04/13 N° 103 THEMENÜBERSICHT Editorial Wissenswertes pharmazeutische Dienstleistungen Lippenherpes 9 gibt es eine wirksame Behandlung oder eine echte Prophylaxe? Neuheiten SYCREST® Neuroleptika 2 11 nicht nur bei Schizophrenie! ein neues Neuroleptikum ARTERIA-VITA® Vitamin B12 4 = PADMA® 28 = PADMED CIRCOSAN® ROTE REISHEFE wofür oder wogegen eigentlich? 5 In Kürze nach dem grünen Curry… VITASPRINT® B12 15 17 Ergänzungsmittel und Accessoires 8 endlich ein orales B12! Bild des Monats: Ein Tipp für das nächste Jahr – auch kluge Hasenköpfe schützen sich! © Pharma‐News Seite 1 Nummer 103, Mai 2013 Editorial Vergessene pharmazeutische Dienstleistungen Eine der Neuheiten, die Sie in dieser Ausgabe entdecken werden, hat bei uns einen bitteren Nach‐ geschmack hinterlassen. Der Beginn der Behandlung mit diesem neuen Medikament muss „im stationären Setting“ durchgeführt, d.h. es muss in der Klinik unter ärztlicher Überwachung einge‐ nommen werden. Warum? Weil die Tabletten sorgfältig aus dem Blister gelöst werden müssen und nicht mit feuchten Händen angefasst werden dürfen. Ausserdem muss kontrolliert werden, ob sie die Patienten wirklich im Mund zergehen lassen, ohne sie zu zerkauen oder direkt zu schlucken… ein gutes Geschäft! Eine anerkannte Dienstleistung der Apotheker ist genau diese kontrollierte Einnahme in der Offi‐ zin, und es scheint, als hätte die Firma Lundbeck dies nicht begriffen oder nicht gewusst, dass eine solche Abgabemöglichkeit in der Schweiz längst vorgesehen ist! Wir hoffen, Sie geniessen einen angenehmen Frühling und eine interessante Lektüre! Jérôme Berger Pierre Bossert Julia Farina Marie-Thérèse Guanter Germanier Séverine Huguenin Caroline Mir Martine Ruggli Neuheiten SYCREST® (Asenapin) Auf dem Schweizer Markt gibt es ein neues atypisches Neuroleptikum: SYCREST®. Wir fassen die wichtigsten Punkte zu diesem neuen Wirkstoff zusammen. SYCREST® ist als Sublingualtablette in zwei Stärken im Handel: 5 und 10 mg. Die Indi‐ kation lautet: mässige bis schwere mani‐ sche Episoden bei Bipolar‐I‐Störungen bei Erwachsenen.12 Wer „Neuroleptikum“ sagt, denkt sofort „Therapie der Schizophrenie“. Der Fall liegt hier anders, da die Wirksamkeit von SYCREST® bei dieser Indikation nicht er‐ wiesen ist.2 Daher ist die Anwendung auf 1 2 Arzneimittel‐Kompendium der Schweiz 2013 Rev Prescrire 2012; 32 (342): 255‐1‐255‐6 © Pharma‐News Seite 2 Nummer 103, Mai 2013 Personen mit bipolaren Störungen beschränkt. Laut den verfügbaren Studien fällt die Wirksamkeit von Asenapin im Vergleich zu Placebo allerdings auch in der manischen Phase der bipolaren Störung nicht sehr überzeugend aus; sie ist leicht stärker als unter Placebo, aber schwächer als unter Olanzapin (ZYPREXA® und Generika).2 Es handelt sich hierbei um die einzige neurolep‐ tische Therapie, deren Beginn innerhalb einer Spitalstruktur vorgenommen werden muss. Eine ambulante Weiterbehandlung sollte nur als Kurzzeittherapie und durch Ärzte mit Erfahrung in der Therapie bipolarer Patienten erfolgen.1 Warum alle diese Vorsichtsmassnahmen? Das Problem liegt in speziellen Anweisungen zur Ein‐ nahme von SYCREST®:1 • Bipolare Störungen:2 Bipolare Störungen sind definiert als Stimmungs‐ schwankungen, bei denen sich manische und depressive Episoden in variablem Rhythmus abwechseln. Die üblichen Anzeichen der manischen Phase sind euphorische Stim‐ mung, „Grössenwahn“, vermindertes Schlafbedürfnis, ge‐ steigertes Selbstwertgefühl etc. Dazukommen können bei schweren Formen Halluzinationen, Aggressivität und Agitation. Bipolare Störungen stellen die Geisteskrankheit mit der höchsten Selbstmordrate dar. • SYCREST® muss zweimal täglich, morgens und abends eingenommen werden • die Tablette darf erst unmittelbar vor der Einnahme aus dem thermogeformten Blister entnommen werden • die Tablette darf nur mit trockenen Händen angefasst werden • zur Entnahme der Tablette ist die farbige Lasche zurückzuziehen und die Tablette vorsichtig zu entnehmen; diese darf nicht zerdrückt werden • SYCREST® muss unbedingt durch die Mundschleimhaut absorbiert werden: wird die Tablette geschluckt oder zerkaut, ist sie nicht wirksam • um eine optimale Resorption zu gewährleisten, muss die Sublingualtablette unter die Zunge gelegt werden, bis sie sich vollständig aufgelöst hat; sie löst sich im Speichel innerhalb von Sekunden auf • nach der Einnahme darf der Patient 10 Minuten lang nichts essen oder trinken • bei einer Kombination mit anderen Arzneimitteln muss SYCREST® zuletzt eingenommen werden. Wie aus dieser Aufzählung hervorgeht, ist ein vollständiges Verstehen des Verabreichungsmodus unbedingt notwenig, um die Wirksamkeit der Therapie zu garantieren. Es ist daher entscheidend, dass das Apothekenteam sich vergewissert, dass der Patient alles begriffen hat, und allenfalls Ergänzungen liefert. Die unerwünschten Wirkungen unter SYCREST® sind die gleichen wie unter den übrigen atypischen Neuroleptika:3 Sedierung, Angstzustände, extrapyramidale Störungen, Herzprobleme (Verlänge‐ rung der QT‐Strecke), Selbstmordgedanken und suizidales Verhalten, Konvulsionen und Gewichts‐ zunahme. Dazu kommen Überempfindklichkeitsreaktionen wie Angioödeme, Hypotonie oder ‐ potentiell äusserst schwerwiegende – Hauterup‐ tionen.2 Asenapin hat auch eine lokal anästhe‐ Zur Erinnerung: tische Wirkung, die zu einem Sensibilitätsverlust Die Neuroleptika werden in zwei grosse Gruppen am Absorptionsort führt und ca. eine Stunde unterteilt: die der 1. Generation, auch „typische“ genannt, und die der 2. Generation oder „atypische“. Zur 1. anhält: versehentliche Verletzungen der Mund‐ Generation gehören, um nur einige zu nennen, HALDOL®, schleimhaut sind möglich, z.B. wenn sich der FLUANXOL®, TRUXAL® und NOZINAN®. Neuroleptika der 2. Patient in die Wange beisst oder zu heisse Generation sind z.B. ZYPREXA®, RISPERDAL®, ABILIFY®, LEPONEX® und SEROQUEL®. Die beiden Gruppen Lebensmittel oder Getränke zu sich nimmt.2 unterscheiden sich vor allem in ihren UAW: häufiger Weil an Kindern, Jugendlichen unter 18 Jahren, Schwangeren und Stillenden nicht geprüft, ist SYCREST® bei all diesen Patientengruppen kontra‐ 3 Rev Prescrire 2010; 30 (326; suppl. Interactions): 293‐298 © Pharma‐News Seite 3 extrapyramidale Störungen unter der 1. Generation, und stärkere Gewichtszunahme, mehr metabolische Störungen ‐ Diabetes, Dyslipidämien ‐ unter der 2. In der Wirksamkeit scheinen sie sich hingegen kaum zu unterscheiden. Sie finden mehr Details zu den Neuroleptika und ihrer Anwendung in der Rubrik „Wissenswertes“ in dieser PN‐ Ausgabe. Nummer 103, Mai 2013 indiziert. Für Betagte sind sehr wenige Daten verfügbar ‐ Vorsicht ist also angesagt!1 Das neue Medikament bietet keine Vorteile gegenüber dem bereits bestehenden therapeutischen Arsenal. Zudem zeigt es zusätzliche UAW und verlangt eine sehr komplizierte Verabreichung, die auf den Buchstaben genau befolgt werden muss, damit es überhaupt wirken kann. SYCREST® ‐ wichtig für die Beratung: 9 9 9 9 9 neues atypisches Neuroleptikum Sublingualtabletten sublinguale Absorption für die Wirksamkeit unerlässlich komplexer Einnahmemodus, der strikt befolgt werden muss gleiche UAW wie alle Neuroleptika; schwere Überempfindklichkeitsreaktionen möglich ARTERIA‐VITA® die