Dokument_11.

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Aus der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Direktor: Prof. Dr. med. J. Kornhuber
Jung, gesund und doch vergesslich?
Wie die Polymorphismen BDNF Val66Met und
APO E die mnestischen Leistungen
junger gesunder Probanden beeinflussen
Inaugural-Dissertation
zur Erlangung der Doktorwürde
der Medizinischen Fakultät
der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
vorgelegt von
Tanja Richter-Schmidinger
aus Trostberg
Gedruckt mit Erlaubnis der
Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Dekan:
Prof. Dr. med. Dr. h.c. J. Schüttler
Referent:
Prof. Dr. med. J. Kornhuber
Korreferent:
PD Dr. med. J. M. Maler
Prof. Dr. S. Engel
Tag der mündlichen Prüfung: 09.12.2010
Inhaltsverzeichnis
1
Zusammenfassung
1
2
Gedächtnis, BDNF und APOE
5
2.1
2.1.1
Gedächtnis
Taxonomien des Gedächtnisses
6
6
2.1.1.1
2.1.1.2
2.1.1.3
Zeitliche Dimensionen des Gedächtnisses
Inhaltliche Dimensionen des Gedächtnisses
Stufen der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten
6
8
11
2.1.2
2.1.3
Neuroanamtomie des Gedächtnisses
Diagnostik von Gedächtnisstörungen
13
15
2.2
2.2.1
2.2.2
Brain-derived neurotrophic factor (BDNF)
Der Val66Met Polymorphismus des BDNF-Gens
Effekte des Polymorphismus Val66Met auf die Neurophysiologie und
cerebrale Morphologie
Klinische Effekte des Polymorphismus Val66Met
17
20
20
22
23
24
2.3.3
Apolipoprotein E (ApoE)
Polymorphismus des APOE-Gens
Effekte des Polymorphismus APOE-ε4 auf die Neurophysiologie und
cerebrale Morphologie
Klinische Effekte des Polymorphismus APOE-ε4
2.4
Zielsetzungen
28
3
Methodik
29
3.1
Studiendesign
29
3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
Messmethoden
Inventar zur Gedächtnisdiagnostik (IGD)
Genotypisierung des BDNF
Genotypisierung des APOE
30
30
33
33
3.3
Beschreibung der Stichprobe
33
4
Ergebnisse
37
4.1
4.1.1
4.1.2
4.1.3
Deskriptive Statistik
Mnestische Leistungen und BNDF Val66Met
Mnestische Leistungen und APOE
Zusammenfassung der deskriptiven Statistik
37
37
39
41
4.2
4.2.1
4.2.2
Analytische Statistik
Der Einfluss demographischer Variablen
Mnestische Unterschiede zwischen den BDNF-Genotypen
42
43
47
4.2.2.1
4.2.2.2
4.2.2.3
4.2.2.4
Val-Val versus Val-Met
Val-Val versus Met-Met
Val-Met versus Met-Met
Kein Met versus Met
47
48
50
51
2.2.3
2.3
2.3.1
2.3.2
21
26
4.2.3
4.2.4
Mnestische Unterschiede zwischen den APOE-Genotypen
Zusammenhänge mit demographischen Variablen und der Einfluss des
Lebensalters
52
54
4.2.4.1
Zusammenhänge der Phänotypen von BDNF Val66Met und APOE-ε4 mit den
demographischen Variablen
Die Abhängigkeit der Phänotypen der Polymorphismen BDNF Val66Met und
APOE-ε4 vom Alter
54
4.2.4.2
55
4.2.5
Zusammenfassung der analytischen Statistik
64
5
Diskussion
66
5.1
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.1.4
BDNF Val66Met und Gedächtnis
Normativer Vergleich: Val-Val liegt vorne
Demographische Einflüsse: epistatische Hinweise in der Val-Val Gruppe
BDNF-Met Träger sind in mnestischer Hinsicht benachteiligt
Mit dem Alter gleichen sich die Gruppen „kein Met“ und „Met“ an
66
66
66
67
69
5.2
5.2.1
5.2.2
5.2.3
70
70
71
72
5.2.4
APOE-εε4 und Gedächtnis
Normativer Vergleich: APOE-E2 liegt vorne
Demographische Einflüsse: BDNF-Met mindert den Erfolg von APOE-E2
APOE-Varianten verursachen keinen signifikanten Unterschied in den
mnestischen Leistungen
Mit dem Alter gleichen sich die Gruppen „kein ε4“ und „ε4“ an
5.3
Ausblick
74
6
Literaturverzeichnis
77
7
Vorveröffentlichung
89
8
Abkürzungsverzeichnis
90
9
Tabellenverzeichnis
92
10
Abbildungsverzeichnis
94
11
Anhang
95
12
Danksagung
73
106
-1-
1
Zusammenfassung
Hintergrund und Ziele
Seit der Sequenzierung des menschlichen Genoms versuchen Forscher unter den im
zentralen Nervensystem exprimierten Genen diejenigen zu identifizieren, die
nachweisbar die Kognition des Menschen beeinflussen. Eine in diesem Kontext häufig
gestellte Frage ist die nach dem Zusammenhang zwischen den individuell differierenden Gedächtnisleistungen und den Polymorphismen BDNF Val66Met und APOE ε4.
Sowohl die Varianten des brain-derived neurotrophic factors (BDNF) als auch die
Isoformen des Apolipoproteins E (APOE) werden mit Lern- und Gedächtnisprozessen,
aber auch mit mnestischen Defiziten und Amnesie im Rahmen einer dementiellen
Erkrankung in Verbindung gebracht. Dementsprechend wurden diese Geno-PhänotypAssoziationen überwiegend bei Probanden bzw. Patienten im höheren Lebensalter
geprüft. Inwieweit isolierte und interagierende Effekte der Polymorphismen Val66Met
und APOE-ε4 unter Berücksichtigung demographischer Einflussvariablen auch auf die
mnestischen Leistungen junger gesunder Probanden vorliegen, soll im Folgenden
explorativ untersucht werden.
Methoden
Im Rahmen des GENES-Projektes (Erforschung der Beziehung ausgewählter
Genotypen zu hirnmorphologischen Normabweichungen und deren neuropsychologische Messbarkeit; Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik des Universitätsklinikums Erlangen, Arbeitgsruppe: Prof. Dr. med. J. Kornhuber) wurden 140 gesunde
europide Studenten (46 Männer, 94 Frauen) mit einem durchschnittlichen Alter von
24,6 (± 3,3) Jahren und einer mittleren Ausbildungsdauer von 16,9 (± 2,2) Jahren
rekrutiert. Nach einer Genotypisierung der funktionalen Varianten von BDNF
(Val66Met) und APOE (APOE-ε4) wurden die Teilnehmer einer umfangreichen
neuropsychologischen Testung mit dem Inventar zur Gedächtnisdiagnostik (IGD)
unterzogen. Jenes erfasst die in den etablierten Modellen beschriebenen zeitlichen und
inhaltlichen Dimensionen sowie verarbeitungsspezifischen Prozesse des Gedächtnisses und ermöglicht so eine differenzierte Betrachtung der interessierenden GenoPhänotyp-Assoziationen.
-2-
Ergebnisse
Nach einer deskriptiven Datenanalyse wurden die IGD-Testprofile auf phänotypische
Unterschiede geprüft. Auch wurde der Einfluss von Alter, Geschlecht, Bildung und
Epistase (BDNF*APOE) faktoriell analysiert. Um den Zusammenhang zwischen den
einzelnen Phänotypen untereinander und mit den demographischen Variablen
beschreiben zu können, wurden bivariate Korrelationen berechnet. Schließlich wurde
mittels linearer Regressionsanalysen der altersabhängige Verlauf der mnestischen
Leistungen für BDNF Val66Met und APOE-ε4 prognostiziert.
Als primäre Ergebnisse sind festzuhalten: (1) die BDNF Methionin-Träger unterliegen
signifikant den Val-Val Trägern bzgl. des Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses (insbesondere
der Zahlenspanne und Exekutiven Kontrolle), des Primings und des Gesamtscores als
globales Gedächtnismaß; keinen signifikanten Leistungsunterschied gibt es hinsichtlich
des Vorkommens bzw. Fehlens der APOE ε4-Variante. (2) Epistatische Hinweise
liegen für die Val-Val Gruppe (schlechtere Ergebnisse im visuellen Arbeits-/Gedächtnis
bei gleichzeitigem Vorkommen von ε4) und die Nicht-ε4 Träger (negativer Effekt von
Methionin auf Zahlenspanne, Exekutive Kontrolle, Priming, Gesamtscore, Kurzzeit/Arbeitsgedächtnis und verbales Gedächtnis) vor. (3) Bezüglich des Gesamtscores,
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses und des verbalen Gedächtnisses nähern sich die
„überlegenen“ Val-Val Träger den „benachteiligten“ Met-Trägern mit den Jahren an und
sind diesen im weiteren Lebensverlauf möglicherweise sogar unterlegen. Ein ähnliches
Phänomen ist für die APOE-Varianten zu beobachten.
Praktische Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse lassen eine Assoziation zwischen BDNF Val66Met und den mnestischen Leistungen junger, gesunder Probanden vermuten. Die funktionalen Varianten
des APOE hingegen scheinen nur im Falle des gemeinsamen Vorkommens mit BDNFMet eine signifikante Rolle zu spielen. Beide Polymorphismen modulieren den altersbedingten Verlauf einzelner Gedächtnisfunktionen.
-3-
Summary
Background and objectives
Since the sequencing of the human genome, researchers have attempted to identify
the genes expressed in the central nervous system that can be proven to influence
human cognition. A question often posed in this context refers to the correlation
between the memory performance that varies individually and the BDNF Val66Met and
APOE ε4 polymorphisms.
Both the variants of the brain-derived neurotrophic factors (BDNF) and the isoforms of
apolipoprotein E (APOE) are believed to be associated with learning and memory
processes, as well as with memory deficits and amnesia related to dementia. Thus,
these geno-phenotype associations have been primarily tested on elderly subjects or
patients. This study aims to explore the extent to which isolated and interacting effects
of the polymorphisms Val66met and APOE ε4 on the memory performance of young,
healthy adults exist, while taking demographic influence variables into account.
Method
As part of the GENES Project (research on the relationship of selected genotypes and
morphologic brain deviation and their neuropsychological measurability; Erlangen
University Hospital Department of Psychiatry and Psychotherapy; group headed by
Prof. J. Kornhuber, MD), 140 healthy Caucasian students (46 men, 94 women) with an
average age of 24.6 (± 3.3) years and an average of 16.9 (± 2.2) years of education
were recruited. After genotyping the functional variants of the BDNF (Val66Met) and
APOE (APOE ε4), participants underwent comprehensive neuropsychological testing
with the inventory for memory diagnostics (IMD). This inventory records the temporal
and content-related dimensions as well as memory processes specific to information
processing and thus allowes a differentiated examination of the geno-phenotype
associations of interest.
Results
After descriptive data analysis, the IMD test profiles were examined for phenotypical
differences. In addition, factor analysis was used to determine the impact of age, sex,
education and epistasis (BDNF*APOE). Bivariant correlations were calculated in order
to describe the interrelation between individual phenotypes and the demographic
-4-
variables. Finally, the age-dependent course of memory performance for BDNF
Val66Met and APOE ε4 was predicted using linear regression analyses.
The primary results are as follows: (1) The BDNF methionine carriers (Met carriers) are
significantly inferior to Val-Val carriers with respect to short term memory/working
memory (particularly digit span and executive control), as well as priming and overall
score as a global measure of memory; there was no significant performance difference
regarding the presence or absence of the APOE ε4 variant. (2) There are indications of
epistasis for the Val-Val group (worse results for the visual working memory with the
simultaneous occurrence of ε4) and the non-ε4 carriers (negative effect of methionine
on the digit span, executive control, priming, overall score, short term memory/working
memory and verbal memory). (3) The “disadvantaged” Met carriers seem to approach
the “advantaged“ Val-Val carriers in terms of the overall score, short term
memory/working memory and verbal memory over the years and over time possibly
might be at an advantage over these carriers later on in life. A similar phenomenon can
be observed for the APOE variants.
Practical conclusions
The results suggest an association between BDNF Val66Met and the memory
performance of young, healthy participants. The functional variants of APOE, however,
only seem to play a significant role in the case of simultaneous occurrence with BDNFMet. Both polymorphisms modulate the age-related course of individual memory
functions.
-5-
2
Gedächtnis, BDNF und APOE
Seit der Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahre 2003 versuchen Forscher
unter den im zentralen Nervensystem (ZNS) exprimierten Genen diejenigen zu
identifizieren, die nachweislich die Kognition des Menschen beeinflussen. Dies ist ein
spannendes, aber auch komplexes Unterfangen, denn von den etwa 35 000 Genen
sind wahrscheinlich mehr als 20 000 essentiell an der Entwicklung, Plastizität und
Aufrechterhaltung des ZNS beteiligt. Viele davon spielen auch in anderen Organsystemen eine wichtige Rolle (Goldberg & Weinberger, 2004). Außerdem ist möglicherweise
nur ein kleiner Anteil der ca. sechs Millionen, für die genetische Variation in der
Weltbevölkerung verantwortlichen single nucleotide polymorphism (SNP) tatsächlich
funktional, was heisst, dass vielleicht weniger als fünf Einzelbasenaustausche pro Gen
mit einer Modifikation in der Genexpression oder Veränderung auf Proteinebene in
Zusammenhang gebracht werden können (a.a.O.).
Wieviele dieser zahlreichen Genvariationen letztendlich die kognitiven Prozesse messbar beeinflussen, ist noch nicht abzuschätzen. In Assoziationsstudien wird untersucht,
wie stark die Varianten eines spezifischen Kandidatengens mit den Phänotypen
zusammenhängen. Falls eine bestimmte Sequenzvariante häufig in einer Population
mit einem charakteristischen kategorialen Phänotyp (z.B. klinische Diagnose)
vorkommt oder mit den Varianten eines qualitativen Phänotyps (z.B. psychometrisches
Profil) statistisch korreliert, dann wird dieses Allel als mit dem Phänotyp assoziiert
gesehen (Plomin et al., 1994).
Eine in der Literatur häufig untersuchte Geno-Phänotyp-Assoziation ist die Beeinflussung der Mnestik durch die Polymorphismen der Gene HUM-BDNF und APOE. Sowohl
die Varianten des brain-derived neurotrophic factors (BDNF) als auch die Isoformen
des Apolipoproteins E (APOE) werden mit Lern- und Gedächtnisprozessen, aber auch
mit mnestischen Defiziten und Amnesie im Rahmen einer dementiellen Erkrankung in
Verbindung gebracht. Dementsprechend wurden diese Geno-Phänotyp-Assoziationen
überwiegend bei Probanden bzw. Patienten im höheren Lebensalter geprüft. Inwieweit
isolierte und interagierende Effekte der Polymorphismen Val66Met und APOE-ε4 unter
Berücksichtigung demographischer Einflussvariablen breits auf die mnestischen
Leistungen junger gesunder Probanden vorliegen, soll im Folgenden explorativ
untersucht werden.
-6-
Zunächst werden die theoretischen Grundlagen des Gedächtnisses mit den
Taxonomien der zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen dargestellt (Kapitel 2.1.1, S.
6-11), die Verarbeitungsstufen mnestischer Prozesse veranschaulicht (Kapitel 2.1.1.3,
S.11-13), die neuroanatomischen Korrelate des Gedächtnisses konkretisiert (Kapitel
2.1.2, S. 13-15) und die allgemeinen Richtlinien zur Diagnostik von Gedächtnisstörungen angeführt (Kapitel 2.1.3, S.15-17). Anschließend werden in Kapitel 2.2 und 2.3 der
brain-derived neurotrophic factor (BDNF, S. 17-23) und das Apolipoprotein E (ApoE; S.
23-28) jeweils in ihrer Funktion beschrieben, ihre kognitiv relevanten Polymorphismen
Val66Met und ε4 aufgezeigt und die daraus resultierenden neurophysiologischen,
cerebral-morphologischen und klinischen Wechselbeziehungen überblicksartig zusammengefasst. Basierend auf diesen Erkenntnissen wird in Kapitel 2.4 (S.28f) die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit definiert.
2.1
Gedächtnis
Unter Lernen und Gedächtnis sind allgemein die Prozesse des Aneignens, Behaltens
und Erinnerns von Informationen zu verstehen. Dabei wird das Gedächtnis als
lernabhängige Speicherung ontogenetisch erworbener Informationen gesehen, die sich
in phylogenetischen, neuronalen Strukturen selektiv artgemäß einfügt und zu
beliebigen Zeitpunkten abgerufen werden kann (Sinz, 1979). Anders ausgedrückt:
beim Gedächtnis handelt es sich um konditionierte Veränderungen der Übertragungseigenschaften der neuronalen Strukturen, welche Lernen im Sinne eines situationsangepassten Verhaltens ermöglichen.
2.1.1 Taxonomien des Gedächtnisses
Moderneren Theorien zufolge lässt sich das Gedächtnis in zeitliche und inhaltliche
Dimensionen unterteilen. Eine weitere Beschreibung kann über Verarbeitungsprozesse, die an den mnestischen Leistungen beteiligt sind, vorgenommen werden.
2.1.1.1 Zeitliche Dimensionen des Gedächtnisses
Zur chronologischen Klassifikation wird häufig das modifizierte Modell von Atkinson &
Shiffrin (1968) herangezogen, in dem das Gedächtnis in ein Ultrakurzzeit-, Kurzzeitund ein Langzeitgedächtnis untergliedert ist (vgl. Abbildung 1, S.7).
-7-
Umweltreiz e
Ultrakurzzeitgedäch tn is
(sensorischer
Register)
visuell
auditiv
olfaktorisch
gustatorisch
haptisch
Kurz zeit-Gedächtnis
Arbeitsgedächtnis
L angzeitgedächtnis
Ab ruf,
Informationswiedergabe
Abbildung 1: vereinfachte Darstellung der zeitlichen Einteilung des Gedächtnisses
und der beteiligten Speicher (modifiziert nach Baller et al., 2006, S.7)
Die Informationsaufnahme erfolgt über die Sinnesorgane und wird als flüchtige
Wahrnehmungserfahrung für wenige Millisekunden im Ultrakurzzeitgedächtnis (auch
sensorisches Gedächtnis genannt) gehalten und verarbeitet. Hier findet ein komplexer
Selektionsprozess statt, der unbewusst abläuft, und in dem nur die als relevant
bewerteten Reize in das Kurzzeitgedächtnis weitergeleitet werden.
Im Kurzzeitgedächtnis, das nach der klassischen Arbeit von Miller (1956) in seiner
Aufnahmekapazität auf 7 ± 2 Einheiten begrenzt ist, können Informationen für einige
Sekunden bis zu einer Minute bewusst gehalten und abgerufen werden (vgl.
Merkspanne). Finden weiterverarbeitende Prozesse statt (elaboriertes Memorieren wie
etwa strukturieren oder an bekannte Speicherinhalte anknüpfen), werden die
Informationen in das Langzeitgedächtnis übertragen, in welchem sie Minuten bis zu
Jahrzehnten gespeichert sind.
Das Arbeitsgedächtnis stellt nach einer Modellvorstellung von Baddeley & Hitch (1974)
die Schnittstelle zwischen dem Kurz- und dem Langzeitgedächtnis dar, und setzt sich
aus einer zentralen Kontrollinstanz (Zentrale Exekutive) und spezialisierten Subsystemen zusammen. In jenen Subsystemen werden Neuinformationen aus dem Kurzzeitgedächtnis bereit gehalten und aktiv verarbeitet, sowie bereits gespeicherte Inhalte aus
dem Langzeitgedächtnis zum Abruf zur Verfügung gestellt. Die zwei bislang am besten
belegten Subsysteme sind die phonologische Schleife und der visuell-räumliche
Notizblock, wobei in ersterer verbale bzw. auditive Informationen und im zweiten
visuell-räumliche Informationen verarbeitet werden. Die Zentrale Exekutive kontrolliert
-8-
die Aufmerksamkeit, die für die genannten Subprozesse notwendig ist, und steuert die
Übertragung der Informationen in das Langzeitgedächtnis. In einer Erweiterung des
Arbeitsgedächtnis-Modells beschreibt Baddeley (2000) die Funktion eines episodischen Zwischenspeichers, in dem neue Informationen kontextuell in bereits bekannte
Inhalte integriert und zu einer kurzfristigen einheitlichen Episode miteinander verknüpft
werden.
Das Langzeitgedächtnis hat im Vergleich zum Kurzzeitgedächtnis eine weitgehend
unbegrenzte Aufnahmekapazität, und seine Inhalte sind normalerweise zeitlich stabil.
Es werden vorwiegend solche Informationen darin fixiert, die entweder einen besonderen personalen Bezug aufweisen, oder denen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zuteil
wird (z.B. durch bewusstes, willentliches Lernen).
Der Übertragungsvorgang vom Kurz- über das Arbeits- bis in das Langzeitgedächtnis
und die Bildung einer beständigen Gedächtnisspur wird als Konsolidierung bezeichnet
(Hartje & Poeck, 1997). Mit Enkodierung ist die Übersetzung eintreffender Reize in
einen neuralen Code, den das Gehirn weiterverarbeiten kann, gemeint (Zimbardo,
1995). Unter Abruf (retrieval) ist das Wiederauffinden der gespeicherten Information zu
einem späteren Zeitpunkt zu verstehen (a.a.O.).
Für die Diagnostik (s. Kapitel 2.1.3, S.15ff) und Behandlung von Gedächtnisstörungen
ist eine weitere chronologische Einteilung relevant, die sich auf den Schädigungsrespektive Erkrankungszeitpunkt bezieht (Baller et al., 2006): Informationen, die vor
einem kritischen Ereignis (z.B. einem psychischen Trauma) gespeichert wurden, werden als Altgedächtnis bezeichnet. Dementsprechend bezieht sich das Neugedächtnis
auf Konsolidierungsprozesse, die nach einem kritischen Ereignis vollzogen wurden. Ist
der Abruf bereits gelernter Informationen beeinträchtigt, spricht man von einer retrograden Amnesie; die Unfähigkeit neue Inhalte zu lernen, wird als anterograde Amnesie
bezeichnet.
2.1.1.2 Inhaltliche Dimensionen des Gedächtnisses
In der Taxonomie nach Tulving (1995; Tulving & Schacter, 1990) werden vier hierarchisch angeordnete Hauptsysteme postuliert, die sich nach den Inhalten der gespeicherten Informationen unterscheiden: das episodische Gedächtnis, das Wissens- und
Faktensystem, das prozedurale Gedächtnis und das Priming-System (s. Abbildung 2,
-9-
S.9). Die Informationsverarbeitung zwischen dem Einspeichern und dem Abrufen
erfolgt nach dem SPI-Modell (a.a.O.), wobei S für „serial“, P für „parallel“ und I für
„independent“ steht. Demnach werden Informationen seriell enkodiert (d.h. die
Konsolidierung höherer Systeme basiert auf dem Output niedrigerer Systeme), im
Weiteren parallel gespeichert und später speicherunabhängig abgerufen.
GEDÄCHTNISSYSTEME
episodisches
Gedächtnis
WissensSystem
perzeptuelles
Gedächtnis
Priming
(„Bahnung“)
prozedurales
Gedächtnis
?
?
mein
erstes
Auto
?
?
N = Stickstoff,
letzte
Woche
im Zoo
Venedig ist eine
Stadt in Italien
Ein Strauß !!!
Abbildung 2: inhaltliche Unterteilungen des Langzeitgedächtnisses (modifiziert nach
Pritzel et al., 2003)
Das oberste und phylogenetisch jüngste hierarchische System stellt das episodische
Gedächtnis dar, dessen Inhalte mit dem zeitlichen und räumlichen Kontext der Lernoder Aufnahmesituation assoziiert sind. Dazu gehören einerseits individuelle Erfahrungen der eigenen Lebensgeschichte (autobiographische Ereignisse), die ein Gefühl der
Identität vermitteln und meist emotional gefärbt sind. Bestimmte Vorlieben oder
Abneigungen, die durch Lernprozesse entstanden sind, können dadurch ebenso erklärt
werden wie Entscheidungen und Pläne für die Zukunft, welche vor dem Hintergrund
der persönlichen emotionalen und rationalen Erfahrungen gefasst werden. Zum episodischen Gedächtnis gehören andererseits auch nicht-personenbezogene Inhalte, die in
einem bestimmten räumlich-zeitlichen Bezugsrahmen enkodiert werden, wie etwa das
Erlernen von Wortlisten.
Auf der nächsten Hierarchieebene findet sich das semantische Gedächtnis, das häufig
auch als „Wissenssystem“ bezeichnet wird. Es beinhaltet Fakten, die kontextfrei
gespeichert und abgerufen werden wie beispielsweise schulisches Wissen oder
Sprachkenntnisse. Ebenfalls zum semantischen Gedächtnis gehören autobiographische Gegebenheiten, die ohne zeitlichen und räumlichen Bezug enkodiert wurden (z.B.
- 10 -
das eigene Geburtsdatum). Die Annahme, dass semantische Informationen zunächst
episodisch gespeichert und erst dann, wenn die kontextuelle Information verloren geht,
in das semantische Gedächtnis übernommen werden (Cermak, 1984), ist umstritten.
Eher ist nach Tulving & Markowitsch (1989) davon auszugehen, dass das episodische
Gedächtnis auf semantische Gedächtnisinhalte angewiesen ist.
Unter den auf der nächsten Ebene zu findenden Primingleistungen ist das Phänomen
zu verstehen, dass eine Stimulusexposition die nachfolgende Verarbeitung eben dieser
Reize (oder Teilen davon) beeinflusst. So verbessert Priming das Erkennen von
Objekten, denen man zuvor unbewusst begegnet ist, selbst wenn sie fragmentiert
dargeboten werden. Beim Priming sind zwei Formen zu unterscheiden: das perzeptuelle Priming, bei dem sich die Fähigkeit zur Objektidentifikation erhöht, wenn das Objekt
und der vorherige Reiz identisch sind; und das konzeptuelle Priming, bei dem der
vorausgehende Stimulus (z.B. „Rose“) dem gleichen Konzept (z.B. „Blumen“) des zu
identifizierenden Objekts (z.B. „Tulpe“) zugehörig sein muss (Markowitsch, 2002).
Auf der untersten Hierarchieebene ist das prozedurale Gedächtnis angesiedelt. Dieses
gilt phylogenetisch wie ontogenetisch als das älteste Gedächtnissystem und beinhaltet
motorische Fertigkeiten und kombinierte sensorisch-motorische (nicht-kognitive)
Fähigkeiten wie z.B. Fahrradfahren oder das Zubinden von Schnürsenkeln. Charakteristisch für diese Prozesse sind hochgradig automatisierte Handlungsabläufe, die
keiner bewussten Verarbeitung mehr bedürfen.
In einer Erweiterung des SPI-Modells (vgl. S. 9) führen Tulving und Markowitsch (1998)
das perzeptuelle Gedächtnis ein, das hierarchisch zwischen dem Wissenssystem und
dem Priming steht und dem Erkennen von Gegenständen oder anderen Objekten
dient. Basierend auf Bekanntheit oder Familiarität ermöglicht es das Beurteilen der
Vertrautheit, ohne dass hierfür eine semantische Einordnung oder ein Benennen
notwendig ist.
Eine weitere alltagsrelevante Gedächtnisfunktion stellt das prospektive Gedächtnis dar,
das Erinnerungen an zukünftige, intendierte Handlungen umfasst. Sollen jene durchgeführt werden, müssen „prospektive“ und „retrospektive“ Komponenten der Absicht
realisiert werden (McDaniel & Einstein, 1992): das Erinnern an den situativen und/oder
zeitlichen Bezug, in der die beabsichtigte Handlung vollzogen werden soll (prospektive
Komponente); und die Erinnerung, welche Handlung in diesem Kontext initiiert werden
soll (retrospektive Komponente). Aufgrund dieser kontextuellen Assoziationen ist das
- 11 -
prospektive Gedächtnis modelltheoretisch dem episodischen Gedächtnis zuzuordnen
(Roediger, 1996).
