DGE Aktuelle Aspekte in der Ernährungsbildung und Ernährungsberatung Arbeitstagung der DGE in Paderborn Um qualifizierte Ernährungsberatung und Reformen im Schulfach „Ernährungsbildung“ voranzutreiben, erklärte die DGE „Aktuelle Aspekte in der Ernährungsbildung und -beratung“ zum zentralen Thema ihrer Arbeitstagung und lud am 29. und 30. September 2005 nach Paderborn ein. Rund 250 Teilnehmer, darunter Fachkräfte aus der Ernährungsberatung und der Ernährungsbildung, aber auch Wissenschaftler, Mediziner, Lehrer, Vertreter aus der Politik, von Schulen und Bildungseinrichtungen, sowie Fachjournalisten und Studenten, kamen zur zweitägigen Herbstveranstaltung. Wissenschaftlich begleiteten Prof. Helmut Heseker, Vizepräsident der DGE, und Prof. Dr. Peter Stehle, Präsident der DGE, die Tagung. Eröffnungsveranstaltung In seiner Eröffnungsrede begrüßte STEHLE den Bürgermeister der Stadt Paderborn, Heinz PAUS, sowie die Referenten und Teilnehmer der Veranstaltung. Er wünschte allen einen Wissenszuwachs durch die Vorträge und Diskussionen zu den aktuellen Themen. PAUS stellte die Aktivitäten der Stadt Paderborn zur Förderung einer gesunden Lebensführung vor. HESEKER begrüßte die Teilnehmer auch im Namen der Universität Paderborn. Er hob hervor, dass die gegenwärtige Darstellung von Ernährungsthemen in den Medien häufig zu Irritationen der Verbraucher führe und die Tagung dazu beitragen solle, den Fachkräften den aktuellen wissenschaftlichen Stand aufzuzeigen. z. B. die LOGI-Pyramide, berücksichtigen aktuelle Erkenntnisse über die Wirkung von Lebensmitteln auf ausgewählte Stoffwechselparameter. „Neben der Berücksichtigung von tatsächlich verfügbaren Lebensmitteln und aktueller Ernährungsprobleme bietet die neue Pyramide eine Verknüpfung von wissenschaftlich fundierten qualitativen und quantitativen Informationen“, betonte STEHLE. Nachdem er die vier Seiten der Lebensmittelpyramide „pflanzliche Lebensmittel“, „tierische Lebensmittel“, „Getränke“ und „Speisefette und Öle“ erläutert hatte, stellte STEHLE die multimedialen Anwendungsmöglichkeiten des neuen Modells und die damit verbundene Ansprache neuer Zielgruppen vor. 450 „Kohlenhydratarme Diäten waren bereits vor 20–30 Jahren in Europa populär und lebten in den letzten Jahren durch Atkins und die moderne Variante „South-Beach-Diät“ wieder auf“, so Prof. Dr. Hans HAUNER von der TU München. Aktuelle Studienergebnisse zeigen, dass mit kohlenhydratarmen Diäten zwar ein rascher initialer Gewichtsverlust gelingt, allerdings fehlen immer noch Langzeiterfahrungen. „Durch die hohe Zufuhr an gesättigten Fettsäuren und Cholesterin ist bei solchen Diäten langfristig eine Verschlechterung des kardiovaskulären Risikoprofils zu befürchten“, so HAUNERS nächstes Argument. Im Vergleich zu fettreduzierten Diäten sei infolge der verminderten Lebensmittelauswahl mit einer schlechteren Langzeitcompliance zu rechnen. Auch für das Konzept des glykämischen Index fehlen laut HAUNER bisher wissenschaftliche Belege, dass diese Kost zu einer besseren und anhaltenden Gewichtssenkung führe als andere Diätformen. Er forderte auch hier langfristig angelegte Studien, um den gesundheitlichen Nutzen, aber auch mögliche Risiken von Glyx-Diäten besser beurteilen zu können. Steinzeiternährung Die Dreidimensionale Lebensmittelpyramide „Grafische Darstellungen sind ein unverzichtbares didaktisches Hilfsmittel für die erfolgreiche Vermittlung von wissenschaftlich fundierten Verhaltensregeln für eine gesundheitsfördernde Ernährung“, begann STEHLE die Vorstellung der neuen Dreidimensionalen Lebensmittelpyramide. Traditionelle Konzepte grafischer Darstellungen verfolgen entweder den nutritiven oder den metabolischen Ansatz. So spiegelt der Ernährungskreis die Umrechnung von Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr in Lebensmittelart und -menge wider, grafische Modelle nach dem metabolischen Ansatz, wie Low carb – high fat und Glyx-Diäten Prof. Stehle während des Eröffnungsvortrags Ist die Steinzeiternährung ein (un-) zeitgemäßes Ernährungsprogramm? Mit dieser Frage setzte sich Prof. Dr. Andreas HAHN von der Universität Hannover auseinander. „Ein Ziel der Ernährungswissenschaft besteht darin, die langfristig optimale Ernährung wissenschaftlich zu definieren“, so HAHN. „Dies geschieht üblicherweise auf Basis etablierter wissenschaftlicher Ansätze aus den Bereichen Epidemiologie, Physiologie und Biochemie“. Bei der Steinzeiternährung („Paleo Diet“) werde versucht, die Ernährung vor dem Hintergrund der Evolution zu erklären. Hierbei werde jedoch verkannt, dass eine genetische Anpassung an die Umwelt nicht auf langfristige GesundErnährungs-Umschau 52 (2005) Heft 11 DGE heit abzielt, sondern auf reproduktive Fitness. Darüber hinaus bestehen erhebliche Probleme einer Definition für den Begriff Steinzeiternährung: „Zur Zeit liegen lediglich Hypothesen auf Basis gegenwärtig noch lebender Jäger- und Sammlervölker vor“, so HAHN. „Das Konzept der ‚Paleo Diet’ liefert damit weder neue Erkenntnisse noch Erklärungen. Es besagt, dass Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch für die menschliche Ernährung geeignet sind, lässt aber so viel Interpretationsspielraum, dass bei Bedarf beinahe jede Art von Ernährung als ‚paläolithisch’ geeignet gedeutet werden kann.