gleichen Kapseln wie PADMA® 28 und PADMED CIRCOSAN® unter anderem Namen (Co‐Marketing) Wie PADMA® 28 (Hors Liste, Liste D) und PADMED CIRCOSAN® (SL, Liste D) ist ARTERIA‐VITA® (SL, Liste D) ein in der Schweiz nach einem tibetischen Rezept hergestelltes Medikament (PN Nr. 73, Mai 2010). Es enthält eine Mischung aus zwanzig Pflanzen, Kampfer und Calciumsulfat, die auf additive, synergistische und antagonistische Weise wirken (sic!).4 Wie seine „Kollegen“ ist ARTERIA‐VITA® indiziert bei Durchblutungsstörungen mit Beschwerden wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Schwere‐ und Spannungsgefühl in den Beinen und Armen, Ein‐ schlafen von Händen und Füssen und Wadenkrämpfen.4 Laut gewissen Studien kann die Einnahme solcher Tabletten während 16 Wochen die maximale Gehstrecke bei Patienten mit Claudicatio intermittens um einige Meter verlängern.5 Andere natürliche Wirkstoffe, wie Knoblauch, Omega‐3 Fettsäuren und Vitamin E wurden ebenfalls bei dieser Indikation getestet; einzig Gingko biloba und PADMA® 28 waren wirksamer als Placebo.6 ARTERIA‐VITA® ist nur für Erwachsene zugelassen. Die Initialdosierung beträgt zwei Kapseln dreimal täglich, eine halbe bis eine ganze Stunde vor den Mahlzeiten. Die Dosis kann auf eine bis zwei Kapseln pro Tag gesenkt werden, wenn eine Besserung eintritt. Personen mit Schluckschwierigkeiten können den Kapselinhalt in lauwarmem Wasser dispergieren. Zwischen der Einnahme von ARTERIA‐VITA® und anderer Medikamente muss ein Intervall von eineinhalb bis zwei Stunden eingehalten werden.4 4 Swissmedic, Arzneimittelinformation www.zora.uzh.ch/18616/2/Diss Endfassung.pdf 6 L'athérosclérose, juillet 2005, 181 (1) : 1‐7 Epub 2005 Mar 31 5 © Pharma‐News Seite 4 Gut zu wissen… Die tibetische Medizin beruht, wie auch Ayurveda (Medizinsystem aus Indien), auf einer ganzheitlichen Sicht des menschlichen Wesens; d.h. sie ist der Ansicht, dass die Person ein Mikrokosmos des Universums ist. Sie geht vom Prinzip aus, dass ein Mensch in Harmonie mit seiner Umwelt und mit einer Lebensweise im Gleichgewicht natürlicherweise glücklich und gesund ist. Ist das Gleichgewicht gestört, so kommt es zu einer Krankheit. Diese Medizinsysteme suchen den Patienten zu heilen indem sie ihm helfen, das verlorene Gleichgewicht wieder zu finden; Evaluation und Behandlung der Krankheiten werden individualisiert. Im Westen hingegen gleicht sich die Anwendung zugelassener tibetischer oder ayurve‐ discher Spezialitäten eher unserem allopathischen me‐ dizinischen Zugang als dem ganzheitlichen an.7 Nummer 103, Mai 2013 Das Präparat ist gut verträglich und zeigt meistens keine unerwünschten Wirkungen; in seltenen Fällen können gastrointestinale Störungen, Herzklopfen und Hauteruptionen auftreten. Die Kapseln enthalten weder Gluten noch Lactose. Laut Hersteller wurden bisher keine Interaktionen bekannt.4 7 Claudicatio intermittens: Sie wird ausgelöst durch eine Verengung der Arterien in den untern Gliedmassen (Arteriopathie), im Allgemeinen als Folge einer Arteriosklerose (Ablagerung von atheromatösen Plaques). Zu Beginn der Krankheit treten im Ruhezustand keine Schmerzen auf, da die Muskeln noch genügend durchblutet werden. Nach einer gewissen Anstrengung erhöht sich der Sauerstoffbedarf allerdings und die Arterien können der Nachfrage nicht mehr genügen: es kommt zu Schmerzen ähnlich wie bei einem Krampf. Diese treten im Allgemeinen in der Wade, seltener im Oberschenkel oder im Gesäss auf. Die Schmerzen zeigen sich nach einer gewissen 1 Gehstrecke und zwingen den Patienten zum Stehenbleiben. Sie verschwinden darauf innert einiger Minuten. Die Wieder‐ aufnahme der Bewegung hat ein Wiederauftreten der Schmerzen zur Folge. Aus diesem Grund wird auch von der „Schaufensterkrankheit“ gesprochen, da die unfreiwilligen Pausen häufig als Schaufensterbetrachtungen getarnt werden. Die Beschreibung solcher Symptome durch einen Patienten muss das Apothekenteam veranlassen, einen Arztbesuch zu empfehlen. ARTERIA‐VITA® ‐ wichtig für die Beratung: 9 9 9 Co‐Marketing‐Präparat von PADMA® 28 und PADMED CIRCOSAN® Medikament nach tibetischer Rezeptur auf pflanzlicher Basis indiziert bei Durchblutungsstörungen ROTE REISHEFE — eine natürliche Alternative zu den Statinen? In letzter Zeit kamen die Statine in den Medien arg unter Beschuss. Die damit geschürte Unsicherheit könnte dazu führen, dass die Patienten zur Senkung ihrer Cholesterinwerte andere Produkte, wie z.B. die Rote Reishefe vorziehen ‐ was soll man davon halten? Eine wirksame Behandlung? Sicher? Eine wirkliche Alternative zu den Statinen? Die Rote Reishefe ist in erster Linie ein Lebensmittel der asiatischen Küche, das vor allem als natürliches Färbemittel und als Geschmacksverstärker einge‐ setzt wird. Sie ist aber auch ein traditionelles chinesisches Arzneimittel gegen Zirkulations‐ und Verdauungsstörungen.8 In Frankreich, den USA und der Schweiz wird Rote Reishefe als Nahrungsergänzungsmittel gehandelt. Die Tatsache, dass sie gesetzlich nicht als Medikament eingestuft wird, kann zu grossen Unterschieden zwischen den Präparaten führen, sowohl betreffend die Zusammensetzung als auch die Wirksamkeit ‐ ganz abgesehen von der fraglichen Sicherheit!9 Die Rote Reishefe wird durch Fermentation von Reis mit einem bestimmten Pilz gewonnen, der ein rotes Pigment bildet. Dieses gab der Hefe ihren Namen. Die Hefe ist also rot, nicht der Reis. Durch 7 http://www.passeportsante.net Werbung für B’Onaturis, Willemin levure de riz rouge 9 Pharmacist’s letter 2008; #241203 8 © Pharma‐News Seite 5 Nummer 103, Mai 2013 die Fermentation werden auch spezielle organische Säuren, die Monacoline, synthetisiert; da‐ runter solche mit einer den Statinen ähnlichen chemischen Struktur.10 Eine dieser Säuren, Monacolin K, ist auch bekannt unter der Bezeichnung Lovastatin,9 ein Statin, das unter anderem in Deutschland im Handel ist.11 Auf traditionelle Weise fermentiert, enthält der Reis nur minimale Mengen dieser Säuren und zeigt keine eigentliche Wirkung auf die LDL‐Werte. Es sind aber genau diese Produkte, die (auch in der Schweiz) als Nahrungsergänzungsmittel registriert sind.9 Damit diese Substanzen in grossen Mengen vorhanden sind und eine erwiesene lipidsenkende Wirkung ausüben können, muss die Fermentation, beispielsweise durch Veränderung der Temperatur, gesteuert werden. In diesem Fall müssten die Präparate aber als Medikamente angeschaut werden, mit allem, was das betreffend Registrierung und Handelserlaubnis nach sich zieht! Rote Reishefe blockiert in gleicher Weise wie die Statine das Enzym HMG‐CoA‐Reduktase und hemmt dadurch die Cholesterinsynthese in der Leber. Die Hefe enthält ebenfalls Phytosterole, die ihre Wirkung verstärken.9 Die Wirksamkeit dieser Hefe ist erwiesen, wenn die aktiven Wirkstoffe, wie Monaco‐ lin K, in genügend grosser Menge vorhan‐ den sind: gewisse dieser Nahrungsergän‐ zungen weisen Konzentrationen von bis zu 4% Monacolinen auf, darunter 2% Lova‐ statin, andere aber enthalten sehr viel weniger Wirkstoff. Die Wirkung ist zudem nur belegt, was die Senkung der LDL‐Werte angeht, nicht aber was die klinischen Para‐ meter betrifft (z.B. Effekt in der kardio‐ vaskulären Prävention). Gewisse Hersteller empfehlen, täglich