M. Runge: Der ethische Diskurs in Altenpflege und Medizin - die Prinzipien Autonomie, Nicht-Schaden, Benefizienz und Gerechtigkeit Ethiktagung SOB Steyr 4. April 2014 Ethik – eine nahezu unüberschaubare Begriffslandschaft Hans-Martin Sass (Hrsg): Medizin und Ethik. Reclam-Verlag Nr. 8599, Stuttgart 1999 Arbeits-Definitionen • Ethik ist die philosophische oder theologische Disziplin, die moralisches Handeln rational begründet (= Theorie der Moral) • Moral: Handeln in den Kategorien gut-böse. Basierend auf einem Set von Regeln/ Normen für moralisch relevantes Handeln. Semantische Klärung Man unterscheide Empirische – ästhetische – ethische Sätze: 1) Linz hat ca. 190 000 Einwohner 2) Die Altstadt von Steyr ist schöner als die von Linz 3) Du sollst sorgfältig deine Hände desinfizieren. Ethische Sätze Richtig – falsch: empirisch Schön-häßlich: ästhetische Gut – böse: ethisch (moralisch) Du sollst ……. Du mußt… Du darfst… Du darfst nicht….. Geboten – verboten - erlaubt - Bezogen auf das eigene Handeln und die Unterscheidung von gut und böse. Notwendigkeit von Ethik • Aus der Pluralität von Weltanschauungen/ Werteskalen ergibt sich die gesellschaftliche Notwendigkeit zum Diskurs. • Wir handeln immer, man kann nicht nichthandeln, und dem liegen immer moralisch relevante Einstellungen (Werte/ persönlicher Glauben) zugrunde. • Sich diese Disposition bewusst zu machen, ist Aufgabe der Ethik. Moralische Dilemmata -Beendigung eíner lebenswichtigen Therapie. -Durchführen einer Therapie mit zweifelhaftem oder erkennbar vergeblicher Zielerreichung -Akzeptieren einer Patientenentscheidung über Annahme oder Ablehnung einer medizinisch vorgeschlagenen Therapie oder Pflege Diskursive Leitfragen • Wie lautet das ethische Problem? • Was dient dem Wohl des Patienten? • ……………………………………………………… Anamnese zum Wertbild Mutmaßlicher Patientenwille/ Autonomie Der Wille des/ der direkt Betroffenen ist das oberste Gebot. Es gibt bei Menschen mit Demenz eine partielle Fähigkeit zur Willensbildung. Das Urteil über die Urteils- und Willensfähigkeit eines Menschen ist immer situationsspezifisch. Ethischer Diskurs Der erste Schritt ist das Herausarbeiten der relevanten Datenbasis (Diagnose, Prognose, Therapieoptionen). Das ist der erste Schritt und strikt zu trennen vom ethischen Urteil. 4 Prinzipien Vier-Prinzipien-Modell von Beauchamp und Childress Autonomie der Patientin / des Patienten (respect for autonomy) Das Autonomieprinzip gesteht jeder Person Entscheidungsfreiheit zu. Es beinhaltet die Forderung des informierten Einverständnisses (informed consent) vor jeder diagnostischen und therapeutischen Maßnahme und die Berücksichtigung der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen des Patienten. Nicht-Schaden (nonmaleficence) Das Prinzip der Schadensvermeidung fordert, schädliche Eingriffe zu unterlassen. Dies scheint zunächst selbstverständlich, kommt aber bei eingreifenden Therapien (z.B. Chemotherapie) häufig in Konflikt mit dem Prinzip der Fürsorge. Fürsorge, Hilfeleistung (beneficence) Das Prinzip der Fürsorge verpflichtet den Behandler zu aktivem Handeln, das das Wohl des Patienten fördert und ihm nützt. Das Fürsorgeprinzip steht häufig im Konflikt mit dem Autonomieprinzip und dem Prinzip der Schadensvermeidung (s.o.). Gleichheit und Gerechtigkeit (justice) Das Prinzip der Gerechtigkeit fordert eine faire Verteilung von Gesundheitsleistungen. Gleiche Fälle sollten gleich behandelt werden, bei Ungleichbehandlung sollten moralisch relevante Kriterien konkretisiert werden. Fragenkatalog Nimwegener Methode 1 2 Wie lautet das ethische Problem? Fakten: Medizinisch/ pflegerisch/ weltanschaulich/ organisatorisch 3 Bewertung: Wohlbefinden/ Autonomie/ Verantwortlichkeiten (Abgrenzung)/ 4 Beschlussfassung Wie lautet jetzt das ethische Problem? Sind wichtige Fakten unbekannt? Formulierung miteinander konkurrierender Werte? Ausweg? Welche Handlungsalternativen hat die größte Übereinstimmung mit dem Patientenwillen? Welche Verpflichtung für wen? Unbeantwortete Fragen? Eingeschränkte Willensfähigkeit 1 Wie und durch wen festgestellt, dass der Patient nicht zu eigenem Willen fähig ist? Runge: Partiell? Spezifisch für diese Frage? 2 Willensbegrenzung zeitlich begrenzt? 3 Aufschieben der Entscheidung möglich Was weiß man über die Werte des Patienten? Alles, was ihr wollt, das euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso. Mt 7,12 und Lk 6,31 Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu. Make the world a better place! Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. Mt 25,31ff „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ (Kant 1785) World vision …..Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden. …… Genfer Deklaration: The health of my patient will be my first consideration. Was bedeutet „Gesundheit“ bei Alter und Multimorbidität? Genfer Gelöbnis: Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich: mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung und Dankbarkeit erweisen. Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten. Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein. Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung. Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre. Geriatrische Perspektive: Ethische Entscheidungen vor dem Hintergrund absehbar begrenzter Zeit! Vier-Prinzipien-Modell von Beauchamp und Childress Autonomie der Patientin / des Patienten (respect for autonomy) Das Autonomieprinzip gesteht jeder Person Entscheidungsfreiheit zu. Es beinhaltet die Forderung des informierten Einverständnisses (informed consent) vor jeder diagnostischen und therapeutischen Maßnahme und die Berücksichtigung der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen des Patienten. Nicht-Schaden (nonmaleficence) Das Prinzip der Schadensvermeidung fordert, schädliche Eingriffe zu unterlassen. Dies scheint zunächst selbstverständlich, kommt aber bei eingreifenden Therapien (z.B. Chemotherapie) häufig in Konflikt mit dem Prinzip der Fürsorge. Fürsorge, Hilfeleistung (beneficence) Das Prinzip der Fürsorge verpflichtet den Behandler zu aktivem Handeln, das das Wohl des Patienten fördert und ihm nützt. Das Fürsorgeprinzip steht häufig im Konflikt mit dem Autonomieprinzip und dem Prinzip der Schadensvermeidung (s.o.). Gleichheit und Gerechtigkeit (justice) Das Prinzip der Gerechtigkeit fordert eine faire Verteilung von Gesundheitsleistungen. Gleiche Fälle sollten gleich behandelt werden, bei Ungleichbehandlung sollten moralisch relevante Kriterien konkretisiert werden. Zeichnung und Bild von Santiago Ramon y Cajal Best Ager Geschichten Wörter Wilson et al, Arch Neuro, 1999 Alois Alzheimer, Alzheimer-Krankheit Das Gesicht einer Krankheit Auguste D., die erste Alzheimer-Patientin (November 1902) beschrieben und photographiert von Alois Alzheimer (1864-1915, München): 37. Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte, Tübingen, 3. / 4. November 1906: „Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde“ Photographie aus der Akte Auguste D., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I, Universität Frankfurt am Main Veränderungen des Gehirns AmyloidAblagerungen (Plaques) normales Gehirn Atrophie Uhrentest leicht durchzuführender Test Auskunft über: problemlösendes Denken, räumliche Leistungen Beurteilung: 1 = perfekt 2 = leichte visuell-räumliche Fehler 3 = Uhrzeit fehlerhaft, erhaltene visuell-räumliche Darstellung 4 = mittelgradige visuell-räumliche Desorganisation 5 = schwergradige visuell-räumliche Desorganisation 6 = keine Uhr erkennbar Aus: Gauthier, Burns, Pettit: Alzheimer-Demenz in der Primärversorgung, S. 15 Modifiziert nach: Shulman et al. (1993) Vier-Prinzipien-Modell von Beauchamp und Childress Autonomie der Patientin / des Patienten (respect for autonomy) Das Autonomieprinzip gesteht jeder Person Entscheidungsfreiheit zu. Es beinhaltet die Forderung des informierten Einverständnisses (informed consent) vor jeder diagnostischen und therapeutischen Maßnahme und die Berücksichtigung der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen des Patienten. Nicht-Schaden (nonmaleficence) Das Prinzip der Schadensvermeidung fordert, schädliche Eingriffe zu unterlassen. Dies scheint zunächst selbstverständlich, kommt aber bei eingreifenden Therapien (z.B. Chemotherapie) häufig in Konflikt mit dem Prinzip der Fürsorge. Fürsorge, Hilfeleistung (beneficence) Das Prinzip der Fürsorge verpflichtet den Behandler zu aktivem Handeln, das das Wohl des Patienten fördert und ihm nützt. Das Fürsorgeprinzip steht häufig im Konflikt mit dem Autonomieprinzip und dem Prinzip der Schadensvermeidung (s.o.). Gleichheit und Gerechtigkeit (justice) Das Prinzip der Gerechtigkeit fordert eine faire Verteilung von Gesundheitsleistungen. Gleiche Fälle sollten gleich behandelt werden, bei Ungleichbehandlung sollten moralisch relevante Kriterien konkretisiert werden. Literaturempfehlung Martin Runge (2014) Geriatrie im Horizont des vieren Gebots, pp. 437-454. In: Franz-Josef Bormann, Verena Wetzstein (Hrsg.): Gewissen. Walter de Gruyter, Berlin/ Boston 2014