“ Adipöse Kinder in einer adipogenen Umwelt Übergewicht, Adipositas und Folgekrankheiten sind nicht nur im Erwachsenenalter weit verbreitet, sondern nehmen auch im Kindes- und Jugendalter deutlich zu. Bewegungsmangel und eine an den verringerten Energieverbrauch nicht angepasste Ernährung werden hier gegenwärtig als Hauptursachen identifiziert. In seinem Vortrag erläuterte HESEKER diese besorgniserregende Entwicklung: „In Deutschland sind je nach untersuchter Altersgruppe 10–20 % aller Schulkinder und Jugendlichen übergewichtig und sogar 2,5–8 % adipös. Schülerinnen und Schüler aus unteren sozialen Schichten sind dabei 2-mal häufiger betroffen als Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus.“ Bereits heute treten bei Kindern Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonie und Fettleber mit zunehmender Häufigkeit auf. Um den Bedingungen der adipogenen Umwelt zu begegnen, fordert HESEKER unter anderem eine Reduktion des Medienkonsums, eine gute Balance zwischen aktiven und inaktiven Freizeitaktivitäten und eine Verbesserung der Ernährungs- und Gesundheitsbildung. Ernährungsbildung aus Sicht der Ernährungspolitik Der zweite Veranstaltungstag wurde von Dr. Regina WOLLERSHEIM vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft eröffnet. So erklärte sie: „Ernährungsmitbedingte Krankheiten belasten das Gesundheitssystem jährlich mit 70 Milliarden Euro und haben damit eine erhebliche wirtschaftliche Dimension“. Auch müsse der soziale Faktor des Themas Übergewicht berücksichErnährungs-Umschau 52 (2005) Heft 11 Nach der Vorstellung der Dreidimensionalen Lebensmittelpyramide erwarben viele Teilnehmer das Faltmodell am Broschürenstand der DGE tigt werden, der z. B. durch vermehrtes Übergewicht bei Migrantenfamilien zum Ausdruck käme. Nach Ansicht von WOLLERSHEIM sind neue Ideen bei der Wissensvermittlung wichtig. Dies unterstütze die Ernährungspolitik durch Förderung von Projekten oder auch dem aktuellen Wettbewerb „Besser essen – mehr bewegen“. Wichtige Ziele der Ernährungspolitik seien, die Ernährungsbildung zu verbessern, einen verstärkten Focus auf die Familien zu richten und das Thema Ernährung in Lehrpläne und Curricula für Schulen aufzunehmen. Ernährungsbildung „Ernährungsbildung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen fachlichen Perspektiven und Anforderungen einerseits und den Erfahrungen und Handlungsmustern aus der Lebenswelt der essenden Menschen andererseits“, so Barbara METHFESSEL in ihren Ausführungen zu „Bedingungen und Barrieren der Ernährungsbildung“. Wenn Ernährungsbildung gelingen soll, müsse sie die Zusammenhänge und Widersprüche zwischen Essen und Ernährung sowie zwischen Schule und Lebenswelt berücksichtigen. Im Projekt „Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen“ (REVIS) werde deshalb u. a. die Auseinandersetzung mit der eigenen Essbiographie als Voraussetzung für „selbstbewusste Lernprozesse“ gesehen. Als weitere Forderung von REVIS zur Überwindung von Barrieren der Ernährungsbildung nannte METHFESSEL die Umbenennung des Schulfachs „Haushaltslehre“ in „Ernährungs- und Verbraucherbildung“ (EVB) und eine damit verbundene inhaltliche Reform des Faches. Ernährungsberatung Prof. Dr. Peter KRONSBEIN zeigte Ziele und Strategien in der Ernährungsberatung auf. „Das wohl etablierteste Ziel der Ernährungsberatung ist der Qualitätsanspruch“, so KRONSBEIN. Deshalb seien eine entsprechende Ausbildung inklusive Zusatzqualifikation sowie eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung unabdingbar und eine Supervision empfehlenswert. Qualifizierte Ernährungsberatung sei außerdem gekennzeichnet durch eine flächendeckende Verfügbarkeit, einen hohen Bekanntheitsgrad, durch die Initiative zu bzw. als Bestandteil von kommunalen Netzwerken zur Gesundheitsförderung sowie eine gesundheitspolitische Positionierung im Bereich der Prävention. Als Strategien nannte KRONSBEIN hier neben der Erarbeitung von Konzepten für einen zukünftig zunehmenden Bedarf an Ernährungsberatung die Anwendung moderner Kommunikationstechniken der Werbung und die aktive (Mit-)Gestaltung kommunaler Netzwerke. Weitere Informationen zu den Inhalten der Parallelveranstaltungen „Ernährungsbildung“ und „Ernähungsberatung“ der Arbeitstagung sind in der Oktober- und der November-Ausgabe des DGEinfo zu finden. Der Tagungsband mit allen Vorträgen ist für 15,00 EUR zuzügl.Versandkosten über den DGE-MedienService zu beziehen. 451