eine Kapsel mit 3 mg Monacolin einzunehmen, andere empfehlen vier pro Tag mit total 32 mg Monacolin, davon 16 mg Lovastatin ‐ man kann sich den Wirksamkeitsunterschied zwischen den einzelnen Präparaten leicht vorstellen! Zum Vergleich: in Deutschland ist Lovastatin in den Stärken zu 10, 20 und 40 mg auf dem Markt. Manche dieser Nahrungsergänzungsmittel enthalten demzufolge therapeutische Dosen, die als Medikamente rezeptpflichtig wären. Mit Recht stuft die amerikanische Gesetzgebung solche Präparate nicht mehr als Nahrungsergänzungen, sondern als nicht zugelassene Medikamente ein!9 In der Schweiz hat Swissmedic bis jetzt auf ihrer Homepage keine Empfehlungen zum Thema abgegeben. Für das Apothekenteam kann die Situation brenzlig werden: ein Präparat mit tiefer Monacolin‐ Konzentration empfehlen, aber mit schwacher oder fehlender Wirksamkeit ‐ oder eines mit einem hohen Gehalt, im Wissen, ein nicht zugelassenes Medikament abzugeben. In jedem Fall müssen die unerwünschten Wirkungen, Interaktionen und Kontraindikationen der Statine beachtet werden. Beispielsweise müssen, wie unter Statinen, die Leberwerte dieser Patienten kontrolliert werden. Von Roter Reishefe muss abgeraten werden bei Leberproblemen, Alkoholismus und in der Schwangerschaft und Stillzeit. Sie darf nicht gleichzeitig mit oralen Antikoagulantien wie SINTROM® eingenommen werden (Blutungsrisiko), auch nicht zusammen mit Grapefruitsaft (erhöhte Lovastatin‐Serumwerte).12 Ein weiteres Problem der Anwendung von Roter Reishefe ist deren Sicherheit:10 ist die Fermentation schlecht durchgeführt, so enthält das Endprodukt möglicherweise eine nephro‐ 10 11 La Revue Prescrire 207; 27 (287): 675‐676 Pharmavista.ch © Pharma‐News Seite 6 Nummer 103, Mai 2013 toxische Substanz, die zu einer Niereninsuffizienz führen kann.9 Auch Fälle von Rhabdomyolyse (schwere Muskelschädigungen) und Leberschäden wurden beschrieben. Diese Effekte treten selbstverständlich verstärkt auf, wenn der Patient Nahrungsmittelergänzungen auf der Basis von Roter Reishefe gleichzeitig mit einem lipidsenkenden Medikament vom Typ Statin oder Ezetimib (EZETROL®) einnimmt.10 Die Patienten erwähnen selten von sich aus die Nahrungssupplemente, die sie konsumieren, wenn man sie fragt, ob sie weitere Medikamente einnehmen10 – das Apothekenteam muss daran denken und, z.B. bei Muskelbeschwerden, die entscheidenden Fragen stellen. Das unerklärliche Auftreten von Krämpfen, Schmerzen oder Schwächegefühl in den Muskeln macht eine ärztliche Kontrolle nötig.12 Wie häufig zitiert, sind pflanzliche Präparate nicht zwingend unschädlich. Es lohnt sich, dies den Patienten immer wieder klar zu machen, umso mehr, wenn es nicht um Medikamente, sondern um Nahrungsergänzungsmittel geht, deren Status keine Garantie liefert für ihre Zusammen‐ setzung, Wirksamkeit und Sicherheit. Gewisse Patienten wollen keine chemischen Medikamente einnehmen und ziehen natürliche Alternativen vor, mit dem Resultat, dass sie schliesslich, wie in diesem Fall, die gleichen Wirkstoffe schlucken! ROTE REISHEFE ‐ wichtig für die Beratung: 9 9 9 9 9 9 9 durch einen Hefepilz fermentierter Reis Nahrungsergänzung: keine Garantie für Wirksamkeit und Sicherheit enthält spezielle Säuren mit ähnlicher chemischer Struktur wie die Statine, die die lipidsenkende Wirkung verleihen Nahrungsergänzungen können „heimliche Medikamente“ sein: die Lovastatin‐Konzentration kann die selbe sein wie in Präparaten mit Medikamentenstatus Vorsicht: potentiell schwere UAW möglich UAW verstärkt bei gleichzeitiger Einnahme von Statinen oder Ezetimib Interaktionen und Kontraindikationen beachten VITASPRINT® B12 (Cyanocobalamin) Die in Liste C eingeteilten Trinkampullen VITASPRINT® B12 enthalten 0.5 mg Vitamin B12 in Form von Cyanocobalamin (wie die parenterale Form VITARUBIN® superconc.) und zwei Aminosäuren (Phosphoserin, Glutamin), die am Zellmetabolismus beteiligt sind. Es handelt sich um das einzige orale Vitamin B12‐Präparat im Handel in der Schweiz. Nach offizieller Indikation wird es verwendet bei herabgesetzter körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und nervösen Verspan‐ nungen; es ist aber nicht zugelassen zur Behandlung von Vitamin B12‐ Mangelzuständen! Die Konzentration der VITASPRINT® B12 Trink‐ ampullen, die 0.5 mg Cyanocobalamin enthalten, und die empfohlene Behandlungsdauer von 30 Tagen genügen nicht zur nachhaltigen Behe‐ bung von Symptomen im Zusammenhang mit einem wirklichen Mangel. VITASPRINT® B12 ist daher eher ein Supplement zur Ergänzung einer möglicherweise ungenügenden Zufuhr mit der Nahrung. Wie bei ande‐ ren Supplementierungen von Vitaminen zur Bekämpfung der Müdig‐ 12 Compléments alimentaires à base de levure de riz rouge : mises en garde de l’ANSM (agence nationale de sécurité du médicament), 14.02.2013 site online © Pharma‐News Seite 7 Nummer 103, Mai 2013 keit kann, nach Meinung der PN, auch in diesem Fall mit einem gewissen Placeboeffekt gerechnet werden. Die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen wurde nicht untersucht und ist daher in der Selbst‐ medikation in dieser Altersgruppe nicht vorgesehen. Bei Verdacht auf einen Vitamin B12‐Mangel in diesem Alter ist eine ärztliche Konsultation nötig. Unerwünschte Wirkungen treten selten auf und sind eher der Grundlage zuzuordnen: Überem‐ pfindlichkeitsreaktionen (Fieber, Hauteruption etc.) und Diarrhoe.13 Die Kosten einer einmonatigen Behandlung mit VITASPRINT® B12 belaufen sich auf ca. 100 CHF. VITASPRINT® B12 ‐ wichtig für die Beratung: 9 9 9 einziges orales Vitamin B12‐Präparat in der Schweiz zu tiefe Konzentration (0.5 mg/Trinkampulle) und zu kurze Behandlungsdauer zur Korrektur eines eigentlichen Mangels indiziert bei Müdigkeit, Nachlassen der körperlichen und geistigen Fähigkeiten und nervösen Verspannungen Wissenswertes LIPPENHERPES: gibt es eine Behandlung oder eine Prophylaxe? Herpes labialis (auch „Fieberbläschen“ genannt) ist eine gutartige, unangenehme und meistens wiederkehrende Erkrankung, verursacht durch das Herpes simplex 1‐Virus (HSV‐1). In seiner typischen Form ist der Lippenherpes leicht erkennbar: der Ausbruch beginnt mit einem Brennen und Kribbeln an einer umschriebenen Stelle der Lippen, manchmal aber auch bis auf die umgebene Haut übergreifend. In Ausnahmefällen können auch das Naseninnere, der Rand der Ohrmuscheln, das Kinn und die Wangen befallen sein.14 Nach wenigen Stunden erscheint ein roter Fleck, der bald mit Bläschen von 2‐4 mm Durchmesser übersät ist. Einige Tage später springen die Blasen auf und hinterlassen eine gelbliche Kruste, die sich später, ohne Narben zu hinterlassen, wieder ablöst.15 Im Allgemeinen dauert ein Herpes‐Schub sieben bis zehn Tage. Das Virus ist sehr leicht übertragbar und kann an eine NICHT INFIZIERTE Person (vor allem kleine Kinder) weitergegeben werden über direkten Kontakt mit den Bläschen, kontaminierte Gegen‐ stände (z.B. Lippenstift) und Speichel. Die Läsionen bleiben ansteckend bis zur Krustenbildung.14,16 Bei nicht infizierten Erwachsenen stellen Küsse und orogenitaler Sex die häufigsten Übertragungswege dar.14 Eine Erstinfektion findet meistens vor dem 20. Lebensjahr statt, im Allgemeinen wäh‐ rend der Kleinkinderzeit, und verläuft asymp‐ tomatisch.14 