens gebracht.
Die riesigen Containerschiffe machen unser Welthandelssystem
erst möglich.
Der BUND fordert:
- weitere Reduktion der Schiffsemissionen;
- Abgasreinigungssysteme für Schiffe;
- Ausweisung von Nord- und Ostsee als ECA-Gebiet (Schwefel- und Stickoxid-Kontrollgebiet);
- strikte Umsetzung der IMO-Richtlinie;
- weltweite Abschaffung von Schweröl als Schiffstreibstoff;
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Bildnachweise
Titelbild:
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Seenelken, Sven Gust
Weltkarte, Alexkr2 (Wikimedia: creative commons license); Angler am Meer, gilderic (flickr: crative common license)
Windpark, Elke Körner; Containerschiff, noaa (flickr: crative common license)
Regenbrachvogel, Henning Kunze
Karte Natura 2000, European Environment Agency (EEA)
Sandbank, Uli Kunz
Riff, Wolf Wichmann
Graphiken, Eike Holzkämper
Silbermöwe, Andreas Didion
Riesenhai, yohancha (flickr: crative common license); Seehund und Nagelochen von Sven Gust
Wellhornschnecke, Paul Kay; Bathyporeia elegans, Hans Hillewaert (Wikimedia: crative commons license)
Phytoplankton, Gordon T. Taylor (Wikimedia: crative commons license)
Tordalk, Manfred Bartels; Schweinswal, Sven Gust
Einsiedlerkrebs, Bettina Balnis
Seenelke und Seehase, Sven Gust; Sepien, Bettina Balnis; Riffgemeinschaft, Wolf Wichmann
Kamm-Furchenschnecke, Bettina Balnis; Tote Mannshand, Uli Kunz
Miesmuscheln, jeansmachines24 (flickr: crative common license); Röhrenpolyp, Bettina Balins: Seepocken und Schwamm, Michael Link
Einsiedlerkrebs, Wolf Wichmann; Taschenkrebs und Gemeiner Seestern, Michael Link
Schweinswal, Matthias Prinke; Fadenschnecke, Bettina Balins
Felsbrocken, Wolf Wichmann; Kuckuckslippfisch, Peter Edin; Seeskorpion, Paul Kay; Knotiger Seestern, Vidar A (flickr: crative
common license)
Seeigellarve, Otto Larink; Fischschwarm, Uli Kunz
Gestrandeter Schweinswal, chester08057 (flickr: crative common license); Toter Basstölpel, Jan Stok (IMARES)
Saugbagger, Wolfgang Meinhart (Wikimedia: GNU Free Documentation License); Sandaale, Uli Kunz
Basstölpel, Jens Todzy; Dreizehenmöwe, Steve Garvie
Brandseeschwalbe, Henning Kunze; Trotellumme, Manfred Delpho; Sterntaucher, Bernd Rosemann
Heller Schlangenstern, Sven Gust; Nucula nitidosa, David Fenwick (www.aphotomarine.com), Abra alba von Hans Hillewaert (Wikimedia: crative commons license); Amphiura filiformis, Hannah Wood; Amphiura filiformis-Arme, Rutger Rosenberg
Basstölpel mit Plastik, Wolf Wichmann; jagende Basstölpel, John Anderson; Prachttaucher, Steve Garvie
Wasserfläche, Andreas Goroncy
Aalmutter, Michael Link
Rotalgen und Seeigel, Uli Kunz
Sandgrundel, Michael Link; Gebogene Schwebegarnele, Bettina Balins; Braunalge, Uli Kunz; Grünalge, Kristian Peters; Rotalge, Michael Link
Strandseeigel, Eric Burgers (flickr: crative common license); Kabeljauschwarm, Joachim S. Müller (flickr: crative common license)
Islandmuschel, Gunnar Ries (Wikimedia: crative commons license); Grüne Samtschnecke, Bettina Balnis; Femarnbeltquerung, (Nasa World Wind)
Nordseegarnele, Paul Kay; Kabeljau, Sven Gust
Leierfisch, Sven Gust
Scholle, Sven Gust; Strandkrabbe, Wolf Wichmann
Sandklaffmuschel, Michael Link; Herzmuschel, Paul Kay; Seeringelwurm, M. Buschmann ((Wikimedia: creative commons license))
