von den Göttern eingesetzten Kultordnungen und Riten, welche nach der Sint ut in Vergessenheit geraten waren, abermals einführte. So hatte Gilgamesch nach der Katastrophe des Weltengerichtes das heilbringende Verhältnis zu den Göttern wiederhergestellt, welches dauerhaftes Gedeihen der menschlichen Kultur erst garantiert. Die ‹Sumerische Königsliste›, die im ausgehenden dritten vorchristlichen Jahrtausend entstand, zeigt uns, daß die Gelehrten des Zweistromlandes sehr genaue Vorstellungen davon besaßen, wann Gilgamesch lebte und wirkte. Nach einer grauen Vorzeit, in der die Menschen noch ohne königliche Führung auskamen, so lehrt es die Königsliste, sei «das Königtum vom Himmel herabgekommen», und acht ungeheuer langlebige Fürsten hätten insgesamt 241.200 Jahre das Geschick der Menschen gelenkt, bevor die Götter in der Sint ut die alte Welt zugrunde gehen ließen. Bis Gilgamesch, der König von Uruk, endlich den Thron bestieg, um die Kultur in der aufs neue erstandenen Welt wiederherzustellen, sollten der ‹Sumerischen Königsliste› zufolge noch 26.554 Jahre vergehen. Nachdem nach der Flut für 24.510 Jahre, drei Monate und dreieinhalb Tage 23 Könige der sumerischen Stadt Kisch über das Land herrschten, sei das Königtum auf die Stadt Uruk übergegangen. Als fünfter König der ersten nachsint utlichen Dynastie von Uruk soll schließlich Gilgamesch 126 Jahre lang regiert haben, bevor ihm sein Sohn Ur-Nungal im Amte folgte. Die Historiker des ausgehenden dritten Jahrtausends v. Chr. nahmen an, daß das Königtum danach in mehr als 6500 Jahren noch siebzehnmal von einer Stadt an die andere übergegangen war, bevor es in ihrer eigenen Zeit abermals in die Hände einer aus Uruk stammenden, aber in Ur residierenden mächtigen Dynastie gelangte, deren Herrscher sich als «Bruder des Gilgamesch» zu bezeichnen pflegten. Man sollte sich hüten, die Gestalt des Gilgamesch allzu schnell dem Reich der Sagen zuzuweisen. Denn zumindest einer der Herrscher, die der ‹Sumerischen Königsliste› zufolge vor Gilgamesch regiert haben sollen, muß als historische Persönlichkeit des frühen dritten vorchristlichen Jahrtausends gelten. Obgleich man ihm, so wie auch Gilgamesch selbst, eine undenkbar lange Regierungszeit zuschrieb, beweisen Keilinschriften dieses Fürsten eindeutig dessen Historizität. Es ist daher keineswegs unwahrscheinlich, daß auch ein König mit dem Namen Gilgamesch in Uruk regierte. Die eindrucksvolle, mehr als 9 km lange, turmbewehrte Mauer, die Uruk umfriedete, könnte durchaus von diesem König errichtet worden sein. Archäologische Forschungen der letzten Jahrzehnte bestätigen jedenfalls, daß, in Übereinstimmung mit der Überlieferung der altorientalischen Gilgamesch-Dichtungen, die wohl erstmals im frühen dritten Jahrtausend v. Chr. errichtete Mauer von Uruk tatsächlich die älteste Stadtmauer des Zweistromlandes ist. Die Ausgrabungsergebnisse der letzten Jahrzehnte lassen auch keinen Zweifel daran, daß in der Frühgeschichte Mesopotamiens Uruk die führende Rolle spielte. Im vierten Jahrtausend v. Chr. hatte sich die schnell anwachsende Stadt zum Mittelpunkt der sumerischen Hochkultur entwickelt und baute weit über Mesopotamien hinausreichende Handelsbeziehungen auf. Die immer komplexer werdenden Verwaltungsaufgaben, die mit dem Unterhalt und der Beschäftigung Zehntausender von Menschen verbunden waren, führten im Uruk des ausgehenden vierten vorchristlichen Jahrtausends zu einer folgenreichen Innovation. Weitsichtige Verwaltungsbeamte hatten dafür gesorgt, daß erstmals in der Geschichte der Menschheit eine Schrift entwickelt wurde, um schwierige Buchungsvorgänge auch langfristig überschauen und so Planungssicherheit garantieren zu können. Von Uruk aus nahm der Siegeszug der Keilschrift, die rasch weite Verbreitung fand, seinen Lauf. Reste der von gewaltigen Tempelanlagen, riesigen Verwaltungsgebäuden, Vorratsspeichern und künstlich angelegten Kanälen geprägten Stadtanlage der Frühzeit zeugen auch heute noch von der Tatkraft und dem Organisationstalent der ersten Fürsten von Uruk. Im Gilgamesch-Epos sind Erinnerungen an diese frühe Zeit wachgeblieben. Gilgamesch, der Gott Die Erinnerung an Gilgamesch lebte nicht allein in der Literatur des Alten Orients fort. Auch im Alltagsleben der Menschen des Zweistromlandes war der König von Uruk gegenwärtig, und dies nicht allein, weil im Rahmen eines Festes die jungen Männer der Städte «in ihren Toren» Ringkämpfe austrugen, um an den sagenhaften Kampf zwischen Gilgamesch und Enkidu zu erinnern (siehe Gilgamesch-Epos, Tafel II, 111–115). Keilschrifttexte dokumentieren, daß Gilgamesch schon in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends als Gott verehrt wurde, dem Opfer dargebracht und auch von einfachen Leuten Weihegeschenke zugeeignet wurden. Der Überlieferung des Gilgamesch-Epos, der König von Uruk sei nach seinem Tode zum Gott erhoben worden, entspricht also eine durchaus lebendige Kultpraxis. Zwar hatten die Götter, so ist es in einer sumerischen Gilgamesch-Erzählung ausführlich geschildert, dem lebendigen Fürsten, der nach der Unsterblichkeit strebte, das ewige Leben wie jedem anderen Menschen verweigert. Nach seinem Tode aber erhoben sie Gilgamesch, der schon seit Geburt zu zwei Dritteln Gott gewesen war, zu einem der Ihren und unterstellten ihm die Unterwelt. Denn er hatte mit seiner Sorge um den toten Freund Enkidu (siehe GilgameschEpos, Tafel VIII) den Menschen ein Beispiel gegeben und damit die Regeln des Totenkultes eingeführt. Zahlreiche