13 Arzneimittel‐Kompendium der Schweiz 2013 http://www.passeportsante.net 15 La Revue Prescrire 2011; 31 (334) 16 La Revue Prescrire, info‐patients, juin 2012 – Le bouton de fièvre 14 © Pharma‐News Seite 8 Nummer 103, Mai 2013 Der Lippenherpes ist ansteckend für Personen, die NIE mit dem Virus infiziert wurden. Treten die Läsionen wiederholt auf, handelt es sich NICHT um eine Neuinfektion. Die Reaktivierungen des Virus stehen NICHT IN ZUSAMMENHANG mit einem kürzlichen Kontakt mit einer infizierten Person oder einem kontaminierten Gegenstand! Das Virus verbleibt ein Leben lang im Körper, zurückgezogen in den Nervenganglien an der Schädelbasis. Es wandert nicht; eine Übertragung auf andere Körperteile (Augen, Geschlechts‐ organe) findet nicht statt und die Eruptionen bleiben auf die Lippen lokalisiert. Einmal eingenistet, kann das Virus entweder inaktiv bleiben oder sich bemerkbar machen. Über zwei Drittel der infizierten Personen erleiden nie einen Lippenherpes‐Ausbruch; andere hingegen mehrere jedes Jahr.14 Zu einem Ausbruch des Herpes labialis kommt es bei einem „Aufwecken“ des Virus. Verschiedene Faktoren tragen zu einem Rezidiv bei; oft sind sie nur schwer vermeidbar: Sonne, UV‐Strahlen, Müdigkeit, Fieber, Emotionen, Menstruation, Immunsuppression etc. Ist die Lokalisierung des Herpes labialis untypisch, kann er verwechselt werden mit verschiedenen Affektionen wie Impetigo (bakterielle Hautinfek‐ tion), Akne, Furunkel, Ekzem, Mundwinkel‐Rhaga‐ den etc. Im Zweifelsfall drängt sich ein Arztbesuch auf! Es ist auch möglich, dass eine Impetigo als Sekundärinfektion bei Lippenherpes auftritt, was dessen Verlauf verlängert und verschlimmert, vor allem wenn Kortikosteroide auf die Läsionen appliziert werden.15 Gut zu wissen…19 Nachdem lange Zeit angenommen wurde, das Lippen‐ herpes‐Virus finde sich nur in den Fieberbläschen, weiss man heute, dass es jeden Körperteil, so auch die Genitalregion, angreifen kann.20 Die Veränderung der Sexualpraktiken soll Ursache dieser Migration sein. Die Banalisierung des orogenitalen Geschlechtsverkehrs begünstigt genitale Infektionen mit dem labialen Herpesvirus. Mit seiner limitierten Ausbreitung benötigt der Herpes labialis meistens keine antivirale Therapie, da er schnell spontan abheilt. Hygienemassnahmen sind allerdings angebracht, um die Übertra‐ gung des Virus auf andere Personen und weitere Infektionsherde bei der gleichen Person zu verhindern: - Läsionen nicht anfassen Mundkontakte mit der Umgebung, vor allem mit Säuglingen, vermeiden nach der Pflege die Hände waschen im Fall einer Sekundärinfektion ein Hautantiseptikum (Chorhexidin) anwenden nach dem Berühren der Läsionen nicht sich die Augen reiben etc. einen Sonnenschutz auftragen vor der Exposition. Zur Schmerzlinderung: - Eis auflegen (in einem Handtuch), mehrmals täglich während einiger Minuten - Lippen immer gut befeuchten - wenn nötig, Paracetamol einnehmen. Zu einer Konsultation beim Arzt raten, wenn:16 die Läsionen nicht innert einer bis zwei Wochen abheilen - Fieber auftritt - häufig Rezidive auftreten ‐ eine Krankheit das Immunsystem beeinträchtigt - ein Befall des Auges vorliegt (vor allem bei licht‐ empfindlichen Augen während oder nach einem Schub) - Zum heutigen Zeitpunkt gibt es keine medizinische Behandlung, die das Virus endgültig aus dem Körper eliminiert! Antiviralia zur lokalen Applikation [Aciclovir (ZOVIRAX® und Generika), Penciclovir (FENIVIR®)] sind wenig wirksam und dienen im Allgemeinen nur dazu, die Dauer der Hautläsionen um einige Stunden zu verkürzen; aber einzig unter der Bedingung, dass sie innert zwölf Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome aufgetragen werden. Wie schon in früheren PN‐Ausgaben erwähnt, sind auch pflanzliche Präparate im Handel, vor allem auf der Basis von Melisse (VALVERDE® Fieberbläschen) (PN Nr. 30, © Pharma‐News Seite 9 Nummer 103, Mai 2013 Jan./Feb. 2006) und Rhabarber (PARSENN‐HERPES® und PHYTOVIR®) (PN Nr. 2, April 2003 ‐ nur französisch). Sie scheinen ähnlich wirksam wie die Virustatika zu sein. Besondere Aufmerksamkeit muss immunsupprimierten Patienten (nach Transplantation, unter Krebstherapie etc.) geschenkt werden; sie müssen wenn nötig an den Arzt überwiesen werden. Für diese Patienten kann eine orale Prophylaxe [Aciclovir (ZOVIRAX® und Generika), Valaciclovir (VALTREX® und Generika)] in Betracht gezogen werden, wenn sie jährlich über sechs Ausbrüche von Herpes labialis erleiden.15,17,18 Dieselbe Behandlung kann auch den ‐ eher seltenen ‐ Patienten angeboten werden, die häufig unter schweren Rezidiven leiden. Den Vorteilen einer solchen Prophylaxe stehen die möglichen unerwünschten Wirkungen gegenüber: Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen. Neben den oralen präventiven Behandlungen können weitere Medikamente zusätzlich zu den schon erwähnten Massnahmen vorgeschlagen werden. Eine Creme auf der Basis von Polyethylen‐ glycol (CREMOLAN® Lipvir) ist zur Prophylaxe zugelassen; allerdings konnten keine unabhängigen Studien, die ihre Wirksamkeit evaluieren, gefunden werden. Bei schweren rezidivierenden Infektionen ist auch der Einsatz von LUPIDON® H möglich, einem Impfstoff mit dem inaktivierten Herpes simplex‐Virus Typ 1, möglich (PN Nr. 53, Mai 2008). 1920 HERPES LABIALIS ‐ wichtig für die Beratung: 9 9 9 9 9 9 9 gutartige Affektion, verursacht durch das Herpes simplex 1‐Virus nach einer Primoinfektion bleibt das Virus im Organismus ein Herpes labialis‐Ausbruch entspricht einem Aufwachen des in den Nervenganglien ver‐ steckten Virus die verfügbaren lokalen Therapien lindern die Symptome und verkürzen leicht die Dauer es gibt nur wenige Massnahmen, um einem Ausbruch (Rezidiv) wirksam vorzubeugen, ausser die für bestimmte Patienten empfohlene Langzeittherapie mit einem Virustatikum in der Regel heilen die Blasen spontan ohne Behandlung ab besondere Aufmerksamkeit muss immunsupprimierten Patienten geschenkt werden NEUROLEPTIKA Eine kurze Wiederholung zum Thema Neuroleptika Als Neuroleptika (etwa Nervendämpfungsmittel, NL) oder Antipsychotika werden Arzneistoffe bezeichnet, die zur Behandlung von wahnhaften Zuständen und Halluzinationen eingesetzt wer‐ den, wie sie bei Psychosen auftreten. Antipsychotika werden in Substanzen der ersten (= konven‐ tionelle, typische) und zweiten Generation (= moderne, atypische) unterteilt. Die Unterscheidung beruht vor allem auf der Gefahr, so genannte extrapyramidal‐motorische Störungen (EPS) auszu‐ lösen, wobei diese Gefahr bei atypischen Antipsychotika deutlich geringer ist. Antipsychotika haben unterschiedliche Wirkungen, deren Ausprägung je nach Wirkstoff unterschiedlich ist: Sedierende Wirkung: sie wirken beruhigend, angstlösend und hemmen die Aggressivität 17 pharmaDigest, pharmaSuisse, Herpes labialis: Beratung und Behandlungsmöglichkeiten, 29.3.2012 Prescrire, Idées‐Forces, juin 2012, Herpès labial: traitement 19 http://www.doctissimo.fr/html/dossiers/herpes/8594‐herpes‐sexe‐oral‐contamination‐augmentee‐02.htm 20 http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/00682/00684/11687/index.html?lang=fr 18 © Pharma‐News Seite 10 Nummer 103, Mai 2013 Antipsychotische Wirkung: sie unterdrücken sog. Plussymptome wie Halluzinationen