Stör, Jörn Geßner
Schwarzgrundel, Bettina Balins
Meerassel, Peter Edin, Miesmuscheln, Michel Link; Felsengarnel, Bettina Balnis
Miesmuschel, Paul Kay
Nonnengänse, Henning Kunze
Trauerenten, Eiderenten und Eisente Steve Garvie; Küstenseeschwalbe, Frank Brüning
Gespensterkrebs, Bettina Balnis
Krabbenkutter, Eric Gevaert (Fotolia)
Beifang, Oliver Hofmann; Fischerei, R. Schöne (v.TI); Heringe M. Drenchow (v.TI)
Meeresboden, Uli Kunz; Grundschleppnetz, BioConsult
Algen, Krause und Hübner (BfN); Unterwasserlandschaft, Michael Link
Gülleeintrag, Uschi Dreiucker (www.pixelio.de); Algenteppich auf der Ostsee im Jahr 2005 (ESA, 2010); Mikroalgen, S. Busch (IOW)
Bohrinsel Mittelplate, Ralf Roletschek (Wikimedia: GNU Free Documentation License)
Baggerschiff, Peter Hübner (BfN)
Seehund, Schutzstation Wattenmeer; Strandmüll, Anke Hofmeister; Austernfischer, Craig Nash (IMARES); Plastiktüte, Svenja Beilfuß; Ballons, Oliver Hofmann
Toter Eissturmvogel und Müllsammler, Florian Biener; BUND-Gruppe, Viora Weber
Autofrachter, Georg Wietschorke
Containerschiff, Elke Körner
BUND-Ausstellung, Anke Hofmeister
Gebietskarten basieren auf Daten vom BSH und BfN, Gestaltung: Oliver Hofmann
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Meere brauchen Schutz
Der marine Lebensraum entzieht sich in seiner Dimension und seiner Unzugänglichkeit der allgemeinen
menschlichen Vorstellungskraft und der alltäglichen Präsenz. Die schiere Größe und scheinbare Unendlichkeit
der Ozeane erweckte für lange Zeit den Eindruck, dass Eingriffe in die Meeresnatur „verkraftet“ werden. Doch
marine Ökosysteme sind von Zerstörung bedroht.
Habitate und Arten von europaweiter Bedeutung sollen durch die Ausweisung von Schutzgebieten vor Verlust
gesichert werden. Diese formen zusammen ein Netz von Schutzgebieten: das Natura 2000 Netzwerk. 2004
meldete Deutschland zehn Natura 2000-Gebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone der deutschen Nordund Ostsee. Mit der Ausweisung der Gebiete ist es Deutschland gelungen, ein vollständiges Netzwerk von
küstenfernen Meeresschutzgebieten herauszustellen.
Die Broschüre „Zukunft für die Tierwelt von Nord- und Ostsee“ lädt ein zu einer Reise durch die marinen
Schutzgebiete vor der deutschen Küste. Von West nach Ost werden die Unterwasser-Schutzzonen in reich
bebilderten Portraits vorgestellt und ihre Bedeutung für das Natura 2000-Netzwerk erklärt. Wie ein Reiseführer leitet die Broschüre den Leser durch die Tiefen von Nord- und Ostsee, schildert spannende Phänomene und
geologische und biologische Besonderheiten.
Diese Broschüre bietet ausführliches Begleitmaterial zur BUND- Wanderausstellung „Eingetaucht - Vielfalt in
unseren Meeren“.
Die Natur und die Umwelt brauchen Schutz.
Deshalb gibt es den BUND.
Werden Sie Mitglied.
Jetzt ganz einfach unter: www.bund.net/mitgliedwerden
Die Wanderausstellung „Eingetaucht - Vielfalt in unseren Meeren” wurde 2012 vom BUND-Projekbüro Meeresschutz
entwickelt und befindet sich seitdem „auf Tour” durch ganz Deutschland. Ausstellungstermine und weitere Informatiosmaterialien finden Sie unter www.bund.net/meer
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