Die genannten inhaltlichen Dimensionen des Gedächtnisses fasst Squire (1987)
zusammen und formuliert folgende dichotome Taxonomie: alle Informationen, die
bewusst abgerufen werden, sprich die semantischen und episodischen Inhalte, gehören dem deklarativen Gedächtnis an; alle Informationen, die ohne bewussten Abruf das
Erleben und Verhalten beeinflussen, wie das prozedurale Lernen, das Priming oder
auch Konditionierungen, zählen zum nicht-deklarativen Gedächtnis. Tulving (1995)
ergänzt diesen Ansatz um zusätzliche Terminologien, die sich auf den Bewusstseinsgrad beim Enkodieren und Abrufen beziehen. So sind beim Einspeichern inzidentelle
(beiläufige) von intentionalen (bewussten) Prozessen zu unterscheiden. Das heißt, der
Abruf kann ohne Bewusstmachen des eigentlichen Inhaltes und seiner Bedeutung
sprich implizit erfolgen, oder explizit mit dem raum-zeitlichen Bezug zum Erwerb der
Information.
2.1.1.3 Stufen der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten
Gedächtnisprozesse umfassen die Aufnahme und kognitive Manipulation von Informationen, die Einspeicherung und den Abruf aus dem Kurz- oder Langzeitspeicher (s.
auch Kapitel 2.1.1.1, S. 6ff).
Ankommende Informationen werden über die Sinnesorgane an das UltrakurzzeitGedächtnis, auch sensorisches Register genannt, weitergeleitet, das seinerseits
modalitätsspezifisch (auditorisch, visuell, haptisch, gustatorisch, olfaktorisch) arbeitet
(Atkinson & Shiffrin, 1968). Nach einem ersten Bewertungsprozess werden die
relevanten Stimuli selektiert und an das Kurzzeit-Gedächtnis weitergeleitet (ebd.).
Durch Verarbeitungsprozesse wie Wiederholung oder Chunking bleiben die Informationen kurzfristig verfügbar (Zimbardo, 1995). Sollen sie dauerhaft in das LangzeitGedächtnis übernommen werden, wird eine Konsolidierungs-Phase zwischengeschaltet (Baller et al., 2006). Diese erfordert eine tiefergehende Verarbeitung (elaboriertes
Memorieren), welche zu einer Integration der neuen Information in das bestehende
neuronale Netzwerk führt. Auf zellulärer Ebene finden sich eine verstärkte Verknüpfung
von Synapsen und das Ausbilden von neuronalen Netzwerken (Lehrner & BrennerWalter, 2006). Die Dauer dieser Konsolidierungs-Phase ist umstritten. In der Literatur
- 12 -
finden sich Angaben von wenigen Minuten bis Stunden, aber auch von Zeitrahmen, die
sich über Tage, Wochen und Jahre erstrecken (Baller et al., 2006).
Der Abruf einer Information erfolgt entweder direkt aus dem Kurzzeit- bzw. dem
Arbeitsgedächtnis, wo Informationen vorübergehend bereitgehalten werden, oder aus
dem Langzeitgedächtnis. In letzterem Fall werden die Inhalte zunächst in den Arbeitsspeicher zurückgeführt und dort verfügbar gemacht. Jeder Abruf aus dem Langzeitgedächtnis bedingt ein erneutes Einspeichern der Information (Re-Enkodierung) und
damit eine Verfestigung und Veränderung der Gedächtnisspur (Buckner et al., 2001).
äußerer
Reiz
sensori sche s
Register
Speicherung:
direkte Repräsentation
Kapazität:
groß
Dauer:
kurz (visuell 0,5s,
auditiv bis zu 2s)
Verlust aufgrund von:
Verstreichen der Zeit,
Verdrängung durch
neues Material
[Herausfiltern von Merkmalen]
[Mustererkennung]
[Aufmerksamkeit]
Kurzzeitgedächtnis
Arbeitsgedächtni s
bewusste
Verarbeitungsprozesse
Chunking
Langzeitgedächtnis
[erhaltendes
Wiederholen]
[elaborierendes
Wiederholen]
Reaktion
Speicherung:
akustisch, visuell, semantisch
Kapazität:
gering (7±2 Chunks), Erweiterung
nicht möglich, aber Vergrößerung
des Umfangs der Chunks
Dauer:
vorübergehend (bis zu 20s) ohne
Wiederholen
Verlust aufgrund von:
Interferenz,
fehlendes Wiederholen,
Verstreichen der Zeit
Wissensstrukturen
prozedurale Fertigkeiten
deklarativ (Fakten)
episodi sch
innere Reize
(Gedanken)
semantisch
Speicherung:
semantische Netzwerke
(organisiert, bedeutungstragend)
Kapazität:
theoretisch unbegrenzt
Dauer:
möglicherweise die gesamte
Lebensspanne
Verlust aufgrund von:
unangemessener Enkodierung,
Verstreichen der Zeit,
Interferenz,
fehlende Konsolidierung
motiviertes Vergessen,
Misslingen des Abrufs
Abbildung 3: Flussdiagramm zur zeitlichen Einteilung des Gedächtnisses mit beteiligten Speichern und Prozessen der Informationsverarbeitung (nach Zimbardo, 1995)
Aus Abbildung 3 ist ersichtlich, dass das Gedächtnis als ein dynamischer Prozess mit
plastischen und konstruktiven Anteilen zu verstehen ist. Gedächtnisinhalte können
aber auch unzureichend abgespeichert oder vergessen werden, können variabel
verfügbar sein, der falschen Quelle zugeordnet werden, erfunden werden, umgeformt
werden und unterliegen Veränderungen in der Zeit. Schacter (2005) hat diese
Phänomene mnestischer Fehlleistungen systematisch erfasst (s. Tabelle 1, S. 13).
- 13 -
Phänomen
Beschreibung
Beispiel
Transienz
verringerte Verfügbarkeit von
Gedächtnisinhalten über die Zeit
einfaches Vergessen von länger
zurückliegenden Ereignissen
Geistesabwesenheit
Aufmerksamkeitsstörungen führen Vergessen, wo die Autoschlüssel
abgelegt wurden
zu Gedächtnisschwäche
Blockierung
Information ist vorhanden, aber
temporär nicht verfügbar
„Der Name liegt mir auf der Zunge“
Fehlattribuierung
Erinnerungen werden einer
falschen Quelle zugeordnet
Verwechseln eines Traums mit
einer Erinnerung
Suggestibilität
Erinnerungen an Ereignisse, die
nie passiert sind
Suggestivfragen führen zu falschen Erinnerungen
Verzerrung
aktuelles Wissen verzerrt das
Gedächtnis für Ereignisse aus der
Vergangenheit
Zeugenaussagen nach Bekanntwerden des Tathergangs
Persistenz
Erinnerungen an Ereignisse, die
nicht vergessen werden können
traumatische Kriegserinnerungen
Tabelle 1: Übersicht über die verschiedenen Fehlleistungen des Gedächtnisses (nach
Schacter, 2005)
Ergänzend zur Auflistung der mnestischen Fehlleistungen nach Schacter (2005) ist die
Interferenz hinzuzufügen, die sowohl das erstmalige Erlernen von Informationen, als
auch das Behalten neuen Materials beeinflusst. Dabei ist die proaktive Interferenz
(früher Erlerntes stört später zu Lernendes) von der retroaktiven (später Erlerntes stört
früher Gelerntes) zu unterscheiden. Nach Zimbardo (1995) lautet die offensichtlichste
Prognose der Interferenz-Theorie, dass eine Information, die nicht durch neues
Material gestört wird, am besten erinnert wird. Weiterhin scheint das Kurzzeitgedächtnis am anfälligsten gegenüber Interferenzen zu sein. Hingegen sind die im Langzeitgedächtnis konsolidierten Informationen retroaktiven Interferenzen am wenigsten
unterworfen.
2.1.2 Neuroanatomie des Gedächtnisses
Für die Übertragung von Informationen aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis
sind Strukturen des limbischen Systems mit zwei unterschiedlichen Schaltkreisen von
großer Bedeutung: zum einen der Papez’ sche Schaltkreis, der aus limbischen und
diencephalen Strukturen besteht wie der hippocampalen Formation, dem Fornix der
Mamillarkörper, den anterioren Kernen des Thalamus, den cingulären Gyrus sowie den
mamillothalamischen Trakt und den thalamocorticaken Pedunkeln als verbindende
- 14 -
Faserstrukturen (Lehrner & Brenner-Walter, 2006); zum anderen ist der basolaterallimbische Schaltkreis wichtig, der im Wesentlichen die Amygdala, den mediodorsalen
Kern des Thalamus, die Area subcallosa des basalen Vorderhirns und Faserverbindungen umfasst (Baller et al., 2006). Der Papez’sche Schaltkreis ist für die Einspeicherung
(teils auch für den Abruf) episodischer und semantischer Inhalte zuständig, der
basolateral-limbische Schaltkreis für emotional bedeutsame Inhalte (ebd.). Darüber
hinaus sind weitere Hirnregionen an Enkodierungsprozessen beteiligt wie beispielsweise der präfrontale Cortex, der das zu lernende Material strukturiert und organisiert
(z.B. Fletcher & Henson, 2001). Dabei wird der dorsolaterale präfrontale Cortex eng mit
Arbeitsgedächtnisleistungen assoziiert, die ebenfalls bei der Auswahl und Einspeicherung von Informationen eine große Rolle spielen (Markowitsch, 2000).
Die Verarbeitungsstufen einschließlich der Enkodierungsprozesse des perzeptuellen
Gedächtnisses und der Primingleistungen sind in den uni- und polymodalen Assoziationscortices lokalisiert (Baller et al., 2006). Für das prozedurale Gedächtnis sind
vorwiegend die Basalganglien, das Cerebellum und die prämotorische Region des
cerebralen Cortex wichtig, für das Priming die neocorticalen Assoziationsgebiete
(Hartje & Poeck, 1997).
Uneinheitlich sind bislang die Befunde zu den an der Konsolidierung beteiligten
Hirnarealen. Nach Markowitsch (2000) gilt es als gesichert, dass ebenfalls limbische
Strukturen, insbesondere die hippocampale Formation und die Amygdala (letztere
vorrangig für Inhalte mit emotionaler Konnotation) bei der Konsolidierung mitwirken.
Bei der Langzeitspeicherung geht man davon aus, dass die Informationen in weiten
Teilen der cerebralen Assoziationscortices repräsentiert sind (Baller et al., 2006).
Für den Abruf von Gedächtnisinhalten werden bezüglich episodischer und semantischer Informationen unterschiedliche neuronale Korrelate angenommen. So sind nach
dem H(emispheric)E(ncoding)R(etrieval)A(symmetry)-Modell von Tulving et al. (1994)
für episodische Inhalte eher temporo-frontale Regionen der rechten Hemisphäre relevant, für semantische Inhalte mehr die temporo-frontalen Regionen der linken Hirnhälfte. Allerdings hängt die funktionale Lateralisierung des präfrontalen Cortex auch von
weiteren Faktoren ab wie zum Beispiel dem Grad der Aufmerksamkeit oder die
Verbalisierbarkeit (Baller et al., 2006). Wie Studien mit bildgebenden Verfahren zeigen,
sind beim Abruf episodischer Gedächtnisinhalte zudem limbische Strukturen mit einer
Dominanz der rechten Hemisphäre beteiligt (Brand & Markowitsch, 2003).
- 15 -
2.1.3 Diagnostik von Gedächtnisstörungen
Je nach Ort, Ausmaß und Ursache der Schädigung gedächtnisrelevanter Hirnstrukturen (s. Kapitel 2.1.2, S.13fff) variieren Gedächtnisstörungen hinsichtlich ihres Musters,
Schweregrades und Verlaufes (Schuri, 1993). Die Spannbreite reicht von mnestischen
Beeinträchtigungen im Rahmen eines allgemeinen und schleichend progredienten
intellektuellen Leistungsverlustes (vgl. Demenzen), über umgrenzte verbale und/oder
figurale Neu- bzw. Altgedächtnisstörungen infolge fokaler Hirnschädigungen bis hin zu
psychisch bedingten Erinnerungslücken im Rahmen der funktionellen oder dissoziativen Amnesie (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 2008). Auch
können verschiedene internistische und psychiatrische Krankheiten mit mnestischen
Defiziten einhergehen. Eine detaillierte Aufzählung aller mit Gedächtnisstörungen
assoziierter Erkrankungen würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen,
weshalb auf die einschlägige Literatur verwiesen wird (siehe z. B. Markowitsch, 2002).
Wegen der Vielfalt an Gedächtnisstörungen und ihres Konfundierens mit anderen
kognitiven Defiziten wie etwa den Aufmerksamkeitsleistungen, sind für die Befundung
differenzialdiagnostische Abgrenzungen notwendig. Screening-Verfahren reichen hierfür allerdings nicht aus. Vielmehr ist der Einsatz spezifischer und sensibler Testverfahren unabdingbar.
Nach Schuri (1993) muss eine differenzierte Gedächtnisdiagnostik sowohl Prozesse
der Informationsaufnahme bzw. Enkodierung (Einprägen, Lernen), des Behaltens
neuer Informationen (kurz-, längerfristig) als auch des Abrufs (retrieval) neuer und alter
Gedächtnisinhalte in den Modalitäten „freier Abruf“, „Abruf mit Hilfen“ und „Wiedererkennen“ berücksichtigen. Für ein besseres qualitatives Verständnis der Gedächtnisstörung ist zudem zu beachten, inwieweit das Lernen eines Materials die anschließende
Aufnahme anderer Informationen stört (proaktive Interferenz) bzw. ob durch erneutes
Lernen das Speichern des zuvor Aufgenommenen beeinträchtigt wird (retroaktive
Interferenz), und wie die Lernkurve verläuft. Als Material sollten sowohl verbale als
auch figurale Stimuli Verwendung finden. Berücksichtigt werden sollten außerdem
neben dem bewussten expliziten Gedächtnis auch unbewusste, implizite Gedächtnisleistungen. Wo immer möglich, sollten zusätzlich zur „reinen“ Gedächtnisleistung auch
die Vorgehensweise der Patienten und die spontan eingesetzten internen und externen
Gedächtnishilfen Beachtung finden (Thöne-Otto & Markowitsch, 2004).
- 16 -
Nach den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie in der Neurologie (2008) sind zur
eingehenden neuropsychologischen Diagnostik die in Tabelle 2 abgebildeten Gedächtnisteilfunktionen zu untersuchen.
unverzichtbar (Empfehlungsstärke A)
Teilfunktion
Untersucher Setting
gemessene Leistung
Orientierung
Arzt bzw.
Psychologe
Anamnesegespräch
Angaben zur örtlich-geographischen, zeitlich-kalendarischen, situativen und personalen Orientierung
Kurzzeit- und
Psychologe
Arbeitsgedächtnis
Testung
kurzfristiges Halten und mentales Manipulieren verbaler und figuraler Informationen (z.B.
Zahlenspanne)
Neugedächtnis
Psychologe
Testung
unmittelbare Reproduktion expliziter verbaler
und figuraler Informationen, die im Umfang
die Aufnahmekapazität des Kurzzeitgedächtnisses übersteigen (z.B. Wiedergabe von
Texten); verzögerte Reproduktion des Gelernten nach 20 bis 30 Minuten; Durchführung eines Lernparadigmas (z.B. Lernzuwachs durch Wiederholung); Überprüfung
unterschiedlicher Abrufmodalitäten (freier
Abruf, Abruf mit Hinweisen, Wiedererkennen)
Altgedächtnis
Arzt bzw.
Psychologe
Anamnesegespräch
Wiedergabe von autobiographischen und
öffentlichen semantischen und episodischen
Informationen aus verschiedenen Lebensepochen; subjektiv relevantes domänen-spezifisches Wissen (z.B. berufliche Fachkenntnisse)
ergänzend (Empfehlungsstärke A)
Teilfunktion
Untersucher Setting
gemessene Leistung
prospektives
Gedächtnis
keine
Angabe
keine
Angabe
zeit- oder situationsgerechte Erinnerung an
zu erledigende Aufgaben
inzidentelles
Lernen
keine
Angabe
keine
Angabe
Abfrage von Informationen, zu denen es vorher keine Lerninstruktion gegeben hat
nichtdeklaratives
Gedächtnis
keine
Angabe
keine
Angabe
keine Angabe
Tabelle 2: Empfehlungen zur neuropsychologischen Diagnostik von Gedächtnisstörungen (modifiziert nach Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 2008)
Um die erhobenen Gedächtnisleistungen angemessen interpretieren zu können, sind
darüber hinaus folgende Aspekte einzubeziehen (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft
für Neurologie, 2008): (1) relevante weitere kognitive Defizite wie z. B. Wahrnehmung,
Sprache, Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen, (2) affektive oder Verhaltensstörungen
- 17 -
wie Depression, Antriebsminderung, perseveratorisches Verhalten, Konfabulationen,
(3) Einsichtsfähigkeit in die Störung durch den Patienten (awareness) und seine
subjektive Prioritätensetzung, (4) alltagspraktische Anforderungen und Leistungen des
Patienten zur Abschätzung der funktionellen Relevanz der Störung, (5) vorhandene
Ressourcen, sozialer Hintergrund (berufliche Situation, sozialrechtlicher Status, familiäre Einbettung) und (6) bisher eingesetzte Kompensationsstrategien und die Erfahrungen damit.
Zur Messung der verschiedenen Gedächtnisaspekte steht eine Vielzahl an Untersuchungsverfahren zur Verfügung, so dass an dieser Stelle auf explizite Testvorschläge
verzichtet wird. Einen Überblick über die im deutschen Sprachraum erhältlichen Instrumente geben Schellig et al. (2008). Die Auswahl der Testverfahren orientiert sich allgemein an den Gütekriterien und an einer hinreichend vorhandenen Normstichprobe im
jeweiligen Sprachraum (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 2008).
Für eine systematische Verhaltensbeobachtung und eine qualitative Abschätzung der
Leistung können auch experimentelle oder vorläufige Testversionen eingesetzt werden. Ergänzend kann mit Fragebögen die funktionelle Relevanz der Gedächtnisstörung
im Alltag erfasst werden.
2.2
Brain-derived neurotrophic factor (BDNF)
Der brain-derived neurotrophic factor (BDNF) gehört zur Familie der PolypeptidWachstums-Faktoren (Neurotrophine) bei Vertebraten, zu der auch der Nervenwachstumsfaktor (nerve growth factor, NGF), das Neurotrophin-3 (NT-3) und das Neurotrophin-4 (NT-4) zählen (Bath & Lee, 2006). Neurotrophine stimulieren die Proliferation,
die Kollateralisierung, das Axonwachstum und die dendritische Arborisation der Neurone, wodurch ihr Überleben gesichert wird (Barde et al., 1982, Leibrock et al., 1989).
Außerdem greifen sie in die verschiedenen Synthesevorgänge von Peptiden, Transmittern (Green & Tischler, 1976) und kalziumbindenden Proteinen ein (Cheng &
Mattson, 1994).
Ursprünglich wurden Neurotrophine als Signalmoleküle identifiziert, die kritisch für die
embryonale Entwicklung des Nervensystems sind (Bath & Lee, 2006). Aufgrund ihres
evolutionär gesehenen jungen Alters scheinen sie insbesondere für die Reifung und
das Funktionieren eines komplexeren Nervensystems notwendig zu sein (Beck et al.,
- 18 -
2004, Chao, 2000). Aus Studien mit transgenen knockout-Tieren ist zudem bekannt,
dass Neurotrophine für die Effektivität zentralnervöser Prozesse im postpartalen und
adulten Gehirn entscheidend sind (Bath & Lee, 2006). BDNF ist v.a. im Cortex, Hippocampus, Cerebellum, Bulbus olfactorius und in den limbischen Strukturen vorzufinden
(Huang & Reichardt, 2001). Dort gewährleistet er das Überleben verschiedenster
Neurone wie etwa der dopaminergen Neuronen des Mesencephalons (Knüsel et al.,
1991), der cholinergen Neurone des Septums (Nonner et al., 1996) und der
GABAergen Neurone des Striatums (Ventimiglia et al., 1995). Wie effektiv Neurotrophine sind, hängt von ihrer Verfügbarkeit, adäquaten Speicherung und Ausschüttung
wie auch ihrer Bindungsaffinität an transmembranen Rezeptoren ab (Bath & Lee,
2006).
Alle neurotrophen Faktoren werden von einem Vorläuferprotein (bekannt als ProNeurotrophin) synthetisiert, das mit hoher Affinität an den p75-Neurotrophin-Rezeptor
(p75NT-Rezeptor) bindet (Teng et al., 2005). Die pro-Region des Vorläuferproteins für
BDNF (proBDNF) enthält eine Differenzierungssequenz und ist für die zielgenaue
Sortierung von BDNF verantwortlich (a.a.O.). ProBDNF wird aktivitätsabhängig ausgeschüttet (Mowla et al., 2001) und bindet überwiegend an den niedrigaffinen p75NTRezeptor, während BDNF an den hochaffinen Tyrosin-Kinase-B-Rezeptor (TrkBRezeptor) bindet (Lee et al., 2001). Die durch die Bindung von BDNF an seinen TrkBRezeptor ausgelöste Dimerisierung führt zunächst zur intrazellulären Signaltransduktion und Aktivierung der Tyrosinkinase-Aktivität (Chao, 2003). Durch die ligandenvermittelte Aggregation der Rezeptoren kommt es dann zur Autophosphorylierung der
intrazellulären Domänen (Bath & Lee, 2006). Die weitere Signalkaskade beeinflusst
schließlich die zelluläre Gentranskription und Proteinsynthese (Greene & Kaplan, 1995,
Li et al., 1998). Während dieser Mechanismus der Neurotrophinwirkung Stunden bis
Tage andauern kann, sind auch Neurotrophinwirkungen bekannt, die innerhalb von
Minuten auftreten und sich nur kurz anhaltend auf die synaptische Transmission
auswirken (Levine et al., 1996). Es ist anzunehmen, dass es in diesem Fall nicht zu
Änderungen in der Genexpression kommt (Henneberger et al., 2002).
Es wurde gezeigt, dass Pro-Neurotrophine nach ihrer Bindung an den p75NT-Rezeptor
im peripheren Nervensystem Apoptose auslösen können (Lee et al., 2001, Teng et al.,
2005). Dies widerspricht der antiapoptotischen und differenzierenden Eigenschaft der
Neurotrophine. Allerdings besitzen viele Neurone Bindungsstellen beider Rezeptorklassen (TrkB und p75NT), weshalb angenommen wird, dass Pro-Neurotrophine und reife
- 19 -
Neurotrophine über unterschiedliche Signalkaskaden gegensätzliche Signalantworten
auslösen können (ebd.).
Neurotrophe Faktoren spielen eine wichtige Rolle für die synaptische Plastizität im
reifenden und erwachsenen Gehirn. Der Großteil der Erkenntnisse hierzu wurde über
die etablierte in vitro Methode der hippocampalen slice-Präparation gewonnen. Werden
hippocampale slice-Präparate exogenen BDNF ausgesetzt, wird die Induktion einer
schnellen und langanhaltenden Erhöhung der synaptischen Stärke sprich die Langzeitpotenzierung (LTP) gefördert (Kang & Schuman, 1995, Levine et al., 1995). Hingegen
ist die Langzeitpotenzierung, welche als Voraussetzung für die Konsolidierung gesehen wird, bei genetisch veränderten Mäusen mit ausgeschaltetem BDNF-Gen oder
inaktivem TrkB-Rezeptor stark eingeschränkt (Korte, 2004). Diese Reduktion der LTP
ist durch die Gabe von BDNF reversibel (Patterson et al., 1996). Demnach scheinen
Signale, die durch den TrkB-Rezeptor vermittelt werden, ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der neuronalen Aktivität und der Regulation der Proteinexpression im
Zusammenhang mit Plastizitätsphänomenen wie der Langzeitpotenzierung zu sein (Lu
& Gottschalk, 2000, Woo et al., 2005).
Neben seiner Rolle in der Modulation der synaptischen Transmission hat BDNF auch
einen bedeutsamen Einfluss auf die neuronale Konnektivität, was insbesondere für den
Erhalt anatomischer Strukturen wichtig ist. In transgenen Mäusen, die ein postnatales
Defizit von BDNF oder TrkB aufweisen, sind die corticalen und hippocampalen Volumina reduziert (Bath & Lee, 2006). Der Grund hierfür liegt nicht in einer verminderten
Neuronenzahl, sondern in einer bedeutsamen Veränderung in der Zellmorphologie,
nämlich einer Reduktion der Größe des Zellsomas und der Dendritenkomplexität
(Baquet et al., 2004, Gorski et al., 2003).
Ein weiterer Beweis für die neuroplastische Wirkung von BDNF ist die Beobachtung,
dass nach dem Untergang neuronaler Zellen eine vermehrte Expression von BDNF
und TrkB-Rezeptoren in den betroffenen Gebieten stattfindet. So konnte bei Ratten
gezeigt werden, dass nach künstlich induzierten Krämpfen im Hippocampus und nach
zerebraler Ischämie bzw. hypoglykämischem Koma im Gyrus dendatus die TrkBmRNA und das TrkB-Protein vermehrt vorkommen (Merlio et al., 1993). Gleichzeitig
konnte eine Erhöhung der BDNF-mRNA in diesen Hirnregionen gemessen werden.
Wurde nach fokaler ischämischer Hirnläsion BDNF lokal appliziert, reduzierte sich die
reaktive Astrogliose, und es verbesserte sich das funktionelle Outcome (Schäbitz et al.,
2004).
- 20 -
2.2.1 Der Val66Met-Polymorphismus des BDNF-Gens
Das Gen für BDNF liegt auf dem Chromosom 11p13 und bildet als Translationsprodukt
das BDNF-Protein. Auf dem neunten Exon im BDNF-Gen kann ein Einzelbasenaustausch (single-nucleotide polymorphism, SNP) rs6265 auftreten (Huang et al.,
2001). Diese Sequenzvariation zwischen den Basen Guanin und Adenin führt zu einem
Aminosäurenaustausch auf Position 66 (Val66Met). Aus dem genetischen Polymorphismus (G/G, G/A, A/A) ergeben sich zwei homozygote (Val-Val, Met-Met) und ein
heterozygoter (Val-Met) Phänotyp.
Ungefähr 20 bis 50 Prozent der Menschen weltweit weisen einen heterozygoten (ValMet) oder homozygoten (Met-Met) Methionin-Austausch auf (Shimizu et al., 2004).
Diese Prozentangaben variieren in Abhängigkeit von der Region und Ethnizität. So
sind 43,2% der Italiener und 27,1% der amerikanischen Bevölkerung, von denen die
meisten indo-europäischer Abstammung sind, Träger der Val-Met Variante, in Japan
hingegen sind 50,3% der Bevölkerung betroffen (Schimizu et al., 2004). Wenig
Informationen gibt es zu homozygoten Met-Allel Trägern, da dieser Genotyp nur selten
in der Allgemeinbevölkerung vorkommt (vgl. 8,1% in Italien, 4,5% in den Vereinigten
Staaten und 15,9% in Japan; a.a.O.). Die Variante Val-Val hingegen ist mit 68,4% in
den USA, 48,7% in Italien und 33,8% in Japan am häufigsten vertreten (Schimizu et
al., 2004).
Unklar bleibt, was solche Erkenntnisse für die Allgemeinbevölkerung bedeuten. Nordeuropäer scheinen von kognitiven bzw. Verhaltensänderungen, die mit dem BDNFGenotyp einhergehen, stärker betroffen zu sein als die asiatische Bevölkerung, obwohl
ein größerer Anteil der asiatischen Bevölkerung Träger dieses Allels ist. Es scheint
ethnische Kompensationsmechanismen zu geben, welche die Effekte der Met-Mutation
ausgleichen oder eliminieren (Bath & Lee, 2006).
2.2.2 Effekte des Polymorphismus Val66Met auf die Neurophysiologie
und Morphologie
Die molekularen Auswirkungen des Val66Met wurden ursprünglich mit Zellkulturen in
vitro untersucht. So haben Studien mit primären Hippocampusneuronen gezeigt, dass
der Val66Met Polymorphismus zu drei Veränderungen im intrazellulären Transportmechanismus führt: (1) zu einer verminderten BDNF-Varianten-Verteilung in den
- 21 -
neuronalen Dendriten, (2) zu einer reduzierten Einlagerung von BDNF in den
sekretorischen Vesikeln und (3) zu einer beeinträchtigten aktivitätsabhängigen Sekretion von BDNF aus den Vesikeln, was zu einer verminderten Langzeitpotentierung führt
(Chen et al., 2004, Egan et al., 2003).