oder Wahn Antriebssteigernde Wirkung: sie wirken den sog. Minussymptomen wie Gleichgültigkeit, sozialer Rückzugtendenz, Kontaktverlust, Redehemmung, Gedankenabbruch, usw. entgegen. Neuroleptika werden üblicherweise zur Behandlung von Schizophrenien und Psychosen angewendet, kommen aber auch bei bipolaren Störungen, insbesondere bei Zerfahrenheit, Unruhe, Wahn‐ und Angstzuständen zum Einsatz. Sie werden ausserdem auch als Beruhigungs‐ mittel verwendet, etwa bei Ängsten, Schlafstörungen, psychomotorischen Erregungszuständen, zur Behandlung starker Schmerzen oder vor einer Narkose als sog. Narkoseprämedikation. Aufgrund ihrer brechreizlindernden Wirkung können gewisse Neuroleptika auch gegen Übelkeit und Erbrechen eingesetzt werden. Bei Alterspatienten werden Neuroleptika oftmals verordnet, um Unruhe, Aggressivität, Angst oder Schlafstörungen bei Demenzkranken günstig zu beeinflussen.21 Liste der in der Schweiz erhältlichen Neuroleptika: 22 Psychose:21 INN Typika Chlorprothixen Flupentixol Haloperidol Levopromazin Perphenazin Pipamperon Promazin Sulpirid Tuclopenthixol Atypika Amisulprid Aripirazol Asenapine Clozapin Olanzapin Paliperidon Quetiapin Risperidon Sertindol *(+ Melitracen) Spezialität TRUXAL® FLUANXOL®, DEANXIT®* HALDOL® NOZINAN® TRILAFON® DIPIPERON® PRAZINE® DOGMATIL® CLOPIXOL® Als Psychose bezeichnet man eine schwere psychische Störung, die mit einem zeitweiligen weitgehenden Verlust des Realitätsbezugs einher‐ geht. SOLIAN®, Generika ABILIFY® SYCREST® LEPONEX®, Generika ZYPREXA®, Generika INVEGA®, XEPLION® SEROQUEL®, Generika RISPERDAL®, Generika SERDOLECT® Wer mehr wissen möchte … 25 Das maligne neuroleptische Syndrom Das maligne neuroleptische Syndrom (MNS) ist eine seltene Nebenwirkung von Neuroleptika. Es stellt einen in der Psychiatrie gefürchteten Notfall dar, weil es schnell verläuft und rasch lebensbedrohliche Komplikationen verursachen kann. Dabei tritt plötzlich eine Hyperthermie auf (oftmals über 40°C) mit Exsikkose, ohne dass eine Infektion nachweisbar ist; hinzu kommen ein generalisierter Rigor (Muskelsteifigkeit), extrapyramidal‐motorische Störungen, Schweissausbruch, Tachykardie und Bewusstseins‐ störungen. Das MNS tritt bei schneller Aufdosierung der genannten Medikamente auf, meist in den ersten vier Wochen nach Therapiebeginn bzw. ‐umstellung, aber auch bei hoher Dosierung. Der Verlauf kann tödlich sein, weshalb eine schnelle Diagnose mit sofortigem Therapieabbruch und eine Spitaleinweisung erforderlich sind. Das Risiko besteht bei allen NL und ist je nach Wirkstoff mehr oder weniger ausgeprägt. 21 22 Larousse médical, 2006 Arzneimittelkompendium der Schweiz, 2013 © Pharma‐News Seite 11 Nummer 103, Mai 2013 Neuroleptika unterscheiden sich hauptsächlich in ihren unerwünschten Wirkungen Allgemein haben die sog. Atypika keinen Effizienzvorteil gegenüber den konventionellen Neuro‐ leptika. Dennoch wird je nach Indikation die eine oder andere Gruppe bevorzugt eingesetzt (siehe unten). Der grosse Unterschied liegt bei den weniger häufig auftretenden unerwünschten Wirkun‐ gen. Konventionelle Neuroleptika hemmen u.a. die Dopaminrezeptoren D2.23 Im mesolimbischen‐ mesokortikalen System führt die Blockade der D2‐Rezeptoren zur erwünschten antipsychotischen Wirkung, in anderen Systemen des Gehirns ruft sie aber die unerwünschten Wirkungen hervor:24 - im nigro‐striatalen System führt sie zu parkinson‐ähnlichen extrapyramidal‐motorischen Störungen, wie z.B. krampfartigen Bewegungen im Bereich von Zunge, Schlund, Gesicht und oberen Extremitäten, kleinschrittigem Gang, Verlust der Mimik, Rigor, Tremor, Hypersalivation usw. im tubero‐infundibulären System löst sie neuroendokrine Störungen mit Anstieg des Prolaktins aus. Der Prolaktinanstieg bewirkt Gynäkomastie (Vergrösserung der Brustdrüse), Libido‐ und Potenzverlust beim Mann, Galaktorrhö (Milchfluss, d.h. spontaner Austritt von Muttermilch oder muttermilchartigem Sekret aus der Brust bei Frauen, ohne dass eine Schwangerschaft und Wochenbett stattgefunden hat) und Amenorrhö (Ausbleiben der Menstruation) bei der Frau. Atypische Neuroleptika unterscheiden sich von den typischen Neuroleptika dadurch, dass sie auch (oder vorwiegend) Serotonin‐Rezeptorantagonisten mit einer niedrigeren Affinität für die D2‐ Rezeptoren sind. Dadurch verursachen sie keine oder nur wenige extrapyramidal motorische Störungen, sind aber nicht ganz frei von unerwünschten Wirkungen. Am häufigsten beobachtet werden Stoffwechselstörungen wie Gewichtszunahme, Anstieg der Lipide im Blut und Erhöhung des Diabetesrisikos. Weitere unerwünschte Wirkungen der konventionellen und atypischen Neuroleptika sind vegeta‐ tiver Natur und beruhen auf: 24 S eien Sie vor Neuroleptikern auf der ‐ einer anticholinergen Wirkungen im ZNS (Ver‐ Hut... schlechterung der Verwirrtheit) oder in der Peri‐ pherie (Mundtrockenheit, Verstopfung, Harn‐ Wusste gar nicht, verhalten, visuelle Akkomodationsstörungen) ‐ eine Alpha‐Blockade (α1), die zu Blutdruck‐ abfall und Schwindel (erhöhtes Sturzrisiko), Herzrasen und übermässiger Speichelproduk‐ tion führen kann dass die Tunten jetzt Uniformen tragen... Hinzu kommen noch weitere schwerwiegende Nebenwirkungen, wie QT‐Zeit‐Veränderungen, Senkung der Krampfschwelle oder das sehr seltene, aber gefährliche maligne neuroleptische Syndrom. Die Intensität dieser Wirkungen hängen vom Wirkstoff ab und ist bei der Therapieauswahl zu berücksichtigen. Je nach Patient (Risikoprofil, ärztliche Anam‐ nese, Lebenstil) wird die eine oder andere Gruppe bevorzugt. Bei Patienten mit Über‐ gewicht oder mit einer massiven Gewichtszu‐ 23 24 Le Manuel Merck, 4ème édition, 2008 N. Franck, F. Thibaut, Modalité d’utilisation des neuroleptiques, EMC‐Psychiatrie 2, 2005, p.300‐339 © Pharma‐News Seite 12 Nummer 103, Mai 2013 nahme sollte die Auswahl des Neuroleptikums überdacht, eine regelmässige körperliche Betätigung empfohlen und diätetische wie auch evtl. medikamentöse Massnahmen ergriffen werden.25 Anwendung der Neuroleptika bei psychotischen Störungen Aufgrund des Wirkungs‐ und Nebenwirkungsprofils gelten die Atypika als Mittel der Wahl bei Schizophrenie und Psychosen.24 Sie haben den Vorteil einer leicht besseren Wirksamkeit gegenüber konventionellen Neuroleptika in dieser Indikation bei deutlich weniger extrapyramidal‐ motorischen Störungen. Die konventionellen Neuroleptika dienen als Reserve für Patienten, die bereits mit Typika behandelt wurden und diese gut vertragen bzw. die Atypika nicht gut vertragen. Andere Anwendungen der Neuroleptika Neben der offiziellen Indikation zur Behandlung psychotischer Störungen finden Neuroleptika auch Einsatz bei:24,26,27 ‐ neuropathischen Schmerzen ‐ Agitiertheit und Aggression im Rahmen eines Drogenentzugs ‐ therapieresistenten Zwangsstörungen ‐ Autismus ‐ Demenz und Verhaltensstörungen beim Alterspatienten ‐ Übelkeit und Erbrechen ‐ Schlafstörungen ‐ Angststörungen Psychotische Störungen: Umfassen alle psychiatrischen Erkran‐ kungen, die mit Psychosen (= schwere psychische Störungen, die mit einem zeitweiligen weitgehenden Verlust des Realitätsbezugs verbunden sind) ein‐ her gehen, wie z.B. Schizophrenien, Manien, bipolare Störungen usw. Die Anwendung der Neuroleptika bei diesen Indikationen erfolgt zum Teil im Off‐Label‐Use und wird aufgrund eines unvorteilhaften oder unklaren Nutzen‐Risiko‐Verhältnisses kontrovers beur‐ teilt. Sie werden in der Regel niedriger dosiert als in der Behandlung von Psychosen und nur mangels wirksamerer oder sicherer Alternativen erwogen.26 Dies ist z.B. der Fall bei der Behand‐ lung von neuropathischen Schmerzen, für welche der Wirksamkeitsnachweis noch aussteht. 