Zwischen Grandiosität und Verweigerung Besonderheiten in der Psychotherapie mit Spätadoleszenten und jungen Erwachsenen 43. Lübecker Psychotherapietage 14.10.2014 Gliederung 1. 2. 3. 4. 5. Entwicklungspsychologische Aspekte zur Spätadoleszenz Psychodynamische Besonderheiten Schwierigkeiten in der Diagnostik und Indikationsstellung Einige Aspekte zur Behandlungstechnik Spätadoleszenz in der Postmoderne 1. Entwicklungspsychologische Aspekte zur Spätadoleszenz Spätadoleszenz Zeit der Trennung, des Abschieds und des Verlustes Adoleszenz: Zeit des Ausprobierens und der versuchten Rollenübernahmen Spätadoleszenz: Bilanzierung der bisher erworbenen „inneren Ausstattung“ Diese Lebensphase hat immer einen krisenhaften Charakter Die Abschlussphase der Adoleszenz ist der Zeitpunkt, wo adaptives Misslingen seine endgültige Form annimmt, wo der Zusammenbruch eintritt P. Blos, 1962 2. Psychodynamische Besonderheiten Das Erleben eines nicht erreichten stabilen Identitätsgefühls Die Angst vor Beschämung und Demütigung Die Angst vor der eigenen Destruktivität und deren Folgen Der Aspekt der Rache Das Erleben eines nicht erreichten stabilen Identitätsgefühls Die Entwicklung eines stabilen Identitätsgefühls als Hauptaufgabe des adoleszenten Erprobungsraumes Scheitern der Adoleszenz als „2. Chance“ (Eissler) Psychogenese: selbstobjekthafte Verwendung unterlaufen Autonomiebestrebungen Selbstwertstabilisierung über eigene Lebensleistungen ist nicht möglich Identifikation mit idealen Objekten oder einem idealen Selbst Die Angst vor Beschämung und Demütigung Die Scham als Leitaffekt der Spätadoleszenz Beschämung als Folge der Anerkennung, dass nicht in erster Linie äußere Aspekte für die eigenen Lebensschwierigkeiten verantwortlich sind Beschämung als Folge der Diskrepanz zwischen Selbstbild und Ich – Ideal Position der narzisstischen Überlegenheit als Ausdruck großer Empfindlichkeit gegenüber Demütigungen Das Erleben von und der Umgang mit Schamgefühlen nimmt wesentlich Einfluss auf den Verlauf der Spätadoleszenz „Die Fähigkeit zwischen Selbsterleben und Selbstobjektivierung zu oszillieren und dabei begleitend maßvolle Gefühle von Scham und Stolz zu erleben, macht reife Identität und psychische Gesundheit aus.“ Hilgers, 2006 Die Angst vor der eigenen Destruktivität Trennungsimpulse und Ablösungswünsche werden unbewusst als Angriffe oder Zumutungen erlebt Neuauflage des ödipalen Konfliktes (Ödipussage) Entlastung von destruktiven Impulsen durch Leugnung, Wendung gegen das Selbst, öfter noch durch projektive Manöver, um feindselige Impulse leugnen zu können “In der unbewussten Fantasie ist das Erwachsenwerden naturgegeben etwas Aggressives“ Winnicott, 1971 Der Aspekt der Rache Rachebedürfnisse als Folge von Hilflosigkeits-, und Demütigungs- und Kleinheitsgefühlen Wirkungsvollste Möglichkeit Rachewünsche zu realisieren: Die Nichtentwicklung Rachebedürfnisse und Beschuldigungen im Dienste der Schamentlastung führt zu stabilen Wiedergutmachungsforderungen Können diese nicht aufgegeben werden, so kann ein circulus vitiosus entstehen Evtl. ausgesprochen schwieriger therapeutischer Zugang 3. Schwierigkeiten in der Diagnostik und Indikationsstellung „ .....zu jeder anderen Lebenszeit würden innere Widersprüche dieser Art Symptome eines krankhaften Zustandes sein. In der Adoleszenz haben sie eine andere Bedeutung. Sie sind nicht mehr als ein Hinweis darauf, dass das Ich nach Lösungen sucht, sie aufnimmt und wieder verwirft und zögert, endgültige Entscheidungen zu treffen.