Eine häufig replizierte Beobachtung bei den Val-Met Trägern ist ein Unterschied in der
hippocampalen Morphologie. So weisen in Untersuchungen mit strukturierten MRTScans Val-Met Träger wiederholt ein kleineres hippocampales Volumen als die
Kontrollgruppe mit homozygoten Val-Allel auf (Pezawas et al., 2004, Szeszko et al.,
2005). Der Grund für die differierenden Hippocampusvolumina ist letztendlich nicht
geklärt. Denkbar ist eine Kombination aus verschiedenen Veränderungen wie eine
verminderte Dendriten-Komplexität, ein Mangel an neuronalen und Stützzellen, ein
vermehrter Zelltod oder eine verminderte Neurogenese in der embryonalen
Entwicklung bzw. über die Lebensspanne hinweg. BDNF und seine TrkB-Rezeptoren
sind für die Vermittlung all dieser Prozesse wichtig (Huang & Reichardt, 2001, Lu et al.,
2005).
Neben den morphologischen Veränderungen des Hippocampus haben Studien
gezeigt, dass bei heterozygoten Met-Allel Trägern auch das Volumen im dorsolateralen
präfrontalen Cortex, einem Areal, das mit Planen und höheren corticalen Funktionen
assoziiert ist, wie auch das Volumen in subcorticalen Regionen (z.B. Nucleus
caudatus), vermindert ist (Pezawas et al., 2004).
2.2.3 Klinische Effekte des Polymorphismus Val66Met
Bislang ist es nicht gelungen, eine genetische Assoziation zwischen neurotrophen
Genen und kognitiven Funktionen des Menschen zu sichern. Jedoch konnte der SNP
Val66Met mit Gedächtnisbeeinträchtigungen und einer erhöhten Vulnerabilität für
neuropsychiatrische Störungen wie die Alzheimer-Krankheit (Ventriglia et al., 2002),
Parkinson’sche Krankheit (Momose et al., 2002), Depression (Sen et al., 2003),
Essstörung (Ribases et al., 2003) und bipolare Störung (Neves-Pereira et al., 2002) in
Verbindung gebracht werden.
Ein allgemeines klinisches Symptom dieses Basenaustausches ist ein variierender
Grad an Beeinträchtigung höherer kognitiver Fähigkeiten. In erster Linie sind davon
das Lernen und das Gedächtnis betroffen, was sich durch den hohen Expressionslevel
von BDNF und TrkB in hippocampalen Strukturen des erwachsenen ZNS (Yan et al.,
- 22 -
1997) und ihrer kritischen Rolle in der Aufrechterhaltung synaptischer Verbindungen
(Huang & Reichardt, 2001), synaptischen Plastizität (McAllister et al., 1995) und
Neurotransmission (Poo, 2001) in diesen Regionen erklären lässt.
So hat sich beispielsweise gezeigt, dass unter Einsatz neuropsychologischer Testbatterien die Träger des Met-Allels (Val-Met, Met-Met) schlecht in Aufgaben abschneiden, bei denen Plätze und Ereignisse erinnert werden müssen, sich aber nicht von den
Val-Val Trägern in Tests unterscheiden, die klassischerweise weniger vom Hippocampus abhängen, wie etwa das Erlernen von Wörtern oder Planungsaufgaben (Egan et
al., 2003, Hariri et al., 2003). Solche Studien legen nahe, dass bei Met-Allel Trägern
das Hippocampus-abhängige Gedächtnis selektiv gestört ist.
Interessanterweise stimmen viele der reproduzierbaren Phänotypen, die bei menschlichen Met-Allel Trägern beobachtet wurden, mit denen transgener Tiere überein, deren
BDNF- oder TrkB-Level reduziert ist. Diese transgenen Tiere haben Schwierigkeiten
beim Lernen, zeigen Verhaltensänderungen und haben ein vermindertes Hippocampusvolumen (Chen et al., 2008).
Allgemein bleibt es in Studien, in denen Gene mit Pathologien oder Verhaltensänderungen assoziiert werden, oft unklar, wie sich die Variation des Genotyps auf den
Phänotyp auswirkt. Dies ist insbesondere dann schwierig wenn versucht wird, eine
Genotypveränderung mit einer diskreten Modifikation im kognitiven Funktionieren zu
verbinden. Es ist möglich, dass die identifizierte Genvariante direkt die Kognition beeinflusst, aber es ist auch plausibel, dass die genetische Variation den Effekt durch
nachgelagerte funktionale Veränderungen oder durch die Regulation anderer Gene
vermittelt (Yamada et al., 2001). Dieser Umstand muss bei der Interpretation und
Verallgemeinerung derartiger Studienresultate Berücksichtigung finden.
2.3
Apolipoprotein E (ApoE)
Das Apolipoprotein E (ApoE) ist ein Glycoprotein, das in den Transport von Cholesterol
und Lipiden involviert ist. Auch außerhalb des Lipidstoffwechsels nimmt das ApoE
zahlreiche Aufgaben wahr wie die Modulation der zellulären Immunantwort, die Hemmung der Thrombozytenaggregation und die Regulation der Steroidsynthese (Hoe et
al., 2005). Im peripheren und zentralen Nervensystem beeinflusst ApoE das Wachstum
und die Differenzierung von Neuronen (Lemaitre et al., 2005). Aus diesem Grund und
wegen seiner Interaktion mit den neurotoxischen Amyloid-Peptiden und Plaque-
- 23 -
Komplexen wird dem ApoE eine Rolle in der Pathogenese der Demenz vom Alzheimer
Typ (DAT) zugeschrieben (Saunders et al., 1993, Strittmatter et al., 1993).
2.3.1 Polymorphismen des APOE-Gens
Das menschliche APOE-Gen liegt auf Chromosom 19 (19q13.2; Pericak-Vance et al.,
1991) und kommt in den drei allelen Formen ε2, ε3 und ε4 vor. Der Wildtyp ε3
(Cystein112, Arginin158) unterscheidet sich von den beiden anderen Allel-Formen ε2
(Cystein112, Cystein158) und ε4 (Arginin112, Arginin158) jeweils nur in einer Aminosäure,
was jedoch erhebliche pathobiochemische Konsequenzen hat (Price et al., 1998; vgl.
Kapitel 2.3.2, S. 24ff). Aus dem genetischen Polymorphismus ergeben sich drei homozygote (E2/E2, E3/E3, E4/E4) und drei heterozygote (E2/E3, E2/E4, E3/E4) Phänotypen (Beffert et al., 1998, Lahiri et al., 2004). In Westeuropa tritt das ε3-Allel bei 75 %,
das ε4-Allel bei 15% und das ε2-Allel bei 8% der Bevölkerung auf (Utermann et al.,
1980). Der dominierende Phänotyp ist deshalb E3/E3 (50%), gefolgt von den
Phänotypen E3/E4 (25%), E2/E3 (15%), E2/E4 (2%), E4/E4 (2%) und E2/E2 (1%; Hill
et al., 2007).
Verglichen mit ApoE3 besitzt ApoE4 eine höhere und ApoE2 eine sehr viel niedrigere
Affinität zum LDL-Rezeptor (low density lipoprotein receptor). Demzufolge werden die
Lipoproteine bei ε4-Trägern wesentlich schneller aus dem Plasma entfernt. Dies
bewirkt eine Herunterregulation des hepatischen LDL-Rezeptors, woraus ein Anstieg
des Plasma-LDL-Cholesterins resultieren kann (Moriarty et al., 2010). ApoE4 ist somit
potentiell atherogen, während ApoE2 eher einen kardioprotektiven Effekt ausübt. Allerdings ist auch bekannt, dass die seltene Hyperlipoproteinämie Fredrickson Typ III, die
mit einem sehr hohen koronaren Risiko einhergeht, kausal mit der ApoE2-Homozygotie zusammenhängt. Für ihre Manifestation sind jedoch weitere Störungen des Fettstoffwechsels wie etwa Diabetes mellitus, Hypothyreose und Fehlernährung oder auch
exogene Risikofaktoren notwendig (Riesen et al., 1995, Siest et al., 1995, Feussner et
al., 1998).
- 24 -
2.3.2 Effekte des APOE-Polymorphismus auf die Neurophysiologie und
cerebrale Morphologie
Von den funktionellen Allelen des APOE-Gens ist auf das ZNS bezogen die ε4-Variante von großer Bedeutung. Zwar ist der pathologische Mechanismus, der hinter der ε4Isoform steckt, noch weitgehend unbekannt, jedoch kristallisieren sich drei maßgebende Hypothesen heraus: so wurde postuliert, dass E4 aufgrund seiner starken Bindung
an das Beta-Amyloidpeptid einen stabilen Komplex bildet, der die Entstehung von
Plaques erleichtert (Strittmatter et al., 1993). Zahlreiche Studien hierzu haben gezeigt,
dass die Dichte der senilen Plaques mit dem ApoE-Genotyp in der Rangfolge ε4/ε4 >>
ε3/ε4 >> ε3/ε3 korreliert (Beffert et al., 1998). Gearing et al. (1996) haben zudem
herausgefunden, dass die erhöhte Plaque-Dichte, die bei ε4-Allel Trägern beobachtet
wird, auf einen Anstieg der Aβ1-40-positiven Plaques rückführbar ist, während die Aβ 1-42positiven Plaques bei allen ApoE-Genotypen in etwa gleich häufig sind.
In der zweiten Hypothese wird ein Zusammenhang zwischen dem ApoE-Genotyp und
den neurofibrillären Bündeln (neurofibrillary tangles, NFT) angenommen (Polvikoski et
al., 1995). Diese Aussage beruht auf der Beobachtung, dass die E2- und E3-Isoformen
des APOEs viel effizienter als das E4 an das Mikrotubuli-assoziierte Tauprotein binden,
was im Falle des letzteren die Phosphorylierung von Tau erhöht (a.a.O.). Hierzu haben
beispielsweise Ghebremedhin et al. (1998) nachgewiesen, dass bei ε4-Trägern in
einem Alter zwischen 22 und 46 Jahren neurofibrilläre Bündel im entorhinalen Cortex
häufiger auftreten als bei den Nichtträgern dieses Allels. Basierend auf Querschnittsdaten schätzen Ohm et al. (1995), dass diese histopathologischen Merkmale dem Beginn
einer Alzheimer-Krankheit um bis zu 50 Jahre vorausgehen. Neben den zahlreichen
Bestätigungen dieser Hypothese gibt es allerdings auch kontroverse Befunde, in denen
kein Zusammenhang zwischen der E4 und den NFTs gefunden wurde (z.B. Landen et
al., 1996).
Der dritte Ansatz geht davon aus, dass ApoE als Reaktion auf die zelluläre Schädigung
bzw. Degeneration zwar prinzipiell den Neuritenwachstum fördert (Fagan et al., 1996),
das E4 jedoch verzögernd auf die neuronale Wiederherstellung wirkt und sogar mit der
normalerweise protektiven Funktion von E3 interferiert (Buttini et al., 2000). Die
dadurch entstehende zeitliche Verschiebung des Dendritenwachstums führt zu einem
Verlust synaptischer Verbindungen und zu damit assoziierten kognitiven Einbußen
(Turic et al., 2001). Diese Annahme wurde durch eine Vielzahl an Studien gestützt.
Beispielsweise haben Jordan und Kollegen (1997) bei Profiboxern mit chronischen
traumatischen Hirnschädigungen festgestellt, dass die Kombination aus zahlreichen
- 25 -
Kämpfen und der Anwesenheit eines ε4-Allels mit einer größeren kognitiven
Beeinträchtigung einhergeht. Kutner et al. (2000) haben gezeigt, dass ältere Footballspieler mit einem ε4-Allel schlechter in kognitiven Aufgaben abschneiden als ihre
Teamkollegen, die kein ε4-Allel aufweisen oder auch jüngere Spieler mit einem ε4Allel. Und Arendt et al. (1997) haben beschrieben, dass Alzheimer-Patienten mit homooder heterozygotem ε4-Allel schwerwiegendere neuronale Degeneration und signifikant weniger neuronale Plastizität aufweisen als Patienten ohne ε4-Allel. Vergleichbare
Ergebnisse haben Untersuchungen mit transgenen Mäusen erbracht, in denen das E4
zu einem geringeren Dendritenwachstum (Ji et al., 2003), einer gestörten hippocampalen Plastizität (Levi et al., 2003) und in vitro zu einer erhöhten Neurotoxizität geführt hat
(Qiu et al., 2003).
Das durch E4 bedingte verminderte Neuritenwachstum ist auch in der strukturellen und
neuroradiologischen Bildgebung nachweisbar. So fallen die Hippocampus-Volumina
von Alzheimer-Patienten mit dem ε4/ε4 Genotyp kleiner als die von Erkrankten ohne
ε4-Allel aus (Lehtorvirta et al., 1995). Daraus ist zu schließen, dass homozygote ε4Allel Träger bereits früh im Krankheitsverlauf eine größere hippocampale Schädigung
erleiden und sich darin signifikant von den Nicht-ε4 Trägern unterscheiden (Lehtorvirta
et al., 1996). Auch bei den gesunden älteren Personen besteht eine Korrelation
zwischen dem ε4-Allel und einem reduzierten Hippocampusvolumen (May et al., 1998).
Reiman et al. (2004) haben mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zudem
entdeckt, dass kognitiv leistungsfähige ε4-Allel Träger bereits im Alter von 20 bis 39
Jahren einen abnormen Glukosemetabolismus im posteriorem Cingulum wie auch im
parietalen, temporalen und präfrontalen Cortex aufweisen – eben in den Hirnregionen,
die auch bei Verwandten von Patienten mit einer autosomal dominanten Form der
Alzheimer-Krankheit auffällig sind. Und Small et al. (1995) haben herausgefunden,
dass das ε4-Allel mit einem reduzierten cerebro-parietalen Metabolismus und einer
erhöhten Asymmetrie bei nicht-dementen Familienangehörigen einhergeht, die ein
erhöhtes Risiko für die Alzheimer Krankheit haben.
All diese Daten verdeutlichen die hohe Vulnerabilität des ε4-Allels für das Auftreten der
Alzheimer Krankheit. Doch obwohl das E4 in der Bildung von neurofibrillären Bündeln
und Plaques involviert ist und das Neuritenwachstum hemmt, ist seine exakte Rolle bei
der DAT noch nicht gänzlich geklärt. Tatsache ist, dass ein Drittel bis die Hälfte der
- 26 -
Patienten mit spätem Erkrankungsalter kein ε4-Allel besitzt, so dass auch andere
Faktoren in der Pathogenese beteiligt sein müssen (Beffert et al., 1998).
2.3.4 klinische Effekte des Polymorphismus APOE-εε4
Das APOE ε4-Allel wurde unter anderem mit kardiovaskulären Erkrankungen (Menzel
et al., 1983), diätischer Hypercholesterinämie (Laakso et al., 1991) und LewyKörperchen-Demenzen wie der senilen Form (Benjamin et al., 1995), der AD-Variante
(Galasko et al., 1994) und des diffusen Typs (Kawanishi et al., 1996), mit der
vaskulären Demenz, dem Morbus Parkinson, der Frontotemporalen Demenz und dem
Down Syndrom (letztere nachzulesen bei Helisalmi et al., 1996) in Verbindung
gebracht. Am besten untersucht ist jedoch seine Assoziation mit der Demenz vom
Alzheimer Typ.
Epidemiologische Studien (Farrer et al., 1997) haben aufgedeckt, dass in Europa das
Risiko für eine Alzheimer Demenz mit der Anzahl der ε4-Allele ansteigt und zwar mit
den odd ratios (OR) von 2.6, 3.2 und 14.9 für die ApoE-Genotypen ε2/ε4, ε3/4 und
ε4/ε4 jeweils bezogen auf ε3/ε3. Bei Afro-Amerikanern und Hispanics ist der ε4
Genotyp-Effekt geringer. In der japanischen Bevölkerung hingegen ist die E4-DATAssoziation stärker als bei den Europäern ausgeprägt. Der ε2/ε3 Genotyp scheint für
alle ethnischen Gruppen protektiv zu sein (OR = 0.6 relativ zu ε3/ε3). Diese Angaben
bekräftigen, dass das ε4-Allel des APOEs für alle ethnischen Gruppen einen
Hauptrisikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimer Krankheit darstellt.
Weiterhin wurde postuliert, dass jedes zusätzliche ε4-Allel das Erkrankungsalter nach
unten verschiebt - im Schnitt vom 84. auf das 68. Lebensjahr (Corder et al., 1993).
Wenn die ε4-Isoform also ein gravierender Risikofaktor für die DAT ist, dann müsste
die Prävalenz dieses Allels in der hochbetagten Bevölkerung sehr niedrig ausfallen.
Tatsächlich befinden sich 40% aller Demenz-Patienten mit einem ε4/ε4 Genotyp im 55.
Lebensjahr, wohingegen weniger als 5% älter als 91 Jahre sind (Sauners et al., 1993).
Nach Dartigues & Letenneur (2000) scheint bei Personen jenseits des 75. Lebensjahres das durch das ε4-Allel erhöhte Erkrankungsrisiko abzunehmen und sich dem
Erkrankungsrisiko der Nicht-ε4-Allel Träger anzugleichen.
Der beschriebene Zusammenhang zwischen E4 und dem Gedächtnis spiegelt sich
auch in neuropsychologischen Untersuchungen wider. So fanden Henderson et al.
- 27 -
(1995) heraus, dass das ε4-Allel mit einer schlechteren Leistung in Tests wie dem
MMST oder Aufgaben zum episodischen Gedächtnis assoziiert ist, aber nicht mit
Messungen der prämorbiden Gedächtnisleistung. Folglich scheint das ε4-Allel zu
kognitiven Einbußen zu prädisponieren, aber keinen Effekt auf die Kognition vor der
Erkrankung zu haben. Auch Bunce et al. (2004) stellen fest, dass das Vorkommen
eines ε4-Allels weder die kognitiven Defizite von präklinischen DAT-Fällen beeinflusst,
noch die von gesunden Erwachsenen.
Wenn genetische APOE-Variationen für Differenzen bezüglich des Gedächtnisses und
der Kognition in der Bevölkerung verantwortlich sein sollen, dann müsste das ε4-Allel
auch im Kindes- und Jugendalter Unterschiede bedingen (Parasuraman et al., 2002).
Deary et al. (2003) verfolgte längsschnittlich eine Kohorte von Kindern, bei denen
erstmals 1932 die Intelligenz gemessen wurde. Sie stellten fest, dass sich der ε4-Allel
Effekt weder mit elf Jahren, noch im 77. Lebensjahr zeigt. Es muss allerdings
festgehalten werden, dass in dieser und ähnlichen Studien Intelligenztests und keine
expliziten Aufgaben zum Gedächtnis durchgeführt werden, was eine „echte“ PhänotypAssoziation eventuell verschleiert.
Anzumerken ist, dass die meisten neuropsychologischen Studien mit älteren Probanden durchgeführt werden. Dies erschwert die abschließende Bewertung, ob APOEVarianten generell zum interindividuellen Unterschied in der kognitiven Leistung beitragen, weil ε4 Träger, die sich im Prodromalstadium einer Alzheimer Krankheit befinden,
eventuell für die gefundenen Geno-Phänotyp-Korrelationen verantwortlich sind (Savitz
et al., 2006). Jede zufällig ausgewählte Gruppe Erwachsener in einem Alter von über
65 Jahren schließt wahrscheinlich Fälle mit frühem Alzheimer ein (Sliwinski et al.,
1996) und das Problem aggraviert durch die Tatsache, dass viele der untersuchten
gesunden Probanden einen nahen Angehörigen mit Alzheimer-Krankheit haben (Savitz
et al., 2006).
- 28 -
2.4
Zielsetzungen
Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Effekt der Genotypen von BDNF und APOE auf
die mnestischen Leistungen junger, gesunder Probanden zu messen. Dabei sollen
folgende zwei ungerichtete Haupthypothesen geprüft werden
(1) unterscheiden sich die Probanden unter Berücksichtigung des Polymorphismus BDNF Val66Met hinsichtlich der zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen
sowie verarbeitungsspezifischen Prozesse ihres Gedächtnisses?
(2) unterscheiden sich die Probanden unter Berücksichtigung der Varianten des
APOE-Gens hinsichtlich der zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen sowie
verarbeitungsspezifischen Prozesse ihres Gedächtnisses?
Darüber hinaus sollen die nachfolgenden Fragen beantwortet werden:
(3) Wie schneiden die Probanden mit den Polymorphismen BDNF Val66Met und
APOE-ε4 im normativen Vergleich ab?
(4) Werden die mnestischen Leistungen in den genotypischen Subgruppen BDNF
„kein Met“ und „Met“ bzw. APOE „kein ε4“ und „ε4“ durch das Alter, das
Geschlecht oder die Ausbildungsdauer beeinflusst? Gibt es epistatische Hinweise (BDNF*APOE)?
(5) Bestehen Zusammenhänge zwischen den Phänotypen der Polymorphismen
BDNF Val66Met und APOE-ε4 und den demographischen Variablen einschließlich der Gen-Wechselwirkung?
(6) Wie entwickeln sich die Gedächtnisleistungen der BDNF Val-Val und MetTräger bzw. die der APOE ε4-(Nicht-)Träger in Abhängigkeit vom Lebensalter?
- 29 -
3
Methodik
Die vorliegende Studie ist eine explorative, deskriptive und vergleichende Querschnittsuntersuchung. Sie stellt einen Teil des Projektes GENES dar, das von Februar 2007
bis Oktober 2008 in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen (Arbeitsgruppe Prof. Dr. J. Kornhuber) durchgeführt wurde.
Mit dem Projekt GENES soll die Beziehung ausgewählter Genotypen zu hirnmorphologischen Normabweichungen und deren neuropsychologische Messbarkeit untersucht
werden. Von besonderem Interesse ist hierbei, inwieweit die Polymorphismen der
Gene HUM-BDNF und APOE, welche für die Varianten des Wachstumsfaktors BDNF
(brain-derived neurotrophic factor) bzw. des Apolipoproteins E (ApoE) kodieren, einen
Einfluss auf die Hippocampus- und Gesamthirnvolumina wie auch auf die mnestischen
und intellektuellen Leistungen junger gesunder Probanden haben.
Im Folgenden wird das Studiendesign vorgestellt (Kapitel 3.1, S. 29f), das Messinstrument wie auch die Genotypisierung von BDNF und APOE beschrieben (Kapitel 3.2, S.
30-33) und die Stichprobe charakterisiert (Kapitel 3.3, S.33-37).
3.1
Studiendesign
Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission des Fachbereichs Medizin der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg genehmigt und im Einklang mit der
Deklaration von Helsinki (2008) durchgeführt.
Um eine möglichst homogene Stichprobe zu erhalten, wurde um 18- bis maximal 35jährige Studenten der Medizinischen Fakultät über den Verteiler der Fachschaft und
Mundpropaganda in den an der Klinik abgehaltenen Praktika geworben. Als Ausschlusskriterien wurden somatische Vorerkrankungen, welche potentiell die Gehirnfunktion beeinträchtigen (u.a. Hypo-/Hyperthyreose), gegenwärtige oder anamnestisch
bekannte psychische Störungen (z.B. Depression, Persönlichkeitsstörung), eine regelmäßige Einnahme von Medikamenten (mit Ausnahme hormoneller Kontrazeptiva), ein
Konsum bzw. Missbrauch von bewusstseinsverändernden Substanzen (einschließlich
Alkohol) und Schwangerschaft formuliert. Alle Probanden unterzeichneten vor der
aktiven Studienteilnahme das Aufklärungsprotokoll, die Einwilligungserklärung und den
Verzicht auf die Mitteilung der genotypischen Untersuchungsergebnisse. Für die Teilnahme an allen drei Untersuchungsarmen (MRT, Gedächtnis, Intelligenz, einschließlich
- 30 -
Blutentnahme für Routinelabor und Genotypisierung) wurden jedem Probanden 50
Euro entrichtet. Diese und die Finanzierung der weiteren Messungen wurden aus
intramuralen Finanzierungsquellen getragen. Zur Gewährleistung des Datenschutzes
wurden sämtliche Messwerte noch vor der Auswertung pseudonymisiert. Die Qualität
der Daten wurde statistisch und durch stichprobenartige Quelldatenverifikation kontrolliert.
Zu den Aufgaben des Autors gehörten (1) die Auswahl eines für die Fragestellung
geeigneten Gedächtnistests, (2) die Terminierung der psychometrischen Untersuchungen, (3) deren Durchführung in Form von Gruppentestungen mit maximal zehn Teilnehmern, (4) die Auswertung und Erstellung der Testprofile, (5) die Eingabe der Daten
in die SPSS-Datenbank, (6) die Qualitätssicherung der Daten, (7) die Verwaltung bzw.
Pflege der gesamten GENES-Datenbank, (8) die Verteilung der Probandengelder und
(9) das Versenden der Testprofile (einschließlich einer allgemein verständlichen Interpretation der Ergebnisse) an die Studienteilnehmer.
3.2
Messmethoden
3.2.1 Inventar zur Gedächtnisdiagnostik (IGD)
Das Inventar zur Gedächtnisdiagnostik (IGD; Baller et al., 2006) ist eine umfangreiche
Testbatterie, mit welcher die in den etablierten Modellen (s. Kapitel 2.1.1, S.6ff)
beschriebenen zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen sowie verarbeitungsspezifischen Prozesse des Gedächtnisses gemessen werden können. In Einzel- oder Gruppensettings ist es im leistungsdiagnostischen und klinischen Bereich wie auch in der
neurowissenschaftlichen und psychologischen Forschung einsetzbar.
Das IGD besteht aus drei Testmodulen, mittels derer Neu- und Altgedächtnisleistungen
untersucht werden: das Modul A, welches die Lern- und Merkfähigkeit neuer Informationen im mittleren bis höheren mnestischen Leistungsbereich überprüft, und die
Testmodule B (semantisches Gedächtnis) und C (autobiographisches Gedächtnis), die
beide Altgedächtnisleistungen im niedrigen bis mittleren Leistungsspektrum erfassen.
Die einzelnen Module A, B und C können unabhängig voneinander durchgeführt und
interpretiert werden. Bestehen Zweifel, ob das Testmodul A aufgrund seines hohen
Schwierigkeitsgrades im Individualfall anwendbar ist, sollte laut der Autoren vor seiner
Durchführung das beiliegende Screening eingesetzt werden. Mit diesem kann
- 31 -
innerhalb von wenigen Minuten die Testvoraussetzung hinsichtlich des Instruktionsverständnisses, der basalen Lern- und Merkfähigkeit sowie der Aufmerksamkeit bzw.
Vigilanz (Wachheit) überprüft werden.
In der vorliegenden Studie kam allein das Testmodul A zum Einsatz, für dessen
Durchführung etwa 50 Minuten einzurechnen sind und eine Stoppuhr, die Testordner
(Aufgabenordner mit einem Satz Antwortbögen, die vor der Testdurchführung vom
Testleiter eingelegt werden), Bleistifte und das Manual benötigt werden. Mittels der
zwölf Untertests des IGD (s. Anhang A1, S.96ff) werden prospektive Gedächtnisleistungen, Priming, Arbeitsgedächtnis sowie Lern- und Merkfähigkeit für neue visuelle
und verbale Stimuli gemessen. Ein Subtest erfasst sprachliche (semantische/phonematische) Verarbeitungsprozesse des Einspeicherns, ein weiterer überprüft das
inzidentelle Lernen. Das Paarassoziationslernen ist so konzipiert, dass die Lernleistung
unabhängig von materialspezifischen Verarbeitungsprozessen erfasst werden kann.
Der Abruf des gelernten Materials erfolgt unmittelbar und nach kurzer bis mittelfristiger
zeitlicher Verzögerung in den Paradigmen der freien oder gestützten Reproduktion und
der Rekognition aus Distraktoren. Die Testdurchführung ist vollständig standardisiert,
indem die Instruktionen vom Testleiter wortwörtlich vorgelesen werden und den
Probanden im gleichen Wortlaut schriftlich vorliegen (s. Anhang A2, S.98ff). Bedeutsame Versuchsleitereffekte sind demnach auszuschließen (vgl. sehr zufriedenstellende
Objektivität bzw. Interrater-Reliabilität mit Werten zwischen 0,97 und 1,0 auf
Untertestebene und 0,99 für den Gesamtscore; Baller et al., 2006, S.27). Zu jedem
Subtest wird ein Beispiel vorgegeben. Bei Verständnisproblemen bezüglich der
Aufgabeninstruktion wird diese durch den Testleiter anhand des Beispiels nochmals
erklärt. Die Lern- und Abrufzeiten sind festgelegt und werden mit der Stoppuhr
gemessen. Die Reihenfolge der Untertests darf nicht variiert werden.
In der Auswertung werden zunächst mit Hilfe von Protokollbögen und Ergebnisprofilen
die Rohwerte der Untertests berechnet und nach einer Gewichtung zu Skalen
zusammengefasst. Aus der Summe der derart erhaltenen Skalen ergibt sich der
Gesamtscore. Für die Interpretation des Gesamtscores und der Skalen stehen
alterskorrigierte Normwerte (Prozentränge PR und T-Werte für 18- bis über 65-Jährige)
zur Verfügung. In Abbildung 4 (S. 32) ist das Modul A des IGD schematisch dargestellt.
- 32 -
Kurzzeit-/
ArbeitsGedächtnis
Zahlenspanne
visuelles/verbales Arbeits-Gedächtnis
Exekutive Kontrolle
Lernen
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerter Abruf
verzögerte Rekognition: Wortliste
verzögerte Reproduktion: Text
verzögerte Rekognition: Figuren
verbales
Gedächtnis
verbales Arbeits-Gedächtnis
verbales Lernen
verzögerte Rekognition: Wortliste
verzögerte Reproduktion: Text
visuelles
Gedächtnis
visuelles Arbeits-Gedächtnis
visuelles Lernen
verzögerte Rekognition: Figuren
Priming
Gesamtscore: allgemeines Gedächtnis
Abbildung 4: Übersicht über die Subtests, Skalen und den Gesamtscore des IGDModuls A
Das IGD wurde theoriegeleitet entwickelt und überprüft wesentliche Verarbeitungskomponenten neuropsychologischer Modellvorstellungen. Daher ist von einer guten Inhaltsvalidität auszugehen (Baller et al., 2006). Für die Konstruktvalidierung wurden etablierte Gedächtnistest wie beispielsweise die deutsche Fassung der Wechsler Memory
Scale - R von Härting et al. (2000) herangezogen. Auch hier liegen zufriedenstellende
bis gute Werte vor (z.B. Korrelation für den IGD-Gesamtscore Modul A und der WMSR: r = 0,83; Baller et al., 2006, S.28). Ebenfalls als gut zu werten ist die RetestReliabilität (Gesamtscore: r = 0,84, Skalen: r = 0,74 bis 0,87; a.a.O.), sofern ein
Abstand von mindestens sechs Monaten zwischen den Messzeitpunkten eingehalten
wird.
- 33 -
3.2.2 Genotypisierung des BDNF
Aus dem peripheren Blut der Studienteilnehmer wurde die Leukozyten-DNA mit Hilfe
des Qiagen Isolations-Kits (Qiagen, Hilden, Deutschland) nach Anleitung der Hersteller
isoliert. Die BDNF-Genotypisierung erfolgte nach Büller et al. (2006). Es wurde
zunächst
ein
274
bp
großes
Basenpaarfregment
durch
eine
Polymerase-
Kettenreaktion (PCR) unter Verwendung der Oligonukleotide Val66Met 5'-AAAGAAGC
AAACATCCGAGGACAAG-3 ' (vorwärts) und Val66Met 5'-ATTCCTCCAGCAGAAAGA
GAAGAGG-3' (rückwärts) amplifiziert. Die Amplifikationsprodukte wurden dann mit
Hsp92II (Promega, Madison, Wisconsin, USA) verdaut und auf einem zweiprozentigen
Agarosegel mit Ethidiumbromid (Roth, Karlsruhe, Deutschland) analysiert. Im Falle
eines G-Allels (BDNF-Val66) produziert die Hsp92II-Verdauung zwei Produkte (57 und
217 bp), beim A-Allel (BDNF-Met66) drei (57, 77 und 140 bp ).
3.2.3 Genotypisierung des APOE
Wiederum wurde aus dem peripheren Blut der Studienteilnehmer die Leukozyten-DNA
mit Hilfe des Qiagen Isolations-Kits (Qiagen, Hilden, Deutschland) nach Anleitung der
Hersteller isoliert. Die APOE-Genotypisierung wurde nach der Methode von Hixson
und Vernier durchgeführt (1990). Dabei kam folgender Primer zum Einsatz: 5'-ACAG
AATTCGCCCCGGCCTGGTACAC-3' (vorwärts) und 5'-TAAGCTTGGCACGGCTGT
CCAAGGA-3' (rückwärts). Nach der Amplifizierung erfolgte die Verdauung des Amplifikationsproduktes mit Hilfe des Enzyms Hha I (New England Biolabs, Frankfurt am
Main, Deutschland) bei 40 Grad Celsius über sechs Stunden. Schließlich wurden die
Proben auf einem dreiprozentigen Agarosegel aufgetrennt und mit SYBR Gold Nucleic
Acid Gel Stain® (Invitrogen, Karlsruhe, Germany) visualisiert.
3.3
Beschreibung der Stichprobe
Am Projekt GENES (s. Kapitel 3, S.29) nahmen insgesamt 156 Probanden
europäischer Abstammung und beiderlei Geschlechts teil. Fünf Teilnehmer mussten
aufgrund einer durch das Routinelabor festgestellten Hyperthyreose (n = 3) und eines
Diabetes mellitus (n = 1) wie auch einer in der Bildgebung nachgewiesenen Läsion
rechts frontal (n = 1) ausgeschlossen werden. Diese Probanden wurden über die
Zufallsbefunde und Therapiemöglichkeiten aufgeklärt.
- 34 -
Von den verbliebenen 151 Studienteilnehmern verweigert elf die Messung ihrer
Gedächtnisleistungen, so dass letztendlich die Daten von 140 Probanden für die
vorliegende Arbeit zur Verfügung stehen. Anzumerken ist, dass der besseren Lesbarkeit wegen allein die männliche Schreibweise (z.B. Studienteilnehmer, Proband)
verwendet wird. Es sind aber ausdrücklich immer beide Geschlechter gemeint.
In Tabelle 3 sind die soziodemographischen Variablen und die Häufigkeiten der
Polymorphismen von BDNF und APOE überblicksartig zusammengestellt.
N=140
n
n%
n%Literatur
MW (s)
Geschlecht
männlich
weiblich
46
94
32,9
67,1
-
-
Alter
in Jahren
-
-
-
24,6 (3,3)
Bildung
in Jahren
-
-
-
16,9 (2,2)
68,4
27,1
†
4,5
-
‡
1,0
15,0
‡
2,0
‡
50,0
‡
25,0
‡
2,0
-
-
-
BDNF
Val-Val
Val-Met
Met-Met
89
39
12
63,6
27,9
8,6
APOE
ε2/2
ε2/3
ε2/4
ε3/3
ε3/4
ε4/4
2
15
2
104
13
4
1,4
10,7
1,4
74,3
9,3
2,9
positive
Familienanamnese
keine
Demenz
Schizophrenie
Depression
bipolare Störung
keine Angabe
126
4
2
5
1
2
90,0
2,9
1,4
3,6
0,7
1,4
†
†
‡
Tabelle 3: Beschreibung der Stichprobe mit absoluten (n) und relativen (n%) Häufigkeiten, Mittelwerten (MW) und Standardabweichungen (s); † nach Egan et al. (2003),
‡
nach Hill et al. (2007)
In Tabelle 3 ist zunächst ein Dominieren der weiblichen Probanden festzustellen (vgl.
94 Frauen gegenüber 46 Männer), was im Hinblick auf mögliche geschlechtsspezifische Effekte in den weiteren Berechnungen (Kapitel 4.2, S. 42ff) berücksichtigt werden
muss. Auch beim Lebensalter ist nicht von einer gleichmäßigen Besetzung der
Altersklassen 18 bis 35 Jahren auszugehen (vgl. Kolmogorv-Smirnov-Test: p = ,042),
wohingegen die Ausbildungsjahre normeilverteilt sind (Kolmogorov-Smirnov-Test: p =
- 35 -
,229). Die Häufigkeitsverteilungen des Alters und der Ausbildungsjahre sind in Abbildung 5 dargestellt.
Abbildung 5: Histogramme mit Normalverteilungskurven für das Alter (links) und der
Ausbildungsjahre (rechts)
Weiterhin ist aus Tabelle 3 (S. 34) ersichtlich, dass die (relativen) Häufigkeiten der
Genvarianten von BDNF und APOE teilweise sehr gering ausfallen wie etwa bei den
APOE-Isoformen ε2/ε2 (n = 2), ε2/ε4 (n = 2) und ε4/ε4 (n = 4). Dies muss in der
analytischen Statistik entsprechend berücksichtigt werden, da sonst die Generalisierbarkeit der Ergebnissen nicht gewährleistet werden kann. Allerdings ist auch festzuhalten, dass die Häufigkeitsverteilungen in der Studienpopulation mit nur geringen Abweichungen den verfügbaren epidemiologischen Angaben entsprechen (vgl. BDNF: ValValDifferenz = 4,8%, Val-MetDifferenz = 0,8%, Met-MetDifferenz = 4,1%; APOE: ε2/ε2Differenz =
0,4%, ε2/ε3Differenz = -5,7%, ε2/ε4Differenz = 0,6%, ε3/ε3Differenz = 24,3%, ε3/ε4Differenz = 15,7%, ε4/ε4Differenz. = 0,9%).
Die Verteilung der Genotypen von BDNF und APOE nach den Geschlechtern ist in
Tabelle 4 (S. 36) dargestellt.
- 36 -
Geschlecht
männlich
ApoE
ε2/ε2
ε2/ε3
ε2/ε4
ε3/ε3
ε3/ε4
ε4/ε4
Val-Val
0
3
1
23
1
2
30
BDNF
Val-Met
0
1
0
6
2
1
10
ε2/ε2
ε2/ε3
ε2/ε4
ε3/ε3
ε3/ε4
ε4/ε4
2
6
1
44
5
1
59
0
4
0
22
3
0
29
gesamt
weiblich
ApoE
gesamt
Met-Met
0
1
0
4
1
0
6
gesamt
0
5
1
33
4
3
46
0
0
0
5
1
0
6
2
10
1
71
9
1
94
Tabelle 4: Kreuztabelle ApoE * BDNF * Geschlecht (N=140); farblich hervorgehoben
sind die potentiell kritischen Allel-Kombinationen mit jeweils mindestens einem BDNFMet und einem APOE ε4
Weder bei den männlichen, noch bei den weiblichen Studienteilnehmern liegt die
potentiell kritische Allel-Kombination „Met-Met und ε4/ε4“ vor (s. Tabelle 4). Ein gleichzeitiges Auftreten eventuell kognitiv nachteiliger heterozygoter Varianten findet sich in
acht Fällen (vgl. Männer: nε3/ε4
und Met-Met=1,
nε3/ε4
und Val-Met=2,
nε4/ε4
und Val-Met=1;
Frauen:
nε3/ε4 und Met-Met=1, nε3/ε4 und Val-Met=3). Diese interessante Subgruppe ist jedoch zu klein, um
weiterführende statistische Analysen durchführen zu können.
Die Frage nach psychiatrischen und/oder neurodegenerativen Erkrankungen in der
eigenen Familie bejahen 8,6%, wobei in erster Linie Depressionen (n = 5) und Demenzen (n = 4) genannt werden (s. Tabelle 3, S. 34). In der überwiegenden Mehrheit (zu
90%) ist keine familiäre Vorbelastung bekannt, so dass von einer mit dem Studienvorhaben konfundierenden genetischen Disposition weitestgehend abzusehen ist.
- 37 -
4
Ergebnisse
Die Datenanalyse erfolgt gemäß der in Kapitel 2.4 (S.29) aufgeführten Fragestellungen
und ist in zwei Teile untergliedert: einer deskriptiven Statistik (Kapitel 4.1, S. 37-42), in
welcher die Gedächtnisleistungen getrennt nach den Varianten der Gene HUM-BDNF
und APOE anhand von Verteilungsparametern und im Vergleich zur Normstichprobe
beschrieben werden; und einer analytischen Statistik (Kapitel 4.2, S. 42-66), in welcher
Einflüsse des Geschlechts, Alters, der Ausbildungsdauer und der BDNF-APOEInteraktion geprüft, mnestische Unterschiede zwischen den Genotypen aufgedeckt,
relevante Zusammenhänge mit demographischen Variablen berechnet und prognostisch bedeutsame Indikatoren für das Gedächtnis identifiziert werden. Die hierfür
notwendigen statistischen Berechnungen wurden mit dem Programm PASW Statistics
18.0 für Windows (SPSS, Chicago IL) durchgeführt.
4.1
Deskriptive Statistik
Zur Beschreibung des Datensatzes werden die in der Testung mit dem IGD (Inventar
zur Gedächtnisdiagnostik) erzielten Ergebnisse bzw. deren Interpretation unterteilt
nach den Genotypen von BDNF und APOE graphisch dargestellt und erläutert. Die
Mittelwerte und Standardabweichungen wie auch die Leistungen aus den Subtests
werden an den entsprechenden Stellen in der analytischen Statistik besprochen
(Kapitel 4.2, S.42ff).
4.1.1 Mnestische Leistungen und BDNF Val66Met
Wie in Kapitel 3.2.1 (S. 31) beschrieben, wurden die Rohwerte der Untertests
manualgeleitet berechnet, gewichtet und zu den Skalen Kurzzeitgedächtnis, Lernen,
verzögerter Abruf, verbales Gedächtnis und visuelles Gedächtnis zusammengefasst,
welche durch Addition den Gesamtscore ergeben. Für die Interpretation wurden die
alterskorrigierten Normwerte (Prozentränge, PR) herangezogen. Deren Häufigkeitsverteilung wird unter Berücksichtigung der Genvarianten von BDNF in Abbildung 6 (S. 38)
gezeigt.
- 38 -
Gesamtscore
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
57,3
Kurzzeitgedächtnis
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
43,8
37,1
30,3
61,5
53,8
19,1
30,8
12,4
25,6
12,8
50,0
50,0
15,4
Lernen
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
69,7
41,7
33,3
25,0
verzögerter Abruf
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
60,7
36,0
66,7
28,1
56,4
35,9
30,8
75,0
66,7
25,0
2,2
3,4
33,3
7,7
2,6
71,9
verbales Gedächtnis
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
visuelles Gedächtnis
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
52,8
41,6
76,9
43,6
21,3
46,2
58,3
5,6
10,3
17,9
6,7
33,3
8,3
5,1
58,3
25,0
16,7
Abbildung 6: Darstellung der absoluten und relativen Häufigkeiten der auf den IGDSkalen erzielten Ergebnisse unterteilt nach den BDNF-Phänotypen (N=140, nVal-Val=89,
nVal-Met=39, nMet-Met=12). Ein Prozentrang (PR) zwischen 0 und 24 gilt als
„unterdurchschnittlich“, zwischen 25 und 75 als „durchschnittlich“ und zwischen 76 und
100 als „überdurchschnittlich“.
- 39 -
Von den homozygoten Valin-Trägern (n = 89) werden mit Ausnahme der Resultate in
den Skalen verzögerter Abruf und verbales Gedächtnis, welche als Teilleistungsstärken zu interpretieren sind, überwiegend altersentsprechende Ergebnisse erzielt. So
fällt auch der Gesamtscore, der als globales Gedächtnismaß gilt, in 57% der Fälle
durchschnittlich aus; knapp ein Drittel liegt über dem Durchschnitt, und 12% darunter.
Auf alle Skalen bezogen ist der Anteil unterdurchschnittlicher Leistungen gering, wobei
die größten Schwierigkeiten in den Aufgaben zum Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis
auftreten.
Ein vergleichbares Profil zeigen die Val-Met Träger (n = 39) mit zumeist regelrechten
Leistungen, einer relativen Stärke im Bereich des verzögerten Abrufs wie auch des
verbalen Gedächtnisses und einer Schwäche bezüglich des Arbeits- und Kurzzeitgedächtnisses. Beim Gesamtscore unterscheiden sich 62% nicht vom Durchschnittswert
der Normpopulation, 13% liegen darüber und etwas mehr als ein Viertel darunter.
Die homozygoten Met-Träger (n = 12) heben sich von den Trägern der beiden anderen
BDNF Genvarianten dadurch ab, dass sie in den Aufgaben zum Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis überwiegend Defizite zeigen (vgl. 42% unter, 33% im und 25% über dem
Durchschnitt), auf den Skalen Lernen und verzögerter Abruf jeweils durchwegs
regelrechte bis überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen, und der Gesamtscore zu
gleichen Anteilen entweder unterdurchschnittlich oder altersentsprechend ausfällt. Die
besten Resultate erreichen sie jedoch in Einklang mit den Va-Val und Val-Met Trägern
auf den Skalen verzögerter Abruf und verbales Gedächtnis.
4.1.2 Mnestische Leistungen und APOE
Analog dem Vorgehen aus Kapitel 4.1.1 (S. 37ff) wurden die absoluten und relativen
Häufigkeiten zu den interpretierten Skalenwerten berechnet und graphisch dargestellt
(s. Abbildung 7, S. 40).
Die herausragendsten Leistungen erzielen die ε2/ε2- und die ε2/ε4-Träger (jeweils n =
2) mit auf die Skalen und dem Gesamtscore bezogen ausnahmslos durchschnittlichen
bis überdurchschnittlichen Ergebnissen. Probanden mit homozygoten ε4-Allel (n = 4)
schneiden abgesehen von einigen Beeinträchtigungen bzgl. des Arbeits- und Kurzzeitgedächtnisses (vgl. 50% unter-, 50% durchschnittlich) vergleichbar gut ab.
- 40 -
Kurzzeitgedächtnis
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
Gesamtscore
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
55,8
48,1
28,8
23,1
22,1
22,1
60,0
20,0
61,5
30,8
20,0
50,0 50,0
100,0
7,7
50,0 50,0
46,2
33,3 33,3 33,3
50,0 50,0
Lernen
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
69,2
30,8
50,0 50,0
23,1
100,0
verzögerter Abruf
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
57,7
36,5
28,8
73,3
66,7
61,5
33,3
100,0
50,0 50,0
5,8
30,8
1,9
7,7
51,0
46,2
53,8
100,0
26,7
100,0
50,0 50,0
50,0 50,0
verbales Gedächtnis
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
visuelles Gedächtnis
unterdurchschnittlich
(PR 0-24)
durchschnittlich
(PR 25-75)
überdurchschnittlich
(PR 76-100)
70,2
40,4
22,1
8,7
60,0
40,0
73,3
7,7
38,5
75,0
50,0 50,0
84,6
61,5
50,0 50,0
25,0
50,0 50,0 13,3
13,3
100,0
75,0
7,7
7,7
25,0
Abbildung 7: Darstellung der absoluten und relativen Häufigkeiten der auf den IGDSkalen erzielten Ergebnisse unterteilt nach den APOE-Phänotypen (N=140, nε2/ε2=2,
nε2/ε3=15, nε2/ε4=2, nε3/3=104, nε3/4=13, nε4/4=4). Ein Prozentrang (PR) zwischen 0 und 24
gilt als „unterdurchschnittlich“, zwischen 25 und 75 als „durchschnittlich“ und zwischen
76 und 100 als „überdurchschnittlich“.
- 41 -
Auch die ε2/ε3- und ε3/ε4-Träger (n = 15 und n = 13) ähneln sich, wobei letztere
höhere Werte im Gesamtscore erbringen (vgl. ε3/ε4: 30,8% überdurchschnittlich, 7,7%
unter dem Durchschnitt, ε2/ε3: jeweils 20% unter- und überdurchschnittlich).
Die umfangstärkste Gruppe der ε3/ε3-Träger (n = 104) zeichnet sich v.a. im verzögerten Abruf, verbalen Gedächtnis und Lernen aus. Unterdurchschnittliche Ergebnisse
werden auf alle Skalen bezogen am häufigsten in den Aufgaben zum Kurzzeit-/ArbeitsGedächtnis erbracht (vgl. 23,1%). Insgesamt ist ihre Gedächtnisleistung zumeist als
durchschnittlich einzustufen.
4.1.3 Zusammenfassung der deskriptiven Statistik
Die zu den sechs Skalen verrechneten Gedächtnisleistungen der Sudienteilnehmer
sind im Vergleich zur Normpopulation zumeist als durchschnittlich zu werten.
In der Betrachtung der BDNF-Phänotypen (s. Abbildung 6, S. 38) fällt auf, dass die
besten Ergebnissen auf der Skala verzögerter Abruf erbracht werden, welche sich aus
der verzögerten Rekognition einer Wortliste, der verzögerten Reproduktion eines
Textes und des verzögerten Abrufes von Figuren zusammensetzt. Die vergleichsweise
schlechtesten Ergebnisse werden hinsichtlich des Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses
vorgelegt, zu dem die Zahlenspanne, das visuelle/verbale Arbeitsgedächtnis und die
Exekutive Kontrolle zählen. Dabei scheint sich die Anwesenheit von BDNF-Met negativ
auf das Leistungsniveau auszuwirken (vgl. Erfolg: Val-Val > Val-Met > Met-Met).
Stehen die Phänotypen des APOE im Vordergrund (s. Abbildung 7, S. 40) zeigt sich
eine ähnliche Verteilung der Stärken (verzögerter Abruf, verbales Gedächtnis) und
Schwächen (Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis). Das Vorkommen eines ε4 Allels wirkt sich
leistungsbezogen aber nicht so deutlich aus wie das von Methionin bei den BDNFVarianten.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Probanden durch die Fähigkeit,
Gelerntes nach einer zeitlichen Verzögerung wieder abzurufen, auszeichnen. Das
Kurzzeit-/ Arbeitsgedächtnis hingegen ist relativ gesehen als Schwäche zu werten.
- 42 -
4.2
Analytische Statistik
In Abhängigkeit vom Skalenniveau und den Ergebnissen des Kolmogorov-SmirnovTests (s. Anhang A3, S. 101) werden die Leistungsunterschiede zwischen den
Genotypen des BDNF und APOE für intervallskalierte und normalverteilte Werte mit
dem t-Test für unabhängige Gruppen (unter Berücksichtigung des Levene-Tests), für
die intervallskalierten und nicht-normalverteilten mit dem Mann-Whitney-U-Test und für
die nominalen Werte mit dem Pearson’schen Chi-Quadrat-Test berechnet.
Obwohl es sich bei diesem Vorgehen um ein multiples Testen handelt, wird auf eine αAdjustierung verzichtet. Der Grund hierfür ist, dass wegen des explorativen Charakters
dieser Studie die interessierenden Variablen als primäre anzusehen sind, die alle für
die Beschreibung möglicher Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen
(sprich möglicher unterschiedlicher Gedächtnisleistungen bzgl. der Genotypen von
BDNF und APOE) notwendig sind. Demzufolge muss jede Nullhypothese bezüglich
jeder einzelnen Variable auf dem gleichen Signifikanz-Niveau zurückgewiesen werden.
Oder anders ausgedrückt: die einzelnen Fehler erster Art werden mit dem Gesamtfehler erster Art α gleichgestellt. In solchen Fällen gibt es nach EMEA (2002) keine
Tendenz oder Chance, das günstigste Ergebnis zu selektieren. Allerdings erhöht dieses Vorgehen den Fehler zweiter Art (falsches Akzeptieren, dass mindestens eine
Nullhypothese wahr ist), was im schlimmsten Fall ein Aufsummieren aller β-Fehler, die
mit den einzelnen Hypothesen in Verbindung gebracht werden, bedeutet. Diese
Erhöhung des Fehlers zweiter Art wird in Kauf genommen.
Werden in einer Untersuchung sehr viele Unterschiede bzw. Zusammenhänge
getestet, so muss – auch wenn tatsächlich immer die Nullhypothese gilt – durch
Zufallsfehler der eine oder andere signifikant erscheinen. Allerdings trifft dieser Einwand nur dann zu, wenn es sich um eine Vielzahl unabhängiger voneinander zufällig
gemessener Zusammenhänge oder Unterschiede handelt (Janssen & Laatz, 2007, S.
344). Zumeist bestehen zwischen den Messvariablen aber systematische Beziehungen, so dass man davon ausgehen kann, dass nicht bei jeder Variablen ein unabhängiger Zufallsfehler auftritt, sondern der einmal aufgetretene Zufallsfehler sämtliche Daten
durchzieht (ebd.). Dies berücksichtigend wird vor dem Durchführen der oben beschriebenen Testung auf Gruppenunterschiede geprüft, ob sich die Träger der interessierenden Allele bezüglich des Alters, des Geschlechts, der Ausbildungsjahre oder des
Genotyps (bei Betrachtung des BDNF: gleichzeitiges Vorliegen/Fehlen von ε4, bei
APOE: gleichzeitiges Vorliegen/Fehlen von Methionin) unterscheiden. Zudem wird
- 43 -
mittels Kovarianzanalysen und einfaktoriellen Varianzanalysen untersucht, ob die
erbrachten Leistungen demographischen Einflüssen (Alter, Geschlecht, Bildung, Genotyp) unterliegen, und ob Interaktionen auftreten.
Sofern signifikante phänotypische Unterschiede vorliegen, werden für diese jeweils die
praktische Bedeutsamkeit über die Effektstärke d berechnet. Weitestgehend von der
Stichprobengröße n unbeeinflusst (Bortz & Döring, 2006, S. 605f) ist die Effektstärke
nach Cohen, (1969) ein dimensionsloses Maß. Mit der Formel
d=
µ A − µB
σ
(µA: Mittelwert der Gruppe A, µB: Mittelwert der Gruppe B, σ: gemeinsame Streuung)
normiert sie im einfachsten Fall die Unterschiede zwischen den unabhängigen
Experimentalgruppen auf die Streuung der Testwerte. Die gemeinsame Streuung aus
beiden Gruppen berechnet sich nach Bortz & Döring (2006) mit der Formel
σ=
s A2 + s B2
2
(sA: Streuung in Gruppe A, sB: Streuung in Gruppe B).
Allgemein werden Effektstärken von größer 0,50 als „groß“, von 0,50 bis 0,30 als
„moderat“, von 0,30 bis 0,10 als „klein“ und kleiner als 0,10 als „trivial“ interpretiert
(Bortz & Döring, 2006).
Für die Skalen des IGD werden weiterhin bivariate Korrelationen (nach Pearson für
normalverteilte) oder Spearman (für nicht-normalverteilte) mit den demographischen
Variablen Alter, Geschlecht, Bildung und den Genotypen HUM-BDNF (kein Met, Met)
und APOE (kein ε4, ε4) berechnet. Um bei signifikanten Zusammenhängen Kausalitätsaussagen treffen zu können, werden anschließend lineare Regressionsanalysen
durchgeführt.
Angesichts der ungerichteten Hypothesen wird zweiseitig getestet. Das zugrunde
liegende Signifikanz-Niveau beträgt α = ,05.
4.2.1 Der Einfluss demographischer Variablen
Um weitestgehend von phänotypischen Effekten sprechen zu können, werden
zunächst mittels nichtorthogonaler faktorieller Designs diejenigen mnestischen Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen aufgespürt, die auf den Einfluss demographischer Variablen rückführbar sind. Hierfür werden unter Beachtung des Levene-
- 44 -
Tests für die Allelvarianten von BDNF und APOE die kategorialen Variablen
„Geschlecht“ und „Genotyp“ (bei BDNF: gleichzeitiges Vorliegen/Fehlen von ε4, bei
APOE: gleichzeitiges Vorliegen/Fehlen von Methionin) als feste Faktoren, das „Alter“
wie auch die „Ausbildungsdauer“ als Kovariaten in die Analysen aufgenommen. Da es
sich bei den Kovariaten um metrische Variablen handelt, die unweigerlich zu Mehrfachvergleichen führen, werden im Falle signifikanter Unterschiede post hoc Tests nach
Bonferroni durchgeführt. Hierfür wird eine α-Adjustierung nach der Formel α’ = α/k (mit
k = Anzahl der Gruppen) vorgenommen. Um die Erklärungskraft der einzelnen
Faktoren und Kovariaten abschätzen zu können, werden für alle signifikanten Ergebnisse die Effektgrößen eta2 berechnet. Dabei gilt ein Wert von 0,10 als „kleine“, von
0,25 als „mittlere“ und von 0,40 als „große“ Wirkung (Bortz & Döring, 2006, S. 606). Ist
eine Interaktion signifikant, so werden alle F-Tests der Haupteffekte verworfen, da das
Berechnungsmodell für die Haupteffekte dann nicht mehr zutrifft (Janssen & Laatz,
2007).
In Tabelle 5 (S. 45) sind die signifikanten Mittelwertsdifferenzen dargstellt.
Val-Val (BDNF, n = 89): in der Gruppe der Val-Val Träger zeigen sich signifikante
Geschlechtsunterschiede bezüglich der Untertests Paarassoziationslernen und Priming
dahingehend, dass die männlichen Probanden beim intentionalen Lernen visuellverbaler Stimuli und in deren expliziten Reproduktion besser abschneiden als die
weiblichen Teilnehmer (Paarassoziationslernen: Männer (n = 30): MW = 7,00, s = 0.64;
Frauen (n = 59): MW=6,75, s=0,73; eta2 = 0,01). Die weiblichen Probanden hingegen
sind den männlichen im impliziten Abruf zuvor gelernten verbalen Materials überlegen
(Priming: Frauen (n = 59): MW = 3,95, s = 1,94; Männer (n = 30): MW = 3,07, s = 1,66;
eta2 = 0,03). Des Weiteren ergibt sich in den Aufgaben zum visuellen Arbeitsgedächtnis und der Skala visuelles Gedächtnis ein signifikanter Unterschied zwischen
den Val-Val Trägern, die zusätzlich mindestens ein ε4 Allel besitzen, und denen, die
keines aufweisen. In beiden Fällen erbringen die Probanden ohne ε4 Allel bessere
Leistungen, d.h. sie könne visuell-räumliche Informationen besser halten, gleichzeitig
kognitiv manipulieren und frei reproduzieren (visuelles Arbeitsgedächtnis: kein ε4 (n =
78): MW = 16,74, s = 3,34; ε4 (n = 11): MW = 13,73, s = 4,63; eta2 = 0,13; visuelles
Gedächtnis: kein ε4 (n = 78): MW = 52,90, s = 5,16; ε4 (n = 11) MW = 50,09, s = 5,01;
eta2 = 0,08). Die signifikanten Alterseffekte bezüglich der Skalen Gesamtscore,
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und des Unterstests Exekutive Kontrolle halten der
Bonferroni-Korrektur nicht stand (vgl. α’ = ,003).
- 45 -
IGD
Faktor/Kovariate
Levene
Statistik Signifikanz
BDNF
Val-Val Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
visuelles Gedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
Paarassoziationslernen
Priming
Alter
Alter
Vorkommen ε4
Vorkommen ε4
Alter
Geschlecht
Geschlecht
p=,117
F=1,86
p=,261
F=2,30
p=,100
F=4,91
p=,310
F= 7,13
p=,839
F=2,07
p=,000 U=765,00
p=,293
F=4,51
p=,046
p=,012
p=,031
p=,009
p=,025
p=,036
p=,037
Val-Met visuelles Arbeitsgedächtnis
Alter
p=,147
F=2,41
p=,035
Met-Met verzögerte Rekognition
Geschlecht
p=1,00
F=6,62
p=,028
Vorkommen Met
Alter
Vorkommen Met
Alter
Geschlecht*Met
Vorkommen Met
Vorkommen Met
Vorkommen Met
Alter
Geschlecht*Met
Alter
Geschlecht
Vorkommen Met
Bildung
p=,197
p=,197
p=,095
p=,095
p=,141
p=,928
p=,493
p=,824
p=,824
p=,094
p=,293
p=,053
p=,053
p=,053
F=17,44
F=2,25
F=11,38
F=2,76
F=4,74
F=5,27
F=7,20
F=7,58
F=2,42
F=6,98
F=1,91
F=7,40
F=6,73
F=2,63
p=,000
p=,011
p=,001
p=,002
p=,032
p=,024
p=,009
p=,007
p=,006
p=,010
p=,035
p=,008
p=,011
p=,010
Bildung
Bildung
Bildung
p=,534
p=,497
p=,199
F=5,74
F=3,76
F=3,37
p=,005
p=,025
p=,035
APOE
2
kein ε4 Gesamtscore
Kurzzeitgedächtnis
Lernen
verbales Gedächtnis
Zahlenspanne
Exekutive Kontrolle
visuelles Lernen
verz. Reproduktion Text
Priming
3
ε4
1
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
verz. Reproduktion Text
2
3
Met: Val-Met und Met-Met, kein ε4: ε2/ε2, ε2/ε3, ε3/ε3; ε4: ε2/ε4, ε3/ε4, ε4/ε4
Tabelle 5: Darstellung der mit der Kovarianzanalyse bzw. univariaten Varianzanalyse
aufgedeckten signifikanten Unterschiede in den einzelnen Gedächtnisleistungen infolge demographischer Einflüsse unter Berücksichtigung des Levene-Tests (aufgeteilt
nach den Genotypen von BDNF und APOE)
Val-Met (BDNF, n = 39): auch der altersbedingte Unterschied hinsichtlich des visuellen
Arbeitsgedächtnisses in der Val-Met Gruppe muss aufgrund des post hoc Tests verworfen werden (vgl. α’ = ,005).
Met-Met (BDNF, n = 12): unter den Met-Met Trägern erbringen die Frauen in der
Aufgabe zur verzögerten Rekognition der Wortliste bessere Resultate als die männlichen Teilnehmer (verzögerte Rekognition: Frauen (n = 6): MW = 14,67, s = 1,51; Männer (n = 6): MW = 12,33, s = 1,63; eta2 = 0,01), was bedeutet, dass die weiblichen
- 46 -
Probanden im Wiedererkennen zuvor gelernter verbaler Reize aus einer Menge von
Distraktoren besser sind als ihre männlichen Mitstreiter.
kein ε4 (εε2/εε2, ε2/εε3, ε3/εε3; APOE, n = 121): in dieser Gruppe sind zunächst Hinweise
auf epistatische Effekte auffällig und zwar in der Form, dass sich das Vorkommen von
BDNF-Met negativ auf die Leistung in den Aufgaben zur Zahlenspanne, Exekutiven
Kontrolle und Priming wie auch bei den Skalen Gesamtscore, Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und verbales Gedächtnis auswirkt. Dementsprechend sind Probanden, die
weder ein ε4 Allel noch BDNF-Met vorweisen, beim kurzfristigen Behalten von Zahlenreihen zunehmender Komplexität (Zahlenspanne: kein Met (n = 78): MW = 9,13, s =
1,92; Met (n = 43): MW = 8,28, s = 1,82; eta2 = 0,07), beim Halten, kognitiven
Manipulieren und freien Reproduzieren von visuell-verbalen Reizen (Exekutive Kontrolle: kein Met (n = 78): MW = 20,78, s = 5,11; Met (n = 43): MW = 19,14, s = 4,22; eta2 =
0,08) und auch beim Identifizieren von Fragmenten zuvor gelernter Wörter (Priming:
kein Met (n = 78): MW = 3,55, s = 1,91; Met (n = 43): MW = 2,79, s = 1,57; eta2 = 0,07)
den Probanden ohne ε4 Allel aber mit BDNF-Met überlegen. Dieser genotypische Vorteil setzt sich auch in den Skalen Gesamtscore, Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und verbales Gedächtnis fort (Gesamtscore: kein Met (n = 78): MW = 188,70, s = 16,73; Met (n =
43): MW = 179,63, s = 16,23; eta2 = 0,16; Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis: kein Met (n =
78): MW = 56,12, s = 8,67; Met (n = 43): MW = 52,35, s = 7,57; eta2 = 0,11; verbales
Gedächtnis: kein Met (n = 78): MW = 63,03, s = 6,51; Met (n = 43): MW = 60,95, s =
6,78; eta2 = 0,06). Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich in der Aufgabe
zum Priming, in der die Frauen beim impliziten Abruf zuvor gelernten verbalen Materials besser als die Männer abschneiden (Priming: Frauen (n = 83): MW = 3,54, s =
1,90; Männer (n = 38): MW = 2,71, s = 1,51; eta2 = 0,08). Ein mittelgroßer Alterseffekt
(eta2 = 0,30; s. Anhang 4, S. 104) liegt beim Kurz-/Arbeitsgedächtnis vor, wohingegen
die altersbedingten signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Gesamtscores, der Exekutiven Kontrolle und der verzögerten Preproduktion des Textes aufgrund der αAdjustierung verworfen werden (vgl. α’ = ,003). Auch der Bildungseffekt beim Priming
hält der Bonferroni-Korrektur nicht stand (vgl. α’ = ,005). Da beim Untertest visuelles
Lernen (eta2 = 0,07) und der Skala Lernen (eta2 = 0,05) signifikante Interaktionen
zwischen dem Geschlecht und dem Vorkommen von BDNF-Met auftreten, werden die
F-Tests der Haupteffekte verworfen.
- 47 -
ε4 (εε3/εε4, ε4/εε4; APOE, n = 19): bei den ε4-Allel Trägern sind von der
Ausbildungsdauer abhängige Unterschiede bezüglich des verzögerten freien Reproduzierens eines Textes und der Skalen verbales Gedächtnis und verzögerter Abruf
signifikant, wobei aber nur letzterer nach der α-Adjustierung bestehen bleibt (vgl. α’ =
,006; s. Anhang A4, S. 104).
4.2.2 Mnestische Unterschiede zwischen den BDNF-Genotypen
Nach dem in Kapitel 4.2 (s. 42f) erläuterten Vorgehen werden zunächst die Gruppen
„Val-Val vs. Val-Met“, „Val-Met vs. Met-Met“ und „Val-Val vs. Met-Met“ auf signifikante
Unterschiede in ihren Gedächtnisleistungen geprüft.
4.2.2.1 Val-Val vs. Val-Met
Die Gruppen Val-Val und Val-Met unterscheiden sich nicht bezüglich ihres Alters, des
Geschlechts, der Ausbildungsdauer und des Vorkommens eines APOE ε4 Allels, so
dass von einer Homogenität der Gruppen ausgegangen werden kann (s. Tabelle 6, S.
48).
Bezüglich der Gedächtnisleistungen zeigen sich signifikante Mittelwertsdifferenzen in
den Aufgaben zum Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis, zur Zahlenspanne und im Gesamtscore. Demnach sind die Val-Val Träger den Val-Met Trägern eindeutig (1) im kurzfristigen Behalten und Manipulieren von Informationen (t = 1,99, p = ,048), (2) insbesondere im kurzfristigen Behalten und Reproduzieren von Zahlenreihen zunehmender
Komplexität (t = 2,23, p = ,027) und (3) im Gedächtnis als globales Konstrukt
überlegen.
Die praktische Bedeutung bzw. Relevanz der aufgedeckten Unterschiede ist mit
dGesamtscore = 0,59, dKurzzeitgedächtnis = 0,55 und dZahlenspanne = 0,61 als groß zu interpretieren.
- 48 -
N=140
Demographie
Alter [Jahren]
Geschlecht*
Bildung [Jahren]
ε4-Allel
IGD: Skalen
Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
IGD: Subtests
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition: Wortliste
verzögerte Reproduktion: Text
verzögerte Reproduktion: Figuren
Priming
Val-Val
n =89
MW (s)
25,0 (3,7)
16,9 (2,3)
-
Val-Met
n =39
MW (s)
Statistik
23,9 (2,4) U=1508,50 p=,237
2
χ =0,82 p=,365
17,0 (2,0)
t=-,211 p=,833
2
χ =,215 p=,643
-
188,8 (16,2) 182,0 (16,4)
t=2,18 p=,031 d=0,59
56,1 (8,4)
53,0 (7,5)
t=1,99 p=,048 d=0,55
53,9 (3,5)
54,0 (3,5) U=1694,50 p=,829
48,0 (4,9)
47,1 (5,6) U=1533,00 p=,293
62,7 (6,4)
61,5 (7,0)
t=0,94 p=,348
52,6 (5,2)
52,6 (4,5)
t=-,07 p=,946
5,0 (1,4)
9,2 (1,9)
17,4 (2,5)
16,4 (3,6)
20,9 (4,8)
8,4 (1,0)
8,4 (1,2)
6,8 (0,6)
13,9 (2,8)
14,7 (3,1)
9,7 (0,7)
3,7 (1,9)
4,7 (1,3)
8,4 (1,8)
17,5 (2,1)
16,4 (3,7)
19,3 (4,2)
8,3 (1,2)
8,3 (1,0)
7,0 (0,2)
12,9 (4,1)
14,5 (3,1)
9,8 (0,5)
3,0 (1,6)
U=1496,50
t=2,23
t=-0.36
U=1712,50
t=1,81
U=1659,00
U=1576,00
U=1621,50
U=1500,50
t=0,29
U=1678,00
U=1399,00
p=,184
p=,027 d=0,61
p=,716
p=,905
p=,072
p=,680
p=,344
p=,138
p=,218
p=,775
p=,630
p=,076
Tabelle 6: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen Val-Val und Val-Met (mit U, t, χ2 als Testgrößen des
Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben und Pearson’schen ChiQuadrat-Test; d ist die Effektstärke nach Cohen (1969) mit Modifikation der Streuung
nach Bortz & Döring (2006))
4.2.2.2 Val-Val vs. Met-Met
Die Gruppen Val-Val und Met-Met sind homogen bezüglich des Alters, des Geschlechts, der Ausbildungsdauer und des Vorkommens eines APOE ε4 Allels (s. Tabelle 7, S. 49).
- 49 -
N=140
Demographie
Alter [Jahren]
Geschlecht*
Bildung [Jahren]
ε4-Allel
IGD: Skalen
Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
IGD: Subtests
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition: Wortliste
verzögerte Reproduktion: Text
verzögerte Reproduktion: Figuren
Priming
Val-Val
n =89
MW (s)
25,0 (3,7)
16,9 (2,3)
-
Met-Met
n =12
MW (s)
16,4 (2,3)
-
U=442,00
2
χ =1,22
t=0,72
2
χ =,175
p=,331
p=,269
p=,471
p=,676
188,8 (16,2) 177,5 (15,0)
56,1 (8,4)
51,7 (7,5)
53,9 (3,5)
53,4 (3,8)
48,0 (4,9)
46,4 (4,4)
62,7 (6,4)
60,8 (5,3)
52,6 (5,2)
50,0 (5,7)
t=2,30
t=1,72
U=493,00
U=409,50
t=0,94
t=1,58
p=,024 d=1,02
p=,088
p=,661
p=,190
p=,350
p=,118
-
U=420,50
t=0,55
t=1,20
U=434,00
t=1,83
U=502,00
U=406,00
U=528,00
U=443,00
t=0,79
U=485,50
U=330,00
p=,197
p=,585
p=,235
p=,292
p=,071
p=,724
p=,122
p=,899
p=,333
p=,431
p=,434
p=,030 d=1,13
5,0 (1,4)
9,2 (1,9)
17,4 (2,5)
16,4 (3,6)
20,9 (4,8)
8,4 (1,0)
8,4 (1,2)
6,8 (0,6)
13,9 (2,8)
14,7 (3,1)
9,7 (0,7)
3,7 (1,9)
23,8 (2,3)
Statistik
4,7 (1,1)
8,8 (2,0)
16,4 (3,2)
15,3 (3,9)
18,2 (5,1)
8,5 (0,8)
7,8 (1,4)
6,9 (0,3)
13,5 (1,9)
13,9 (3,3)
9,5 (1,2)
2,4 (1,3)
-
Tabelle 7: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen Val-Val und Met-Met (mit U, t, χ2 als Testgrößen des
Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben und Pearson’schen ChiQuadrat-Test; d ist die Effektstärke nach Cohen (1969) mit Modifikation der Streuung
nach Bortz & Döring (2006))
Die Val-Val Träger und die Met-Met Träger differieren signifikant in den Aufgaben zum
Priming (U= 330,00, p = ,030) und bezüglich des Gesamtscores (t = 2,30, p = ,024).
Demzufolge sind die Val-Val Träger im längerfristigen Behalten geprimter Informationen und im Gedächtnis als Globalmaß den Met-Met Trägern deutlich überlegen. Da die
Effektstärken bei dGesamtscore = 1,02 und dPriming = 1,13 liegen, ist von einer hohen
praktischen Relevanz der Ergebnisse auszugehen.
- 50 -
4.2.2.3 Val-Met vs. Met-Met
Es kann von einer Homogenität der Gruppen Val-Met und Met-Met bezüglich des
Alters, Geschlechts, der Ausbildungsdauer und des Vorkommens eines APOE ε4 Allels
ausgegangen werden (s. Tabelle 8).
N=140
Demographie
Alter [Jahren]
Geschlecht*
Bildung [Jahren]
ε4-Allel
IGD: Skalen
Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
IGD: Subtests
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition: Wortliste
verzögerte Reproduktion: Text
verzögerte Reproduktion: Figuren
Priming
Val-Met
n =39
MW (s)
23,9 (2,4)
17,0 (2,0)
-
Met-Met
n =12
MW (s)
16,4 (2,3)
-
t=0,19
χ =2,53
t=0,89
2
χ =,011
p=,849
p=,112
p=,377
p=,915
182,0 (16,4) 177,5 (15,0)
53,0 (7,5)
51,7 (7,5)
54,0 (3,5)
53,4 (3,8)
47,1 (5,6)
46,4 (4,4)
61,5 (7,0)
60,8 (5,3)
52,6 (4,5)
50,0 (5,7)
t=0,85
t=0,51
t=0,49
t=0,36
t=0,23
t=1,66
p=,397
p=,611
p=,624
p=,719
p=,775
p=,104
t=0,19
t=-0,79
t=1,42
t=0,88
t=0,77
t=-0,64
U=196,00
U=220,50
U=219,50
t=0,57
U=205,00
t=1,18
p=,848
p=,434
p=,163
p=,383
p=,447
p=,523
p=,358
p=,373
p=,744
p=,571
p=,308
p=,246
4,7 (1,3)
8,4 (1,8)
17,5 (2,1)
16,4 (3,7)
19,3 (4,2)
8,3 (1,2)
8,3 (1,0)
7,0 (0,2)
12,9 (4,1)
14,5 (3,1)
9,8 (0,5)
3,0 (1,6)
23,8 (2,3)
Statistik
2
4,7 (1,1)
8,8 (2,0)
16,4 (3,2)
15,3 (3,9)
18,2 (5,1)
8,5 (0,8)
7,8 (1,4)
6,9 (0,3)
13,5 (1,9)
13,9 (3,3)
9,5 (1,2)
2,4 (1,3)
Tabelle 8: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen Val-Met und Met-Met (mit U, t, χ2 als Testgrößen des
Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben und Pearson’schen ChiQuadrat-Test)
Die Prüfung auf Unterschiede zwischen den Mittelwerten bzw. den zentralen Tendenzen der Verteilungen der Skalen und Untertests in den Gruppen Val-Met und Met-Met
erbringt keine signifikanten Ergebnisse. Folglich gleichen sich diese beiden Phänotypen des Val66Met-Polymorphismus in ihrem Einfluss auf die mnestischen Leistungen.
- 51 -
4.2.2.4 Val-Val vs. Val-Met/Met-Met
Aufgrund zweier Überlegungen wird eine Subgruppenanalyse zum systematischen
Erfassen des Methionin-Effekts auf die Gedächtnisleistungen durchgeführt: (1) die
Daten zeigen zwar einen Unterschied zwischen Val-Val gegenüber Val-Met bzw. MetMet auf, aber keinen zwischen homo- und heterozygoten Met-Allel Trägern (Val-Met
vs. Met-Met); und (2) die Gruppe der Met-Met Träger fällt mit n = 12 klein aus, was eine
erhöhte Gefahr des Fehlers zweiter Art in sich birgt (vgl. das Risiko des β-Fehlers
steigt mit fallender Stichprobengröße; Janssen & Laatz, 2007, S.344). Es ist daher
empfehlenswert, "(...) die Daten kleinerer Stichproben zu demselben Gegenstand so
lange zu kumulieren, bis die Fallzahl einen hinreichend sicheren Schluss zwischen H0
und H1 zulässt.“ (a.a.O.).
Dies berücksichtigend wird die Stichprobe in Abhängigkeit des Vorhandenseins von
BDNF-Met in die Gruppen “kein Met“ (Val-Val, n = 89) und „Met“ (Val-Met / Met-Met, n
= 51) unterteilt.
Auch diese Gruppen unterscheiden sich nicht signifikant bezüglich ihres Alters, des
Geschlechts, der Ausbildungsdauer und des Vorkommens eines APOE ε4 Allels, so
dass von Homogenität ausgegangen werden kann (s. Tabelle 9, S.52).
Die Subgruppenanalyse deckt signifikante Unterschiede in den Aufgaben zur Zahlenspanne (t = 2,08, p = ,039) zur Exekutiven Kontrolle (t = 2,29, p 0 ,024), zum Priming
(U = 1729,00, p = ,017), bezüglich der Skala Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis (t = 2,41, p =
,017) und des Gesamtscores (t = 2,78, p = ,006) auf. Demnach schneiden die Träger
eines homo- und/oder heterozygoten Met-Allels deutlich schlechter als die Val-ValTräger ab, wenn (1) Zahlenreihen nach kurzfristigem Behalten frei reproduziert werden
sollen, (2) wenn ein Aufmerksamkeitsshift zwischen zwei zu merkenden visuellen
Reizmustern und bei deren Abruf eine Transkodierung in verbale Information erforderlich ist und (3) wenn geprimte verbale Information wieder abgerufen werden soll.
Außerdem liegt ihr (4) Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und (5) Gedächtnis als globales
Konstrukt deutlich unter denen der Val-Val Träger. Die praktische Relevanz ist mit
dGesamtscore = 0,69, dKurzzeitgedächtnis = 0,61, dZahlenspanne = 0,53, dExekutive
dPriming = 0,66 jeweils als groß zu werten.
Kontrolle
= 0,58 und
- 52 -
N=140
Demographie
Alter [Jahren]
Geschlecht*
Bildung [Jahren]
ε4-Allel
IGD: Skalen
Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
IGD: Subtests
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition: Wortliste
verzögerte Reproduktion: Text
verzögerte Reproduktion: Figuren
Priming
kein Met
n =89
MW (s)
25,0 (3,7)
16,9 (2,3)
-
Met
n =51
MW (s)
Statistik
23,9 (2,3) U=1950,50 p=,164
2
χ =0,08 p=,777
16,8 (2,0)
t=0,12 p=,904
2
χ =,306 p=,580
-
188,8 (16,2) 180,9 (16,1)
t=2,78 p=,006 d=0,69
56,1 (8,4)
52,7 (7,4)
t=2,41 p=,017 d=0,61
53,9 (3,5)
53,9 (3,6) U=2269,50 p=1,00
48,0 (4,9)
46,9 (5,3) U=1942,50 p=,156
62,7 (6,4)
61,3 (6,6)
t=1,18 p=,241
52,6 (5,2)
52,0 (4,9)
t=0,62 p=,538
5,0 (1,4)
9,2 (1,9)
17,4 (2,5)
16,4 (3,6)
20,9 (4,8)
8,4 (1,0)
8,4 (1,2)
6,8 (0,6)
13,9 (2,8)
14,7 (3,1)
9,7 (0,7)
3,7 (1,9)
4,7 (1,2)
8,5 (1,8)
17,3 (2,4)
16,2 (3,7)
19,0 (4,4)
8,3 (1,1)
8,2 (1,1)
7,0 (0,2)
13,0 (3,7)
14,4 (3,1)
9,8 (0,7)
2,9 (1,5)
U=1917,00
t=2,08
t=0,22
U=2192,50
t=2,29
U=2225,00
U=1982,00
U=2149,50
U=1943,50
t=0,57
U=2260,50
U=1729,00
p=,104
p=,039 d=0,53
p=,825
p=,737
p=,024 d=0,58
p=,841
p=,158
p=,244
p=,153
p=,571
p=,951
p=,017 d=0,66
Tabelle 9: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen „kein Met“ (Val-Val) und „Met“ (Val-Met/Met-Met) mit U,
t, χ2 als Testgrößen des Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben
und Pearson’schen Chi-Quadrat-Test; d ist die Effektstärke nach Cohen (1969) mit
Modifikation der Streuung nach Bortz & Döring (2006)
4.2.3 Mnestische Unterschiede zwischen den APOE-Genotypen
Wie in Kapitel 4.2.2.4 (S. 51) beschrieben ist es zur Vermeidung eines übermäßig
ansteigenden β-Fehlers ratsam, kleinerer Stichproben zu demselben Gegenstand so
lange zu kumulieren, bis die Fallzahl einen hinreichend sicheren Schluss zwischen H0
und H1 zulässt (Janssen & Laatz, 2007). Eben diese Maßnahme ist auch beim APOEDatensatz vor der Analyse von Mittelwertsdifferenzen und Unterschieden in den
- 53 -
Verteilungen durchzuführen, weil die Besetzung der Allel-Kombinationen mit Ausnahme des Wildtyps (nε3/ε3 = 104) sehr gering ausfällt (vgl. nε2/ε2 = 2, nε2/ε4 = 2, nε4/ε4 = 4,
nε3/ε4 = 13 und nε2/ε3 = 13). Nach der Dichotomisierung in „kein ε4“ (ε2/ε2, ε2/ε3, ε3/3; n
= 121) und „ε4“ (ε2/ε4, ε3/ε4, ε4/ε4; n = 19) werden die in Kapitel 4.2 (S. 42f)
erläuterten statistischen Berechnungen durchgeführt.
Die Gruppen „kein ε4“ und „ε4“ sind als homogen zu betrachten, da keine signifikanten
Unterschiede bezüglich des Alters, des Geschlechts, der Ausbildungsdauer und des
Vorkommens eines BDNF Met-Allels vorliegen (s. Tabelle 10).
N=140
Demographie
Alter [Jahren]
Geschlecht*
Bildung [Jahren]
Met-Allel
IGD: Skalen
Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
IGD: Subtests
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition: Wortliste
verzögerte Reproduktion: Text
verzögerte Reproduktion: Figuren
Priming
kein ε4
n = 121
MW (s)
ε4
n = 19
MW (s)
Statistik
24,3 (3,8)
16,8 (2,0)
-
24,6 (3,3) U=1000,00 p=,360
2
χ =0,85 p=,356
16,9 (2,2)
t=0,17 p=,863
2
χ =,306 p=,580
188,9 (12,6)
55,2 (6,2)
53,7 (3,7)
47,2 (4,2)
61,4 (5,3)
51,4 (4,9)
185,5 (17,1)
t=-0,84 p=,400
54,8 (8,5)
t=-0,23 p=,822
53,9 (3,5) U=1148,50 p=,995
47,7 (5,2) U=1010,00 p=,395
62,3 (6,7)
t=0,58 p=,566
52,5 (5,1)
t=0,91 p=,366
5,3 (1,2)
9,4 (1,7)
17,4 (2,6)
14,7 (4,3)
20,3 (4,1)
8,2 (0,8)
8,5 (0,6)
6,8 (0,9)
13,6 (2,1)
14,0 (3,6)
9,8 (0,5)
3,9 (1,6)
4,8 (1,3)
8,8 (1,9)
17,3 (2,5)
16,5 (3,5)
20,2 (4,9)
8,4 (1,1)
8,3 (1,2)
6,9 (0,4)
13,6 (3,3)
14,7 (3,1)
9,7 (0,7)
3,3 (1,8)
U=909,00
t=-1,24
U=1097,50
U=851,50
t=-0,10
U=985,00
U=1098,50
U=1129,00
U=1051,50
U=1025,50
U=1144,00
U=879,50
p=,119
p=,205
p=,749
p=,068
p=,921
p=,296
p=,725
p=,780
p=,546
p=,448
p=,958
p=,095
Tabelle 10: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den APOE-Gruppen „kein ε4“ (ε2/ε2, ε2/ε3, ε3/3) und „ε4“ (ε2/ε4, ε3/ε4, ε4/ε4;
mit U, t, χ2 als Testgrößen des Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige
Stichproben und Pearson’schen Chi-Quadrat-Test
- 54 -
Die Prüfung auf Unterschiede zwischen den Mittelwerten bzw. den zentralen Tendenzen der Verteilungen der Skalen und Untertests in den Gruppen „kein ε4“ (ε2/ε2, ε2/ε3,
ε3/3) und „ε4“ (ε2/ε4, ε3/ε4, ε4/ε4) erbringt keine signifikanten Ergebnisse. Demzufolge
wirkt sich die Anwesenheit mindestens eines ε4-Allels weder positiv noch negativ auf
die mnestischen Leistungen aus.
4.2.4 Zusammenhänge mit demographischne Variablen und der Einfluss
des Lebensalters
Neben den auf die Polymorphismen der Gene BDNF und APOE zurückführbaren
Unterschieden in den Gedächtnisleistungen interessiert auch, inwieweit die mnestischen Funktionen mit den demographischen Variablen zusammenhängen. Hierfür werden bivariate Korrelationen unter Berücksichtigung des Skalenniveaus und der Normalverteilungsvoraussetzung (vgl. Pearson bei normalverteilten und intervallskalierten
Variablen, sonst Spearman-Rho) berechnet. Außerdem wird in Einklang mit Cleff
(2008) davon ausgegangen, dass die Korrelation nach Pearson auch für die
Kombination einer dichotomen mit einer metrischen Variablen angewendet werden
darf. Dies wird damit begründet, dass eine mit „0“ und „1“ kodierte Variable auch
„metrisiert“ betrachtet werden kann (z.B. bei Geschlecht: „Nimmt die Ausprägung der
Variablen Geschlecht den Wert eins an, desto weiblicher ist die Person. Nimmt die
Ausprägung den Wert null an, umso männlicher ist der Befragte.“, a.a.O., S.125). Es
wird wiederum zweiseitig auf einem Signifikanzniveau von α = 0,05 getestet.
Zwei Anmerkungen sind dem hinzuzufügen: (1) auf eine korrelative Analyse der
einzelnen Untertests wird verzichtet, da sich jene in den jeweiligen Skalen zusammengefasst abbilden; (2) die Tatsache, dass bei Korrelationen prinzipiell keine kausalen
Schlüsse gezogen werden können, wird als gegeben vorausgesetzt und in der weiteren Ergebnisdarstellung nicht mehr explizit erwähnt.
4.2.4.1
Zusammenhänge der Phänotypen von BDNF Val66Met und APOE-εε4
mit den demographischen Variablen
Der Datensatz wird separat für BDNF und APOE betrachtet und analog zu Kapitel
4.2.2.4 (S. 51) und Kapitel 4.2.3 (S. 52) jeweils nach der Anwesenheit der kritischen
Genotypen (BDNF: Val-Val und Val-Met/Met-Met, APOE: kein ε4 und ε4) dichotomisiert. In die korrelativen Analysen gehen die IGD-Skalen, die dichotomisierten Genoty-
- 55 -
pen, das Lebensalter, das Geschlecht und die Anzahl der Ausbildungsjahre ein
(Anhang A5, S. 105). Wie sich gezeigt hat, liegen signifikante Zusammenhänge
ausschließlich zwischen den IGD-Skalen und dem Alter vor. Jene sind in Tabelle 11
abgebildet.
N=140
IGD
BDNF * Alter
Gesamtscore
‡
Kurzzeitgedächtnis
‡
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
Val-Val
r=-,219 p=,039
r=-,247 p=,020
‡
‡
‡
†
r=-,004 p=,969
‡
r=-,189 p=,076
†
r=-,234 p=,027
‡
Val-Met/Met-Met
†
r=-,062 p=,668
r=-,060 p=,578
†
†
APOE * Alter
‡
r=-,001 p=,992
‡
r=-,187 p=,189
‡
r=-,076 p=,594
‡
r=-,076 p=,595
‡
r=,-028 p=,843
‡
kein ε4
r=-,160 p=,079
r=-,180 p=,048
r=-,131 p=,151
r=-,174 p=,057
r=-,212 p=,020
r=-,117 p=,200
†
†
ε4
r=-,002 p=,992
r=-,025 p=,918
†
r=,318 p=,185
†
r=-,031 p=,898
†
r=-,014 p=,956
†
r=,239 p=,325
Tabelle 11: bivariate Korrelationen zwischen den IGD-Skalen und dem Lebensalter
gruppiert nach dem Auftreten der kritischen Genotypen von HUM-BDNF und APOE (†
Korrelation nach Pearson, ‡ Korrelation nach Spearman)
Hinsichtlich des BDNF-Polymorphismus fällt auf, dass in der Gruppe der Va-Val Träger
mit zunehmenden Alter das Kurzeit-/Arbeitsgedächtnis (r = -,274, p = ,020) das verbale
Gedächtnis (r = -,234, p = ,027) wie auch das Gedächtnis als Gesamtkonstrukt
gesehen (r = -,219, p = ,039) signifikant abnimmt. Hingegen liegen in der Gruppe der
Val-Met/Met-Met Träger keinerlei signifikante Zusammenhänge zwischen den Gedächtnisleistungen und dem Lebensalter vor.
Ähnlich verhält es sich in der Betrachtung der dichotomisierten APOE-Genotypen:
während in Abwesenheit des ε4-Allels das Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis (r = -,180, p =
,048) und das verbale Gedächtnis (r = -,212, p = ,020) signifikant negativ mit dem
Lebensalter interkorrelieren, finden sich keine signifikanten Zusammenhänge bei den
ε4-Trägern.
4.2.4.2 Die Abhängigkeit der Phänotypen BDNF Val66Met und APOE-εε4 vom Alter
Wie oben ausgeführt, bestehen signifikant negative Zusammenhänge zwischen einzelnen Skalen des IGD und dem Lebensalter. Auffällig ist, dass jene nur für die Varianten
der Gene HUM-BDNF und APOE auftreten, die in der bisherigen Datenanalyse als
unbeeinträchtigt gegolten haben (vgl. BDNF: Val-Val, APOE: ε2/ε2, ε2/ε3 und ε3/ε3).
Die eigentlich als kritisch geltenden Allel-Konstellationen (BDNF: Val-Met und Met-Met,
- 56 -
APOE: ε4) weisen hingegen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen den IGDSkalen und dem Lebensalter auf.
Mittels einer linearen Regressionsanalyse soll nun der funktionale Zusammenhang und
dessen Stärke zwischen den betreffenden IGD-Skalen (Kriteriumsvariablen) und dem
Lebensalter (Prädiktorvariable) unter Berücksichtigung der interessierenden Genotypen untersucht werden. Trotz fehlender signifikinater Zusammenhänge zwischen den
IGD-Skalen und den Variablen Geschlecht, Bildung und Vorkommen von Methionin
bzw. ε4 wurden diese zum Ausschluss latenter Effekte in der Regressionsanalyse mit
berücksichtigt.
Zunächst wird der Zusammenhang zwischen der Skala Gesamtscore und dem
Lebensalter für die Gruppen Val-Val und Val-Met/Met-Met dargelegt (s. Abbildung 8).
Abbildung 8: Ergebnisse des IGD-Gesamtscores in Abhängigkeit vom Lebensalter
und den Polymorphismen des Gens HUM-BDNF (Val-Val und Val-Met/Met-Met), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
- 57 -
Das Streudiagramm verdeutlicht, dass (1) die Gesamtscores der Val-Val Träger über
denen der Val-Met-/Met-Met Träger liegen, (2) bei den Val-Val Trägern die Gesamtscores in Abhängigkeit vom Alter abnehmen, während die Leistung bei den Val-Met/Met-Met Trägern relativ stabil bleibt, und (3) sich die Gesamtscores der beiden
Subgruppen aller Wahrscheinlichkeit nach jenseits des 35. Lebensjahres annähern.
Die für die Val-Val Gruppe berechnete Regressionsanalyse egibt für den Regressionskoeffizient Alter einen Ordinatenabschnitt von 216,63 (s = 11,38, p = ,000) und eine
Steigung von -1,11 (s= 0,45, p = ,015). Demnach ist bei den homozygoten Val-Trägern
eine Einbuße von etwa einem Punkt pro Lebensjahr auf der Skala Gesamtscore zu
erwarten. Die ANOVA ist mit F = 6,11 und p = ,015 signifikant. Da es sich um eine
einfache Regression handelt, fällt das Bestimmtheitsmaß R2 mit 0,07 klein aus.
Die in die multiple lineare Regression aufgenommenen Prädiktorvariablen Geschlecht
(Beta = ,089, p = ,418), Bildung (Beta = -,014, p = ,895) und Vorkommen von ε4 (Beta
= ,024, p = ,823) haben keinen bedeutsamen Einfluss auf den Gesamtscore der ValVal Träger (vgl. F = ,249, p = ,861, R2 = 0,01).
In der Regressionsanalyse für die Val-Met/Met-Met Träger ist die ANOVA mit F = 0,186
und p = ,668 nicht signifikant. Zwar ist tendenziell eine Abnahme des Gesamtscores
von –0,43 Punkten (s = 0,99) pro Lebensjahr festzustellen, jedoch kann dieses
Ergebnis nicht verallgemeinert werden (p = ,668).
Ein ähnlicher funktionaler Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und der Gedächtnisleistung findet sich bezüglich der Skala Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis. Wiederum
liegen die von den Val-Val Trägern erbrachten Leistungen zunächst über denen der
Val-Met-/Met-Met Gruppe, nehmen mit fortschreitendem Alter ab und nähern sich
denen der Met-Träger an bzw. unterschreiten jene mit dem Beginn des dritten
Lebensjahrzehnts (s. Abbildung 9, S. 58).
- 58 -
Abbildung 9: Ergebnisse der IGD-Skala Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis in Abhängigkeit
vom Lebensalter und den Polymorphismen des Gens HUM-BDNF (Val-Val und ValMet/Met-Met), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Die Regressionsanalyse deckt bei den Val-Val Trägern einen jährlichen Abfall des
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis-Wertes von etwas mehr als einem halben Punkt auf (vgl.
Regressionskoeffizient Alter mit einem Ordinatenabschnitt von 72,06, s = 5,82, p =
,000 und einer Steigung von -0,64, s = 0,23, p = ,007). Die ANOVA ist mit F = 7,70 und
p = ,007 signifikant.
Die Prädiktorvariablen Geschlecht (Beta = ,078, p = ,474), Bildung (Beta = -,047, p =
,666) und Vorkommen von ε4 (Beta = -,009, p = ,931) beeinflussen nicht die von den
Val-Val Trägern erbrachten Leistungen (R2 = 0,10, F = 0,26, p = ,855).
Bei den Val-Met/Met-Met Trägern ist die ANOVA mit F = 0,000 und p = ,992 allerdings
nicht signifikant. Die tendenzielle Abnahme ihres Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses von
-0,01 Punkten (s = 0,46, p = ,992) pro Lebensjahr kann nicht verallgemeinert werden.
- 59 -
Bei der Skala verbales Gedächtnis tritt die mit dem Alter einhergehende Annhäherung
bzw. Unterschreitung der von der Val-Val Gruppe im Vergleich zur Val-Met/Met-Met
Gruppe erbrachten Leistungen etwa zur Mitte des dritten Lebensjahrzehnts auf
(Abbildung 10).
Abbildung 10: Ergebnisse der IGD-Skala verbales Gedächtnis in Abhängigkeit vom
Lebensalter und den Polymorphismen des Gens HUM-BDNF (Val-Val und ValMet/Met-Met), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Mit jedem neuen Lebensjahr verlieren die Val-Val Träger knapp einen halben Punkt auf
der Skala verbales Gedächtnis (vgl. Regressionskoeffizient Alter mit einem Ordinatenabschnitt von 73,77, s = 4,50, p = ,000 und einer Steigung von -0,45, s = 0,18, p =
,014; ANOVA: F = 6,23 und p = ,014; R2 = 0,07).
Diese altersbedingte Abnahme des verbalen Gedächtnisses in der Val-Val Gruppe ist
nicht auf den Einfluss des Geschlechts (Beta = ,069, p = ,519), der Bildung (Beta =
-,142, p = ,187) oder das Vorkommen von ε4 (Beta = -,152, p = ,156) zurückzuführen
(vgl. R2 = ,050, F = 1,47, p = ,230).
- 60 -
Bei den Val-Met-/Met-Met Trägern ist die tendenzielle jährliche Abnahme des verbalen
Gedächtnisses von 0,22 Punkten (s = 0,40, p = ,595) nicht verallgemeinerbar (vgl.
ANOVA: F = 0,29 und p = ,595; R2 = 0,08).
Für die nach dem Vorhandensein eines homo-/heterozygoten ε4-Allels dichotomisierte
Subgruppe ergibt sich beim Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis ein ähnliches Bild (s. Abbildung 11).
Abbildung 11: Ergebnisse der IGD-Skala Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis in Abhängigkeit
vom Lebensalter und den Polymorphismen des Gens APOE (kein ε4 und ε4), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Wie dem Streudiagramm zu entnehmen ist, liegen die Kurzzeit-/ArbeitsgedächtnisWerte der Probanden, die kein ε4 Allel aufweisen, über den Werten der Probanden, die
mindestens eine ε4 Isoform besitzen. Während das Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis zweite-
- 61 -
rer realitv stabil zu bleiben scheint, fallen die Nicht-ε4 Träger in ihren Leistungen ab,
was noch vor dem Erreichen des 30. Lebensjahres zu einer Angleichung der Gruppen
bzw. einem Vorteil der ε4 Träger gegenüber den Nicht-Trägern führt.
Probanden, die kein ε4 Allel aufweisen, verlieren pro Jahr etwa einen halben Punkt auf
der Skala Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis (vgl. Regressionskoeffizient Alter: Steigung von 0,50, s = 0,23, p = ,033; Ordinatenabschnitt von 67,19, s = 5,80, p = ,000; ANOVA: F =
4,67, p = ,033; R2 = 0,04).
Diese altersbedingte Abnahme des Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses bei Probanden, die
keine ε4 Variante aufweisen, ist nicht auf den Einfluss des Geschlechts (Beta = ,067, p
= ,469) oder der Bildung (Beta = -,004, p = ,961) zurückzuführen (mit R2 = ,050, F =
1,47, p = ,230). Allerdings spielt das zusätzliche Vorkommen von BDNF-Met eine
statistisch bedeutsame Rolle (Beta = -,203, p = ,028).
Bei den ε4 Trägern ist die tendenzielle jährliche Abnahme des Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses von 0,04 Punkten (s = 0,40, p = ,918) nicht verallgemeinerbar (vgl.
ANOVA: F = 0,01 und p = ,918; R2 = 0,001).
Auch noch vor dem 30. Lebensjahr tritt die altersbedingte Annhäherung bzw. Unterschreitung der von den Nicht-ε4 Trägern im Vergleich zur ε4-Allel Gruppe erbrachten
Leistungen im verbalen Gedächtnis auf (Abbildung 12, S. 62).
Pro Jahr verlieren die Nicht-ε4 Träger knapp einen halben Punkt auf der Skala verbales Gedächtnis (vgl. Regressionskoeffizient Alter mit einem Ordinatenabschnitt von
73,00, s = 4,54, p = ,000 und einer Steigung von -0,43, s = 0,18, p = ,019; ANOVA: F =
5,62 und p = ,019; R2 = 0,05).
Diese altersbedingte Abnahme des verbalen Gedächtnisses in der Gruppe ohne ε4
Isoform ist nicht auf den Einfluss des Geschlechts (Beta = ,113, p = ,218), der Bildung
(Beta = -,148, p = ,106) oder das Vorkommen von BDNF-Met (Beta = -,147, p = ,108)
zurückzuführen (vgl. R2 = 0,06, F = 2,38, p = ,073).
Bei den ε4 Trägern ist die tendenzielle jährliche Abnahme des verbalen Gedächtnisses
von 0,02 Punkten (s = 0,34, p = ,956) nicht verallgemeinerbar (vgl. ANOVA: F = 0,003,
p = ,956; R2 = 0,000).
- 62 -
Abbildung 12: Ergebnisse der IGD-Skala verbales Gedächtnis in Abhängigkeit vom
Lebensalter und den Polymorphismen des Gens APOE (kein ε4 und ε4), dargestellt in
Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass in der Gruppe der Met-Träger
(BDNF: Val-Met/Met-Met) nur ein Proband das 30. Lebensjahr überschritten hat; im
Vergleich dazu sind 14 Val-Val Träger älter als 30 Jahre. Und auch unter den ε4Trägern finden sich nur zwei im dritten Lebensjahrzehnt im Gegensatz zu 13 bei den
Nicht-ε4 Trägern. Infolgedessen werden die funktionalen Zusammenhänge zwischen
den Gedächtnisleistungen nochmals für die 19- bis 29-jährigen Probanden mit den
interessierenden Genvarianten berechnet (s. Tabelle 12, S. 63).
Weder bei den 19- bis 29-jährigen Val-Val Trägern, noch bei den ebenso alten MetTrägern ist der funktionale Zusammenhang zwischen dem Alter und dem Kurzzeit-/
Arbeitsgedächtnis, dem verbalen Gedächtnis oder dem Gedächtnis als Gesamtkonstrukt signifikant. Auch in der Gruppe der jüngeren Nicht-ε4 Träger gibt es keine
signifikante altersbedingte Verschlechterung des Arbeits-/Kurzzeitgedächtnisses.
- 63 -
Allerdings übt das Alter einen signifikanten Einfluss auf ihr verbales Gedächtnis aus.
Dieser Effekt liegt bei den ε4 Trägern nicht vor.
IGD-Skala
Steigung Signifikanz
F*
Signifikanz*
R
2
BDNF
Val-Val Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
verbales Gedächtnis
-0,88
-0,61
-0,40
p=,254
p=,084
p=,180
1,32
3,07
1,83
p=,254
p=,084
p=,180
Met Gesamtscore
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
verbales Gedächtnis
-1,07
-0,08
-0,53
p=,332
p=,871
p=,240
0,96
0,03
1,42
p=,332 0,02
p=,871 0,001
p=,240 0,03
APOE
kein ε4 Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
verbales Gedächtnis
-0,56
-0,61
p=,087
p=,024
2,30
5,25
p=,087
p=,024
0,03
0,05
ε4 Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
verbales Gedächtnis
0,84
0,99
p=,272
p=,149
1,30
2,31
p=,272
p=,149
0,08
0,13
0,02
0,04
0,03
* ANOVA
Tabelle 12: Ergebnisse der linearen Regression mit den IGD-Skalen als Kriteriumsvariablen und dem Lebensalter als Prädiktorvariable unter Berücksichtigung der Genotypen von HUM-BDNF und APOE
Die altersbedingte Abnahme des verbalen Gedächtnisses in der Gruppe ohne ε4 Allel
ist nicht auf den Einfluss des Geschlechts (Beta = ,152, p = ,115) oder der Bildung
(Beta = -,562, p = ,072) zurückzuführen (R2 = 0,12, F = 4,05, p = ,009). Allerdings spielt
das gleichzeitge Vorkommen von BDNF-Met eine bedeutsame Rolle, welches eine
jährliche Einbuße von 2,8 Punkten bewirkt (s = 1,28, p = ,030; F = 4,82, p = ,030).
Gemeinsam mit dem Lebensalter erklärt das Vorkommen von BDNF-Met 10 Prozent
der durch die lineare Regression aufgeklärten Varianz (R2 = 0,10).
Unter Berücksichtigung der vorausgegangenen Regressionsanalysen, die unter Einschluss der über 30-jährigen Probanden einen signifikanten Alterseffekt aufgedeckt
haben, kann gemutmaßt werden, dass es erst ab dem dritten Lebensjahrzehnt zu einer
Wecheslwirkung zwischen dem Altern und den genetischen Varianten Val-Val (BDNF)
und ε4 (APOE) kommt. Unterstützt wird diese Annahme durch die zumeist negativen
Steigungen der Regressionsgeraden bei den jüngeren Studienteilnehmern (s. Tabelle
12).
- 64 -
4.2.5 Zusammenfassung der analytischen Statistik
Demographische Einflüsse: mittels nichtorthogonaler faktorieller Designs konnte
gezeigt werden, dass die innerhalb der interessierenden Genvarianten von HUM-BDNF
und APOE gemessenen Gedächtnisleistungen teilweise von demographischen Einflüssen mitbestimmt werden. So gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gruppe der homozygoten Valin-Träger hinsichtlich des Primings (Frauen besser als Männer) und des Paarassoziationslernens (Männer besser als Frauen) wie auch eine Genwechselwirkung mit dem ε4 Allel beim visuellen Arbeitsgedächtnis und dem visuellen
Gedächtnis (beide Male erweist sich das Vorkommen mindestens eines ε4 Allels als
nachteilig). In der Met-Met Gruppe wirkt sich das weibliche Geschlecht förderlich auf
die verzögerte Rekognition einer zuvor gelernten Wortliste aus. Hingegen bleiben die
von den Val-Met Trägern erbrachten Gedächtnisleistungen unbeeinflusst von den
untersuchten demographischen Variablen.
In der faktoriellen Analyse der APOE-Varianten finden sich epistatische Hinweise bei
der Zahlenspanne, Exekutiven Kontrolle, beim Priming, Gesamtscore, Kurzzeit-/
Arbeitsgedächtnis und verbalen Gedächtnis dahingehend, dass die Nicht-ε4 AllelTräger mit mindestens einer BDNF-Met-Isoform schlechter abschneiden als Nicht-ε4
Allel Träger mit der BDNF-Variante Val-Val. Außerdem sind bei den Nicht-ε4 AllelTrägern die Frauen den Männern im Priming überlegen, und das Alter hat einen
signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse im Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis. Die ε4 Träger
ihrerseits zeigen bildungsabhängige Leistungen im verzögerten Abruf verbaler und
nonverbaler Stimuli.
Die Erklärungskraft (eta2) der einzelnen Faktoren und Kovariaten ist zumeist (sehr)
klein, was die Aufdeckung phänotypisch bedingter Unterschiede in den Mittelwertsvergleichen wahrscheinlicher macht.
Unterschiede zwischen den Genvarianten von BDNF und APOE: die homozygoten
Valin-Träger erbringen bessere Ergebnisse als die Val-Met Träger im Gesamtscore,
beim Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und in der Zahlenspanne. Auch sind sie den Met-Met
Trägern im Priming und Gesamtscore überlegen. Keine signifikanten Unterschiede
deckt der Vergleich von Val-Met mit Met-Met auf, weshalb der Datensatz in die
Subgruppen „kein Met“ und „Met“ dichotomisert und nochmals auf Unterschiede
geprüft wurde. Signifikante Differenzen ergeben sich bezüglich des Gesamtscores, des
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses, der Zahlenspanne, der Exekutiven Kontrolle und des
- 65 -
Primings. Wiederum erweist sich die Anwesenheit von BDNF-Met als nachteilig. Dass
die aufgedeckten signifikanten Differenzen auch von praktischer Bedeutsamkeit sind,
zeigen die durchgehend als „groß“ zu interpretierenden Effektstärken.
Der Vergleich von Nicht-ε4 Allel-Trägern mit ε4 Trägern erbringt keinerlei signifikante
Unterschiede. Demzufolge wirkt sich die Anwesenheit mindestens eines APOE ε4
Allels weder positiv noch negativ auf die mnestischen Leistungen aus.
Zusammenhänge und Prognosen: wie gezeigt werden konnte existieren signifikante
Unterschiede innerhalb der untersuchten Genvarianten von BDNF und APOE, die
durch demographische Einflüsse verursacht sind, und es gibt auch Unterschiede
zwischen den BDNF- bzw. APOE-Genotypen, die eine genetische Disposition oder
auch Vulnerabilität in Bezug auf die gemessenen mnestischen Leistungen widerspiegeln. Interessant erschienen deshalb die Zusammenhänge zwischen den phänotypischen Gedächtnisleistungen und den demographischen Variablen, die als Grundlage
für prognostische Aussagen herangezogen werden können.
Zunächst fällt auf, dass unter den demographischen Variablen allein das Alter und nur
mit einzelnen Gedächtnisaspekten der Val-Val Träger und Nicht-ε4-Allel Träger
interkorreliert. Die weiterführenden Analysen verdeutlichen, dass das Gedächtnis als
Gesamtkonstrukt (Gesamtscore), das Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und das verbale
Gedächtnis bei den homozygoten Val-Trägern und das Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
mitsamt den verbalen Gedächtnis bei den Nicht-ε4 Allel-Trägern mit dem
zunehmenden Lebensalter kontinuierlich abnimmt. Hingegen bleiben die genannten
mnestischen Leistungen in den korrespondierenden Gruppen der Met- bzw. ε4-Träger
relativ konstant. Die naheliegende Folgerung daraus ist, dass die als „erfolgreich“
geltenden Träger der BDNF-Variante „Val-Val“ und der APOE-Isoformen „ε2/ε2, ε2/ε3,
ε3/ε3“ sich mit den Jahren den „benachteiligten“ Met- und ε4-Trägern annähern und
diesen wahrscheinlich sogar im Laufe des Lebens unterlegen sind.
Wie weiterführende Analysen gezeigt haben, scheint dieser funktionale Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und den Varianten „Val-Val“ bzw. „kein ε4“ ab dem
dritten Lebensjahrzehnt aufzutreten. Eine Ausnahme stellt die altersbedingte Verschlechterung des verbalen Gedächtnisses bei den Nicht-ε4 Trägern dar, welche
bereits zwischen dem 19. und 29. Lebensjahr beginnt und mit dem gleichzeitigen
Vorkommen von BDNF-Met zusammenhängt.
- 66 -
5
Diskussion
5.1
BDNF und Gedächtnis
5.1.1 Normativer Vergleich: Val-Val liegt vorne
Im normativen Vergleich erbringen die Probanden unabhängig von ihrem BDNFPhänotyp die besten Ergebnisse auf der Skala verzögerter Abruf, welche sich aus der
verzögerten Rekognition einer Wortliste, der verzögerten Reproduktion eines Textes
und des verzögerten Abrufes von Figuren zusammensetzt. Die vergleichsweise
schlechtesten Ergebnisse liegen hinsichtlich des Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses vor,
zu dem die Zahlenspanne, das visuelle/verbale Arbeitsgedächtnis und die Exekutive
Kontrolle zählen. Dabei scheint sich die Anwesenheit von Methionin negativ auf das
Leistungsniveau auszuwirken (vgl. Kapitel 4.1.1, S. 37ff).
Wenn auch eine Rangfolge in dem Sinne zu bestehen scheint, dass Probanden mit
homozygoten Valin (n = 89; 30 Männer, 59 Frauen) mehr regelrechte bis überdurchschnittliche Testergebnisse erzielen als die Val-Met Träger (n = 39; 10 Männer, 29
Frauen), und diese wiederum mehr als die Teilnehmer mit homozygotem Methionin (n
= 12; 6 Männer, 6 Frauen), zeichnet sich die gesamte Studienpopulation durch die
Fähigkeit aus, Gelerntes nach zeitlicher Verzögerung wieder abzurufen. Das Kurzzeit-/
Arbeitsgedächtnis hingegen ist relativ gesehen als schwächste Leistung zu werten.
Eventuell liegt bei Letzterem ein Artefakt durch den nachmittäglichen Messzeitpunkt
(16:00-17:00 Uhr) vor. Da die Testungen aber immer zur selben Zeit durchgeführt
worden sind, handelt es sich bei dem möglichen infradianen Leistungstief gewissermaßen um eine kontrollierte Störvariable.
5.1.2 Demographische Einflüsse: epistatische Hinweise in der Val-Val
Gruppe
Varianzanalytisch wurde untersucht, inwieweit mögliche mnestische Unterschiede
zwischen den Genvarianten des BDNF durch demographische Variablen wie das Alter,
die Ausbildungsdauer, das Geschlecht oder das Vorliegen bzw. Fehlen eines APOE ε4
Allels beeinflusst werden (s. Kapitel 4.2.4.1, S. 54f).
Geschlechtsspezifische Effekte treten innerhalb der Val-Val Gruppe (Frauen sind im
Priming besser als Männer, Männer sind den Frauen im Paarassoziationslernen
überlegen) und bei den Met-Met Trägern (das weibliche Gechlecht wirkt sich förderlich
auf die verzögerte Rekognition einer zuvor gelernten Wortliste aus) auf. Dass
- 67 -
Aufgaben zum verbalen Gedächtnis den stärksten Unterschied zugunsten des
weiblichen Geschlechts ausmachen, ist in der Literatur hinlänglich bekannt (Bleeker et
al., 1988, Kramer et al., 1988, Herlitz et al., 1997, Chipman & Kimura, 1998). Was
bislang aber nicht berichtet wurde, ist eine bei den Val-Val Trägern auftretende
Genwechselwirkung mit dem ε4 Allel in den Aufgaben zum visuellen Arbeitsgedächtnis
und dem visuellen Gedächtnis. Beide Male erweist sich das Vorkommen mindestens
eines ε4 Allels als nachteilig und verursacht so Leistungsunterschiede innerhalb der
Val-Val Gruppe. Studien haben ergeben, dass das Arbeitsgedächtnis valide in der
Messung leistungsbezogener Unterschiede zwischen ε4 und ε3 Trägern ist (Scarmeas
et al., 2005, Wilson et al., 2002, Wisdom et al., 2009). Warum sich die E4 Isoform
allerdings materialspezifisch auswirkt, bedarf weiterer Untersuchungen.
Es wurde kein durch das Alter oder die Ausbildungsdauer verursachter signifikanter
Einfluss auf die Mnestik festgestellt. Gänzlich von den untersuchten demographischen
Variablen unbeeinflusst sind die von den Val-Met Trägern erbrachten Gedächtnisleistungen.
Anzumerken ist, dass die Erklärungskraft der einzelnen Faktoren und Kovariaten
zumeist (sehr) klein ist, so dass bei den nachfolgenden Leistungsdifferenzen zwischen
den BDNF-Varianten eher von phänotypischen Unterschieden ausgegangen werden
kann.
5.1.3 BDNF-Met Träger sind in mnestischer Hinsicht benachteiligt
Im direkten Leistungsvergleich erbringen die homozygoten Valin-Träger signifikant
bessere Ergebnisse als die Val-Met Träger bzgl. des Gesamtscores, des Kurzzeit-/
Arbeitsgedächtnisses und der Zahlenspanne. Auch sind die Val-Val Träger den homozygoten Met-Trägern im Priming und Gesamtscore überlegen. Keine signifikanten
Unterschiede deckt der Vergleich von Val-Met mit Met-Met auf, weshalb der Datensatz
in die Gruppen „kein Met“ (Val-Val) und „Met“ (Val-Met/Met-Met) dichotomisert und
nochmals auf Unterschiede geprüft wurde. Im erneuten Vergleich ergeben sich
signifikante Differenzen bezüglich des Gesamtscores, des Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses, der Zahlenspanne, der Exekutiven Kontrolle und des Primings. Wiederum
erweist sich die Anwesenheit von Methionin als nachteilig. Dass die aufgedeckten
signifikanten Differenzen auch von praktischer Bedeutsamkeit sind, zeigen die
durchgehend als „groß“ zu interpretierenden Effektstärken (s. Kapitel 4.2.2, S. 47ff).
- 68 -
In der Literatur finden sich zahlreiche Hinweise auf die relative Unterlegenheit der
Methionin-Träger im Vergleich zur Val-Val Gruppe. Meist wird der Unterschied unter
Verwendung „klassischer“ hippocampus-assoziierter Aufgaben zum episodischen oder
verbalen Gedächtnis offensichtlich (vgl. Egan et al., 2003, Hariri et al., 2003, Laske &
Eschweiler, 2006, Dempster et al., 2005, Goldberg et al., 2008, Ho et al., 2006,
Miyajima et al., 2008, van Wingen et al., 2010). Selten werden diesbezüglich Negativbefunde berichtet (kein Val66Met-Effekt beim episodischen Gedächtnis: Karnik et al.,
2010; oder beim logischen Gedächtnis: Harris et al., 2006). Auch das deklarative
Gedächtnis scheint durch den Methionin-Effekt vermindert (Dempster et al., 2005,
Echeverria et al., 2005, Hariri et al., 2003). Kontroverse Befunde gibt es in Untersuchungen zum Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis: während Gong et al. (2009),
Echeverria et al. (2005) und Li et al. (2010) schlechtere Leistungen bei den MethioninTrägern im Vergleich zur homozygoten Val-Gruppe gemessen haben, finden Hansell et
al. (2007) und Egan et al. (2003) keine signifikanten Unterschiede. Bildgebende
Studien haben jedenfalls gezeigt, dass bei heterozygoten Met-Allel Trägern neben den
morphologischen Veränderungen des Hippocampus auch das Volumen im dorsolateralen präfrontalen Cortex, dem neuronalen Korrelat des Arbeitsgedächtnisses, vermindert ist (Pezawas et al., 2004). Und Untersuchungen mit funktioneller Magnetresonanztomographie haben aufgedeckt, dass die Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Cortex
typischerweise mit einer verminderten Aktivität des Hippocampus einhergeht (Bath &
Lee, 2006), und dass bei Met-Trägern diese hippocampale Aktivitäts-Unterdrückung in
vergleichsweise geringerem Maße als bei Trägern der homozygoten Valin-Variante
stattfindet (Chen et al., 2008, Egan et al., 2003).
Keine Befunde wurden bislang zum Einfluss von BDNF Val66Met auf die
Primingleistung publiziert, was wohl daran liegt, dass diese Gedächtnisfunktion des
erleichterten Erkennens von selbst fragmentiert dargestellten Objekten, denen man
zuvor unbewusst begegnet ist, nicht standardmäßig mit den geläufigen Gedächtnistests erhoben wird. In der vorliegenden Arbeit konnte jedoch gezeigt werden, dass sich
BDNF-Met auch auf das implizite Lernen negativ auswirkt.
Neben der generellen Problematik in der Vergleichbarkeit von Studien untereinander
(vgl. insbesondere unterschiedliches Alter der Probanden, Stichprobengröße, Kontrolle
von (latenten) psychiatrischen/neurologischen/systemischen Erkrankungen, differierender Bildungsgrad, eingetzte Testinstrumente mit unterschiedlichen Gütekriterien) ist bei
- 69 -
neuropsychlogischen Fragestellungen auch die unterschiedlich verwendete Terminologie von Nachteil. So wird oftmals von einem „deklarativen“ Gedächtnis gesprochen,
ohne dass zwischen semantischen oder episodischen Inhalten unterschieden wird.
Ähnlich verhält es sich in Bezug auf das Kurzzeit- und Arbeitsgedächntis.
Was in der Zusammenschau die vorliegende Studie gegenüber den bereits veröffentlichten auszeichnet, sind neben der differenzierten Erfassung und Nomenklatur der
Gedächtnisfunktionen (1) der Nachweis eines negativen Effekts von BDNF-Met auf das
Kurzzeitgedächtnis (zu dem die Zahlenspanne zählt) und das Arbeitsgedächtnis (unter
dem die Exekutive Kontrolle subsumiert ist) und (2) die im Vergleich zur homozygoten
Valin-Gruppe erbrachten schlechteren Leistungen von Met-Trägern beim impliziten
Lernen, das sich im Priming abbildet. Der Gesamtscore, der die Summation aller IGDSkalen darstellt und als globales Gedächtnismaß gilt, wird als allgemeiner Beleg für die
Überlegenheit der homozygoten Valin-Variante gesehen.
5.1.4 Mit dem Alter gleichen sich die Gruppen „kein Met“ und „Met“ an
Zum Messzeitpunkt der vorliegenden Studie liegen signifikante Unterschiede zwischen
den homozygoten Valin-Trägern und der Gruppe mit Methionin bezüglich des Gesamtscores, des Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisses und des impliziten Lernens (Priming)
vor. Wie verhält es sich aber mit diesem phänotypischen Effekt, wenn die Probanden
weiterhin gesund bleiben aber altern?
Um diese Frage beantworten zu können, wurden regressionsanalytische Modelle
berechnet (s. Kapitel 4.2.4.2, S. 55ff). Es zeigte sich, dass bei den homozygoten ValTrägern das Gedächtnis als Gesamtkonstrukt (Gesamtscore), das Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und das verbale Gedächtnis mit dem zunehmenden Lebensalter kontinuierlich abnimmt. Im Tiermodell konnten altersabhängige Veränderungen in der BDNFSekretion und auf TrkB-Rezeptorebene nachgewiesen werden (Croll et al., 1998,
Karege et al., 2002), was sich letztendlich negativ auf die Langzeitpotenzierung und
damit auf das Gedächtnis auswirkt (Lu & Gottschalk, 2000, Woo et al., 2005). Dass
nun gerade die Einbußen im Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis auftreten, ist nicht
verwunderlich, da die frühsten und schwerwiegendsten altersbedingten Veränderungen
im Gehirn im präfrontalen Cortex stattfinden. Eine Abnahme der Kapazität des
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses, die man klassischerweise mit der Zahlenspanne messen kann, ist somit das hervorstechendste Kennzeichen des normalen Alterungspro-
- 70 -
zesses (Wright, 1981, Light & Anderson, 1985, Craik & McDowd, 1987, Kirasic et al.,
1996, Park et al., 1996). Was allerdings herauszustellen ist, ist die Beobachtung, dass
die genannten mnestischen Leistungen bei den Met-Trägern relativ stabil bleiben. Die
naheliegende Annahme ist, dass die als „erfolgreich“ geltenden Träger der BDNFVariante „Val-Val“ sich mit den Jahren den „benachteiligten“ Met-Trägern annähern
und diesen gegebenenfalls sogar im Laufe des Lebens unterlegen sind.
Die weiterführenden Analysen haben gezeigt, dass dieser funktionale Zusammenhang
zwischen dem Alter und der Variante „Val-Val“ erst ab dem dritten Lebensjahrzehnt
aufzutreten scheint. Ob jene altersabhängigen Veränderungen tatsächlich zukünftig zu
signifikanten Leistungsunterschieden führen werden, kann mit dem vorliegenden
Datensatz aufgrund der geringen Zahl an über-30-jährigen Probanden nicht geklärt
werden. In der Literatur finden sich jedoch Hinweise für die Richtigkeit dieser Hypothese. So haben Harris et al. (2006) vermutet, dass BDNF-Val zwar mit besseren kognitiven Leistungen in jungen Jahren zusammenzuhängt, es aber mit dem fortschreitenden
Alter zu kognitiver Beeinträchtigung prädisponiert. Und Egan et al. (2003) liefern die
mögliche Erklärung, dass Probanden mit dem Val-Allel zwar zunächst bessere
Gedächtnisleistungen zeigen, weil das Valin mit einer erhöhten aktivitätsabhängigen
synaptischen BDNF-Ausschüttung einhergeht und ihre Synapsen quasi „plastischer“
sind (Laske & Eschweiler, 2006). Diese Synapsenkontakte seien aber auch instabiler,
und es wäre eine zeitlich adaptierte Metaplastizität erforderlich, um die aktivitätsabhängige Verstärkung der synaptischen Übertragung nicht letztlich in einen gesättigten
Zustand mit Informationsverlusten im neuronalen Netz oder gar einem „Status
konvulsivus“ enden zu lassen (vgl. auch Bear, 2003, Garcia, 2002).
5.2
APOE und Gedächtnis
5.2.1 Normativer Vergleich: APOE-E2 liegt vorne
In der deskriptiven Statistik wurden zunächst die von den 140 Probanden (46 Männer,
94 Frauen) erbrachten Leistungen im normativen Vergleich dargestellt. Es zeigte sich,
dass unter den APOE-Varianten die ε2 Träger die besten und die ε4 Träger die relativ
gesehen schlechtesten Ergebnisse in der Gedächtnistestung erzielt haben (s. Kapitel
4.1.2, S. 39ff).
Die „Überlegenheit“ der ε2 Träger findet sich auch in der Literatur wieder. So haben
beispielsweise Helkala et al. (1996) bei Gesunden gemessen, dass die ε2 Träger im
- 71 -
Lernen besser als die ε3 und ε4 Trägern abschneiden. Auch verschlechtern sich die
ε2/ε2 und ε2/ε3 im Gegensatz zu den anderen Varianten nicht im Drei-Jahres-Verlauf
(ebd.), bzw. weisen sie vergleichsweise geringere Einbußen bezüglich des
epsiodischen Gedächtnisses auf (Wilson et al., 2002). Weitere „Vorteile“ des E2
Phänotyps zeigen sich in einer anzunehmenden protektiven Rolle hinsichtlich der
Alzheimer Demenz, indem er das Erkrankungsrisiko mindert und das klinische
Manifestationsalter erhöht (Farrer et al., 1997, Rubinzstein & Easton, 1999) und seiner
wahrscheinlichen Verbindung zur Langlebigkeit (vgl. unter den Hundertjährigen ist das
Vorkommen von ε2 höher als bei Jüngeren; Kervinen et al., 1994).
Da die Fallzahlen in den einzelnen APOE-Gruppen der vorliegenden Studie klein sind,
wurde für die weiteren Analysen eine in der Literatur übliche Dichotomisierung des
Datensatzes in „kein ε4“ (n = 121) und „ε4“ (n = 19) vorgenommen.
5.2.2 Demographische Einflüsse: BDNF-Met mindert den Erfolg von
APOE-E2
In der faktoriellen Analyse der APOE-Varianten finden sich epistatische Hinweise in
den Aufgaben zur Zahlenspanne, Exekutiven Kontrolle, zum Priming, Gesamtscore,
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und zum verbalen Gedächtnis dahingehend, dass die
Nicht-ε4-Allel Träger mit mindestens einer BDNF-Met-Isoform schlechter abschneiden
als Nicht-ε4-Allel Träger mit der BDNF-Variante Val-Val. Dies bedeutet, dass das
zusätzliche Vorkommen von Methionin nur bei den Nicht-ε4-Allel Trägern das
intentionale Lernen verbaler Informationen mit expliziten und impliziten Abruf nach
einer kurzen, mittel- und längerfristigen Ablenkungsphase mindert. Auch wenn diese
Effekte als klein zu interpretieren sind (s. Kapitel 4.2.1, S. 43ff), sind sie
hervorzuheben, da in den bisherigen Studien keine APOE-BDNF-Interaktionen in den
erbrachten
Gedächtnisleistungen
beschrieben
wurden.
Abgesehen
von
den
epistatischen Hinweisen liegen bei den Nicht-ε4-Allel Trägern auch geschlechtsspezifische Einflüsse im Priming (Frauen sind besser als Männer) und ein signifikanter
Einfluss des Alters auf das Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis vor. Die ε4 Träger zeigen
bildungsabhängige Leistungen im verzögerten Abruf verbaler und nonverbaler Stimuli.
- 72 -
5.2.3 APOE-Varianten verursachen keinen signifikanten Unterschied in
den mnestischen Leistungen
Werden die Gedächtnisleistungen der Gruppe „kein ε4“ mit denen der Gruppe „ε4“
verglichen, sind keinerlei statistisch signifikante Unterschiede feststellbar (s. Kapitel
4.2.3, S. 52ff). Folglich wirkt sich die Anwesenheit mindestens eines ε4 Allels weder
positiv noch negativ auf die mnestischen Leistungen junger gesunder Probanden aus.
Dies erscheint zunächst erstaunlich, da das APOE ε4 Allel wiederholt als prädisponierend für eine Demenz bei Alzheimer Krankheit mit dem Kardinalsymptom Gedächtnisstörung gegolten hat (Corder et al., 1993, Rebeck et al., 1994, Kuusisto et al., 1994,
Smith et al., 1998), und in zahlreichen Studien gezeigt worden ist, dass APOE E4 mit
einem stärkeren kognitiven Abbau im Alter einhergeht (Helkala et al., 1995, Fillenbaum
et al., 2001, Wilson et al., 2002, Den Heijer et al., 2002, Hofer et al., 2002, Wisdom et
al., 2009).
Wenn also das APOE E4 nicht zu subtilen kognitiven Defiziten bereits in jüngeren
Jahren führt, kann bei den in der Literatur beschriebenen spezifischen Unterschieden
in der Gehirnfunktion auch nicht von einer Prädisposition für die Alzheimer Krankheit
gesprochen werden. Denkbar ist vielmehr eine infolge verminderter Reparaturmechanismen einhergehende Vulnerabilität bei auftretenden Risikofaktoren wie etwa cerebralen Insulten oder kardiovaskulären Erkrankungen (Alexander et al., 2007). Diesen
Ansatz bekräftigend sind Studien mit nicht-dementen Älteren anzuführen, die trotz ε4
Allel keine bedeutsam schlechteren Gedächtnisleistungen als die Nicht-Träger
aufweisen (Smith et al., 1998, Small et al., 2000, Cohen et al., 2001, Klages & Fisk,
2002, Winnock et al., 2002, Marquis et al., 2002, Kim et al., 2002, Pendleton et al.,
2002), und auch Arbeiten, in denen die E4 Isoform zwar einen signifikant nachteiligen
Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit von Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen ausübt, aber nicht auf die von Gesunden (Small et al., 1998, Collie & Maruff,
2002). Außerdem haben einige Autoren die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass in
Studien, die APOE-assoziierte kognitive Einbußen in der gesunden älteren Bevölkerung aufdecken, möglicherweise ε4 Träger im Prodromalstadium einer AD für die
relevanten Genotyp-Phänotyp Korrelationen verantwortlich sind (Pendleton et al.,
2002, Kim et al., 2002, Hofer et al., 2002, Savitz et al., 2006).
Wenige Arbeiten haben bislang den Einfluss der APOE Allele auf die Kognition im
Kindes- und Jugendalter untersucht. Während in einigen Studien keine Effekte nachgewiesen wurden (Deary et al., 2002, Turic et al., 2001, Reiman et al., 2004, Scarmeas et
al., 2005, Savitz et al., 2006), haben andere sogar eine bessere kognitive Leistungs-
- 73 -
fähigkeit bei den ε4 Trägern aufgedeckt (Yu et al., 2000, Puttonen et al., 2003,
Hubacek et al., 2001, Wright et al., 2003, Oria et al., 2005, Mondadori et al., 2007).
Eine abschließende Einordnung des Negativbefundes aus der vorliegenden Arbeit ist
schwierig, da sich die in der Literatur verfügbaren Studien - wie in Kapitel 4.1.3 (S. 68)
bereits angedeutet - bezüglich des Alters, Bildungsniveaus und der Ethnizität der
Probanden, der eingesetzten Testverfahren (einschließlich deren divergierender Sensitivitäten), der Stichprobengröße und des Studiendesigns (Längs-/Querschnittsuntersuchungen) teilweise stark unterscheiden. Am ehesten ist das Fehlen eines APOEEffekts auf die mnestischen Leistungen in Einklang mit Jorm und Kollegen (2007) zu
sehen, die in einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe 6560 nach dem Alter
stratifizierte (20-24, 40-44, 60-64 Jahre) Europide ausführlich neuropsychologisch
getestet
haben
(vgl.
episodisches
Gedächtnis,
Arbeitsgedächtnis,
kognitive
Geschwindigkeit, Reaktionszeit, Lesewortschatz). Als Ergebnis wurde festgehalten,
dass die gemessenen kognitiven Fähigkeiten mit Ausnahme des Lesewortschatzes
zwar einem altersbedingten Abbau unterliegen, jedoch in keiner Altersgruppe ein APO
ε4 Effekt zu beobachten war. Folglich scheint APO E4 nicht präklinisch die Kognition
und damit das Gedächtnis zu beeinflussen, sondern vielmehr als ein Beispiel für eine
antagonistische Pleiotropie (Wright et al. 2003) zu fungieren mit einem Nettonutzen
während des Kindes- und Erwachsenenalters (vgl. neuroprotektive Rolle des APOE
z.B. bei Ohkubo et al., 2001, Zetterberg et al., 2002, Oria et al.,2005) und einer
Krankheitsassoziation im höheren Alter.
5.2.4 Mit dem Alter gleichen sich die Gruppen „kein ε4“ und „ε4“ an
Auch wenn die mnestischen Leistungen in den APOE-Gruppen „kein ε4“ und „ε4“ nicht
signifikant differieren, so liegen erstere in der Betrachtung der erzielten Testwerte
marginal vor den zweiten. Dieser kleine Unterschied scheint aber bezüglich einiger
Gedächtnisfunktionen mit dem Alter zu schwinden. Denn wie sich gezeigt hat, nimmt
das Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis und das verbale Gedächtnis bei den Nicht-ε4 AllelTrägern mit den Jahren kontinuierlich ab (s. Kapitel 4.2.4.2, S. 55ff).
Dass die Einbußen gerade im Kurzzeit-Arbeitsgedächtnis nicht verwunderlich sind,
wurde bereits in Kapitel 5.1.4 (S. 69f) erläutert. Was allerdings erstaunt ist die Tatsache, dass die genannten mnestischen Leistungen in den korrespondierenden
Gruppen der ε4-Träger relativ konstant bleiben. Daraus kann gefolgert werden, dass
- 74 -
sich die „überlegenen“ Träger der APOE-Isoformen „ε2/ε2, ε2/ε3, ε3/ε3“ mit den Jahren
den „benachteiligten“ ε4-Trägern annähern und diesen wahrscheinlich sogar im Laufe
des Lebens mnestisch unterlegen sind. Wie weiterführende Analysen aufgedeckt
haben, scheint dieser funktionale Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und „kein
ε4“ ab dem dritten Lebensjahrzehnt aufzutreten. Eine Ausnahme stellt die altersbedingte Verschlechterung des verbalen Gedächtnisses bei den Nicht-ε4 Trägern dar, welche
bereits zwischen dem 19. und 29. Lebensjahr beginnt und mit dem gleichzeitigen
Vorkommen von BDNF-Met zusammenzuhängen scheint.
Ob jene altersabhängigen Veränderungen zukünftig auch zu signifikanten Leistungsunterschieden führen werden, kann mit dem vorliegenden Datensatz aufgrund der
geringen Zahl an über-30-jährigen Probanden nicht geklärt werden. In der Literatur
finden sich zu dieser Fragestellung zwei konträre Ansätze: (1) die Meta-Analysen von
Farrer et al. (1997) und Small et al. (2004), die beide eine altersbedingte Abnahme der
E4-Effekte auf die Kognition und damit eine Angleichung der ε4 und Nicht-ε4 Träger
postulieren; aber auch (2) die Meta-Analyse von Wisdom et al. (2009), die einen
verstärkt nachteiligen Effekt des E4 mit zunehmendem Alter vorgefunden haben.
Spekulativ scheinen die vorliegenden Daten eher dem ersten Ansatz zu folgen, wobei
sich hier nicht die E4-Effekte abschwächen, sondern die Nicht-ε4 Träger mit der Zeit in
ihren mnestischen Leistungen nachlassen.
5.3
Ausblick
Mit der vorliegenden Studie wurden erstmalig in der Literatur die isolierten und interagierenden Effekte der Polymorphismen Val66Met und APOE-ε4 auf die mnestischen
Leistungen junger gesunder Probanden unter Berücksichtigung demographischer
Einflussvariablen explorativ untersucht.
Die bereits publizierte negative Wirkung des BDNF Methionins auf das Kurzzeit/Arbeitsgedächtnisses und das semantische Gedächtnis wie auch das Fehlen eines
durch das APOE-ε4 verursachten Leistungsunterschiedes wurden repliziert. Als neue
Befunde sind zu nennen: (1) ein signifikanter Nachteil der Methionin- gegenüber den
homozygoten Valin-Trägern im impliziten Lernen (Priming), (2) epistatische Hinweise
für die Val-Val Gruppe (schlechtere Ergebnisse im visuellen Arbeits-/Gedächtnis bei
gleichzeitigem Vorkommen von ε4) und die Nicht-ε4 Träger (ungünstiger Effekt von
BDNF-Met auf Zahlenspanne, Exekutive Kontrolle, Priming, Gesamtscore, Kurzzeit-
- 75 -
/Arbeitsgedächtnis
und
verbales
Gedächtnis)
und
(3)
eine
altersbedingte
Leistungsabnahme der „überlegenen“ Val-Val bzw. Nicht-ε4-Träger bezüglich des
Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnisses und des verbalen Gedächtnisses (bei ersteren
zusätzlich noch bzgl. des Gesamtscores), so dass sie sich den „benachteiligten“ Metbzw. ε4-Trägern annähern und diesen im weiteren Lebensverlauf möglicherweise
sogar unterlegen sind.
Neben diesen neuen Erkenntnissen zeichnet sich die Studie durch ihr kontrolliertes
Design aus: die Stichprobe ist in ihren gebildeten Subgruppen homogen hinsichtlich
des Alters, des Geschlechts, der Ausbildungsdauer, der Ethnizität, der physischen /
psychischen Gesundheit und der Verteilung der Genotypen (bei BDNF die Häufigkeit
von ε4 / kein ε4, bei APOE die Häufigkeit von Met / kein Met). Beim eingesetzten
Untersuchungsinstrument handelt es sich um ein theoriegeleitet entwickeltes Verfahren, das sensitiv, valide und reliabel die wesentlichen Verarbeitungskomponenten
neuropsychologischer Gedächtnismodelle abbildet. Außerdem wurden der Testleiter,
der Messzeitpunkt und –ort konstant gehalten und in der Durchführung wie auch
Auswertung wurde strikt manualgeleitet vorgegangen.
Der eindeutige Nachteil der vorliegenden Untersuchung ist die geringe Fallzahl von
140 Probanden, die eine weiterführende Analyse zum Beispiel der Phänotypen E2
oder E4/4 bzw. von Trägern mit kombinierten ε4/ε4- und Met-Met Genotypen nicht
erlaubt. Nach Plomin et al. (2006) verlangen genetische Assoziationsstudien sogar
generell Stichprobenumfänge von mehreren tausend Teilnehmern, um statistisch
reliable Befunde produzieren zu können, da der Effekt eines einzigen genetischen
Locus sehr klein ist mit einem OR von 1.1 bis 1.3 für kategoriale Outcomes und kleiner
0,5% der Varianz für quantitative Outcomes. Auch der zusätzliche Einsatz funktioneller
Bildgebung könnte mehr oder stärkere Geno-Phänotyp-Assoziationen aufdecken, weil
sie „näher“ an der ursächlichen Mutation sind. Denn Polymorphismen verursachen
bekanntlicherweise zuerst Variationen auf Proteinebene, welche sich auf die neuronale
Funktion auswirken, die ihrerseits vielleicht die cerebrale Morphologie verändert; diese
Unterschiede in der Gehirnmorphologie können dann mit einem abweichenden Verhalten oder der Progressionen von Krankheiten in Verbindung gebracht werden (Hashimoto et al., 2009). Erschwerend kommt für die Interpretation beobachteter Effekte noch
hinzu, dass ein einziges Gen multiple Prozesse beeinflussen kann, multiple Gene
- 76 -
einen einzelnen Prozess beeinflussen können und multiple kognitive Prozesse
interkorrelieren (Goldberg & Weinberger, 2004).
Trotz dieser Einschränkungen in der Generalisierbarkeit vorgefundener GenoPhänotyp-Assoziationen, kann abschließend festgehalten werden, dass die vorliegenden Ergebnisse eine Assoziation zwischen BDNF Val66Met und den mnestischen
Leistungen junger, gesunder Probanden nahelegen. Die funktionalen Varianten des
APOE hingegen scheinen nur im Falle des gemeinsamen Vorkommens mit BDNF-Met
eine signifikante Rolle zu spielen. Es gibt einen durch beide Polymorphismen modulierten altersbedingten Verlauf einzelner Gedächtnisfunktionen, dessen Prüfung der Inhalt
einer weiterführenden Studie sein könnte.
- 77 -
6
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Engel I. 6. Auflage, Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 1995, S. 334
- 89 -
7
Vorveröffentlichungen
Richter-Schmidinger T, Alexopoulos P, Horn M, Maus S, Reichel M, Rhein C, Lewczuk
P, Sidiropoulos C, Kneib T, Perneczky R, Doerfler A, Kornhuber J. Influence of Brainderived neurotrophic-factor and Apolipoprotein E genetic variants on hippocampal
volume and memory performance in young healthy adults. J Neural Transm, 2010, 1-9
- 90 -
8
Abkürzungsverzeichnis
α
Signifikanzniveau
A
Adenin
a.a.O.
am angegebenen Ort
AD
Alzheimer Demenz
ANOVA
Varianzanalyse
APOE
Gen des Apolipoproteins
BDNF
brain-derived neurotrophic factor
Bp
Basenpaare
bzw.
beziehungsweise
d
Effektstärke
d.h.
das heißt
DAT
Demenz vom Alzheimer Typ
DNS
Desoxyribonukleinsäure
ebd.
ebenda
et al.
et alii (und andere)
f (ff)
folgende (fortfolgende)
G
Guanin
HUM-BDNF
BDNF-Gen beim Menschen
IGD
Inventar zur Gedächtnisdiagnostik
LDL
Low Density Lipoprotein
Met
Methionin
MMST
Mini Mental Status Test
mRNA
messenger (Boten-) Ribonukleinsäure
MW
Mittelwert
N
Umfang der gesamten Stichprobe
n (n%)
absoluter (relativer) Umfang von Teilpopulationen
NFT
neurofibrillary tangles
NGF
nerve growth factor
NT-3
Neurotrophin-3
NT-4
Neurotrophin-4
OR
odd ratio
p
Signifikanz
p75NT-Rezeptor
p75-Neurotrophin-Rezeptor
- 91 -
PCR
Polymerase-Kettenreaktion
PR
Prozentrang
r
Korrelations-/Regressionskoeffizient
2
R
Bestimmtheitsmaß bei Regression
s
Standardabweichung
S.
Seite
s.
siehe
SNP
single nucleotide polymorphism
SPSS
Statistical Package for the Social Sciences
TrkB-Rezeptor
Tyrosin-Kinase-B-Rezeptor
u.a.
unter anderem
Val
Valin
vgl.
vergleiche
WMS-R
Wechsler Memory Scale - revised
vs.
versus
z.B.
zum Beispiel
ZNS
zentrales Nervensystem
- 92 -
9
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht über die verschiedenen Fehlleistungen des Gedächtnisses (nach
Schacter, 2005)
Tabelle 2: Empfehlungen zur neuropsychologischen Diagnostik von Gedächtnisstörungen (modifiziert nach Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 2008)
Tabelle 3: Beschreibung der Stichprobe mit absoluten (n) und relativen (n%)
Häufigkeiten, Mittelwerten (MW) und Standardabweichungen (s); † nach Egan et al.
(2003), ‡ nach Hill et al. (2007)
Tabelle 4: Kreuztabelle ApoE * BDNF * Geschlecht (N=140); farblich hervorgehoben
sind die potentiell kritischen Allel-Kombinationen mit jeweils mindestens einem BDNFMet und einem APOE ε4
Tabelle 5: Darstellung der mit der Kovarianzanalyse bzw. univariaten Varianzanalyse
aufgedeckten signifikanten Unterschiede in den einzelnen Gedächtnisleistungen
infolge demographischer Einflüsse unter Berücksichtigung des Levene-Tests (aufgeteilt
nach den Genotypen von BDNF und APOE)
Tabelle 6: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen Val-Val und Val-Met (mit U, t, χ2 als Testgrößen des
Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben und Pearson’schen ChiQuadrat-Test; d ist die Effektstärke nach Cohen (1969) mit Modifikation der Streuung
nach Bortz & Döring, 2006))
Tabelle 7: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen Val-Val und Met-Met (mit U, t, χ2 als Testgrößen des
Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben und Pearson’schen ChiQuadrat-Test; d ist die Effektstärke nach Cohen (1969) mit Modifikation der Streuung
nach Bortz & Döring, 2006))
Tabelle 8: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen Val-Met und Met-Met (mit U, t, χ2 als Testgrößen des
Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben und Pearson’schen ChiQuadrat-Test)
Tabelle 9: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den BDNF-Gruppen Val-Val und Val-Met/Met-Met (mit U, t, χ2 als Testgrößen
des Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige Stichproben und Pearson’schen
Chi-Quadrat-Test; d ist die Effektstärke nach Cohen (1969) mit Modifikation der
Streuung nach Bortz & Döring, 2006))
Tabelle 10: Prüfung auf signifikante demographische und mnestische Unterschiede
zwischen den APOE-Gruppen „kein ε4“ (ε2/ε2, ε2/ε3, ε3/3) und „ε4“ (ε2/ε4, ε3/ε4, ε4/ε4;
mit U, t, χ2 als Testgrößen des Mann-Whitney-U-Tests, t-Tests für unabhängige
Stichproben und Pearson’schen Chi-Quadrat-Test)
- 93 -
Tabelle 11: bivariate Korrelationen zwischen den IGD-Skalen und dem Lebensalter
gruppiert nach dem Auftreten der kritischen Genotypen von HUM-BDNF und APOE (†
Korrelation nach Pearson, ‡ Korrelation nach Spearman)
Tabelle 12: Ergebnisse der linearen Regression mit den IGD-Skalen als
Kriteriumsvariablen und dem Lebensalter als Prädiktorvariable unter Berücksichtigung
der Genotypen von HUM-BDNF und APOE
- 94 -
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: vereinfachte Darstellung der zeitlichen Einteilung des Gedächtnisses
und der beteiligten Speicher (modifiziert nach Baller et al., 2006, S.7)
Abbildung 2: inhaltliche Unterteilungen des Langzeitgedächtnisses (modifiziert nach
Pritzel et al., 2003)
Abbildung 3: Flussdiagramm zur zeitlichen Einteilung des Gedächtnisses mit
beteiligten Speichern und Prozessen der Informationsverarbeitung (nach Zimbardo,
1995)
Abbildung 4: Übersicht über die Subtests, Skalen und den Gesamtscore des IGDModuls A
Abbildung 5: Histogramme mit Normalverteilungskurven für das Alter (links) und der
Ausbildungsjahre (rechts)
Abbildung 6: Darstellung der absoluten und relativen Häufigkeiten der auf den IGDSkalen erzielten Ergebnisse unterteilt nach den BDNF-Phänotypen (N=140, nVal-Val=89,
nVal-Met=39, nMet-Met=12). Ein Prozentrang (PR) zwischen 0 und 24 gilt als
„unterdurchschnittlich“, zwischen 25 und 75 als „durchschnittlich“ und zwischen 76 und
100 als „überdurchschnittlich“.
Abbildung 7: Darstellung der absoluten und relativen Häufigkeiten auf den IGDSkalen erzielten Ergebnisse unterteilt nach den APOE-Phänotypen (N=140, nε2/ε2=2,
nε2/ε3=15, nε2/ε4=2, nε3/3=104, nε3/4=13, nε4/4=4). Ein Prozentrang (PR) zwischen 0 und 24
gilt als „unterdurchschnittlich“, zwischen 25 und 75 als „durchschnittlich“ und zwischen
76 und 100 als „überdurchschnittlich“.
Abbildung 8: Ergebnisse des IGD-Gesamtscores in Abhängigkeit vom Lebensalter
und den Polymorphismen des Gens HUM-BDNF (Val-Val und Val-Met/Met-Met), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Abbildung 9: Ergebnisse der IGD-Skala Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis in Abhängigkeit
vom Lebensalter und der Polymorphismen des Gens HUM-BDNF (Val-Val und ValMet/Met-Met), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Abbildung 10: Ergebnisse der IGD-Skala verbales Gedächtnis in Abhängigkeit vom
Lebensalter und der Polymorphismen des Gens HUM-BDNF (Val-Val und Val-Met/MetMet), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Abbildung 11: Ergebnisse der IGD-Skala Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis in Abhängigkeit
vom Lebensalter und der Polymorphismen des Gens APOE (kein ε4 und ε4), dargestellt in Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
Abbildung 12: Ergebnisse der IGD-Skala verbales Gedächtnis in Abhängigkeit vom
Lebensalter und der Polymorphismen des Gens APOE (kein ε4 und ε4), dargestellt in
Form eines Streudiagramm einschließlich der Regressionsgeraden
- 95 -
11
Anhang
A1: Übersicht über die Subtests und die Skalen des IGD-Moduls A (Lern- und
Merkfähigkeit; modifiziert nach Baller et al., 2006, S. 16f)
A2: Übersicht über die Instruktionen und gemessenen mnestischen Leistungen der
IGD-Subtests (nach Baller et al., 2006, S. 31-40)
A3: Testung auf Normalverteilung innerhalb der interessierenden PolymorphismusSubgruppen; bei intervallskalierten Variablen mit Hilfe des Kolmogorov-Smirnov Tests
für eine Stichprobe, bei nominalen mit Hilfe des Tests auf Binomialverteilung
A4: Diagramme der gemittelten Gedächtnisleistungen in Abhängigkeit vom Lebensalter
A5: bivariate Korrelationen nach Pearson† bzw. Spearman-Rho‡ zwischen den IGDSkalen und den demographischen Variablen Alter, Geschlecht und Bildung pro
dichotomisierten Phänotyp (kein Met, Met und kein ε4, ε4)
räumlichvisuell
4
Lage und Ausrichtung von Objekten und
visuelles Arbeits- gleichzeitig die Position der Objekte auf der
Gedächtnis
Seite verarbeiten
verbal
mittelfristig
mittelfristig
Figurenrekognition aus ähnlichen Vorlagen und
freier Abruf eines fehlenden Details
8
Form-Farb-Paare lernen, Abruf durch Vorgabe
Paarassoziations der Form, Zuordnen der Farben
lernen
Rekognition von bewusst und unbewusst
längerfristig
gelernten Wörtern aus Untertest 3 aus einer
Wortliste mit phonematischen und semantischen
Distraktoren und neutralen Wörtern
7
visuelles Lernen
9
verzögerte
Rekognition:
Wortliste
visuellverbal
mittelfristig
Wortrekognition aus einer Textvorlage mit
semantisch ähnlichen Distraktoren
6
verbales Lernen
visuell
verbal
kurzzeitig
Aufmerksamkeitsshift zwischen zwei zu
merkenden visuellen Reizmustern, für den Abruf
Transkodierung in verbale Information
erforderlich
5
Exekutive
Kontrolle
visuellverbal
verbal
3
Wörter mit einem bestimmten Merkmal aus einer kurzzeitig
verbales Arbeits- Wortliste selektieren und speichern
Gedächtnis
kurzzeitig
verbal
kurzzeitig
kurzfristiges Behalten von Zahlenreihen
zunehmender Komplexität
2
Zahlenspanne
verbal
Modalität
zukunftsgerichtet
zeitliche
Dimension
Instruktion einspeichern, bereit halten und in
einem bestimmten zeitlichen und situativen
Kontext abrufen
Beschreibung
1
prospektives
Gedächtnis
Subtest
-
intentional
intentional
intentional
intentional
intentional
intentional
intentional
intentional
Speichern
explizit
explizit
explizit
explizit
explizit
explizit
explizit
explizit
explizit
Abruf
rekognizieren
lernen, zuordnen
lernen, frei reproduzieren,
rekognitizieren
lernen, rekognizieren
halten und manipulieren, frei
reproduzieren
halten und gleichzeitig
verarbeiten, frei reproduzieren
selektieren und halten, frei
reproduzieren
einspeichern und halten, frei
reproduzieren
bereit halten und zum
bestimmten Zeitpunkt abrufen
Funktion
A1: Übersicht über die Subtests und die Skalen des IGD-Moduls A (Lern- und Merkfähigkeit; modifiziert nach Baller et al., 2006, S. 16f)
- 96 -
längerfristig
längerfristig
längerfristig
freier Abruf von Textinformation aus Untertest 6
mit Hinweisreizen durch Fragen
Rekognition der Figuren aus Untertest 7 aus
ähnlichen und weniger ähnlichen Distraktoren
Wortfragmente teilweise zuvor verarbeiteter
Wörter aus Untertest 3 ergänzen
10
verzögerte
Reproduktion:
Text
11
verzögerte
Rekognition:
Figuren
12
Priming
zeitliche
Dimension
Beschreibung
Subtest
(Fortsetzung A1)
- 97 -
verbal
visuell
verbal
Modalität
-
-
-
Speichern
implizit
explizit
explizit
Abruf
identifizieren
rekognizieren
gestütztes reproduzieren
Funktion
Prägen Sie sich bitte die Lage und Ausrichtung der Linien in den Kästchen
ein. Merken Sie sich bitte außerdem die Position, also in welchem Kästchen
auf der Seite welche Linie liegt. In der Abfrage werden Ihnen die leeren
Kästchen vorgegeben, und Sie zeichnen bitte die passenden Linien ein.
Diese Aufgabe wird Ihnen drei mal hintereinander vorgelegt.
4
visuelles
Arbeitsgedächtnis
5
Zählen Sie bitte abwechselnd die punkte und die Dreiecke in den Kästchen 1
Exekutive Kontrolle bis 9. Sie beginnen im ersten Kästchen mit den Punkten, dann zählen Sie im
zweiten Kästchen die Dreiecke, im nächsten Kästchen wieder die Punkte
usw.. Bilden Sie aus diesen Zahlen eine Zahlenreihe und merken Sie sich
diese. Anschließend schreiben Sie die Zahlenreihe bitte auf. Diese Aufgabe
wird Ihnen drei mal hintereinander vorgelegt.
Ich werde Ihnen jetzt eine Wortliste vorlesen. Prägen Sie sich bitte nur die
Wörter ein, die ein „r“ enthalten. Wenn ich Ihnen also die Wörter Auto, Hase,
Brot vorlese, sollen Sie hinterher nur das Wort Brot aufschreiben, weil nur
dieses Wort ein „r“ enthält. Diese Wortliste wird drei mal vorgelesen und
abgefragt.
3
verbales
Arbeitsgedächtnis
Ich werde Ihnen jetzt Zahlenreihen vorsprechen. Nach jeder Zahlenreihe
Das Spannenmaß lässt sich aus der Anzahl der
mache ich eine Pause. Schreiben Sie dann bitte die Zahlenreihe auf.
richtig reproduzierten Ziffern ableiten
Beginnen Sie erst dann mit dem Aufschreiben, wenn ich zu Ende gesprochen
habe.
2
Zahlenspanne
hohe Aufmerksamkeitsanforderung (v.a.
zusätzlicher Shift zwischen den wechselnden
relevanten Reizen); visuelle Information muss bei
Einspeicherung verarbeitet und für den Abruf in
eine verbale Information transkodiert werden
Mehrfachanforderung hinsichtlich der räumlichvisuellen Verarbeitung: die einzuprägenden
Linien müssen bezüglich ihrer Merkmale
Ausrichtung und Lage frei reproduziert und
zudem richtig im Raum positioniert werden
Unterscheiden zwischen relevanten und
irrelevanten Wörtern und gleichzeitiges
Einspeichern der selektierten Wörter
Halten von Handlungsanweisungen vom
Zeitpunkt des Einspeicherns bis zu ihrer
Ausführung zu einem festgelegten Zeitpunkt;
Aufgabenschwierigkeit variiert durch
Hinweisreize (in erster Aufgabe mit den Kästchen
gegeben, in zweiter ist die Handlungsausführung
zeitlich-situativ assoziiert)
1. Aufgabe: Immer wenn Sie unten rechts auf einer Seite Ihres Testheftes ein
solches doppelt umrandetes Kästchen sehen, tragen Sie dort bitte ein X ein.
2. Aufgabe: Bitte beschreiben Sie nach der Testung auf der letzten Seite
dieses Ordners kurz und stichwortartig, wie Sie den Test persönlich
empfunden haben (z.B. interessant oder schwierig).
Vergessen Sie diese Anweisungen bitte nicht. Sie werden nicht noch einmal
daran erinnert.
1
prospektives
Gedächtnis
Information und mnestische Leistung
Instruktion
Subtest
A2: Übersicht über die Instruktionen und gemessenen mnestischen Leistungen der IGD-Subtests (nach Baller et al., 2006, S. 31-40)
- 98 -
Instruktion
Ich werde Ihnen einen kurzen Zeitungstext vorlesen. Sie können den Text in
Ihrem Testheft mitlesen. Bitte prägen Sie sich den Inhalt und den Wortlaut
ein. In einer späteren Aufgabe kommen wir auf den Inhalt zurück. In dieser
Aufgabe wird nach dem Wortlaut gefragt. Dazu wird Ihnen der gleiche Text
noch einmal vorgelegt – allerdings gibt es zu einigen Wörtern mehrere
Wahlmöglichkeiten. Diese sind zur Kennzeichnung schräg gedruckt. Von
diesen Wörtern sollen Sie jeweils das Wort unterstreichen, welches im
Originaltext verwendet wurde.
Bitte Prägen Sie sich die Figuren mit allen Einzelheiten ein. In der Abfrage
wird Ihnen eine Auswahl von Figuren gezeigt, die diesen ähnlich sind.
Allerdings fehlt immer ein Element. Bitte kreuzen Sie die Figur an, die der
Originalfigur am ähnlichsten ist. Zeichnen Sie dann in diese Figur das
fehlende Element ein, so dass wieder die Originalfigur entsteht.
In der folgenden Aufgabe sind jeweils eine Form und eine Farbe einander
zugeordnet. Bitte prägen Sie sich diese Form-Farb-Paare ein. In der Abfrage
werden die Formen vorgegeben. Kreuzen Sie bitte die dazugehörige Farbe
an.
Erinnern Sie sich jetzt noch einmal an die Wortliste, die ich Ihnen mehrmals
vorgelesen habe. Aus einer Vielzahl von Wörtern sollen Sie diejenigen
heraussuchen, die in der Liste enthalten waren. Allerdings nicht nur die
gelernten Wörter mit „r“, sondern auch die Wörter der Wortliste ohne „r“.
Kreuzen Sie bitte die Antwort „Ja“ an, wenn Sie der Meinung sind, dass
dieses Wort in der Liste enthalten war. Sonst kreuzen Sie „Nein“ an.
Sie haben vor einigen Minuten den Text „Warnstreik“ gelesen. Bitte
beantworten Sie zu diesem Text Fragen. Formulieren Sie Ihre Antwort kurz
und so präzise wie möglich.
Subtest
6
verbales Lernen
7
visuelles Lernen
8
Paarassoziationslernen
9
verzögerte
Rekognition:
Wortliste
10
verzögerte
Reproduktion: Text
(Fortsetzung A2)
- 99 -
durch Fragen gestützte Reproduktion des Textes
expliziter Abruf der bewusst gelernten Wörter mit
„r“; inzidenteller Abruf der Wörter ohne „r“
durch die gleichzeitige visuelle und verbale
Darbietung der Items kann die Lernleistung
materialunabhängig erfasst werden
Rekognizieren der Figur und freie Reproduktion
einer Detailinformation, die räumlich richtig in die
Figur positioniert werden soll
semantische Verarbeitung reicht für geforderte
Rekognition nicht aus, da Distraktoren
semantisch ähnlich sind; daher ist die
phonematische Verarbeitung gedächtnisrelevant
Information und mnestische Leistung
Instruktion
Bitte rufen Sie sich jetzt noch einmal die Figuren ins Gedächtnis, die Ihnen
vor wenigen Minuten dargeboten wurden. Kreuzen Sie bitte in jeder Zeile die
Figur an, die Sie sich zuvor gemerkt haben.
In dieser Aufgabe sollen Sie in kurzer Zeit möglichst viele Hauptwörter
(Nomen) finden. Ergänzen Sie dazu die unvollständigen Wörter mit einem
Buchstaben an jeder Leerstelle und bilden Sie so ein sinnvolles Wort.
Umlaute ä, ü, ö zählen als ein Buchstabe. Wenn Sie für eine Vorgabe keine
spontane Lösung finden, machen Sie mit einem beliebigen anderen Wort
weiter.
Bitte schlagen Sie jetzt die letzte Seite auf und füllen Sie diese noch aus.
Schließen Sie danach den Testordner. Ich danke Ihnen für Ihre Mitarbeit.
Subtest
11
verzögerte
Rekognition:
Figuren
12
Priming
(siehe 1)
prospektives
Gedächtnis
(Fortsetzung A2)
- 100 -
Halten von Handlungsanweisungen vom
Zeitpunkt des Einspeicherns bis zu ihrer
Ausführung zu einem festgelegten Zeitpunkt (s.
Aufgabe 1)
die Hälfte der zu bearbeitenden Wortfragmente
ist neutral, die andere Hälfte lässt sich durch
Primewörter aus dem Subtest 3 ergänzen; ein
Primingeffekt liegt vor, wenn mehr als zu 50
Prozent Primewörter gebildet werden
Rekognition zuvor gelernter Figuren aus
ähnlichen Distraktoren
Information und mnestische Leistung
BDNF
Gen
Val-Val
,029
,003
,229
,932
,945
,006
,018
,483
,215
,000
,153
,078
,016
,136
,001
,000
,000
,005
,087
,000
,013
Gesamtscore
Kurzzeitgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition
verzögerte Reproduktion Text
verzögerte Reproduktion Figuren
Priming
p
Alter
Geschlecht
Bildung
Genotyp Variable
BDNF
Gen
Val-Met
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition
verzögerte Reproduktion Text
verzögerte Reproduktion Figuren
Priming
Gesamtscore
Kurzzeitgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
Alter
Geschlecht
Bildung
Genotyp Variable
,084
,559
,115
,072
,622
,250
,001
,000
,001
,192
,000
,112
,631
,883
,084
,507
,622
,451
,350
,004
,262
p
A3: Testung auf Normalverteilung innerhalb der interessierenden Polymorphismus-Subgruppen; bei intervallskalierten Variablen mit Hilfe
des Kolmogorov-Smirnov Tests für eine Stichprobe, bei nominalen mit Hilfe des Tests auf Binomialverteilung
- 101 -
BDNF
Gen
Met-Met
,659
1,00
,857
,750
,944
,686
,953
,949
,978
,693
,231
,500
,945
,540
,524
,239
,002
,734
,521
,032
,761
Gesamtscore
Kurzzeitgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition
verzögerte Reproduktion Text
verzögerte Reproduktion Figuren
Priming
p
Alter
Geschlecht
Bildung
Genotyp Variable
(Fortsetzung A3)
- 102 -
Met*
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition
verzögerte Reproduktion Text
verzögerte Reproduktion Figuren
Priming
Gesamtscore
Kurzzeitgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
Alter
Geschlecht
Bildung
Genotyp Variable
* Met = Val-Met + Met-Met
BDNF
Gen
,036
,408
,179
,140
,624
,081
,001
,000
,001
,218
,000
,052
,573
,999
,043
,702
,793
,220
,135
,012
,222
p
kein ε4*
,010
,000
,115
,745
,935
,001
,023
,293
,089
,000
,068
,049
,005
,123
,000
,000
,000
,000
,049
,000
,001
Gesamtscore
Kurzzeitgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition
verzögerte Reproduktion Text
verzögerte Reproduktion Figuren
Priming
p
Alter
Geschlecht
Bildung
Genotyp Variable
* kein ε4 = ε2/ε2 + ε2/ε3 + ε3/ε3
APOE
Gen
(Fortsetzung A3)
- 103 -
** ε4 = ε2/ε4 + ε3/ε4 + ε4/ε4
prospektives Gedächtnis
Zahlenspanne
verbales Arbeitsgedächtnis
visuelles Arbeitsgedächtnis
Exekutive Kontrolle
verbales Lernen
visuelles Lernen
Paarassoziationslernen
verzögerte Rekognition
verzögerte Reproduktion Text
verzögerte Reproduktion Figuren
Priming
Gesamtscore
Kurzzeitgedächtnis
Lernen
verzögerter Abruf
verbales Gedächtnis
visuelles Gedächtnis
Alter
Geschlecht
Bildung
Genotyp Variable
APOE ε4
Gen
,003
,853
,162
,842
,182
,254
,015
,000
,804
,912
,000
,372
,968
,963
,141
,975
,871
,853
,371
,648
,615
p
A4: Diagramme der gemittelten Gedächtnisleistungen in Abhängigkeit vom Lebensalter; links: Mittelwerte der Skala Kurzzeit/Arbeitsgedächtnis in der Gruppe „kein ε4“, rechts: Mittelwerte der Skala verzögerter Abruf in der Gruppe „ε4“
- 104 -
mit:
6
5
4
3
2
1
Skala
r = -,058
p = ,586
†
r = 0,61
p = ,572
†
r = ,087
p = ,419
†
r = -,204
p = ,055
†
r = ,084
p = ,433
†
r = ,072
p = ,501
†
kein Met
Geschlecht
r = ,102
p = ,347
†
r = -,146
p = ,174
†
r = -,106
p = ,327
‡
r = ,068
p = ,528
‡
r = -,054
p = ,616
†
r = -,023
p = ,834
†
6 visuelles Gedächtnis
5 verbales Gedächtnis
4 verzögerter Abruf
3 Lernen
r = -,028
p = ,843
†
r = -,076
p = ,595
†
r = -,076
p = ,594
†
r = -,187
p = ,189
‡
r = -,001
p = ,992
†
r = -,062
p = ,668
†
Bildung Alter
2 Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis
1 Gesamtscore
r = -,060
p = ,578
‡
r = -,234
p = ,027
‡
r = -,189
p = ,076
‡
r = -,004
p = ,969
‡
r = -,247
p = ,020
‡
r = -,219
p = ,039
‡
Alter
BDNF
r = -,104
p = ,469
†
r = ,168
p = ,238
†
r = ,128
p = ,370
†
r = ,076
p = ,596
†
r = -,113
p = ,428
†
r = ,026
p = ,857
†
Met
Geschlecht
r = ,007
p = ,964
†
r = -,097
p = ,501
†
r = -,009
p = ,950
†
r = -,152
p = ,292
‡
r = ,095
p = ,511
†
r = -,016
p = ,910
†
r = -,117
p = ,200
‡
r = -,212
p = ,020
‡
r = -,174
p = ,057
‡
r = -,131
p = ,151
‡
r = -,180
p = ,048
‡
r = -,160
p = ,079
‡
Bildung Alter
r = -,082
p = ,372
†
r = ,119
p = ,195
†
r = ,137
p = ,135
†
r = -,094
p = ,305
†
r = ,028
p = ,762
†
r = ,120
p = ,191
†
kein ε4
Geschlecht
r = ,056
p = ,547
†
r = -,162
p = ,079
†
r = -,094
p = ,307
‡
r = -,045
p = ,630
‡
r = -,011
p = ,903
†
r = -,042
p = ,648
†
r = ,239
p = ,325
†
r = -,014
p = ,956
†
r = -,031
p = ,898
†
r = ,318
p = ,185
†
r = -,025
p = ,918
†
r = -,002
p = ,992
†
Bildung Alter
APOE
r = -,046
p = ,852
†
r = -,043
p = ,862
†
r = -,189
p = ,438
†
r = -,238
p = ,326
†
r = -,134
p = ,586
†
r = -,297
p = ,217
†
ε4
Geschlecht
Bildung
r = ,186
p = ,447
†
r = ,172
p = ,480
†
r = ,157
p = ,520
†
r = ,217
p = ,372
†
r = ,042
p = ,863
†
r = ,233
p = ,336
†
A5: bivariate Korrelationen nach Pearson† bzw. Spearman-Rho‡ zwischen den IGD-Skalen und den demographischen Variablen Alter,
Geschlecht und Bildung pro dichotomisierten Phänotyp (kein Met, Met und kein ε4, ε4)
- 105 -
- 106 -
12
Danksagung
Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich mich herzlich bedanken bei
Herrn Prof. Dr. J. Kornhuber für meine Beteiligung am GENES-Projekt, die
damit verbundene Möglichkeit zur Promotion und die Unterstützung in der Umsetzung
Frau Prof. S. Engel und Herrn PD J.M. Maler für die nette und bereitwillige
Übernahme der Funktion als Korreferenten
Herrn Dr. P. Alexopoulos für die sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit während des Projektes
Herrn Dr. P. Trippal für die Durchsicht der molekularbiologischen Kapitel
Dem Labor der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik und dem
Labor für Klinische Neurochemie des Universitätsklinikums Erlangen für die
Genotypisierungen
allen Probanden für ihre Teilnahme an der Studie
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