27 Aufgrund des erhöhten Risikos für Krampfanfälle schliessen z.B. die Autoren der Revue Prescrire die Anwendung der Neuroleptika bei Alkoholentzug aus, obwohl ihre Wirksamkeit hier belegt ist.28 Bei Zwangsstörungen scheinen Neuroleptika die Wirksamkeit der Standardbehandlung mit sero‐ toninergen Antidepressiva zu verbessern. Allerdings fehlen Langzeiterfahrungen, und eine Ver‐ schlechterung einzelner assoziierter psychotischer Störungen wird manchmal beobachtet.24 Bei Kindern mit Autismus ist Haloperidol am besten evaluiert und wirksam bei Verhaltens‐ störungen. Dessen Anwendung kann aber mit extrapyramidal motorischen Störungen und einer starken Gewichtszunahme einhergehen.26 Die Anwendung von Neuroleptika bei Demenzkranken wird immer mehr zur Normalität. Obwohl seit Jahren bekannt ist, dass ihr Einsatz zu einer erhöhten Sterblichkeit führt,26 werden Neuro‐ leptika im grossen Stil gegen Aggressivität und innere Unruhe sowie nächtliches Umherwandern eingesetzt. Dennoch sollten sie nur in schwerwiegenden Fällen zum Einsatz kommen ‐ nach Ausschöpfung der Alternativtherapien und individueller Nutzen‐Risiko‐Abwägung. Die Anwendung von einigen Neuroleptika bei Schlaf‐ störungen beruht auf ihrer antihistaminen Wirkung. Ihr Einsatz birgt zwar kein Abhängigkeitsrisiko, die Neben‐ 25 La Revue Prescrire 1996 ; 16 (n°165) : pp 627‐631 Cercles de qualité, cours de base SNC III, 2010 27 PharmaDigest, Psychotropes dans le traitement de la douleur, 2013 28 La Revue Prescrire 2006 ; 26 (n°275) : pp 592‐601 26 © Pharma‐News Seite 13 Als Off‐Label‐Use oder Off‐Label‐Einsatz bezeichnet man die therapeutische Verwen‐ dung von Medikamenten ausserhalb der Indikationsgebiete oder der Personengruppe, für die sie von den Arzneimittelbehörden zuge‐ lassen und im Arzneimittelkompendium verzeichnet sind. Nummer 103, Mai 2013 wirkungen können aber beträchtlich sein, weshalb sie nur nach Versagen der Benzodiazepine empfohlen werden.26 Was die antiemetische Wirkung der Neuroleptika betrifft, werden sie nur als Alternative zu den Setronen im Rahmen von Krebsbehandlungen angewandt.22 Praktische Aspekte in Zusammenhang mit einer Neuroleptika‐Behandlung Bei einer antipsychotischen Therapie geht es hauptsächlich darum, die Symptome zu lindern und dadurch die Lebensqualität des Patienten zu verbessern ‐ bei möglichst wenig unerwünschten Wirkungen. Studien zeigen aber, dass viele Patienten ihre Therapie mangels Wirksamkeit und / oder aufgrund der unerwünschten Wirkungen abbrechen. Zur Erinnerung: Neuroleptika haben keine sofortige Wirkung, der Wirkungseintritt bedarf eines über Tage bis Wochen behutsam aufgebauten Wirkstoffspiegels. Die Aufklärung und Betreuung der Patienten spielen eine grosse Rolle für den Therapieerfolg. Das Apothekenteam kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. ANWENDUNG DER NEUROLEPTIKA‐ wichtig für die Beratung: 9 9 9 9 9 9 9 Zwei Gruppen: Neuroleptika werden in konventionelle oder typische, und moderne oder atypische Substanzen unterteilt Sie unterscheiden sich hauptsächlich in ihrem Nebenwirkungsprofil, ihre Wirksamkeit ist vergleichbar Die wichtigste Indikationen sind: Schizophrenien und bipolare Störungen Viele weitere Anwendungsmöglichkeiten zum Teil im Off‐Label‐Use: Angststörungen, De‐ menz, Schlafstörungen, neuropathische Schmerzen, Agitation und Aggression, Autismus, Zwangsstörungen, Übelkeit und Erbrechen In diesen Fällen sollten sie aber als Alternative nach Versagen der anderen therapeutischen Massnahmen eingesetzt werden Viele unerwünschte Wirkungen, die bei der Auswahl des Neuroleptikums zu berücksich‐ tigen sind Für eine bessere Verträglichkeit wird mit einer tiefen Dosierung begonnen und ganz lang‐ sam auftitriert. VITAMIN B12 ODER COBALAMIN Vitamin B12 ist ein wasserlösliches Vitamin, das als Kofaktor (Coenzym) Bestandteil mehrerer Enzyme ist (beim Menschen sind es zwei). Vitamin B12 unter‐ stützt den Körper bei der Herstellung von Nuklein‐ säuren (z.B. DNA) und spielt eine zentrale Rolle in der Regulierung der Bildung von roten Blutkörperchen und in der Gesunderhaltung von Nervenzellen. Der Vitamin B12‐Tagesbedarf beträgt 2‐5 μg bei Er‐ wachsenen und wird in der Regel durch die Ernäh‐ rung gedeckt. Vitamin B12 ist in Fleisch, Fisch, Pilzen, Eiern und Milchprodukten enthalten. Dennoch ist ein Mangel an Vitamin B12 kein seltenes Krankheitsbild, besonders bei älteren Personen. In dieser Patientengruppe sind 10 bis 15% betroffen. © Pharma‐News Seite 14 Nummer 103, Mai 2013 Die Ursachen eines Defizits sind vielfältig, eine davon kann z.B. die Folge einer gestörten Resorption aufgrund eines Mangels an intrinsischem Faktor sein. Dieser kann durch eine chronische Entzündung der Magenschleimhaut, als Folge einer Autoimmunerkrankung oder einer Erbkrankheit (perniziöse Anämie, chronisch atrophe Gastritis), nach einer operativen Entfernung des Magens (Gastrektomie) oder nach einem Magenbypass entstehen. Ein Vitamin B12‐Mangel kann aber auch die Folge eines erhöhten Verbrauchs an Vitamin B12 durch Parasiten im Darm (Würmer) oder eines verminderten Gehalts an Vitamin B12 in der Nahrung sein (z.B. bei unausgewogener veganer Kost oder Alkoholismus), oder eines intensiven Gebrauchs von magen‐ säurehemmenden Arzneimitteln (Anti‐H2, Protonenpumpenhemmer) oder Metformin. Ein Vitamin B12‐Mangel äussert sich in hämatologischen Erscheinungen wie Anämie und Panzyto‐ penie (letztere ist eine starke Verminderung der Blutzellen aller drei Zelltypen, es bestehen somit gleichzeitig Anämie, Leukozytopenie und Thrombozytopenie), sowie neurologischen (Missempfin‐ dungen oder Taubheitsgefühl der Haut, Gangunsicherheit, Koordinationsstörungen, Sehstörungen, Polyneuropathie, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit) und psychiatrischen Störungen (Reizbar‐ keit, Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und Demenz). Einige Schäden des Vitamin B12‐Mangels sind irreversibel. Deshalb ist eine möglichst frühe Erkennung und Behandlung wichtig. Unbehan‐ delt kann ein Vitamin B12‐Mangel zu schwerwiegenden neurologischen oder psychiatrischen Kom‐ plikationen führen.29 Der Verdacht auf Vitamin B12‐Mangel aufgrund der Symptome und/oder der klinischen Anamnese (Alterspatienten, Unterernährung, vegane Kost, Alkoholismus, nach bariatrischer Operation) muss mit laborchemischen Methoden bewiesen werden. Dabei kann z.B. Cobalamin im Blut gemessen werden. Allerdings ist die Interpretation der Blutwerte aufgrund der grossen inter‐ und intraindividuellen Variabilität sehr kompliziert und reicht für Diagnose und Erkennung der Ursache alleine nicht aus. Gleichzeitig muss nach Folsäure‐ und Eisenmangel gesucht werden. Bei der Diagnose müssen auch zahlreiche andere Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ähnliche Symptome verursachen können, zum Beispiel eine diabetische Neuropathie oder eine multiple Sklerose. Ist eine Supplementierung nötig, wird Vitamin B12 vorzugsweise intramuskulär verabreicht, ge‐ mäss folgendem Schema: 9 1 mg täglich während einer Woche, gefolgt von 9 1 mg wöchentlich während eines Monats, dann 9 1 mg monatlich lebenslänglich, wenn die Ur‐ sache des Mangels nicht reversibel ist Vitamin B12 ist in der Schweiz in Form des Cyano‐ cobalamins VITAMIN B12 AMINO®, VITARU‐BIN® superconc) und des Hydroxocobalamins (VITARU‐ BIN® Depot) im Handel, wobei alle Präparate 1mg Wirkstoff enthalten. Der Unterschied bei Hydroxo‐ cobalamin ist, dass der Wirkstoff stark an Plasma‐ proteine gebunden wird und somit länger im Körper bleibt (verzögerte Freisetzung, Depot). Bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko (z.B. anti‐ koagulierten Patienten unter MARCOUMAR®) kann Cyanocobalamin auch subkutan injiziert werden.30 Magenbedingte Aufnahmestörungen des Vitamin B12: In Nahrungsmitteln ist Cobalamin an Proteine gebunden. Um im Dünndarm resorbiert zu werden, muss es zunächst im Magen unter der Wirkung von Magensäure und Pepsin freigesetzt und vom „intrinsischen Faktor“, einem Glykoprotein, das von den Belegzellen des Magens produziert wird, gebunden werden. Der „intrinsische Faktor“ bindet Cobalamin in einem vor Verdauungs‐ enzymen geschützten Komplex und ermöglicht so den Transport in die Darmzellen, von wo aus Vitamin B12 über Bindung an weitere Proteine (Transcobalamine) in die äusseren Gewebe gelangt. Bei einer atrophen Gastritis fehlen diese Faktoren, was die Aufnahme des Cobalamins aus der Nahrung verschlechtert. Medika‐ mente, die die Magenphysiologie beeinflussen, wie z.B. Protonenpumpenhemmer (z.B. Omeprazol) oder H2‐ Rezeptorantagonisten (Ranitidin) verursachen ähnliche Probleme, wenn sie langfristig eingenommen werden. Ebenso wirkt sich Metformin negativ auf die Aufnahme von Vitamin B12 aus. Einige Patienten bevorzugen eine orale Behand‐ lung, weil die Vitamin B12‐Injektionen sehr schmerzhaft sind und die Hilfe einer Fachperson benö‐ 29 30 CAPP‐INFO N°60/septembre 2011, HUG pharmacie et gérontopharmacologie Pharmavista.net, News message 13.07.2012 © Pharma‐News Seite 15 Nummer 103, Mai 2013 tigen (was zu höheren Behandlungskosten führt). Die orale Behandlung ist möglich, falls der Mangel auf einer ungenügenden Zufuhr bei normaler Absorption im Verdauungstrakt beruht, zum Beispiel bei strikten Veganern. Gemäss der Schweizer Arzneimittel‐Fachinformation liegt der Dosierungsbereich in diesem Fall tief ‐ bei 15 bis 30 µg Cyanocobalamin. Gemäss der wissen‐ schaftlichen Literatur ist es möglich, auch Patienten mit einer reduzierten Absorption, zum Beispiel aufgrund einer perniziösen Anämie, oral zu behandeln, weil zirka 1% der Vitamin B12‐Dosis unabhängig vom Intrinsic‐Factor passiv in den Blutkreislauf gelangen. Die Dosis liegt dann bei 1 bis 2 mg pro Tag. Diese Behandlungsmethode gilt als „Geheimtipp“, ist in der Schweiz aber bisher nicht zugelassen, und es sind hier offiziell keine entsprechenden Arzneimittel im Handel.31 Im Rahmen einer randomisierten multizentrischen Studie konnte gezeigt werden, dass die orale Substitution von 1 mg Vitamin B12 täglich während eines Monats zu einer deutlichen Erhöhung der Cobalaminwerte im Blut führt. Allerdings verschwanden diese Effekte drei Monate nach Therapieende wieder.32 Die Dauer einer oralen Substitution sollte demnach mindestens einen Monat betragen und in den meisten Fällen (wenn die Ursache des Mangels nicht beseitigt werden kann) lebenslang weitergeführt werden. In der Schweiz sind keine entsprechenden Tabletten mehr erhältlich, die einzige noch verfügbare orale Darreichungsform ist VITASPRINT B12®, Trinkampullen mit 0.5 mg Cyanocobalamin (siehe Artikel dazu weiter oben).29 VITAMINE B12 – wichtig für die Beratung: 9 9 9 9 Häufige Mangelerscheinung, die hämatologische, neurologische und psychiatrische Störun‐ gen vorwiegend bei der älteren Bevölkerung verursacht. Die Resorption von Vitamin B12 aus der Nahrung benötigt das Zusammenspiel von Magen‐ säure, Pepsin und dem intrinsischen Faktor. Langfristig eingenommen können gewisse Medikamente diese Resorption stören und zu einem Vitamin B12‐Mangel führen! Supplementierung mittels intramuskulären Injektionen zunächst täglich, später wöchent‐ lich, dann monatlich, manchmal lebenslang. Subkutane Verabreichung möglich. Die orale Therapie gilt als zweite Wahl aufgrund der Resorptionshürden. Sie benötigt die tägliche Einnahme hoher Vitamin B12‐Dosen ‐ in der Regel lebenslang In Kürze Zur Erinnerung: In den PN Nr. 88 vom Oktober 2011 wurden die gesetzlichen Anforderungen, de‐ nen Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und Medizinprodukte genügen müssen, verglichen. Im Gegensatz zu Arzneimitteln brauchen Nahrungsergänzungsmittel oder Medizin‐produkte keinen Wirksamkeitsnachweis vorzulegen. Die Zulassungskosten sind deutlich niedriger (keine Kosten für die Evaluation eines Registrierungsdossiers), Werbung und Abgabe sind weniger stark reglementiert. Für den Hersteller kann es also vorteilhaft sein, solche Produkte auf den Markt zu bringen, zumal der Konsument sie in der Regel z.B. aufgrund ihrer Aufmachung, ihrer Darreichungsform oder ihres Markennamens als Arzneimittel wahrnimmt. Seitdem haben wir beschlossen, diese Produkte nicht mehr systematisch unter die Lupe zu neh‐ men, da wir in den meisten Fällen aufgrund der mangelhaften Datenlage (keine klinische Studien 31 32 CAPP‐INFO N° 60/2011, Gérontopharmacologie HUG Favrat et al. BMC Family Practice 2011, 12 :2 © Pharma‐News Seite 16 Nummer 103, Mai 2013 zum Beweis oder Vergleich einer angepriesenen Wirkung, unklare Zusammensetzung, unklare Indikation usw.) keine fundierte Evaluation des Produktes durchführen konnten. Deshalb listen wir nun diese Produkte in regelmässigen Abständen auf und geben die Angaben des Herstellers unverändert in Klammern wieder. Eine solche Liste wurde bereits in den PN Nr. 92 und 94 publiziert. Seitdem sind folgende Produkte erschienen bzw. wurden beworben: AXAMINE®: Nahrungsergänzung „für den Erhalt der Gelenkbeweglichkeit“. Enthält u.a. Glucosa‐ min und Chondroitin. Zur Erinnerung: die Wirksamkeit dieser Substanzen zur Linderung von Gelenkbeschwerden wurde bis jetzt nicht belegt (siehe z.B. PN Nr. 77 vom Oktober 2010). ENDWARTS: örtlich anzuwendende Lösung mit Ameisensäure zur Selbstentfernung von Warzen. EXTRACELLMATRIX®: Nahrungsergänzungsmittel „für Haut, Knorpel, Sehnen und Bänder“. Enthält u. A. Glucosamin und Chondroitin. Siehe unsere Bemerkung dazu unter AXAMINE®. EXXEMA REPAIR®: Schaum, Crème und Lotion „zur Linderung der Beschwerden von Ekzemen und Hautreizungen“. Eine intern durchgeführte Studie wird in der Werbung präsentiert. Es handelt sich dabei um eine offene (Patienten und Pflegepersonal wissen, welches Produkt sie anwenden), durch den Hersteller gesponserte Studie. Diese Art von Studien beinhaltet ein hohes Risiko für Bias und ist deshalb nicht sehr aussagekräftig. Ausserdem wurde das Produkt nur bei atopischer Dermatitis und nicht bei Ekzem geprüft. HERPATCH SERUM®: Es handelt sich um eine Creme, die einen Schutzfilm über Fieberblasen legt. Gemäss Hersteller soll das Produkt der Virusausbreitung entgegenwirken. Trotzdem sind die üblichen Vorsichtsmassnahmen (nicht aufkratzen, kein direkter Mundkontakt) weiterhin nötig. IALUNA®: Befeuchtende Vaginalovuli mit Hyaluronsäure, Vitamin E und pflanzlichen Hilfsstoffen gegen „Scheidentrockenheit“. LICE EX®: Schaumlösung auf der Basis von Kokosnussölderivaten zur Behandlung von Kopfläusen. PREVALIN NASODREN®: Nasenspray mit Alpenveilchenextrakt „zur Behandlung von Nasen‐ Nebenhöhlenentzündungen (Rhinosinusitis)“ REMOGEN® OMEGA: Mikroemulsion mit Omega‐3‐Fettsäuren zu Benetzung des Auges, anzuwenden bei „Schädigungen der Augenoberfläche“ und bei „trockenen Augen“. SPOTNER®: Pen, um Altersflecken aufzuhellen Anmerkung des Herausgebers Die Empfehlungen in Pharma‐News geben die Meinung der Autoren auf Grund der bei Redaktionsschluss vorhandenen Daten wieder. Der CAP trägt dafür keinerlei Verantwortung © Pharma‐News Seite 17 Nummer 103, Mai 2013 Resultate des Lesetests der PN 100 – die Gewinnerinnen: Fehlerfrei! Branche Véronique Pharmacie du Hêtre Belfaux Gobet Vyolène Pharmacie du Hêtre Belfaux Pierre Sandra Pharmacie D’Herborence Sàrl Boudry Fioritto Priscille Pharmacie Schneeberger Tramelan Bühlmann Amélie Pharmacie Schneeberger Tramelan Gillabert Aline Pharmacie Sun Store Sierre Moullet Sylviane Pharmacie Sun Store les Eplatures La Chaux‐de‐Fonds Mourot Sonia Pharmacie Sun Store les Eplatures La Chaux‐de‐Fonds Chenal Maude Pharmacie Sun Store les Eplatures La Chaux‐de‐Fonds Frésard Anne‐Laure Pharmacie Sun Store les Eplatures La Chaux‐de‐Fonds Ein oder zwei entschuldigte Fehler ! Brönnimann Caroline Pharmacie Amavita La Harpe Lausanne Durupt Arnaud Pharmacie Sun Store La Chaux‐de‐Fonds Bangerter Laura Pharmacie Amavita Beauregard Fribourg Gerber Valérie Pharmacie Schneeberger Tramelan Fatio Marie‐Jeanne Pharmacie de Chardonne Chardonne Fournier Nathalie Pharmacie de Nendaz Haute‐Nendaz Von Bergen Natacha Pharmacie Sun Store Rolle Sacco Bruno Maria‐Angela Pharmacie de Malagnou Genève Tournoux Catherine Pharmacie Sun Store La Chaux‐de‐Fonds Cucuzza Samanta Pharmacie Sun Store La Chaux‐de‐Fonds Lambert Marielle Pharmacie Sun Store La Chaux‐de‐Fonds Di Blasi Ida Pharmacie Sun Store La Chaux‐de‐Fonds Ney Maude Pharmacie Sun Store Rolle Richoz Vanessa Pharmacie du Hêtre Belfaux Crettenand Lara pharmacieplus de bramois SA Bramois Lambercier Patricia Pharmacie Plus Centrale Fleurier Poyet Tiphaine Pharmacie de Chailly Lausanne Puthod Orlane Pharmacie de Chailly Lausanne Jaha Suzana Pharmacie Amavita Gare Lausanne Dumoulin Deborah Pharmacie Populaire Grosclaude Genève Pereira Isabel Pharmacie Populaire Grosclaude Genève Fonseca Solange Pharmacie de Malagnou Genève Peguiron Nicole Pharmacie de la Vallombreuse Prilly Die glückliche Gewinnerin ist ORLANE PUTHOD ! Sie gewinnt einen Bon ihrer Wahl über 100.‐ Bravo an alle Teilnehmerinnen ! © Pharma‐News Seite 18 Nummer 103, Mai 2013 LESETEST Pharma‐News Nr. 102 Kreuzen Sie die richtige Antwort oder die richtigen Antworten an, machen Sie einen Kreis um RICHTIG oder FALSCH oder beantworten Sie die Frage: 1) Kreuzen Sie die richtigen Antworten zu den Generika von ARICEPT® an: a) Donepezil wird in der Regel einmal täglich am Abend eingenommen, um unerwünschte Magen‐Darm‐ Wirkungen zu vermindern b) ARICEPT® und Generika haben dieselbe Wirkungsweise wie AXURA® c) Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Donepezil und verschiedenen Medikamenten zur Behandlung von Harninkontinenz d) ARICEPT® und Generika verbessern auf eindrückliche Weise die Lebensqualität von Alzheimerpatienten e) Acetylcholinesterase‐Hemmer dürfen bei Personen mit Magen‐ oder Zwölffingerdarmgeschwüren in der Vorgeschichte nur mit Vorsicht eingesetzt werden 2) Was sind die Vorteile von AERIUS® und Generika gegenüber CLARITINE® und Generika? Gibt es ein Antihistaminikum, welches bei keinem einzigen Patienten zu Schläfrigkeit führt? 3) RICHTIG oder FALSCH zu den Generika von NEBILET® und den Betablockern allgemein? a) Nebivolol kann sowohl zur Behandlung von Hypertonie als auch bei Herzinsuffizienz eingesetzt werden b) NEBILET® ist ein kardioselektiver Betablocker und kann deshalb auch Asthmatikern bedenkenlos verschrieben werden c) Die Tabletten von NEBILET® und Generika können geviertelt werden, weil die Therapie der Herzinsuffizienz mit einer Dosierung von 1,25 mg begonnen wird d) Nebivolol ist die Behandlung der ersten Wahl bei Herzinsuffizienz, weil es die Sterblichkeit nachweislich senkt. e) Lipophile Betablocker verursachen weniger zentrale unerwünschte Wirkungen 4) Wählen Sie aus! RICHTIG / FALSCH RICHTIG / FALSCH RICHTIG / FALSCH RICHTIG / FALSCH RICHTIG / FALSCH RICHTIG / FALSCH a) VEREGEN® enthält einen Grüntee‐Extrakt Podophyllotoxin b) VEREGEN® muss drei mal wöchentlich täglich aufgetragen werden c) VEREGEN® wird angewendet zur Behandlung von Fusswarzen Genitalwarzen d) VEREGEN® ist erhältlich auf Rezept ohne Rezept e) VEREGEN® wirkt antibakteriell antiviral 5) Ein Herr kommt in die Apotheke mit einem Rezept für CIPRALEX® Tropfen, die er bereits seit einigen Monaten nimmt. Die angegebene Dosierung beträgt 20 Tropfen einmal täglich, ohne weitere Angaben. Was müssen Sie in der Apotheke bei der Medikamentenabgabe beachten? © Pharma‐News Seite 19 Nummer 103, Mai 2013 6) TROBALT® ist (mehrere Antworten sind möglich): a) Ein neues Antiepileptikum mit einem neuartigen Wirkmechanismus b) Ein Generikum von TOPAMAX® c) Ein Stabilisator der neuronalen Membranen d) Ein Antiepileptikum, das auch als Monotherapie eingesetzt werden kann e) Ein Antiepileptikum, das weniger Wechselwirkungen verursacht als die anderen Vertreter dieser Medikamentengruppe 7) Sind DIANE 35® und Generika immer noch als Verhütungsmittel in der Schweiz zugelassen? Was wird diesen Präparaten vorgeworfen? 8) RICHTIG oder FALSCH zum Thema „Arzneimittel am Steuer“ ? a) Nur Arzneimittel, die schläfrig machen, können gefährlich am Steuer sein RICHTIG / FALSCH b) Das Apothekenpersonal ist verpflichtet, die Kunden zu informieren, wenn die abgegebenen Arzneimittel die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen können RICHTIG / FALSCH c) Patienten unter Methadon dürfen auf keinen Fall Auto fahren RICHTIG / FALSCH d) Kokain ist erlaubt am Steuer, weil es sich um eine stimulierende Droge handelt, die RICHTIG / FALSCH die Reflexe steigert e) Ein Epilepsiepatient, der dank medikamentöser Therapie stabilisiert ist, darf ein RICHTIG / FALSCH Fahrzeug lenken. Er darf dies aber nicht ohne medikamentöse Behandlung RICHTIG / FALSCH 9) Streichen Sie die Spezialitäten, die keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit verursachen: BIOFLORIN® ‐ CETALLERG® ‐ ANAFRANIL® ‐ CALCIMAGON D3® ‐ LEXOTANIL® ‐ SIRDALUD® ‐ DAFALGAN® ‐ MST‐CONTINUS® ‐ NITUX® ‐ TOSSAMINE PLUS® 10) Was sind die Vorteile von TAVANIC® und Generika im Vergleich zu den anderen Chinolonen? − − Ist es richtig (unter Berücksichtigung der Empfehlungen von Swissmedic), wenn ein Arzt auf Anhieb Levofloxacin zur Behandlung einer akuten bakteriellen Sinusitis verschreibt? Senden Sie einen Test pro Pharma‐AssistentIn vor dem 25. Mai 2013 per Fax an die Nr 022/363.00.85 Name Vorname Unterschrift Stempel der Apotheke © Pharma‐News Seite 20 Nummer 103, Mai 2013