“ Anna Freud, 1958 Schwierigkeiten in der Diagnostik und Indikationsstellung Regression vs. ich - strukturelle Störung Äußere Lebensschwierigkeiten überwuchern die innerseelischen Schwierigkeiten 4. Behandlungstechnische Besonderheiten Behandlungstechnische Besonderheiten I Die Behandlung adoleszenter und spätadoleszenter Patienten ist Therapie im Übergang Paradoxon: verbindliche therapeutische Beziehung in einer Lebensphase die auf Ablösung und Individuation zielt Defizite in der Affektwahrnehmung und Affektdifferenzierung Behandlungstechnische Besonderheiten II Begegnung mit einem starren, Legitimation vermittelnden Selbstentwurf Oft ein verzweifelt anmutender Versuch die eigenen Schwierigkeiten auf der Handlungsebene zu lösen Widerstand gegen die Anerkennung der Tatsache des „Auf-sich-Gestelltseins“ Gefahr auch die Behandlung zu einem unproduktiven Rückzugsraum zu machen (Unbewusstes) Festhalten an einer Position der Unschuld Eine Therapie beginnen zu müssen ist eine Kränkung Die Psychotherapie junger Erwachsener muss folgende Besonderheiten berücksichtigen • • • • • Die reale Lebenssituation ist eine Schwellensituation Dem „Handlungsdialog“ kommt eine große Bedeutung zu In der Arbeit mit diesen Patienten sind besondere Übertragungs – und Gegenübertragungsprozesse zu berücksichtigen Passiv – vermeidende Bewältigungsstrategien, besonders zur Schamabwehr bestimmen oft die Atmosphäre im therapeutischen Prozess Der Umgang mit der Regression stellt eine besondere Herausforderung für den Therapeuten (das therapeutische Team) dar Zur Psychotherapie Spätadoleszenter Die therapeutischen Interventionen zielen in erster Linie auf die Verflüssigung erstarrter Entwicklungsprozesse Vereinbarung eines klaren Rahmens vor Beginn der Behandlung und dessen Einhaltung im Verlauf Der Rahmen ist für beide Partner verbindlich und erhält so eine triangulierende Funktion Cave: Fokussierung auf die äußere Realität vs. innere Welt Interventionen auf die Identiätsunsicherheit, Macht – und Ohnmachtsverwicklungen und strenge oder quälende Ich-Ideal-Konfigurationen bezogen, sind zu bevorzugen Besondere Fähigkeiten des Therapeuten Zugang zur eigenen Adoleszenz Handhabung von Größen – und Allmachtsphantasien Hohe Bedeutung des Schamaffektes Handhabung des Neides in der Gegenübertragung Umgang mit Phasen der Orientierungslosigkeit Toleranz für starke emotionale Wechsel Verständnis für die verdeckende Form manifesten Verhaltens 5. Spätadoleszenz in der Postmoderne Digitalisierung, Beschleunigung und Transparenz Digitalisierung, Beschleunigung und Transparenz legen einen weiteren Verzicht auf eine libidinöse Hinwendung zur Objektwelt und eine Hinwendung zu überwiegend narzisstischen Befriedigungsformen nahe Eine narzisstische Persönlichkeitsorganisation wird durch die vielfältigen Möglichkeiten der Resonanz, die im virtuellen Raum, relativ kränkungs- und beschämungsarm zur Verfügung gestellt wird, verfestigt. Die zweite Chance der Adoleszenz kann in der virtuellen Realität verspielt werden Behandlungspraxis Spätadoleszente bringen die Voraussetzung für eine (tiefenpsychologisch/psychoanalytisch orientierte) Behandlung immer seltener mit, bzw. diese muss erst erarbeitet werden Die Behandlung wird sich oft in einem Dreieck zwischen dem Wunsch nach schneller Besserung und Symptomlinderung, Abbruchphantasien und einem Zustand quälenden Stillstands mit (latentem) Vorwurf, ohne persönliche Zeit, begehrte Objekte und einer diffus erscheinenden Realität abspielen Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit !